Zwischen Bagdad und nirgendwo - Akademie für Leseförderung ...
Zwischen Bagdad und nirgendwo - Akademie für Leseförderung ...
Zwischen Bagdad und nirgendwo - Akademie für Leseförderung ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Neue Kinder- <strong>und</strong> Jugendbücher <strong>für</strong> den Unterricht – Empfehlungen<br />
Blobel, Brigitte: <strong>Zwischen</strong> <strong>Bagdad</strong> <strong>und</strong> <strong>nirgendwo</strong>. München: cbj 2007 – 315 S. – ISBN: 978-3-<br />
570-12955-5 – Preis: 14,95 €<br />
Autorin<br />
Zielgruppe<br />
<strong>Akademie</strong> <strong>für</strong> <strong>Leseförderung</strong> (mü), April 2008<br />
Das Buch wird vom Verlag <strong>für</strong> Jugendliche ab<br />
12 Jahren empfohlen. Da es mit einem Jungen<br />
<strong>und</strong> einem Mädchen zwei gleichrangige<br />
Protagonisten gibt, sind die Chancen gut, dass<br />
sich Jungen <strong>und</strong> Mädchen gleichermaßen von<br />
dem Buch angesprochen fühlen. Außerdem<br />
hat die männliche Hauptfigur einen sehr<br />
ausgeprägten „Migrationshintergr<strong>und</strong>“,<br />
während die weibliche Hauptfigur aus einem<br />
deutschen Elternhaus stammt. Insofern ist<br />
auch ein von der Herkunft gemischtes<br />
Lesepublikum, wie man es in vielen<br />
Schulklassen findet, bei diesem Roman gut<br />
denkbar.<br />
Brigitte Blobel wurde 1942 in Hamburg geboren <strong>und</strong> studierte Theaterwissenschaften <strong>und</strong> Politik.<br />
Neben ihrer Tätigkeit als freie Journalistin <strong>und</strong> Drehbuchautorin <strong>für</strong> das Fernsehen („Immenhof“,<br />
„Mensch, Pia!“) hat sie zahlreiche Bücher <strong>für</strong> Jugendliche <strong>und</strong> Erwachsene geschrieben, die bereits<br />
mehrfach ausgezeichnet <strong>und</strong> in über ein Dutzend Sprachen übersetzt wurden.<br />
Inhaltsangabe<br />
Der Jugendroman handelt von der Begegnung eines irakischen Jungen <strong>und</strong> eines deutschen<br />
Mädchens in Berlin. Der fünfzehnjährige Said flieht nach dem gewaltsamen Tod erst seiner Mutter <strong>und</strong><br />
dann auch noch seines Vaters auf Veranlassung seiner Großvaters aus der von blutigen Anschlägen<br />
geprägten Heimatstadt zu seinem Onkel Bassam nach Berlin, wo dieser seit dreißig Jahren mit seiner<br />
deutschen Frau lebt. Die vierzehnjährige Lena zieht nach der Scheidung ihrer Eltern mit ihrem Vater<br />
aus Frankfurt nach Berlin.<br />
In der Realschule, an der beide gleichzeitig angemeldet werden, kommen sich die beiden „Neuen“, die<br />
von den Mitschülern gemieden werden, schnell näher. Lena hilft Said beim Deutschlernen, Said Lena<br />
bei den Matheaufgaben. Aber die sprachlichen <strong>und</strong> kulturellen Barrieren sind schwer zu überwinden.<br />
Als Lena bei einer Mädchenclique der Klasse Anschluss findet, während Said in offenen Konflikt mit<br />
seinem Onkel gerät, kommt es zu einer dramatischen Zuspitzung. Lena „versackt“ bei einer Party, <strong>und</strong><br />
als Said aufgr<strong>und</strong> eines Missverständnisses dazukommt <strong>und</strong> zurückgewiesen wird, begeht der junge<br />
Iraker einen Selbstmordversuch. Durch diesen, glücklich endenden, Vorfall aufgerüttelt, finden Said<br />
<strong>und</strong> Lena am Ende zusammen <strong>und</strong> planen einen gemeinsamen Sommerurlaub bei Lenas Mutter in<br />
Bayern.
