Download Teil 1 - AIDS-Hilfe Stuttgart eV

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22 NACHLESE WAD Rede zum WAD 2003 von Günter Trugenberger Liebe Freundinnen und Freunde, wieder einmal jährt sich der Welt-AIDS-Tag. Und wieder einmal stellt sich die Frage was das Jahr für Betroffene gebracht hat. Das Motto des diesjährigen WAD lautet „AUSGRENZUNG ABWEHREN!“ AUSGRENZUNG? Ist das nicht ein alter Hut? Sind Betroffene nicht doch schon assimiliert in unserer Gesellschaft? Gibt es denn überhaupt noch Ausgrenzung? Ja, es gibt sie! Teilweise anders wie früher – und teilweise unverändert. Noch immer können HIV-infizierte Menschen sich nicht überall auf dieser Welt niederlassen. Viele Länder lassen keine Betroffenen einwandern oder weisen sie aus! Eine Ausgrenzung im wahrsten Sinne des Wortes! Und all die Menschen in den Entwicklungsländern oder den Ländern, die sich am Rande der Armut entlang hangeln. Betroffene können sich in diesen Ländern teilweise nicht mal die Behandlung opportunistischer Infektionen leisten, geschweige denn eine antiretrovirale Therapie! Die Herstellung von Generika oder die Abgabe von ART-Medikamenten zu wirklich erschwinglichen Preisen wird oft seitens Pharma, Wirtschaft und Politik erschwert. Und so sterben noch immer täglich 6000 Menschen an den Folgen von AIDS – allein auf dem afrikanischen Kontinent! Ausgegrenzt von der Möglichkeit, ihr Leben in Würde zu verlängern. Und wie sieht es bei uns in Deutschland aus? Noch immer gibt es Ausgrenzung im Kleinen, im täglichen Leben. Schmerzhaft für Betroffene. Man findet sie immer und überall, im „Freundeskreis“, der Familie, im Beruf. Oft scheinbar harmlos und subtil – aber nicht weniger schmerzhaft für Betroffene! Vor allem auf dem Arbeitsmarkt haben Betroffene keine oder kaum eine Chance, wenn sie sich outen – oder wegen Rücknahme der Rente wieder ins Berufsleben wollen. Tja, die Rente ist auch so ein Ding und dann die Bereiche Arbeitslosengeld + Sozialhilfe erst. Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen haben sich im letzten Jahr dramatisch zu Ungunsten Betroffener verändert. Und was steht allen noch bevor? Denen, die Arbeit haben werden als chronisch Kranken statt 2 % eben nur 1 % des Bruttogehaltes als Medizinzuzahlungsgrenze zugemutet. Sie müssen zukünftig Brillen aus eigener Tasche finanzieren und in mittlerer Frist auch noch die Zahnbehandlung durch private Versicherungen abdecken. Gleichzeitig verhindert der „TEURO“, sich mit qualitativ hochwertigen Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmitteln zur Gesunderhaltung zu versorgen. Im Berufsleben gibt es zunehmend die Angst vor Entlassungen und reale Lohneinbußen. Der Bürger soll also einerseits privat Vorsorge tragen, andererseits wird ihm die materielle Basis dazu entzogen. Apropos, private Vorsorge. Als HIV-Patient bekommt man, wenn überhaupt, dann nur zu massiv überteuerten Tarifen einen halbwegs akzeptablen Versicherungsschutz. Dies beginnt ja schon bei normalen Unfallversicherungen. Willkommen schöne neue Welt. Adieu Sozialstaat. Und plötzlich leben wir im Land der real existierenden sozialen AUSGREN- ZUNG ! Heute stehen wir an einem Denkmal für an HIV/AIDS Verstorbene. Ich frage mich wie viele mehr im nächsten Jahr bei Ihnen und nicht mehr bei uns sein werden, weil • sie keinen Job mehr bekommen oder die Rente zu klein war und sie sich weder gesunde Ernährung nach all die Zuzahlungen leisten konnten? • sie aus Angst vor den Kosten den Arzt zu spät konsultiert haben. • weil sie aus falscher Scham nicht bei den Ämtern um Hilfe nachgefragt haben, als sie durch Arbeitslosigkeit zum Sozialfall wurden. Ich habe Wut im Bauch über diese Ausgrenzung von einem Leben in Würde und manchmal überkommt mich dann die Fantasie, dass das frühe Sterben teurer „Chroniker“ bei manchen nicht ganz unerwünscht ist. Ich habe Angst vor dem was noch kommt. Und wenn ich also die Namen auf diesen Seiten erblicke, spüre ich, dass es Zeit ist einen Moment zu schweigen. Um derer zu gedenken die an den Folgen von HIV + AIDS gestorben sind. – In Stuttgart, in Deutschland und in der Welt. SCHWEIGEMINUTE Jetzt, nach dem wir geschwiegen haben. Jetzt, nach dem wir uns bei unseren verstorbenen Freunden, Partners und Angehörigen Kraft geholt haben. Jetzt ist es Zeit laut zu werden, zu fordern und zu handeln: Hiermit fordern wir die Regierungen dieser Welt auf: Lasst alle Menschen in Würde leben! In der Zukunft werden wir AIDS-Hilfen gefordert sein, uns als Wächter zu betätigen und laut zu schreien, wenn es Gesetzesentwürfe gibt, die Betroffene schlechter stellen! AIDS-Hilfen werden Fantasie und Mut brauchen, um neue Wege in der Prävention aber auch in der Versorgung von Betroffenen und Angehörigen zu gehen. Wir werden uns vernetzen müssen, Kooperationen suchen und uns mit anderen Gruppierungen chronisch Kranker austauschen müssen. Wir alle – Betroffene und deren Angehörige / Freunde – wir werden wieder mehr zusammenrücken müssen. Wir dürfen nicht resignieren – denn die Würde des Menschen ist unantastbar. Und die Gesellschaft fordern wir auf mehr Solidarität zu zeigen. Denn das brauchen wir zum Überleben: MUT, KRAFT, FANTASIE und SOLIDARITÄT Denn nur so können wir das diesjährige Motto durchstehen, nämlich AUSGRENZUNG ABWEHREN! Lasst uns nun weiter zur Leonhardskirche gehen, wo unser Zug endet. Es wäre schön, wenn ihr dann an dem anschließend stattfindenden Gottesdienst, der stillen Stunde, teilnehmen würdet.

