Monatsinformation zum Öffentlichen Baurecht - Verlag C. H. Beck oHG
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ÖffBauR<br />
<strong>Monatsinformation</strong> <strong>zum</strong> <strong>Öffentlichen</strong> <strong>Baurecht</strong><br />
Bauplanungsrecht · Bauordnungsrecht · Nachbarrecht<br />
In Zusammenarbeit mit der NVwZ herausgegeben von Rechtsanwalt Dr. Thomas Schröer, LL.M., Frankfurt a.M.<br />
Inhalt<br />
Praxisbeitrag<br />
Planungsrechtliche Vorgaben<br />
der Seveso II-Richtlinie 37<br />
Bauplanungsrecht<br />
BVerwG: Anpassungspflicht an die<br />
Ziele der Raumordnung 40<br />
OVG Koblenz: Heranziehung zu<br />
Abwasserbeiträgen bei Planreife 41<br />
OVG Koblenz: Friedhof vermittelt<br />
nicht Bebauungszusammenhang 41<br />
OVG Münster: Konfliktbewältigung<br />
im Bebauungsplan 42<br />
OVG Münster: Rechtmäßigkeit einer<br />
Außenbereichssatzung 43<br />
BVerwG: Naturschutzrechtliche Ersatzmaßnahme<br />
bei der Planfeststellung 43<br />
OVG Lüneburg: Keine Privilegierung<br />
eines Gemüsestands im Außenbereich 44<br />
Bauordnungsrecht<br />
VGH Mannheim: Sofortige Vollziehbarkeit<br />
der Baueinstellungsverfügung 45<br />
VGH Mannheim: Zulässigkeit von<br />
Gebäudeteilen in Abstandsflächen 45<br />
VGH München: Zuordnung nicht<br />
überbaubarer Grundstücksflächen 46<br />
Nachbarrecht<br />
VG Koblenz: Beseitigungsverfügung<br />
gegen illegale Einfriedung 47<br />
VG Oldenburg: Lärmgutachten im<br />
Baugenehmigungsverfahren 47<br />
Redaktionsteam<br />
RA Dr. Thomas Schröer, LL.M., FAVerwR<br />
RAin Dr. Annette Rosenkötter<br />
RA Olaf Dziallas<br />
RAin Maja Brand<br />
RA Jakob Steiff, LL.M.<br />
Praxisbeitrag<br />
Planungsrechtliche Vorgaben<br />
der Seveso II-Richtlinie<br />
Von Rechtsanwalt Jakob Steiff, LL.M.<br />
Nr. 4 • 15. April 2005<br />
Mit Internet-Volltext-Service www.BAU.beck.de der besprochenen Entscheidungen<br />
<strong>Verlag</strong> C.H.<strong>Beck</strong> München und Frankfurt a.M.<br />
B 66617<br />
I. Einführung<br />
Die Seveso II-Richtlinie 96/82/EG vom 9. 12. 1996 dient der Verhinderung<br />
von durch Gefahrstoffe verursachten schweren Unfällen. Unter<br />
dem Eindruck katastrophaler Chemieunfälle wie jenen in Seveso oder<br />
Bhopal sah sich der europäische Richtliniengeber veranlasst, den<br />
Umgang mit chemischen und explosiven Stoffen als besondere Gefahrenquelle<br />
zu identifizieren und einem spezifischen Regelement zu<br />
unterstellen.<br />
In erster Linie definiert die Richtlinie anlagenbezogenes Gefahrstoffrecht,<br />
insbesondere die unter den Anwendungsbereich fallenden Betreiber,<br />
die einzelnen Betreiberpflichten, Unfallverhütungsvorschriften<br />
sowie Schutzkonzepte und deren Überwachung (vgl. Art. 5 –11<br />
der Richtlinie). Verpflichtete in soweit sind die der Richtlinie unterfallenden<br />
Betreiber sowie die für die Überwachung zuständigen Behörden.<br />
Der deutsche Verordnungsgeber hat diese Vorgaben im Wege<br />
des Erlasses der 12. BImSchV (der sog. „Störfallverordnung“) eng an<br />
der Richtlinie orientiert umgesetzt.<br />
Die Seveso II-Richtlinie weist allerdings neben den betrieblichen Vorsorgemaßnahmen<br />
auch eine planerische Dimension auf. Hiervon hat<br />
die Fachpraxis noch kaum Notiz genommen, doch rückt die Thematik<br />
durch einzelne Verfahren wie das laufende Vertragsverletzungsverfahren<br />
der Europäischen Kommission im Fall „Ticona“ zunehmend in<br />
den Blickpunkt des Interesses. Art. 12 der Seveso II-Richtlinie fordert<br />
eine Steuerung der Siedlungsentwicklung derart, dass angemessene<br />
Abstände zwischen Gefahrbetrieben einerseits und sonstigen, insbesondere<br />
dem Wohnen dienenden Siedlungen andererseits zur Minimierung<br />
von Unfallgefahren einzuhalten sind. Verpflichtete sind die<br />
Träger öffentlich-rechtlicher Planungen, wozu namentlich alle Ebenen<br />
der Raumplanung gehören.<br />
Im folgenden sollen der planungsrechtliche Regelungsgehalt der<br />
Richtlinie und die (unzureichende) Umsetzung durch § 50 BimSchG<br />
dargestellt werden. Außerdem werden die Auswirkungen der Richtlinie<br />
auf Raumplanungsverfahren in Deutschland beleuchtet.
38<br />
ÖffBauR Heft 4, 2005<br />
II. Regelungsinhalt des Art. 12 Seveso II-Richtlinie<br />
In ihrem Kerninhalt sieht die Richtlinie einen Umgebungsschutz<br />
für Störfallanlagen vor; die Planungsträger<br />
haben dafür Sorge zu tragen, dass angemessene Abstände<br />
zwischen Gefahrbetrieben einerseits und in der<br />
Nachbarschaft befindlichen Wohngebieten, öffentlich genutzten<br />
Gebäuden, Freizeitgebieten und wichtigen Verkehrswegen<br />
andererseits bestehen. Im Wortlaut regelt<br />
Art. 12:<br />
„Art. 12 – Überwachung der Ansiedlung<br />
(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in ihren<br />
Politiken der Flächenausweisung oder Flächennutzung<br />
und / oder anderen einschlägigen Politiken<br />
das Ziel, schwere Unfälle zu verhüten und ihre<br />
Folgen zu begrenzen, Berücksichtigung findet.<br />
Dazu überwachen sie<br />
a) die Ansiedlung neuer Betriebe,<br />
b) Änderungen bestehender Betriebe im Sinne<br />
des Artikels 10,<br />
c) neue Entwicklungen in der Nachbarschaft<br />
bestehender Betriebe wie beispielsweise<br />
Verkehrswege, Örtlichkeiten mit Publikumsverkehr,<br />
Wohngebiete, wenn diese<br />
Ansiedlungen oder Maßnahmen das Risiko<br />
eines schweren Unfalls vergrößern oder<br />
die Folgen eines solchen Unfalls verschlimmern<br />
können.<br />
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in ihrer<br />
Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung<br />
und / oder andere einschlägigen Politiken<br />
sowie den Verfahren für die Durchführung dieser<br />
Politiken langfristig dem Erfordernis Rechnung<br />
getragen wird, dass zwischen den unter diese<br />
Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und<br />
Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebieten und<br />
unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders<br />
wertvollen bzw. besonders empfindlichen<br />
Gebieten andererseits ein angemessener Abstand<br />
gewahrt bleibt und dass bei bestehenden Betrieben<br />
zusätzliche technische Maßnahmen nach<br />
Artikel 5 ergriffen werden, damit es zu keiner Zunahme<br />
der Gefährdung der Bevölkerung kommt.<br />
(2) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass alle<br />
zuständigen Behörden und alle für Entscheidungen<br />
in diesem Bereich zuständigen Dienststellen<br />
geeignete Konsultationsverfahren einrichten, um<br />
die Umsetzung dieser Politiken nach Absatz I zu<br />
erleichtern. Die Verfahren haben zu gewährleisten,<br />
dass bei diesbezüglichen Entscheidungen<br />
unter Berücksichtigung des Einzelfalls oder nach<br />
allgemeinen Kriterien auf fachliche Beratung<br />
Über die von dem Betrieb ausgehenden Risiken<br />
zurückgegriffen werden kann.“<br />
Die Richtlinie will somit zweierlei vermeiden: Zum<br />
einen soll die Erhöhung der Eintrittswahrscheinlichkeit<br />
eines Unfalls ausgeschlossen werden, indem neue Gefahrbetriebe<br />
nur unter den vorgesehenen planerischen<br />
Restriktionen zugelassen werden („aktiv-planerischer<br />
Gefahrstoffschutz“); <strong>zum</strong> anderen aber soll auch eine<br />
Verschärfung der Unfallfolgen bei vorausgesetztem<br />
Eintritt eines Unfalls im Plangebiet und seiner Umgebung<br />
gering gehalten werden („passiv-planerischer Gefahrstoffschutz“).<br />
Gerade das letztgenannte, durch Variante Art. 12 (1) c)<br />
erfasste Szenario der an bestehende Gefahrstoffanlagen<br />
heranrückenden Bebauung ist von einiger praktischer<br />
Bedeutung, da somit die Anforderungen der Seveso II-<br />
Richtlinie <strong>zum</strong> Thema jedes im Umkreis von bestehenden<br />
Gefahrstoffbetrieben gelegenen Planungsverfahrens<br />
werden kann, mithin die planungsrechtlichen Implikationen<br />
der Seveso II-Richtlinie keineswegs auf die Neubeplanung<br />
von Gefahrstoffbetrieben beschränkt sind.<br />
Allein schon durch die planungsbedingte Zunahme der<br />
Bevölkerung im Plangebiet können sich die Unfallfolgen<br />
auch im Falle eines außerhalb des Plangebiets<br />
liegenden Gefahrstoffunfalls signifikant verschärfen,<br />
mithin der Schutzbereich der Richtlinienbestimmung<br />
greifen.<br />
III. Umsetzung des Art. 12 der Richtlinie<br />
Die Umsetzung der Seveso II-Richtlinie in deutsches<br />
Recht erfolgte im Wesentlichen zweigleisig: Während<br />
die zentralen Vorschriften <strong>zum</strong> Gefahrstoffrecht wie bereits<br />
erwähnt durch die sog. Störfallverordnung umgesetzt<br />
sind, soll die vorliegend relevante, in Art. 12 enthaltene<br />
raumplanerische Komponente der Richtlinie<br />
durch § 50 BImSchG verwirklicht werden.<br />
1. (Defizitäre) Umsetzung durch § 50 BImSchG<br />
§ 50 BImSchG regelte schon vor Inkrafttreten der Seveso<br />
II-Richtlinie den planerischen Immissionsschutz im<br />
deutschen Recht. Zur Umsetzung der Seveso II-Richtlinie<br />
wurden lediglich in den Text des § 50 BImSchG<br />
die gefährdenden „Betriebsbereiche“ im Sinne der<br />
Richtlinie als weitere Gefahrquellen aufgenommen; von<br />
diesen sind angemessene Abstände zur Wohnbebauung<br />
und sonstigen schutzbedürftigen Gebieten vorzusehen.<br />
Ob mit der Neufassung des § 50 BImSchG eine hinreichende<br />
Umsetzung des § 12 der Richtlinie gelungen ist,<br />
wird in der Fachliteratur zurecht in Zweifel gezogen<br />
(vgl. Sellner/Scheidmann, NVwZ 2004, 267; Wietfeldt,<br />
in: Festschr. f. Feldhaus 1999, 341 [363]). Denn während<br />
die Richtlinie dezidierte Gefahrkonstellationen und<br />
diesen entgegensteuernde Planungsvorgaben vorsieht,<br />
insbesondere etwa die mit Variante Abs. 1 lit. c) erfasste<br />
und hier relevante Konstellation der an Gefahrbetriebe<br />
heranrückenden Bebauung, erfasst § 50 BImSchG die<br />
planerisch neu zu berücksichtigenden Gefahrquellen im<br />
Grunde nur mit einem Schlagwort. Von einer ordnungsgemäßen<br />
Umsetzung kann damit kaum die Rede sein.<br />
Damit erhebt sich die Frage nach den Konsequenzen der<br />
unzureichenden Umsetzung der EG-Richtlinie.
