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4.2 Technischer Fortschritt

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MODUL:<br />

AGRARPREISBILDUNG AUF EU-MÄRKTEN<br />

WS 01/02<br />

ULRICH KOESTER<br />

<strong>4.2</strong>: TECHNISCHER FORTSCHRITT UND AGRARPREISE 1<br />

Die meisten Agrarprodukte - ob Rindfleisch, Weizen, Eier oder Äpfel – haben sich im Laufe<br />

der Zeit grundsätzlich wenig geändert. Wie diese Produkte erstellt werden, d.h. mit welchen<br />

Methoden und mit welchen Inputs, hat sich dagegen mitunter extrem verändert. Die Produk-<br />

tionsfunktion, die Grundlage vieler Überlegungen und Ableitungen in den vorherigen Kapi-<br />

teln war, ist demnach ständigen Verschiebungen und Veränderungen unterworfen. Diese<br />

durch technischen <strong>Fortschritt</strong> verursachten Verschiebungen und Veränderungen sind nach<br />

wie vor eine treibende Kraft des landwirtschaftlichen Strukturwandels.<br />

In diesem Kapitel :<br />

wird der Begriff technischer <strong>Fortschritt</strong> definiert,<br />

wird die Bedeutung des technischen <strong>Fortschritt</strong>s für den Agrarsektor<br />

und die Volkswirtschaft insgesamt erläutert,<br />

werden ausgewählte Klassifikationen des technischen <strong>Fortschritt</strong>s<br />

vorgestellt,<br />

werden die Wechselwirkungen zwischen dem technischen<br />

<strong>Fortschritt</strong> und der Agrarprotektion – z.B. unter EU-<br />

Bedingungen – diskutiert und<br />

ein kurzer Überblick über Möglichkeiten der Messung von<br />

technischem <strong>Fortschritt</strong> und Produktivitätswachstum präsentiert.<br />

1 Kapitel 8 von Koester, U. und S. von Cramon-Taubadel, Preisbildung: Theorie und Praxis auf Agrarmärkten.<br />

In Vorbereitung.<br />

LERNZIELE!


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 2<br />

1. Definition<br />

Unter technischem <strong>Fortschritt</strong> versteht man:<br />

a) die Einführung neuer Produktionsverfahren, die es ermöglichen, mit gegebenem Faktor-<br />

einsatz eine größere Outputmenge zu erstellen bzw. eine gegebene Outputmenge mit geringe-<br />

rem Faktoreinsatz zu erzeugen,<br />

b) die Schaffung neuer, bislang unbekannter Produkte,<br />

c) die Verbesserung der Produktqualität bei unverändertem Faktoreinsatz.<br />

<strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> nach a) führt zu einer Verlagerung der Produktionsfunktion nach o-<br />

ben (von f0 auf f1 in Schaubild 1) bzw. zu einer Verschiebung der Isoquanten gegen den Ur-<br />

sprung (von I0 auf I1). <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> nach b) führt zur Entstehung einer völlig neuen<br />

Produktionsfunktion mit dazugehörigen Isoquanten. Der Fall c) lässt sich zwar gedanklich<br />

von a) und b) trennen, ist aber in der Praxis von diesen oft schwer zu unterscheiden. Eine<br />

neue Weizensorte mit erhöhtem Proteingehalt kann als völlig neues Produkt gesehen werden<br />

(b), aber auch als Qualitätsverbesserung (c) oder, wenn die Sorte z.B. in der Mühlenwirt-<br />

schaft eine größere Menge herkömmlichen Weizens ersetzen kann, auch als Outputsteigerung<br />

bei gegebenem Inputeinsatz (a).<br />

Schaubild 1: Wirkung technischer <strong>Fortschritt</strong>e<br />

Produktmenge<br />

Faktoreinsatzmenge<br />

f<br />

f<br />

1<br />

0<br />

Kapital<br />

I<br />

0<br />

I 1<br />

Arbeit


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 3<br />

Bei der Betrachtung des technischen <strong>Fortschritt</strong>s ist zwischen den Ergebnissen der Grundla-<br />

genforschung (Wissen), der Erfindung (Invention) und der wirtschaftlichen Anwendung (In-<br />

novation) zu unterscheiden. Die Aktivitäten, die zu Wissen, Invention und Innovation führen,<br />

werden in schematischer Form in Schaubild 2 dargestellt.<br />

2. Die Bedeutung technischer <strong>Fortschritt</strong>e<br />

2.1 Gesamtwirtschaftliche Bedeutung<br />

Technische <strong>Fortschritt</strong>e sind für die Funktionsweise von marktwirtschaftlichen Systemen von<br />

großer Bedeutung, denn ohne technische <strong>Fortschritt</strong>e ist das Wachstum gefährdet. Ohne<br />

technische <strong>Fortschritt</strong>e könnte Wachstum nur durch eine Ausweitung des Kapitalstocks er-<br />

zielt werden. Dadurch würde sich die Kapitalintensität und auch die Arbeitsproduktivität im<br />

Zeitablauf erhöhen und die produzierte Gütermenge steigen. Eine Erhöhung der Ka-<br />

pitalintensität würde jedoch bei unveränderter Technologie zu einem Sinken der Kapital-<br />

rendite im Zeitablauf führen, wodurch immer weniger Anreize bestehen würden, weitere In-<br />

vestitionen vorzunehmen. Im neoklassischen Wachstumsmodell von SOLOW 2 kann gezeigt<br />

werden, dass es hierdurch zu einem sogenannten „Steady-State“-Zustand der Wirtschaft kom-<br />

men würde, in dem das Pro-Kopf-Einkommen konstant bleibt und die Wirtschaft insgesamt<br />

nur so schnell wächst, wie die Bevölkerung.<br />

Technische <strong>Fortschritt</strong>e, die zu neuen oder qualitativ verbesserten Produkten führen, sind<br />

insbesondere für die internationale Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft von Be-<br />

deutung. Ein großer Teil des Außenhandels konzentriert sich auf neue Produkte. Gleichzeitig<br />

wird die Erfindung neuer Produkte durch die Marktgröße und die damit verbundene Mög-<br />

lichkeit der Ausschöpfung von Skalenerträgen, die sich durch den internationalen Handel<br />

ergeben, stimuliert. Würde sich ein Land lediglich auf die Produktion traditioneller Produkte<br />

beschränken, so würde es im Zeitablauf an internationaler Wettbewerbskraft verlieren. Einer-<br />

seits


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 4<br />

Schaubild 2: Die Entstehung technischer <strong>Fortschritt</strong>e - Grundlagenforschung, angewandte<br />

Forschung, Produktentwicklung und Diffusion<br />

INPUT OUTPUT<br />

Faktoreinsatz<br />

und<br />

Wirtschaftspolitik<br />

Gesamtes<br />

Grundlagenwissen<br />

Faktoreinsatz<br />

und<br />

Wirtschaftspolitik<br />

alle bekannten<br />

Erfindungen<br />

Faktoreinsatz<br />

und<br />

Wirtschaftspolitik<br />

Grundlagenforschung<br />

Angewandte<br />

Forschung<br />

Produktentwicklung<br />

Diffusion<br />

(Verbreitung)<br />

------------------------------------------------<br />

neue Information<br />

oder<br />

neues Wissen<br />

neue Ideen<br />

oder<br />

Erfindungen<br />

<strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong><br />

oder<br />

Innovation<br />

Produktivitätssteigerung<br />

2 SOLOW, R.: A Contribution to the Theory of Economic Growth. Quarterly Journal of Economics 70 (1956) 1<br />

(Februar), S. 65-94. Eine übersichtliche Erläuterung dieses Modells bietet z.B. BARRO, R.J. und X. SALA-I-<br />

MARTIN (1995). Economic Growth. New York.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 5<br />

Quelle: OSKAM, A. und S. STEFANOU: The CAP and Technological Change. In: Ritson, C. und D.R. Harvey<br />

(Hrsg.): The Common Agricultural Policy. 2 nd edition. Oxon, New York: CAB International 1997, S. 194.<br />

würden die Exportchancen des Landes sinken, weil die Importländer immer mehr neue Pro-<br />

dukte von anderen Ländern kaufen würden. Andererseits würde das betrachtete Land selbst<br />

zunehmend neue Produkte einführen. Es käme im Inland zu einer Substitution von traditio-<br />

nellen durch neue Produkte. Als Folge würde sich eine unausgeglichene Zahlungsbilanz ein-<br />

stellen. Das Land wäre daher zu einer Abwertung der Währung oder anderen außenhandels-<br />

politischen Maßnahmen gezwungen, die darauf abzielen, die Nachfrage nach Importen zu<br />

verringern. Die Folge wäre, dass sich das Land zunehmend in die Richtung einer Autarkiesi-<br />

tuation bewegt. Wie wichtig neuere und in der Regel qualitativ höherwertige Produkte für die<br />

internationale Wettbewerbsfähigkeit sind, wurde insbesondere bei der Öffnung ehemaliger<br />

sozialistischer Volkswirtschaften deutlich. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands z.B.<br />

wurde schnell klar, dass viele ostdeutsche Industrie- und Konsumgüter aus qualitativen<br />

