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Alma Mahler-Werfel. Einige Aspekte zu Leben und Werk

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<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>. <strong>Einige</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>zu</strong> <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> <strong>Werk</strong><br />

Wissenschaftliche Hausarbeit<br />

Zur Ersten (Künstlerisch-Wissenschaftlichen) Staatsprüfung<br />

Für das Amt des Studienrats mit dem Fach Musik<br />

Vorgelegt von:<br />

Christiane Ebeling<br />

Hausotterstr. 23<br />

13409 Berlin<br />

e-mail: cebeling@hdk-berlin.de<br />

Berlin, den 6. April 2000


Inhaltsverzeichnis<br />

1. Einleitung 1<br />

2. Quellenlage 4<br />

2.1. Die Tagebuch-Suiten 4<br />

2.2. Die Briefe 5<br />

2.2.1.Die Briefe Gustav <strong>Mahler</strong>s an <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong> 6<br />

2.2.2. Die Briefe Alexander Zemlinskys an <strong>Alma</strong> Schindler 7<br />

2.3. Die Lieder 7<br />

2.4. Autobiografische Schriften 8<br />

2.4.1. Gustav <strong>Mahler</strong>. Erinnerungen <strong>und</strong> Briefe 9<br />

2.4.2. And the bridge is love 9<br />

2.4.3. Mein <strong>Leben</strong> 9<br />

2.5. Biografien 10<br />

3. Die Darstellung <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>s 10<br />

3.1. Die Selbstinterpretation in den Autobiografien 11<br />

3.1.1. Die Darstellung der Jugend- <strong>und</strong> Ausbildungszeit 13<br />

3.1.2. Die Darstellung des „Kompositionsverbots“ 17<br />

3.2. Die Charakterisierung <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s in den Biografien 20<br />

3.2.1. Der Beginn der Biografien 21<br />

3.2.2. Die Perspektive auf <strong>Alma</strong> Schindlers Jugend<strong>und</strong><br />

Ausbildungszeit 24<br />

3.2.3. Die Darstellung des „Kompositionsverbots“ 28<br />

4. Die Komponistin <strong>Alma</strong> Schindler in den Tagebuch-Suiten<br />

4.1. <strong>Alma</strong> Schindlers Kindheit <strong>und</strong> Jugend in den Künstlerkreisen<br />

34<br />

Wiens 34<br />

4.1.1. <strong>Alma</strong> Schindlers Kunstrezeption 35<br />

4.1.2. <strong>Alma</strong> Schindlers Literaturrezeption 36<br />

4.1.3. <strong>Alma</strong> Schindlers Musikrezeption 38<br />

4.2. Musikausübung zwischen Öffentlichkeit <strong>und</strong> Privatheit 41<br />

4.2.1. <strong>Alma</strong> Schindlers pianistische Tätigkeit 41


4.2.2. Selbstverwirklichung zwischen Ehe <strong>und</strong><br />

Professionalisierung 46<br />

4.3. Komposition zwischen Selbstausdruck <strong>und</strong> Professionalisierung<br />

4.4. Das Kompositionsstudium bei Josef Labor <strong>und</strong> Alexander<br />

50<br />

Zemlinsky 54<br />

4.4.1. Prinzipien des Kompositionsunterrichts bei Josef Labor<br />

4.4.2. Prinzipien des Kompositionsunterrichts bei<br />

55<br />

Alexander Zemlinsky 58<br />

4.5. Das „Kompositionsverbot“ in den Tagebuch-Suiten 63<br />

4.6. Die Kompositionen 69<br />

4.6.1. Versuch der zeitlichen Einordnung 70<br />

4.6.2. Die Lieder 78<br />

4.6.3. Aufführungen <strong>und</strong> Publikationen 84<br />

5. Rezensionen 86<br />

6. Fazit 90<br />

7. Zeittafel 93<br />

8. Literaturverzeichnis 100


1. Einleitung<br />

Wer war <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>? Bei dieser Frage huschtüber die Gesichter der<br />

Befragten in den meisten Fällen ein tiefgründiges Lächeln. „Das war doch die...“<br />

<strong>und</strong> im Folgenden sah ich mich oft in der Situation, mir die immer gleichen<br />

Episoden an<strong>zu</strong>hören: „Die war doch mit allen wichtigen Künstlern der<br />

Jahrh<strong>und</strong>ertwende <strong>und</strong> des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts verheiratet... oder waren es Affären?“<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s Bekanntheitsgrad gründet sich beständig auf die Rolle der Muse<br />

oder Femme fatale berühmter Männer, fast nie auf ihre Tätigkeit als Komponistin,<br />

um die es hier gehen soll.<br />

In dieser Arbeit wird unter einer Muse eine Frau verstanden, die das eigene<br />

schöpferische Talent dem Mann opfert, um sein „Genie“ inspirierend <strong>zu</strong><br />

unterstützen. Die Rolle der Femme fatale bezeichnet eine erotisch faszinierende,<br />

aber grausame, die Männer ins Verderben stürzende Symbolfigur des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts. 1 Diese Weiblichkeitsbilder wurden im Wien des Fin de Siècle nicht<br />

nur Gegenstand intellektueller Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen, sondern fanden sogar<br />

Eingang in die Alltagskultur: Suppenteller, Aschenbecher oder Tintengläser<br />

wurden mit der dämonischen Femme fatale geschmückt. 2 Die außergewöhnliche<br />

Wirkungsgeschichte dieser Weiblichkeitsmythen in Dichtung, Malerei <strong>und</strong> Musik<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts lässt sich psychoanalytisch als ambivalenter Ausdruck<br />

männlicher Sexualängste <strong>und</strong> –wünsche, aber auch als imaginäre Reaktion auf<br />

die Frauenbewegung deuten, 3 die von vielen Männern als Verursacher des<br />

Zusammenbruchs der alten Ordnung angesehen wurden. 4 Autoren, wie Otto<br />

Weininger verteidigten die männliche Domäne des Intellekts in Traktaten wie<br />

Geschlecht <strong>und</strong> Charakter. 5<br />

Die Darstellung der Person <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s <strong>zu</strong>r Zeit der Jahrh<strong>und</strong>ertwende ist daher<br />

wenig erstaunlich. Verw<strong>und</strong>erlicher dagegen ist die heutige Rezeption:<br />

Es ist bedenklich, daß die heutige Rezeption der Komponistin noch immer von diesem<br />

Bild der zerstörerischen Verführerin – das allerdings keine Faszination mehr, sondern nur<br />

1<br />

Definitionen nach: Roster, Danielle: Allein mit meiner Musik. Komponistinnen in der<br />

europäischen Musikgeschichte, Echternach 1995, S.182 u. S.185/186.<br />

2<br />

Vgl. Schickedanz, Hans-Joachim: Femme fatale. Ein Mythos wird entblättert, Dortm<strong>und</strong> 1983,<br />

S.34.<br />

3<br />

Vgl. Artikel Femme fatale, in: Brockhaus Enzyklopädie Bd. 7, Mannheim 1988, S.189.<br />

4<br />

Vgl. Anderson, Harriet: Vision <strong>und</strong> Leidenschaft. Frauenbewegung im Fin de Siècle Wiens,<br />

Wien 1994, S.10.<br />

5<br />

Weininger, Otto: Geschlecht <strong>und</strong> Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung, München 1997<br />

[Reprint der 1. Aufl., Wien 1903].<br />

1


noch Empörung hervorruft – bestimmt wird <strong>und</strong> alle anderen <strong>Aspekte</strong> ihrer Persönlichkeit<br />

vollkommen in den Hintergr<strong>und</strong> gedrängt werden. 6<br />

Nicht nur das Bild der Femme fatale, sondern auch das der Muse erlebte in den<br />

Biografien der 1980er Jahre ihre Renaissance. Das Zeitalter der inspirierenden<br />

weiblichen Muse für das männliche Genie als Klischee des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts wird<br />

dort reproduziert. 7<br />

In dieser Arbeit werde ich mich mit der Frage beschäftigen, welches Bild <strong>Alma</strong><br />

<strong>Mahler</strong>s entworfen wurde, aber auch damit, welches Bild sie selbst in ihren<br />

autobiografischen Schriften von sich entworfen hat.<br />

Relevant ist dabei nicht die Suche nach einer vermeintlichen Wahrheit in ihrem<br />

<strong>Leben</strong>slauf, sondern die Analyse dessen, was nach ihrem Tod durch sie selbst <strong>und</strong><br />

durch andere von ihr verbreitet wurde, d.h. welches Bild oder welche Legende bis<br />

heute von dieser Frauengestalt gezeichnet wird. Da die Rezeption <strong>und</strong> Bewertung<br />

musikalischer <strong>Werk</strong>e von der öffentlichen Wahrnehmung des Komponisten oder<br />

der Komponistin abhängig ist, wird es aufschlussreich sein, welchen Stellenwert<br />

ihre musikalisch-kompositorische Arbeit in den (auto-) biografischen <strong>Werk</strong>en<br />

einnimmt.<br />

Meine These ist also, dass die geringe musikwissenschaftliche Beschäftigung mit<br />

den erhalten gebliebenen Liedern auf das Bild <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s als Femme fatale<br />

oder Muse <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>führen ist, das andere <strong>Aspekte</strong> ihrer Persönlichkeit – wie ihre<br />

Tätigkeit als Komponistin – außer Betracht lässt.<br />

Nach der Beschreibung der Quellenlage <strong>und</strong> der Vorgehensweise im Umgang mit<br />

den Quellen werden die Autobiografien <strong>und</strong> Biografien auf den Aspekt hin<br />

analysiert, welche Sicht auf die Person <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s dort entworfen wurde <strong>und</strong><br />

welche Auswirkungen dies auf die Betrachtung ihrer Kunst hat.<br />

Diese Analyse folgt der jüngsten Autobiografieforschung, die die Autobiografie<br />

nicht mehr als einen Text versteht, „der auf einem privilegierten apriorischen<br />

Zugang des Autobiographen <strong>zu</strong> seinem Selbst beruhte, sondern [...] als fiktiver<br />

Entwurf betrachtet werden“ 8 muss.<br />

Die Besonderheit des Themas liegt darin, dass 1997 – etwa ein Jahrzehnt nach<br />

dem Erscheinen der meisten Biografien – <strong>Alma</strong> Schindlers frühe Tagebücher<br />

6 Roster: S.182.<br />

7 Vgl. Roster: S.185.<br />

8 Finck, Almut: Autobiographisches Schreiben nach dem Ende der Autobiographie, hrsg. von<br />

Gerhard Neuman, Ina Schabert, (=Geschlechterdifferenz <strong>und</strong> Literatur, Publikationen des<br />

Münchner Graduiertenkollegs) Bd.9, Berlin 1999, S.11.<br />

2


unter dem Titel <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>: Tagebuch-Suiten 1898-1902 veröffentlicht<br />

wurden, 9 dem Zeitraum also, in dem sie nachweislich am meisten komponiert hat.<br />

Der Inhalt dieser frühen Tagebücher wurde aus Gründen der schwierigen<br />

Lesbarkeit von <strong>Alma</strong> Schindlers Handschrift kaum in den Biografien verwendet,<br />

obwohl sie den BiografInnen <strong>zu</strong>r Verfügung standen. 10 Daher ist es besonders<br />

interessant, ob die Publikation der Tagebuch-Suiten an der Sicht auf die Person<br />

<strong>und</strong> die Komponistin <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> etwas geändert hat oder<br />

nicht.<br />

Die Tagebücher sind Quellen, die es ermöglichen, den Bedingungen ihrer<br />

künstlerischen Arbeit <strong>und</strong> ihrem Studium bei Josef Labor <strong>und</strong> Alexander<br />

Zemlinsky auf die Spur <strong>zu</strong> kommen.<br />

Im Mittelpunkt dieser Arbeit wird also die Komponistin <strong>Alma</strong> Schindler stehen,<br />

deren künstlerische Lehrzeit schwankend zwischen Selbstausdruck <strong>und</strong><br />

Professionalisierung anhand der Tagebuch-Suiten nachgezeichnet werden wird.<br />

Professionalisierung der Kompositionstätigkeit meint in diesem Zusammenhang<br />

stets den Prozess, kompositorisches Talent durch musikalische Bildung <strong>zu</strong><br />

vervollkommnen, aber dabei nicht unbedingt ein bestimmtes Berufsbild<br />

an<strong>zu</strong>streben. Vom Komponieren allein war das finanzielle Auskommen nicht<br />

gesichert. Die <strong>zu</strong>m Verdienen des <strong>Leben</strong>sunterhalts notwendigen musikalischen<br />

Berufe – wie eine Stelle als Dirigent – waren aber Frauen nicht <strong>zu</strong>gänglich. Um<br />

über Komponistinnen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts überhaupt sprechen <strong>zu</strong> können, darf<br />

deshalb nicht der ausgeübte Beruf im Vordergr<strong>und</strong> stehen, sondern der<br />

professionelle Umgang mit der Kompositionstätigkeit.<br />

Die Betrachtung von <strong>Alma</strong> Schindler als Komponistin wird sich von der Kunst-,<br />

Literatur- <strong>und</strong> Musikrezeption über ihre Musikausübung an die eigene<br />

kompositorische Tätigkeit <strong>und</strong> ihre Kompositionen annähern.<br />

Die erhaltenen Lieder werde ich im Rahmen der Tagebuch-Suiten als Dokumente<br />

ihrer Lehrzeit einordnen <strong>und</strong> exemplarisch analysieren. Dabei richtet sich das<br />

