Kommentar zu den Kodierrichtlinien - Bayerischer Facharztverband
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<strong>Kommentar</strong> <strong>zu</strong> <strong>den</strong> <strong>Kodierrichtlinien</strong><br />
1. Enormer <strong>zu</strong>sätzlicher Bürokratieaufwand für unsere Praxen:<br />
- für jedes Quartal müssen die Behandlungsdiagnosen neu eingegeben wer<strong>den</strong>.<br />
- persönliche Verantwortlichkeit des Arztes für die Richtigkeit der Kodierung.<br />
- verpflichtende Kodierung der Diagnosensicherheit ("G", "V", "Z". "A"), dagegen darf die<br />
Seitenlokalisation vom deutschen Arzt-Michel freiwillig da<strong>zu</strong> kodiert wer<strong>den</strong> (z.B.: F20.0GB -<br />
Schizophrenie beidseits...)<br />
- es wird eine "vollständige und spezifische Kodierung" verlangt. Vollständig bedeutet dabei, das alle<br />
Diagnosen, die die Kritierien einer "Behandlungsdiagnose" erfüllen, kodiert wer<strong>den</strong> müssen. Der<br />
Begriff "spezifisch kodieren" bedeutet a) die Auswahl einer möglichst "präzisen" ICD-10-GM-<br />
Schlüsselnummer, b) "die Auswahl der endständigen ICD-Schlüsselnummer bis <strong>zu</strong>r maximalen<br />
Kodiertiefe..."<br />
Ausnahmen von der geforderten (im "Idealfall") fünfstelligen Verschlüsselung soll es für die<br />
hausärztliche Versorgung, <strong>den</strong> Notfalldienst und bei uns Fachärzten für "Diagnosen außerhalb des<br />
Fachgebiets" geben - hier bracht nur vierstellig kodiert <strong>zu</strong> wer<strong>den</strong> (Kodierfreaks dürfen aber auch<br />
fünfstellig)!<br />
- besonderes Schmankerl für Kodierwütige: Die Mehrfachkodierung! Hierher gehören die Kreuzchen-,<br />
Sternchen- und Ausrufezeichen-Verschlüsselungen des "ICD-10-GM". Hier ist die Hin<strong>zu</strong>ziehung eines<br />
Handbuchs empfehlenswert!<br />
- Einhaltung von "Pausibiliätskriterien" für die speziellen Kodierrrichtlinien: Es wer<strong>den</strong><br />
Mindestanforderungen verlangt, sog. "Maßnahmen" (definierte diagnostiche Verfahren, Facharzt-<br />
Diagnose).<br />
2. Eine Vergütung für diesen Verwaltungs-Mehraufwand in unseren Praxen ist natürlich nicht<br />
vorgesehen:<br />
Reale Nutznießer sind ausschließlich die Kassen, die damit das Geld aus dem Morbi-RSA abgreifen.<br />
Der Patient hat nichts davon, und wir letztlich nur Mehrkosten an Zeit und Verwaltungsaufwand. Dafür<br />
wird uns wieder einmal die Gelbe Rübe einer evtl. Erhöhung der "morbiditätsorientierten<br />
Gesamtvergütung" vor die Nase gehalten (bei der unklar ist, wo das Geld dann letztlich wieder<br />
versickert).<br />
3. Der Unsinn der <strong>Kodierrichtlinien</strong> ist die logische Konsequenz aus dem Gesundheitsfonds<br />
mit Morbi-RSA:<br />
Statt endlich unsere erbrachten ärztlichen Leistungen transparent <strong>zu</strong> bezahlen, wird vorgegaukelt, daß<br />
das Vergütungssystem "stärker an der Morbidität orientiert" wer<strong>den</strong> soll (d.h. an einem statistischem<br />
Surrogat-Parameter) - deshalb müßte ein "diagnosegestütztes System der Morbiditätsmessung<br />
eingeführt" wer<strong>den</strong>, "mit dessen Hilfe eine jährliche Anpassung der Vergütung an die Morbidität"<br />
erfolgen soll. Wem dabei innerlich gleich die €-Zeichen aufleuchten, sollte sich aber nicht <strong>zu</strong> früh<br />
freuen: Die <strong>Kodierrichtlinien</strong> sollen regelmäßig überarbeitet wer<strong>den</strong>, damit die kodierte "Morbidität"<br />