Gründen nicht wettbewerbsfähig sind. Die Möglichkeit, die Wettbewerbsfähigkeit dieser Gü-<br />

ter über niedrige Angebotspreise zu erhöhen, war nicht gegeben, da die Löhne in Ostdeutsch-<br />

land schnell an das westliche Niveau angepasst wurden und die Währungsunion eine Abwer-<br />

tung der Ostmark ausschloss.<br />

2.2 Bedeutung für den Agrarsektor<br />

Technische <strong>Fortschritt</strong>e bedeuten im allgemeinen eine Veränderung der ökonomischen Rah-<br />

menbedingungen und rufen somit Anpassungsreaktionen bei Produzenten sowie Konsumen-<br />

ten hervor. Der Agrarsektor wird nicht nur von technischen <strong>Fortschritt</strong>en im eigentlichen<br />

landwirtschaftlichen Produktionsprozess (z.B. neue Züchtungen) beeinflusst, sondern auch<br />

von Innovationen auf Produkt- und Faktormärkten außerhalb der Landwirtschaft (z.B.<br />

Entwicklungen im EDV-Bereich). Da technische <strong>Fortschritt</strong>e die Produkt- und Faktor-<br />

preisrelationen in einer Volkswirtschaft verändern, müssen sich auch Sektoren, bei denen<br />

selbst keine technischen <strong>Fortschritt</strong>e aufgetreten sind, diesen geänderten Rahmenbedingun-


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 6<br />

gen anpassen. Darüber hinaus treten, durch die Schaffung neuer oder verbesserter industriel-<br />

ler Erzeugnisse, gelegentlich Konkurrenzprodukte für traditionelle Agrarprodukte auf, wie<br />

z.B. chemische Textilfasern oder künstliche Süßstoffe, die die Absatzbedingungen für land-<br />

wirtschaftliche Erzeugnisse verändern. Technische <strong>Fortschritt</strong>e im Transport- und Kommuni-<br />

kationswesen tragen dazu bei, dass die Märkte für Agrarprodukte quasi enger zusammenrü-<br />

cken und sich damit die Konkurrenzsituation in den einzelnen Volkswirtschaften verändern.<br />

3 Ausgewählte Klassifikationen technischer <strong>Fortschritt</strong>e<br />

Es gibt eine Vielzahl von möglichen Klassifikationen technischer <strong>Fortschritt</strong>e. Im fol-<br />

genden werden einige ausgewählte Klassifikationen dargestellt und kurz diskutiert.<br />

3.1 Klassifikation technischer <strong>Fortschritt</strong>e nach Brinkmann<br />

In der Landwirtschaft war lange Zeit die Klassifikation technischer <strong>Fortschritt</strong>e nach BRINK-<br />

MANN 3 gebräuchlich, denn der Agrarökonom BRINKMANN hat seine Klassifikation eng an den<br />

<strong>Fortschritt</strong>en im Agrarbereich. Dabei wird unterschieden zwischen<br />

• mechanisch-technischem,<br />

• biologisch-technischem,<br />

• organisatorisch-technischem <strong>Fortschritt</strong>.<br />

Mechanisch-technischer <strong>Fortschritt</strong> bewirkt meist eine Substitution von menschlicher Ar-<br />

beit durch Kapital. Diese <strong>Fortschritt</strong>e kommen insbesondere solchen Betrieben zugute, die<br />

entweder Arbeitskräfte entlassen können oder in denen der Betriebsleiter, aufgrund der durch<br />

die Mechanisierung erzielten Zeitersparnis im Betrieb, eine nebenberufliche Erwerbstätigkeit<br />

aufnehmen kann. Im allgemeinen sind es jedoch die großen Betriebe, die von mechanisch-<br />

technischen <strong>Fortschritt</strong>en am stärksten profitieren, da das Minimum der totalen Durch-<br />

schnittskosten vieler neuer Produktionsverfahren erst bei größeren Produktionsmengen er-<br />

3 BRINKMANN, T. Die Ökonomik des landwirtschaftlichen Betriebes. Tübingen 1922.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 7<br />

reicht wird (siehe Schaubild 3).


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 8<br />

Schaubild 3: Totale Durchschnittskosten bei unterschiedlichen Produktionsverfahren<br />

TDK<br />

q 0 q<br />

1<br />

TDK<br />

TDK<br />

Produktionsumfang<br />

Biologisch-technische <strong>Fortschritt</strong>e sind in erster Linie züchterische <strong>Fortschritt</strong>e, wie z.B.<br />

Erhöhung der Milchleistung pro Kuh, Steigerung der Flächenerträge im Ackerbau oder qua-<br />

litative Verbesserung von Produkten. Oftmals bewirken sie eine Erhöhung der Faktorproduk-<br />

tivität und führen damit zur Anhebung der optimalen speziellen Intensität aller eingesetzten<br />

Inputfaktoren. Einige biologisch-technische <strong>Fortschritt</strong>e zielen dagegen auf eine Verminde-<br />

rung des Faktoreinsatzes ab, z.B. durch die Einführung von Genen, die eine Resistenz gegen<br />

bestimmte Herbizide übertragen. Dies kann dazu führen, dass einige Faktorintensitäten (z.B.<br />

der Pflanzenschutzmitteleinsatz pro Hektar) reduziert werden.<br />

Organisatorisch-technische <strong>Fortschritt</strong>e beinhalten z.B. die Aufnahme neuer Bewirtschaf-<br />

tungssysteme, wie Kooperationen u.ä. Sie beruhen im wesentlichen auf einer verbesserten<br />

Ausnutzung der vorhandenen Produktionskapazitäten. Ein Beispiel für organisatorisch-tech-<br />

nische <strong>Fortschritt</strong>e ist die Einführung der EDV in der Betriebsleitung, mit der sowohl Steue-<br />

rung und Überwachung von Produktionsabläufen als auch Managementaufgaben vorgenom-<br />

men werden können.<br />

Für viele ökonomische Betrachtungen ist die Klassifikation technischer <strong>Fortschritt</strong>e nach<br />

BRINKMANN zu unscharf, da nur die Ansatzpunkte des <strong>Fortschritt</strong>es und nicht die ökonomi-<br />

schen Wirkungen auf Faktoreinsatz- und Produktionsmengen thematisiert werden. Daher<br />

0<br />

1


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 9<br />

sollen im folgenden einige alternative Klassifikationen dargestellt werden.<br />

3.2 Produktionssteigernde versus kostenverringernde technische <strong>Fortschritt</strong>e<br />

Laut Definition können technische <strong>Fortschritt</strong>e sowohl zur Erhöhung der Produktionsmenge<br />

bei gegebenem Faktoreinsatz als auch zu einer Verringerung des Faktoreinsatzes bei konstan-<br />

ter Ausbringungsmenge führen. Technische <strong>Fortschritt</strong>e führen damit ceteris paribus stets zu<br />

einer Stückkostenreduzierung und damit auch langfristig zu einer Ausdehnung der Produkti-<br />

onsmenge. Dabei ist es hinsichtlich der mittel- und langfristigen Wirkungen unerheblich, ob<br />

der <strong>Fortschritt</strong> zunächst zu einer Reduzierung der Faktoreinsatzmenge bei gegebener Produk-<br />

tionsmenge oder sofort zu einer Produktionssteigerung führt.<br />

Aus betrieblicher Sicht ist aber von Bedeutung, welche betrieblichen Anpassungen mit der<br />

Einführung der technischen <strong>Fortschritt</strong>e notwendig sind, denn nicht alle Betriebe haben die<br />

gleichen Anpassungsmöglichkeiten. Für den einzelnen Betrieb wird je nach betrieblicher<br />

Anpassungsfähigkeit entweder die Übernahme kostensenkender technischer <strong>Fortschritt</strong>e<br />

oder die Übernahme produktionssteigernder technischer <strong>Fortschritt</strong>e vorteilhafter sein.<br />

Bäuerliche Betriebe, die z.B. den betrieblichen Arbeitseinsatz kurzfristig nicht reduzieren<br />

können, werden an arbeitssparenden technischen <strong>Fortschritt</strong>en weniger interessiert sein<br />

als Lohnarbeitsbetriebe, die den betrieblichen Faktoreinsatz leichter variieren können. Erstere<br />

werden daher technische <strong>Fortschritt</strong>e vorziehen, die sofort zu einer Produktionssteigerung,<br />

ohne Reduzierung des Faktoreinsatzes, führen. Monopolisten werden dagegen zunächst fak-<br />

torsparende technische <strong>Fortschritt</strong>e bevorzugen, da Produktionsausweitungen zu sinkenden<br />