Augenmerk weniger auf musiktheoretische <strong>Aspekte</strong>, als auf ihren biografischen<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlichen Kontext.<br />

9 <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>, <strong>Alma</strong>: Tagebuch-Suiten 1898-1902, hrsg. von Antony Beaumont, Susanne Rode-<br />

Breymann, Frankfurt/ Main 1997. Aus den Tagebuch-Suiten zitierte Stellen werden im Folgenden<br />

durch „Tagebuch-Suiten <strong>und</strong> Datum“ ausgewiesen.<br />

10 Vgl. Einleitung der Tagebuch-Suiten S.VII.<br />

3


Anhand der mir vorliegenden Rezensionen der Tagebuch-Suiten werde ich<br />

abschließend diskutieren, ob sich das Bild <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s als Muse oder<br />

Femme fatale fortgesetzt hat oder ob die Tagebuch-Suiten eine neue Lesart im<br />

Hinblick auf sie als Komponistin hervorgerufen haben. 11<br />

In Be<strong>zu</strong>g auf das Namensproblem werde ich den jeweils geltenden Namen von<br />

<strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-Gropius-<strong>Werfel</strong> benutzen. Dieser Namensgebrauch<br />

widerspricht dem üblichen Umgang, die Komponistin familiär <strong>Alma</strong> <strong>zu</strong> nennen.<br />

Während die Männer ausnahmslos respektvoll mit Vor-<strong>und</strong> Nachnamen oder nur mit<br />

Nachnamen genannt werden, wird die Komponistin selbst nur äußerst selten mit ihrem<br />

vollständigen Namen genannt, sondern familiär als <strong>Alma</strong> bezeichnet, wobei solch kuriose<br />

Formulierungen wie „<strong>Alma</strong> <strong>und</strong> <strong>Mahler</strong>“, „<strong>Alma</strong> <strong>und</strong> das Genie Kokoschka“ usw. die<br />

Regel sind (man stelle sich die umgekehrte Formulierung nur vor: „<strong>Mahler</strong>-Schindler <strong>und</strong><br />

Gustav“, „das Genie <strong>Mahler</strong>-Schindler <strong>und</strong> Oskar“). 12<br />

Um einen besseren Überblick über das <strong>Leben</strong> <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s ermöglichen,<br />

ist der Arbeit eine Zeittafel angefügt.<br />

2. Quellenlage<br />

Die Erläuterung des Quellenmaterials halte ich aus dem Gr<strong>und</strong> für sinnvoll, dass<br />

ich entgegen dem üblichen Gebrauch – neben den Tagebüchern, Briefen, Liedern<br />

<strong>und</strong> Autobiografien – die Biografien <strong>zu</strong> den Primärquellen zähle. Die Arbeit zielt<br />

nicht auf die Rekonstruktion von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s <strong>Leben</strong>, sondern auf das<br />

Bild, das sie von sich in den Autobiografien entwirft <strong>und</strong> das von den<br />

BiografInnen reproduziert wird.<br />

2.1. Die Tagebuch-Suiten<br />

Die frühen Tagebücher <strong>Alma</strong> Schindlers entstanden zwischen dem 25. Januar<br />

1898 <strong>und</strong> dem 16. Januar 1902, d.h. zwischen ihrem 18. <strong>und</strong> 22. <strong>Leben</strong>sjahr. Das<br />

Autograf befindet sich im Nachlass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s <strong>und</strong> Franz <strong>Werfel</strong>s in<br />

11 An dieser Stelle bedanke ich mich bei der Mitherausgeberin der Tagebuch-Suiten, Susanne<br />

Rode-Breymann, die mir die Rezensionen <strong>zu</strong>r Verfügung gestellt hat.<br />

12 Roster: S.185.<br />

4


der <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> Collection der Van Pelt Library, Special Collections,<br />

University of Pennsylvania in Philadelphia. 13<br />

Die 22 blau eingeschlagenen Hefte, von <strong>Alma</strong> Schindler „Suiten“ genannt, sind<br />

die Suite 4-25. Der Verbleib der Suiten 1-3 ist nicht bekannt. Anhand der<br />

verschiedenen Tinten <strong>und</strong> Schriftzüge lässt sich ablesen, dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<br />

<strong>Werfel</strong> ihre Tagebücher später mehrmals durchgesehen <strong>und</strong> korrigiert hat.<br />

Möglicherweise plante sie, die Tagebücher heraus<strong>zu</strong>geben, da sie sie wenige<br />

Monate vor ihrem Tod noch einmal gründlich durchsah.<br />

In den ausführlichen Anmerkungen der Herausgeber sind diese Änderungen <strong>und</strong><br />

Korrekturen kenntlich gemacht. Weiterhin sind Konzertbesuche, Adressen ihres<br />

Bekanntenkreises, Erklärungen <strong>zu</strong> Personen ihres Umfeldes u.ä. dort detailliert<br />

recherchiert beigefügt. <strong>Einige</strong> Zeichnungen <strong>Alma</strong> Schindlers sind als Faksimile in<br />

den Tagebuch-Suiten abgedruckt. Erinnerungsstücke, wie Briefe, Postkarten oder<br />

Fotos, sind im Anmerkungsapparat erwähnt.<br />

<strong>Alma</strong> Schindler schrieb beinahe täglich in ihr Tagebuch. Aus diesem Gr<strong>und</strong> sind<br />

augenblickliche Stimmungen <strong>und</strong> Erlebnisse unmittelbar ausgedrückt. Bezogen<br />

auf meine Frage nach der Selbstinszenierung messe ich den Tagebuch-Suiten trotz<br />

der späteren Überarbeitungen eine größere Unmittelbarkeit als den anderen<br />

Quellen bei. Da das Führen eines Tagebuches für gewöhnlich intim <strong>und</strong> nicht für<br />

die Augen anderer Menschen bestimmt ist, fällt das Motiv der Selbstdarstellung<br />

hier weg.<br />

2.2. Die Briefe<br />

Die Briefe werden im Interpretationsteil <strong>zu</strong>m Selbstentwurf <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s nicht<br />

gesondert vorkommen, da nur noch die Briefe Gustav <strong>Mahler</strong>s <strong>und</strong> Alexander<br />

Zemlinskys an sie existieren <strong>und</strong> nicht ihr Gegenpart. Über den Selbstentwurf<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s sagen sie deshalb nichts aus. Angeführt werden diese<br />

Briefe an den Stellen, wo sie über die Tagebücher, Lieder, Autobiografien <strong>und</strong><br />

Biografien hinaus Informationen über die Komponistin liefern.<br />

13 Diese Angaben über die Authentizität der Tagebuch-Suiten entnehme ich dem Arbeitsbericht<br />

5


2.2.1. Die Briefe Gustav <strong>Mahler</strong>s an <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong> 14<br />

Für die Frage nach dem Selbstentwurf <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s ist relevant, welche<br />

Briefe durch sie veröffentlicht wurden <strong>und</strong> welche nicht.<br />

Schon 1924 brachte sie Gustav <strong>Mahler</strong>s Briefe (1877-1911) im Paul Zsolnay<br />

Verlag, Wien/Berlin/Leipzig heraus. Die Publikation des zweiten Bandes, der ihre<br />

Erinnerungen <strong>und</strong> die Briefe Gustav <strong>Mahler</strong>s an sie beinhalten sollte, wurde<br />

immer wieder verschoben, da <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s unverhüllte Angriffe auf noch<br />

lebende Personen das Risiko in sich bargen, Gerichtsverfahren <strong>zu</strong> evozieren.<br />

Im Jahre 1939 waren die meisten der von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> angegriffenen Personen<br />

(z.B. die Geschwister <strong>und</strong> Jugendfre<strong>und</strong>e Gustav <strong>Mahler</strong>s) verstorben. Durch die<br />

Wirren des Krieges verschob sich die Drucklegung der Erinnerungen <strong>und</strong> Briefe.<br />

Sie wurden schließlich 1940 in Amsterdam publiziert, so dass der Zugriff des<br />

österreichischen <strong>und</strong> deutschen Bekanntenkreises auf das Buch bis Kriegsende<br />

erschwert war.<br />

Die Erinnerungen <strong>und</strong> Briefe enthalten 197 Briefe, davon 159 an <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>.<br />

Auslassungen <strong>und</strong> Korrekturen stammen von ihr. Vor der Drucklegung nahm sie<br />

noch verschiedene Änderungen vor, was in den Originalen der Typoskripte<br />

nach<strong>zu</strong>vollziehen ist.<br />

Den Versuch einer ersten wissenschaftlich-kritischen Ausgabe verfasste Donald<br />

Mitchel Muray/ London 1968 (dt. Überset<strong>zu</strong>ng Berlin 1971). Bei allen Editionen<br />

blieb man immer bei dem Bestand der von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> vorgelegten Quellen.<br />

In Ein Glück ohne Ruh‘ (GoR), herausgegeben von dem <strong>Mahler</strong>-Biografen Henry-<br />

Louis de la Grange <strong>und</strong> Günther Weiß, sind 1995 erstmals alle <strong>zu</strong>gänglichen<br />

Briefe Gustav <strong>Mahler</strong>s an <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> (349 Briefe) in einer Edition vereint<br />

worden.<br />

Aus welchen Gründen <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> die bis <strong>zu</strong> diesem Zeitpunkt<br />

unveröffentlichten Briefe nicht herausgebracht hatte, muss offen bleiben.<br />

Der Nachlass bzw. Kopien <strong>und</strong> Filme der Autografen Gustav <strong>Mahler</strong>s, sowie die<br />

Typoskripte der Erinnerungen <strong>und</strong> Briefe liegen heute in der 1985 durch de la<br />

Grange gegründeten Bibliothèque Musicale Gustav <strong>Mahler</strong> in Paris.<br />

der Herausgeber, Tagebuch-Suiten: S.755.<br />

14 Die Darstellung der Quellenlage dieser Briefe folgt dem Vorwort <strong>und</strong> dem Quellenbericht in: de<br />

La Grange, Henry-Louis, Weiß, Günther (Hrsg.): Ein Glück ohne Ruh‘. Die Briefe Gustav<br />

<strong>Mahler</strong>s an <strong>Alma</strong>, Berlin 1995, S.7-15. Diese Briefedition wird im Folgenden mit GoR abgekürzt.<br />

6


In Briefzitaten beziehe ich mich, falls nicht anders ausgewiesen, auf Glück ohne<br />

Ruh‘, bei Zitaten aus dem Teil Gustav <strong>Mahler</strong>. Erinnerungen auf die Neuauflage<br />

von 1991, die als Taschenbuchausgabe ohne Briefe ediert wurde. 15<br />

2.2.2. Die Briefe Alexander Zemlinskys an <strong>Alma</strong> Schindler<br />

Die Briefe des Kompositionslehrers Alexander Zemlinsky an <strong>Alma</strong> Schindler sind<br />

noch nicht veröffentlicht. Das Typoskript liegt <strong>zu</strong>sammen mit den Originalbriefen<br />

in der Van Pelt Library, Special Collections an der University of Pennsylvania in<br />

Philadelphia.<br />

Zwar liegen mir die Briefe nicht vor, Juliane Urban arbeitete jedoch in ihrer<br />

Magisterarbeit 16 mit einer Kopie des Typoskripts, die sich in der Bibliothèque<br />

Musicale Gustav <strong>Mahler</strong> in Paris befindet. Urban hat in ihrer Studie über die<br />

Lieder <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s geb. Schindler die auch für diese Arbeit relevanten<br />

Teile des Briefwechsels, die die Studienzeit <strong>Alma</strong> Schindlers bei Alexander<br />

Zemlinsky betreffen, dokumentiert, so dass ich mich darauf beziehen werde.<br />

Im Kontext dieser Arbeit sind die Briefe Zemlinskys <strong>zu</strong>sammen mit den<br />

Tagebüchern <strong>und</strong> den Autobiografien für die Rekonstruktion der Lehrzeit <strong>Alma</strong><br />

Schindlers von Interesse.<br />

2.3. Die Lieder<br />

Die Lieder <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>s lassen sich mit Hilfe der Tagebuch-Suiten in<br />

den Kontext ihrer Entstehung einordnen. Die Gedichtwahl, die Wahl der Gattung<br />

Klavierlied, sowie die Lieder als Produkte der Lehrzeit bei Josef Labor <strong>und</strong><br />

Alexander Zemlinsky sind Zeugnisse der Bedingungen künstlerischer Arbeit <strong>und</strong><br />

der Tätigkeit <strong>Alma</strong> Schindlers als Komponistin.<br />

Der Entstehungs<strong>zu</strong>sammenhang der Lieder ist daher für die Fragestellung dieser<br />

Arbeit von größerer Bedeutung als eine musiktheoretische Analyse, die in<br />

15<br />

<strong>Mahler</strong>, <strong>Alma</strong>: Gustav <strong>Mahler</strong>- Erinnerungen, Frankfurt/ Main 1991.<br />

16<br />

Urban, Juliane: Die Lieder von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> geb. Schindler, Magisterarbeit Freie<br />

Universität Berlin 1994, S.72-84.<br />

7


ausführlicher Form den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde bzw. Thema einer<br />

eigenen Arbeit wäre.<br />

2.4. Autobiografische Schriften<br />

Die Rezeption der literarischen Gattung Autobiografie ist im Verlauf der letzten<br />

zwei Jahrzehnte einem Wandel unterzogen worden, der heute <strong>zu</strong> einem neuen<br />

