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Ansprache des Generalsekretärs

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<strong>Ansprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Generalsekretärs</strong><br />

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, Exzellenzen, meine Damen und Herren, liebe Freunde<br />

Zunächst möchte ich Sie daran erinnern, dass Ihnen für ausführlichere Informationen zu den<br />

hier angesprochenen Themen der Tätigkeitsbericht <strong>des</strong> Sekretariats zur Verfügung steht. Ich<br />

möchte nur auf einige Punkte eingehen, die mir besonders wichtig erscheinen:<br />

1. In den vergangenen zwei Jahren ist die Konvention weiter gewachsen und sie hat ihre<br />

Themenbereiche erweitert. Durch drei neue Arbeitsgruppen konnten bisher<br />

"unerforschte" Bereiche erkundet werden: Die Ergebnisse dieser Arbeit sind sichtbar<br />

und einige davon stehen auf der Tagesordnung dieser Konferenz. Nicht zu vergessen<br />

ist auch die bedeutende Arbeit, die im Rahmen der Alpenzustandsberichte geleistet<br />

wurde.<br />

2. Ebenfalls hervorzuheben ist ein gewisses Interesse seitens der EU in den vergangenen<br />

zwei Jahren. Die Kooperationsmöglichkeiten, sei es mit der Europäischen Kommission<br />

oder mit der Europäischen Umweltagentur, haben zugenommen. Dieses Interesse ist<br />

wichtig, auch wenn es sich nicht immer regelmäßig zeigt und nicht immer auf<br />

politischer Ebene zum Ausdruck gebracht wird.<br />

3. Ein informelles Netzwerk der Alpenregionen wurde gegründet. Zu der im Februar<br />

2009 von der Region Rhône‐Alpes ins Leben gerufenen Initiative gab es 2010 eine<br />

Konferenz in Trient und am 8. März 2011 findet hier ein Treffen der Alpenregionen<br />

statt. Verschiedene Regionen haben ihre Beteiligung durch Ad‐hoc‐Beschlüsse formal<br />

bestätigt. Ich freue mich auch, dass erstmals eine Ausgabe der Reihe "Alpensignale" in<br />

Zusammenarbeit mit einer Regionalorganisation (Arge Alp) herausgegeben wurde.<br />

4. Die Konvention hat ihre Rolle als Bezugsrahmen für die wissenschaftliche Arbeit, aber<br />

auch für die internationale Zusammenarbeit ausgebaut, wie die zahlreichen<br />

grenzüberschreitenden Projekte zu Schlüsselthemen der Konvention belegen; das hat<br />

auch das jüngste Forum <strong>des</strong> Alpenraum‐Programms zum demographischen Wandel<br />

einmal mehr deutlich gemacht.<br />

5. Die Popularität der Alpenkonvention ist auch auf internationaler Ebene gestiegen, wie<br />

die zunehmenden Kontakte mit externen Partnern zeigen, seien es Einladungen zu<br />

Konferenzen und Tagungen in Drittländern (in den letzten zwei Monaten haben wir<br />

zum Beispiel zwei Einladungen von Partnern in Russland erhalten), Anfragen zur<br />

Unterstützung bei der Abfassung verschiedener wissenschaftlicher Abhandlungen (die<br />

letzte Anfrage kam erst letzte Woche aus Finnland), Anfragen für Informationen (sogar<br />

aus den USA) oder Publikationen (aus Großbritannien, Holland, Schweden oder<br />

Belgien). Anhand dieser verschiedenen Anfragen kann man die Ergebnisse <strong>des</strong><br />

wichtigsten Kommunikationsprojekts <strong>des</strong> Sekretariats ganz klar in Wert setzen: Die<br />

Rede ist von der Überquerung der Alpen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, an der je<strong>des</strong><br />

Jahr Journalisten aus aller Welt teilnehmen, aber auch von der neuen Homepage der<br />

Alpenkonvention.


