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schwarze protokolle - papiertiger archiv & bibliothek der sozialen ...

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"Abstrakte Kunst bedeutete uns damals ... so viel als unbedingte Ehrlichkeit“ 26 o<strong>der</strong><br />

wie es Hugo Ball formulierte: „Es geht vielleicht gar nicht um die Kunst, son<strong>der</strong>n um<br />

das inkorrupte Bild." 27<br />

Für unsere Problematik sind Hugo Ball und Richard Hülsenbeck die weitaus<br />

spannendsten Rädelsführer des Dadaismus, ihre Gesellschaftskritik kann als<br />

Vorläufer <strong>der</strong> Kritischen Theorie angesehen werden.<br />

Beide hatten studiert und waren vor dem Krieg schon mit dem Literaturbetrieb in<br />

Berührung gekommen. Hugo Ball machte vor 1914 bei den Berliner Anarchisten mit<br />

und beschäftigte sich mit <strong>der</strong> russischen und <strong>der</strong> spanischen revolutionären<br />

Bewegung. 28 Er verkehrte im 'Aktionskreis' Pfemferts und <strong>der</strong> Vorkriegsboheme in<br />

München, wo er 1912 Richard Hülsenbeck kennenlernte, mit dem er Anfang 1915<br />

eine Dichterlesung gegen den Krieg in Berlin machte, 29 bei dem sie nie<strong>der</strong>gebrüllt<br />

wurden; <strong>der</strong> in Zürich erscheinenden antipatriotischen Zeitschrift 'Mistral' schickten<br />

sie Anfang 1915 ein Flugblatt aus Berlin, „in dem sie nicht nur gegen den Krieg,<br />

son<strong>der</strong>n auch gegen den Intellektualismus <strong>der</strong> Kunst auftraten.“ 30 Ball ging Ende<br />

Mai 15 zusammen mit Emmy Hennings auf Einladung Serners nach Zürich, wo er<br />

auch in Münzenbergs „Freie Jugend" schrieb.<br />

Hülsenbeck folgte Ball Anfang Februar 1916. Zu dieser Zeit lief das Cabaret Voltaire<br />

3 Wochen.<br />

Was uns aus unserer eigenen Geschichte <strong>der</strong> 1001 Gruppen wohl vertraut ist, finden<br />

wir auch bei <strong>der</strong> Dada-Gruppe des Cabaret Voltaire in Zürich: aufgrund eines<br />

bestimmten gemeinsamen Interesses versuchen ein. paar Typen etwas Bestimmtes<br />

zusammen zu machen; es waren Dichter, Maler, Tänzerinnen, bildnerische Gestalter<br />

aller Sparten, Studenten, Schriftsteller, die eines gemeinsam hatten: den erklärten<br />

Willen, mit ihrer Kritik an <strong>der</strong> herrschenden Gesellschaft diese nicht nur in Krieg,<br />

Militarismus, Bürokratie und Fabrik zu kritisieren, son<strong>der</strong>n die sich innerhalb des<br />

Rahmens und <strong>der</strong> Grenzen <strong>der</strong> bestehenden Gesellschaft artikulierende Kritik zu<br />

verlassen, d.h. innerhalb ihrer Geschäftsbedingungen, Verkehrs- und Lebensformen:<br />

Sprengung <strong>der</strong> Tradition, des Formalismus, <strong>der</strong> Ästhetik, überhaupt <strong>der</strong> Kunst als<br />

Disziplin: „Die Perspektive und die Farbe, die, abgelöst von ihrer natürlichen<br />

Wirksamkeit aus Tuben zu quetschen ist, sind Mittel <strong>der</strong> Naturimitation, sie laufen<br />

hinter den Dingen her, sie haben den eigentlichen Kampf mit dem Leben<br />

aufgegeben, sie sind Teilhaber jener feigen und zufriedenen Lebensanschauung, die<br />

zur Bourgeoisie gehört. Das neue Material ist dagegen ein Hinweis auf das<br />

unbedingt Selbstverständliche, das im Bereich unserer Hände ist, auf das Natürliche<br />

und Naive, auf die Aktion." 31 „Negerverse“, „Negermusik“, Simultan-u. Lautgedichte<br />

und Tänze, vor allem aber die Provokation jenes Verhaltens, das alles, was <strong>der</strong><br />

Künstler sich auch ausdenken mochte, zum konsumierbaren, völlig beliebig<br />

annehmbaren und ablehnbaren konsequenzlosen Affentheater machte, brachte das<br />

ruhige Bürgertum zur Raserei. Die mehr o<strong>der</strong> weniger beiläufige Beschäftigung mit<br />

dem, womit sich <strong>der</strong>, <strong>der</strong> das gemacht hat, verwirklicht und identifiziert hat, läßt den<br />

Künstler zum Zyniker worden; was zum Leben des einen gehörte, macht <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

zum Geschäft. Wie alles in dieser Gesellschaft ein verlogenes Geschäft war, so<br />

auch die Kunst, die gestern den Menschen an sich, heute den Krieger besang, um<br />

morgen dem Revolutionär zu huldigen. Diese aus ihrer eigenen Realität erfahrene<br />

Einsicht, daß die Kunst bisher nur "am Schreibtisch erklügelt und für die Brille des<br />

Sammlers, statt für die Ohren lebendiger Menschen gefertigt“ 32 war, zeigte den

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