Auch im Jahr 2003 wurde von der AIDS-Hilfe Stuttgart e.V. anlässlich des Welt-AIDS-Tages auf der Königstraße vor der St. Eberhard- Kirche traditionsgemäß unsere Tombola durchgeführt. Neben dem Verein „Die Brücke e.V.“ waren auch das Gesundheitsamt und die AHS mit Infoständen vertreten. In gewohnter Weise verkaufte Laura wieder ihren heiß begehrten Glühwein. Unsere jüngeren Besucher konnten sich an unserer Mohrenkopfschleuder versuchen, für die älteren wurde die Mohrenkopfschleuder zur Kondomschleuder umfunktioniert. NACHLESE WAD 25 Tombola zum Welt-AIDS-Tag 2003 Die Tombola wurde wieder mit der Unterstützung der Kollegen des Gesundheitsamtes an deren schönen Marktstand durchgeführt. Dank reicher Sachspenden hatten die Besucher der Tombola eine gute Auswahl an Preisen, die auch fast alle an den Mann oder die Frau gebracht werden konnten. Obwohl das Wetter leider nicht wie in 2002 mitgespielt hat und es zur Abwechslung mal wieder phasenweise geregnet hat, war die Tombola wieder ein toller Erfolg für die AHS. Insgesamt wurden bei der Tombola 1.126,- Euro für die Arbeit der AIDS-Hilfe Stuttgart e.V. eingenommen. An dieser Stelle bedanke ich mich recht herzlich bei allen Spendern und Sponsoren für die zahlreichen Sach- und Geldspenden. Ein ganz besonderer Dank gilt auch allen ehrenamtlichen Helfern, die auch teilweise spontan eingesprungen sind. Danke auch an die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes und der Stadt Stuttgart für die tolle Unterstützung. Ohne die Hilfe aller wäre die Tombola kein so guter Erfolg geworden. Jürgen Frank, Rosemarie Hampejs Jürgen Frank, Laura Viele Grüße Euer Andreas Hauling

