LP AvB Tincheva Nele 02 - Andrea von Braun Stiftung
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<strong>Andrea</strong> <strong>von</strong> <strong>Braun</strong> <strong>Stiftung</strong><br />
<strong>von</strong>einander wissen<br />
nisch, eine rigide Trennung <strong>von</strong> Kunst und Wissenschaft. 4 Hiergegen macht Novalis nun die<br />
Produktivität des Blicks geltend und damit den Erzeugnischarakter auch des wissenschaftlichen<br />
Gegenstandes, so dass Kunst und Wissenschaft einander in der poiesis, der Dimension<br />
des Erzeugens, wieder nahe kommen: Galileis Fernrohr, Instrument und Sinnbild der naturwissenschaftlichen<br />
Blick-Wende, wird bei Novalis zum Bindeglied. 5<br />
Was die Wirklichkeit angeht, so treten verschiedene Bedeutungsschichten dieses Begriffs aufeinander:<br />
„Authentizität“, „Echtheit“, „Wahrheit“; Wissen über und Erfahrung <strong>von</strong> Wirklichkeit<br />
werden unterschiedlich gewichtet. Stets aber wird die Arbeit an Wirklichkeit über den<br />
Sehsinn artikuliert: über Sichtbarkeit, sei es vom „äußeren“ Auge her (Naturwissenschaften),<br />
sei es vom „inneren“ (Philosophie). 6 Das innere Auge ist immer ein höchst diskussionswürdiges<br />
Organ gewesen, wie die Philosophiegeschichte zeigt – doch Galileis Fernrohr hat auch die<br />
Beweiskraft des äußeren Auges in räumliche Schranken verwiesen. Naturwissenschaftliche<br />
Diskurse erfahren sehr viel stärkere Prägung durch kulturgeschichtliche Metaphern, als man<br />
lange Zeit sehen wollte 7 – und im Gegenzug besinnen sich die „weltfremden“ Geisteswissenschaften<br />
auf ihren Bezug zur „faktischen“ (sozialen, materiellen, …) Um-Welt.<br />
Gegenwärtig ist auf beiden Seiten die Bereitschaft erkennbar, Vorurteile abzubauen. Hier<br />
wollen wir weiter arbeiten – unter der Prämisse, dass, was jeden Wissenschaftszweig seit jeher<br />
motiviert und in Konkurrenzkämpfe verwickelt hat, als gemeinsame Tradition gewertet werden<br />
kann, über die gut reden ist: die Fragwürdigkeit der Wirklichkeit.<br />
II. Gemeinsamer Nenner all der turns, die immer rascher aufeinander folgen, ist ein drängendes<br />
Bedürfnis nach Orientierung in einer räumlich enger werdenden und medial „übererschlossenen“<br />
Welt, das beide Wissenschaftszweige betrifft. Dieses Orientierungsbedürfnis<br />
4 „Kritik der reinen Vernunft“, §47.<br />
5 „Die <strong>von</strong> Hardenberg auch ausdrücklich einbekannte Intention, Wissenschaft als Poesie zu verwirklichen,<br />
kommt in der Rede vom Fernrohr zum Ausdruck, die metaphorisch und gleichzeitig<br />
nicht-metaphorisch ist.“ Stadler, a.a.O., S. 61.<br />
6 Für eine knappe, aber höchst informative Zusammenfassung der Geschichte des Sehens sei verwiesen<br />
auf Ralf Konersmanns Einleitung des <strong>von</strong> ihm herausgegebenen Bandes „Kritik des<br />
Sehens“, Leipzig 1997: „Die Augen des Philosophen. Zur historischen Semantik und Kritik des<br />
Sehens“, S. 9–47.<br />
7 Vgl. hierzu den jüngst erschienen Band „Begriffsgeschichte der Naturwissenschaften – Zur historischen<br />
und kulturellen Dimension naturwissenschaftlicher Konzepte“, hrsg. v. Ernst Müller und<br />
Falko Schmieder, Berlin/New York 2008.<br />
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