Marie-Aude Murail: Simpel - Akademie für Leseförderung ...
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Neue Kinder- und Jugendbücher <strong>für</strong> den Unterricht – Empfehlungen<br />
<strong>Marie</strong>-<strong>Aude</strong> <strong>Murail</strong>: <strong>Simpel</strong>. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. Frankfurt/Main: Fischer<br />
Schatzinsel 2007 – 300 S. – ISBN: 978-3-596-85207-9 – Preis: 13.90 €<br />
Autorin<br />
Zielgruppe<br />
<strong>Akademie</strong> <strong>für</strong> <strong>Leseförderung</strong> (mü), April 2008<br />
Der Verlag empfiehlt das Buch <strong>für</strong> Leser ab 13<br />
Jahren. Die Haupt-Identifikationsfigur ist<br />
männlich, aber mehrere Mädchen spielte<br />
ebenfalls eine Rolle, weshalb Mädchen wie<br />
Jungen als Leser in Frage kommen. Das Buch<br />
wurde von der – überwiegend weiblichen –<br />
Jury des Prix des lycéens allemands 2006<br />
ausgezeichnet und wurde auch <strong>für</strong> den Preis<br />
der Jugendjury des Deutschen<br />
Jugendliteraturpreises 2008 nominiert.<br />
<strong>Marie</strong>-<strong>Aude</strong> <strong>Murail</strong>, Jahrgang 1954, ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und hat in einer über<br />
zwanzigjährigen Karriere als Jugendbuchautorin etwa 70 Jugendbücher veröffentlicht. Ihre Bücher<br />
haben oft männliche Protagonisten, die durch Mädchen in ihrem Handeln motiviert werden. Das ist in<br />
dem vorliegenden Buch nicht anders.<br />
Inhalt<br />
Colbert (im französischen Original übrigens „Kléber“), ein siebzehnjähriger Schüler im letzten Jahr vor<br />
dem Abitur, hat einen zweiundzwanzigjährigen Bruder, Barnabé. Aber dieser große Bruder ist in<br />
Wirklichkeit eher ein kleiner Bruder, denn er ist geistig auf dem Stand eines kleinen Jungen: Er will<br />
immer spielen und ist allein nicht lebenstüchtig, weshalb alle ihn „<strong>Simpel</strong>“ nennen. Die Mutter der<br />
beiden Jungen ist gestorben. Die neue Frau des Vaters erwartet ein Baby und der Vater möchte, dass<br />
<strong>Simpel</strong> wieder in einer Anstalt untergebracht wird. Aber aus Erfahrung weiß Colbert, dass <strong>Simpel</strong> da<br />
todunglücklich ist und sich zurückentwickelt.<br />
Deshalb beschließt er, sich selbst seiner anzunehmen und mit ihm in Paris zusammen zu wohnen. Es<br />
gelingt den beiden, ein Zimmer in einer studentischen Wohngemeinschaft zu bekommen. Aber das<br />
Zusammenleben mit den vier anderen Bewohnern gestaltet sich pannen- und spannungsreich.<br />
Darüber hinaus muss sich Colbert in einer neuen Schule zurechtfinden und entwickelt zarte Gefühle<br />
<strong>für</strong> zwei Mitschülerinnen, Zarah und Béatrice.<br />
Als sich die Katastrophen häufen und die WG-Bewohner den unberechenbaren Mitbewohner <strong>Simpel</strong><br />
nicht mehr ertragen, schafft der Vater den behinderten Sohn doch wieder ins Heim. Colbert findet sich<br />
zunächst damit ab, zumal <strong>Simpel</strong> die Wochenenden weiterhin in der WG verbringen darf. Aber <strong>Simpel</strong><br />
protestiert heftig gegen die Rückkehr ins Heim. Gleich nach dem ersten Wochenende in der WG läuft<br />
er aus der Anstalt weg und macht sich allein auf den Weg nach Paris, um seinen Bruder zu suchen.<br />
Am Ende findet <strong>Simpel</strong> wieder seinen Platz in der Wohngemeinschaft, weil alle merken, wie sehr sie<br />
an ihm hängen. Und Colbert entscheidet sich <strong>für</strong> die eher schüchterne Zarah, nicht zuletzt weil sie gut<br />
mit <strong>Simpel</strong> umgehen kann.