Produktpreisen führen und somit die positiven Wirkungen des technischen <strong>Fortschritt</strong>s aus<br />

betrieblicher Sicht schmälern oder gar zunichte machen können.<br />

Änderungen der sektoralen und gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie z.B. die<br />

Einführung von Produktionsquoten oder Flächenstillegungen, werden auch zu einer geän-<br />

derten Bewertung der relativen Vorzüglichkeit technischer <strong>Fortschritt</strong>e aus betrieblicher Sicht<br />

beitragen. Wird die Outputmenge z.B. durch Quoten eingeschränkt, sinkt die Attraktivität<br />

produktionssteigernder technischer <strong>Fortschritt</strong> aus betrieblicher Sicht. So würde z.B. die Ein-<br />

führung des Hormons BST in der Milchproduktion aufgrund des begrenzenden Faktors


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 10<br />

Milchquote letztlich einen Abbau der Milchkuhherden zur Folge haben. Dies würde zu einer<br />

reduzierten Auslastung der gegebenen und anderweitig nur begrenzt nutzbaren Stallkapazitä-<br />

ten im Milchsektor führen. Andererseits kann die Milchquote Stabilität und Höhe der Gewin-<br />

ne im Milchsektor erhöhen und damit auch die Investitionsfähigkeit der Milchviehbetriebe.<br />

Als Folge können Investitionen in technischen <strong>Fortschritt</strong> in Form z.B. von moderneren<br />

Melk- und Güllesystemen steigen.<br />

Da je nach Rahmenbedingungen kostensparende bzw. produktionssteigernde technische Fort-<br />

schritte unterschiedlich vorzüglich erscheinen, ist auch vorstellbar, dass die Nachfrage nach<br />

dem einen oder dem anderen <strong>Fortschritt</strong> auch unterschiedlich sein kann. Bezogen auf Schau-<br />

bild 8.2 bedeutet dies, dass die Stärke der betrieblichen Nachfrage nach kostensparenden<br />

bzw. produktionssteigernden Innovationen, die Schwerpunkte der Produktentwicklung und<br />

angewandten Forschung, vielleicht sogar die der Grundlagenforschung, beeinflussen wird.<br />

3.3 Neutrale und nicht-neutrale technische <strong>Fortschritt</strong>e<br />

Die gebräuchlichste Klassifikation in neutrale und nicht-neutrale technische <strong>Fortschritt</strong>e<br />

geht auf HICKS 4 zurück. Weitere Klassifikationen in neutrale und nicht-neutrale <strong>Fortschritt</strong>e<br />

stammen von HARROD sowie von SOLOW; diese werden im folgenden jedoch nicht behan-<br />

delt 5 .<br />

Für die Klassifizierung technischer <strong>Fortschritt</strong>e nach HICKS ist entscheidend, wie sich das<br />

Verhältnis der Grenzproduktivitäten der Faktoren Arbeit und Kapital durch die Innovation<br />

bei unveränderten Faktorintensitäten verändert. Werden beide Grenzprodukte proportional<br />

erhöht, liegt Hicks-neutraler <strong>Fortschritt</strong> vor.<br />

Anders verhält es sich, wenn die Grenzproduktivität eines Faktors durch technischen Fort-<br />

4 HICKS, J.R., The theory of wages. 1st. Ed., London 1932.<br />

5 Siehe dazu SCHRADER, H., Produktionsfunktionen des Agrarsektors - Konzept, Schätzung und Anwendung.<br />

Meisenheim am Glan 1973; PETERSON, W. UND Y. HAYAMI, Technical change in agriculture. University of<br />

Minnesota, Staff Paper 73-20, Minneapolis, St. Paul 1973; WALTER, H., <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> in der Volkswirtschaft.<br />

In: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften, Band 7. Stuttgart 1977, S.567-583.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 11<br />

schritt relativ stärker steigt als die des anderen. HICKS spricht dann von nicht-neutralem Fort-<br />

schritt. Wird z.B. die Grenzproduktivität der Arbeit relativ stärker gesteigert als die des Kapi-<br />

tals, wird bei unveränderten Faktorpreisen der Einsatz von Arbeit im Produktionsprozess im<br />

Vergleich zum Kapital vorzüglicher. Sofern beide Faktoren gegeneinander substituierbar<br />

sind, werden die Produzenten mehr Arbeit in Relation zum Kapital einsetzen, so dass sich die<br />

Faktorintensität verschiebt. In diesem Fall liegt der Hicksschen Definition zufolge kapitalspa-<br />

render (bzw. arbeitsvermehrender) <strong>Fortschritt</strong> vor. Im umgekehrten Fall, wenn die Grenzpro-<br />

duktivität des Kapitals relativ stärker steigt als die der Arbeit, wirkt der technische <strong>Fortschritt</strong><br />

arbeitssparend (bzw. kapitalvermehrend).<br />

Schaubild 4 zeigt die Wirkung von HICKS-neutralen technischen <strong>Fortschritt</strong>en. In der Aus-<br />

( 0 0 K ) 0 auf der Isoquan-<br />

gangssituation wird mit der Faktoreinsatzkombination , A der Punkt S<br />

ten I realisiert. Die Faktorintensität k ergibt sich aus der Steigung des Fahrstrahls vom Ur-<br />

0<br />

A0<br />

sprung zu S0,<br />

d.h. k = tan(<br />

β ) = . Die Faktorpreisrelation lässt sich aus der Definition der<br />

K<br />

Isokostenlinie (C0C0) ableiten:<br />

K<br />

A<br />

0<br />

AP KP C = +<br />

(1)<br />

mit: C = Kosten und<br />

Bei K =0 gilt<br />

Pi<br />

= Preis des Faktors i.<br />

tan(<br />

C<br />

P<br />

) =<br />

C<br />

P<br />

P<br />

=<br />

P<br />

C<br />

A = und bei A =0 gilt<br />

P<br />

A<br />

A<br />

C<br />

K = . Hieraus ergibt sich:<br />

P<br />

K<br />

A K<br />

α (2)<br />

K<br />

Durch technischen <strong>Fortschritt</strong> verschiebt sich die Isoquante I 0 gegen den Ursprung, d.h., mit<br />

geringerem Faktoreinsatz kann die gleiche Outputmenge erstellt werden. An dem Berüh-<br />

rungspunkt der neuen Isoquanten I1 mit der Isokostenlinie (C1C1)<br />

ergibt sich der Optimal-


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 12<br />

punkt S1. Da sich die relative Faktorintensität bei unveränderter Faktorpreisrelation nicht<br />

geändert hat<br />

nischen <strong>Fortschritt</strong>.<br />

A A<br />

β = = 0 , handelt es sich im Schaubild 4 um HICKS-neutralen tech-<br />

1 tan( )<br />

K K 1 0<br />

Schaubild 4: HICKS-neutraler technischer <strong>Fortschritt</strong><br />

Arbeit<br />

C0<br />

C1<br />

A0<br />

A1<br />

0<br />

a<br />

a<br />

b<br />

Isoquanten<br />

S1<br />

K1 K0<br />

S0<br />

C1<br />

Arbeitsintensität = A/K<br />

C0<br />

I1<br />

I0<br />

Isokostenlinien<br />

Kapital<br />

Im Schaubild 5 sind die nicht-neutralen technischen <strong>Fortschritt</strong>e nach HICKS grafisch darge-<br />

stellt. Die Ausgangslage ist gekennzeichnet durch die Faktoreinsatzkombination ( , A ) mit K<br />

dem Produktionspunkt S0<br />

auf der Isoquanten I . Der Übergang zur Isoquanten I1<br />

stellt einen<br />

kapitalsparenden technischen <strong>Fortschritt</strong> dar. Im neuen Optimalpunkt S1<br />

entspricht die Fak-<br />

torintensität tan(β1). Im Vergleich zur Ausgangssituation wird bei unveränderter Faktorpreis-<br />

relation relativ mehr Arbeit und relativ weniger Kapital in der Produktion eingesetzt. Dage-<br />

gen beinhaltet der Sprung von S0 zu S2 einen arbeitssparenden technischen <strong>Fortschritt</strong>; hier<br />

wird entsprechend tan(β2) eine kapitalintensivere Faktorkombination gewählt.<br />

0<br />

0<br />

0


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 13<br />

Schaubild 5: Nicht-neutrale <strong>Fortschritt</strong>e nach HICKS<br />

Arbeit<br />

A0<br />

A1<br />

A2<br />

0<br />

b 1<br />

b 0<br />

S1<br />

K1<br />

b 2<br />

S0<br />

K0 K2<br />

k1 = A1 /K1<br />

S2<br />

k0 = A0 /K0<br />

3.4 Induzierter und autonomer technischer <strong>Fortschritt</strong><br />

k2 = A2 /K2<br />

I1<br />

I0<br />

I2<br />

Kapital<br />

Die Unterscheidung in autonome und induzierte technische <strong>Fortschritt</strong>e geht ebenfalls auf<br />

