03. Sprengfalle - unirep

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Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin BGH, Urteil vom 7. Oktober 1997, NStZ 1998, 294 – Sprengfalle Sachverhalt: Anton will Bruno dadurch töten, dass er unter Brunos Auto, das stets vor dessen Haus abgestellt ist, eine Autobombe anbringt, deren Auslösung an den Zündungsmechanismus gekoppelt ist. Dabei geht Anton davon aus, dass die Bombe in dem Moment gezündet wird, in dem Bruno, der jeden Morgen allein mit seinem Auto zur Arbeit fährt, den Zündschlüssel dreht. Tatsächlich bringt Anton die Bombe jedoch an einem falschen Auto an, welches an dem besagten Abend zufällig vor Brunos Hauseinfahrt steht und welches Brunos Auto sehr ähnlich sieht. Als Rudi, der Besitzer dieses Wagens, in der Nacht davon fahren will, stirbt er infolge der Explosion. Wie hat sich Anton strafbar gemacht? Thematik: error in persona / aberratio ictus Materialien: Arbeitsblätter Examinatorium AT 26 Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

BGH, Urteil vom 7. Oktober 1997, NStZ 1998, 294 – <strong>Sprengfalle</strong><br />

Sachverhalt: Anton will Bruno dadurch töten, dass er unter Brunos<br />

Auto, das stets vor dessen Haus abgestellt ist, eine Autobombe anbringt,<br />

deren Auslösung an den Zündungsmechanismus gekoppelt ist.<br />

Dabei geht Anton davon aus, dass die Bombe in dem Moment gezündet<br />

wird, in dem Bruno, der jeden Morgen allein mit seinem Auto zur<br />

Arbeit fährt, den Zündschlüssel dreht. Tatsächlich bringt Anton die<br />

Bombe jedoch an einem falschen Auto an, welches an dem besagten<br />

Abend zufällig vor Brunos Hauseinfahrt steht und welches Brunos<br />

Auto sehr ähnlich sieht. Als Rudi, der Besitzer dieses Wagens, in der<br />

Nacht davon fahren will, stirbt er infolge der Explosion. Wie hat sich<br />

Anton strafbar gemacht?<br />

Thematik: error in persona / aberratio ictus<br />

Materialien: Arbeitsblätter Examinatorium AT 26<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