Heft 4, 2005 ÖffBauR 39<br />
2. Konsequenzen der unzureichenden Umsetzung<br />
a) Unmittelbare Wirkung von Richtlinien<br />
Hinsichtlich der Frage einer unmittelbaren Geltung der<br />
Seveso II-Richtlinie sind zunächst Rechtsnatur und<br />
-wirkungen von EG-Richtlinien zu vergegenwärtigen.<br />
Richtlinien sind zunächst an die Mitgliedstaaten mit<br />
dem Ziel und der Notwendigkeit eines weiteren Umsetzungsaktes<br />
durch die Mitgliedsstaaten in nationales<br />
Recht gerichtet. Soweit jedoch die Richtlinie konkrete<br />
Rechte für den Einzelnen enthält und der Mitgliedstaat<br />
es auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist versäumt hat,<br />
für eine ordnungsgemäße Umsetzung im Sinne einer<br />
effektiven Geltung („effet utile“) zu sorgen, wird der<br />
Richtlinienbestimmung unmittelbare Wirkung zugesprochen;<br />
auf diese kann sich der einzelne Bürger direkt<br />
berufen (grundlegend EuGH, Slg. 1982, 53 – <strong>Beck</strong>er;<br />
Streinz EUV/EGV 2003, Art. 249 Rdnr. 125).<br />
Im Fall der ungenügenden Umsetzung ist der Richtlinie<br />
entweder durch ihre unmittelbare Anwendung oder <strong>zum</strong>indest<br />
durch richtlinienkonforme Auslegung der nationalen<br />
Vorschrift Geltung zu verschaffen (Callies/ Ruffert,<br />
EUV/EGV, 2. Aufl. 2003, Art. 10 Rdnrn. 40 ff.).<br />
b) Unmittelbare Geltung des Art. 12 der Richtlinie<br />
Vor diesem allgemeinen rechtsdogmatischen Hintergrund<br />
wird im Schrifttum mit einigem Recht die unmittelbare<br />
Anwendung der Seveso II-Richtlinie oder<br />
jedenfalls eine ihr konforme Interpretation des § 50<br />
BImSchG gefordert (Hansmann, in: Landmann/Rohmer,<br />
BImSchG, § 50 Rdnr. 57 b; Sellner/Scheidmann, a.a.O.,<br />
270). Dies bedeutet vorliegend, dass die in Art. 12 der<br />
Richtlinie dargelegten Varianten, insbesondere auch die<br />
Konstellation der heranrückenden „zivilen“ Bebauung<br />
an Gefahrbetriebe i. S. der Richtlinie und der Störfallverordnung<br />
bei der Prüfung der durch § 50 BImSchG<br />
erfassten Belange mit in Betracht zu ziehen sind. Denn<br />
andernfalls läuft der Planungsträger Gefahr, dass sich<br />
kritische Einwender – ähnlich wie im laufenden Vertragsverletzungsverfahren<br />
der Europäischen Kommission<br />
gegen die Bundesrepublik Deutschland im Fall<br />
Ticona – direkt auf die Richtlinie berufen. Wenn sich<br />
hierbei herausstellt, dass die dort genannten Gefahrkonstellationen<br />
im Rahmen der planerischen Abwägung<br />
nicht hinreichend abgearbeitet wurden, so würde sich<br />
dies als planungsrechtlich relevantes Abwägungsdefizit<br />
darstellen.<br />
IV. Handhabung im Planungsprozess<br />
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die Planungsanforderungen<br />
aus der Seveso II-Richtlinie im<br />
deutschen Planungsrecht in Form des (richtlinienkonform<br />
ausgelegten) § 50 BImSchG umgesetzt sind, mithin<br />
§ 50 BImSchG die in der Richtlinie genannten Belange<br />
im deutschen Planungsrecht repräsentiert. Wenngleich<br />
die richtlinienkonforme Auslegung es gebieten<br />
wird, auch die einzelnen Tatbestandsmerkmale des<br />
Art. 12 abzuprüfen, so wird dennoch § 50 BImSchG<br />
hinsichtlich Stellung und Gewicht der maßgebliche Anknüpfungspunkt<br />
im Abwägungsprozess sein.<br />
§ 50 BImSchG stellt aufgrund der großen praktischen<br />
Bedeutung des Immissionsschutzes einen regelmäßig in<br />
raumbedeutsamen Vorhaben in die Abwägung einzustellenden<br />
Belang dar. Dabei wird die Vorschrift als sog.<br />
Optimierungsgebot interpretiert (BVerwG, Urt. v. 22. 3.<br />
1985; Hansmann, a.a.O., Rdnr. 50 m.w. Nachweisen).<br />
Es handelt sich hierbei um eine umweltbezogene Abwägungsdeterminante,<br />
der aufgrund ihres bedeutenden<br />
Schutzgutes – der menschlichen Gesundheit – starkes<br />
Gewicht zu<strong>zum</strong>essen ist, die aber im Einzelfall anderen<br />
Rechtsgütern, die das Planvorhaben stützen, auch zu<br />
weichen hat. Da § 50 BImSchG die allgemein immissionsschutzbezogenen<br />
und die spezifisch störfallbezogenen<br />
Komponenten undifferenziert umfasst, ist davon<br />
auszugehen, dass auch die auf Gefahrbetriebe bezogene<br />
Schutznorm als Optimierungsgebot auszulegen ist.<br />
Somit stellen die immissionsschutzrechtlichen Planvorgaben<br />
einschließlich der sich aus der Seveso II-<br />
Richtlinie ergebenden Anforderungen des Schutzes der<br />
Bevölkerung vor Unfällen mit Gefahrstoffen einen Belang<br />
von bedeutendem planerischen Gewicht dar, in<br />
keinem Fall jedoch eine absolute Beschränkung des planerischen<br />
Gestaltungsfreiraums. Vielmehr wird eine<br />
einzelfallbezogene Abwägung erforderlich werden, bei<br />
denen die konkreten Fallbedingungen (z.B. Abstände zu<br />
Gefahrbetrieben, Art der Gefahrstoffe etc.) einfließen<br />
und maßgebend über die planerische Verträglichkeit der<br />
Gebiete entscheiden werden.<br />
V. Fazit<br />
Es bleibt festzuhalten, dass die planerischen Anforderungen<br />
aus der Seveso II-Richtlinie im Wesentlichen<br />
durch § 50 BImSchG in deutsches Recht umgesetzt<br />
wurden, dessen Interpretation allerdings richtlinienkonform,<br />
d.h. im Lichte des Art. 12 der Richtlinie erfolgen<br />
muss. Zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung<br />
gehört, dass die in der Richtlinie spezifisch genannten<br />
Gefahrkonstellationen, insbesondere auch die Gefahren,<br />
die von einer herannahenden Bebauung an bestehende<br />
Gefahrbetriebe ausgehen, mit in die planerische Abwägung<br />
einzubeziehen sind.<br />
Im Rahmen der planerischen Abwägung gilt es, § 50<br />
BImSchG einschließlich der aus der Seveso II-Richtlinie<br />
stammenden Komponente des Schutzes vor Gefahrgütern<br />
mit dem ihm zukommenden besonderen Gewicht in<br />
die planerische Abwägung einzustellen. Hierzu sind die<br />
Gefahrbetriebe und die von ihnen konkret ausgehenden<br />
Gefahren zu erfassen. Letztlich kommt dem Umgebungsschutz<br />
deshalb aber kein absoluter Charakter zu;<br />
vielmehr muss dieser Belang je nach Einzelfall auch den<br />
gegenläufigen, das Planvorhaben tragenden Belangen<br />
weichen. „
40<br />
ÖffBauR Heft 4, 2005<br />
Bauplanungsrecht<br />
Anpassungspflicht an die Ziele der<br />
Raumordnung<br />
Bebauungspläne sind den Zielen der Raumordnung<br />
anzupassen. Dies gilt auch dann, wenn ein Raumordnungsziel<br />
verbindliche Vorgaben hinsichtlich eines an<br />
sich planfeststellungsbedürftigen Vorhabens trifft. Die<br />
Anpassungspflicht entfällt auch nicht deshalb, weil<br />
das dem Ziel widersprechende Vorhaben ohne größeren<br />
tatsächlichen Aufwand beseitigt werden könnte.<br />
Die Beschwerdeführer begehren die Revision gegen die<br />
Unwirksamkeitserklärung eines Bebauungsplans. Das<br />
Normenkontrollgericht hatte unter anderem einen Verstoß<br />
gegen die Anpassungspflicht des § 1 IV BauGB<br />
festgestellt. Der Bebauungsplan hat einen Bereich als<br />
Fläche für einen Messeparkplatz festgesetzt, für den im<br />
Raumordnungsplan als Ziel der Raumordnung die Errichtung<br />
einer Stadtbahntrasse vorgesehen ist. Die Beschwerde<br />
hat keinen Erfolg.<br />
Nach § 1 IV BauGB sind die Bauleitpläne den Zielen<br />
der Raumordnung anzupassen. Anpassen bedeutet, dass<br />
die Gemeinde die Ziele je nach Aussageschärfe konkretisieren<br />
und ausgestalten, sich jedoch nicht im Wege der<br />
Abwägung über diese hinwegsetzen darf. Wenn, wie<br />
hier, ein Raumordnungsziel zwingend festlegt, dass innerhalb<br />
eines bestimmten Gebiets die Trasse einer<br />
Stadtbahn verlaufen soll, so muss dies von der planenden<br />
Behörde beachtet werden. Die Gemeinde hat dabei<br />
einen gewissen Spielraum hinsichtlich des genauen<br />
Verlaufs der Trasse; sie darf indes nicht im gesamten<br />
Geltungsbereich des Bebauungsplans, der die im Raumordnungsplan<br />
vorgesehene Fläche für die Stadtbahn umfasst,<br />
Flächen für andere Nutzungen festsetzen. Sie<br />
muss vielmehr zwingend die für die geplante Stadtbahntrasse<br />
erforderlichen Flächen im Bebauungsplan<br />
von anderen Nutzungen freihalten.<br />
Dieser Anpassungspflicht kann auch nicht entgegengehalten<br />
werden, der Messeparkplatz könne auch nach<br />
seiner Errichtung ohne weiteres tatsächlich rückgebaut<br />
werden. Denn die tatsächliche Möglichkeit des Rückbaus<br />
sagt nichts über dessen rechtliche Zulässigkeit aus.<br />
Die Anordnung einer Nutzungsuntersagung oder der<br />
Beseitigung bereits errichteter baulicher Anlagen ist nur<br />
unter den gesetzlichen Voraussetzungen möglich.<br />
Des Weiteren gilt die Anpassungspflicht des § 1 IV<br />