HICKS zurück und ist eng verknüpft mit der Klassifikation in neutrale und nicht-neutrale Fort-<br />

schritte. <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> wird als autonom bezeichnet, wenn er nicht aus ökonomi-<br />

schen Druck- und Anreizmechanismen resultiert, sondern quasi‚ wie Manna vom Himmel<br />

fällt‘. Induzierter <strong>Fortschritt</strong> ist dagegen die Folge bestimmter Knappheitsrelationen. Durch<br />

gezielte Forschung und/oder Produktentwicklung (s. Schaubild 2) wird z.B. versucht, die<br />

Kosten der Produktion zu verringern, indem vor allem der Einsatz relativ knapper Produkti-<br />

onsfaktoren effizienter gestaltet wird.<br />

So zeigen HAYAMI und RUTTAN 6 , dass in Japan technische <strong>Fortschritt</strong>e vorwiegend die Bo-<br />

6 HAYAMI, Y. UND V.W. RUTTAN, Agricultural development: An international perspective. Revised and ex-<br />

panded edition. Baltimore und London, 1985.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 14<br />

denproduktivität gesteigert haben, während in den USA die Erhöhung der Arbeitsproduktivi-<br />

tät im Vordergrund gestanden hat. Eine Studie von HENRICHSMEYER und OSTERMEYER-<br />

SCHLÖDER 7 zeigt, dass in den EU-Staaten für die Jahre 1965 bis 1985 die Produktivitätsstei-<br />

gerungen beim Faktor Arbeit am höchsten waren, gefolgt vom Inputfaktor Boden. Die Vor-<br />

leistungsproduktivität ist leicht gefallen, während die Kapitalproduktivität in fast allen Län-<br />

dern eine negative Entwicklung aufweist. Dies lässt allerdings noch keine eindeutige Aussage<br />

über die Form des technischen <strong>Fortschritt</strong>s zu, denn Produktivitätsänderungen können z.B.<br />

auch durch Veränderungen der relativen Faktoreinsatzmengen infolge von Veränderungen<br />

der relativen Faktorpreise entstanden sein 8 .<br />

Eine Induzierung technischer <strong>Fortschritt</strong>e kann nicht nur über relative Knappheiten auf den<br />

Faktormärkten erfolgen, sondern auch durch die Situation auf den Produktmärkten. Durch<br />

staatliche Preisstützung für bestimmte Agrarprodukte werden Forschungsaktivitäten in diesen<br />

Bereichen gegenüber nicht protektionierten Produkten gefördert. Dabei ist, wie oben bereits<br />

erläutert, die Art der Protektion (z.B. Preisgarantien oder Mengenbeschränkungen) von Be-<br />

deutung.<br />

DE JANVRY und DETHIER 9 differenzieren induzierte technische <strong>Fortschritt</strong>e weiter in rein<br />

preisinduzierte Innovationen und solche, die aufgrund von institutionellen Gegebenheiten<br />

entstehen. Dabei ist zu beachten, dass die Preisrelationen infolge der institutionellen Rah-<br />

menbedingungen gegenüber echten Marktpreisrelationen verzerrt sein können. In Entwick-<br />

lungsländern wird z.B. Exportprodukten, mit denen Devisen erwirtschaftet werden können,<br />

oft mehr Forschungsaktivität gewidmet als Produkten für den heimischen Markt. Agrarpro-<br />

dukte, die vornehmlich von Kleinerzeugern erstellt werden, werden in der Forschung häufig<br />

vernachlässigt, weil diese Produzenten ihren Bedarf an Innovationen gegenüber dem Staat<br />

7 HENRICHSMEYER, W. UND A. OSTERMEYER-SCHLÖDER, Productivity growth and factor adjustment in EC<br />

agriculture. European Review of Agricultural Economics, 15 (1988), S.137-154.<br />

8 Zu den verschiedenen Methoden und Schwierigkeiten bei der Messung der Produktivität siehe Abschnitt 8.6.<br />

9 DE JANVRY, A. UND J.-J. DETHIER, Technological innovation in agriculture: The political economy of its rate<br />

and bias. The World Bank. Consultative Group on International Agricultural Research, Study Paper No.1.<br />

Washington, D.C. 1985.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 15<br />

nicht wie Großproduzenten geltend machen können.<br />

Die Art des technischen <strong>Fortschritt</strong>s hat zudem Auswirkungen auf die Rentabilität von Tech-<br />

nologietransfers. Durch die Forschung wird versucht, die Produktionskosten bei gegebenem<br />

Faktoreinsatzverhältnis, z.B. gekennzeichnet durch den Fahrstrahl k2 im Schaubild 8.5, zu<br />

verringern. Induzierte <strong>Fortschritt</strong>e werden die Isoquanten daher vorwiegend in der Nähe der<br />

gegebenen Faktorintensität gegen den Ursprung verschieben. Volkswirtschaften, die mit ei-<br />

ner anderen Faktorintensität produzieren, z.B. entsprechend dem Fahrstrahl k1, werden dem-<br />

nach von den im Bereich um den Fahrstrahl k2 wirksamen <strong>Fortschritt</strong>en weniger profitieren.<br />

So werden technische <strong>Fortschritt</strong>e z.B. im Bereich des sogenannten Precision Farming in<br />

Ländern, wo Getreide noch sehr arbeitsintensiv angebaut wird, kaum rentabel sein.<br />

4 Sektorale Wirkungen technischer <strong>Fortschritt</strong>e<br />

Die Auswirkungen technischer <strong>Fortschritt</strong>e in einem Sektor hängen u.a. von der relativen Be-<br />

deutung des Sektors in der Volkswirtschaft ab. Dies gilt einerseits wegen der Rückwirkung<br />

einer veränderten landwirtschaftlichen Nachfrage nach Inputfaktoren auf die Faktorpreise in-<br />

nerhalb der Gesamtwirtschaft, andererseits wegen der Wirkungen von Angebotsausweitungen<br />

auf die Produktpreise. Im folgenden werden anhand von zwei Beispielen die sektoralen Wir-<br />

kungen technischer <strong>Fortschritt</strong>e dargestellt. Dabei wird zunächst eine offene und dann eine<br />

geschlossene Volkswirtschaft betrachtet. In beiden Fällen wird von einem relativ kleinen<br />

Agrarsektor ausgegangen, d.h. vom Agrarsektor sollen keine Rückwirkungen auf die Ge-<br />

samtwirtschaft ausgehen.<br />

4.1 Offene Volkswirtschaft mit kleinem Agrarsektor<br />

Es wird ein relativ kleines Land im Sinne der Außenhandelstheorie angenommen. Der be-<br />

trachtete Sektor übt keinen Einfluss auf das Niveau der internationalen Preise aus. Für die in-<br />

ländischen Erzeuger sind die Preise des unterstellten Freihandels gegeben. Bei gegebenen<br />

Preisen reagieren aus Sicht des Inlandes sowohl die internationale Importnachfrage als auch<br />

das ausländische Exportangebot völlig elastisch. Inländische Produktionssteigerungen führen<br />

somit nicht zu Preissenkungen.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 16<br />

Wie aus der Grenzproduktivitätstheorie (s. 3.4) bekannt, ist der fallende Abschnitt der Wert-<br />

grenzproduktivitätskurve (WGP ) der Arbeit ab dem Schnittpunkt mit der Wertdurchschnitts-<br />

produktivitätskurve (WDP ) bei vollständiger Konkurrenz auf Produkt- und Faktormärkten<br />

identisch mit der Faktornachfragekurve (Schaubild 6). Verschiebt sich durch technischen<br />

<strong>Fortschritt</strong> die Wertgrenzproduktivitätskurve nach außen (von WGP zu WGP ), werden mehr<br />

0 1<br />

Schaubild 6: Auswirkungen technischer <strong>Fortschritt</strong>e im Agrarsektor auf den landwirtschaftlichen<br />

Arbeitseinsatz in einem kleinen Land<br />

WGPA;<br />

WDPA;<br />

pA<br />

pA 0<br />

0<br />

WGP 0<br />

WDP0<br />

WGP1<br />

WGP = Wertgrenzproduktivität der Arbeit =<br />

δ q<br />

*p<br />

δ A<br />

WDP = Wertdurchschnittprodukt der Arbeit = q / A * p q<br />

pA = Faktorpreis für Arbeit ( Lohnsatz)<br />

A 0<br />

q<br />

A1<br />

WDP 1<br />

Arbeit<br />

Faktoren nachgefragt, und zwar so lange, bis die WGP wieder dem Faktorpreis P ent-<br />

spricht. Da die Landwirtschaft - laut Annahme - nur eine kleine Rolle in der Volkswirtschaft<br />

spielt, gehen von ihr keine Effekte auf die Faktorpreise aus. Bei konstantem P steigt daher<br />

der Arbeitseinsatz also von auf an. Entsprechendes gilt für den Kapitalmarkt; hier<br />