Verständnis in der Forschung geführt hat. Nach herkömmlicher Definition steht<br />

die Gattung Autobiografie im Zusammenhang mit der Herausbildung des männlichen,<br />

bürgerlichen Selbstbewusstseins, dass seit dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert als Mittel<br />

benutzt wurde, eine bürgerliche Identität <strong>und</strong> gesellschaftliche Stellung <strong>zu</strong><br />

erringen. 17 Autobiografien von Frauen sind in dieser Zeit selten, da ihre Aufgabe<br />

nicht in dem Erlangen einer solchen Identität lag. Eine gelungene Autobiografie<br />

nach dem Muster der damaligen Zeit konnte also nur von einer Frau geschrieben<br />

werden, die gegen die bürgerliche Gesellschaft verstoßen hatte. Die Veröffentlichung<br />

dieser Verstöße in einer Autobiografie geschah also meistens <strong>zu</strong> ihrem<br />

Nachteil. Autorinnen beschrieben sich häufig als Romanheldinnen, die der<br />

bürgerlichen Gesellschaft gegenüber keine spezifische Verantwortung <strong>zu</strong> tragen<br />

hatten. 18 Erst seit Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts konnte eine Frau ihr Ringen um<br />

Beruf oder politisches Engagement in Autobiografien beschreiben.<br />

Auf die Autobiografien <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s trifft – trotz des späteren Zeitpunkts<br />

der Publikation – davon <strong>zu</strong>, dass sie sich als eine Frau beschrieb, die durch<br />

mehrere Affären <strong>und</strong> Ehen gegen das bürgerliche Moralverständnis verstieß. Sie<br />

erlangte gerade dadurch einen großen Bekanntheitsgrad, mit der Folge, dass<br />

eigenständiges kompositorisches Engagement nicht mehr beschrieben wurde.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> betrachte ich die autobiografischen Schriften <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<br />

<strong>Werfel</strong>s – anders als die Tagebücher – mehr als Dokumente ihrer Selbstfindung<br />

<strong>und</strong> ihres Selbstentwurfes innerhalb der von ihr verinnerlichten bürgerlichpatriarchalen<br />

Gesellschaft denn als authentische <strong>Leben</strong>sberichte. Meine Perspektive<br />

zielt weniger auf lebensgeschichtliche Tatsachen als auf den Mythos, den<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> durch diese Art <strong>zu</strong> schreiben von sich entwarf.<br />

17 Vgl. Goodman, Katherine R.: Weibliche Autobiographien, in: Frauen – Literatur – Geschichte,<br />

hrsg. von Hiltrud Gnüg, Renate Möhrmann, 2.Aufl. Stuttgart 1999, S.166.<br />

18 a.a.O.: S.168.<br />

8


2.4.1. Gustav <strong>Mahler</strong>. Erinnerungen <strong>und</strong> Briefe<br />

Wie bereits erwähnt, publizierte <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> 1940 die Sicht auf ihr <strong>Leben</strong> mit<br />

Gustav <strong>Mahler</strong>. In diesem Buch beschreibt <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> die Zeit von ihrem<br />

Kennenlernen 1901 bis <strong>zu</strong>m Tod Gustav <strong>Mahler</strong>s 1911. Die Zitate beziehen sich,<br />

falls nicht anders ausgewiesen, auf die jüngste Ausgabe von 1991, die ohne Briefe<br />

erschien.<br />

2.4.2. And the bridge is love 19<br />

Diese im amerikanischen Exil entstandene Autobiografie <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s<br />

wird in ihrem Wahrheitsgehalt am meisten angezweifelt, da sie wegen mangelnder<br />

Englischkenntnisse <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s in Zusammenarbeit mit E.B. Ashton<br />

entstand. Deshalb ist es schwierig ein<strong>zu</strong>schätzen, wie groß ihr eigener Einfluss auf<br />

die Autobiografie gewesen ist. 20<br />

2.4.3. Mein <strong>Leben</strong> 21<br />

Die deutsche Autobiografie <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s weicht in vielen Punkten von<br />

der englischen Edition ab. Karen Monson traut „dank der einfühlsamen Bearbeitung<br />

von Willy Haas“ 22 dieser Autobiografie einen größeren Wahrheitsgehalt <strong>zu</strong>.<br />

Im Gegensatz <strong>zu</strong>r englischen Ausgabe hatte <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> die deutsche vor<br />

Drucklegung lesen können. Monson <strong>zu</strong>folge habe sie aber unbegründet gedroht,<br />

die Verleger <strong>zu</strong> verklagen. 23 Der Gr<strong>und</strong> für <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s angebliche Un<strong>zu</strong>friedenheit<br />

mit der Ausgabe wird weder bei Monson noch an einem anderen Ort<br />

spezifiziert.<br />

19<br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>, <strong>Alma</strong> (in Zusammenarbeit mit E.B. Ashton): And the brigde is love, New York<br />

1958.<br />

20<br />

Vgl. da<strong>zu</strong>: Monson, Karen: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>. Die unbezähmbare Muse, (London 1983) aus<br />

dem Englischen übersetzt von Renate Zeschitz, München 1985, S.316.<br />

21<br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>, <strong>Alma</strong>: Mein <strong>Leben</strong>, Frankfurt 1960.<br />

22<br />

Monson: S.319.<br />

23<br />

a.a.O.: S.319.<br />

9


2.5. Biografien<br />

An dieser Stelle werden die drei Biografien von Berndt W.Wessling, Karen<br />

Monson <strong>und</strong> Franςoise Giroud aufgenommen. 24 Bezüglich der Fragestellung nach<br />

dem Bild <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s, bekommen die Biografien den Status von<br />

Primärquellen.<br />

Wie bereits die Buchtitel bezeugen, legt meine Perspektive den Umgang der Biografien<br />

als Primärquellen nahe. Sie werden auf die Fragen hin durchleuchtet,<br />

welches Bild von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> <strong>und</strong> von ihr als Komponistin gezeichnet wurde,<br />

auf welche Quellen sich die BiografInnen bezogen – falls dies nach<strong>zu</strong>vollziehen<br />

ist – <strong>und</strong> welche Widersprüche möglicherweise zwischen Biografien, Tagebüchern<br />

<strong>und</strong> Briefen existieren. Wie bereits erwähnt, beziehen sich die BiografInnen<br />

fast nie auf die bis <strong>zu</strong>m Zeitpunkt der Entstehung der Biografien noch unveröffentlichten<br />

Tagebücher, sondern mehr auf die Autobiografien <strong>und</strong> die z.T. dort<br />

von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> zitierten Tagebuchstellen. Obwohl sie auf der einen<br />

Seite die Authentizität der Autobiografien in Frage stellen, 25 benutzen sie auf der<br />

anderen Seite diese in den Autobiografien zitierten Tagebuchstellen, als handele<br />

es sich um tatsächliche Tagebucheinträge.<br />

3. Die Darstellung <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s<br />

In diesem Kapitel wird anhand der Autobiografien <strong>und</strong> der Biografien nachvollzogen,<br />

welches Bild durch <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> selbst <strong>und</strong> durch ihre<br />

BiografInnen von ihr als Komponistin <strong>und</strong> Persönlichkeit gezeichnet wurde. Es<br />

wird verdeutlicht werden, inwieweit Parallelen zwischen Autobiografien <strong>und</strong><br />

Biografien <strong>zu</strong> finden sind. Ziel dieser Analyse wird es sein, den Zusammenhang<br />

zwischen der Perspektive auf <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> <strong>und</strong> der Bewertung ihrer<br />

Kompositionstätigkeit <strong>und</strong> ihrer Kompositionen heraus<strong>zu</strong>arbeiten.<br />

24<br />

Wessling, Berndt W.: <strong>Alma</strong>. Gefährtin von Gustav <strong>Mahler</strong>, Oskar Kokoschka, Walter Gropius,<br />

Franz <strong>Werfel</strong>, Düsseldorf 1983,<br />

Monson: a.a.O.<br />

Giroud, Franςoise: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> oder die Kunst geliebt <strong>zu</strong> werden (Paris 1988), aus dem<br />

Französischen übersetzt von Ursel Schäfer, Wien/ Darmstadt 1989.<br />

25<br />

Monson: S. 316/ 319.<br />

10


Da es in dieser Arbeit um die Sicht auf <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> als Komponistin<br />

geht, wird in der Analyse besonders der Zeitraum der Jugendzeit bis <strong>zu</strong>r Hochzeit<br />

mit Gustav <strong>Mahler</strong> berücksichtigt, in dem sie kompositorisch am meisten tätig<br />

war. Nur die Zeit von 1898-1902 ist durch die Tagebuch-Suiten belegt, so dass die<br />

Versionen in den Autobiografien <strong>und</strong> Biografien den Schilderungen in den Tagebüchern<br />

gegenübergestellt werden können. Um die Darstellung der (Auto-)<br />

Biografien auch über die Jugendzeit hinaus umfassend beurteilen <strong>zu</strong> können, fehlt<br />

den Tagebuch-Suiten entsprechendes Quellenmaterial.<br />

Schon aus den Zitaten der Autobiografien <strong>und</strong> Biografien wird deutlich werden,<br />

welche Perspektive auf <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> als Persönlichkeit <strong>und</strong> Komponistin verfolgt<br />

wird.<br />

3.1. Die Selbstinterpretation in den Autobiografien<br />

Was schreibt eine Frau mit knapp 80 Jahren über ihr <strong>Leben</strong>? Aus welchem Gr<strong>und</strong><br />

hinterlässt sie der Nachwelt eine Autobiografie? Welche Ereignisse ihres <strong>Leben</strong>s<br />

finden Eingang in eine solche Autobiografie, welche nehmen einen breiten Raum<br />

ein, welche einen geringeren <strong>und</strong> welche werden dabei weggelassen?<br />

Anhand solcher Fragen lässt sich der Spannung zwischen Selbstfindung <strong>und</strong><br />

Selbstentwurf in ihren Autobiografien auf die Spur kommen.<br />

Als Selbstfindung kann der Prozess beschrieben werden, bei dem sie <strong>zu</strong>m Ende<br />

ihres <strong>Leben</strong>s ihre eigene Position mit der Frage nach dem <strong>Leben</strong>ssinn, <strong>zu</strong> finden<br />

versuchte. Zeitlebens in Künstlerkreisen verkehrend, hatte sie zwar Kontakt mit<br />

vielen namhaften Künstlerpersönlichkeiten ihrer Zeit, hatte ihre eigene<br />

künstlerische Begabung im Hinblick auf eine mögliche Professionalisierung aber<br />

nicht verwirklicht.<br />

Als Selbstentwurf kann deshalb die Inszenierung ihres <strong>Leben</strong>s in der Mitte dieser<br />

Künstlerkreise gesehen werden. In ihren autobiografischen Schriften hat sie von<br />

sich das Bild einer berühmten Muse entworfen. So hat sie die Professionalisierung<br />

der Kompositionstätigkeit zwar nicht erreicht, errang aber durch die Selbstinszenierung<br />

als weiblicher Mittelpunkt der männlich dominierten Wiener<br />

Künstlerkreise eine gewisse Berühmtheit. Im Rückblick auf ihr <strong>Leben</strong> wurde aus<br />

dem Künstlerindasein mit eigenem künstlerischen Schaffensprozess ein <strong>Leben</strong> als<br />

11


Kunstwerk an der Seite berühmter Männer der Jahrh<strong>und</strong>ertwende. Auf diese<br />

Weise entstand ein Selbstporträt, das der Weiblichkeitstypologie der Muse <strong>und</strong><br />

der Femme fatale im Fin de Siècle perfekt entsprach <strong>und</strong> gleichzeitig das der<br />

Mutter aussparte. In den Autobiografien wird also der Eindruck erweckt, dass<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> nie ein besonderes Interesse an ihrer Mutterschaft <strong>und</strong> an ihren<br />

Kindern hatte.<br />

Aus den autobiografischen Schriften erfährt man deshalb stets mehr über ihre<br />

Männer als über sie selbst. Die Autobiografien stehen auf der Literaturliste der<br />

WissenschaftlerInnen <strong>und</strong> Interessierten, die über das <strong>Leben</strong> von Gustav <strong>Mahler</strong>,<br />

Oskar Kokoschka, Franz <strong>Werfel</strong>, Alexander Zemlinsky <strong>und</strong> anderen etwas<br />

erfahren wollen.<br />

Hin<strong>zu</strong> kommt, dass Mein <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> And the bridge is love im amerikanischen<br />

Exil entstanden sind. Durch den Verlust des Ortes <strong>und</strong> die Entwurzelung aus dem<br />

heimatlichen Wien entstand ein <strong>und</strong>eutliches Bild der Vergangenheit.<br />

Die alten Wiener Weiblichkeitsimaginationen (man denke an Otto Weininger oder Karl<br />

Kraus), die Weiblichkeit für den männlich-künstlerischen Schaffensprozeß<br />

vereinnahmten, legten sich wie Blattgold auf die verschwommenen Bilder der Erinnerung<br />

<strong>und</strong> gaben ihm wertvollen Glanz. 26<br />

Aus diesem Zitat wird deutlich, dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> diese Weiblichkeitsbilder<br />

soweit verinnerlicht hatte, dass sie ihr <strong>Leben</strong> rückblickend in ein Licht rückte,<br />

ihm auch ohne eigene Berühmtheit als Komponistin Glanz <strong>zu</strong> verleihen.<br />

Spätestens seit der Heirat mit Gustav <strong>Mahler</strong> war ihr <strong>Leben</strong> darauf eingerichtet,<br />

den „Wiener Weiblichkeitsimaginationen“ <strong>zu</strong> entsprechen. Also beschrieb sie ihr<br />