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Lösungsübersicht:<br />

A. Strafbarkeit nach §§ 212, 211 StGB an Rudi<br />

I. Tatbestand<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Tötung eines anderen Menschen (+)<br />

b) Heimtücke (+)<br />

2. Subjektiver Tatbestand<br />

Abgrenzung zwischen error in persona und aberratio ictus<br />

a) error in persona (–)<br />

Vorsatz nicht auf ein Objekt konkretisiert<br />

(andere Ansicht gut vertretbar; so auch BGH)<br />

b) aberratio ictus (+)<br />

letztlich ist die Tat fehlgegangen, Behandlung str.<br />

aa) Gleichwertigkeitstheorie (–)<br />

bb) Voraussehbarkeitstheorie (–)<br />

cc) Versuchstheorie (+)<br />

II. Ergebnis (–)<br />

B. Strafbarkeit nach §§ 212, 211, 22, 23 StGB an Bruno<br />

Vorprüfung:<br />

Tat nicht vollendet / Versuch ist strafbar (+)<br />

I. Tatbestand<br />

1. Tatentschluss (+)<br />

2. Unmittelbares Ansetzen (+)<br />

III./IV. Rechtswidrigkeit/Schuld (+)<br />

V. Ergebnis (+)<br />

C. Strafbarkeit nach § 222 StGB an Rudi (+)<br />

D. §§ 303 StGB bzgl. des Pkw (+)<br />

E. §§ 308 I, III StGB (+)<br />

F. Konkurrenzen: § 222 StGB tritt hinter 308 III StGB zurück, sonst<br />

Tateinheit gem. § 52 StGB<br />

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Lösungsvorschlag:<br />

A. Strafbarkeit wegen vollendeten Mordes nach §§ 212, 211 StGB<br />

im Hinblick auf Rudi<br />

Anton könnte sich wegen eines Mordes an Rudi gem. §§ 212, 211<br />

StGB strafbar gemacht haben.<br />

I. Tatbestand<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Grundtatbestand des § 212 StGB<br />

Durch das Anbringen der Bombe am Auto, die beim Einstecken des<br />

Zündschlüssels explodierte, hat Anton den Tod von Rudi hervorgerufen.<br />

Es liegt auch kein atypischer Kausalverlauf vor, denn wenn man<br />

eine Bombe am Auto anbringt, muss man damit rechnen, dass die Person,<br />

die später einsteigt und die Explosion herbeführt, ums Leben<br />

kommt. Rudis Tod ist Anton mithin auch objektiv zuzurechnen.<br />

b) Heimtücke<br />

Heimtückisch handelt, wer die Arglosigkeit und die darauf beruhende<br />

Wehrlosigkeit einer Person in feindlicher Willensrichtung zur Tötung<br />

ausnutzt. Arglos ist, wer mit dem Angriff auf sein Leben nicht rechnet<br />

und infolgedessen in seiner Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt ist.<br />

Hier hat Anton gerade die Tatsache ausgenutzt, dass kein Autofahrer<br />

beim Einstecken des Zündschlüssels mit der Explosion seines Autos<br />

rechnet und daher keine Möglichkeit hat, sich zu retten. Damit handelte<br />

Anton heimtückisch.<br />

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2. Subjektiver Tatbestand<br />

Fraglich ist, ob Anton mit Vorsatz hinsichtlich Rudis Tötung handelte.<br />

Hieran könnte man deshalb zweifeln, weil er nicht den Rudi, sondern<br />

den Bruno in die Luft sprengen wollte. Fraglich ist also, wie dieser Irrtum<br />

rechtlich einzuordnen ist und ob er Antons Vorsatz bezüglich Rudis<br />

Tötung entfallen lässt.<br />

a) Error in persona<br />

Es kommt zunächst ein sog. error in persona vel objekto in Betracht.<br />

Beim diesem Irrtum über das Handlungsobjekt verletzt der Täter zwar<br />

das von ihm anvisierte Objekt, dabei wollte er jedoch eigentlich ein anderes<br />

Tatobjekt verletzen. Er unterliegt also einer Fehlvorstellung über<br />

die Identität des Objektes.<br />

Die Identität des Objektes gehört aber dann nicht zum gesetzlichen Tatbestand,<br />

wenn der Täter seinen Vorsatz auf einen ganz bestimmten<br />

Menschen konkretisiert hat. Dann will er schließlich genau denjenigen<br />

töten, den er „anvisiert“ hat. Die Frage, warum er diesen konkreten<br />

Menschen töten will, darf keine Rolle spielen, da es sich um einen reinen<br />

Motivirrtum handelt. Solche reinen Motivirrtümer müssen aber bei<br />

der strafrechtlichen Beurteilung unbeachtlich bleiben.<br />

Anton könnte seinen Vorsatz, Bruno zu töten, durch das Anbringen der<br />

Bombe unter dem Auto vor Brunos Haus insoweit konkretisiert haben,<br />

dass er die Person töten wollte, die in das Auto einsteigt und den Zündschlüssel<br />

einsteckt. Dies wird insbesondere von der Rechtsprechung<br />

und einem großen Teil der Literatur auch vertreten.<br />

Eine solche mittelbare Vorsatzkonkretisierung würde aber zu weit gehen<br />

und kann daher nicht als ausreichend angesehen werden. Anders als<br />

in den Fällen, in denen der Täter dem Opfer gegenübersteht, liegt im<br />

vorliegenden Fall eine Konkretisierung des Vorsatzes auf ein ganz bestimmtes<br />