Neue Kinder- <strong>und</strong> Jugendbücher <strong>für</strong> den Unterricht – Empfehlungen<br />
Themen<br />
(a) Außenseiter in der Fremde<br />
Said ist ein Fremder, ein Ausländer, ein Schüler mit Migrationshintergr<strong>und</strong>. Aber die Figur des Said ist<br />
so angelegt, dass viele Pauschalurteile in Frage gestellt werden. Er ist kein Wirtschaftsflüchtling, da<br />
es seiner Familie im Irak wirtschaftlich vergleichsweise gut ging. Er ist auch in punkto Bildung den<br />
deutschen Mitschülern eher über- als unterlegen, denn er stammt aus einer Akademiker-Familie<br />
(Vater Hochschulmediziner, Mutter studierte Historikerin <strong>und</strong> ehrenamtliche UNICEF-Mitarbeiterin)<br />
<strong>und</strong> ging in <strong>Bagdad</strong> auf eine Eliteschule, während er hier aus sprachlichen Gründen erst einmal mit<br />
einer Realschule Vorlieb nehmen muss. Er will auch gar nicht langfristig in Deutschland bleiben,<br />
sondern träumt davon, als Arzt in sein Heimatland zurückzukehren.<br />
Allerdings ist er ganz anders als seine Mitschüler <strong>und</strong> als andere „Schüler mit Migrationshintergr<strong>und</strong>“,<br />
unter anderem weil ihm viel am Erfolg in der Schule liegt <strong>und</strong> darauf zielstrebig hinarbeitet. Am Rande<br />
der Haupthandlung kommt es insbesondere zu Konflikten mit Russen <strong>und</strong> Türken, die ihn als Araber<br />
abfällig behandeln <strong>und</strong> Streit mit ihm suchen.<br />
Lena ist auch eine Fremde, jedenfalls in Berlin, denn sie kommt aus Frankfurt <strong>und</strong> muss sich neu<br />
einleben, in einer fremden Stadt, in einer neuen Schule. Sie versucht Anschluss zu finden, <strong>und</strong> dies<br />
umso mehr, als ihre Kernfamilie sich nach der Scheidung der Eltern aufgelöst hat.<br />
Said <strong>und</strong> Lena kommen zusammen, weil sie beide Außenseiter in einer fremden Umgebung sind,<br />
auch wenn der Kulturschock <strong>für</strong> Said viel größer als <strong>für</strong> Lena ist.<br />
(b) Familie – Fre<strong>und</strong>schaft<br />
Für Said <strong>und</strong> Lena waren die Eltern die maßgebenden Bezugspersonen – <strong>und</strong> nun haben beide ihre<br />
Eltern – buchstäblich oder im übertragenen Sinne – verloren. Saids Eltern starben bei Anschlägen.<br />
Für Said besteht Familie nur noch aus dem durch die deutsche Umgebungskultur geprägten Onkel,<br />
bei dem er untergekommen ist, <strong>und</strong> dem verehrten Großvater, mit dem er nur durch Brief Kontakt<br />
halten kann. Lena hat nach der Scheidung ihrer Eltern nicht mehr viel von ihnen, auch wenn beide<br />
noch am Leben sind. Der Vater, mit dem sie in Berlin auf eigenen Wunsch zusammenlebt, ist beruflich<br />
eingespannt <strong>und</strong> hat eine neue Fre<strong>und</strong>in. Die Mutter ist weltweit als Stewardess unterwegs, wohnt in<br />
Bayern <strong>und</strong> ist nur gelegentlich telefonisch zu erreichen.<br />
Die Fre<strong>und</strong>schaft der beiden füllt also auch eine Leere im familiären Umfeld: Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong><br />
wechselseitige Zuneigung als Familienersatz.<br />
(c) Erzählperspektive<br />
Die Geschichte wird im Wechsel aus der Perspektive von Said <strong>und</strong> aus der Perspektive von Lena<br />