A0 1 A<br />

gehen ebenfalls von Änderungen der landwirtschaftlichen WGP des Kapitals keine spürba-<br />

ren Effekte auf das gesamtwirtschaftliche Zinsniveau aus.<br />

Auf dem Bodenmarkt ist die Wirkung des technischen <strong>Fortschritt</strong>s aber anders. Da Boden ein<br />

A<br />

A


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 17<br />

sektorspezifischer Produktionsfaktor ist (s. 4.1), führen hier Änderungen der WGP und damit<br />

der Faktornachfrage zu Preissteigerungen. Bei völlig unelastischem Bodenangebot B , wie<br />

im Schaubild 7 dargestellt, erfolgt die Anpassungsreaktion nur über den Bodennutzungspreis<br />

PB<br />

. Dieser steigt so weit, bis er gleich der geänderten Wertgrenzproduktivität der gegebenen<br />

Bodeneinsatzmenge ist. Dabei erhöht sich die Grenzproduktivität des Bodens als Folge zwei-<br />

er Effekte:<br />

1. Effekt: Die Grenzproduktivität steigt als direkte Wirkung des technischen <strong>Fortschritt</strong>s.<br />

2. Effekt: Die Grenzproduktivität steigt als Folge erhöhter Faktorintensität, da pro Bodeneinheit<br />

mehr Kapital und mehr Arbeit eingesetzt wird (s. Schaubild 8.).<br />

Schaubild 7: Auswirkungen technischer <strong>Fortschritt</strong>e auf den Bodenmarkt in einem<br />

kleinen Land<br />

WGPB;<br />

WDPB;<br />

pB<br />

pB 1<br />

pB 0<br />

0<br />

WGP0<br />

WGP1<br />

WGP = Wertgrenzproduktivität des Bodens =<br />

δ q<br />

*p<br />

δ B<br />

WDP = Wertdurchschnittprodukt des Bodens = q / B * p q<br />

pB = Bodennutzungspreis<br />

B<br />

q<br />

WDP0<br />

WDP1<br />

Boden<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in einer offenen Volkswirtschaft mit ei-<br />

nem relativ kleinen Agrarsektor technische <strong>Fortschritt</strong>e in der Landwirtschaft bei variablen<br />

Produktionsfaktoren vornehmlich zu höherer Faktornachfrage und bei sektoral-fixen Produk-<br />

tionsfaktoren zu höheren Faktorpreisen führen. Technische <strong>Fortschritt</strong>e führen unter diesen


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 18<br />

Bedingungen zu einer steigenden Zahl von landwirtschaftlich Erwerbstätigen und steigenden<br />

Bodennutzungspreisen.<br />

<strong>4.2</strong> Geschlossene Volkswirtschaft mit relativ kleinem Agrarsektor<br />

In diesem Fall ist die Nachfrage nach Agrarprodukten preisabhängig. Bei einem Produktions-<br />

anstieg infolge technischer <strong>Fortschritt</strong>e werden bei konstantem Faktoreinsatz die Preise für<br />

Agrarprodukte sinken. Da auf den Märkten für landwirtschaftliche Erzeugnisse im allgemei-<br />

nen niedrige Preiselastizitäten der Nachfrage vorliegen, führt eine 1-%ige Produktionsaus-<br />

weitung zu einem mehr als 1-%igen Sinken der Preise (Kingsche Regel). Die kurzfristig posi-<br />

tive Wirkung der technischen <strong>Fortschritt</strong>e für innovative Betriebe wird mittel- und langfristig<br />

durch sinkende Preise vermindert. Bezüglich der Faktornachfrage treten drei Effekte auf:<br />

1. Effekt: <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> führt bei konstantem Faktoreinsatz zu einer Erhöhung der<br />

Wertgrenzproduktivität und damit höherer Faktornachfrage.<br />

2. Effekt: Die Ausweitung der Produktionsmengen führt zu Produktpreissenkungen; dadurch<br />

sinkt die Wertgrenzproduktivität aller Faktoren.<br />

3. Effekt: Infolge der Änderung der Grenzproduktivität unterschiedlicher Faktoren können<br />

sich die relativen Faktorintensitäten ändern.<br />

Die ersten beiden Effekte sind im Schaubild 8 dargestellt. Bei konstantem Faktoreinsatz wird<br />

durch technischen <strong>Fortschritt</strong> die Grenzproduktivität der Arbeit erhöht und somit die Faktor-<br />

nachfragekurve (Wertgrenzproduktivitätskurve) nach rechts verschoben (von WGP auf<br />

WGP1<br />

). Durch die Erhöhung der Produktionsmenge sinkt jedoch die Wertgrenzproduktivität<br />

wieder; wenn die Produktpreise prozentual stärker sinken, als die Grenzproduktivität prozen-<br />

tual gestiegen ist, so wird die Wertgrenzproduktivitätskurve nach Berücksichtigung beider<br />

Effekte links von WGP liegen (WGP ). Der Arbeitseinsatz und das Lohnniveau steigen<br />

0 2<br />

demzufolge zunächst auf A1<br />

bzw. an, durch den Produktpreisverfall gehen jedoch beide<br />

A<br />

P 1<br />

A<br />

auf ein niedrigeres Niveau als vor der Innovation zurück (A2 bzw. ). Dabei wird das Stei-<br />

gen der Grenzproduktivität als direkte und die Preissenkung als indirekte Wirkung des tech-<br />

nischen <strong>Fortschritt</strong>s bezeichnet.<br />

P 2<br />

0


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 19<br />

Schaubild 8: Effekte des technischen <strong>Fortschritt</strong>s auf den Arbeitsmarkt bei preisunelastischer<br />

Nachfrage<br />

WGPA ;<br />

p A<br />

p A 1<br />

p A 0<br />

p A 2<br />

q S A = Arbeitsangebot<br />

1. Effekt<br />

2. Effekt<br />

A2 A0 A1<br />

q S A<br />

WGP0<br />

WGP2<br />

WGP1<br />

Arbeit<br />

Technische <strong>Fortschritt</strong>e im Agrarsektor werden sich in einer geschlossenen Volkswirtschaft<br />

insbesondere in fallenden Preisen für die fixen Faktoren niederschlagen. Im Schaubild 9 ist<br />

die Wirkung auf den Bodennutzungspreis dargestellt. Neben den oben für den Faktor Arbeit<br />

dargestellten Effekten tritt hier der oben genannte dritte Effekt durch die Änderung der Fak-<br />

torintensität auf. Der verringerte Einsatz der variablen Faktoren führt zu einem zusätzlichen<br />

B<br />

B<br />

Sinken der Wertgrenzproduktivität des Bodens (von WGP auf WGP ) (s. Intensitätsrente in<br />

4.1). Bei vollkommen unelastischem Bodenangebot werden sich daher technische <strong>Fortschritt</strong>e<br />

in einer geschlossenen Volkswirtschaft in fallenden Bodennutzungspreisen niederschlagen.<br />

2<br />

3


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 20<br />

Schaubild 9: Effekte des technischen <strong>Fortschritt</strong>s auf den Bodennutzungspreis in einer<br />

geschlossenen Volkswirtschaft<br />

WGPB ;<br />

p B<br />

p B 0<br />

p B 3<br />

p B 1<br />

p B 2<br />

3. Effekt<br />

B<br />

1. Effekt<br />

WGP3<br />

2. Effekt<br />

WGP1<br />

WGP0<br />

WGP2<br />

5 <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong>, Strukturwandel und Agrarpolitik<br />

5.1 <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und Produktpreisänderungen<br />

Boden<br />

In Anhang 8.1 wird die Wirkung des technischen <strong>Fortschritt</strong>s in einer geschlossenen Volks-<br />

wirtschaft formal dargestellt. Dabei wird folgende Beziehung zwischen der Rate des techni-<br />

schen <strong>Fortschritt</strong>s einerseits und den Preisänderungen für landwirtschaftliche Produkte ande-<br />

rerseits abgeleitet:<br />

−1<br />

( P)<br />

= E(<br />

F)<br />

(A1.8)<br />

A<br />

ε − ε<br />

E N<br />

mit: E(P)<br />

= die prozentuale Produktpreisänderung,<br />

E (F ) = die <strong>Fortschritt</strong>srate,<br />

A<br />

ε = Preiselastizität des Angebots und<br />

N<br />

ε = Preiselastizität der Nachfrage.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 21<br />

N<br />

A<br />

Je kleiner die Beträge der Elastizitäten ε und ε in Gleichung (A1.8), also je unelastischer<br />

das Angebot und die Nachfrage auf Preisänderungen reagieren, um so stärker werden die<br />

Preise infolge von Produktionssteigerungen durch technischen <strong>Fortschritt</strong> sinken. Dies er-<br />

scheint auch unmittelbar plausibel, denn eine niedrige Preiselastizität der Nachfrage bedeutet,<br />

dass bei einer Angebotsausweitung relativ große Preissenkungen erforderlich sind, um den<br />