<strong>Leben</strong> als die „Perfekteste aller Musen“ <strong>und</strong> die „Gefährlichste aller Femmes<br />

fatales“. Im bürgerlichen Rahmen verschaffte ihr das die Legitimation, die sie<br />

brauchte, um eine Autobiografie schreiben <strong>zu</strong> können. In der Rolle der Femme<br />

fatale verstieß sie gegen die bürgerliche Moralvorstellung, in der Rolle der Muse<br />

erfüllte sie dagegen die Erwartungen der Männerwelt, das eigene Talent dem<br />

männlichen Genie unter<strong>zu</strong>ordnen. Ihr Ringen um Anerkennung ihres musikalischen<br />

Talentes konnte unter solchen Vorausset<strong>zu</strong>ngen keinen Eingang in die<br />

Autobiografien finden, denn hinter der Beschreibung der Rollen fand sich kein<br />

Platz für eine eigene Identität.<br />

26 Rode-Breymann, Susanne: Die Komponistin <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>, hrsg. von Niedersächsische<br />

Staatstheater GmbH, Brigitta Weber, Hannover 1999, (=Prinzenstraße – Hannoversche Hefte <strong>zu</strong>r<br />

Theatergeschichte, Heft 10) S.11.<br />

12


In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, dass sie sich im ersten (auto-)<br />

biografischen <strong>Werk</strong> ihrem <strong>Leben</strong> mit Gustav <strong>Mahler</strong> widmet. Sie beschreibt, wie<br />

sie ihr <strong>Leben</strong> hinter Gustav <strong>Mahler</strong>s <strong>Leben</strong> <strong>zu</strong>rückgestellt habe, <strong>und</strong> über sie<br />

selbst erfahren LeserInnen fast gar nichts.<br />

Dergestalt waren meine Erlebnisse. Ich hatte keine eigenen mehr, [...] denn ich blieb ein<br />

Mädchen neben ihm, [...] die Mutter der Kinder, die Hausfrau. 27<br />

Zwischen der Publikation von Gustav <strong>Mahler</strong>. Erinnerungen <strong>und</strong> Briefe <strong>und</strong> den<br />

beiden anderen Autobiografien liegen fast 20 Jahre im Exil.<br />

3.1.1. Die Darstellung der Jugend- <strong>und</strong> Ausbildungszeit<br />

Ich träumte von Reichtum nur darum, um schöpferischen Menschen die Wege <strong>zu</strong> ebnen. 28<br />

Dieses Zitat stammt aus dem Kontext der Beschreibung ihrer Jugendzeit. Dieser<br />

Zeitraum, der in den Tagebuch-Suiten auf 750 Seiten so ausführlich nach<strong>zu</strong>vollziehen<br />

ist, beschreibt <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> rückblickend in Mein <strong>Leben</strong> auf nur<br />

30- <strong>und</strong> in And the bridge is love auf 21 Seiten. 29 Mit Zitaten wie diesen gibt sie<br />

die Perspektive vor, aus der sie ihr <strong>Leben</strong> von der Nachwelt betrachtet haben<br />

möchte. Dabei schweigt sie über ihr Wanken in der Entscheidung zwischen<br />

Professionalisierung der Kompositionstätigkeit <strong>und</strong> dem traditionellen Dasein als<br />

Ehefrau, das aus den Tagebüchern hervorgeht. Dadurch hinterlässt sie den Eindruck,<br />

als sei ihr <strong>Leben</strong> schicksalhaft ineinandergefügt gewesen.<br />

And the bridge is love beginnt mit einer Episode aus dem Jahre 1915 als <strong>Alma</strong><br />

<strong>Mahler</strong>-Gropius ein Gedicht Franz <strong>Werfel</strong>s (Der Erkennende) in die Hände fällt,<br />

das sie sofort in Musik setzte. 30 Diesem Prolog, der ihre eigene kompositorische<br />

Arbeit voranstellt, folgt eine ausführliche Beschreibung der künstlerischen<br />

Abstammung väterlicherseits. Der Mutter, die bis <strong>zu</strong> ihrer Hochzeit Sängerin<br />

gewesen war, <strong>und</strong> ihre Karriere wegen ihrer Ehe aufgegeben hatte, widmet sie nur<br />

einen kurzen Absatz. Auffällig in beiden Autobiografien ist dabei, dass <strong>Alma</strong><br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> es vermeidet, sich selbst <strong>zu</strong> charakterisieren. Selten tritt sie als<br />

aktiv Handelnde in Erscheinung, sondern stets verschwindet ihre Persönlichkeit<br />

27 GME: S.140/141.<br />

28 Mein <strong>Leben</strong>: S.16.<br />

29 Mein <strong>Leben</strong> umfasst 370 Seiten – And the bridge is love 308 Seiten.<br />

30 And the bridge is love: S.3/4.<br />

13


hinter der ausführlichen Darstellung der Menschen ihres Umfeldes. Die<br />

Jugendzeit interpretiert sie immer in Be<strong>zu</strong>g auf ihren Vater Emil Jakob Schindler,<br />

der verstarb als sie 13 Jahre alt war.<br />

Ich war gewohnt gewesen, ihm [dem Vater] alles <strong>zu</strong> Gefallen <strong>zu</strong> tun, meine ganze<br />

Eitelkeit <strong>und</strong> Ehrsucht hatte als einzige Befriedigung den Blick seiner verstehenden<br />

Augen gehabt. 31<br />

Aus psychoanalytischer Sicht lässt sich diese Vater-Tochter-Beziehung<br />

folgendermaßen beschreiben:<br />

Lieblingstöchter bleiben die Opfer ihrer Idee. [...] Hinter der scheinbar gut<br />

funktionierenden Fassade spielt sich gerade bei Lieblingstöchtern ein dramatisches<br />

Gefühlsleben ab. Denn die Autorität des Vaters kann von ihnen nie in Frage gestellt<br />

werden, sie bleiben gefangen in der Ausstrahlung des Mannes. Trotz ihrer Fähigkeiten<br />

müssen sie kleiner bleiben als er. [...] So bleiben Lieblingstöchter als gute Vater-Töchter<br />

trotz ihrer Fähigkeit <strong>und</strong> Intelligenz – in ihrem Gefühl immer auf den Vater als Mann<br />

fixiert, ihm ordnen sie sich unter. 32<br />

Und auch die Darstellung ihrer Affinität <strong>zu</strong>r Musik kann in diesem Sinne<br />

interpretiert werden.<br />

Ja, sie durfte begabt sein, sie wurde in ihrer Ausbildung gefördert, aber nur <strong>zu</strong>m Glanze<br />

des Vaters. [...] Der Dressurakt <strong>zu</strong>r Lieblingstochter führt direkt in die Vaterfalle, in die<br />

Unterwerfung, <strong>zu</strong>r weiblichen Frau im männlichen Sinn. 33<br />

Die Musikausübung dient in ihrer rückblickenden Perspektive in Mein <strong>Leben</strong><br />

mehr der Abgren<strong>zu</strong>ng gegen ihre neue Familie mit Carl Moll, dem Schüler ihres<br />

Vaters, als neuen Stiefvater, <strong>und</strong> weniger der Professionalisierung.<br />

Diese Jugendjahre trennten mich innerlich vollkommen von meiner Umgebung. Die<br />

Umgebung wurde mir gleichgültig <strong>und</strong> die Musik dafür alles.<br />

Ich lernte bei dem blinden Organisten Josef Labor Kontrapunkt, raste durch die<br />

Musikliteratur <strong>und</strong> schrie alle Wagner-Partien herunter, bis mein schöner Mezzosopran<br />

<strong>zu</strong>m Teufel war. Ich lebte in einem Musikw<strong>und</strong>er, das ich mir selber erfand.<br />

Im Sinne meines Vaters suchte ich mir nun die Helfer meiner Jugend in älteren wissenden<br />

Männern unseres Künstlerkreises. 34<br />

Musik wird in dieser Darstellung nicht als Mittel <strong>zu</strong>r eigenen Identitätsbildung<br />

beschrieben, sondern eher als Erfüllung der Erwartungen des Vaters <strong>und</strong> der<br />

Abgren<strong>zu</strong>ng gegen ihre neuen Familienverhältnisse. Im Rückblick spielt <strong>Alma</strong><br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> ihre musikalischen Ambitionen als „erf<strong>und</strong>enes Musikw<strong>und</strong>er“<br />

herunter. Die Musik rückt in den Hintergr<strong>und</strong>, während ihre Interpretation der<br />

Wünsche des Vaters im Vordergr<strong>und</strong> steht.<br />

31<br />

Mein <strong>Leben</strong>: S.20.<br />

32<br />

Steinbrecher, Sigrid: Die Vaterfalle. Die Macht der Väter über die Gefühle der Töchter,<br />

Hamburg 1991, S.54.<br />

33<br />

Steinbrecher: S.55.<br />

34<br />

Mein <strong>Leben</strong>: S.20/21.<br />

14


Auch ihr literarisches <strong>und</strong> künstlerisches Interesse knüpft an die Umgebung ihres<br />

Vaters an. Max Burckhard als literarischer Mentor <strong>und</strong> Gustav Klimt als<br />

Mitgründer der Wiener Sezession werden ihre väterlichen Fre<strong>und</strong>e.<br />

Ihre erste große Liebe <strong>zu</strong> Gustav Klimt knüpft also an diesen väterlichen Umkreis<br />

an, <strong>und</strong> das Scheitern derselben führt sie auf den Einfluss ihrer Mutter <strong>zu</strong>rück.<br />

Unsere Liebe wurde grausam zerstört durch meine Mutter. Ihr Ehrenwort brechend,<br />

studierte sie täglich mein Tagebuchstammeln <strong>und</strong> wußte so um die Stationen meiner<br />

Liebe. 35<br />

An den wenigen Stellen, an denen sich die Identifizierung mit der eigenen Musik<br />

herauslesen lässt, sind die Musik <strong>und</strong> die Kompositionen für die junge <strong>Alma</strong><br />

Schindler stets Ausdruck eigener Gefühls<strong>zu</strong>stände.<br />

Je mehr ich an dieser Liebe litt, desto mehr versank ich in meiner eigenen Musik, <strong>und</strong> so<br />

wurde mein Unglück <strong>zu</strong>r Quelle meiner größten Seligkeiten. 36<br />

In solchen Zitaten lässt sich ihr Wunsch nach eigener Kompositionstätigkeit<br />

erahnen. Die Identifikation mit der Musik wird aber auch hier nicht offen<br />

ausgedrückt, sondern verschwindet hinter dem Liebesleid, das als Anlass <strong>zu</strong>m<br />

Komponieren beschrieben wird. So ist auch der Kompositionsunterricht bei<br />

Alexander Zemlinsky an die Erwähnung ihrer Verliebtheit in ihn geb<strong>und</strong>en. Das<br />

Musikinteresse steht nie für sich allein.<br />

Meine wilde Komponiererei wurde durch Alexander von Zemlinsky, der mein Talent<br />

sofort erkannt hatte, in ernste Bahnen gelenkt. Ich komponierte von einem Tag <strong>zu</strong>m<br />

anderen vielseitige Sonatensätze, lebte nur meiner Arbeit <strong>und</strong> hatte mich plötzlich von<br />

allem gesellschaftlichen Treiben <strong>zu</strong>rückgezogen. Und niemand konnte sich mein<br />

Verhalten erklären.<br />

Es war fast selbstverständlich, daß ich mich in Zemlinsky, der ein häßlicher Mensch war,<br />

verliebte. 37<br />

Im Rückblick verschweigt <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> ihr Hadern mit dem Wunsch nach<br />

professioneller Kompositionstätigkeit, das die Tagebücher in ihrer Unmittelbarkeit<br />

dokumentieren. In einer weiblichen Autobiografie war aber für die<br />

Beschreibung der eigenen Identität kein Platz. Die nachträgliche Auseinanderset<strong>zu</strong>ng<br />

mit den Bedingungen ihrer künstlerischen Arbeit hätte nicht nur die<br />

Rollenvorgabe der Muse <strong>und</strong> Femme fatale gesprengt, sondern gleichzeitig Kritik<br />

an den eingeschränkten Möglichkeiten weiblicher Kunstausübung in der<br />

bürgerlichen Gesellschaft geübt.<br />

35 Mein <strong>Leben</strong>: S.26.<br />

36 Mein <strong>Leben</strong>: S.28.<br />

37 Mein <strong>Leben</strong>: S.28.<br />

15


Diese wenigen distanzierten Sätze lassen die Möglichkeit einer Professionalisierung<br />

also nur versteckt vermuten. Urteile über <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> als Komponistin, die<br />

sich auf ihre eigenen Schilderungen beziehen, kommen deshalb meist <strong>zu</strong> dem<br />

Ergebnis, dass die „wilde Komponiererei“ nur eine vorübergehende Laune der<br />

jungen <strong>Alma</strong> Schindler gewesen sein kann.<br />

Die Inhalte der Kompositionsst<strong>und</strong>en bei Zemlinsky finden keinen Eingang in die<br />

autobiografischen Schriften mit Ausnahme des folgenden vielzitierten<br />

Abschnittes, der die Wichtigkeit des Unterrichts dokumentiert, aber auch ihre<br />

Kontakte <strong>zu</strong>r Wiener Künstlergesellschaft in den Vordergr<strong>und</strong> stellt.<br />

Er war ein grandioser Lehrer. Er nahm ein kleines Thema gleichsam in seine geistigen<br />

