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8 Sa 1096/06<br />

7 Ca 3928/06<br />

(München)<br />

Verkündet am:<br />

17. April 2007<br />

Heger, ROS<br />

als Urkundsbeamter<br />

der Geschäftsstelle<br />

G.<br />

LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN<br />

- Kläger und Berufungsbeklagter -<br />

Prozessbevollmächtigte:<br />

Firma S. GmbH<br />

- Beklagte und Berufungsklägerin -<br />

Prozessbevollmächtigte:<br />

IM NAMEN DES VOLKES<br />

URTEIL<br />

In dem Rechtsstreit<br />

g e g e n<br />

hat die Achte Kammer des Landesarbeitsgerichts München aufgrund der mündlichen<br />

Verhandlung vom 13. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht<br />

Kagerer sowie die ehrenamtlichen Richter Aicham-Bomhard und Weinzierl für<br />

Recht erkannt:


2<br />

1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 2. August 2006<br />

- Gz.: 7 Ca 3928/06 - wird geändert:<br />

Die Klage wird abgewiesen.<br />

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.<br />

3. Gegen dieses Urteil wird seitens des Klägers die Revision zugelassen.<br />

T a t b e s t a n d<br />

Die Parteien streiten über die vergütungs- und arbeitszeitrechtliche Behandlung von<br />

Wegezeiten, die dadurch entstehen, dass sich der Kläger im Rahmen einer Dienstschicht<br />

von einer Ablösestelle, an der er den ersten Schichtteil beendet hat, zur weiteren<br />

Ablösestelle begibt, an der er den zweiten Schichtteil beginnt.<br />

Er ist am 0.0.1959 geboren und seit 1. September 1981 auf der Basis seines schriftlichen<br />

Arbeitsvertrages vom selben Tag bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin<br />

als Omnibusfahrer in einer 38,5-Stundenwoche gegen ein Bruttomonatsgehalt<br />

in Höhe von ca. € 3.000,-- beschäftigt.<br />

Beide Parteien sind tarifgebunden; darüber hinaus bestimmt § 2 S. 1 und 2 ihres Arbeitsvertrages,<br />

dass sich „das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages<br />

für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom<br />

31. Januar 1962 (BMT-G II) in ihrer jeweils geltenden Fassung bzw. nach den an deren<br />

Stelle tretenden tariflichen Bestimmungen regelt“ und „die für den Bereich der<br />

Stadtverwaltung M. jeweils in Kraft befindlichen sonstigen Tarifverträge daneben Anwendung<br />

finden“.


3<br />

Die Omnibusfahrer der Beklagten, wie der Kläger, werden in Schichten tätig. Die Be-<br />

klagte deckt das tägliche Fahrgastaufkommen infolge unterschiedlicher Nachfrage<br />

nach den Transportleistungen in den jeweiligen Tageszeiten nach einem entspre-<br />

chenden Turnusplan. Darin ist der Kläger in einem Schicht- und Dienstplan in Schich-<br />

ten mit einer Schichtfolge von vier Tagen Arbeit - zwei Tagen dienstfrei - vier Tagen<br />

Arbeit - … ohne Rücksicht auf Sonntage eingesetzt. Der Dienstplan basiert darauf,<br />

dass jeweils einem Dienst acht Stunden (in der Regel sieben Stunden und 50 Minuten<br />

einschließlich der Wendezeiten plus zehn Minuten Vorbereitungs- und Abschlusszeiten)<br />

zugrunde gelegt werden. Er unterteilt sich in zwei Teile von jeweils ca.<br />

vier Stunden. Der Kläger erbringt seine Arbeit zwar in einem sog. ungeteilten Dienst,<br />

jedoch in zwei Teilen einer Schicht, die die unterschiedliche Nachfrage nach den<br />

Transportleistungen berücksichtigt. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Sachvortrag<br />

der Beklagten beruht dieser Linienwechsel auch „auf dem erklärten Wunsch<br />

des Betriebsrats, der damit der Forderung der Fahrerschaft Rechnung trägt, die die<br />

Bedienung einer Linie über die gesamte Schicht hinweg als zu eintönig empfindet“.<br />

Der Kläger ist nicht ständig auf derselben Transportlinie eingesetzt. Er befährt zunächst<br />

in der ersten Teilschicht eine bestimmte Buslinie und stellt das Fahrzeug nach<br />

Ende dieser Teilschicht an einer bestimmten Ablösestelle ab. In der unmittelbaren<br />

Nähe dieser Ablösestelle gibt es Pausenräume der Beklagten, die von ihm jedoch<br />

nicht benutzt werden müssen. Im zweiten Schichtteil übernimmt dann der Kläger entweder<br />

an derselben Ablösestelle oder an einer anderen den Omnibus einer anderen<br />

Linie und fährt den zweiten Teil seiner Schicht. In letzterem Falle begibt er sich von<br />

der ersten Ablösestelle zur zweiten und genau um diese vergütungsrechtliche und<br />

sonstige arbeitsrechtliche Behandlung der dadurch erforderlichen Wegezeit geht es<br />

im hier zu entscheidenden Rechtsstreit. Bei der Beklagten gibt es unstreitig das Zeiterfassungs-<br />

und -verwaltungssystem „Pro-Fahr“, das im Rahmen einer Dienstschicht<br />

Zeiten von Ablösestelle zu Ablösestelle enthält. Diese Zeiten orientieren sich an den<br />

Fahrplänen der öffentlichen Verkehrsmittel der Beklagten vom einen <strong>zum</strong> anderen<br />

Ablöseort. Der Kläger ist jedoch nicht verpflichtet, bei seinem Weg vom ersten <strong>zum</strong><br />

zweiten Ablöseort die öffentlichen Verkehrsmittel der Beklagten zu nutzen; tut er<br />

dies, so wird ihm insoweit der Fahrpreis ersetzt.<br />

In der Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2006 weist das vorerwähnte System „Pro-<br />