BauGB unabhängig davon, ob über die Zulässigkeit des<br />
Vorhabens, das Gegenstand eines Ziels der Raumordnung<br />
ist, im Planfeststellungsverfahren oder im baurechtlichen<br />
Genehmigungsverfahren entschieden wird.<br />
§ 38 BauGB schließt nur die Anwendung der §§ 29 bis<br />
37 BauGB für Planfeststellungsverfahren für Vorhaben<br />
überörtlicher Bedeutung aus. Diese Vorschriften regeln<br />
indes nur die Frage der Zulässigkeit von Vorhaben. Die<br />
für die Bauleitplanung im Übrigen geltenden Vorschriften<br />
der §§ 1 ff. BauGB werden nicht modifiziert.<br />
Das Ziel der Raumordnung ist vorliegend auch nicht<br />
funktionslos und damit unwirksam geworden. Wie bei<br />
Festsetzungen im Bebauungsplan in der Bauleitplanung<br />
ist dies auch hinsichtlich der Ziele der Raumordnung<br />
zwar grundsätzlich möglich. Ein Ziel der Raumordnung<br />
tritt danach jedoch nur dann außer Kraft, wenn und soweit<br />
die Verhältnisse, auf die es sich bezieht, in der tatsächlichen<br />
Entwicklung einen Zustand erreicht haben,<br />
der eine Verwirklichung des Ziels auf unabsehbare Zeit<br />
ausschließt und wenn diese Tatsache so offenkundig ist,<br />
dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen<br />
Schutz verdient. Diese Voraussetzungen liegen hier<br />
nicht vor.<br />
Der Wirksamkeit des Raumordnungsziels steht schließlich<br />
auch nicht entgegen, dass das Ziel nicht erforderlich<br />
ist in einem Sinn, der dem § 1 III BauGB vergleichbar<br />
ist. Das BVerwG hat in einer anderen Entscheidung<br />
festgestellt, dass ein planfeststellungsersetzender Bebauungsplan,<br />
der die Trasse einer Bundes- oder Landesstraße<br />
festsetzt, dann nicht erforderlich nach § 1 III<br />
BauGB ist, wenn die Verwirklichung des Vorhabens<br />
innerhalb eines Zeitraums von etwa 10 Jahren nach<br />
Inkrafttreten des Plans ausgeschlossen scheint. Diese<br />
Rechtsprechung kann jedoch nicht auf Ziele der Raumordnung,<br />
die Bahn- oder Straßentrassen festlegen, übertragen<br />
werden. Im Gegensatz zu einem Planfeststellungsbeschluss<br />
oder einem planfeststellungsersetzenden<br />
Bebauungsplan werden durch das jeweilige Ziel der<br />
Raumordnung keine Aussagen über die rechtsverbindliche<br />
Zulässigkeit eines Vorhabens getroffen. Die Ziele<br />
der Raumordnung bedürfen vielmehr der Konkretisierung<br />
in weiteren Planungsschritten, die ihrerseits einen<br />
gewissen zeitlichen Raum beanspruchen. Die Funktionslosigkeit<br />
eines Ziels der Raumordnung wegen der<br />
voraussichtlichen Nichtverwirklichung des zielgegenständlichen<br />
Vorhabens innerhalb eines Zeitraums von<br />
10 Jahren kommt daher nicht in Betracht.<br />
Praxishinweis: Das BVerwG hebt erneut die besondere<br />
Bedeutung der Ziele der Raumordnung für die Bauleitplanung<br />
hervor. Festsetzungen in Bebauungsplänen dürfen<br />
diesen Zielen nicht widersprechen. In seinen Ausführungen<br />
deutet der Senat jedoch an, dass ggf. mit dem<br />
seit dem EAG Bau möglichen sog. <strong>Baurecht</strong> auf Zeit<br />
nach § 9 II BauGB ein Verstoß gegen § 1 IV BauGB<br />
nicht gegeben sein wird. Dies dürfte jedoch nur für die<br />
Fälle gelten, in denen nur die vorübergehende Nutzung<br />
den Zielen widerspricht, die festgesetzte Folgenutzung<br />
indes wieder mit den Zielen der Raumordnung übereinstimmt.<br />
Das BVerwG betont in seinen Ausführungen,<br />
dass es (derzeit noch) der Regelfall ist, dass Festsetzungen<br />
in einem Bebauungsplan auf unbestimmte Zeit gelten<br />
sollen.<br />
BVerwG, Beschluss vom 7. 2. 2005 – 4 BN 1/05<br />
Volltext-Service www.bau.beck.de: becklink 142758 „
Heft 4, 2005 ÖffBauR 41<br />
Heranziehung zu Abwasserbeiträgen<br />
bei Planreife<br />
Die gesicherte Bebaubarkeit, die für die Heranziehung<br />
von unbebauten und nicht angeschlossenen Grundstücken<br />
im Außenbereich zu Abwasserbeiträgen grundsätzlich<br />
erforderlich ist, tritt frühestens mit dem Eingang<br />
einer verbindlichen Anerkenntniserklärung bei<br />
der Bauaufsichtsbehörde ein.<br />
Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zu<br />
einmaligen Entwässerungsbeiträgen. Sie sind Eigentümer<br />
von Grundstücken im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.<br />
Vor Inkrafttreten des Bebauungsplans<br />
lagen die Grundstücke im Außenbereich. Das OVG hält<br />
die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts<br />
für teilweise begründet.<br />
Eine Beitragspflicht tritt grundsätzlich nicht für im<br />
Außenbereich liegende Grundstücke ein, da sie nicht<br />
gesichert bebaubar sind und auch die Vorhaltung eines<br />
betriebsfertigen Kanals nicht den nach allgemeinem<br />
Abgabenrecht erforderlichen Vorteil vermitteln kann.<br />
Anderes gilt nur, wenn sie bebaut und angeschlossen<br />
sind. Eine gesicherte, beitragerhebliche Bebaubarkeit<br />
wird auch nicht durch § 33 BauGB (in der Fassung vom<br />
8. 12. 1986) vermittelt, wonach die Zulässigkeit eines<br />
Vorhabens in Gebieten, für die ein Planaufstellungsbeschluss<br />
gefasst ist, voraussetzt, dass der Bauantragsteller<br />
die künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans für<br />
sich und seine Rechtsnachfolger schriftlich anerkannt<br />
hat. Von einer gesicherten Bebaubarkeit eines Grundstücks<br />
im beitragsrechtlichen Sinn kann erst ausgegangen<br />
werden, wenn eine mit dem Bauantrag verbundene<br />
Anerkenntniserklärung vorliegt. Erst die Anerkenntniserklärung<br />
bewirkt, dass eine öffentliche Last auf dem<br />
Grundstück liegt, die in planungsrechtlicher Hinsicht<br />
den Status des Grundstücks festlegt und das Inkrafttreten<br />
des Bebauungsplans für dieses Grundstück im praktischen<br />
Ergebnis vorverlegt.<br />
Für das Entstehen eines beitragserheblichen Vorteils ist<br />
nicht das tatsächliche, sondern das plangerechte Funktionieren<br />
einer Abwasserbeseitigungseinrichtung maßgebend.<br />
Die Planung einer Abwasserbeseitigungseinrichtung,<br />
ohne dass diese jemals errichtet wurde, reicht<br />
für das Entstehen des Vorteils nicht aus. Die Heilung<br />
eines Mangels eines Beitragsbescheid, der einen Beitrag<br />
für die Abwasserbeseitigung für einen Zeitpunkt festlegt,<br />
in dem die Beitragspflicht noch nicht entstanden<br />
war, kommt nicht in Betracht. Das ist nur dann der Fall,<br />
wenn die Abwassereinrichtung während der Geltungsdauer<br />
der Rechtsgrundlage, die für den Beitragsbescheid<br />
maßgeblich ist, hinsichtlich der Abwasserbeseitigung zu<br />
planungskonformer Funktion gelangt ist.<br />
Praxishinweis: Die Entscheidung stellt klar, wann die<br />
Abwasserbeitragspflicht für Grundstücke im Außenbereich<br />
entsteht. Für den Bauherrn bedeutet dies, dass er<br />
keine Pflicht zur Beitragszahlung hat, bevor die Ge-<br />
meinde nicht <strong>zum</strong>indest einen Planaufstellungsbeschluss<br />
getroffen hat.<br />
OVG Koblenz, Beschluss vom 2. 2. 2005 – A 11150/04<br />
Volltext-Service www.bau.beck.de: becklink 142759 „<br />
Friedhof vermittelt nicht<br />
Bebauungszusammenhang<br />
Ein Friedhof als solcher ist nicht geeignet, einen Bebauungszusammenhang<br />
zu vermitteln. Denn unter<br />
Bebauung sind nur solche Bauwerke zu verstehen, die<br />
für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen<br />
Bebauung maßstabsbildend sind. Dies sind grundsätzlich<br />
nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt<br />
von Menschen dienen.<br />
Der Kläger wendet sich gegen die Versagung eines Bauvorbescheids<br />
für die Errichtung einer Wohnbebauung.<br />
Die zur Bebauung vorgesehenen Grundstücke liegen zur<br />
K-Straße hin. Die Bebauung endet nordwestlich der genannten<br />
Parzellen, südöstlich schließen sich zwei unbebaute<br />
Grundstücke und dahinter der Friedhof der Stadt<br />
B. an. Die Beklagte lehnt die Erteilung des Bauvorbescheids<br />
ab mit der Begründung, dass sich das Baugrundstück<br />
im Außenbereich befinde und die Bebauung den<br />
Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspreche.<br />
Der Kläger bringt dagegen vor, dass es sich vielmehr<br />
um einen unbeplanten Innenbereich handele, da die Parzellen<br />
lediglich eine Baulücke zwischen dem letzten<br />
bebauten Grundstück auf der nördlichen Straßenseite<br />
und dem 80 m östlich davon beginnenden Friedhof darstelle;<br />
damit sei eine Bebauung im Zusammenhang<br />
gegeben. Selbst wenn der Friedhof als nicht prägende<br />
Anlage anzusehen sei, müsste nach der Rechtsprechung<br />
des Bundesverwaltungsgerichtes im Einzelfall ein Bebauungszusammenhang<br />