Hände, knetete es, formte es in unzählige Varianten. [...] Zemlinsky war der geborene<br />

Lehrer, <strong>und</strong> das allein war das Wesentliche, das Wichtigste für mich, <strong>und</strong> nicht nur für<br />

mich, sondern für die ganze Musiker-Generation dieser Epoche. Sein Können, seine<br />

Meisterschaft waren einmalig. 38<br />

Größeren Raum räumt <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> dem Beginn ihrer Liebesbeziehung<br />

<strong>zu</strong> Zemlinsky ein. Diese Darstellung der ersten Intimität mit Alexander Zemlinsky<br />

ist ein Beispiel dafür, dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> bei der Konstruktion ihres <strong>Leben</strong>s als<br />

Kunstwerk möglicherweise einem literarischen Vorbild folgte.<br />

Die St<strong>und</strong>en vergingen. Ich <strong>und</strong> er [Zemlinsky] waren mit gleicher Leidenschaft in unsere<br />

Aufgabe vertieft. Vorerst. Dann aber spielte er mir einmal ‚Tristan‘ vor, ich lehnte am<br />

Klavier, meine Knie zitterten...wir sanken uns in die Arme. 39<br />

Diese Szene ist nachweislich von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> im Nachhinein durch die<br />

Umarmung ergänzt worden. Wieder einmal steht dadurch nicht das gemeinsame<br />

Musikinteresse von Lehrer <strong>und</strong> Schülerin im Vordergr<strong>und</strong>. Die Tagebuch-Suiten<br />

bezeugen nur das gemeinsame Musizieren:<br />

Nach der St<strong>und</strong>e spielte Zemlinsky so großartig Tristan! Wir sangen beide da<strong>zu</strong>. – Es war<br />

einzig. – Mir zitterten die Knie. 40<br />

Assoziativ liegt an dieser Stelle der Gedanke an Thomas Manns Erzählung<br />

Tristan nahe 41 . Auch hier wird die Spannung zwischen zwei Liebenden während<br />

des Musizierens der Oper Tristan <strong>und</strong> Isolde von Wagner geschildert. In der Erzählung<br />

Manns kommt es zwar nicht <strong>zu</strong> einer körperlichen Annäherung zwischen<br />

„Herrn Spinell“ <strong>und</strong> der „Gattin Herrn Klöterjahns“, 42 das literarisch-musikalische<br />

Motiv des Tristan ist aber durchaus auch in <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s Autobiografie<br />

38 Mein <strong>Leben</strong>: S.30.<br />

39 Mein <strong>Leben</strong>: S.29, siehe außerdem: And the bridge is love: S.13.<br />

40 Tagebuch-Suiten: 11.12.1900.<br />

41 Mann, Thomas: Der Tod in Venedig, Frankfurt/ Main 1982, darin Erzählung: Tristan S.68-103.<br />

42 Mann: S.91.<br />

16


erkennbar. Natürlich ist meine Assoziation <strong>zu</strong> Thomas Mann spekulativ, da man<br />

aber davon ausgehen kann, dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> die Erzählungen Thomas<br />

Manns <strong>zu</strong>m Zeitpunkt des Verfassens der Autobiografien kannte, ist eine Parallele<br />

der musikalisch-literarischen Motivik nicht ganz von der Hand <strong>zu</strong> weisen.<br />

Literarische Motive nehmen in <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s Darstellungsweise damit<br />

einen größeren Raum ein als ihre eigentliche Persönlichkeit.<br />

3.1.2. Die Darstellung des „Komponierverbots“<br />

Die Hintergründe <strong>und</strong> Reaktionen auf den Brief Gustav <strong>Mahler</strong>s vom 19.<br />

Dezember 1901, in dem Gustav <strong>Mahler</strong> von seiner Verlobten verlangte, ihre<br />

Kompositionstätigkeit auf<strong>zu</strong>geben, wurde von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> später immer<br />

verdunkelt. Sie behauptete des öfteren, diesen Brief vernichtet <strong>zu</strong> haben 43 <strong>und</strong><br />

daher fand er keinen Eingang in die Editionen von Gustav <strong>Mahler</strong>. Erinnerungen<br />

<strong>und</strong> Briefe. Offenbar bestand für <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> kein Interesse, die<br />

Umstände dieses Wendepunktes ihrer künstlerischen Laufbahn <strong>zu</strong> beleuchten.<br />

In beiden Autobiografien verschweigt <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> die Einzelheiten des<br />

Briefes <strong>und</strong> reduziert ihn auf den Aspekt des „Komponierverbots“.<br />

Dies war die Ursache <strong>und</strong> der Anfang einer harten Leidenszeit für mich. Gustav <strong>Mahler</strong><br />

forderte brieflich sofortiges Aufgeben meiner Musik, ich müsse nur der seinen leben. [...]<br />

Die Askese, die man sich selber diktiert, ist richtig; aber die, <strong>zu</strong> der man befohlen wird,<br />

wie das in meiner Ehe mit Gustav <strong>Mahler</strong> geschah, reizte mich bis an die Grenze des mir<br />

Ertragbaren. Übrigens: ich hatte Gustav <strong>Mahler</strong> niemals eine Note meiner Musik gezeigt.<br />

Wir heirateten am 9. März 1902 in der Karlskirche in Wien. 44<br />

Gedanken über Entscheidungsalternativen – die Mutter habe in Anbetracht der<br />

Tatsache, „daß ich von meinem achtzehnten <strong>Leben</strong>sjahr an nur der Musik gelebt<br />

hatte“ 45 vorgeschlagen, Gustav <strong>Mahler</strong> <strong>zu</strong> verlassen – verschleiert <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<br />

<strong>Werfel</strong>. Dass <strong>zu</strong>mindest anfänglich die Situation noch nicht entschieden war,<br />

belegen die Tagebücher, wie noch gezeigt werden wird. 46<br />

Da aber auch die Bekanntschaft mit Gustav <strong>Mahler</strong> in Mein <strong>Leben</strong> in bloß einem<br />

Satz berichtet <strong>und</strong> die Qualität der Beziehung gar nicht erörtert wird, erscheint die<br />

43<br />

Der Brief befindet sich in ungekürzter Fassung in: GoR, S.104-111. Trotz der Behauptung <strong>Alma</strong><br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s fand ihn de la Grange als Typoskript dann im Nachlass. Das Autograf entdeckte<br />

Weiß im Jahre 1989 bei einem privaten Sammler in den USA (GoR: S.493).<br />

44<br />

Mein <strong>Leben</strong>: S.31.<br />

45<br />

Mein<strong>Leben</strong>: S.31.<br />

46<br />

Vgl. Tagebuch-Suiten: 20.Dezember 1901.<br />

17


Entscheidung <strong>zu</strong>gunsten des Hofoperndirektors, der von ihr die Aufgabe ihrer<br />

Kompositionstätigkeit forderte, wie ein Bruch. An dieser Stelle steht die<br />

Selbstdarstellung als Muse im Vordergr<strong>und</strong>. Das Hadern um mögliche<br />

Entscheidungsalternativen hätten dieses Bild gefährdet.<br />

Auch And the bridge is love ergänzt die Informationen nur spärlich:<br />

After all, I wanted him. I calmed down and wrote him a letter promising what he wanted<br />

me to promise. And I have kept my word. 47<br />

Auch ohne Hin<strong>zu</strong>ziehung der Tagebuch-Suiten wirken die Aussagen <strong>Alma</strong><br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s an dieser Stelle unstimmig. Weder die Entscheidungsmotive,<br />

noch mögliche Alternativen finden Eingang in die Autobiografien.<br />

Auffällig ist die Passivität, mit der <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> den Ablauf der Dinge<br />

darstellt. Indem sie die Szene als bedingungslose Kapitulation darstellt, fügt sie<br />

sich auch im autobiografischen Rückblick in die gängigen Vorstellungen von<br />

Weiblichkeit.<br />

Nach der Hochzeit begann ihrer Darstellung <strong>zu</strong>folge eine schwierige Eingewöhnungszeit<br />

an den strengen Tagesablauf Gustav <strong>Mahler</strong>s. Sie schreibt, ihre Musik<br />

<strong>zu</strong> vermissen, aber nicht, ihre Situation verändern <strong>zu</strong> wollen.<br />

Ich habe meine Kompositionen wieder gespielt, meine Klaviersonate, meine vielen Lieder.<br />

Ich fühle es wieder – Das! Das! Das!<br />

Ich sehne mich, wieder <strong>zu</strong> produzieren.[...]<br />

Ich muß meine Klavierst<strong>und</strong>en wieder aufnehmen! Komponieren darf ich ja nicht. Ich<br />

will wieder ein geistiges Innenleben führen, wie ehedem. 48<br />

Nicht nur die Art der Berichterstattung, sondern auch die Art des Schweigens teilen<br />

mit, wie <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> diesen Wendepunkt ihrer künstlerischen Laufbahn<br />

betrachtet haben möchte. Sie selbst mit ihren eigenen Vorstellungen findet<br />

dabei keinen Eingang in die Autobiografien. Ihre Reaktionen wirken fremdbestimmt.<br />

Ähnlich stellt sie die Situation dar, als Gustav <strong>Mahler</strong> 1910 ihre Lieder<br />

wiederentdeckt. In besonderer Kürze beschreibt sie das Ergebnis ihres jahrelangen<br />

Verzichts.<br />

Er war hingerissen von der Situation – ich nicht, denn zehn Jahre verlorene Entwicklung<br />

sind nicht mehr nach<strong>zu</strong>holen. Es war ein galvanisierter Leichnam, den er neu beleben<br />

wollte. 49<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> scheint Wert darauf gelegt <strong>zu</strong> haben, den Verzicht auf ihre<br />

Musik in ganzer Endgültigkeit dar<strong>zu</strong>stellen. Aus den Autobiografien ist höchstens<br />

47 And the bridge is love: S.19.<br />

48 Mein <strong>Leben</strong>: S.36/37.<br />

49 Mein <strong>Leben</strong>: S.48.<br />

18


aus der bereits zitierten Passage von 1903, als sie ihre Kompositionen spielt, eine<br />

weitere Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit der eigenen Musik <strong>zu</strong> erkennen. Ob <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong><br />

ihre Komponiertätigkeit wirklich aufgegeben hat, wird im Laufe der Arbeit bei<br />

der Hin<strong>zu</strong>ziehung der Briefe Zemlinskys noch <strong>zu</strong> erörtern sein. Fest steht an dieser<br />

Stelle, dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> die differenzierte Darstellung ihres Entscheidungsprozesses<br />

vermied, um von sich ein Bild als Muse neben dem Genie Gustav<br />

<strong>Mahler</strong>s <strong>zu</strong> zeichnen.<br />

In diesen Abschnitten der Autobiografien vermittelt sie den Eindruck, sie habe<br />

während ihrer Ehe mit <strong>Mahler</strong> nie wieder komponiert. Fünf Jahre nach <strong>Mahler</strong>s<br />

Tod ist von diesem gr<strong>und</strong>sätzlichen Verzicht keine Rede mehr. Im Jahre 1915<br />

komponierte sie, wie sie selbst berichtet, das Lied Der Erkennende nach einem<br />

Gedicht von Franz <strong>Werfel</strong>:<br />

Ich kaufte mir die letzte Ausgabe der Monatsschrift ‚Die weißen Blätter‘, [...] <strong>und</strong> mein<br />

erster Blick fiel aus das Gedicht ‚Der Erkennende‘ von Franz <strong>Werfel</strong>.<br />

Das Gedicht schlug über mir <strong>zu</strong>sammen...ich war vollkommen gebannt <strong>und</strong> der Seele<br />

Franz <strong>Werfel</strong>s ausgeliefert. Das Gedicht gehört <strong>zu</strong> dem Schönsten, was ich überhaupt<br />

kenne.<br />

Ich habe, auf den Semmering <strong>zu</strong>rückgekehrt, das Gedicht komponiert. 50<br />

Aus welchem Gr<strong>und</strong> war es <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> an dieser Stelle nun doch möglich, den<br />

„galvanisierten Leichnam“ wieder<strong>zu</strong>erwecken? Hatte sie nach <strong>Mahler</strong>s Tod oder<br />

bereits vorher wieder komponiert? Wie kommt es, dass sie hier ihre Komponiertätigkeit<br />

erstmals wieder explizit erwähnt? Die Endgültigkeit ihres Verzichts auf<br />

eigene Musik erfährt an dieser Stelle einen Bruch. Die aufgeworfenen Fragen sind<br />

anhand der Autobiografien nicht <strong>zu</strong> beantworten.<br />

Insgesamt lässt sich jedoch beobachten, dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> in den Autobiografien<br />

sich selten selbst beschreibt. Die Charakterisierung ihrer Person<br />

geschieht stets durch andere. Berichte über eigene Wünsche sind verflochten mit<br />

ihrer Selbstdarstellung in der Rolle der Muse oder der Femme fatale. Damit erfüllte<br />

sie die Erwartungen an weibliche Autobiografieschreibung, in der die<br />

eigene Identität hinter der Beschreibung der Rolle <strong>zu</strong>rücktritt.<br />

50 Mein <strong>Leben</strong>: S.82.<br />

19


3.2. Die Charakterisierung <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s in den Biografien<br />

Da es nicht Ziel dieser Arbeit ist, eine neue Biografie über <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong><br />

<strong>zu</strong> schreiben, werde ich anhand ausgewählter biografischer Ereignisse die<br />