erzählt, aber grammatisch immer in der dritten Person. Die dritte Person erlaubt, die fremde<br />
Vorerfahrung von Said in <strong>Bagdad</strong> dem deutschen Leser ausgiebig zu erklären. Sie erlaubt auch, bei<br />
Bedarf auf größere Distanz zu den Figuren zu gehen, etwa als Onkel Bassam <strong>und</strong> Tante Sonja Said<br />
nach der Einnahme einer Überdosis von Medikamenten leblos im Badezimmer entdecken.<br />
Andererseits gewinnt der Leser punktuell tiefe Einblicke in das Innenleben der beiden Protagonisten.<br />
Didaktisch-methodische Hinweise<br />
Alltagsleben in <strong>Bagdad</strong>: der Roman als Zeitdokument <strong>und</strong> Informationsquelle: Die ersten drei Kapitel<br />
spielen in <strong>Bagdad</strong> <strong>und</strong> liefern eindringliche Bilder vom bedrohten Alltagsleben der Iraker. Die Schüler<br />
schreiben in Arbeitsgruppen aus diesen Kapiteln Informationen zu thematischen Schwerpunkten<br />
heraus <strong>und</strong> stellen sie auf Plakaten oder TL-Projektor-Folien zusammen. Denkbare Themen u. a.: zu<br />
<strong>Akademie</strong> <strong>für</strong> <strong>Leseförderung</strong> (mü), April 2008
Neue Kinder- <strong>und</strong> Jugendbücher <strong>für</strong> den Unterricht – Empfehlungen<br />
Hause – unterwegs in der Stadt – Schule <strong>und</strong> Arbeitsplatz. Evtl. könnten anschließend ergänzende<br />
Informationen aus Zeitung <strong>und</strong> Internet hinzugefügt werden, um Fiktion <strong>und</strong> Wirklichkeit miteinander<br />
abzugleichen, wobei die Leitfrage sein könnte: Ist es wirklich (immer noch) so schlimm?<br />
Alltagsleben in Berlin: das Fremde an uns: Es werden arbeitsteilig z. B. als Hausaufgabe Textstellen<br />
zusammengetragen <strong>und</strong> in knapper Form auf kleinen Zetteln notiert, in denen von Saids Befremden<br />
über deutsche Verhaltensweisen die Rede ist, z. B. in der Schule oder beim Umgang der<br />
Geschlechter miteinander. Die Zettel werden im Klassenraum an einer Pinnwand angebracht <strong>und</strong> im<br />
Klassengespräch thematisch sortiert <strong>und</strong> anschließend kommentiert. Dabei könnten Schüler mit<br />
Migrationshintergr<strong>und</strong> besonders darauf befragt werden, inwieweit sie sich mit einzelnen der<br />
Beobachtungen identifizieren können.<br />
Eine deutsch-irakische Liebesgeschichte? Das Ende weiter schreiben: Am Ende des Romans erwirkt<br />
Lena von ihrer Mutter, dass Said sie in den Urlaub bei ihrer Mutter begleiten darf. Aber wie wird der<br />
Urlaub ablaufen? Die Schüler schreiben einen Brief aus der Sicht Saids an seinen geliebten<br />
Großvater, in dem er über seine Urlaubserfahrungen berichtet. Als Muster können frühere Briefe an<br />
den Großvater dienen, die im Roman zu finden sind (vgl. z.B. S. 133-138, S. 258-260). Der Brief<br />
verlangt vom Schüler die Fähigkeit, die bisherige innere Entwicklung Saids <strong>und</strong> Lenas zu<br />
rekonstruieren <strong>und</strong> sie in die Zukunft „hochzurechnen“. Diese Schreibaufgabe kann in eine<br />
Abschlussdiskussion darüber münden, ob Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> Liebe stärker als kulturelle Unterschiede<br />
sein können.<br />
<strong>Akademie</strong> <strong>für</strong> <strong>Leseförderung</strong> (mü), April 2008