angenommen werden, wenn der<br />
optische Eindruck der Geschlossenheit nicht unterbrochen<br />
werde. Dabei sei insbesondere auch eine funktionale<br />
Betrachtung vorzunehmen. Vorliegend vermittele<br />
der Friedhof aufgrund seiner städtebaulichen Funktion<br />
und der Nähe zu der 80 m entfernten Wohnbebauung<br />
den erforderlichen Bebauungszusammenhang. Da damit<br />
der Friedhof der Wohnbebauung zuzurechnen sei, könne<br />
diese auch bis an ihn herangeführt werden.<br />
Das OVG bestätigt den Anspruch des Klägers auf Erteilung<br />
eines Bauvorbescheids: Die Zulässigkeit des<br />
Vorhabens beurteilt sich nicht nach § 35 BauGB, da die<br />
Grundstücke in einem unbeplanten Innenbereich gelegen<br />
sind. Allerdings kann der Friedhof als solcher einen<br />
Bebauungszusammenhang nicht vermitteln; vielmehr<br />
können hierfür nur solche Bauwerke herangezogen werden,<br />
die für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen<br />
Bebauung maßstabsbildend sind. Dies trifft<br />
ausschließlich für Anlagen zu, die optisch wahrnehmbar<br />
und nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet zu<br />
prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die<br />
dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Dies<br />
hat das BVerwG so schon zu Stellplätzen und Sportplät-
42<br />
ÖffBauR Heft 4, 2005<br />
zen festgestellt, wenn diese sich – wie im vorliegenden<br />
Fall – in einer Ortsrandlage befinden (vgl. BVerwG,<br />
Urteil vom 14. 9. 1992, NVwZ 2001, 70). Etwas anderes<br />
kann nur dann gelten, wenn das Friedhofsgelände z. B.<br />
an einer Seite unmittelbar an den bestehenden Bebauungszusammenhang<br />
anschließt. Dann wird der optische<br />
Eindruck der Geschlossenheit nicht unterbrochen und<br />
der Friedhof wäre dem Bebauungszusammenhang zuzurechnen.<br />
Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da sich östlich<br />
des Friedhofs keine Bebauung unmittelbar anschließt.<br />
Der Friedhof stellt jedoch ein Hindernis im Gelände dar,<br />
welches den zur Bebauung vorgesehenen Bereich sozusagen<br />
in den vorhandenen Bebauungszusammenhang<br />
hineindrückt. Nicht nur natürliche topographische Verhältnisse<br />
können ein solches Hindernis darstellen, sondern<br />
auch von Menschen geschaffene Hindernisse (z. B.<br />
Bahnstrecken). Maßgeblich ist allein, dass äußerlich<br />
erkennbare Umstände vorliegen, die dazu führen, dass<br />
der Bebauungszusammenhang im Einzelfall nicht am<br />
letzten Baukörper endet, sondern dass ihm noch ein oder<br />
mehrere unbebaute Grundstücke bis zu diesem Hindernis<br />
zuzurechnen sind. Das OVG hat sich durch Luftaufnahmen<br />
und Ortsbesichtigungen die Überzeugung gebildet,<br />
dass diese Voraussetzung vorliegend erfüllt ist.<br />
Praxishinweis: Die Frage, ob ein bestimmtes Grundstück<br />
noch einem Bebauungszusammenhang zuzuordnen<br />
ist oder schon als Außenbereich zu qualifizieren ist,<br />
bleibt eine Entscheidung des Einzelfalls. Das OVG erweitert<br />
vorliegend den Gesichtspunkt des trennenden<br />
Hindernisses, der durch das BVerwG mit Entscheidung<br />
vom 27. 5. 1988 (4 B 71/88) im Falle eines Felsens entwickelt<br />
wurde, auf menschlich erzeugte Hindernisse.<br />
Ein pauschaler Schluss darauf, dass ein großes Friedhofsgelände<br />
einen Bebauungszusammenhang begründet,<br />
verbietet sich jedoch, da vorliegend eine detaillierte Betrachtung<br />
der konkreten Konstellation vorgenommen<br />
wurde.<br />
OVG Koblenz, Urteil vom 9. 12. 2004 – 1 A 11591/04<br />
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Konfliktbewältigung im Bebauungsplan<br />
Bei einer Angebotsplanung muss die Gemeinde alle<br />
Nutzungen in die Abwägung einstellen, die nach den<br />
Festsetzungen möglich ist. Sie darf sich nicht auf die<br />
bereits in Aussicht genommene konkrete Nutzung beschränken.<br />
Die Antragsteller wenden sich im Wege einer einstweiligen<br />
Anordnung nach § 47 VI VwGO gegen einen Bebauungsplan,<br />
dessen Plangebiet unmittelbar an ihr mit<br />
einem Wohnhaus bebautes Grundstück angrenzt. Der<br />
Bebauungsplan setzt die maßgebliche Fläche als „Sondergebiet<br />
Nahversorgungszentrum“ fest. Unmittelbar im<br />
Bereich der Plangebietsgrenze zu den Wohngrundstü-<br />
cken sieht der Bebauungsplan Stellplatzanlagen für die<br />
Kundenparkplätze vor.<br />
Der Antrag hat Erfolg; die Abwägung im Rahmen der<br />
Bebauungsplanaufstellung ist fehlerhaft. Die Gemeinde<br />
darf vorliegend bei der Abwägung die Interessen der<br />
Eigentümer der dem Plangebiet unmittelbar angrenzenden<br />
Wohngrundstücke an der Beibehaltung der bisherigen<br />
Wohnsituation nicht unberücksichtigt lassen und<br />
muss etwaige planbedingte Konflikte bereits im Bebauungsplan<br />
lösen. Von einer abschließenden Konfliktbewältigung<br />
darf die Gemeinde nach der Rechtsprechung<br />
des BVerwG nur Abstand nehmen, wenn die Durchführung<br />
der als notwendig erkannten Konfliktlösungsmaßnahmen<br />
außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe<br />
der Verwirklichung der Planung sichergestellt ist. Die<br />
Gemeinde hat ihrer Planung ein Nutzungskonzept zu<br />
Grunde gelegt, auf dessen Basis die Abwägung erfolgte.<br />
Dabei hat sie jedoch unberücksichtigt gelassen, dass die<br />
Festsetzung „Sondergebiet Nahversorgungszentrum“<br />
auch über das konkrete Konzept hinausgehende Nutzungen<br />
zulässt. Diese sonstigen Nutzungen könnten die<br />
Verkehrsbelastung des Gebiets erheblich erhöhen, was<br />
jedoch in der Abwägung keine Berücksichtigung findet.<br />
Darüber hinaus kann bereits nach dem auf der Grundlage<br />
des Nutzungskonzeptes erstellten lärmschutztechnischen<br />
Gutachten die Einhaltung der für ein reines<br />
Wohngebiet geltenden Lärmimmissionsrichtwerte gerade<br />
noch durch die Anordnung diverser Schutzmaßnahmen<br />
in der Baugenehmigung (Lärmschutzwand, beschränkte<br />
Anlieferzeiten wie z. B. keine Anlieferzeiten<br />
während der Nacht etc.) sichergestellt werden. Würde<br />
sich jedoch die tatsächliche Nutzung gegenüber dem<br />
Konzept ändern, wäre die Einhaltung der erforderlichen<br />
Werte nicht mehr sichergestellt, könnte mithin auch im<br />
nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren nicht durch<br />
Auflagen erzielt werden.<br />
Wenn die Gemeinde nur das in den Blick genommene<br />
Nutzungskonzept verwirklicht haben will, hätte sie einen<br />
vorhabenbezogenen Bebauungsplan beschließen<br />
sollen, was jedoch nicht geschah. Stattdessen hat sie<br />
sich für eine Angebotsplanung entschieden, die auch<br />
eine andere Nutzung der Sondergebietsfläche möglich<br />
macht. Bei der Abwägung hätte die Gemeinde auf diese<br />
tatsächlich mögliche Nutzung abstellen müssen.<br />
Praxishinweis: Das OVG betont in dieser Entscheidung<br />
erneut die besondere Bedeutung einer ordnungsgemäßen<br />
Abwägung bei der Aufstellung von Bebauungsplänen.<br />
Dabei wendet der Senat die ständige Rechtsprechung<br />
des BVerwG an, dass eine Konfliktverlagerung auf<br />
nachfolgende Genehmigungsverfahren nicht in jedem<br />
Fall in Betracht kommt. Die Grenzen sind nach dieser<br />
Rechtsprechung dann überschritten, wenn bereits im<br />
Planungsstadium sichtbar ist, dass sich der offen gelassene<br />
Interessenkonflikt auch in einem nachfolgenden<br />
Verfahren nicht sachgerecht lösen lassen wird. Das<br />
OVG macht schließlich noch deutlich, dass die Abwägung<br />
bei einem Angebotsbebauungsplan nicht auf ein<br />
konkretes Vorhaben beschränkbar ist, selbst wenn die<br />
Verwirklichung dieses Vorhabens tatsächlich angestrebt
Heft 4, 2005 ÖffBauR 43<br />
ist. Vielleicht gibt diese Rechtsprechung den Gemeinden<br />
Anlass, mehr von dem Institut des vorhabenbezogenen<br />
Bebauungsplans Gebrauch zu machen, was bislang nur<br />
sehr zurückhaltend erfolgt.<br />
OVG Münster, Beschluss vom 15. 2. 2005 –<br />
10 B 517/04<br />
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Rechtmäßigkeit einer Außenbereichssatzung<br />
Eine „Wohnbebauung von einigem Gewicht“, wie es<br />
§ 35 VI BauGB für den Erlass einer Außenbereichssatzung<br />
fordert, kann nicht an einer bestimmten Anzahl<br />
vorhandener Wohnhäuser festgemacht werden.<br />
Vielmehr ist auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen.<br />
Die Klägerin begehrt die Genehmigung einer von ihr<br />
erlassenen Außenbereichssatzung gem. § 35 VI BauGB<br />
a. F. von der zuständigen höheren Verwaltungsbehörde.<br />
Bei Erlass der Satzung waren in dem Geltungsbereich<br />
lediglich fünf Wohnhäuser vorhanden.<br />