Fahr“ 23,40 Stunden als Wegezeiten aus, die die Beklagte jedoch seinem Arbeitszeitkonto<br />

nicht gutgeschrieben hat. Sie weigert sich, entsprechende Wegezeiten


4<br />

auch für die Zukunft als vergütungspflichtige Arbeitszeit seinem Arbeitskonto gutzu-<br />

schreiben.<br />

Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es auf die folgenden tariflichen Bestimmungen<br />

an:<br />

BMT-G II<br />

§ 2 Abs. 1 lit. a:<br />

Für Arbeiter, die beschäftigt sind im Betriebs- und Verkehrsdienst von<br />

Nahverkehrsbetrieben, … gilt dieser Tarifvertrag mit den Sondervereinbarungen<br />

der Anlagen 1 bis 10 a. Die Sondervereinbarungen sind<br />

Bestandteile dieses Tarifvertrages.<br />

§ 14 Abs. 1 und 6:<br />

(1) Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen<br />

durchschnittlich 38 ½ Stunden wöchentlich …<br />

(6) Der Weg zu und von der Arbeitsstelle (dem Sammelplatz) wird in<br />

die regelmäßige Arbeitszeit nicht eingerechnet. Abweichungen<br />

können betrieblich vereinbart werden.<br />

§ 15 Abs. 1:<br />

Die Arbeitszeit beginnt und endet an dem vorgeschriebenen Arbeitsplatz,<br />

bei wechselnden Arbeitsplätzen an dem jeweils vorgeschriebenen<br />

Arbeits- oder Sammelplatz.<br />

Sondervereinbarung gem. § 2 Abs. 1 S. 1 Buchst. a BMT-G II für Arbeiter<br />

im Betriebs- und Verkehrsdienst von Nahverkehrsbetrieben<br />

(künftig: SV-Bund)<br />

§ 28:<br />

Diese Sondervereinbarung gilt nicht im Bereich des Kommunalen Arbeitgeberverbandes<br />

Bayern.<br />

Bezirkstarifvertrag Nr. 4 <strong>zum</strong> BMT-G II als Sondervereinbarung gem.<br />

§ 2 Buchst. a BMT-G II für Arbeiter im Fahrdienst bei Nahverkehrsbetrieben<br />

im Bereich des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern<br />

vom 8. November 1962 (künftig: BTV Nr. 4)<br />

§ 1:<br />

Die dienstplanmäßige tägliche Arbeitszeit darf acht Stunden und dreißig<br />

Minuten, in Ausnahmefällen neun Stunden und dreißig Minuten, in<br />

der Dienstschicht nicht übersteigen …


5<br />

§ 2:<br />

Arbeitsplatz im Sinne des § 15 Abs. 1 BMT-G II ist das Fahrzeug oder<br />

der angewiesene Aufenthaltsplatz.<br />

§ 3:<br />

Wenn die Betriebsverhältnisse es zulassen, sollen möglichst ungeteilte<br />

Dienste eingerichtet werden. Andernfalls soll die Dienstschicht nur<br />

einmal geteilt werden. Dabei soll jeder Teil der Dienstschicht mindestens<br />

zwei Stunden betragen.<br />

§ 4:<br />

(1) Für Vorbereitungs- und Abschlussdienst sind zehn Minuten in die<br />

Arbeitszeit einzurechnen. Für Abrechnung und Einzahlung sind<br />

ggf. zusätzlich<br />

a) bei täglicher Einzahlung 15 Minuten,<br />

b) bei nicht täglicher Einzahlung 10 Minuten<br />

in die Arbeitszeit einzurechnen.<br />

(2) Wendezeiten werden in die Arbeitszeit eingerechnet. Soweit<br />

planmäßige Wendezeiten innerhalb der Dienstschicht zwei Stunden<br />

- bei Kraftverkehrsbetrieben im Land- und Überlandverkehr<br />

eine Stunde - überschreiten, gilt die über diese Zeit hinausgehende<br />

Zeit als Arbeitsbereitschaft.<br />

(3) Für die Regelung der Pausen gelten die Vorschriften der AZO<br />

bzw. der Fahrpersonalverordnung.<br />

Protokollerklärung:<br />

Für den Bereich der S. GmbH kann örtlich eine von Satz 1 abweichende<br />

Regelung vereinbart werden. Die Zeitspanne von zehn Minuten darf<br />

dabei nicht überschritten werden.<br />

§ 5:<br />

(1) Die Dienstschicht umfasst die reine Arbeitszeit, die Pausen und<br />

die Wendezeiten. Sie soll innerhalb eines Zeitraums von zwölf<br />

Stunden liegen. In betriebsnotwendigen Fällen kann dieser Zeitraum<br />

bis auf 14 Stunden ausgedehnt werden …<br />

Alle drei vorgenannten Tarifverträge traten am 1. April 1962 in Kraft.<br />

Örtliche Tarifvereinbarung Nr. B 54 zu § 14 Abs. 6 Satz 2 BMT-G II<br />

zwischen der L. als Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Gewerkschaft<br />

ÖTV vom 20. Mai 1977 (künftig: örtliche Tarifvereinbarung<br />

Nr. B 54)<br />

§ 1:<br />

Arbeiter im Fahrdienst der S.-Verkehrsbetriebe erhalten eine Wegezeitentschädigung.<br />