Markt zu räumen. Andererseits bedeutet eine geringe Angebotselastizität, dass das Angebot<br />

infolge dieser Preissenkungen nur wenig zurückgeht.<br />

Sofern die Differenz aus beiden Elastizitäten kleiner als Eins ist, geht das für die Faktorent-<br />

lohnung zur Verfügung stehende Einkommen zurück, da der Preis prozentual stärker sinkt,<br />

als die produzierte Menge steigt. Es wird also Druck auf die Faktoren im Sektor ausgeübt, da<br />

aufgrund des sinkenden Faktoreinkommens die relative Vorzüglichkeit des landwirtschaftli-<br />

chen Faktoreinsatzes zurückgeht. Durch Abwanderung in andere Sektoren könnten die Fakto-<br />

ren eine höhere Entlohnung erzielen. Der Abwanderungsdruck wird um so größer sein, je<br />

größer die Rate des technischen <strong>Fortschritt</strong>s E(F<br />

) und je geringer die Preiselastizität der<br />

N<br />

Nachfrage ε .<br />

COCHRANE 10 hat die grundlegenden Zusammenhänge zwischen technischen <strong>Fortschritt</strong>en und<br />

der Agrarpreisentwicklung in der sogenannten Tretmühlentheorie beschrieben: Technische<br />

<strong>Fortschritt</strong>e führen zu einer Senkung der Produktionskosten und damit zu höheren Gewinn-<br />

chancen. Aufgrund der unterschiedlichen Betriebsleiterfähigkeiten und unterschiedlichen Ri-<br />

sikobereitschaft werden jedoch einige Unternehmer neue Produktionsverfahren früher einset-<br />

zen als andere. Diese frühen Innovatoren profitieren am meisten von der Übernahme techni-<br />

scher <strong>Fortschritt</strong>e, da die Steigerung der sektoralen Produktionsmenge nur gering ist und so-<br />

mit noch keine spürbaren Rückwirkungen auf das Preisniveau auftreten. Somit können die<br />

frühen Innovatoren sog. Pioniergewinne realisieren. Je weiter sich jedoch die Innovation<br />

verbreitet, desto mehr steigt die sektorale Produktion und desto eher werden technische Fort-<br />

schritte zu Produktpreissenkungen führen. Dadurch werden Grenzproduzenten, deren Durch-<br />

10 COCHRANE, W.W., Farm prices - myth and reality. Minneapolis 1958.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 22<br />

schnittskosten bei den gesunkenen Preisen nicht mehr gedeckt sind, gezwungen, entweder<br />

ebenfalls ihre Kosten zu senken oder aus der Produktion auszuscheiden. Die Tretmühle dreht<br />

sich immer weiter, da die Produktpreissenkungen den Druck erhöhen, nach weiteren Innova-<br />

tionen zu suchen und diese einzuführen. Was für den einzelnen rational ist, führt auf sektora-<br />

ler Ebene zu Anpassungsdruck und Strukturwandel.<br />

Die Tretmühlentheorie von COCHRANE kann den durch technische <strong>Fortschritt</strong>e entstehenden<br />

Abwanderungsdruck aber nur für den Fall einer geschlossenen Volkswirtschaft oder eines<br />

großen Landes erklären. In diesem Fall ließe sich argumentieren, dass die Übernahme von<br />

<strong>Fortschritt</strong>en zwar aus gesamtwirtschaftlicher Sicht positiv zu beurteilen ist, weil insgesamt<br />

weniger Ressourcen für die Erstellung von Agrargütern benötigt werden. Es können aber<br />

soziale Härten in der Form von sinkenden Einkommen zum einen bei den Landwirten eintre-<br />

ten, die die technischen <strong>Fortschritt</strong>e nicht einführen, und zum anderen bei den Landwirten,<br />

die durch Einführung technischer <strong>Fortschritt</strong>e zu einer Erhöhung der gesellschaftlichen<br />

Wohlfahrt beitragen. Es könnte daher aus Gründen der Fairness und im Einklang mit den<br />

Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft versucht werden, mit Mitteln der Agrarpolitik soziale<br />

Härten zu mindern.<br />

In einer offenen Volkswirtschaft entsteht aber - wie oben gezeigt wurde - durch technische<br />

<strong>Fortschritt</strong>e kein zusätzlicher Abwanderungsdruck, da Produktpreise nicht sinken und Fak-<br />

toreinsatzmengen entweder steigen (variable Faktoren) oder zumindest konstant bleiben (Bo-<br />

den). Natürlich muss die Welt insgesamt als ‚geschlossene‘ Volkswirtschaft betrachtet wer-<br />

den. Auf globalem Niveau bieten daher die Tretmühlentheorie von COCHRANE und das einfa-<br />

che Modell in Anhang 1 eine (Teil-)Erklärung für das beobachtete langfristige Sinken der<br />

realen Weltmarktpreise für Agrargüter sowie der Abwanderungsdruck und Strukturwandel in<br />

der Landwirtschaft aller Länder weltweit.<br />

5.2 <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und Agrarpolitik<br />

Die beiden oben dargestellten Modelle - offene und geschlossene Volkswirtschaft - entspre-<br />

chen nicht der Situation auf den EU-Agrarmärkten. Fast 90% der Agrarproduktion unterliegt<br />

sog. gemeinsamen Marktorganisationen, die Regelungen des Binnenmarktes und des Außen-


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 23<br />

handels beinhalten. Für die EU-Landwirtschaft haben sich als Folge dieser Regelungen güns-<br />

tigere Produktionsbedingungen ergeben. Insbesondere haben Inlandspreise, die über den<br />

Weltmarktpreisen liegen, die Rentabilität der Einführung von technischen <strong>Fortschritt</strong>en er-<br />

höht. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Produktivitätssteigerungen in der EU-<br />

Landwirtschaft größer waren als in anderen Industrieländern (vgl. Schaubild 10).<br />

Das Preisstützungssystem auf den EU-Märkten hat für die EU-Landwirtschaft eine Situation<br />

geschaffen, die vergleichbar ist mit dem Freihandel eines kleinen Landes: Für die Landwirt-<br />

schaft waren die Preise gegeben; Produktionssteigerungen führten über das Wirken der<br />

Marktkräfte nicht zu Preissenkungen. Es gab daher starke Anreize, technische <strong>Fortschritt</strong>e<br />

einzuführen. Die Folge war, dass die Bodennutzungspreise stiegen und sich die Produktion<br />

stark erhöhte. Nicht die dadurch entstehenden Wohlfahrtsverluste, die aus gesamtwirtschaft-<br />

licher Sicht entscheidend sind, sondern hohe Budgetkosten und Handelskonflikte mit anderen<br />

Ländern haben dazu geführt, dass sich die EU seit Mitte der 80er Jahre gezwungen sah, das<br />

Agrarpreisstützungsniveau allmählich abzubauen.<br />

Mit dem Abbau der Agrarprotektion in der EU, vor allem seit der Agrarreform von 1992,<br />

würde man zunächst erwarten, dass sich die Einführung des technischen <strong>Fortschritt</strong>s verlang-<br />

samen würde. Die Beziehung zwischen Protektion und der Einführung des technischen<br />

<strong>Fortschritt</strong>s ist aber vermutlich relativ komplex. Zum einen können Verzögerungen auftre-<br />

ten, da es in der Regel viele Jahre dauert, bis Ergebnisse der Grundlagenforschung und der<br />

angewandten Forschung in Innovationen umgesetzt und implementiert werden. Zu jedem<br />

Zeitpunkt sind <strong>Fortschritt</strong>e 'in der Leitung', die aufgrund von Rahmenbedingungen entwickelt<br />

wurden, die vor Jahren gegolten haben. D.h., selbst nach Abbau der Protektion können Fort-<br />

schritte praxisreif werden, die das Ergebnis von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten<br />

sind, die während der Zeit der Protektion begonnen wurden.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 24<br />

Schaubild 10: Entwicklung der Flächenerträge bei Weizen in ausgewählten Ländern<br />

von 1840 bis 1990<br />

Weizenertrõge<br />

Quelle: WEBER, A. UND H. EHLERS (1988), Untersuchungen zur historischen und künftigen<br />

Entwicklung der Getreideerträge in verschiedenen Weltteilen. Institut für Agrarpolitik und<br />

Marktlehre. Universität Kiel. Diskussionsbeiträge Nr. 61.<br />

Zum anderen ist fraglich, ob es eine einfache monotone Beziehung zwischen der Agrarpro-<br />

tektion einerseits und der Entwicklung und Umsetzung technischer <strong>Fortschritt</strong>e andererseits<br />

gibt. Wie oben geschildert, erhöht die Agrarprotektion die Wirtschaftlichkeit der Einführung<br />

von technischen <strong>Fortschritt</strong>en. Sie führt dazu, dass die preissenkende und damit faktorein-<br />

kommensreduzierende Wirkung der Einführung technischer <strong>Fortschritt</strong>e ausbleibt oder zu-


