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09.10.2013 Aufrufe

aNalySE Analyse eines Lawinenunfalls Text: Peter Rauscher | Fotos: Peter Rauscher, Paul Sodamin Nach den vielen Meldungen über Lawinentote in der Win- tersaison 2012/13 ist es erfreulich, von einem Unfall berichten zu können, bei dem die Verschütteten aufgrund professioneller Kameradenrettung lebend geborgen werden konnten. Bei dem Lawinenabgang im Jänner wurden zwei Frauen auf einer Forststraße von einem Schneebrett verschüttet. Sie hatten keinen Airbag, trugen jedoch LVS-Geräte. Die restlichen Mitglieder der Gruppe setzten einen Notruf ab und begannen mit der LVS-Ortung. Sie konnten eine Frau trotz einer Verschüttungstiefe von einem Meter rasch ausgraben. Die zweite Frau wurde teilweise verschüttet. Auch sie wurde rasch geborgen. Eine weitere Person wurde noch über den Abhang mitgerissen, blieb jedoch an der Oberfläche. Die Gruppe hatte nach dem Unfall sehr rasch und effizient gehandelt und so das Leben der Verschütteten gerettet! Gemeinsam mit meiner Gruppe, der auch meine Frau Martina angehörte, traf ich kurz nach dem Unfall auf die verunglückte Gruppe. Wir benutzten dieselbe Aufstiegsspur auf der Forststraße wie sie. Die Verschütteten waren bereits ausgegraben. Meine Frau – sie ist Bergrettungsärztin – und ein weiterer Arzt aus meiner Gruppe kümmerten sich um die verunfallten Personen. Jene Frau, die einen Meter verschüttet worden war, hatte sich eine Knieverletzung zugezogen, die es ihr unmöglich machte, selbst abzufahren oder eine längere Distanz zu gehen. Sie wurde vom alarmierten Rettungshubschrauber abtransportiert. Begutachtung der Lawine Wir selbst blieben vor Ort, begutachteten die Lawine und gruben im Anrissbereich einen kleinen Rutschblock von 40x40 cm. Dieser rutschte bereits beim Ausgraben auf einer glatten Bruchfläche ab. Als Schwachschicht diente vermutlich eingeschneiter bzw. mit Schnee überwehter Oberflächenreif, dieser war jedoch ohne Lupe kaum mehr erkennbar. Die Schwachschicht war großflächig in 1,2 bis 0,3 Metern Tiefe auf dem ganzen Hang verteilt. Die gebundene Schicht oberhalb der Schwachschicht war auf den ersten Zentimetern sehr weich (Faust) und wurde nach oben 6 Steiermark hin immer härter (bis 1 Finger). Der Grund war die zunehmende Durchfeuchtung nach oben aufgrund einer massiven Erwärmung in den vorangegangenen Nachtstunden. Wir hatten Plusgrade am Unfallort und der Schnee fiel bereits von den Bäumen. Die gebundene Schicht war filzig und es handelte sich um eine massive Triebschneeansammlung im gesamten Hang- bzw. Böschungsbereich. Der Wind aus Südwesten hatte in den vergangenen Tagen den Schnee massiv auf die Nordseite verfrachtet. Der Böschungshang war nördlich exponiert und hatte eine Länge von (nur) 20 bis 25 Metern! Oberhalb befand sich eine von der Forststraße aus nicht einsehbare, fast ebene Fläche mit einer Größe von mehreren Hektar. Diese Fläche war total abgeblasen und fast aper. Die Anrisshöhe betrug zwischen 1,2 und 0,3 Meter auf einer Anrisslänge von ca. 40 Metern. Das Schneebrett war blockig abgerutscht, hatte die Forststraße überspült und war noch weitere 15 Meter den Abhang hinunter abgegangen. Die Verschütteten befanden sich alle im Stauraum am Ende des Kegels unterhalb der Forststraße. Die bereits vorhandene Spur auf der Forststraße war ca. 30cm tief und aufgrund der Feuchtigkeit gut eingetreten. Mehrere Personen waren an diesem Tag bereits hier aufgestiegen und hatten dieselbe Spur benutzt. Die Lawinenwarnstufe betrug in dieser Höhe (1620m) noch 2. Erst ab 1800m wurde sie mit 3 angegeben. Zweiter Blocktest Wir machten einen weiteren Blocktest außerhalb des Lawinenfeldes in noch unberührtem, nordseitigen Gelände. Wieder war eine Schwachschicht vorhanden und ließ den Block in ca. 20cm Tiefe glatt und leicht brechen. Die darüber liegende Schicht war filzig gebunden, weich und feucht. Bereits beim Ausgraben kam es zum Bruch. Auslösung bei geringer Zusatzlast und entsprechender Steilheit war daher möglich, die Schwachschicht schien auch großflächig auf dem ganzen Hang vorhanden zu sein. Offenbar waren hier auf den Schattenhängen Reifschichten entstanden. Die kalten Tage zuvor, klare Nächte und der plötzliche Temperaturanstieg würden dafür sprechen. Auch der Lawinenlagebericht

