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Arbeitsrechtliche Entscheidungen Ausgabe 2004-02

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■ Landesarbeitsgericht Niedersachen<br />

vom 29. Januar 2003, 15 Sa 455/<strong>02</strong> + 15 Sa 456/<strong>02</strong> (Parallelverfahren),<br />

Revision zugelassen, 15 Sa 455/<strong>02</strong> eingelegt unter<br />

AZR 207/03/15 Sa 456/<strong>02</strong> eingelegt unter AZR 208/03<br />

179. Kündigungserklärung, Zurückweisung nach § 174<br />

BGB, gleichrangiger Kündigungsberechtigter<br />

Ein Personalleiter ist kraft der ihm übertragenen Tätigkeit<br />

auch grundsätzlich zur Kündigung eines Abteilungsleiters befugt,<br />

der auf derselben Ebene wie der Personalleiter arbeitet.<br />

Eine Zurückweisung der Kündigung wegen mangelnder Vollmacht<br />

kommt insoweit nicht in Betracht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 19. September 2003, 16 Sa 694/03<br />

180. Kündigung wegen Kirchenaustritts, Gleichheitsgrundsatz<br />

im Arbeitsrecht<br />

1. Die vorsorgliche, ordentliche Kündigung der Beklagten ist<br />

gem. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.<br />

1.1. Nach der einschlägigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 4.6.1985 (2 BVR 1718/83 u.a. Bundesverfassungsgericht<br />

E 70, 138 ff.) und der dieser Entscheidung<br />

folgenden jüngeren Entscheidungspraxis des Bundesarbeitsgerichts<br />

(vgl. vor allem BAG AP Nr 35 zu Art. 140 GG; AP Nr 27<br />

zu § 611 BGB Kirchendienst; AP Nr 29 zu § 611 BGB Kirchendienst)<br />

gewährleistet die Verfassungsgarantie des kirchlichen<br />

Selbstbestimmungsrechts den Kirchen, ein Arbeitsverhältnis<br />

zu begründen und zu regeln. Auf dieses findet das staatliche<br />

Arbeitsrecht Anwendung; hierbei bleibt das kirchliche<br />

Selbstbestimmungsrecht wesentlich. Das ermöglicht es den<br />

Kirchen, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes<br />

den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln<br />

und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer<br />

verbindlich zu machen. Welche kirchlichen Grundverpflichtungen<br />

als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam<br />

sein können, richtet sich nach den von der Kirche verfassten<br />

anerkannten Maßstäben. Dagegen kommt es weder auf die<br />

Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen Einrichtungen,<br />

bei denen die Meinungsbildung von verschiedenen Motiven<br />

beeinflusst sein kann, noch auf diejenige breiter Kreise<br />

unter Kirchenmitglieder oder etwa gar einzelner bestimmten<br />

Tendenzen verbundener Mitarbeiter an. Im Streitfall haben die<br />

Arbeitsgerichte die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für<br />

die Bewertung vertraglicher Loyalitätspflichten zugrunde zu<br />

legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirchen anerkennt,<br />

hierüber selbst zu befinden.<br />

Liegt eine Verletzung von Loyalitätspflichten vor, so ist die<br />

weitere Frage, ob sie eine Kündigung des kirchlichen Arbeitsverhältnisses<br />

sachlich rechtfertigt, nach den kündigungsschutzrechtlichen<br />

Vorschriften der §§ 1 KSchG, 626 BGB zu<br />

beantworten. Diese unterliegen als für alle geltendes Gesetz<br />

i.S.d. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV umfassender arbeitsgericht-<br />

<strong>02</strong>/04<br />

Rechtsprechung<br />

Kündigungsschutz<br />

licher Anwendungskompetenz (vgl. BAG, Urteil v. 21.2.2001,<br />

2 AZR 139/00 –, APNr29zu§ 611 BGB Kirchendienst).<br />

Gem. § 32 Abs. 2 AVR liegt ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 BGB<br />

insbesondere vor bei Austritt aus der Evangelischen Kirche.<br />

In Beachtung der vom Verfassungsrecht geschützten Grundentscheidungen<br />

der Kirche und ihrer Diakonie hat die neuere<br />

arbeitsgerichtliche Rechtsprechung den Kirchenaustritt eines<br />

an der Verwirklichung der kirchlichen oder caritativen Aufgaben<br />

beteiligten Mitarbeiters grundsätzlich als Kündigungsgrund<br />

anerkannt (vgl. nur LAG Hamm, Urteil v. 16.8.1988–<br />

7 Sa 536/88; ArbG Herford, Urteil v. 11.11.1992–2 Ca 782/<br />

92; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 9.1.1997–11 Sa 428/96;<br />

LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 19.6.2000–9 Sa 3/00; BAG,<br />

Urteil vom 12.12.1984–7 AZR 418/83 –, APNr21zuArt.140<br />

GG).<br />

Eine solche Pflichtverletzung ist evident zukunftsbezogen. Der<br />

schwerwiegende Loyalitätsverlust stellt daher einen personenbedingten<br />

Kündigungsgrund dar.<br />

1.2. Nach herrschender Auffassung findet der Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

im Kündigungsrecht keine unmittelbare<br />

Anwendung (vgl. nur ErfK/Ascheid 4. Aufl., § 1 KSchG<br />

Rn 153 f.; Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Aufl.,<br />

Berkowsky, § 134 Rn 100 ff.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch,<br />

10. Aufl., § 112 Rn 47 ff. j. m.w.N.). Dem schließt sich die<br />

Berufungskammer an.<br />

1.3. Auch wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

des Klägers ihn in eine schwierige soziale Situation führen<br />

wird, in der er nicht unbedingt mehr mit einer neuen<br />

Arbeitsstelle rechnen kann, können diese Belastungen jedoch<br />

ebenso wenig wie seine 16-jähringe Betriebszugehörigkeit die<br />

Zerstörung des arbeitsvertraglichen Vertrauensverhältnisses<br />

durch den schwerwiegenden Vertragsverstoß des Klägers<br />

selbst kompensieren.<br />

1.4. Es bedurfte keiner Abmahnung, weil der Kläger mit seinem<br />

Kirchenaustritt eine schwerwiegende Pflichtverletzung<br />

begangen hat, deren Rechtswidrigkeit ihm ohne weiteres erkennbar<br />

war und deren Hinnahme, auch das war ihm ohne<br />

weiteres erkennbar, durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen<br />

war.<br />

2. Die ebenfalls streitgegenständliche außerordentliche<br />

Kündigung der Beklagten ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB i.V.m.<br />

§ 32 Abs. 2 AVR rechtsunwirksam.<br />

2.1. § 32 Abs. 2 AVR zwingt die Arbeitsgerichte nicht,<br />

entgegen den anerkannten Regeln zu § 626 BGB davon<br />

abzusehen, in einem zweiten Schritt über die Wirksamkeit<br />

der außerordentlichen Kündigung nach umfassender<br />

Interessenabwägung im Einzelfall zu entscheiden. Denn<br />

insoweit begrenzt § 626 BGB als Schranke mit seiner umfassenden<br />

arbeitsgerichtlichen Anwendungskompetenz die<br />

Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts<br />

als für alle geltendes Gesetz gemäß Artikel 137<br />

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