Die Wegezeitentschädigung wird aus betrieblichen<br />

Gründen (u. a. Fahr- und Dienstplangestaltung) in Form entschädigter<br />

Wegezeiten und entschädigter Arbeitspausen gewährt. Es handelt sich<br />

jedoch um eine einheitlich zu bewertende Entschädigung für das Zu-


6<br />

rücklegen des Weges von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück<br />

und von einer Arbeitsstelle zur anderen.<br />

§ 2 Pauschale Entschädigung der Wegezeiten:<br />

1. Die Entschädigung einer Wegezeit setzt voraus, dass die Ablösestelle<br />

mehr als drei Kilometer in der Luftlinie vom zuständigen Betriebshof,<br />

bei der U-Bahn von der Betriebshofverwaltung (z. Zt.<br />

S.-Platz) entfernt liegt. Bei besonders ungünstigen Wegeverbindungen<br />

kann im Ausnahmefall statt der Luftlinie der kürzeste,<br />

dem öffentlichen Verkehr dienende, ggf. der von öffentlichen Verkehrsmitteln<br />

befahrene Weg zugrunde gelegt werden, wenn die<br />

Entfernung der Ablösestelle vom Betriebshof, bei der U Bahn von<br />

der Betriebshofverwaltung mindestens 4 Kilometer beträgt.<br />

2. Bei Beginn oder Ende des Dienstes an Ablösestellen außerhalb<br />

des 3-kilometer-Umkreises bzw. im Sonderfall der 4-kilometer-<br />

Entfernung werden pauschal 20 Minuten Wegezeit entschädigt.<br />

a) bei Beginn des ersten Dienstteiles,<br />

b) bei Beendigung des ersten Dienstteiles, wenn anschließend<br />

eine Unterbrechung der Arbeitszeit von mehr als<br />

75 Minuten folgt,<br />

c) bei Beginn des zweiten Dienstteiles nach einer Unterbrechung<br />

der Arbeitszeit von mehr als 75 Minuten,<br />

d) bei Beendigung des zweiten Dienstteiles.<br />

3. Beginnt und endet die Arbeitspause von nicht mehr als 75 Minuten<br />

an verschiedenen Ablösestellen und liegen beide oder eine<br />

davon außerhalb der maßgebenden Entfernungen (3 bzw. 4 km),<br />

so wird einmal eine Wegezeit bis zu 20 Minuten entschädigt. Die<br />

Pauschale von 20 Minuten gilt für Pausen von 50 bis einschließlich<br />

75 Minuten. Dauert die Pause weniger als 50 Minuten, wird<br />

nur die 30 Minuten übersteigende Zeit entschädigt.<br />

(4) Für den Dienstbeginn und die Beendigung des Dienstes im Betriebshof,<br />

bei der U-Bahn bei der Betriebshofverwaltung und an<br />

Ablösestellen innerhalb von 3 km bzw. 4 km Entfernung wird keine<br />

Wegezeitentschädigung gewährt.<br />

(5) Es wird auch keine Wegezeit entschädigt, wenn die Beendigung<br />

des ersten Dienstteiles und der Beginn des zweiten Dienstteiles<br />

bei Pausen von höchstens 75 Minuten an ein und derselben Ablösestelle<br />

erfolgen.<br />

Protokollnotiz zu § 2:<br />

Ablösestellen sind Orte außerhalb des Betriebshofes, bei der U-Bahn<br />

außerhalb der Betriebshofverwaltung, an denen der Dienst bzw.<br />

Dienstteil beginnt oder endet oder Arbeitspausen beginnen oder enden.<br />

§ 5 Inkrafttreten, Kündigung:<br />

Diese Tarifvereinbarung tritt am 1. Juni 1977 in Kraft. Sie kann mit einer<br />

Frist von vier Wochen eines Kalendervierteljahres schriftlich gekündigt<br />

werden.


7<br />

Protokollerklärung:<br />

Die Vertragspartner erklären sich bereit, ohne Kündigung der Tarifvereinbarung<br />

über eine Änderung der Wegezeitentschädigung zu verhandeln,<br />

wenn die erwartete Erweiterung des städtischen U-Bahn-Netzes<br />

zu erheblichen Änderungen im Fahrverkehr bei Bus oder Straßenbahn<br />

führt. Die evtl. Auflösung eines der Betriebshöfe Ost, West, zwei oder<br />

drei wird z. B. als erhebliche Veränderung angesehen.<br />

Tarifvertrag S. Nr. 204 vom 16. Dezember 2003 (künftig: TV S. Nr.<br />

204)<br />

§ 1 Geltungsbereich:<br />

Dieser TV gilt für alle Beschäftigten des Unternehmensbereiches Verkehr<br />

der S. GmbH, die unter den Geltungsbereich des BMT-G II bzw.<br />

des BAT fallen.<br />

§ 2 Örtliche Tarifvereinbarung Nr. B 54 vom 20.05.1977:<br />

(1) Die örtliche Tarifvereinbarung B 54 zu § 14 Abs. 6 Satz 2 BMT-<br />

G II vom 20.05.1977 … wird <strong>zum</strong> 31. Dezember 2003 durch die<br />

vorstehende Tarifvereinbarung vollständig abgelöst.<br />

(2) Für die Abgeltung von Wegezeiten wird für Arbeiter und Arbeiterinnen<br />

im Fahrdienst ab 01.01.2004 eine Pauschale von 3,50 Euro<br />

je geleisteten Dienst bezahlt …<br />

(3) Als Ausgleich erhalten Beschäftigte, die am 01.06.2000 in einem<br />

unbefristeten Beschäftigungsverhältnis gestanden sind und am<br />

31.12.2003 Wegegeld nach der örtlichen Tarifvereinbarung B 54<br />

bezogen haben, im März 2004 eine einmalige Abfindung (Brutto).<br />

Diese entspricht je Arbeitnehmer 62,5 % des im Jahre 2003 ausbezahlten<br />

Wegegeldes.<br />

§ 4 Inkrafttreten, Laufzeit:<br />

Der Tarifvertrag tritt am 01.01.2004 in Kraft und kann mit einer Frist<br />

von drei Monaten <strong>zum</strong> Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt<br />

werden, frühestens <strong>zum</strong> 31.12.2005. Die Nachwirkung wird ausgeschlossen.<br />

Der BTV Nr. 4 war vom Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern e. V. <strong>zum</strong> 30. Juni<br />

2004 gekündigt worden, der TV S. Nr. 204 <strong>zum</strong> 31. Dezember 2005.<br />

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht vorgetragen,<br />

die Zeit, um von der ersten Ablösestelle (nach Abschluss des ersten Schichtteils) zur<br />

zweiten Ablösestelle (Beginn des zweiten Schichtteils) zu gelangen, sei, da sie innerhalb<br />

der gleichen Schicht erfolge und erforderlich sei, um seine Arbeitsleistung zu<br />

erbringen, als Arbeitszeit zu qualifizieren und daher auch entsprechend zu vergüten.<br />