Dennoch ist nicht alles optimal und es wäre vermessen, sich nur auf die Lobeshymnen zu<br />

beschränken. Vor allem die politischen Rahmenbedingungen haben sich ungünstig entwickelt.<br />

Die größte Wirtschaftskrise der letzten 30‐35 Jahre ist zu einer politischen Krise geworden<br />

und hat die Prioritäten und die Aufgaben der öffentlichen Verwaltungen verändert. Die<br />

internationalen Organisationen sind die ersten, die das zu spüren bekommen.<br />

Verstärkte Nationalismen, Euroskeptiker und Gegner der internationalen Kooperation haben<br />

die Situation noch verschlimmert. Wir müssen dies zur Kenntnis nehmen, da die<br />

Rahmenbedingungen nicht mehr dieselben wie vor zwei oder vier Jahren und schon gar nicht<br />

wie vor 20 Jahren sind. Selbst bei der Frage der Ratifizierungen gibt es wenig Grund zur<br />

Zufriedenheit: Der EU‐Rat hat das Verkehrsprotokoll nach <strong>des</strong>sen Unterzeichnung im Jahr<br />

2006 und trotz der Empfehlung der Kommission von 2008 nicht ratifiziert. Das Schweizer<br />

Parlament hat sich ebenfalls gegen eine Ratifizierung ausgesprochen, während die<br />

Entscheidung Italiens noch aussteht.<br />

Auch was die konkreten Maßnahmen vor Ort betrifft, kann man nicht vollends zufrieden sein,<br />

obwohl gewisse Fortschritte erzielt wurden. Je mehr wir uns mit der Frage befassen, <strong>des</strong>to<br />

offensichtlicher wird das Fehlen einer echten "territorialen Dimension" der Konvention. Zu<br />

diesem Punkt hat das Sekretariat seine Strategie festgelegt, angefangen mit der Ausarbeitung<br />

von Handbüchern und der Durchführung von Initiativen vor Ort. Aber wie ich schon bei<br />

anderer Gelegenheit in der Vergangenheit betont habe, kann das Sekretariat ‐ das heißt alles<br />

in allem acht Personen ‐ die territorialen Akteure in einem Raum mit über 6.000 Gemeinden<br />

und mehr als 14 Millionen Einwohnern nicht ersetzen. Hier besteht Handlungsbedarf seitens<br />

der Vertragsparteien.<br />

Diese Überlegung veranlasst mich, einen Blick in die Zukunft zu werfen.<br />

Die Alpenkonvention war damals eine Revolution: Die Alpenländer haben sich im ersten<br />

internationalen Abkommen für ein bewohntes geographisches Gebiet ‐ die Alpen als<br />

einzigartige Region im Herzen Europas ‐ verbunden. Einige wichtige Etappen dürfen nicht in<br />

Vergessenheit geraten, wie die Verabschiedung der Protokolle (einschließlich eines<br />

Protokolls zur Streitbeilegung, als hätte man leidenschaftliche Debatten bzw. Konflikte bei<br />

bestimmten Themen „befürchtet“), die Verabschiedung eines Verfahrens zur Überprüfung der<br />

Umsetzung, die Einrichtung eines Ständigen Sekretariats, die "Filiation" in der konkreten<br />

Gestalt der Karpatenkonvention und die mit anderen Berggebieten geknüpften Beziehungen.<br />

Die Aufbruchstimmung scheint in jüngster Zeit allerdings verflogen zu sein. Inzwischen<br />

scheint es sogar schwierig, sich auf allgemeine Richtlinien zu verständigen.<br />

Ferner besteht ein offensichtlicher Widerspruch:<br />

Wir befinden uns scheinbar in der Ära der Makroregionen. Alle reden davon und alle wollen<br />

sie. Wenn das wahre Ziel einer eventuellen makroregionalen Strategie für den Alpenraum die<br />

territoriale Kohäsion ist, dann stellt die Konvention dafür einen unverzichtbaren<br />

Bezugsrahmen dar. Aber wer von territorialer Kohäsion spricht, der spricht von<br />

vergleichbaren Gebieten! Ich glaube, dass wir später noch Gelegenheit haben werden, über<br />

diesen Punkt zu sprechen.


