schwarze protokolle - papiertiger archiv & bibliothek der sozialen ...
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proklamieren und das Risiko eines Mißerfolges auf sich nehmen? Das wäre tragbar<br />
gewesen, wenn es bei Streikbewegungen hätte bleiben können. Aber für den<br />
MPApparat war folgende „Sprachregelung“ getroffen:<br />
GENERALSTREIK = GENERALAUFSTAND!<br />
Die Proklamierung des Generalstreiks durch die Zentrale <strong>der</strong> KPD mußte zur Folge<br />
haben, daß in ganz Deutschland „die Gewehre losgingen“. Und sie wären an<strong>der</strong>s<br />
losgegangen, als in Hamburg und <strong>der</strong> Wasserkante, wo MP-Oberleiter Albert<br />
Schreiner gemäß den famosen "Richtlinien" nichts an<strong>der</strong>es getan hatte, als fleißig<br />
papierne Resolutionen über die Bildung von Proletarischen Hun<strong>der</strong>tschaften zu<br />
sammeln. Wir kommen noch darauf zurück.<br />
Nach endlosen Debatten, die sich bis tief in die Nacht hinzogen (21./22. Oktober)<br />
wurde schließlich folgen<strong>der</strong> "Kriegsplan" ausgetüftelt: In irgendeiner Stadt wird ein<br />
"spontaner Aufstand" angekurbelt. Löst er in größeren Teilen Deutschlands eine<br />
echte spontane Massenbewegung aus, die als Gradmesser <strong>der</strong> revolutionären Krise<br />
zu bewerten ist, dann könnte die KPD, ohne sich von den Massen zu isolieren, die<br />
Losung des Generalstreiks ausgeben und damit in ganz Deutschland den<br />
bewaffneten Aufstand mit dem Ziel <strong>der</strong> Machteroberung entfesseln. Sollte aber die<br />
lokale bewaffnete Aktion nicht <strong>der</strong> zündende Funke sein, <strong>der</strong> das Faß <strong>der</strong><br />
aufgespeicherten Volksempörung zur Explosion bringt, dann konnte die Partei sich<br />
ohne wesentliche Einbuße aus <strong>der</strong> Affäre ziehen und hätte Zeit gewonnen, sich<br />
besser und gründlicher auf die revolutionäre Situation vorzubereiten.<br />
Brandler hätte sich bei diesem taktischen Schachzug auf einen Präzedenzfall aus<br />
<strong>der</strong> Sowjetunion berufen können. Nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Roten Armee vor<br />
Warschau im russisch-polniscben Krieg (1920), hatte Lenin in einer vertraulichen<br />
Unterredung mit dem „ob solcben Zynismus entsetzten“ damaligen Vorsitzenden <strong>der</strong><br />
KPD, Dr. Paul Levi, erklärt: „Unsere Rote Armee hat vor Warschau mit dem Degen<br />
vorgefühlt, um festzustellen, wieweit die Weltrevolution steht.“ Dem lokalen<br />
„spontanen Aufstand“ war die Rolle des „vorfühlenden Degen“ zugedacht.<br />
An sich war dieser "Kriegsplan" gar nicht so ausgefallen und so „zynisch“, wie er<br />
heute vielleicht erscheinen mag. Die Partei befand sich in einer Zwangslage. Es<br />
mußte gehandelt werden, und zwar sofort, sollten nicht die Bastionen <strong>der</strong><br />
Arbeiterregierungen, Errungenschaften <strong>der</strong> von Brandler zäh und konsequent<br />
durchgeführten Politik <strong>der</strong> "Einheitsfront" (KPD/SPD Linke), kampflos preisgegeben<br />
werden.<br />
Nachdem <strong>der</strong> Plan im Prinzip festlag, mußte noch entschieden werden, welche<br />
örtliche MP-Organisation die Rolle des vorfühlenden Degens übernehmen sollte. Da<br />
fiel <strong>der</strong> Name Kiel. Der Kriegshafen an <strong>der</strong> Ostsee hatte im November 1918 das<br />
Signal zur Revolution gegeben. Warum nicht auch 1923?<br />
Herrmann Remmele, führendes Mitglied <strong>der</strong> Zentrale und Verbindungsmann zum<br />
MPApparat, wurde nach Kiel. geschickt, um <strong>der</strong> dortigen MP-Leitung den Befehl zu<br />
überbringen, am 23. Oktober den "spontanen Aufstand" zu starten.<br />
Mitten in <strong>der</strong> Nacht (21./22. 10.) wurde Brandler durch ein Ferngespräch aus Prag<br />
(o<strong>der</strong> war es Karlsbad?) geweckt. Der Anrufende war Karl Radek, soeben aus<br />
Moskau mit neuen Instruktionen eingetroffen. Brandler informierte ihn über die