Nach § 35 VI BauGB a. F. kann die Gemeinde für bebaute<br />
Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend<br />
landwirtschaftlich geprägt sind und in denen Wohnbebauung<br />
von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung<br />
bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben<br />
im Sinne des § 35 II BauGB nicht entgegengehalten<br />
werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan<br />
über Flächen für die Landwirtschaft oder<br />
Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung<br />
einer Splittersiedlung befürchten lassen. Ein bebauter<br />
Bereich liegt nur bei einer Bebauung vor, die die<br />
Situation so weit verändert hat, dass das Ziel des § 35<br />
BauGB, den Außenbereich von einer Bebauung freizuhalten,<br />
bereits wesentlich berührt ist. Es muss damit ein<br />
Weiler, eine Splittersiedlung oder ein sonstiger Siedlungsansatz<br />
vorhanden sein. Dabei ist im Einzelfall<br />
nicht ausgeschlossen, dass zwischen den einzelnen Gebäuden<br />
auch größere Freiräume bestehen, so lange eine<br />
Qualifizierung als Siedlung im genannten Sinn noch<br />
gegeben ist.<br />
Eine Wohnbebauung von einigem Gewicht ist nicht<br />
durch eine bestimmte Anzahl von Wohnhäusern gekennzeichnet.<br />
Dafür gibt der Gesetzeswortlaut keine<br />
Anhaltspunkte. Hinzu kommt, dass eine Außenbereichssatzung<br />
nur für Gebiete in Betracht kommt, die sich<br />
überhaupt noch als Außenbereich qualifizieren lassen.<br />
Sobald es sich um einen im Zusammenhang bebauten<br />
Ortsteil handelt, ist eine Außenbereichssatzung nach<br />
§ 35 VI BauGB nicht mehr zulässig. Daher können<br />
Außenbereichssatzungen nur solche Gebilde zur Voraussetzung<br />
haben, die weit hinter diesen von § 34 BauGB<br />
erfassten Ortsteilen zurückbleiben. Die Forderung einer<br />
Mindestanzahl an Wohngebäuden ist mit dieser Voraussetzung<br />
nicht vereinbar. Allein die Anzahl der vorhandenen<br />
Wohngebäude (hier: fünf) steht daher der An-<br />
nahme einer Wohnbebauung von einigem Gewicht nicht<br />
entgegen.<br />
Schließlich ist die Satzung auch mit einer geordneten<br />
städtebaulichen Entwicklung vereinbar. Entscheidend ist<br />
insoweit, ob die konkreten Folgewirkungen der individuellen<br />
Satzung, namentlich die durch sie begünstigte<br />
künftige Fortentwicklung des Satzungsbereichs durch<br />
Schließung von Baulücken und/oder durch sonstige bauliche<br />
Aktivitäten mit den generell für Planungsentscheidungen<br />
im Bereich des Bauplanungsrechts maßgeblichen<br />
Anforderungen insbesondere des § 1 III bis VI<br />
BauGB a. F. vereinbar sind.<br />
Praxishinweis: Der Senat setzt sich in den Entscheidungsgründen<br />
umfangreich mit den Anforderungen und<br />
Voraussetzungen an eine Außenbereichssatzung auseinander.<br />
Er lässt dabei auch nicht den durch das EAG Bau<br />
leicht geänderten Gesetzestext außer Betracht. In der<br />
seit 20. 7. 2004 geltenden Fassung des § 35 VI BauGB<br />
ist die Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde<br />
nicht mehr erforderlich, was jedoch vorliegend keine<br />
Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Klage hatte.<br />
Als Folge der Änderung des § 35 VI BauGB ist auch<br />
§ 246 I a BauGB angepasst worden, wonach die Länder<br />
nunmehr auch für die Außenbereichssatzung das Anzeigeverfahren<br />
gegenüber der höheren Verwaltungsbehörde<br />
einführen können.<br />
OVG Münster, Urteil vom 18. 11. 2004 – 7 A 4415/03<br />
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Naturschutzrechtliche Ersatzmaßnahme<br />
bei der Planfeststellung<br />
Eine naturschutzrechtliche Ersatzmaßnahme kann<br />
auch auf einem sanierungsbedürftigen Altstandort<br />
erfolgen. Bei der Auswahl eines für die Kompensationsmaßnahmen<br />
geeigneten Standortes dürfen Zukunftsplanungen<br />
eines von einer enteignungsrechtlichen<br />
Vorwirkung betroffenen Privaten nicht gänzlich<br />
aus der Abwägung ausgeblendet werden.<br />
Die Kläger wenden sich gegen die Feststellung eines<br />
Planfeststellungsbeschlusses, der auf einem in ihrem<br />
Eigentum stehenden Grundstück, auf dem ehemals ein<br />
„Waldbad“ betrieben wurde, naturschutzrechtliche Ersatzmaßnahmen<br />
zur Kompensation von Eingriffen in<br />
Natur und Landschaft durch eine Ortsumgehung anordnet.<br />
Die Klage hat keinen Erfolg. Maßgebliche Ermächtigungsgrundlage<br />
für die Inanspruchnahme fremden<br />
Grundeigentums ist § 19 I 2 FStrG. Danach ist die Enteignung<br />
zulässig, soweit sie zur Ausführung eines nach<br />
§ 17 FStrG festgestellten oder genehmigten Bauvorhabens<br />
notwendig ist. Diese Ermächtigung erstreckt sich<br />
dabei auch auf Flächen, auf denen nach den Vorschriften<br />
des Landesnaturschutzrechts Ersatzmaßnahmen durchzuführen<br />
sind. Voraussetzung ist in diesem Fall, dass
44<br />
ÖffBauR Heft 4, 2005<br />
diese naturschutzrechtlichen Maßnahmen ihrerseits<br />
rechtmäßig sind. Nach der landesrechtlichen Vorschrift<br />
muss bei einem Eingriff in Natur und Landschaft, der<br />
nicht im erforderlichen Maße ausgleichbar, aber dennoch<br />
nach den gesetzlichen Vorschriften zulässig ist, der<br />
Verursacher möglichst in der vom Eingriff betroffenen<br />
Großlandschaft durch geeignete Maßnahmen die Strukturen,<br />
Funktionen und Prozesse von Natur und Landschaft<br />
möglichst gleichwertig oder ähnlich ersetzen<br />
(Ersatzmaßnahmen). Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage<br />
sind erfüllt. Die Ersatzmaßnahmen<br />
sind vorliegend erforderlich, geeignet und notwendig;<br />
die Inanspruchnahme des Grundeigentums ist auch nicht<br />
mit für die Kläger un<strong>zum</strong>utbaren Folgen verbunden.<br />
Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens wurde ein<br />
landschaftspflegerischer Begleitplan erstellt, der auf<br />
Grund einer durchgeführten Bilanzierung das Erfordernis<br />
von naturschutzrechtlichen Kompensationsmaßnahmen<br />
festgestellt hat. Die dort durchgeführte Bilanzierung<br />
ist nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die<br />
Bewertung der Geeignetheit der angeordneten Maßnahmen.<br />
Die Notwendigkeit der Maßnahmen und der<br />
damit verbundenen enteignungsrechtlichen Vorwirkung<br />
ist hier dann nicht gegeben, wenn auf diese Maßnahmen<br />
gänzlich verzichtet werden könnte oder wenn die Inanspruchnahme<br />
auch durch Flächen, die im Eigentum der<br />
öffentlichen Hand liegen, behoben werden können.<br />
Nach den Ermittlungen des landschaftspflegerischen<br />
Begleitplans, der auch insofern nicht zu beanstanden ist,<br />
kommt eine taugliche Alternative in dieser Hinsicht<br />
nicht in Betracht.<br />
Des Weiteren ist die mit den Ersatzmaßnahmen verbundene<br />
Belastung der Kläger nicht un<strong>zum</strong>utbar. Bei der<br />
Suche geeigneter Flächen für Ersatzmaßnahmen geraten<br />
auch sanierungsbedürftige Anlagen in besonderem<br />
Maße ins Blickfeld. Entscheidend ist insofern nur, dass<br />
die Flächen nach der Durchführung der Ersatzmaßnahmen<br />
in einen ökologisch höherwertigen Zustand überführt<br />
werden. Die Kläger können daher die Sanierungsbedürftigkeit<br />
des „Waldbades“ nicht gegen die Nutzung<br />
als Kompensationsfläche einwenden. Bei der<br />
Festlegung der Fläche dürfen schließlich auch zukünftige<br />
Nutzungsplanungen des Eigentümers (hier: der<br />
Kläger) nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Nicht<br />
geeignet ist insoweit jedoch die Einschätzung der Kläger,<br />
das Areal könne sich in Zukunft zu Bauerwartungsland<br />
entwickeln, wenn dafür tatsächlich keine hinreichenden<br />
Anhaltspunkte ersichtlich sind.<br />
Praxishinweis: In der Rechtsprechung des BVerwG ist<br />
schon durch Gerichtsentscheidungen in der Vergangenheit<br />
geklärt, dass die Ermächtigungsgrundlage des<br />
§ 19 I 2 FStrG sich auch auf die im Rahmen der Planfeststellung<br />
erforderlichen Ersatzmaßnahmen erstreckt.<br />
In der vorliegenden Entscheidung weist der Senat zudem<br />
darauf hin, dass insbesondere sanierungsbedürftige<br />
Altstandorte als ökologisch aufwertungsfähige Areale<br />
als Flächen für den Ausgleich geeignet sind. Eigentümer<br />
solcher Standorte müssen, damit ihre Grundstücke nicht<br />
ggf. als Kompensationsfläche in Anspruch genommen<br />
wird, konkrete, tatsächlich und rechtlich realisierbare<br />
Nutzungskonzepte vorweisen können. In diesen Fällen<br />
erlangt <strong>zum</strong>indest die Position des Eigentümers ein stärkeres<br />
Gewicht in der Abwägung. Ob dies letztendlich<br />