Sichtweisen der AutorInnen auf <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> herausarbeiten <strong>und</strong><br />

gegenüberstellen. Wie auch schon in der Analyse der Autobiografien ist deshalb<br />

besonders die Jugendzeit vor ihrer ersten Ehe mit Gustav <strong>Mahler</strong> von Interesse, da<br />

diese Zeit die Schwelle <strong>zu</strong> einer möglichen musikalischen Professionalisierung<br />

markiert.<br />

Um auf<strong>zu</strong>zeigen, in welchem Maße die Sicht auf <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>s<br />

kompositorisches Schaffen von der Sicht auf sie als Person beeinflusst wird,<br />

werden die Biografien unter folgenden <strong>Aspekte</strong>n betrachtet:<br />

Auf welche Quellen stützen sich die Biografien? Gibt es widersprüchliche<br />

Aussagen?<br />

Wie wird <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> charakterisiert?<br />

Welchen Raum nimmt die Jugendzeit ein?<br />

Auf welche Art <strong>und</strong> Weise wird <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>s Komponiertätigkeit <strong>und</strong><br />

ihre Musikanschauung geschildert bzw. bewertet?<br />

Zu den drei bereits erwähnten Biografien ziehe ich Artikel aus ausgewählten<br />

Komponistinnenlexika hin<strong>zu</strong>. 51<br />

Tendenziell lässt sich beobachten, dass Monson bei ihrer Charakterisierung <strong>Alma</strong><br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s mehr den Typus einer Muse <strong>und</strong> Giroud <strong>und</strong> Wessling mehr den<br />

einer Femme fatale betonen.<br />

Die drei Biografien sind unter keinem wissenschaftlichen Anspruch verfasst. Das<br />

zeigt sich darin, dass nur bei Monson Fußnoten die Herkunft von den im Fließtext<br />

gemachten Aussagen belegen. Allerdings geschieht dies in selektiver Form:<br />

Anhand einiger Beispiele wird deutlich werden, dass manche Aussagen bei<br />

Monson leicht <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>verfolgen sind, während andere einen Nachweis<br />

51 Roster: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-Schindler S.182-197.<br />

Sonntag, Brunhilde/ Matthei, Renate (Hrsg.): Annäherungen II- an sieben Komponistinnen,<br />

Interviews <strong>und</strong> Selbstdarstellung, Kassel 1987.<br />

Gruber, Clemens: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>, in: Nicht nur Mozarts Rivalinnen. <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> Schaffen der<br />

23 österreichischen Komponistinnen.<br />

In der MGG <strong>und</strong> im New Grove finden sich keine Einträge über <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>.<br />

20


vermissen lassen, bzw. nachweislich falsch zitiert werden. Über ihre eigene<br />

Vorgehensweise schreibt Monson im Vorwort:<br />

Ich habe mich nicht gescheut, Informationen oder Situationen, die ganz offensichtlich<br />

nicht der Wahrheit entsprechen konnten, weg<strong>zu</strong>lassen. [...] Doch habe ich mich<br />

<strong>zu</strong>gegebener Weise gelegentlich auch auf ein höchst unwissenschaftliches Kriterium<br />

eingelassen, nämlich auf meine feste Überzeugung, daß etwas stimmen müsse, einfach<br />

weil <strong>Alma</strong> diese Geschichte oder Situation nicht so ohne weiteres erfinden konnte. 52<br />

Obwohl Monson an der Authentizität der Autobiografien zweifelt, bezieht sie sich<br />

gerade auf diese. Dabei stand ihr – wie auch Giroud – die <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong><br />

Collection an der University of Pennsylvania <strong>zu</strong>r Verfügung.<br />

Wessling dagegen beruft sich nur auf persönliche Gespräche mit <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<br />

<strong>Werfel</strong>, 53 die er nach eigenem Bezeugen bereits für die Biografie von 1973 über<br />

Gustav <strong>Mahler</strong> verwendet hatte, auf Zeitzeugenaussagen, sowie auf die<br />

Autobiografien. Die Existenz der <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> Collection an der University of<br />

Pennsylvania schien ihm unbekannt <strong>zu</strong> sein. Aus diesem Gr<strong>und</strong> treten in<br />

Wesslings Biografie grobe Ungenauigkeiten auf.<br />

Die Interviews der BiografInnen mit Zeitzeugen <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s, die nur<br />

Giroud nicht als Quelle anführt, sind nicht nachprüfbar, da sie nirgendwo<br />

dokumentiert sind.<br />

3.2.1. Der Beginn der Biografien<br />

Schon <strong>zu</strong> Beginn der Biografien lässt sich die Intention <strong>und</strong> die Sichtweise der<br />

AutorInnen auf <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> herauslesen.<br />

Wessling beginnt seine Autobiografie aus der Perspektive eines Mannes, der die<br />

„zärtlichste Frau dieses Jahrh<strong>und</strong>erts“ 54 am Ende ihres <strong>Leben</strong>s in ihrer Wohnung<br />

in Manhattan kennengelernt hat <strong>und</strong> von dort <strong>zu</strong>rückblickt auf die Reihe der<br />

Liebhaber, mit der diese Frau ihr <strong>Leben</strong> gefüllt habe. Dabei lässt Wessling es sich<br />

nicht nehmen, über die „Üppigkeit ihrer Formen“ 55 im Alter nach<strong>zu</strong>denken:<br />

<strong>Alma</strong> verfügte über eine voluminöse Oberweite, die ihr oft mehr als ihren Betrachtern <strong>zu</strong><br />

denken gab. 56<br />

52 Monson: S.11/12.<br />

53 Wessling: S.303.<br />

54 Wessling: S.12.<br />

55 Wessling: S.12.<br />

56 Wessling: S.13.<br />

21


Über die Beschreibung von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s sinnlich-erotischer Ausstrahlung<br />

<strong>und</strong> der Wirkung auf die Männer ihres Umfeldes hinaus, ist keine weitere<br />

Charakterisierung vonseiten Wesslings <strong>zu</strong> finden. Wessling scheint an der Person<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s nur aus voyeuristischer Sicht interessiert <strong>zu</strong> sein.<br />

Giroud stellt ihre Sicht auf die Person <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> ebenfalls gleich <strong>zu</strong><br />

Beginn dar:<br />

Stets war sie die Erobernde gewesen. Doch was dann kam...<strong>Mahler</strong> ist möglicherweise<br />

daran gestorben, daß er sie <strong>zu</strong> sehr geliebt hat, Kokoschka konnte ihren Verlust nie verwinden,<br />

Gropius war ein Spielzeug in ihren Händen, <strong>und</strong> <strong>Werfel</strong> schrieb: ‚Sie gehört <strong>zu</strong><br />

den wenigen Zauberfrauen, die es gibt...‘ 57<br />

Die Begabung eines Mannes wirkte auf <strong>Alma</strong> so faszinierend wie auf andere Frauen das<br />

Geld [...] Der Mann, der sie, die Außergewöhnliche, bezaubert hatte, mußte selbst außergewöhnlich<br />

sein. 58<br />

Giroud gibt in ihrem Einleitungskapitel auch Kritisches <strong>zu</strong> bedenken:<br />

Und doch verfehlte sie in gewisser Weise ihr <strong>Leben</strong>sziel. [...] <strong>Alma</strong> aber wäre ohne sie<br />

[ihre Männer] heute vergessen. Jeder ihrer Männer war ein schöpferisches Genie. <strong>Alma</strong><br />

hingegen hat nur dadurch eine Spur hinterlassen, daß sie ihnen wie mit einem Brandeisen<br />

ihr Zeichen einprägte. Teilte sie dieses Los mit allen Frauen ihres Jahrh<strong>und</strong>erts? Ganz<br />

gewiß, nur wurde in <strong>Alma</strong>s Fall eine überdurchschnittliche Begabung vergeudet. [...] Sie<br />

komponierte. [...] Mit zwanzig hatte sie schon mehr als h<strong>und</strong>ert Lieder, einige Instrumentalstücke<br />

<strong>und</strong> den Entwurf <strong>zu</strong> einer Oper verfaßt. Sie war <strong>zu</strong>r Künstlerin berufen.<br />

Doch statt als Musikerin Karriere <strong>zu</strong> machen, kopierte sie die Partituren ihres Ehemannes.<br />

59<br />

Im Weiteren geht Giroud aber nicht den Bedingungen künstlerischer Arbeit <strong>Alma</strong><br />

<strong>Mahler</strong>s auf den Gr<strong>und</strong>, sondern bleibt bei der bloßen Aufzählung des Reigens der<br />

Männer.<br />

Auch Monson betont die Affinität <strong>Alma</strong> Schindlers <strong>zu</strong>r Musik. Sie habe die Vorausset<strong>zu</strong>ngen<br />

<strong>zu</strong> einer bedeutenden Komponistin gehabt <strong>und</strong><br />

[w]äre sie ein Jahrh<strong>und</strong>ert später auf die Welt gekommen, hätte sie Dirigentin werden<br />

können. 60<br />

Es ist unklar, woher Monson die Behauptung nimmt, <strong>Alma</strong> Schindler habe Dirigentin<br />

werden wollen. In den autobiografischen Schriften findet sich nur in<br />

Gustav <strong>Mahler</strong>. Erinnerungen (GME) eine Stelle im Kontext der Bekanntschaft<br />

mit Gustav <strong>Mahler</strong>s, die auf Herkunft ihrer Aussage hinweisen könnte:<br />

Beim Abschied sagte ich, ich wolle als Kapellmeister an die Oper engagiert werden, worauf<br />

<strong>Mahler</strong> sagte, er verpflichte sich allen Ernstes, mich dirigieren <strong>zu</strong> lassen, ihm würde<br />

ich auf jeden Fall gefallen. 61<br />

57 Giroud: S.10.<br />

58 Giroud: S.11.<br />

59 Giroud: S.11/12.<br />

60 Monson: S.10.<br />

61 Gustav <strong>Mahler</strong>- Erinnerungen (GME) 1991, S.29.<br />

22


Da <strong>Alma</strong> Schindler nie Dirigierunterricht genommen hat – im Unterschied <strong>zu</strong><br />

Klavier- <strong>und</strong> Kompositionsunterricht – erscheint es übertrieben, aus einer im Zusammenhang<br />

mit einem Flirt getroffenen Aussage einen Berufswunsch heraus<strong>zu</strong>lesen,<br />

<strong>zu</strong>mal Monson bei der Beschreibung der Bekanntschaft mit Gustav <strong>Mahler</strong><br />

präzise der Darstellung in GME folgt. 62<br />

Etwas später greift Monson diesen Gedanken noch einmal auf. Dieses Mal steht<br />

allerdings die Behauptung im Vordergr<strong>und</strong>, <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong> habe an ihrer<br />

nicht gelungenen Karriere selbst großen Anteil:<br />

[<strong>Alma</strong>] hatte auch nicht vor, wie ihre Mutter einen Haushalt <strong>zu</strong> führen. Eigentlich wollte<br />

sie Dirigentin werden...oder Komponistin oder Pianistin. Richtig intensiv hat sie sich jedoch<br />

nie um einen Beruf gekümmert. 63<br />

Wie Monson fragt auch Giroud nicht nach Gründen für diesen Verzicht. Sie<br />

beschreibt in ihrem zweiten Kapitel die Atmosphäre im Wien der Jahrh<strong>und</strong>ertwende.<br />

Dabei kommt sie u.a. auf die Stellung der Frau in der Wiener Gesellschaft<br />

<strong>zu</strong> sprechen. Sie bezeichnet die patriarchalischen Einschät<strong>zu</strong>ngen Otto Weiningers<br />

in Geschlecht <strong>und</strong> Charakter als „Anmaßung“ <strong>und</strong> berichtet von der Gründung<br />

des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins (1893). 64<br />

In Be<strong>zu</strong>g auf <strong>Alma</strong> Schindlers Bedingungen professioneller Musikausübung führt<br />

Giroud den Gedanken der Wiener Gesellschaft allerdings nicht <strong>zu</strong> Ende. Fragen<br />

der weiblichen Sozialisation insbesondere der weiblichen Musikausübung werden<br />

nicht diskutiert. Statt dessen beginnt gleich im Anschluss das nächste Kapitel mit<br />

dem Satz:<br />

Damals hatte <strong>Alma</strong> schon mehr Flirts hinter sich, als schicklich war. 65<br />

Es wird also nicht deutlich, wieso Giroud über die Frauenbewegung berichtet,<br />

wenn sie <strong>Alma</strong> Schindler nicht in diesen Zusammenhang einordnet <strong>und</strong> gleich <strong>zu</strong><br />

der Rolle der Femme fatale überleitet.<br />

Auch Brunhilde Sonntag, selbst Komponistin, schrieb 1987:<br />

Die Mischung aus künstlerischer Begabung <strong>und</strong> dem damit verb<strong>und</strong>enen Bedürfnis,<br />

künstlerisch produktiv <strong>zu</strong> werden <strong>und</strong> der ausgeprägten Weiblichkeitsstruktur mit einem<br />

überstarken Hinneigungsdrang <strong>zu</strong>m Mann, der nicht selten in Herrschsucht <strong>und</strong> Überlegenheitsgehabe<br />

ausartete, bestimmte das <strong>Leben</strong>sschicksal dieser ungewöhnlichen Frau. 66<br />

Erstaunlich ist, dass eine solche Einschät<strong>zu</strong>ng in einem Komponistinnenlexikon<br />

<strong>zu</strong> finden ist, das es sich <strong>zu</strong> Aufgabe gemacht hat, die künstlerische Arbeit von<br />