auch konform mit der "morbiditätsorientierten Gesamtvergütung" (mit befreiender Wirkung) bleibt.<br />
4. Ist die "Morbidität" erst mal erarbeitet, kann man sie ohne größen Aufwand weiter verwalten:<br />
Die Erfüllung der o.g. "Plausibilitätskrititerien" wird allerdiings nur <strong>zu</strong>r Sicherung der Erstdiagnose<br />
gefordert, wobei hier die Erstdiagnose bezogen auf <strong>den</strong> Patienten gemeint ist, nicht auf <strong>den</strong> jeweiligen<br />
Arzt. "Es ist nicht erforderlich, daß jeder behandelnde Arzt die Maßnahmen selbst durchführt bzw.<br />
durchgeführt hat. Es wird jedoch vorausgesetzt, daß bei der Diagnosekodierung eine entsprechende<br />
Kenntnis über diese Maßnahmen vorhan<strong>den</strong> und nachgewiesen sind. Dabei sind die Befunde aller<br />
Verwaltungsbereiche heran<strong>zu</strong>ziehen" - das wird sicher die Hausärzte in der HzV freuen (wie war das<br />
doch gleich, mit Herrn Hellmanns "Kellertreppeneffekt"?).<br />
4. Die Verquickung medizinischer Diagnosen mit der Steuerung von Geldflüssen ist fatal:
In zweierlei Hinsicht: a) wegen des offensichltlichen Mißbrauchspotentials <strong>zu</strong>r<br />
Abrechungsmanipulation, b) führt dies m.E. zwangsläufig <strong>zu</strong> einer weiteren Deprofessionalisierung der<br />
ärztlichen Tätigkeit. Das ist <strong>den</strong> Urhebern offensichtlich auch durchaus klar, weshalb sie auch fordern:<br />
"Keinesffalls fürfen die <strong>Kodierrichtlinien</strong> einen Einfluß auf diagnostische oder therapeutische<br />
Entscheidungen nehmen" - es ist unschwer voraus<strong>zu</strong>sehen, das genau dies eintreten wird.<br />
4. Kodierologie als Bürokratie-Wachstumsmarkt der Zukunft:<br />
Für die in jährlichem Turnus vorgesehene Überarbeitung und Neufassung der <strong>Kodierrichtlinien</strong><br />
(ebenso wie für die laufen<strong>den</strong> Überareitungen der "german modification" des ICD-10) schaffen sich<br />
die Urheber ein reiches Betätigungsfeld für ihre sicher gut dotierten Gremien und<br />
Verwaltungswasserköpfe, und ein sicheres Auskommen für alle Zukunft: "Die Ambulanten<br />
<strong>Kodierrichtlinien</strong> gelten in der Version 2011 ab 01.01.2011. die vorliegende Version 2010 dient der<br />
Schulung und Vorbereitung der Anwender. Im 3. Qaurtal wird Version 2010 im Bezirk der KV Bayern<br />
einem Praxistest unterzogen..."<br />
Das ganze zeugt m.E. von einer ähnlichen pharisäerhaften Selbstgerechtigkeit einer außer Rand und<br />
Band geratenen Kontroll- und Lenkungsbürokratie des SGB-5-Systems, wie die vom G-BA im Geiste<br />
von Bertelsmann geplanten Qualitätssicherungsmaßnahmen mit ihren monströsen Datensammel- und<br />
online-Überwachungsorgien<br />
Beides <strong>zu</strong>sammen bringt uns dem endgültigen Bürokratie-overkill näher, vielleicht ist das ja auch die<br />
Absicht...!<br />
Kartographie der <strong>Kodierrichtlinien</strong>-Untiefen<br />
Einleitung<br />
Die Ambulanten <strong>Kodierrichtlinien</strong> bieten mehr Verbindlichkeit und damit auch mehr<br />
Sicherheit bei der Verschlüsselung der Behandlungsdiagnosen. Nachdem sich der Arzt mit<br />
ihnen vertraut gemacht hat, wer<strong>den</strong> sie ihm die Arbeit erleichtern und helfen, richtig <strong>zu</strong><br />
kodieren.<br />
Hohn und Spott ! In diesem Sinne handelt es sich wohl hier um eine Maßnahme <strong>zu</strong>r<br />
Entbürokratisierung ?!?!<br />