eschrieb, dass solche Schwachschichten auf nördlich exponierten Hängen vorhanden sein konnten. Lawinenbericht und Wetterdaten Es stellt sich nun die Frage, ob diese Situation bzw. die Gefahrenstelle hatten erkennbar sein können. Die Fakten: Dass die Leeseite an diesem Tag der nördliche Sektor sein würde, war bekannt und aus Lawinenlagebericht und Wetterdaten ablesbar. Der Wind kam aus südwestlicher Richtung, war jedoch am Unfallort in 1600m Seehöhe kaum spürbar. Lediglich auf den umliegenden Gipfeln und in Kammlagen konnte man Schneefahnen beobachten. Die Temperaturen bewegten sich um die Null Grad Celsius bis hin zu einigen Plusgraden. Der Temperaturanstieg in der Nacht war sehr markant! Auch das ging aus den Wetterdaten hervor. Die Erwärmung war spürbar und der Schnee fiel sehr rasch und nass von den Bäumen. Gleitschneemäuler und Gleitlawinen waren auf steilen, südseitig exponierten Hängen zu beobachten. Die Geländeform am Unglücksort wies weder eine Kammlage noch einen Sattel oder eine Mulde auf. Es handelte sich um einen relativ steilen Böschungshang (40°), der nach oben hin bald flacher wurde (36°) und eine Länge von ca. 20 bis 25m aufwies. Der ganze Hang war ca. 50 bis 60m breit. Der Hang wies leichten Bewuchs und vereinzelt kleine Bäume auf. Ob die massive Triebschneeansammlung sichtbar war, kann nach dem Lawinenabgang nicht mehr vollständig beurteilt werden. Begutachtet man den Anriss, so dürfte es zumindest keine Wechtenbildung gegeben haben. Somit war das Gefahrenzeichen „Wechte“ nicht gegeben. Auch die große, horizontal gelegene, niedrig bewachsene und fast ebene Fläche oberhalb der Böschung war von der Forststraße aus nicht einsehbar. Somit konnte man nicht erkennen, dass diese fast schneefrei war und der Schnee offenbar vom Wind verblasen und am leeseitigen Böschungshang abgelagert worden war. Der Unglücksort befindet sich in einem Kessel, der links und rechts von Bergen mit einer Höhe von über 2000m umgeben ist. Auslöser nicht eindeutig Um die Auslösung eines Schneebrettes zu verursachen, muss die Schwachschicht gestört werden. Diese muss dabei großflächig und zusammenhängend bestehen und mit gebundenem Schnee überlagert sein. Die Aufstiegsspur auf der Straße war ca. 30cm tief eingetreten und verfestigt. Ein weiteres Einsinken beim Gehen InFO-TAG Für TOurenGeher Text: Hannes Hösl | Foto: Kurt Krimberger Sondierübung mit den Teilnehmern. aNalySE Wir untersuchten die Anrissstelle der Lawine, nachdem alle am Unfall Beteiligten versorgt