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 25<br />

mindest gemildert wird. Die Protektion kann auch die Liquidität landwirtschaftlicher Betrie-<br />

be erhöhen und/oder auch ihre Kreditwürdigkeit verbessern, wenn sie dazu führt, dass be-<br />

leihbare Werte, wie z.B. Bodenwerte, steigen. Als Folge kann die Fähigkeit landwirtschaftli-<br />

cher Betriebe, in neue Technologien zu investieren, durch die Agrarprotektion erhöht werden.<br />

Andererseits kann die Agrarprotektion den Strukturwandel bremsen und dazu führen, dass<br />

Betriebe überleben und weiterhin Faktoren einsetzen, die sonst zu anderen, effizienteren und<br />

innovationsfreudigeren Betrieben und Betriebsleitern wandern müssten. Die Agrarprotektion<br />

kann somit im Sinne der Tretmühlentheorie von Cochrane den Druck zur Einführung techni-<br />

scher <strong>Fortschritt</strong>e reduzieren. Ob die positiven oder negativen Auswirkungen der Agrarpro-<br />

tektion auf die Einführung technischer <strong>Fortschritt</strong>e überwiegen, lässt sich a priori nicht<br />

bestimmen; festzuhalten ist auf jeden Fall, dass sowohl Druck- als auch Anreizmechanis-<br />

men die Einführung von technischem <strong>Fortschritt</strong> beeinflussen können.<br />

VAN DER MEER und YAMADA 11 schlagen vor, dass die Beziehung zwischen Agrarprotektion<br />

und <strong>Fortschritt</strong>srate die Form eines inversen ‚U‘ annehmen könnte. Bei niedriger und sehr<br />

hoher Protektion ist die Rate des technischen <strong>Fortschritt</strong>s relativ niedrig, da die Betriebe illi-<br />

quide sind bzw. unter wenig Druck stehen, technische <strong>Fortschritt</strong>e einzuführen. Nach Van der<br />

Meer und Yamada kann es aber auch einen mittleren Bereich der Protektion geben, bei dem<br />

die Betriebe einerseits über eine erhöhte Liquidität verfügen, aber andererseits weiterhin<br />

starken Druck verspüren, technischen <strong>Fortschritt</strong> einzuführen. Allerdings zeigt die Erfahrung<br />

Neuseelands, dass die Wachstumsraten der Produktivität vor der vollständigen Liberalisie-<br />

rung 1984 signifikant niedriger waren als nach der Liberalisierung. Diese Erfahrung deutet<br />

darauf hin, dass Druck im Sinne der Tretmühlentheorie von Cochrane der bestimmende Fak-<br />

tor bei der Einführung technischer <strong>Fortschritt</strong>e ist (s. hierzu die empirischen Ergebnisse in<br />

den Anhangstabellen A1 und A2).<br />

6. Die Messung technischer <strong>Fortschritt</strong>e und Produktivitätswachstum<br />

11 VAN DER MEER, C.L.J. UND S. YAMADA (1990), Japanese agriculture: A comparative economic analysis.<br />

London: Routledge.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 26<br />

Produktivität ist definiert als das Verhältnis zwischen Outputmenge und Inputmenge. In der<br />

Praxis produzieren Betriebe gleichzeitig mehrere Outputs mit mehreren Inputs. Im Laufe der<br />

Zeit verändern sich die Outputs, die produziert werden, und die Inputs, die benutzt werden,<br />

sowohl in ihrer Menge als auch in ihrer Qualität. Diese Veränderungen der Input- und Out-<br />

putvektoren erschweren die Messung der Produktivität und des technischen <strong>Fortschritt</strong>s. Ver-<br />

schiedene Ansätze zur Lösung dieser Probleme sind in der Literatur vorgeschlagen worden.<br />

Bei dem Konzept der sog. ‚total factor productivity‘ werden die verschiedenen Outputs eines<br />

Betriebes und die dabei verwendeten Inputs jeweils zu einem Index aggregiert. Die total fac-<br />

tor productivity (TFP) ist daher definiert als:<br />

o o o<br />

f ( Q1<br />

, Q2<br />

,..., Qn<br />

)<br />

= (3)<br />

I I<br />

g(<br />

Q , Q ,... Q )<br />

TFP I<br />

1 2 m<br />

o<br />

mit: Q = die produzierte Menge des i-ten Outputs und<br />

i<br />

I<br />

Q j<br />

= die eingesetzte Menge des j-ten Inputs.<br />

In der Regel werden Preise benutzt, um die Aggregationen, die sich hinter den Funktionen f<br />

und g verbergen, durchzuführen. So wird z.B. der monetäre Wert aller Outputs zum monetä-<br />

ren Wert aller verwendeten Inputs ins Verhältnis gesetzt, um Gleichung (8.3) zu operationali-<br />

sieren. Dabei stellt sich natürlich die Frage, welche Preise verwendet werden sollten, wenn<br />

Produktivitätsvergleiche im Zeitablauf durchgeführt werden sollen; denn im Laufe der Zeit<br />

werden sich nicht nur die eingesetzten Inputmengen und produzierten Outputmengen ändern,<br />

sondern auch die Preise, die als Gewichte bei der Aggregation dienen sollen.<br />

Neben den bekannten Indexzahlen von Paasche, Laspeyres und Fischer hat sich bei der Pro-<br />

duktivitätsmessung vor allem die Methode von Tornqvist-Theil durchgesetzt. 12 Nach der Me-<br />

thode von Tornqvist-Theil findet die Aggregation über folgende Funktionen statt:<br />

12 Diese Methode kann als exakt bezeichnet werden, wenn die zugrundeliegende Produktionsfunktion eine<br />

homogene Translog-Form annimmt. Da die Translog-Form eine Approximation zweiter Ordnung für jede<br />

zweimal differenzierbare Produktionsfunktion darstellt, liefert die Methode von Tornqvist-Theil in der Regel


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 27<br />

o<br />

n<br />

o<br />

⎛ Q ⎞<br />

⎛ ⎞<br />

o o Q<br />

t<br />

i,<br />

t<br />

ln = ∑ + ⎜ ⎟<br />

⎜<br />

⎟ 0,<br />

5 ( s<br />

o<br />

i,<br />

t si,<br />

t −1)<br />

ln<br />

⎜ o ⎟<br />

(4)<br />

⎝ Qt<br />

−1<br />

⎠ i=<br />

1 ⎝ Qi,<br />

t −1<br />

⎠<br />

I<br />

m<br />

I<br />

⎛ Q ⎞<br />

⎛ ⎞<br />

I I Q<br />

t<br />

i,<br />

t<br />

ln = ∑ + ⎜ ⎟<br />

⎜<br />

⎟ 0,<br />

5 ( s<br />

I<br />

i,<br />

t si,<br />

t −1)<br />

ln<br />

⎜ I ⎟<br />

(5)<br />

⎝ Qt<br />

−1<br />

⎠ i=<br />

1 ⎝ Qi<br />

, t −1<br />

⎠<br />

I<br />

0<br />

mit s bzw. s = der Kostenanteil des i-ten Inputs bzw. der Erlösanteil<br />

i,<br />

t<br />

i,<br />

t<br />

des i-ten Outputs in Periode t.<br />

Die Differenz aus den Gleichungen (8.4) und (8.5) kann dann benutzt werden, um die Ände-<br />

rung der ‚total factor productivity‘ zwischen zwei Perioden zu messen:<br />

⎡ n<br />

o ⎛ ⎞ m<br />

I<br />

⎛ TFP ⎞<br />

⎛ ⎞⎤<br />

o o Q<br />

t<br />

i,<br />

t<br />

⎢<br />

⎜ ⎟<br />

I I Qi,<br />

t<br />

ln = +<br />

− + ⎜ ⎟<br />

⎜<br />

⎟ 0,<br />

5 ∑( si,<br />

t si,<br />

t −1)<br />

ln<br />

⎜ ⎟ ∑(<br />

s<br />

o<br />

i,<br />

t si,<br />

t −1)<br />

ln<br />

⎜ I ⎟<br />

⎥<br />

(6)<br />

⎝ TFPt<br />

−1<br />

⎠ ⎢⎣<br />

i=<br />

1 ⎝ Qi,<br />

t −1<br />

⎠ i=<br />

1 ⎝ Qi,<br />

t −1<br />

⎠⎥⎦<br />

Eine weitere Methode zur Messung von Produktivitäten und technischem <strong>Fortschritt</strong> bietet<br />

die Anwendung sogenannter Frontier-Produktionsfunktionen.<br />

Schlagwörter und Begriffe<br />

Agrarprotektion und technischer <strong>Fortschritt</strong><br />

Anreiz- und Druckmechanismen<br />

Arbeitssparende und kapitalsparende technische <strong>Fortschritt</strong>e<br />

autonome und induzierte technische <strong>Fortschritt</strong>e<br />

biologisch-technische, mechanisch-technische und organisatorisch-technische <strong>Fortschritt</strong>e<br />