Die vorliegen<strong>den</strong> Ambulanten <strong>Kodierrichtlinien</strong> (AKR) regeln ausschließlich die Kodierung<br />
der Diagnosen <strong>zu</strong>r Abrechnung. Die Diagnosendokumentation <strong>zu</strong> medizinischen Zwecken<br />
bleibt davon unberührt. Die Kodierung folgt der Behandlung. Keinesfalls dürfen die<br />
<strong>Kodierrichtlinien</strong> Einfluss auf diagnostische oder therapeutische Entscheidungen nehmen!<br />
Ein Alibi-Paragraph. Natürlich ist es <strong>den</strong> Verantwortlichen für diese Vorschriften bekannt,<br />
dass (z.B. bei der HzV die Richtlinien massive Einflüsse auf die diagnostischen<br />
Entscheidungen hatten). Durch diese Textpassage wäscht man sich die Hände in Unschuld.<br />
Die offizielle Unterscheidung in Abrechnungsdokumentation und medizinische<br />
Dokumentation in Satz 1+2 dieses Absatzes sprechen eine ganz andere Sprache !<br />
Plausibilitätskriterien<br />
Einige spezielle <strong>Kodierrichtlinien</strong> enthalten Plausibilitätskriterien <strong>zu</strong>r Validierung der<br />
Diagnosestellung nach § 295 SGB V, die jeweils unter der entsprechen<strong>den</strong> Kodierrichtlinie<br />
aufgeführt sind. Diese beziehen sich ausschließlich auf gesicherte Diagnosen mit dem<br />
Zusatzkennzeichen „G“.<br />
Die Plausibilitätskriterien benennen bestimmte Mindestanforderungen, die <strong>zu</strong>r Kodierung<br />
einer Diagnose vorliegen müssen.<br />
Zur Erfüllung diese Mindestanforderungen können sowohl bestimmte diagnostische
Verfahren als auch die (Mit-)Behandlung durch einen speziellen Facharzt gefordert sein<br />
(beides nachfolgend als „Maßnahmen“ bezeichnet).<br />
Soweit Maßnahmen durchgeführt wur<strong>den</strong> oder aus medizinischen Grün<strong>den</strong> notwendig<br />
wer<strong>den</strong>, die über die Mindestanforderungen hinausgehen, ist das Plausibilitätskriterium damit<br />
erfüllt (z.B. erfüllt bei einer TIA (Zerebrale transitorische ischämische Attacke) ein bereits<br />
vorliegendes MRT die Mindestanforderung eines CT). Es ist nicht erforderlich, dass jeder<br />
behandelnde Arzt diese Maßnahmen selbst durchführt oder durchgeführt hat. Es wird jedoch<br />
vorausgesetzt, dass bei der Diagnosenkodierung eine entsprechende Kenntnis über diese<br />
Maßnahmen, z.B. histologische Sicherung bei glomerulären Erkrankungen, vorhan<strong>den</strong> und<br />
nachgewiesen ist. Dabei sind die Befunde aller Versorgungsbereiche heran<strong>zu</strong>ziehen. Die<br />
geforderten diagnostischen Verfahren bzw. Facharztkonsultationen sind nur durch<strong>zu</strong>führen,<br />
sofern sie nicht bereits in einer Vor- oder Mitbehandlung erfolgt sind oder erfolgen.Die<br />
Erfüllung der Plausibilitätskriterien wird „mindestens <strong>zu</strong>r Sicherung der Erstdiagnose“<br />
gefordert.<br />
Aha. Da muss die 100jährige Oma also jetzt ins CT, wenn sie eine TIA hat. Damit man dann<br />
auch bei Ihr fesstellen kann, dass sich TIA's nicht im CT abbil<strong>den</strong>. Und jeder<br />
Niereninsuffiziente muss eine Nierenbiopsie über sich ergehen lassen. Der Bedarf an<br />
Fachärzten wird sprunghaft steigen oder die Morbidität sinken (vermutlich ist letzteres<br />
beabsichtigt).<br />
Vorrang<br />
Bei Widersprüchen zwischen <strong>den</strong> allgemeinen und speziellen <strong>Kodierrichtlinien</strong> und <strong>den</strong><br />
Regeln der ICD-10-GM gilt folgende Vorrangregel:<br />