dazu führt, dass die Ersatzmaßnahmen tatsächlich auf<br />
anderen Flächen durchgeführt werden, kann auch in diesen<br />
Fällen nicht garantiert werden.<br />
BVerwG, Urteil vom 26. 1. 2005 – 9 A 7/04<br />
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Keine Privilegierung eines Gemüsestands<br />
im Außenbereich<br />
Ein Verkaufsstand, an welchem ein Landwirt seine<br />
Produkte (Feldfrüchte) verkauft, die etwa 30 Km<br />
davon entfernt erzeugt worden sind, stellt kein nach<br />
§ 35 I BauGB privilegiertes Außenbereichsvorhaben<br />
dar.<br />
Der Antragsteller ist Landwirt und wendet sich im Rahmen<br />
eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen<br />
eine Beseitigungsanordnung, mit der ihm das Aufstellen<br />
eines Verkaufswagens untersagt wurde. In diesem Verkaufswagen<br />
hatte der Antragsteller zuvor regelmäßig an<br />
einer Landstraße von Mai bis November Obst und Gemüse<br />
verkauft. Direkt hinter dem Verkaufsstand befindet<br />
sich ein dem Antragsteller gehörendes Feld, auf dem<br />
jedoch keine Früchte angebaut wurden. Bei einer Ortsbesichtigung<br />
wurde festgestellt, dass der Antragsteller<br />
Spargel und Kartoffeln anbot, die zwar von ihm selbst,<br />
aber etwa 30 Km entfernt erzeugt worden waren. Die<br />
Bauaufsichtsbehörde erließ daraufhin die streitgegenständliche<br />
Beseitigungsverfügung unter Anordnung des<br />
Sofortvollzugs.<br />
Der Eilantrag des Landwirts hat in beiden Instanzen<br />
keinen Erfolg. Das OVG führt zunächst aus, dass ein<br />
solcher Verkaufsstand nicht von der Genehmigungspflicht<br />
befreit ist. Nach Nr. 11.10 des Anhangs zu § 69<br />
NBauO sind danach solche Anlagen von der Baugenehmigungspflicht<br />
befreit, die dem Direktverkauf landwirtschaftlicher<br />
Produkte durch den Erzeuger dienen.<br />
Von einem Direktverkauf könne aber nur gesprochen<br />
werden, wenn die Produkte in der nächsten Umgebung<br />
des Verkaufsstandes angeboten worden seien, was bei<br />
einer Entfernung von mehr als 30 Km nicht der Fall sei.<br />
Dies führt bereits zur formellen Illegalität des Verkaufsstandes,<br />
was bereits den Erlass der Beseitigungsverfügung<br />
rechtfertige.<br />
Der Verkaufsstand ist aber auch materiell baurechtswidrig,<br />
da eine Genehmigung nicht rechtmäßig erteilt<br />
werden könnte. Im Außenbereich können landwirtschaftliche<br />
Nebenanlangen nach § 35 I Nr. 1 BauGB als<br />
privilegierte Vorhaben zulässig sein, wenn sie einem<br />
landwirtschaftlichen Betrieb dienen. Nach ständiger<br />
Rechtsprechung ist insoweit zusätzlich erforderlich, dass<br />
das Vorhaben auch äußerlich erkennbar dem Hof zugeordnet<br />
sein muss (vgl. BVerwG, BRS 52 Nr. 78). Davon<br />
könne, so das Gericht, in Bezug auf den Verkaufsstand
Heft 4, 2005 ÖffBauR 45<br />
des Antragstellers nicht die Rede sein: Dieser nutze den<br />
zufälligen Umstand, ein aufgelassenes Feld an einer<br />
verkehrsgünstig gelegenen Stelle zu besitzen, dazu aus,<br />
um dort seine weit entfernt erzeugten Produkte anzubieten.<br />
Der Verkaufsstand sei somit nicht nach § 35 I<br />
Nr. 1 BauGB privilegiert, so dass dieser sowohl formell<br />
als auch materiell baurechtswidrig ist. Dies führt zur<br />
Rechtmäßigkeit der Beseitigungsverfügung und im Ergebnis<br />
zur Abweisung des Eilantrags.<br />
Praxishinweis: So formal die Begründung der Entscheidung<br />
auch anmuten mag, so ist sie doch auf dem Boden<br />
der gesetzlichen Wertung konsequent. Der Außenbereich<br />
soll grundsätzlich von jedweder, auch vorübergehender<br />
Bebauung freigehalten werden. Bauvorhaben,<br />
die einem landwirtschaftlichen Betrieb dienen, sind nur<br />
deswegen privilegiert, weil Landwirtschaft außenbereichstypische<br />
Bodenertragsnutzung ist und nur eine<br />
nahe räumliche Zuordnung der landwirtschaftlichen<br />
Betriebsweise in besonderer Weise dienlich ist (vgl.<br />
BVerwG, NVwZ 1986, 644). Dies trifft auf einen Verkaufswagen<br />
in der hier streitgegenständlichen Art ersichtlich<br />
nicht zu.<br />
OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. 2. 2005 –<br />
1 ME 314/04<br />
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Bauordnungsrecht<br />
Sofortige Vollziehbarkeit der<br />
Baueinstellungsverfügung<br />
Der bloße Anfangsverdacht einer formellen oder materiellen<br />
Rechtswidrigkeit genügt für die Anordnung<br />
einer Baueinstellung. Die Anordnung der sofortigen<br />
Vollziehbarkeit bedarf im Falle der Baueinstellung<br />
keiner ausführlichen Begründung im Einzelfall.<br />
Der VGH bestätigt die Entscheidung der Vorinstanz,<br />
wonach die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht<br />
zu beanstanden ist. Die Klägerin beanstandet im Beschwerdeverfahren,<br />
dass die Anordnung nicht ausreichend<br />
begründet ist. Gemäß § 80 III VwGO ist eine gesonderte<br />
Begründung zwar erforderlich, inhaltlich sind<br />
hieran jedoch nicht zu hohe Anforderungen zu stellen.<br />
Die Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach erst<br />
dann eine Baueinstellung verfügt werden kann, wenn<br />
feststeht, dass die Bauarbeiten einem rechtswidrigen<br />
Vorhaben dienen, ist nicht zutreffend. Es genügt hierfür,<br />
dass die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit oder der<br />
Notwendigkeit einer Ausnahmeerteilung ernsthaft zweifelhaft<br />
ist. Diese Zweifel sind hier aufgrund der Baukontrolle<br />
gegeben, da der Baukörper bis zur Rohbaureife<br />
gediehen ist und deutlich als Wohngebäude erheblichen<br />
Umfangs in Erscheinung tritt.<br />
Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass es sich<br />
hierbei um eine Nebenanlage nach § 14 BauNVO oder<br />
eine nach § 6 I 2 BadWürttBauO privilegierte Grenzgarage<br />
– und damit um eine auf einer nicht überbaubaren<br />
Grundstücksfläche gem. § 23 BauNVO zulässige bauliche<br />
Anlage handelt – kann daher nicht gefolgt werden.<br />
Der „Anfangsverdacht“ wird des Weiteren durch die im<br />
Rahmen des Kenntnisgabeverfahrens nach § 51 Bad-<br />
WürttBauO eingereichten Bauvorlagen bestätigt, nach<br />
denen das neu zu errichtende “Garagengebäude“ eine<br />
Grundfläche von mehr als 90 qm hat und damit eine<br />
größere Grundfläche aufweist, als jede der beiden bereits<br />
auf dem Grundstück vorhandenen Doppelhaushälften.<br />
Ebenso wenig überzeugt die Argumentation der Beschwerdeführerin,<br />
dass es sich bei dem Gebäude um<br />
eine privilegierte Grenzgarage handelt, da die Grenzwand<br />
die nach § 6 I 2 und 3 BadWürttBauO maximal<br />
zulässige Höhe von 3 m überschreitet. In der Gesamtschau<br />
rechtfertigt daher der äußere Eindruck zusammen<br />
mit den im Rahmen des Kenntnisgabeverfahrens eingereichten<br />
Bauunterlagen den „Anfangsverdacht“ eines<br />
Verstoßes gegen <strong>Baurecht</strong>, so dass eine Baueinstellung<br />
gerechtfertigt ist.<br />
Praxishinweis: Die Entscheidung verdeutlicht erneut,<br />
dass die Maßnahme der Baueinstellung vor dem Hintergrund<br />
der verhältnismäßig niedrigen Eingriffsschwelle<br />
an relativ niedrige formale Voraussetzungen geknüpft<br />
ist. Die Entscheidung stellt unter Verwendung des plakativen<br />
strafrechtlichen Begriffes des Anfangsverdachtes<br />
klar, dass das Interesse der Gewährleistung eines<br />
ordnungsgemäßen Ablaufs des Baugeschehens hohe<br />
Bedeutung besitzt. In der strafrechtlichen Terminologie<br />
ist der Anfangsverdacht eine sehr niedrige Konkretisierungsstufe,<br />
die die Verpflichtung zur Einleitung eines<br />
Strafverfahrens auslöst (§ 152 II StPO). Voraussetzung<br />
ist jedoch – wie auch in der Entscheidung des VGH –<br />
das Vorliegen konkreter Tatsachen; bloße Vermutungen<br />
reichen nicht aus.<br />
VGH Mannheim, Beschluss vom 10. 2. 2005 –<br />
8 S 2834/04<br />
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Zulässigkeit von Gebäudeteilen<br />
in Abstandsflächen<br />
Für die Feststellung, ob ein vor- oder zurücktretender<br />
Gebäudeteil ein geringfügiges Ausmaß im Sinne von<br />
§ 23 III 2 BauNVO aufweist, ist auf die Maßstäbe für<br />
die Zulässigkeit der Errichtung in den Abstandsflächen<br />
nach Landesrecht (hier: nach § 5 VI 2 LBO) zurückzugreifen.<br />
Die Beschwerdeführerin beantragt die Anordnung der<br />
aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die<br />
der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung. Der VGH<br />
bestätigt die Entscheidung der Vorinstanz und weist den<br />
Antrag zurück, da die summarische Überprüfung der<br />
angefochtenen Baugenehmigung keine Verletzung von<br />
Nachbarrechten der Beschwerdeführerin erkennen lässt.
