Geschichten als Stimmungsmacher: Mittel gegen Langeweile ... - Aulis
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<strong>Geschichten</strong> <strong>als</strong> <strong>Stimmungsmacher</strong>: <strong>Mittel</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Langeweile</strong>?<br />
Fritz Kubli, Kantonsschule Enge, Zürich<br />
Zu den Grundfragen des Lehrens gehört sicherlich: Wie schaffe ich eine gute<br />
Stimmung in meinen Klassen? Ohne eine positive Haltung der Lernenden lässt<br />
sich kaum fruchtbar unterrichten. Gut gestimmte Klassen wirken auf unser<br />
Befinden zurück, sie vermögen uns sogar zu beflügeln. Schwieriger ist es zu<br />
unterrichten, wenn eine Klasse unruhig oder lethargisch, oder gar abweisend ist.<br />
Wie kann man ein unbefriedigendes Unterrichtsklima beeinflussen? Natürlich<br />
zuerst einmal durch eine positive Ausstrahlung der Lehrkraft. Gute Laune ist<br />
ansteckend! Wenn es uns gelingt, Optimismus, Lerneifer zu fördern und<br />
Interesse für das Lernziel zu wecken, haben wir einen wichtigen Erfolg erzielt.<br />
Das Weitere ergibt sich dann wie von selbst. Was aber, wenn wir auf diesem<br />
Weg ins Abseits geraten und irgendwie stecken bleiben? Wie bringen wir die<br />
Lernenden dazu, sich erneut auf unsere pädagogischen Anliegen einzulassen?<br />
Hier können <strong>Geschichten</strong> helfen, aber auch die Beschäftigung mit der Theorie<br />
des Erzählens. Nach etlichen Jahren eifrigen Bemühens und nach umfangreichen<br />
Studien der einschlägigen Literatur bin ich zur Auffassung gelangt, dass es sich<br />
lohnt, die eigene Tätigkeit im Lichte der modernen Erzähltheorie zu reflektieren.<br />
Lehrende haben ja vor allem die Aufgabe, die Klassen in bestehendes Wissen<br />
einzuführen. Insofern sind sie Erzählende, Darbietende, die eine fremde Welt,<br />
oft auch eine fremde Betrachtungsweise sichtbar und zugänglich machen<br />
wollen. Eine narrative Didaktik, die Prozesse im Unterricht bewusst <strong>als</strong><br />
Erzählvorgänge analysiert, kann ihnen wichtige Hinweise geben.<br />
Es empfiehlt sich, bewusst nach <strong>Geschichten</strong> und Erzählungen zu suchen,<br />
welche die angestrebten Lernziele schmackhaft machen. Ein vor allem dem
Erzählen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern gewidmetes<br />
Buch mit dem Titel: Mit <strong>Geschichten</strong> und Erzählungen motivieren - Beispiele<br />
für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht (1) führt diese<br />
Überlegungen anhand von vielen Beispielen vor. Historische Anmerkungen<br />
betten nicht zuletzt die abstrakten Lerninhalte in ein Geschehen ein, das durch<br />
menschliche Akteure herbeigeführt und bestimmt wird. Diese menschliche<br />
Dimension würde von vielen Lernenden schmerzlich vermisst, wenn wir uns<br />
ausschliesslich mit den kognitiven Aspekten der Sachverhalte beschäftigen<br />
würden.<br />
Mit Erzählungen definieren wir nicht zuletzt auch unser Verhältnis zum Stoff.<br />
Sie beleuchten immer auch eine emotionale Seite, die im Unterricht eine<br />
wichtige Funktion hat. Sie bringt uns <strong>als</strong> Lehrende und die Inhalte unserer<br />
Lektionen gefühlsmässig nahe. Mit anderen Worten: Wir können uns <strong>als</strong><br />
Personen oder gar Persönlichkeiten in den Unterricht einbringen. Vor allem<br />
Schülerinnen sind nach ihren eigenen Aussagen darauf angewiesen, dass sie die<br />
Lehrenden auch von ihrer menschlichen Haltung her spüren können.<br />
Auch einfache <strong>Geschichten</strong> bringen Wertungen ins Spiel. Das "Heureka" des<br />
Archimedes zeigt, wie wichtig für ihn - und hoffentlich auch für uns - seine<br />
Erkenntnis war und ist. Von Jean Baptiste Biot ist überliefert, dass er zu Pasteur<br />
sagte, <strong>als</strong> dieser ihm die Drehung der Polarisationsebene des Lichts in zwei<br />
Weinsäureformen demonstrierte: "Mein teurer Sohn, ich habe die<br />