22 NACHLESE WAD<br />

Rede zum WAD 2003<br />

von Günter Trugenberger<br />

Liebe Freundinnen und Freunde,<br />

wieder einmal jährt sich der Welt-<strong>AIDS</strong>-Tag.<br />

Und wieder einmal stellt sich die Frage was<br />

das Jahr für Betroffene gebracht hat.<br />

Das Motto des diesjährigen WAD lautet<br />

„AUSGRENZUNG ABWEHREN!“<br />

AUSGRENZUNG? Ist das nicht ein alter Hut?<br />

Sind Betroffene nicht doch schon assimiliert<br />

in unserer Gesellschaft? Gibt es denn überhaupt<br />

noch Ausgrenzung?<br />

Ja, es gibt sie! <strong>Teil</strong>weise anders wie früher –<br />

und teilweise unverändert. Noch immer können<br />

HIV-infizierte Menschen sich nicht überall<br />

auf dieser Welt niederlassen. Viele Länder<br />

lassen keine Betroffenen einwandern oder<br />

weisen sie aus!<br />

Eine Ausgrenzung im wahrsten Sinne des<br />

Wortes!<br />

Und all die Menschen in den Entwicklungsländern<br />

oder den Ländern, die sich am Rande<br />

der Armut entlang hangeln. Betroffene können<br />

sich in diesen Ländern teilweise nicht mal<br />

die Behandlung opportunistischer Infektionen<br />

leisten, geschweige denn eine antiretrovirale<br />

Therapie! Die Herstellung von Generika oder<br />

die Abgabe von ART-Medikamenten zu wirklich<br />

erschwinglichen Preisen wird oft seitens<br />

Pharma, Wirtschaft und Politik erschwert.<br />

Und so sterben noch immer täglich 6000<br />

Menschen an den Folgen von <strong>AIDS</strong> – allein<br />

auf dem afrikanischen Kontinent!<br />

Ausgegrenzt von der Möglichkeit, ihr Leben<br />

in Würde zu verlängern.<br />

Und wie sieht es bei uns in Deutschland aus?<br />

Noch immer gibt es Ausgrenzung im Kleinen,<br />

im täglichen Leben. Schmerzhaft für Betroffene.<br />

Man findet sie immer und überall, im<br />

„Freundeskreis“, der Familie, im Beruf. Oft<br />

scheinbar harmlos und subtil – aber nicht<br />

weniger schmerzhaft für Betroffene!<br />

Vor allem auf dem Arbeitsmarkt haben Betroffene<br />

keine oder kaum eine Chance, wenn<br />

sie sich outen – oder wegen Rücknahme der<br />

Rente wieder ins Berufsleben wollen.<br />

Tja, die Rente ist auch so ein Ding und dann<br />

die Bereiche Arbeitslosengeld + Sozialhilfe<br />

erst.<br />

Die gesellschaftlichen und politischen<br />

Rahmenbedingungen haben sich im letzten<br />

Jahr dramatisch zu Ungunsten Betroffener<br />

verändert.<br />

Und was steht allen noch bevor? Denen, die<br />

Arbeit haben werden als chronisch Kranken<br />

statt 2 % eben nur 1 % des Bruttogehaltes<br />

als Medizinzuzahlungsgrenze zugemutet. Sie<br />

müssen zukünftig Brillen aus eigener Tasche<br />

finanzieren und in mittlerer Frist auch noch<br />

die Zahnbehandlung durch private Versicherungen<br />

abdecken.<br />

Gleichzeitig verhindert der „TEURO“, sich mit<br />

qualitativ hochwertigen Nahrungs- und<br />

Nahrungsergänzungsmitteln zur Gesunderhaltung<br />

zu versorgen.<br />

Im Berufsleben gibt es zunehmend die Angst<br />

vor Entlassungen und reale Lohneinbußen.<br />

Der Bürger soll also einerseits privat Vorsorge<br />

tragen, andererseits wird ihm die materielle<br />

Basis dazu entzogen.<br />

Apropos, private Vorsorge. Als HIV-Patient<br />

bekommt man, wenn überhaupt, dann nur zu<br />