Spezielle Ambulante <strong>Kodierrichtlinien</strong> vor Allgemeine Ambulante <strong>Kodierrichtlinien</strong> vor<br />
Regeln der ICD-10-GM<br />
Ganz klar. Speziell sticht grundlegend. Zwar genau andersherum als überall sonst im Leben,<br />
aber wir kommen bestimmt gut damit <strong>zu</strong>recht.<br />
Verantwortung<br />
Jeder Arzt ist für die Dokumentation der Diagnosen verantwortlich, die er in seinem Arztfall<br />
bzw. dem <strong>zu</strong>gehörigen Behandlungsfall behandelt hat.<br />
Klar. Verantwortung = Arzt.<br />
Behandlungsdiagnosen<br />
Definition<br />
Behandlungsdiagnosen sind Diagnosen inkl. des <strong>zu</strong>gehörigen Zusatzkennzeichens für die<br />
Diagnosensicherheit (siehe A03), für die im ab<strong>zu</strong>rechnen<strong>den</strong> Quartal Leistungen erbracht<br />
wur<strong>den</strong>. Leistungen umfassen diagnostische und therapeutische Maßnahmen. Leistungen in<br />
diesem Sinne sind nur die, die <strong>zu</strong>m Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
gehören.<br />
Oha ! Das würde bei korrekter Durchführung einen massiven Rückgang der Morbidität <strong>zu</strong>r<br />
Folge haben. Beispiel: der polyneuropathische Parkinsonpatient mit Carotisstenose und<br />
beginnender Demenz bietet einen unveränderten Befund und holt sein Rezept für<br />
Parkinsonmedikamente ab. Da fallen mal flugs die Diagnosen G6x, I6x und F0x weg.<br />
Eine abschließende Beurteilung ist ggf. auch erst am Quartalsende möglich, so dass eine<br />
retrospektive Betrachtung erforderlich sein kann.<br />
Soweit im jeweiligen Quartal beauftragte Befunde oder Untersuchungen erst nach Ablauf des<br />
Quartals eingehen, kann eine gestellte Diagnose bis <strong>zu</strong>m 14. Kalendertag des neuen Quartals<br />
geändert wer<strong>den</strong>. Falls durch die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung für die Übermittlung<br />
der Abrechnung eine kürzere Frist gesetzt ist, gilt diese entsprechend für die abschließende
Diagnosestellung.<br />
Ich lach mich tot. In <strong>den</strong> ersten 2 Wochen des Quartals wer<strong>den</strong> also anhand eingehender<br />
Befunde Diagnosen abgeändert und der KV nachgemeldet. Alles easy, ich sehe hier kaum<br />
Probleme. Wird sicher hervorragend klappen.<br />
Nicht <strong>zu</strong> kodierende Diagnosen<br />
Anamnestische Diagnosen ohne Leistungsbe<strong>zu</strong>g im ab<strong>zu</strong>rechnen<strong>den</strong> Quartal (siehe A03)<br />
Abnorme Befunde ohne weiterführende Diagnostik bzw. Therapie (siehe A07)<br />
Dauerdiagnosen<br />
Entsprechend <strong>den</strong> Vorgaben dieser <strong>Kodierrichtlinien</strong> ist unbedingt <strong>zu</strong> beachten, dass eine<br />
Übernahme von Diagnosen aus einem Quartal in ein nächstes nur erfolgen darf, wenn jede<br />
dieser Diagnosen erneut die Definition einer Behandlungsdiagnose erfüllt. Dabei sind ggf. die<br />
Zusatzkennzeichen für die Diagnosensicherheit (siehe A03) <strong>zu</strong> aktualisieren.<br />
Die Dauerdiagnosen sind damit Geschichte. Jedes mal schön brav die aktuell relevante<br />
Diagnose verschlüsseln Das wird uns die Arbeit sicher sehr erleichtern. Hoffentlich reagieren<br />
die EDV-Hersteller schnell und bieten neben "Diagnose", "Dauerdiagnose", "Briefdiagnose"<br />
in Zukunft auch die Variable "medizinische Diagnose" an. Sonst könnte medizinisch<br />
Relevantes in Vergessenheit geraten. Aber dagegen hilft ja die E-Card.