Der Wert der Protokolle als Informationsquelle für die grenzüberschreitende Verwaltung der<br />

Alpen scheint in den Hintergrund zu rücken. Ihr Potenzial ist nach wie vor unverändert. Die<br />

Voraussetzungen für eine Fortsetzung <strong>des</strong> von den "Pionieren" der Konvention<br />

eingeschlagenen Weges sind immer noch gegeben.<br />

Was können wir tun? Die Konvention scheint verstummt und unentschlossen, was ihre<br />

Zukunft angeht. Das ist normal und in gewisser Weise physiologisch. Sie ist zwanzig Jahre alt.<br />

Welche Richtung soll sie wählen? Was soll sie werden, wenn sie groß ist?<br />

Es ist Aufgabe der Eltern, sprich der Staaten, ihr zu helfen, sich zu orientieren und ihren Weg<br />

zu finden.<br />

Es geht hier nicht darum, sie als unreifes Kind zu behandeln, damit sie zu Hause bei den Eltern<br />

bleibt. Nein, es geht darum, die Konvention zu unterstützen, damit sie ihre Talente entfalten<br />

kann.<br />

Was braucht sie?<br />

Staaten/Eltern, die sich aufrichtig bemühen, die Kooperation vor die Verteidigung der kleinen<br />

nationalen Interessen zu stellen.<br />

Wenn der politische Wille fehlt, ist kein Fortschritt möglich. Die mühsamen kleinen Schritte,<br />

die in den vergangenen Jahren gemacht wurden (wie die Diskussion über die Zukunft der<br />

Konvention oder der Klimaplan), würden über kurz oder lang selbst die Akteure der<br />

Konvention entmutigen und zwangsläufig deren Anziehungskraft nach außen mindern.<br />

Aufgrund dieser Überlegungen bin ich der Ansicht, dass die Zukunft der Alpenregion eine<br />

lohnende Investition sein muss. Die Alpen sind das Versuchslabor für eine echte und effektive<br />

Zusammenarbeit, die über die staatlichen Grenzen hinaus geht und eine bessere territoriale<br />

Kohäsion zum Ziel hat.<br />

Wie soll es also weitergehen? Das Potenzial der Arbeitsgruppen muss stärker genutzt werden;<br />

diese sind nicht das "private Eigentum" der Vorsitze, sondern sie sind echte Zentren für den<br />

Wissens‐ und Erfahrungsaustausch sowie für die Datenerhebung und –verarbeitung und sie<br />

stellen wertvolle Instrumente für öffentliche Entscheidungsträger, auch jene auf lokaler<br />

Ebene, bereit. Nicht zu vergessen ist ferner der multisektorale Charakter der behandelten<br />

Themen (sowie der Konvention als Ganzes), der die meisten der aktuellen Governance‐<br />

Ansätze vorwegnimmt, ganz zu schweigen vom Potenzial der Arbeitsgruppen hinsichtlich der<br />

Einbeziehung der regionalen und lokalen Ebene, die von allen gefordert wird, als Resultat<br />

dieser neunmonatigen Debatte über die Zukunft der Konvention.<br />

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, trotz dieser objektiven Schwierigkeiten blicke ich<br />

optimistisch in die Zukunft. Sie können also versichert sein, dass sich das Sekretariat<br />

weiterhin in der Weise einbringen wird, wie sie es bisher gewohnt waren. Bevor ich zum Ende<br />

komme, erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang, Ihnen für das Vertrauen zu danken, das<br />

sie mir mit der Erneuerung meines Mandats entgegengebracht haben. Ich möchte es an dieser<br />

Stelle auch nicht versäumen, mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern <strong>des</strong><br />

Sekretariats für ihre leidenschaftliche Arbeit zu bedanken.<br />

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.<br />

Marco Onida, 8. März 2011

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