massiv überteuerten Tarifen einen halbwegs<br />

akzeptablen Versicherungsschutz. Dies beginnt<br />

ja schon bei normalen Unfallversicherungen.<br />

Willkommen schöne neue Welt. Adieu<br />

Sozialstaat. Und plötzlich leben wir im Land<br />

der real existierenden sozialen AUSGREN-<br />

ZUNG !<br />

Heute stehen wir an einem Denkmal für an<br />

HIV/<strong>AIDS</strong> Verstorbene. Ich frage mich wie<br />

viele mehr im nächsten Jahr bei Ihnen und<br />

nicht mehr bei uns sein werden, weil<br />

• sie keinen Job mehr bekommen oder die<br />

Rente zu klein war und sie sich weder<br />

gesunde Ernährung nach all die Zuzahlungen<br />

leisten konnten?<br />

• sie aus Angst vor den Kosten den Arzt zu<br />

spät konsultiert haben.<br />

• weil sie aus falscher Scham nicht bei den<br />

Ämtern um <strong>Hilfe</strong> nachgefragt haben, als sie<br />

durch Arbeitslosigkeit zum Sozialfall wurden.<br />

Ich habe Wut im Bauch über diese Ausgrenzung<br />

von einem Leben in Würde und<br />

manchmal überkommt mich dann die<br />

Fantasie, dass das frühe Sterben teurer<br />

„Chroniker“ bei manchen nicht ganz unerwünscht<br />

ist.<br />

Ich habe Angst vor dem was noch kommt.<br />

Und wenn ich also die Namen auf diesen<br />

Seiten erblicke, spüre ich, dass es Zeit ist<br />

einen Moment zu schweigen. Um derer zu<br />

gedenken die an den Folgen von HIV + <strong>AIDS</strong><br />

gestorben sind. – In <strong>Stuttgart</strong>, in Deutschland<br />

und in der Welt.<br />

SCHWEIGEMINUTE<br />

Jetzt, nach dem wir geschwiegen haben.<br />

Jetzt, nach dem wir uns bei unseren verstorbenen<br />

Freunden, Partners und Angehörigen<br />

Kraft geholt haben.<br />

Jetzt ist es Zeit laut zu werden, zu fordern<br />

und zu handeln:<br />

Hiermit fordern wir die Regierungen dieser<br />

Welt auf:<br />

Lasst alle Menschen in Würde leben!<br />

In der Zukunft werden wir <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong>n gefordert<br />

sein, uns als Wächter zu betätigen und<br />

laut zu schreien, wenn es Gesetzesentwürfe<br />

gibt, die Betroffene schlechter stellen!<br />

<strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong>n werden Fantasie und Mut brauchen,<br />

um neue Wege in der Prävention aber<br />

auch in der Versorgung von Betroffenen und<br />

Angehörigen zu gehen. Wir werden uns vernetzen<br />

müssen, Kooperationen suchen und<br />

uns mit anderen Gruppierungen chronisch<br />

Kranker austauschen müssen.<br />

Wir alle – Betroffene und deren Angehörige /<br />

Freunde – wir werden wieder mehr zusammenrücken<br />

müssen. Wir dürfen nicht resignieren<br />

– denn die Würde des Menschen ist<br />

unantastbar. Und die Gesellschaft fordern wir<br />

auf mehr Solidarität zu zeigen. Denn das<br />

brauchen wir zum Überleben:<br />

MUT, KRAFT, FANTASIE und SOLIDARITÄT<br />

Denn nur so können wir das diesjährige<br />

Motto durchstehen, nämlich<br />

AUSGRENZUNG ABWEHREN!<br />

Lasst uns nun weiter zur Leonhardskirche<br />

gehen, wo unser Zug endet. Es wäre schön,<br />

wenn ihr dann an dem anschließend stattfindenden<br />

Gottesdienst, der stillen Stunde, teilnehmen<br />

würdet.

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