Arbeitszeit sei nicht lediglich diejenige Zeit, die am Arbeitsplatz selbst, d. h. auf dem


8<br />

jeweiligen Fahrzeug verbracht werde. Insbesondere ergebe die Auslegung des BTV<br />

Nr. 4 in Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung, dass die vorerwähnten Wegezeiten<br />

als Arbeitszeiten zu werten seien. Insoweit verweist er auch auf die Entscheidung<br />

des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 9. März 2006 (3 Sa 48/05).<br />

Da die Beklagte mit ihrem Zeiterfassungs- und -verwaltungssystem „Pro-Fahr“ diese<br />

Wegezeiten für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2006 in Höhe von 23,40 Stunden<br />

erfasst habe, seien ihm diese auch als Arbeitszeit auf seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.<br />

Im Übrigen müsse prinzipiell festgestellt werden, dass sie verpflichtet sei,<br />

seine im vorgenannten Zeiterfassungs- und -verwaltungssystem erfassten Wegezeiten<br />

während einer Dienstschicht von Ablösestelle zu Ablösestelle als vergütungspflichtige<br />

Arbeitszeit seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Für den Fall seines<br />

Unterliegens insoweit bedürfe es der Feststellung, dass er bei geteilten Dienstschichten<br />

jedenfalls nach Beendigung der ersten Teilschicht und vor Beginn der zweiten<br />

nach § 4 ArbZG nicht verpflichtet sei, Anweisungen der Beklagten, sich an eine andere<br />

Ablösestelle zu begeben, Folge zu leisten.<br />

Der Kläger hat daher vor dem Arbeitsgericht zuletzt folgende Anträge gestellt:<br />

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für den<br />

Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 2006 Wegezeiten in Höhe von<br />

23,40 Stunden als Arbeitszeit gutzuschreiben.<br />

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die im Zeiterfassungs-<br />

und -verwaltungssystem „Pro-Fahr“ erfassten Wegezeiten des<br />

Klägers während einer Dienstschicht von Ablösestelle zu Ablösestelle<br />

als vergütungspflichtige Arbeitszeit dem Arbeitszeitkonto des Klägers<br />

gutzuschreiben.<br />

Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit Antrag 2:<br />

Es wird festgestellt, dass der Kläger bei geteilten Dienstschichten nach<br />

Beendigung der ersten Teilschicht und vor Beginn der zweiten Teilschicht<br />

nach § 4 ArbZG nicht verpflichtet ist, Anweisungen der Beklagten,<br />

insbesondere der Anweisung, sich an eine andere Ablösestelle zu<br />

begeben, Folge zu leisten, es sei denn, es liegt ein außergewöhnlicher<br />

Fall nach § 14 ArbZG vor.<br />

Die Beklagte hat beantragt:<br />

Die Klage wird abgewiesen.


9<br />

Sie hat vorgetragen,<br />

die Wegezeiten zwischen der ersten Ablösestelle (nach Beendigung des ersten<br />

Schichtteils) und der zweiten Ablösestelle (Beginn des zweiten Schichtteils) seien<br />

keine Arbeitszeit für den Kläger. Dies ergebe sich aus den tarifvertraglichen Regelungen<br />

über die zu vergütende Arbeitszeit, worin gerade diese Wegezeiten nicht genannt<br />

seien; die tariflichen Regelungen seien insoweit abschließend. Im Übrigen wird<br />

auf ihre Ausführungen mit Schriftsatz ihrer erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten<br />

vom 26. Mai 2006 (Bl. 16 - 24 d. A.) verwiesen.<br />

Das Arbeitsgericht hat mit Endurteil vom 2. August 2006, das der Beklagten am<br />

22. September 2006 zugestellt worden ist, den beiden Hauptanträgen der Klage vollinhaltlich<br />

entsprochen. Auf die darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen und<br />

angestellten rechtlichen Erwägungen wird verwiesen.<br />

Dagegen hat die Beklagte mit einem am 4. Oktober 2006 am Landesarbeitsgericht<br />

eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und sie, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />

bis 22. Dezember 2006, mit einem hier am Vortag eingegangenen<br />

Schriftsatz begründet.<br />

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags führt sie<br />

insbesondere aus,<br />

es bleibe dabei, dass die Wegezeiten, die der Kläger von der ersten Ablösestelle<br />

(nach Beendigung seiner Arbeitszeit im ersten Schichtteil) bis zur zweiten Ablösestelle<br />

(Beginn seiner Arbeitszeit im zweiten Schichtteil) zurücklege, keine zu vergütende<br />

Arbeitszeit sei. Dies gelte jedenfalls für die Zeit, ab der der Kläger seine Ansprüche<br />

nunmehr geltend mache. Lediglich in der örtlichen Tarifvereinbarung Nr. B 54 sei in<br />

§ 1 grundsätzlich und in § 2 eine pauschale Entschädigung der Wegezeiten geregelt<br />

gewesen, doch sei diese durch § 2 Abs. 1 und 2 des TV S. Nr. 204 abgelöst worden<br />

und für die Abgeltung der Wegezeiten ab 1. Januar 2004 eine Pauschale von € 3,50<br />

je geleisteten Dienst vorgesehen gewesen, die auch gewährt worden sei. Mit Kündigung<br />

dieses Tarifvertrages <strong>zum</strong> 31. Dezember 2005 entfalle auch diese Entschädigungsregelung<br />

<strong>zum</strong> 1. Januar 2006; eine Nachwirkung sei durch § 4 S. 2 dieses Tarifvertrages<br />

ausgeschlossen. Es bleibe daher dabei, dass infolge der abschließenden


10<br />

tariflichen Regelung, was als Arbeitszeit zu qualifizieren sei, die vom Kläger genann-<br />

te Wegezeit nicht als Arbeitszeit zu vergüten sei.<br />

Im Übrigen sei seine Klage in Ziff. 1. deshalb unbegründet, weil er für die von ihm<br />

behaupteten 23,40 Stunden Wegezeit beweisfällig geblieben sei, obgleich ihn die<br />