individuelles Opfer nicht vor. Folglich ist hier ein error in persona<br />

nicht gegeben.<br />

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b) Aberratio ictus<br />

aa) Voraussetzungen<br />

Unter einer aberratio ictus versteht man einen Irrtum dergestalt, dass der<br />

Täter nicht das anvisierte Tatobjekt, sondern ein anderes trifft,<br />

sodass vom „Fehlgehen der Tat“ gesprochen werden kann. Der entscheidende<br />

Unterschied zum error in persona ist die Tatsache, dass das<br />

Angriffsobjekt und das Verletzungsobjekt nicht identisch sind.<br />

So lag es letztlich im vorliegenden Fall. Zum Zeitpunkt des Anbringens<br />

der Bombe wollte Anton den Bruno töten, sein Vorsatz war allerdings<br />

noch nicht hinreichend auf ein bestimmtes sich vor ihm befindendes<br />

Objekt konkretisiert. Letztlich hat er aber den Rudi getötet und damit<br />

ein anderes Objekt verletzt.<br />

Die rechtliche Einordnung der aberratio ictus ist jedoch umstritten.<br />

Nach der Gleichwertigkeitstheorie ist die aberratio ictus bei tatbestandlicher<br />

Gleichwertigkeit der Objekte unbeachtlich, also wie ein error in<br />

persona zu behandeln. Denn der Täter wollte ein Rechtsgut verletzen<br />

und verletzte dieses Rechtsgut auch. Über das abstrakte Tatbestandsmerkmal<br />

hinaus verlange das Gesetz aber keine Konkretisierung<br />

des Vorsatzes. Hier wollte Anton einen Menschen heimtückisch töten<br />

und hat dies auch getan. Damit wäre der Vorsatz zu bejahen. Dem ist<br />

jedoch entgegen zu halten, dass die Annahme einer vollendeten Vorsatztat<br />

hier dem Schuldprinzip widerstreitet, da man dem Täter einen<br />

Gattungsvorsatz unterstellt. Auch müsste dann konsequenterweise derjenige,<br />

der in Notwehr auf einen Menschen schießt, aber einen anderen<br />

trifft, wegen Totschlags bestraft werden, da ihm gegenüber dem getroffenen<br />

Menschen gerade kein Notwehrrecht zusteht.<br />

Nach der Voraussehbarkeitstheorie ist die aberratio ictus jedenfalls dann<br />

unbeachtlich, wenn das Fehlgehen der Tat bei gleichwertigem Tatobjekt<br />

voraussehbar war. Liegt ein ungleichwertiges Tatobjekt vor oder war<br />

das Fehlgehen der Tat unvorhersehbar, kommt dagegen lediglich ein<br />

Versuch in Betracht. Dies wird damit begründet, dass die aberratio ictus<br />

letztlich nur ein Unterfall des Irrtums über den Kausalverlauf ist. Eine<br />

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innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegende Abweichung müsse<br />

dem Täter hierbei aber zugerechnet werden. Im vorliegenden Fall läge<br />

eine Gleichwertigkeit der Objekte vor: Anton wollte Bruno töten und<br />

tötete stattdessen Rudi. Dass in ein Auto, an dem eine Bombe angebracht<br />

wird, auch eine andere Person einsteigen kann, liegt keinesfalls<br />

außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung. Damit wäre der Vorsatz<br />

Antons bezüglich Brunos Tötung zu bejahen. Dem kann jedoch ebenfalls<br />

nicht gefolgt werden: Mit dem Kriterium der Voraussehbarkeit<br />

wird hier ein ansonsten dem Fahrlässigkeitsbereich zuzuordnenden<br />

Begriff für Vorsatztaten angewendet, was einen schwerwiegenden Verstoß<br />

gegen das Schuldprinzip bedeuten würde.<br />

Nach der sog. „Versuchslösung“ ist die aberratio ictus als beachtlicher<br />

Irrtum anzusehen. Dies folge aus der grundsätzlichen Notwendigkeit<br />

der Konkretisierung des Vorsatzes auf ein bestimmtes Objekt. Dieser<br />

für die Tat erforderliche Vorsatz müsse sich aber von dem Vorsatz,<br />

irgendein Objekt einer entsprechenden Gattung zu verletzen, abheben.<br />

Die Taten bezüglich der beiden Tatobjekte sind dann getrennt zu untersuchen,<br />