46<br />
ÖffBauR Heft 4, 2005<br />
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass das<br />
vorgesehene Treppenhaus die Abstandsflächen verletzt.<br />
Dies trifft nicht zu, da nach § 5 VI Nr.2 BadWürttBauO<br />
Vorbauten bei der Bemessung de Abstandsflächen außer<br />
Betracht bleiben, die nicht breiter als 5 Meter sind, nicht<br />
mehr als 1,5 m vortreten und von Nachbargrundstücken<br />
mindestens 2 m entfernt bleiben. Diese Voraussetzungen<br />
sind durch das Treppenhaus erfüllt. Dem steht auch<br />
nicht entgegen, dass Treppenhäuser in der Aufzählung<br />
des § 5 VI Nr. 2 BadWürttBauO nicht enthalten sind,<br />
da diese nur eine beispielhafte Aufzählung von Vorbauten<br />
im Sinne dieser Vorschrift darstellt.<br />
Ebenso wenig ist ein Verstoß gegen nachbarschützende<br />
Vorschriften des Bauplanungsrechtes ersichtlich, da der<br />
Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die Festsetzungen<br />
des Bebauungsplanes über die Grund- und Geschossflächenzahl<br />
nachbarschützend sind, nicht gefolgt<br />
werden kann. Auch ist kein Verstoß gegen das Gebot<br />
der Rücksichtnahme ersichtlich. Die ausreichende Belichtung,<br />
Belüftung ist grundsätzlich bei Einhaltung der<br />
Abstandsflächen als gesichert anzusehen, da die Vorschriften<br />
über die Abstandsflächen ihrerseits eine Konkretisierung<br />
des Rücksichtnahmegebotes darstellen. Besondere<br />
Umstände, die ausnahmsweise zu einer von diesem<br />
Grundsatz abweichenden Beurteilung führten, sind<br />
hier nicht ersichtlich.<br />
Schließlich ist auch durch die seitliche Überschreitung<br />
der Baugrenze durch das Treppenhaus keine Rechtsverletzung<br />
der Beschwerdeführerin eingetreten, da der<br />
Antragsgegner dies unter Anwendung von § 23 III 2<br />
BauNVO zugelassen hat und diese Entscheidung nicht<br />
zu beanstanden ist. Dabei entzieht sich die Ausfüllung<br />
des unbestimmten Rechtsbegriffs „in geringem Ausmaß“<br />
einer generellen Festlegung; sie ist vielmehr jeweils<br />
bezogen auf die Größenordnung des Gebäudes<br />
zu bestimmen und daher relativ. Außerdem kann unter<br />
Berücksichtigung des in § 23 V 2 BauNVO enthaltenen<br />
Rechtsgedankens auf die bauordnungsrechtliche Regelung<br />
des § 5 VI BadWürttBauO zurückgegriffen werden.<br />
Gebäudeteile, die bei der Bemessung der Abstandsflächen<br />
außer Betracht bleiben, sind danach auch „gering<br />
vortretend“ und zulassungsfähig im Sinne von § 23<br />
III 2 BauNVO.<br />
Praxishinweis: Das Bauordnungsrecht der Länder hat<br />
im Hinblick auf die Regelungen zu den Abstandsflächen<br />
nicht nur das Ziel einer sozialverträglichen, sondern<br />
auch einer städtebaulich verträglichen Verdichtung der<br />
Bebauung (vgl. dazu im Einzelnen: Dziallas, Praxis-<br />
Update Abstandsflächen, ÖffBauR 3/2005, 25-27).<br />
Vor dem Hintergrund dieser planerischen Komponente<br />
ist es naheliegend, dass Maßgaben, die hervortretende<br />
Bauteile abstandsflächenrechtlich qualifizieren,<br />
auch für die Auslegung des entsprechenden Begriffes<br />
im Bauplanungsrecht herangezogen werden.<br />
VGH Mannheim, Urteil vom 20. 1. 2005 –<br />
8 S 3003/04<br />
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Zuordnung nicht überbaubarer<br />
Grundstücksflächen<br />
Nicht überbaubare Flächen privater Grundstücke sind<br />
abstandsflächenrechtlich grundsätzlich den benachbarten<br />
bebaubaren Grundstücken zu gleichen Teilen<br />
zugeordnet. Grenzen aber an einer Seite Grundstücke<br />
der Eigentümer der nicht überbaubaren Fläche und<br />
auf der anderen Seite Grundstücke von Dritten an, ist<br />
die nicht überbaubare Fläche in vollem Umfang den<br />
Eigentümern zuzuordnen. Dies ergibt sich aus der<br />
Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der<br />
Eigentumsgarantie und des Verhältnismäßigkeitsprinzips.<br />
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks A,<br />
das mit einer Doppelhaushälfte bebaut ist und Miteigentümer<br />
des Grundstücks B. Dieses ist am südlichen Rand,<br />
der der Straße zugewandt ist, mit vier Garagen bebaut;<br />
ansonsten dient es als Zufahrt und Zugang zu dem<br />
Wohngrundstück der Antragsteller und zu drei weiteren<br />
mit Wohnhäusern bebauten Grundstücken.<br />
Die Antragsgegnerin erteilt der Beigeladenen eine Baugenehmigung<br />
für die Errichtung von zwei Mehrfamilienhäusern<br />
auf den Grundstücken, die an den als Zufahrt<br />
dienenden Teil des Wegegrundstücks angrenzen. Die<br />
Zufahrt zu einer dort geplanten Tiefgarage soll auf einer<br />
Länge von 7 m an der Grenze zur Wegefläche entlang<br />
laufen. An dem vorderen Teil der Wegefläche soll ein<br />
ca. 2,3 m hohes „Einfahrtshäuschen“ und eine mit einem<br />
ca. 1,7 m hohen begrünten Dach versehen Einfahrtsrampe<br />
liegen. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden<br />
Wirkung wird durch das Beschwerdegericht<br />
abgewiesen. Die Baugenehmigung verletzt nach summarischer<br />
Prüfung keine abstandsflächenrechtlichen<br />
Vorschriften. Als Miteigentümer des Zufahrtsgrundstücks<br />
sind die Antragsteller rechtlich nicht betroffen, da<br />
die Wegefläche aus rechtlichen Gründen nicht auf Dauer<br />
überbaut werden kann.<br />
Gemäß der Ausnahmevorschrift des Art. 7 V1 Halbs. 1,<br />
Alt. 2 und 3 BayBauO können sich Abstandsflächen<br />
eines Gebäudes ganz oder teilweise auf Nachbargrundstücke<br />
erstrecken, wenn diese aus rechtlichen oder tatsächlichen<br />
Gründen nicht überbaut werden können.<br />
Vorliegend kann das Grundstück der Beschwerdeführerin<br />
aus rechtlichen Gründen nicht überbaut werden, da<br />
weder gegenwärtig noch auf absehbare Zeit abstandflächenpflichtige<br />
Anlagen dort errichtet werden dürfen. Im<br />
Interesse des sparsamen Umgangs mit Grund und Boden<br />
werden solche Grundstücke bebaubaren Grundstücken<br />
abstandsflächenrechtlich zugeordnet.<br />
Vorliegend kann die Wegfläche nach summarischer Prüfung<br />
aus rechtlichen Gründen auf Dauer nicht bebaut<br />
werden. Die Antragsteller und die Eigentümer der weiteren<br />
drei Wohngrundstücke sind darauf angewiesen,<br />
dass ihnen die Zufahrt auf unabsehbare Zeit erhalten<br />
bleibt. Eine andere Erschließungsmöglichkeit kommt<br />
aufgrund der örtlichen Bedingungen nicht in Betracht.