waren. war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr spürbar, weil der Schnee in der Spur bereits feucht und komprimiert war. Ob die Gruppe durch das Gehen und die dabei entstehenden Kräfte und Vibrationen die Auslösung verursachte oder ob es eine Selbstauslösung war, lässt sich wohl nicht klären. Wie nach dem Abgang ersichtlich, war der Anriss auf einer Länge von ca. 5 bis 7m sehr hoch (1,2m). Die restliche Anrisshöhe betrug lediglich zwischen 0,2 und 0,4m. Der Schnee an der Oberfläche war feucht komprimiert (1 Finger) und schwer. Diese Zusatzlast in Verbindung mit der Steilheit von 36 Grad im Anrissbereich übte natürlich Kräfte auf die darunterliegende Schwachschicht aus. Eine Selbstauslösung wäre daher in diesem Fall durchaus auch eine denkbare Möglichkeit. Die Lawinenwarnstufe in dieser Höhenlage betrug 2 (mäßig) und dies würde nach der Methode „stop or go“ eine Begehung von Hängen unter 40 Grad im Spurbereich noch zulassen. Die Forststraße machte in diesem Bereich einen sicheren Eindruck, da weder eine große Rinne noch ein langer kahler Baumschlag sie kreuzte. Auch die vorhandene Spur ließ hier eine sichere Begehung vermuten. Der Böschungshang war zwar im unteren Teil sehr steil (40 Grad), verflachte sich aber nach oben hin sehr rasch. Der Großteil des Hanges war nicht steiler als 36 Grad. Würde man diese Stelle als unsicher einstufen, so wäre es richtig, die Gruppe zu stoppen und die Passage auf einer Länge von ca. 70m einzeln zu begehen. Diese Maßnahme setzt jedoch voraus, dass man den Ernst der Lage erkennt, sprich die mächtige Triebschneeablagerung sieht. Aufgrund der oben angeführten Umstände und Gegebenheiten dürfte die Situation jedoch schwierig erkennbar und somit schwer zu beurteilen gewesen sein und folglich war ein nicht eindeutig kalkulierbares Restrisiko gegeben. Sicherheitsinteressierte Tourengeher konnten sich im Jänner auf der Planneralm über alle Fragen rund ums Thema Lawine informieren. Die Bergrettung Stainach brachte den 55 Teilnehmern an vier Stationen die wichtigsten Aspekte näher: Interpretieren des Lawinenlageberichtes, VS-Kontrolle vor der Tour; richtiges Suchen mit dem LVS mittels Search Trainer; V-förmige Schaufelrotation mit richtigem Bergen (Atemhöhle etc.); der Lawinenkegel und das richtige Sondieren. Die Teilnehmer waren mit vollem Eifer dabei. Trotz Schneefalls und teils stürmischen Winds und eiskalter Temperaturen hielten sie das gesamte Programm mit der Dauer von sechs Stunden durch. Steiermark 7