Einführung des technischen <strong>Fortschritt</strong>s<br />

Frontier-Produktionsfunktion<br />

Innovation, Invention und Wissen<br />

internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />

------------------------------------------------<br />

eine gute Approximation. Siehe hierzu ALSTON, J.M.; NORTON, G.W. AND P.G. PARDEY: Science under Scarcity<br />

– Principles and Practice for Agricultural Research Evaluation and Priority Setting. Oxon, New York:<br />

CAB International 1998, S. 126 ff.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 28<br />

Klassifikationen nach BRINKMANN und HICKS<br />

Kostensenkende und produktionssteigernde technische <strong>Fortschritt</strong>e<br />

neutrale und nicht-neutrale technische <strong>Fortschritt</strong>e<br />

Pioniergewinne<br />

Produktivität<br />

sektorale Wirkung technischer <strong>Fortschritt</strong>e<br />

technischer <strong>Fortschritt</strong> und Wachstum<br />

Technologietransfer<br />

Tretmühlentheorie<br />

Weiterführende Literatur<br />

ALSTON, J.M.; NORTON, G.W. AND P.G. PARDEY (1998): Science under Scarcity – Princi-<br />

ples and Practice for Agricultural Research Evaluation and Priority Setting. Oxon and<br />

New York: CAB International1998. Insbesondere: Part II, Kapitel 3: Econometric Meas-<br />

urement of the Effects of Research.)<br />

OSKAM, A. AND S. STEFANOU (1997): The CAP and Technological Change. In: RITSON,<br />

C. AND D.R. HARVEY (Hrsg.), The Common Agricultural Policy, CAB International, Wal-<br />

lingford.<br />

VAN DER MEER, C.J. (1989): Agricultural Growth in the EC and the Effect of the CAP. In:<br />

MAUNDER, A. UND A. VALDÉS (Hrsg.), Agriculture and Governments in an Interdepend-<br />

ent World. Dartmouth.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 29<br />

Tabelle A1: Total Factor Productivity in der US-amerikanischen Landwirtschaft, 1948-<br />

1994<br />

Annual output growth Annual input Total factor<br />

(%)<br />

growth (%)<br />

productivity (%)<br />

1948-94 1,88 -0,07 1,94<br />

1948-53 1,51 1,02 0,48<br />

1953-57 0,88 0,12 0,75<br />

1957-60 3,21 0,55 2,65<br />

1960-66 1,31 -0,57 1,88<br />

1966-69 2,28 -0,47 2,75<br />

1969-73 2,66 0,53 2,13<br />

1973-79 2,52 1,19 1,33<br />

1979-89 0,86 -1,70 2,56<br />

1989-94 3,31 0,43 2,87<br />

Quelle: BALL, V.E.; BUREAU, J.-C.; NEHRING, R. AND A. SOMWARU (1998): Agricultural<br />

Productivity Revisited, American Journal of Agricultural Economics, Bd. 79, S. 1045-1063.


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 30<br />

Tabelle A2: Produktivitätsentwicklung in ausgewählten Ländern - Prozentuale Änderung pro Jahr<br />

Frankreich<br />

Deutschland<br />

Italien<br />

Niederlande<br />

EU-6<br />

Dänemark<br />

1950-60<br />

1,8 1,9 2,5 1,8 2,0 1,9<br />

Produktivität<br />

2,6 - -2,7 - 1,3 4,0 0,8<br />

1960-73<br />

2,3 3,3 2,3 4,3 2,4 1,4 2,8 2,5 -1,3 1,0 2,1 0,1 1,9<br />

1973-84<br />

1,7 2,2 1,7 4,9 2,1 3,1 2,7 2,3 1,4 0,9 1,9 0,8 1,8<br />

Wertschöpfung pro Arbeitskraft in Landwirtschaft, Forsten und Fischerei<br />

1950-60<br />

6,5 5,3 6,9 4,2 6,1 3,8 4,3 - 2,6 3,0 4,2 6,1 2,7<br />

1960-73<br />

6,7 6,7 6,8 7,1 6,8 4,4 6,3 6,6 2,8 4,5 5,5 7,2 6,7<br />

1973-84<br />

4,7 4,6 5,1 5,7 4,6 4,4 3,6 4,6 3,5 1,1 1,8 2,2 2,5<br />

1950-84<br />

5,9 5,6 6,1 5,8 5,9 4,3 4,8 - 3,0 3,2 3,9 5,2 4,2<br />

Quelle: VAN DER MEER, C.J. (1989): Agricultural Growth in the EC and the Effect of the CAP. In: MAUNDER, A. UND A. VALDÉS (Hrsg.), Agricul-<br />

ture and Governments in an Interdependent World. Dartmouth, S. 149.<br />

Großbritannien<br />

EU-9<br />

Australien<br />

Kanada<br />

USA<br />

Japan<br />

Schweden


Anhang: Formale Darstellung der Wirkung neutraler technischer <strong>Fortschritt</strong>e<br />

Es soll anhand eines einfachen Marktmodells dargestellt werden, wie sich neutraler techni-<br />

scher <strong>Fortschritt</strong> auf die sektoralen Produktpreise in einer geschlossenen Volkswirtschaft<br />

auswirkt. Grundelemente des Modells sind Angebotsfunktion, Nachfragefunktion und die<br />

Marktgleichgewichtsbedingung:<br />

Q<br />

A<br />

A<br />

= F • Q (P)<br />

(Angebotsfunktion) (A1.1)<br />

N N<br />

Q = Q (P)<br />

(Nachfragefunktion) (A1.2)<br />

N A<br />

Q = Q (Gleichgewichtsbedingung) (A1.3)<br />

N<br />

mit: Q = die nachgefragte Menge,<br />

A<br />

Q<br />

P<br />

= die angebotene Menge<br />

= der Produktpreis und<br />

F = das Niveau der angewandten Technik.<br />

Für die Änderungsraten ergeben sich:<br />

A<br />

A<br />

E(<br />

Q ) = E(<br />

F)<br />

+ ε E(<br />

P)<br />

(A1.4)<br />

N N<br />

E(<br />

Q ) = ε E(<br />

P)<br />

(A1.5)<br />

A<br />

N<br />

E ( Q ) = E(<br />

Q )<br />

(A1.6)<br />

⎛ ∂x<br />

⎞<br />

mit: E(x) = die prozentuale Änderung der Variable x = ⎜ ⎟<br />

⎝ x ⎠<br />

E (F ) = die <strong>Fortschritt</strong>srate,<br />

A<br />

ε = Preiselastizität des Angebots und<br />

N<br />

ε = Preiselastizität der Nachfrage.<br />

Setzt man (A8.1.4) und (A8.1.5) in (A8.1.6) ein, ergibt sich:<br />

N<br />

A<br />

ε E(<br />

P)<br />

= E(<br />

F)<br />

+ ε E(<br />

P)<br />

(A1.7)<br />

31


<strong>4.2</strong> <strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> und das Agrarpreisniveau 32<br />

Durch Umformung erhält man:<br />

−1<br />

( P)<br />

= E(<br />

F)<br />

(A1.8)<br />

A<br />

ε − ε<br />

E N<br />

Diese Formel, die den Zusammenhang zwischen der <strong>Fortschritt</strong>srate und Produktpreisände-<br />

rung in einer geschlossenen Volkswirtschaft aufzeigt, wird in Abschnitt 5.1 näher erläutert.


Übungsaufgaben:<br />

1. In einer geschlossenen Volkswirtschaft mit zwei Sektoren werden zwei Güter pro-<br />

duziert, eines mit den Inputfaktoren Boden, Arbeit und Kapital, das andere mit den<br />

Faktoren Arbeit und Kapital. Wie wirkt sich neutraler technischer <strong>Fortschritt</strong> in dem<br />

ersten Sektor auf Faktoreinsatzmengen und Preise in den einzelnen Sektoren aus?<br />

2. Die Entwicklung der Faktorintensitäten in der Landwirtschaft zeigt, dass im Zeit-<br />

ablauf permanent mehr Kapital und weniger Arbeit im Produktionsprozess eingesetzt<br />

worden sind. Kann man aus dieser Tatsache bereits schließen, dass die technischen<br />

<strong>Fortschritt</strong>e im Agrarbereich arbeitssparend waren?<br />

3. Wie wirkt sich die Einführung der Milchkontingentierung auf die Richtung des tech-<br />

nischen <strong>Fortschritt</strong>s in der Milchproduktion aus, bei<br />

a) Begrenzung der Produktionsmenge von Milch?<br />

b) Begrenzung der abzuliefernden Fettmenge?<br />

33

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