MiriamFischer Publikation Philosophie des Tanzes - Andrea von ...
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leiblichen Richtungsraum, in den ihm seine Partnerin folgt. Das aber war hier nicht der Fall,<br />
weil Irene, wie Knut sagt, „auf dem falschen Fuß“ stand.<br />
Dass Irene auf dem falschen Fuß stand, dürfte Knut als spürbaren Widerstand bemerkt<br />
haben. Hier entstand für den Bruchteil <strong>von</strong> Sekunden gewissermaßen ein leiblicher Macht-<br />
kampf zwischen der aus seinem Oberkörper kommenden Spannung einerseits und der<br />
Spannung seiner Partnerin andererseits, die nämlich aufgrund ihres verschobenen Gleich-<br />
gewichts einen spürbaren Sog auf ihn ausübte. Dass es überhaupt zu diesem Machtkampf<br />
der beiden Engepole kam, hatte damit zu tun, dass Knut seinen, wie man es nennen könnte,<br />
leiblichen Richtungsbefehl „nicht richtig rüber kriegte“. Er hatte Irene offenbar nicht eindeutig<br />
spüren lassen, in welche Richtung sie gehen soll. Aufgrund Knuts leiblicher Uneindeutigkeit<br />
hat Irene selbsttätig, geführt durch ihre eigene leibliche Dynamik, ihre Achse verschoben. Da<br />
der Schritt, den sie setzte, jedoch Knuts Bewegungsintention widersprach, kam es zum<br />
Abbruch <strong>des</strong> Bewegungsflusses, zu einem „Stoppfehler“, wie Knut sagt.<br />
Die angestrebte Umgangsweise mit solchen leiblichen Missverständnissen, in denen der<br />
Bewegungsfluss ins Stocken gerät, scheint darin zu bestehen, einfach weiterzugehen und<br />
die entstandene Spannung abzubauen. Dieser Spannungsabbau in der leiblichen<br />
Kommunikation gelingt unseren Interviews zufolge vor allem mit Hilfe einer bestimmten<br />
leiblichen Qualität: der Weichheit. Durch spürbar weiche Bewegungen ist es offenbar<br />
möglich, einseitige Spannungen zu korrigieren bzw. zu neutralisieren. Dazu Knut:<br />
„ja ja, genau, das war ein Stocken, das klassische Stocken, wo dann auch die<br />
Körper erst mal steif werden und nicht das auffangen können sofort, durch irgendwie<br />
geschickte weiche andere Bewegungen.“<br />
Mit einem weiteren Begriff aus der Leibphänomenologie <strong>von</strong> Schmitz lässt sich Weichheit<br />
bzw. das Weiche als „synästhetischer Charakter“ bezeichnen, der als „Brücke leiblicher<br />
Kommunikation“ fungiert 22 (vgl. Schmitz 2005: 176ff.). Andere Beispiele für synästhetische<br />
Charaktere sind das Helle, Spitze, Dumpfe, Schwere, Leichte oder Harte. Eine Brücken-<br />
funktion üben in dem hier angeführten Zitat weiche Bewegungen augenscheinlich dadurch<br />
aus, dass sie die kurzzeitige Unterbrechung der leiblichen Kommunikation zwischen Irene<br />
und Knut aufheben. Knut spricht da<strong>von</strong>, dass „die Körper“ steif werden, womit er vermutlich<br />
beide Körper bzw. beide Leiber meint. Diese durch eine stockende Bewegung plötzlich<br />
hervorgerufene Steifheit dürfte zum einen – ähnlich dem Erschrecken – für beide Partner als<br />
intensives Engegefühl spürbar gewesen sein. Zum anderen hat die plötzliche Steifheit ihrer<br />
22 Neben synästhetischen Charakteren sind „Bewegungssuggestionen“ eine zweite Form <strong>von</strong> „Brücken<br />
leiblicher Kommunikation“ (vgl. Schmitz 2005: 168ff.). Ein Beispiel hierfür ist der Rhythmus, allen voran der<br />
akustische Rhythmus, wie er etwa in der Musik gegeben ist. Auf die wichtige Bedeutung der Musik im Tango<br />
Argentino für die Bewegungskoordination und Verständigung der Tanzenden können wir hier nicht weiter<br />
eingehen.<br />
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