aNalySE<br />

Analyse eines Lawinenunfalls<br />

Text: Peter Rauscher | Fotos: Peter Rauscher, Paul Sodamin<br />

Nach den vielen Meldungen über Lawinentote in der Win-<br />

tersaison 2012/13 ist es erfreulich, von einem Unfall berichten<br />

zu können, bei dem die Verschütteten aufgrund professioneller<br />

Kameradenrettung lebend geborgen werden konnten. Bei dem Lawinenabgang<br />

im Jänner wurden zwei Frauen auf einer Forststraße<br />

von einem Schneebrett verschüttet. Sie hatten keinen Airbag,<br />

trugen jedoch LVS-Geräte. Die restlichen Mitglieder der Gruppe<br />

setzten einen Notruf ab und begannen mit der LVS-Ortung. Sie<br />

konnten eine Frau trotz einer Verschüttungstiefe von einem Meter<br />

rasch ausgraben. Die zweite Frau wurde teilweise verschüttet.<br />

Auch sie wurde rasch geborgen. Eine weitere Person wurde noch<br />

über den Abhang mitgerissen, blieb jedoch an der Oberfläche.<br />

Die Gruppe hatte nach dem Unfall sehr rasch und effizient gehandelt<br />

und so das Leben der Verschütteten gerettet!<br />

Gemeinsam mit meiner Gruppe, der auch meine Frau Martina<br />

angehörte, traf ich kurz nach dem Unfall auf die verunglückte<br />

Gruppe. Wir benutzten dieselbe Aufstiegsspur auf der Forststraße<br />

wie sie. Die Verschütteten waren bereits ausgegraben. Meine<br />

Frau – sie ist Bergrettungsärztin – und ein weiterer Arzt aus meiner<br />

Gruppe kümmerten sich um die verunfallten Personen. Jene<br />

Frau, die einen Meter verschüttet worden war, hatte sich eine<br />

Knieverletzung zugezogen, die es ihr unmöglich machte, selbst<br />

abzufahren oder eine längere Distanz zu gehen. Sie wurde vom<br />

alarmierten Rettungshubschrauber abtransportiert.<br />

Begutachtung der Lawine<br />

Wir selbst blieben vor Ort, begutachteten die Lawine und gruben<br />

im Anrissbereich einen kleinen Rutschblock von 40x40 cm.<br />

Dieser rutschte bereits beim Ausgraben auf einer glatten Bruchfläche<br />

ab. Als Schwachschicht diente vermutlich eingeschneiter<br />

bzw. mit Schnee überwehter Oberflächenreif, dieser war jedoch<br />

ohne Lupe kaum mehr erkennbar. Die Schwachschicht war großflächig<br />

in 1,2 bis 0,3 Metern Tiefe auf dem ganzen Hang verteilt.<br />

Die gebundene Schicht oberhalb der Schwachschicht war auf<br />

den ersten Zentimetern sehr weich (Faust) und wurde nach oben<br />

6 Steiermark<br />

hin immer härter (bis 1 Finger). Der Grund war die zunehmende<br />

Durchfeuchtung nach oben aufgrund einer massiven Erwärmung<br />

in den vorangegangenen Nachtstunden. Wir hatten Plusgrade am<br />

Unfallort und der Schnee fiel bereits von den Bäumen. Die gebundene<br />

Schicht war filzig und es handelte sich um eine massive<br />

Triebschneeansammlung im gesamten Hang- bzw. Böschungsbereich.<br />

Der Wind aus Südwesten hatte in den vergangenen Tagen<br />

den Schnee massiv auf die Nordseite verfrachtet. Der Böschungshang<br />

war nördlich exponiert und hatte eine Länge von (nur) 20<br />

bis 25 Metern! Oberhalb befand sich eine von der Forststraße aus<br />

nicht einsehbare, fast ebene Fläche mit einer Größe von mehreren<br />

Hektar. Diese Fläche war total abgeblasen und fast aper. Die Anrisshöhe<br />

betrug zwischen 1,2 und 0,3 Meter auf einer Anrisslänge<br />

von ca. 40 Metern. Das Schneebrett war blockig abgerutscht, hatte<br />

die Forststraße überspült und war noch weitere 15 Meter den<br />

Abhang hinunter abgegangen. Die Verschütteten befanden sich<br />

alle im Stauraum am Ende des Kegels unterhalb der Forststraße.<br />

Die bereits vorhandene Spur auf der Forststraße war ca. 30cm tief<br />

und aufgrund der Feuchtigkeit gut eingetreten. Mehrere Personen<br />

waren an diesem Tag bereits hier aufgestiegen und hatten dieselbe<br />

Spur benutzt. Die Lawinenwarnstufe betrug in dieser Höhe<br />

(1620m) noch 2. Erst ab 1800m wurde sie mit 3 angegeben.<br />

Zweiter Blocktest<br />

Wir machten einen weiteren Blocktest außerhalb des Lawinenfeldes<br />

in noch unberührtem, nordseitigen Gelände. Wieder war<br />

eine Schwachschicht vorhanden und ließ den Block in ca. 20cm<br />

Tiefe glatt und leicht brechen. Die darüber liegende Schicht war<br />

filzig gebunden, weich und feucht. Bereits beim Ausgraben kam es<br />

zum Bruch. Auslösung bei geringer Zusatzlast und entsprechender<br />

Steilheit war daher möglich, die Schwachschicht schien auch<br />

großflächig auf dem ganzen Hang vorhanden zu sein. Offenbar<br />

waren hier auf den Schattenhängen Reifschichten entstanden.<br />

Die kalten Tage zuvor, klare Nächte und der plötzliche Temperaturanstieg<br />

würden dafür sprechen. Auch der Lawinenlagebericht

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