Naturwissenschaften immer so geliebt, dass dies mein Herz bewegt." Und von<br />
Newton wird erzählt, dass er 1682, <strong>als</strong>o Jahre nach dem legendären, im Pestjahr<br />
1666 fallenden Apfel, der ihn zu seiner Idee der allgemeinen Schwerkraft<br />
brachte, von der wahren Grösse des Erdumfangs erfuhr. Mit diesem<br />
Messresultat nahm er zu Hause sogleich seine alte Rechnung hervor, die<br />
seinerzeit nicht zum richtigen Ergebnis geführt hatte. Du Bois-Reymond führte
in einer Gedenkrede dazu aus: "Im Anblick des unermesslichen ihm gelungenen<br />
Fundes ergriff ihn solche Aufregung, dass er, unfähig die Rechnung weiter zu<br />
führen, sie einem Freunde anvertraute, der sie glücklich beendete." Ohne die<br />
Erdvermessung wäre die Gravitationstheorie lediglich eine Spekulation<br />
geblieben, d.h. ohne die berühmten 99 % Transpiration hätte die Inspiration<br />
wenig genützt.<br />
Auf Newtons Eingebung und ihre schliessliche Bestätigung kann gleich in<br />
mehreren Fächern verwiesen werden. Schliesslich hat kein Geringerer <strong>als</strong><br />
Voltaire in seinen Philosophischen Briefen vom fallenden Apfel erzählt. Auch<br />
die Geographen werden gerne darauf hinweisen, dass ohne die genaue<br />
Erdvermessung die Erklärung der Mondbewegung durch das allgemeine<br />
Gravitationsgesetz keine zahlenmässige Bestätigung erfahren hätte. Und die<br />
Historiker werden mit Recht darauf verweisen, dass Newtons Einsichten<br />
wesentlich zur Entstehung der Aufklärung <strong>als</strong> geschichtliches Ereignis<br />
beigetragen haben, während die Anglisten stolz vermelden dürfen, dass diese<br />
zuerst in England Fuss gefasst hat, bevor sie auf den Kontinent hinüberwirkte.<br />
Im erwähnten Buch (1) sind vor allem <strong>Geschichten</strong> vereinigt, welche<br />
allgemeines Interesse zu wecken vermögen. Die Lektüre lohnt sich daher nicht<br />
nur für die unmittelbar betroffenen Lehrkräfte. <strong>Geschichten</strong> haben viele<br />
Aspekte. Sie vermögen daher verschiedene Interpretationen anzuregen, sind <strong>als</strong>o<br />
im wahrsten Sinne des Wortes fächerübergreifend. Über <strong>Geschichten</strong> habe ich<br />
auch gelernt, welche pädagogischen Anliegen andere Gebiete zu vertreten<br />
haben.<br />
Was kann nun die Erzähltheorie <strong>als</strong> didaktische Hilfen anbieten? Zunächst<br />
macht sie uns klar, dass das Erzählen eine faszinierende und lohnende Tätigkeit<br />
sein kann. Mit Erzählungen können wir Klassen beeinflussen. Wir können nicht
nur ein allfälliges Schweigen der Klasse aufbrechen, wir können auch laute<br />
Schüler bremsen. Wir holen geistig Abwesende wieder ins Hier-und-Jetzt<br />
zurück, denn wer möchte schon eine Pointe verpassen, nur weil der Anfang der<br />
Geschichte verschlafen wurde? Allerdings: Erzählen ist eine performative<br />
Tätigkeit, die darauf abzielt, die Adressaten, das Publikum wirklich zu<br />
erreichen. Je besser wir unser Publikum kennen, desto weniger laufen wir<br />
Gefahr, dass unsere Erzählungen unsere Dialogpartner verfehlen.<br />
Peter Bichsel hat einmal geschrieben: "Wenn wir nichts mehr zu erzählen haben,<br />
sind wir bereits gestorben." Erzählen ist tatsächlich Kundtun von Leben. Wenn<br />
wir uns überwinden, unsere Einsichten in <strong>Geschichten</strong> einzubetten, notfalls auch<br />
mit einer ironischen Brechung, finden wir in den Klassen ein Publikum, das uns<br />
williger folgt, <strong>als</strong> wenn wir es bei dürren Worten bewenden lassen. Lebendiges<br />
Erzählen kann geübt und erlernt werden. Dazu dürfen wir uns von den vielen<br />
Beispielen, von denen die Literatur überströmt, gerne inspirieren lassen.<br />
(1) Fritz Kubli: Mit <strong>Geschichten</strong> und Erzählungen motivieren - Beispiele für den<br />
mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht. <strong>Aulis</strong>-Verlag, Köln 2005.