62 Monson: S.40<br />

63 Monson: S.31.<br />

64 Giroud: S.21-23.<br />

65 Giroud: S.24.<br />

66 Sonntag: S.9.<br />

23


Komponistinnen <strong>zu</strong> dokumentieren. Der Gr<strong>und</strong> dafür ist wahrscheinlich darin <strong>zu</strong><br />

sehen, dass Sonntag <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> in ihrem Artikel einzig nach der Biografie<br />

Wesslings <strong>und</strong> nach der deutschsprachigen Autobiografie Mein <strong>Leben</strong> porträtiert.<br />

3.2.2. Die Perspektive auf <strong>Alma</strong> Schindlers Jugend- <strong>und</strong> Ausbildungszeit<br />

Die Beschreibung der Jugendzeit nimmt bei allen drei BiografInnen einen<br />

schmalen Raum ein. Der Zeitraum, der in der Edition der Tagebuch-Suiten 750<br />

Seiten umfasst, beschränkt sich in den Biografien, wie auch schon in den Autobiografien<br />

<strong>zu</strong> beobachten war, auf 20-30 von 200-300 Seiten.<br />

Diese Quantifizierung ist deshalb interessant, da sich dieser Zeitraum in den Tagebüchern<br />

als entscheidende Spanne der Adoleszenz darstellt, in der <strong>Alma</strong><br />

Schindler zwischen Selbst-Entmutigung <strong>und</strong> Selbst-Ermutigung im Hinblick auf<br />

die Professionalisierung ihrer Kompositionstätigkeit schwankt. Die kurze Beschreibung<br />

der Jugendzeit lässt daher auf ein geringes Interesse der BiografInnen<br />

an dieser Phase schließen. Zwar ist auch in Mein <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> And the bridge is love<br />

diese <strong>Leben</strong>sphase sehr kurz beschrieben, Giroud <strong>und</strong> Monson lag das Autograf<br />

der Tagebuch-Suiten aber vor. Das Argument der schlechten Lesbarkeit muss relativiert<br />

werden, da die Biografinnen an manchen Stellen doch aus ihnen zitieren.<br />

In der Jugendzeit ist die Beschreibung der Eltern <strong>Alma</strong> Schindlers von Bedeutung:<br />

Giroud <strong>und</strong> Monson übernehmen <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s Einschät<strong>zu</strong>ng aus<br />

Mein <strong>Leben</strong>, dass sie ihren Vater sehr geliebt habe, aber stets ein distanziertes<br />

Verhältnis <strong>zu</strong> ihrer Mutter gehabt habe, besonders nachdem diese nach dem Tod<br />

des Vaters Emil Jakob Schindlers (1893) seinen Schüler– Carl Moll – geheiratet<br />

hatte. Dieses Verhältnis spiegelt sich zwar auch in den Tagebüchern wider, die<br />

Biografinnen bringen aber <strong>zu</strong> keiner Zeit das Vorbild der Mutter, die ihre<br />

Bühnenkarriere <strong>zu</strong>gunsten ihre Ehe aufgegeben hatte, für <strong>Alma</strong> Schindlers<br />

<strong>Leben</strong>sgestaltung <strong>zu</strong>r Sprache.<br />

Bei Giroud, die ehemals französische Ministerin für Frauenfragen war, 67 ist es<br />

bemerkenswert, wie sie die LeserInnen in die Jugendzeit <strong>Alma</strong> Schindlers<br />

einführt: Mit der knappen Beschreibung des familiären Umfeldes, ihrer kurzen<br />

Schulzeit <strong>und</strong> ihres besonderen Interesses für Musik – in zwei Sätzen wird der<br />

67 Roster: S.184.<br />

24


„Hunger nach Wagners Musik“, ihr Kontrapunktstudium <strong>und</strong> ihr literarisches<br />

Interesse abgehandelt – leitet Giroud über <strong>zu</strong> dem Burgtheaterdirektor Max<br />

Burckhard, der <strong>Alma</strong> Schindlers literarischer Mentor war.<br />

Burckhard fungiert an dieser Stelle als Bindeglied zwischen der kurzen<br />

Erwähnung von Ausbildung <strong>und</strong> künstlerischen Interessen <strong>Alma</strong> Schindlers <strong>und</strong><br />

der nun folgenden Reihung der Männer ihrer Jugendzeit. Dabei werden die<br />

Männer stets als Opfer ihrer Provokationen eingeführt.<br />

Max Burckhard schulte ihren Geist. Er nahm sie mit ins Theater <strong>und</strong> in die Oper. Er war<br />

fünf<strong>und</strong>zwanzig Jahre älter als sie <strong>und</strong> hätte ihren Vater ersetzen können, wenn er sich<br />

nicht gegen alle Vernunft in sie verliebt hätte. Sie provozierte <strong>und</strong> quälte ihn... [...] ‚Seine<br />

starke Männlichkeit reizte mich‘, schrieb sie als Siebzehnjährige in ihr Tagebuch. Sie war<br />

neugierig, sein Interesse schmeichelte ihr, aber er brachte sie nicht durcheinander. Er<br />

amüsierte sie, mehr nicht.<br />

Gustav Klimt war der erste Mann, der sie aus der Fassung brachte. 68<br />

Der als Tagebuchnotiz zitierte Eintrag findet sich in Mein <strong>Leben</strong>, 69 nicht in den<br />

Tagebüchern. Als Tagebuchaufzeichnungen getarnte Zitate aus der Autobiografie<br />

täuschen LeserInnen eine angebliche Authentizität vor, die <strong>zu</strong>r stetigen<br />

Reproduktion der Femme fatale erheblich beiträgt.<br />

Eine direkte Charakterisierung <strong>Alma</strong> Schindlers nimmt Giroud in diesen<br />

Anfangskapiteln nicht vor. Sie charakterisiert sie indirekt durch eine ausführliche<br />

Beschreibung Gustav Klimts <strong>und</strong> seiner Arbeit bei der Gründung der Wiener<br />

Sezession <strong>und</strong> schließlich seiner Affäre mit <strong>Alma</strong> Schindler. Über ihn wird also<br />

mehr ausgesagt, als die LeserInnen bis <strong>zu</strong> diesem Zeitpunkt über die Hauptperson<br />

der Biografie erfahren haben.<br />

Die Gefühle über die erste Jugendliebe der siebzehnjährigen <strong>Alma</strong> Schindler<br />

werden dabei nicht berücksichtigt. Im Mittelpunkt der Perspektive steht weiterhin<br />

die Femme fatale <strong>und</strong> nicht die Persönlichkeit <strong>Alma</strong> Schindlers.<br />

Giroud schlägt von Klimt die Brücke <strong>zu</strong>r nächsten Affäre:<br />

Klimts Nachfolge in <strong>Alma</strong>s Herzen trat ein Komponist an, der heute wiederentdeckt wird:<br />

Alexander von Zemlinsky. Sie raubte ihm fast den Verstand. Sie ließ sich von ihm<br />

küssen, streicheln, erlaubte ihm fast jede Intimität bis auf die letzte. Einen Tag sprach sie<br />

von Verlobung, dann wieder lehnte sie eine Heirat kategorisch ab. Sie unterhielt mit ihm<br />

einen glühenden Briefwechsel, stürzte ihn in ein Wechselbad der Gefühle <strong>und</strong> quälte ihn<br />

zwei Jahre lang. Zemlinsky war <strong>Alma</strong>s Musiklehrer. 70<br />

68 Giroud: S.25/26.<br />

69 Mein <strong>Leben</strong>: S.21/22.<br />

70 Giroud: S.30.<br />

25


Dass sich Alexander Zemlinsky <strong>und</strong> <strong>Alma</strong> Schindler beim Spielen von Wagners<br />

Tristan das erste Mal in die Arme fallen, übernehmen Giroud, wie auch Monson<br />

aus Mein <strong>Leben</strong>. 71<br />

Der Unterricht bei Zemlinsky scheint Giroud nur in dem Maße <strong>zu</strong> interessieren, in<br />

welchem <strong>Alma</strong> Schindler dadurch Gelegenheiten gehabt habe, eine neue<br />

Männerbekanntschaft <strong>zu</strong> schließen.<br />

Als einziges- oder fast einziges weibliches Wesen unter Zemlinskys Musikschülern gab<br />

sich <strong>Alma</strong> alle Mühe, ihren Lehrer durch besondere Leistungen <strong>zu</strong> beeindrucken. Und das<br />

gelang ihr auch, obwohl er sie ausdrücklich vor übertriebenem jugendlichem Ehrgeiz<br />

warnte. Aber von Warnungen war ohnehin bald keine Rede mehr. Wenn <strong>Alma</strong> seinen<br />

St<strong>und</strong>en fernblieb, kam er <strong>zu</strong>m Privatunterricht in ihr Haus. Von da an waren sie<br />

unzertrennlich. 72<br />

Monson datiert den Beginn der St<strong>und</strong>en auf das Jahr 1897. 73 Aus den Tagebuch-<br />

Suiten geht hervor, dass die erste Kompositionsst<strong>und</strong>e erst am 18.10.1900<br />

stattfand, während der Wunsch, bei Zemlinsky <strong>zu</strong> lernen, bereits im Mai 1900<br />

geäußert wurde.<br />

Für die Einschät<strong>zu</strong>ng der erhaltenen Kompositionen ist es durchaus von<br />

Bedeutung, wann der Unterricht bei Zemlinsky begonnen hat. Insgesamt lernte sie<br />

bei ihm nur etwas länger als ein Jahr bis <strong>zu</strong> ihrer Verlobung mit Gustav <strong>Mahler</strong>.<br />

Wer annimmt, <strong>Alma</strong> Schindler habe drei Jahre intensiven Kompositionsunterricht<br />

gehabt, erwartet größere Leistungen als nach einjährigen intensiven Studien.<br />

Ähnliches gilt für Monsons Bewertung von <strong>Alma</strong> Schindlers literarischen<br />

Interessen. Fälschlicherweise datiert sie die Annäherung an das <strong>Werk</strong> Nietzsches<br />

mit Hilfe Burckhards auf das Jahr 1897, statt auf 1899. Sie traut <strong>Alma</strong> Schindler<br />

nur einen begrenztes Verständnisvermögen <strong>zu</strong>.<br />

Er [Burckhard] führte sie an das <strong>Werk</strong> Friedrich Nietzsches heran <strong>zu</strong> einer Zeit, da sie die<br />

tiefere Bedeutung der Worte dieses Philosophen noch kaum verstehen konnte. 74<br />

Woher Monson die Datierungen nimmt, bleibt unklar. In Mein <strong>Leben</strong> gibt <strong>Alma</strong><br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> keine Auskunft über die Daten.<br />

Dass sie auch sechs Jahre bei Josef Labor Kontrapunktst<strong>und</strong>en genommen hat 75 –<br />

ein Jahr lang war sie Schülerin von beiden Lehrern – wird bei Monson nur mit<br />

einem Satz erwähnt, 76 bei Giroud ist keine Rede von dem blinden Organisten.<br />

71 Giroud: S.31, Monson: S.28.<br />

72 Giroud: S.30.<br />

73 Monson: S.26.<br />

74 Monson: S.21. Vgl. z.B. Tagebuch-Suiten: 29.Dezember 1899.<br />

75 Vgl. Rode-Breymann: S.85.<br />

76 Monson: S.19.<br />

26


Auch die kurze Phase der Kontrapunktstudien bei Robert Go<strong>und</strong> ab 1. November<br />

1901 finden keinen Eingang in die Biografien.<br />

Trotzdem betrachtet Monson das Unterrichtsverhältnis zwischen <strong>Alma</strong> Schindler<br />

<strong>und</strong> Alexander Zemlinsky wesentlich differenzierter als Giroud. Sie stellt<br />

Zemlinsky als bedeutenden Musikpädagogen seiner Zeit vor – z.B. auch als<br />

Lehrer Arnold Schönbergs – geht aber auch auf Inhalte der Kompositionsst<strong>und</strong>en<br />

<strong>Alma</strong> Schindlers ein.<br />

Die Studienzeit <strong>und</strong> deren Intensität verstärkten <strong>Alma</strong>s Zuneigung <strong>zu</strong>r Musik. [...] Sie<br />

nahm ihre Kompositionsübungen sehr ernst. Als einer der wenigen weiblichen Vertreter<br />

in Zemlinskys Klasse wollte sie beweisen, daß das weibliche Geschlecht durchaus<br />

mithalten konnte. Darüber hinaus gefiel ihr die intellektuelle Herausforderung, <strong>und</strong> es<br />

begann ihr bewußt <strong>zu</strong> werden, daß sie mehr leisten konnte, als bisher von ihr gefordert<br />

worden war. Zemlinsky ließ sie Sonatensätze <strong>und</strong> Lieder bearbeiten <strong>und</strong> lenkte ihren<br />

ungestümen Tatendrang in ernste Bahnen. Er klärte sie ganz ehrlich darüber auf, welche<br />

ihrer Ideen machbar waren <strong>und</strong> von welchen sie besser noch die Finger lassen sollte.<br />

<strong>Alma</strong> hatte beachtliches Talent – ihre Energie war noch größer. 77<br />

Monson hat das Unterrichtsverhältnis, wie aus den Fußnoten ihrer Biografie <strong>zu</strong><br />

entnehmen ist, in den Tagebüchern <strong>und</strong> Briefen zwischen Zemlinsky <strong>und</strong> <strong>Alma</strong><br />