Darlegungs- und Beweislast treffe. Er könne insoweit nicht auf die im Dienstplan<br />

ausgewiesenen Zeiten verweisen, weil dieser lediglich von ihren, der Beklagten, Vorstellungen<br />

ausgehe, nicht aber von den tatsächlich entstandenen Zeiten.<br />

Deshalb stellt sie folgenden Antrag:<br />

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts<br />

München vom 2. August 2006 - Gz.: 7 Ca 3928/06 - abgeändert. Die<br />

Klage wird abgewiesen.<br />

Der Kläger beantragt:<br />

Die Berufung wird zurückgewiesen.<br />

Er hält das angegriffene Urteil für richtig und wiederholt und vertieft ebenfalls seinen<br />

erstinstanzlichen Sachvortrag.<br />

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsprotokolle,<br />

die Schriftsätze der Parteien und den sonstigen Akteninhalt beider Rechtszüge verwiesen.<br />

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e<br />

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet, weshalb das angegriffene<br />

arbeitsgerichtliche Urteil entsprechend zu ändern und die Klage abzuweisen ist.


11<br />

I.<br />

Die Berufung ist zulässig.<br />

Sie ist statthaft, denn sie richtet sich gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil, gegen das<br />

nicht nach § 78 ArbGG das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist und<br />

der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt € 600,-- (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2<br />

lit. b ArbGG).<br />

Sie ist auch in der richtigen Form und rechtzeitig eingelegt und begründet worden<br />

(§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, §§ 519 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1, 2 und 5<br />

ArbGG).<br />

II.<br />

Die Berufung ist auch begründet, denn die Wegezeit von der ersten Abholstelle des<br />

Klägers (nach Beendigung seiner Arbeit im ersten Schichtteil) zu seiner zweiten<br />

(Aufnahme seiner Arbeit zu Beginn des zweiten Schichtteils) stellt keine vergütungspflichtige<br />

Arbeitszeit dar, weshalb die Klage in den Hauptanträgen unbegründet ist.<br />

Es erscheint allerdings geboten, darauf hinzuweisen, dass der Kläger seinen zuletzt<br />

erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag in der Berufung nicht ausdrücklich wiederholt<br />

hat, sich jedoch aus Ziff. II. 2. seines Berufungsbeantwortungsschriftsatzes ergibt,<br />

dass er ihn infolge seines Unterliegens weiterverfolgt, wobei erstinstanzlich darüber<br />

nicht entschieden zu werden brauchte, weil den beiden Hauptanträgen entsprochen<br />

worden war. In einem derartigen Fall ist der Hilfsantrag des Klägers ohne weiteres in<br />

der Berufungsinstanz angefallen, ohne dass es einer Anschlussberufung bedarf. Das<br />

Berufungsgericht hat deshalb, wenn es den Hauptantrag abweisen will, auch über<br />

den Hilfsantrag zu befinden (BGH vom 29. Januar 1964 - V ZR 23/63 - BGHZ 41, 38<br />

(39, 40)).<br />

1. Die Berufung der Beklagten ist deshalb begründet, weil die Wegezeiten<br />

zwischen der ersten Ablösestelle (am Ende des ersten Schichtteils) zur zweiten Ablösestelle<br />

(Aufnahme der Arbeit des Klägers im zweiten Schichtteil) keine vergü-


12<br />

tungspflichtige Arbeitszeit darstellt. Deshalb sind die vom Kläger verlangten 23,40<br />

Stunden Wegezeiten im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 2006 ihm auch nicht<br />

auf sein Arbeitszeitkonto gutzuschreiben und es ist auch nicht festzustellen, dass die<br />

Beklagte verpflichtet ist, seine in ihrem Zeiterfassungs- und -verwaltungssystem „Pro-<br />

Fahr“ erfassten Wegezeiten während der Dienstschicht von Ablösestelle zu Ablösestelle<br />

der vergütungspflichtigen Arbeitszeit auf seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.<br />

1.1 Insbesondere bestehen keine Bedenken gegen den Feststellungsantrag<br />

in Ziff. 2. der Klage, denn das gem. § 256 Abs. 1 ZPO zu fordernde Feststellungsinteresse<br />

ist hier schon deshalb anzuerkennen, weil, wie das Arbeitsgericht<br />

richtig erkannt hat, eine Verweisung des Klägers auf eine Leistungsklage nicht erforderlich<br />

erscheint, da davon auszugehen ist, dass sich die Beklagte an das Feststellungsurteil<br />

halten werde und so für den Streitgegenstand eine endgültige Klärung<br />

herbeigeführt werden kann.<br />

1.2 Die Klage ist jedoch deshalb unbegründet, weil die Wegezeiten zwischen<br />

der ersten Abholstelle (Ende der Arbeitszeit im ersten Schichtteil) und der<br />

zweiten Abholstelle (Aufnahme der Arbeit zu Beginn des zweiten Schichtteils) keine<br />

vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellt und deshalb auch keinen entsprechenden<br />

Anspruch begründen kann. Ein derartiger Anspruch ergibt sich weder aus § 611<br />

Abs. 1 BGB i. V. mit einer ausdrücklichen Regelung im schriftlichen Arbeitsvertrag<br />

der Parteien, noch einer solchen aufgrund einer mündlichen Zusage, noch aufgrund<br />

beiderseitiger Tarifbindung, noch aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung entsprechender<br />

Tarifverträge.<br />

1.2.1 Eine ausdrückliche Verpflichtung der Beklagten zur Vergütung derartiger<br />

Wegezeiten in arbeitsvertraglichen Vereinbarungen oder tarifvertraglichen Regelungen<br />

behauptet der Kläger nicht einmal selbst.<br />

1.2.2 Lediglich in der örtlichen Tarifvereinbarung Nr. B 54 und im TV S.<br />

Nr. 204 ist allerdings von Wegezeitentschädigungen für die hier streitigen Wegezeiten<br />

die Rede. Allerdings wird gerade die vorgenannte örtliche Tarifvereinbarung<br />