Heft 4, 2005 ÖffBauR 47<br />
Vor diesem Hintergrund ist weder die Antragstellerin<br />
noch einer ihrer Miteigentümer Nachbar im abstandsflächenrechtlichen<br />
Sinn.<br />
Als Eigentümer des Wohngrundstücks und als Miteigentümer<br />
des Garagen- und Zufahrtsgrundstücks können<br />
sich die Antragsteller zwar grundsätzlich auf eine Verletzung<br />
der Abstandsflächen berufen. Dies ergibt sich<br />
aus normergänzender Auslegung des Art. 7 V 1. Halbs. 1<br />
Alt. 2 und 3 BayBauO, die folgende Grundsätze enthalten:<br />
Nicht überbaubare Flächen privater Grundstücke<br />
sind in entsprechender Anwendung des Art. 6 VII Bay-<br />
BauO abstandsflächenrechtlich grundsätzlich den benachbarten<br />
bebaubaren Grundstücken zu gleichen Teilen<br />
zugeordnet. Grenzen aber an einer Seite Grundstücke<br />
der Eigentümer der nicht überbaubaren Fläche und auf<br />
der anderen Seite Eigentümer Grundstücke von Dritten<br />
an, ist die nicht überbaubare Fläche in vollem Umfang<br />
den Eigentümern zuzuordnen. Dies ergibt sich aus der<br />
Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der<br />
Eigentumsgarantie und des Verhältnismäßigkeitsprinzips.<br />
Da die relevante Einfahrt jedoch nicht bis zu dem<br />
Grundstück der Antragsteller reicht, sind sie hier aus<br />
tatsächlichen Gründen nicht betroffen.<br />
Praxishinweis: Das Abstandsflächenrecht ist eine<br />
Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von<br />
Art. 14 I 2 GG. Wie die vorliegende Entscheidung deutlich<br />
macht, führt dies dazu, dass bei der Ausfüllung von<br />
Regelungslücken der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie<br />
besondere Bedeutung zukommt.<br />
VGH München, Beschluss vom 29. 9. 2004 –<br />
1 CS 04.340<br />
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Nachbarrecht<br />
Beseitigungsverfügung gegen illegale<br />
Einfriedung<br />
Sind in einem Baugebiet zahlreiche illegale Anlagen<br />
vorhanden, so kann die Bauaufsichtsbehörde zulässigerweise<br />
auch nur gegen eine einzelne Anlage einschreiten,<br />
wenn dies durch sachliche Gründe gerechtfertigt<br />
ist.<br />
Die Kläger wenden sich gegen eine Beseitigungsverfügung,<br />
durch die ihnen die Beseitigung einer grenzständigen<br />
Reihe von Betonrohren aufgegeben wird. Die<br />
Kläger haben diese Rohre, wie viele andere Eigentümer<br />
in dem Baugebiet auch, als Grenzeinfriedung verwandt.<br />
Der für das Gebiet einschlägige Bebauungsplan enthielt<br />
hingegen die Festsetzung, dass Einfriedungen nur aus<br />
Hecken oder bewachsenen Maschendrahtzäunen bestehen<br />
dürfen.<br />
Aufgrund dieses Sachverhalts erließ die Bauaufsichtsbehörde<br />
eine Beseitigungsverfügung gegen die Kläger.<br />
Diese halten die Verfügung insbesondere deswegen für<br />
rechtswidrig, weil zahlreiche weitere Eigentümer ebenfalls<br />
derartige „illegale“ Einfriedungen haben, die Behörde<br />
sich jedoch nur an die Kläger gewandt hatte.<br />
Das Verwaltungsgericht hat an der Rechtmäßigkeit der<br />
Beseitigungsverfügung hingegen keine durchgreifenden<br />
Bedenken. Insbesondere sei es nicht zu beanstanden,<br />
dass die Bauaufsichtsbehörde sich die Kläger „herausgepickt“<br />
habe, obwohl noch zahlreiche andere Eigentümer<br />
derartige Anlagen besitzen und nicht von der Bauaufsichtsbehörde<br />
in Anspruch genommen wurden. Das<br />
gezielte Vorgehen einer Behörde gegen einzelne Eigentümer<br />
könne nur dann den Gleichheitssatz des Art. 3 GG<br />
verletzen, wenn dies nicht durch sachliche Gründe gerechtfertig<br />
sei und sich dementsprechend als willkürlich<br />
darstelle. In der Regel verlange eine derartige Situation<br />
die Erstellung eines Handlungs- und Sanierungskonzepts<br />
durch die Behörde. Da dies gerade in kleineren<br />
Gemeinden oftmals mit einem schwer zu bewältigenden<br />
Arbeits- und Personalaufwand verbunden sei, komme<br />
die Erarbeitung eines solchen Konzepts nicht in allen<br />
Fällen in Betracht, da andernfalls über lange Zeiträume<br />
überhaupt nicht eingeschritten werden könne.<br />
Die Behörde handele daher vor diesem Hintergrund<br />
regelmäßig ermessensfehlerfrei, wenn sie gegen ein gerade<br />
erst errichtetes Bauvorhaben einschreitet, um die<br />
weitere Verfestigung rechtswidriger Zustände zu verhindern.<br />
Ferner müssen in diesem Fall aber auch Anhaltspunkte<br />
dafür gegeben sein, dass die Behörde es nicht bei<br />
diesem einen Fall belassen wird. Diese Voraussetzungen<br />
sieht das Gericht in dem vorliegenden Fall als gegeben<br />
an. Aus der mündlichen Verhandlung ergab sich, dass<br />
die Gemeinde auch gegen weitere Eigentümer vorgehen<br />
will, die Kläger also nicht willkürlich herausgegriffen<br />
wurden. Die Klage hat damit keinen Erfolg.<br />
Praxishinweis: Die Entscheidung setzt die ständige<br />
Rechtsprechung zu dieser Thematik fort. Der Adressat<br />
einer bauaufsichtlichen Eingriffsverfügung kann sich in<br />
den seltensten Fällen darauf berufen, dass andere Eigentümer<br />
im Baugebiet ebenfalls und gegebenenfalls<br />
schon seit längerer Zeit illegale Anlagen besitzen, die<br />
Bauaufsichtsbehörde aber nur gegen ihn einschreitet. In<br />
den meisten Fällen wird die Behörde plausible Argumente<br />
vorlegen können, warum sie zunächst nur an<br />
einem Eigentümer „ein Exempel statuiert“.<br />
VG Koblenz, Urteil vom 18. 1. 2005 – 7 K 2225/04<br />
Volltext-Service www.bau.beck.de: becklink 142769 „<br />
Lärmgutachten im Baugenehmigungsverfahren<br />
Ein im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens erstelltes<br />
behördliches Lärmgutachten zur Prognose der<br />
mit der Errichtung eines Bauvorhabens verbundenen<br />
Schallemissionen wird regelmäßig Bestandteil der<br />
Baugenehmigung, auch wenn ein solches Gutachten<br />
nur nach den im Bauantrag und den Bauvorlagen<br />
enthaltenen Angaben angefertigt wurde.
48<br />
ÖffBauR Heft 4, 2005<br />
Die Antragstellerin wendet sich als Eigentümer eines<br />
mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks im einstweiligen<br />
Rechtsschutzverfahren gegen ein Bauvorhaben<br />
auf dem Nachbargrundstück. Dort wurde mit insgesamt<br />
drei Baugenehmigungen die Aufstockung eines bestehenden<br />
Rudervereinsgebäudes sowie die Erstellung von<br />
drei Fertiggaragen genehmigt. Das Grundstück der Antragsteller<br />
ist im Bebauungsplan als Reines Wohngebiet<br />
(WR), das der Nachbarn als Allgemeines Wohngebiet<br />
(WA) ausgewiesen. Die Antragstellerin befürchtet eine<br />
erhebliche Zunahme des Publikumsverkehrs und damit<br />
einhergehend eine Überschreitung der zulässigen Immissionsrichtwerte.<br />
Im Zuge des Baugenehmigungsverfahrens<br />
holte die Baugenehmigungsbehörde auf Grundlage<br />
der Bauantragsunterlagen ein Lärmgutachten ein<br />
und machte dieses <strong>zum</strong> Inhalt der Baugenehmigung.<br />
Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der maßgebliche<br />
Immissionsrichtwert nach der Sportanlagenlärmschutzverordnung<br />
(18. BImSchVO) nicht überschritten<br />
wird.<br />
Die Antragstellerin macht geltend, dass das Lärmgutachten<br />
<strong>zum</strong> Einen nicht <strong>zum</strong> Gegenstand der Baugenehmigung<br />
hätte gemacht werden dürfen, <strong>zum</strong> Anderen<br />
die im Bauantrag enthaltenen Angaben nicht ungeprüft<br />
in die Genehmigung hätten übernommen werden dürfen.<br />
Das Gericht tritt dem entgegen: Die Behörde sei schon<br />
von Gesetzes wegen verpflichtet, Sachverständige hinzuzuziehen,<br />
wenn die Beurteilung eines Sachverhalts<br />
besondere Sachkunde erfordere (vgl. § 26 I Nr. 2<br />
VwVfG). Der Gegenstand einer Baugenehmigung<br />
schließlich sei allein der eingereichte Bauantrag samt<br />
der dazugehörigen Bauvorlagen. Der Bauherr bestimme<br />
nämlich mit dem Bauantrag und den Bauvorlagen den<br />
Prüfungsumfang und damit auch den Gegenstand der<br />
Baugenehmigung. Schon von daher sei es nicht zu beanstanden,<br />
wenn der Gutachter von den Vorgaben des<br />
Bauantrags ausgegangen sei. Auch objektiv erschienen<br />
die Angaben in der vom Bauherrn eingereichten Be-<br />
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triebs- und Nutzungsbeschreibung plausibel. Auch die<br />
Befürchtung der Antragstellerin, dass der Nachbar sich<br />
möglicherweise nicht an die von ihm selbst vorgegebenen<br />
Angaben im Bauantrag und in den Bauvorlagen<br />
halte, führe nicht zu einer geringeren Berücksichtigungsfähigkeit<br />
des Gutachtens. Sollte sich eine solche<br />
Befürchtung bewahrheiten, ständen der Bauaufsichtsbehörde<br />
die üblichen repressiven Maßnahmen bis hin <strong>zum</strong><br />
Erlass einer Nutzungsuntersagung zur Verfügung. Dies<br />
habe jedoch mit der Genehmigungsfähigkeit des beantragten<br />
Vorhabens nichts zu tun.<br />
Obwohl die Immissionsrichtwerte dem Gutachten zufolge<br />
voraussichtlich eingehalten würden, führt das Gericht<br />
weiter aus, dass die Antragstellerin nur in beschränktem<br />
Maße Rücksichtnahme erwarten könne. Da<br />
das Vereinshaus schon geraume Zeit vor dem Wohnhaus<br />
der Antragstellerin vorhanden gewesen sei, müsse die<br />
Antragstellein diese Vorbelastung gegen sich gelten lassen;<br />
denn die im Streit stehende Konfliktsituation sei erst<br />
durch die heranrückende Wohnbebauung und nicht durch<br />
das schon bestehende Vereinshaus ausgelöst worden.<br />
Praxishinweis: Die Hinzuziehung eines Sachverständigen<br />
richtet sich nach § 26 VwVfG oder den entsprechenden<br />
Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze<br />
der Länder; sie steht im Ermessen der Behörde. Die Entscheidung<br />
über die Heranziehung eines bestimmten<br />
Sachverständigen ist dabei eine nach § 44a VwGO nicht<br />
selbständig anfechtbare Verfahrenshandlung (OVG<br />
Münster, NVwZ-RR 1995, 703). Die Notwendigkeit der<br />
Hinzuziehung, die Richtigkeit der Feststellungen sowie<br />
die Befangenheit des Gutachters können daher nur zusammen<br />
mit der endgültigen behördlichen Sachentscheidung<br />
angefochten werden.<br />
VG Oldenburg, Beschluss vom 20. 1. 2005 –<br />
4 B 4787/04<br />
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