Neue Kinder- und Jugendbücher <strong>für</strong> den Unterricht – Empfehlungen<br />
Themen<br />
(a) Umgang mit Behinderten<br />
Durch die differenzierte und doch gewinnende Darstellung des jungen Behinderten <strong>Simpel</strong> wird <strong>für</strong> die<br />
Integration von Behinderten in unser Alltagsleben geworben. Zugleich wird die Vielfalt der<br />
Reaktionsmöglichkeiten auf Behinderte deutlich, denn andere Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn<br />
und Fremde teilen Colberts klares Bekenntnis zu seinem Bruder nicht von vornherein. Auch er selbst<br />
wird mitunter schwankend, wenn ihm die Last des behinderten Bruders zu viel wird. <strong>Simpel</strong> lässt beide<br />
Grundhaltungen plausibel erscheinen, denn er ist unberechenbar und egoistisch und zugleich sensibel<br />
und rücksichtsvoll.<br />
(b) Liebe<br />
Colbert lernt in seiner neuen Klasse mit Zarah und Béatrice zwei sehr gegensätzliche Mitschülerinnen<br />
kennen, zu denen er sich hingezogen fühlt. Während Zarah aus einer kinderreichen Familie „mit<br />
Migrationshintergrund“ stammt und eher zurückhaltend auftritt, wirbt die egozentrische Béatrice offen<br />
mit ihren Reizen und scheint zunächst erfolgreicher. Aber am Ende setzt sich die sympathischere<br />
Zarah durch, nicht zuletzt weil sie <strong>Simpel</strong> auf ihrer Seite hat, nach dem Motto „Auf die inneren Werte<br />
kommt es an“.<br />
In eine ähnliche Richtung entwickelt sich eine Beziehung in der Wohngemeinschaft. Der unauffällige<br />
Enzo ist hoffnungslos in die Medizinstudentin Aria verliebt, die mit dem Mediziner und Mitbewohner<br />
Emmanuel ein Paar bildet. Am Ende triumphieren jedoch Enzos stärkere Gefühle.<br />
Die Liebesgeschichten laden jugendliche Leser zur Identifikation ein, weil sie Gefühlsverwirrung und<br />
geringes Selbstwertgefühl einfühlsam beschreiben und am Ende die vermeintlichen „Loser“ zum<br />
Erfolg führen.<br />
(c) Beziehung zur Erwachsenenwelt<br />
Die Welt der Erwachsenen wird zunächst überwiegend als bedrohlich und verständnislos dargestellt:<br />
Der Vater will den behinderten Sohn loswerden. Der Nachbar sieht die Wohngemeinschaft mit<br />
kritischen Augen und schimpft viel über sie. Die Mitarbeiterin des Jugendamts, die in der WG wegen<br />
<strong>Simpel</strong> nach dem Rechten schauen will, ist eine Witzfigur. Aber im Verlauf der Geschichte wird das<br />
Bild nuancierter. Zumindest der Nachbar und die Dame vom Jugendamt erweisen sich als<br />
verständnisvolle Berater und Unterstützer der jungen Leute. Die positive Botschaft <strong>für</strong> die jugendlichen<br />
Leser: So schlimm sind die Erwachsenen oft gar nicht…<br />
(d) <strong>Simpel</strong>s Sprache<br />
<strong>Simpel</strong> verhält sich nicht nur oft kindisch, sondern spricht auch eine fehlerhafte Kindersprache. Er<br />
hantiert mit einem „Verolver“ statt eines Revolvers und glaubt, in dem Telefon stecke ein „Mänzel“ (ein<br />
Männchen). Diese verballhornte Sprache gibt der Zurückgebliebenheit des jungen Mannes ein<br />
humoristisches Profil. Sie ist darüber hinaus ein guter Anknüpfungspunkt <strong>für</strong> eine unbefangene<br />
Aufarbeitung des Themas „Kindlichkeit“.<br />
Didaktisch-methodische Hinweise<br />
Geistig zurückgeblieben: Woran sieht man das? <strong>Simpel</strong> ist anders als andere in seinem Alter. Die<br />
Schüler sammeln gleich im ersten Kapitel Textstellen, in denen sich die „Zurückgebliebenheit“ von<br />
Barnabé niederschlägt, also im Verhalten und in der Sprache. Diese Aufgabe kann am Ende wieder<br />
aufgegriffen und auf die gesamte Handlung ausgedehnt werden. Sie mündet in eine<br />
<strong>Akademie</strong> <strong>für</strong> <strong>Leseförderung</strong> (mü), April 2008
Neue Kinder- und Jugendbücher <strong>für</strong> den Unterricht – Empfehlungen<br />
Problematisierung: Geht nicht auch manches an Spontaneität und Authentizität verloren, wenn man<br />
sich immer „erwachsen“ verhält?<br />
Ein neues Ende erfinden: Als <strong>Simpel</strong> aus der Anstalt entweicht, entsteht besonders große Spannung.<br />
Was erlebt er nun, wie zieht er sich aus der Affäre, wie gehen die anderen mit der Situation um? Die<br />
Schüler erhalten die kreative Schreibaufgabe, sich ein eigenes Ende auszudenken und es<br />
erzählerisch zu gestalten.<br />
<strong>Akademie</strong> <strong>für</strong> <strong>Leseförderung</strong> (mü), April 2008