Nr. B 54 durch § 2 Abs. 1 des vorgenannten TV S. Nr. 204 vollständig abgelöst. Nach


13<br />

dessen Abs. 2 erhalten die Arbeiter im Fahrdienst für die Abgeltung von Wegezeiten<br />

ab 1. Januar 2004 eine Pauschale in Höhe von € 3,50 je geleisteten Dienst; nach § 2<br />

Abs. 3 TV S. Nr. 204 erhalten darüber hinaus die Beschäftigten, die am 1. Juni 2000<br />

in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis gestanden und am 31. Dezember<br />

2003 Wegegeld nach der örtlichen Tarifvereinbarung Nr. B 54 bezogen haben, im<br />

März 2004 eine einmalige Abfindung in Höhe von 62,5 % des im Jahre 2003 ausgezahlten<br />

Wegegeldes. Damit ist nach dem TV S. Nr. 204 eine abschließende Neuregelung<br />

über eine Entschädigung hinsichtlich der hier streitigen Wegezeiten getroffen<br />

worden, eine Regelung, die jedoch hinter den hier vom Kläger geltend gemachten<br />

Anspruch zurückfällt.<br />

Der Tarifvertrag S. Nr. 204 ist allerdings unstreitig wirksam <strong>zum</strong> 31. Dezember 2005<br />

gekündigt worden und aus seinem § 4 l. S. ergibt sich, dass eine Nachwirkung ausgeschlossen<br />

ist. Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 3. September 1986<br />

(5 AZR 319/85 - AP Nr. 12 zu § 4 TVG Nachwirkung) wirkt ein gekündigter Tarifvertrag<br />

entgegen § 4 Abs. 5 TVG nicht nach, wenn die Tarifvertragsparteien die Nachwirkung<br />

ausschließen; dies ist hier der Fall. Das aber bedeutet, dass nicht einmal<br />

etwaige Ansprüche aufgrund § 2 Abs. 2 TV S. Nr. 204 in Gestalt einer Pauschale in<br />

Höhe von € 3,50 je geleisteten Dienst für entsprechende Wegezeiten der Arbeiter<br />

nach dem 31. Dezember 2005 (= Zeitpunkt, zu dem dieser Tarifvertrag gekündigt<br />

worden ist) gezahlt werden müssen. Von einer ausdrücklichen Vergütung dieser Wegezeiten<br />

als Arbeitszeit - oder wie eine solche - ist in den beiden vorerwähnten Tarifverträgen<br />

mit keinem Wort die Rede.<br />

1.2.3 Eine Auslegung des Arbeitsvertrages dahingehend, diese Wegezeiten<br />

wie Arbeitszeit zu vergüten, scheidet ebenfalls aus, denn er enthält, wie bereits erwähnt,<br />

überhaupt keine ausdrückliche Vergütungsregelung.<br />

Wie das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 21. Dezember 2006 (6 AZR<br />

341/06 - AP Nr. 10 zu § 611 BGB Wegezeit) erkannt hat, ist im Unterschied zu der<br />

Wegezeit von der Wohnung zur Betriebsstätte und von der Betriebsstätte zur Wohnung,<br />

die nicht als Arbeitszeit zu vergüten ist, ein Dienstgang, um an einen außerhalb<br />

des Betriebes der Arbeitgeberin liegenden Arbeitsplatz zu gelangen, normalerweise<br />

zu vergütende Arbeitszeit, allerdings sofern keine gegenteilige tarif- oder einzelvertragliche<br />

Regelung getroffen worden ist, denn ein Arbeitnehmer schuldet nicht<br />

allein die Aufwendung von Arbeitskraft, sondern braucht diese auch nur in einem be-


14<br />

stimmten zeitlichen Rahmen für die Arbeitgeberin einzusetzen. Verbraucht er diesen<br />

zeitlichen Rahmen durch Weg und Zeit und damit dadurch, dass die Arbeitgeberin<br />

die Arbeitsstätte des Arbeitnehmers an einen Ort außerhalb des Betriebes legt, so ist<br />

die in ihrem Interesse für ihn verbrachte Wegezeit zwischen Betrieb und Arbeitsplatz<br />

seine Arbeitsleistung. Er befriedigt damit weisungsgebunden die Arbeitsbedürfnisse,<br />

die aus unternehmerischen Anlässen an einem außerhalb des Betriebes gelegenen<br />

Ort auftauchen. Dies gilt erst recht für Wegezeiten, die auf Weisung der Arbeitgebe-<br />

rin innerhalb des Betriebes anfallen.<br />

1.2.3.1 Von entscheidender Bedeutung ist daher, ob es eine gegenteilige tarifvertragliche<br />

Regelung überhaupt gibt.<br />

Als derartige Regelung käme hier allenfalls, wenn sie nicht bereits durch die örtliche<br />

Tarifvereinbarung Nr. B 54 und den TV S. Nr. 204 ausgeschlossen wäre, der BTV<br />

Nr. 4 als eine der Sondervereinbarungen, die in § 2 Abs. 1 lit. a BMT-G II genannt<br />

sind, in Betracht. Da darin auch nicht ausdrücklich die hier in Streit stehenden Wegezeiten<br />

der vergütungspflichtigen Arbeitszeit zuzuordnen sind, kommt es darauf an, ob<br />

dies nicht eine Auslegung dieses Tarifvertrages ergibt.<br />

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung<br />

des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden<br />

Regeln, wonach zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen ist, wobei der maßgebliche<br />

Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften und<br />

bei nicht eindeutigem Wortlaut der Wille der Tarifvertragsparteien nur mit zu berücksichtigen<br />

ist, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat.<br />

Dabei ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der Anhaltspunkte<br />

für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert, weil nur so der Sinn<br />

und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Erst, wenn auch dann<br />

keine zweifelsfrei Auslegungsergebnisse erzielt werden können, können weitere Kriterien<br />

wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages oder auch seine praktische<br />

Tarifübung zur Auslegung ergänzend herangezogen werden. Im Zweifel ist derjenigen<br />

Tarifauslegung der Vorzug zu geben, die zu einer vernünftigen, sachgerechten,<br />

zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG vom 21. Dezember<br />

2006, a. a. O.).


