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LP AvB Tincheva Nele 02 - Andrea von Braun Stiftung

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<strong>Andrea</strong> <strong>von</strong> <strong>Braun</strong> <strong>Stiftung</strong><br />

<strong>von</strong>einander wissen<br />

der Neigungswinkel <strong>von</strong> Beobachter und Beobachtetem bzw. <strong>von</strong> Gesprächspartnern.<br />

Hierüber ergibt sich die Kongruenz: „es geht um den Neigungswinkel, unter dem man zueinanderkam;<br />

es geht, wie bei jeder wirklichen Begegnung, um Ort und Stunde.“ (Meridian, 132)<br />

Naturwissenschaftlicher Fortschritt in Bessels Sinne hat uns inzwischen gezeigt, dass „Ort<br />

und Stunde“ nicht distinkten Dimensionen angehören: Raum und Zeit bilden vielmehr ein<br />

Kontinuum. 52 Vor diesem Hintergrund scheint unsere Bezeichnung „Stelle der Begegnung“<br />

gerechtfertigt: Ort und Stunde fallen zusammen – nicht als Schnittpunkt zweier Linien eines<br />

Koordinatenkreuzes, sondern in einer Dimension. Auch hier kommt es auf die Perspektive an.<br />

Zweierlei braucht es, um solche Stellen anzutreffen. Erstens die „Aufmerksamkeit des Lesers:<br />

eine Zuwendung zum Gedicht“ (Meridian, 132). Diese Disposition der Aufmerksamkeit<br />

haben wir bei Bessel im Vollzug kennen gelernt: sie hat mit Konzentration (s.o.), akribischer<br />

Beobachtung und Geduld zu tun und ist auf Begegnung ausgerichtet, gibt mithin Richtung.<br />

Zweitens bedarf es der Bereitschaft zum Sprung: auf beiden Seiten. „schöpf. Sprung des<br />

Dichters, schöpf. Sprung des Lesers (Du) – Voraussetzung (nicht Gewähr!) ist das Einanderzugewendetsein“<br />

(133). Wenn wir ein Gespräch zwischen verschiedenen Disziplinen (Perspektiven)<br />

verwirklichen wollen, müssen wir den Mut haben, aus der Sicherheit des eigenen<br />

Denkens ein Stück weit hinauszuspringen: Wir müssen dazu bereit sein, uns neuen Erfahrungen<br />

zu öffnen – an Stellen, da der sichere Hintergrund des Wissens uns (noch) fehlt. In<br />

den parallaktischen Blick genommen, muss dieser Sprung vielleicht so groß gar nicht sein.<br />

Denn das hängt vom Maß ab: Wenn der Abstand oder Sprung in horizontaler Richtung gleich<br />

Null ist, kann er in vertikaler Richtung dennoch gewaltig sein. Und wenn er in der Horizontalen<br />

riesig ist, kann er dennoch in der Vertikalen gleich Null sein. 53<br />

Über der Begegnung „lagert, lagert und umreißt sie – und das ist seit Hegel oft wiederholt<br />

worden, ein Schatten:“ (132) es ist der Schatten der Parallaxe, unseres wandernden Blicks<br />

selbst. Er blendet das gleißende Licht der Utopie an einer Stelle ab und umreißt diese ubiquitäre<br />

Stelle für ein Zusammentreffen. Immer wieder – einmal.<br />

52 Dieses Wissen übersteigt unsere physikalische Alltagserfahrung. Dass unser „inneres“ Auge mit<br />

der Invarianz einer Raum-Zeit möglicherweise besser zurechtkommt als mit der Galilei-Invarianz<br />

<strong>von</strong> Raum und Zeit, können wir hier nicht weiter ausführen.<br />

53 Serres, Michel, Hermes V., Die Nordwest-Passage. Berlin 1994, S. 181.<br />

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