es kann keine Zusammenrechnung einer versuchten und einer<br />

fahrlässigen Tat zu einer Vorsatztat erfolgen. Dieser Ansicht ist zu<br />

folgen, weil sie eine genaue Betrachtung des vom Täter begangenen<br />

Unrechts ermöglicht und daher am weitesten dem Schuldprinzip entspricht.<br />

Damit schließt Antons Irrtum, die von ihm angebrachte Bombe werde<br />

Bruno und nicht Rudi töten, seinen Vorsatz bezüglich des Mordes an<br />

Rudi aus.<br />

II. Ergebnis<br />

Anton hat sich nicht wegen Mordes an Rudi gem. §§ 211, 212 StGB<br />

strafbar gemacht.<br />

(Hinweis: Die Annahme eines error in persona oder die Zustimmung zu<br />

einer anderen Theorie bezüglich der aberratio ictus wären hier auch vertretbar.<br />

Dann läge ein vollendeter Mord an Rudi vor. Dadurch wäre Antons<br />

Tötungsvorsatz aber auch vollständig verbraucht, sodass die Prüfung<br />

des versuchten Mordes an Bruno nicht mehr anzuschließen wäre.)<br />

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B. Strafbarkeit nach §§ 212, 211, 22, 23 StGB gegenüber Bruno<br />

Anton könnte sich durch das Anbringen der Bombe am Auto wegen<br />

eines versuchten Mordes an Bruno strafbar gemacht haben. Dies<br />

kommt in Betracht, weil Bruno nicht gestorben ist und der versuchte<br />

Mord als Verbrechen strafbar ist.<br />

I. Tatbestand<br />

1. Tatentschluss<br />

Durch das Anbringen der Bombe wollte Anton den Bruno töten. Er<br />

wollte auch seine Arg- und Wehrlosigkeit in feindlicher Willensrichtung<br />

zur Tötung ausnutzen und handelte damit auch heimtückisch.<br />

2. Objektives Ansetzen<br />

Anton ging davon aus, alles aus seiner Sicht für Brunos Tötung Erforderliche<br />

getan zu haben: Er glaubte, dass er die Bombe an Brunos<br />

Wagen angebracht und dass dieser unmittelbar danach durch das Einstecken<br />

des Zündschlüssels diese zur Explosion bringen würde. Anton<br />

hat mithin zu Brunos Tötung unmittelbar angesetzt.<br />

III. Rechtswidrigkeit<br />

Allgemeine Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.<br />

IV. Schuld<br />

Anton handelte auch schuldhaft.<br />

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V. Ergebnis<br />

Anton hat sich wegen eines versuchten Mordes an Bruno gem. §§ 211,<br />

212 StGB strafbar gemacht.<br />

C. Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung von Rudi gem. § 222<br />

StGB<br />

Anton könnte sich wegen einer fahrlässigen Tötung Rudis gem. § 222<br />

StGB strafbar gemacht haben.<br />

Durch das Anbringen der Bombe hat er eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung<br />

begangen. Dabei war es objektiv und für ihn persönlich<br />

voraussehbar, dass auch eine andere Person als Rudi durch die<br />

Explosion sterben könnte. An der Rechtswidrigkeit und der Schuld<br />

bestehen keine Zweifel. Mithin hat sich Anton gem. § 222 StGB strafbar<br />

gemacht.<br />

D. §§ 303 StGB bzgl. des Pkw<br />

Durch das Anbringen der Bombe hat Anton, jedenfalls mittelbar durch<br />

Rudi, das Auto zerstört und sich damit gem. § 303 StGB wegen vollendeter<br />

Sachbeschädigung strafbar gemacht.<br />

E. §§ 308 I, III StGB<br />

Anton hat auch eine Sprengstoffexplosion herbeigeführt und dadurch<br />

Rudis Tod fahrlässig verursacht (siehe oben). Somit hat er sich gem.<br />

§§ 308 I, III StGB strafbar gemacht.<br />

F. Konkurrenzen<br />

Die fahrlässige Tötung ist in § 308 III StGB enthalten und tritt im<br />

Wege der Spezialität dahinter zurück. Damit bleiben der versuchte<br />

Mord, die Herbeiführung der Sprengstoffexplosion mit Todesfolge<br />

und die Sachbeschädigung in Tateinheit gem. § 52 StGB nebeneinander<br />

stehen.<br />

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