15<br />

1.2.3.2 Diese Maßstäbe zugrunde gelegt ergibt sich, dass der BTV Nr. 4, ob-<br />

gleich er keine ausdrückliche enumerative Aufzählung von Zeiten enthält, die als Ar-<br />

beitszeit voll zu vergüten sind, dennoch eine abschließende Regelung enthält, ähn-<br />

lich der Anlage 3 <strong>zum</strong> Bezirkstarifvertrag kommunaler Nahverkehrsbetriebe für die<br />

St. AG, die insoweit vom Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 21. Dezember<br />

2006 (a. a. O.) entsprechend ausgelegt worden ist.<br />

Die Berufungskammer teilt nicht die Rechtsauffassung der Beklagten, dass es entscheidungserhebliche<br />

Unterschiede dieser Regelung im Verhältnis <strong>zum</strong> BTV Nr. 4<br />

gibt.<br />

In beiden ist die Arbeitszeit als solche nicht ausdrücklich definiert. § 2 Abs. 1 S. 1 der<br />

vorgenannten Anlage 3 ist bis auf den dortigen Klammerzusatz („einschließlich der in<br />

§ 4 Abs. 1 Satz 1 genannten Zeiten“), dem keine entscheidende Bedeutung zukommt,<br />

identisch mit § 5 Abs. 1 S. 1 BTV Nr. 4, wenn es darin heißt, dass die Dienstzeit<br />

die reine Arbeitszeit, die Pausen und die Wendezeiten umfasst. In beiden Vorschriften<br />

wird nämlich lediglich der Begriff der Dienstschicht lediglich als ein äußerer<br />

zeitlicher Rahmen umschrieben, innerhalb dessen der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin<br />

zur Verfügung stehen muss. Er umfasst Zeiten von der Vollarbeit bis hin zu arbeitsschutzrechtlichen<br />

Ruhepausen, ohne eine Regulierung zur Vergütung zu treffen.<br />

Lediglich in § 4 Abs. 1 S. 1 BTV Nr. 4 wird bestimmt, dass für Vorbereitungs- und<br />

Abschlussdienst zehn Minuten und in dessen S. 2 für Abrechnung und Einzahlung<br />

weitere genau bestimmte Zeiten sowie nach dessen Abs. 2 Wendezeiten in die Arbeitszeit<br />

eingerechnet werden. Gerade die Formulierung der Einrechnung dieser Zeiten<br />

in die Arbeitszeit lässt deutlich einen Zusammenhang mit der Arbeitszeit erkennen,<br />

die am Arbeitsplatz entsteht, der durch § 2 BTV Nr. 4 definiert ist als das „Fahrzeug<br />

oder der angewiesene Aufenthaltsplatz“.<br />

Die Wegezeiten, um die es hier geht, nämlich die Zeiten, die der Arbeitnehmer<br />

braucht, um von einer Ablösestelle zur nächsten zu gelangen, sind damit nicht nur<br />

nicht erwähnt, sondern aus ihrer fehlenden Nennung ist zu schließen, dass sie nach<br />

dem Willen der Tarifvertragsparteien nicht zu vergüten sind.<br />

Die Tarifgeschichte, insbesondere die örtliche Tarifvereinbarung Nr. B 54 und der TV<br />

S. Nr. 204 bestätigen letztlich dieses Auslegungsergebnis, denn unter der Anwendung<br />

des BMT-G II waren die hier vom Kläger geltend gemachten Wegezeiten nicht<br />

zu vergüten, was sich aus dessen § 15 Abs. 1 i. V. mit § 2 BTV Nr. 4, wortgleich mit<br />

§ 7 SV-Bund, ergibt. Erst über die örtliche Tarifvereinbarung Nr. B 54 wurden die


16<br />

vom Kläger geltend gemachten Wegezeiten positiv i. S. einer Wegezeitentschädi-<br />

gung zugunsten der Arbeiter geregelt, jedoch nach § 2 des TV S. Nr. 204 in eine<br />

Pauschalregelung modifiziert und entfielen dann ersatzlos infolge Ausschlusses der<br />

Nachwirkung dieses Tarifvertrages nach dessen Kündigung <strong>zum</strong> 31. Dezember 2005<br />

gem. § 4 S. 2 TV S. Nr. 204.<br />

1.3 Den Tarifvertragsparteien steht im Hinblick auf einen tatsächlichen Regelungsbedarf<br />

z. B. der Vergütungspflicht derartiger Wegezeiten eine Einschätzungsprärogative<br />

zu. Insoweit wird auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom<br />

11. Juli 2006 (9 AZR 519/05 - AP Nr. 10 zu § 611 BGB Dienstreise) verwiesen. Deshalb<br />

ist es nicht Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien<br />

die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung für das Regelungsproblem<br />

gefunden haben, sondern es genügt regelmäßig, wenn sich für ihre<br />

sachverhaltsbezogene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund ergibt. Unwidersprochen<br />

aber deckt der Turnusplan, im Rahmen dessen der Kläger in einem sog.<br />

Normaldienstplan in einem ungeteilten Dienst in zwei Schichtteilen eingesetzt ist,<br />

nicht nur die unterschiedliche Nachfrage nach den Transportleistungen der Beklagten<br />

entsprechend den einzelnen Tageszeiten ab und wahrt dadurch deren Interessen,<br />

sondern beruht auch auf dem erklärten Wunsch des Betriebsrats, dass die Fahrer<br />

die Bedienung einer Linie über eine gesamte Schicht hinweg größtenteils als zu<br />

eintönig empfinden und nimmt so auch Rücksicht auf deren Interessen. Finanzielle<br />

Aufwendungen dafür, dass die Fahrer von einer Ablösestelle zur nächsten kommen,<br />

entstehen ihnen nur dann, wenn sie das Angebot der Beklagten zur kostenfreien<br />

Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel nicht annehmen. Von einer groben Ungerechtigkeit<br />

infolge deren fehlenden Vergütungspflicht kann daher nicht die Rede sein.<br />

Nach alledem aber besteht von vorneherein kein Anspruch des Klägers darauf, dass<br />

die Beklagte seine in ihrem Zeiterfassungs- und -verwaltungssystem „Pro-Fahr“ erfassten<br />

Wegezeiten während einer Dienststelle von Ablösestelle zu Ablösestelle als<br />

vergütungspflichtige Arbeitszeit seinem Arbeitszeitkonto gutschreibt (Klageantrag<br />

Ziff. 2.), weshalb ihm auch die hier auf diese Weise festgestellten 23,40 Stunden für<br />

die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2006 (Klageantrag Ziff. 1.) nicht gutzuschreiben<br />

sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um bloße Rechnungsgrößen


17<br />

oder tatsächliche Wegezeiten handelt; daher kommt es gerade im Hinblick auf Letz-<br />

tere gar nicht mehr darauf an, wen hier die Darlegungs- und Beweislast trifft.<br />

2. Auch soweit die Klage in ihrem Hilfsantrag aufgrund der Entscheidung<br />

der Berufungskammer, das angegriffene Urteil zu ändern und sie in ihren Hauptanträgen<br />

abzuweisen, in die Berufungsinstanz gelangt ist, ist sie unbegründet. Über<br />

diesen Antrag konnte das Arbeitsgericht aufgrund ihres Hilfscharakters gar nicht entscheiden,<br />

weil es den Hauptanträgen entsprochen hatte.<br />

Es ist jedoch zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger seine Arbeit im Rahmen<br />

einer Schicht mit zwei Schichtteilen zu verrichten hat. Dies macht es zwingend<br />

notwendig, dass er von der Ablösestelle am Ende des ersten Schichtteils zur Ablösestelle<br />

des zweiten Schichtteils kommt, wenn diese von der ersten entfernt ist. Dazu<br />

bedarf es gar keiner entsprechenden Anweisungen der Beklagten. Soweit der Kläger<br />

in seinem Hilfsantrag offensichtlich eine Kollision zwischen einerseits seinem Recht<br />

auf Ruhepausen und andererseits seiner Pflicht, von einer Ablösestelle zur anderen<br />

zu gelangen, sieht, ist dies nicht einsichtig. Zwar ist eine derartige Kollision durchaus<br />

grundsätzlich möglich, falls die Addition der ihm zustehenden Ruhepause einschließlich<br />

der anfallenden Wegezeit höher ist als der Zeitraum zwischen dem Ende des<br />

ersten und dem Beginn des zweiten Schichtteils. Dies ist jedoch nach dem unwidersprochen<br />

gebliebenen Sachvortrag der Beklagten regelmäßig nicht der Fall. Falls der<br />

Kläger sich insoweit darauf berufen will, dass seine Ruhepausen gem. § 4 ArbZG im<br />

Voraus feststehen müssen, so genügt es dieser Anforderung, dass sie jedenfalls<br />

nach dem ersten Schichtteil in einem dann bestehenden zeitlichen Rahmen, in dem<br />

noch zusätzlich Wegezeiten anfallen, genommen werden können. Soweit ersichtlich<br />

hat dies das Bundesarbeitsgericht zwar noch nicht ausdrücklich zu § 4 S. 1 ArbZG<br />

entschieden, doch verweist BT-Drucksache 12/5888 vom 13. Oktober 1993, S. 24<br />

auf die Rechtsprechung zu § 18 AZO, wonach es auf die Vorhersehbarkeit der Ruhepausen<br />

für den Arbeitnehmer ankommt. Dabei genügt es, dass zu Beginn der täglichen<br />

Arbeitszeit ein bestimmter Rahmen feststeht, innerhalb dessen die Ruhepause<br />

genommen werden kann, ohne dass es dazu einer konkreten kollektiven Regelung<br />

oder Absprachen des Klägers mit Kollegen bedarf. In seiner Entscheidung vom<br />

28. September 1972 (5 AZR 198/72 - AP Nr. 9 zu § 12 AZO) hat es einen zeitlichen<br />

Rahmen von zwei Stunden für zulässig erklärt, der hier gewahrt ist.


18<br />

Damit ist der Schutzzweck des § 4 ArbZG durchaus gewahrt, denn es liegt nicht in<br />

der Hand der Beklagten, sondern allein des Klägers, wann er in diesem vorgegebe-<br />

nen zeitlichen Rahmen seine Ruhepausen nehmen will.<br />

Das Gleiche gilt im Übrigen auch dafür, wann und wie er von einer Ablösestelle zur<br />

anderen gelangt.<br />

Nach alledem aber ist die Klage auch im Hilfsantrag unbegründet und daher abzuweisen.<br />

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.<br />

III.<br />

Gegen dieses Urteil wird die Revision <strong>zum</strong> Bundesarbeitsgericht zugelassen. Im Einzelnen<br />

gilt:<br />

Rechtsmittelbelehrung:<br />

Gegen dieses Urteil kann der Kläger Revision einlegen.<br />

Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.<br />

Die Revision muss innerhalb einer Frist von einem Monat eingelegt und innerhalb<br />

einer Frist von zwei Monaten begründet werden.<br />

Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,<br />

spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils.<br />

Die Revision muss beim<br />

Bundesarbeitsgericht<br />

Hugo-Preuß-Platz 1<br />

99084 Erfurt


eingelegt und begründet werden.<br />

19<br />

Postanschrift:<br />

Bundesarbeitsgericht<br />

99113 Erfurt<br />

Fax-Nummer:<br />

(03 61) 26 36 - 20 00<br />

Die Revisionsschrift und Revisionsbegründung müssen von einem Rechtsanwalt unterzeichnet<br />

sein.<br />

Kagerer Aicham-Bomhard Weinzierl<br />

Der ehrenamtliche Richter<br />

Weinzierl ist aus seinem Amt<br />

ausgeschieden<br />

Kagerer<br />

Hinweis der Geschäftsstelle:<br />

Das Bundesarbeitsgericht bittet, alle Schriftsätze in siebenfacher Ausfertigung einzureichen.

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