Schindler recherchiert. Im Anschluss leitet aber auch sie <strong>zu</strong> dem Liebesverhältnis<br />

der beiden über. Durch die falsche Datierung des Unterrichtsbeginns, erscheint<br />

auch das Liebesverhältnis länger als es tatsächlich gewesen ist. Dadurch entsteht<br />

der Eindruck, dass <strong>Alma</strong> Schindler Zemlinsky von 1897-1901 im Unklaren über<br />

eine mögliche Verlobung zwischen ihnen gelassen habe, bevor sie 1901 Gustav<br />

<strong>Mahler</strong> kennengelernt <strong>und</strong> sich mit ihm plötzlich verlobte.<br />

Giroud verallgemeinert den angeblichen Umgang mit Zemlinsky auch auf weitere<br />

Beziehungen:<br />

Aber kaum hatte er auf<strong>zu</strong>mucken gewagt, zog sie wieder die Zügel an. Denn ihr<br />

Musiklehrer war ihr wichtig, in jeder Beziehung. Mit gerade<strong>zu</strong> unglaublicher Naivität<br />

klagte sie, daß sie ihm stets mehr gebe, als sie von ihm <strong>zu</strong>rückbekomme – ein Vorwurf im<br />

übrigen, der keinem ihrer späteren Männer erspart blieb: Sie war zeitlebens der<br />

Überzeugung, daß die Männer ihr mehr schuldeten, als sie ihr gaben, denn sie verlangte<br />

alles! 78<br />

Wessling stellt den Beginn des Unterrichtsverhältnisses verkehrt dar. In seiner<br />

Version habe Max Burckhard Zemlinsky befohlen, <strong>Alma</strong> Schindler <strong>zu</strong><br />

unterrichten.<br />

Nicht ohne Hintergedanken: Zemlinsky wirkte angeblich als Mann so abstoßend, daß<br />

keine Leidenschaftsausbrüche von seiten <strong>Alma</strong>s <strong>zu</strong> befürchten waren. 79<br />

77 Monson: S.27.<br />

78 Giroud: S.32.<br />

79 Wessling: S.32.<br />

27


Die Datierung des Unterrichtsbeginns lässt Wessling aus. Nach seinen<br />

Ausführungen habe <strong>Alma</strong> Schindler mit Klavierunterricht bei Zemlinsky<br />

begonnen, der sich erst langsam <strong>zu</strong> Kompositionsst<strong>und</strong>en ausweitete, als sie ihm<br />

eigene Kompositionen vorgespielt habe. 80 Wessling geht soweit auf <strong>Alma</strong><br />

Schindlers kompositorisches Schaffen ein, dass er beschreibt, wie sie unter<br />

Zemlinskys Anleitung ihre Lieder auf Texte von Dehmel, Hartleben, Falke, Rilke<br />

<strong>und</strong> Heine <strong>zu</strong> Papier gebracht habe, die 1910 von der Universal Edition gedruckt<br />

wurden. Zwischen Zemlinskys <strong>und</strong> <strong>Alma</strong> Schindlers Liedern sieht Wessling<br />

einige Gemeinsamkeiten im Beschreiten der Schwelle zwischen Tradition <strong>und</strong><br />

Moderne:<br />

Die Gleichberechtigung aller zwölf Halbtöne, die Motivlosigkeit der Begleitstimmen,<br />

tastender Wille <strong>zu</strong>r Reduktion, ein Klavier-Accompagnato, das bei größter harmonischer<br />

Differenziertheit dennoch auf figuralen Ballast verzichtet. [...] Mit anderen Worten: Sie<br />

war auf dem Wege <strong>zu</strong>r Komposition mit zwölf Tönen. Das Ziel hätte sie gewiß erreicht,<br />

wäre nicht <strong>Mahler</strong> mit seinem aggressiven Verbot dazwischengekommen, das<br />

Eigenschöpferische ein für allemal <strong>zu</strong> begraben. 81<br />

Damit kommt Wessling auf das „Komponierverbot“ Gustav <strong>Mahler</strong>s, formuliert<br />

in seinem Brief vom 19. Dezember 1901, <strong>zu</strong> sprechen. 82 Dieser Brief hat sich<br />

aufgr<strong>und</strong> von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s Aussagen in den autobiografischen Schriften schon<br />

sehr früh <strong>zu</strong> einer Legende hochstilisiert. Erste Veröffentlichungen dieses von<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> <strong>zu</strong>rückbehaltenen Materials finden sich in de La Granges <strong>Mahler</strong>-<br />

Biografie, 83 später aber auch bei Giroud 84 .<br />

3.2.3. Die Darstellung des „Komponierverbots“<br />

Wessling, der für das Verfassen seiner Biografie den Brief nicht vorliegen hatte, 85<br />

wertet das „Komponierverbot“ als Verrat an der Künstlerin <strong>Alma</strong> Schindler. Die<br />

Schilderung dieser Episode fällt bei Wessling zwar ausgesprochen kurz aus, weist<br />

aber deutlich Gustav <strong>Mahler</strong> die Rolle des ungerechten Ehemanns <strong>zu</strong>.<br />

Diese Aufforderung kam nicht von ungefähr. <strong>Alma</strong>s Behauptung, <strong>Mahler</strong> habe nie auch<br />

nur eine Note von ihr gesehen, stimmt nicht. Er war informiert, wie alle ihre Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />

80<br />

Wessling: S.33.<br />

81<br />

Wessling: S.35.<br />

82<br />

GoR, S.104-111.<br />

Die gekürzte Fassung des Briefes findet sich auch bei Giroud, S.50-56.<br />

83<br />

de la Grange, Henry-Louis: Gustav <strong>Mahler</strong>, New York 1973,(Oxford 1995), S.684-690.<br />

84<br />

Giroud: S. 50-56.<br />

85<br />

Wessling bezieht sich nicht auf diesen Brief. Wie oben dargestellt war der Brief noch nicht<br />

veröffentlicht.<br />

28


Fre<strong>und</strong>innen, die Lieder <strong>und</strong> Stücke kannten, die sie unter Anleitung Zemlinskys<br />

geschrieben hatte. Kopien davon lagen längst bei der Universal Edition. 86<br />

Ob <strong>Mahler</strong> ihre Lieder kennengelernt hat, lässt sich aufgr<strong>und</strong> des Quellenmaterials<br />

nichts eindeutig beantworten. <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> stellt es in den Autobiografien<br />

stets so dar, dass Gustav <strong>Mahler</strong> die frühen Kompositionen nicht gekannt<br />

habe. Obwohl Wessling mit dieser Aussage einer geplanten Veröffentlichung der<br />

Lieder nicht richtig liegt – die ersten Lieder <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s wurden erst 1910<br />

durch die Initiative Gustav <strong>Mahler</strong>s veröffentlicht – bekräftigt er durch die Erwähnung<br />

des angeblichen Publikationserfolgs der Lieder die oben erläuterte Ungerechtigkeit<br />

<strong>Mahler</strong>s gegenüber seiner Frau, sie <strong>zu</strong>r Aufgabe ihres Erfolges <strong>zu</strong><br />

nötigen.<br />

Die im gleichen Jahr (engl.:1983) <strong>und</strong> 1985 im Deutschen erschienene Biografie<br />

Monsons zitiert Auszüge des Briefes nach de la Grange. Als Reaktion auf den<br />

Brief konstruiert Monson <strong>Alma</strong> Schindlers Gedankengänge im Konzept ihrer<br />

eigenen Interpretation.<br />

<strong>Alma</strong> glaubte oder war <strong>zu</strong> der Überzeugung gekommen, daß ihr musikalisches Talent beachtlich<br />

wäre. Zwar hatte sie die hochfliegenden Pläne, eine Konzertpianistin oder eine<br />

Dirigentin <strong>zu</strong> werden, an den Nagel gehängt, aber sie war überzeugt davon, daß sie<br />

irgendwann einmal <strong>Werk</strong>e von großer Schönheit komponieren würde. Es kam <strong>Alma</strong> nicht<br />

in den Sinn, daß sie in diese Gesellschaft von Männern, die sie als ihre Fre<strong>und</strong>e betrachtete,<br />

nur aufgenommen worden war, weil sie schön war. 87<br />

Monson nimmt in solchen Abschnitten eine Abwertung der Kompositionstätigkeit<br />

vor, indem sie <strong>Alma</strong> Schindler die Konsequenz im Verfolgen ihrer musikalischen<br />

Berufswahl abspricht. Dadurch entsteht der Eindruck, die Kompositionstätigkeit<br />

sei – wie der Plan Konzertpianistin oder Dirigentin <strong>zu</strong> werden – nur eine vorübergehende<br />

Laune gewesen.<br />

Für Monson ist deshalb die Entscheidung <strong>Alma</strong> Schindlers, die Kompositionstätigkeit<br />

auf<strong>zu</strong>geben, mehr eine logische Folge dieser Inkonsequenz als ein Bruch<br />

im <strong>Leben</strong>slauf.<br />

<strong>Alma</strong> zeigte ihrer Mutter den langen Brief von Gustav. Obwohl Anna diesen Mann so lieb<br />

gewonnen hatte, riet sie ihrer Tochter, ihn <strong>zu</strong> verlassen. <strong>Alma</strong>s Stiefvater schloß sich<br />

dieser Meinung an, aber da war es schon <strong>zu</strong> spät. <strong>Alma</strong> hatte sich bereits entschieden,<br />

Gustavs Forderungen nach<strong>zu</strong>kommen <strong>und</strong> ihm, gemäß seines Vorschlags, sofort <strong>zu</strong><br />

antworten. 88<br />

Da Monson nie von einer Professionalisierung der Kompositionstätigkeit ausgegangen<br />

ist, muss sie Entscheidungsalternativen <strong>Alma</strong> Schindlers nicht weiter<br />

86 Wessling: S.55.<br />

87 Monson: S.57.<br />

88 Monson: S.58/59.<br />

29


diskutieren. Ihr Konzept, <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s <strong>Leben</strong> in der Rolle der Muse <strong>zu</strong><br />

beschreiben, vervollständigt sich an dieser Stelle.<br />

Sie wollte sich um ihn [Gustav <strong>Mahler</strong>] kümmern <strong>und</strong> für ihn sorgen. 89<br />

Die Geschehnisse werden dieser Perspektive auf <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> angepasst,<br />

Alternativen finden keinen Platz.<br />

Giroud schafft <strong>zu</strong> Beginn des Kapitels über Gustav <strong>Mahler</strong> die Vorbedingungen,<br />

wie sie das Verhältnis zwischen ihm <strong>und</strong> <strong>Alma</strong> Schindler betrachtet möchte.<br />

Dieser Mann war ihr ebenbürtig. Ein Herrenmensch. Er besaß das entsprechende Format,<br />

er war ehrgeizig, er war berühmt. Und er war zwanzig Jahre älter als sie. 90<br />

Es folgt ein ausführliches Porträt Gustav <strong>Mahler</strong>s, das in Mein <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> And the<br />

bridge is love fehlt <strong>und</strong> nur in Gustav <strong>Mahler</strong>. Erinnerungen <strong>zu</strong> finden ist. 91<br />

In der Einschät<strong>zu</strong>ng des „Komponierverbot“-Briefes folgt Giroud ihrer <strong>zu</strong> Beginn<br />

des Kapitels geschaffenen Prämisse. Aus den Worten Girouds spricht Zynismus<br />

darüber, dass <strong>Alma</strong> Schindler das erste Mal in ihrem <strong>Leben</strong> den Kampf gegen<br />

einen Mann verloren habe.<br />

Das war wohl der seltsamste Brief, den jemals eine vom Schicksal verwöhnte junge Frau<br />

bekommen hatte. [...] Ihr Wunsch, „sie selbst <strong>zu</strong> werden <strong>und</strong> <strong>zu</strong> sein“ entlockt ihm<br />

spöttische Bemerkungen. Er belächelt ihre literarischen <strong>und</strong> philosophischen Vorlieben<br />

im Ton eines Mannes, der ihr zwanzig Jahre <strong>Leben</strong>serfahrung voraus hat <strong>und</strong> auf einer<br />

höheren Warte steht... Ja, er spricht ihr schlicht <strong>und</strong> einfach jede Eigenständigkeit ab, er<br />

verleibt sie sich ein <strong>und</strong> saugt sie auf. Sie spricht von ihrer Musik – ihre Musik? Welche<br />

Musik? 92<br />

Bei der Beschreibung von <strong>Alma</strong>s Reaktion auf den Brief fällt Girouds kriegerisches<br />

Vokabular auf. Dadurch entsteht der Eindruck <strong>Mahler</strong> habe einen Sieg davongetragen<br />

– eine Interpretation Girouds, die Zynismus über den „ersten<br />

Misserfolg“ der jungen Frau ausdrückt.<br />

Die Antwort, die <strong>Alma</strong> am nächsten Morgen an <strong>Mahler</strong> schickte, kam einer bedingungslosen<br />

Kapitulation gleich. Er hatte Forderungen gestellt: nun gut, sie willigte ein. 93<br />

Zur Begründung der „Kapitulation“ nennt Giroud das nächtliche Gespräch <strong>Alma</strong>s<br />

mit ihrer Mutter:<br />

Aber Mutter <strong>und</strong> Tochter verband eine höchst ambivalente Beziehung, <strong>und</strong> je nachdrücklicher<br />

Anna <strong>zu</strong>r Trennung riet, desto mehr berauschte sich <strong>Alma</strong> an der Idee, sich auf dem<br />

Altar der Kunst <strong>zu</strong> opfern. 94<br />

89 Monson: S. 58.<br />

90 Giroud: S.34.<br />

91 GME: S.26-31.<br />

92 Giroud: S.56.<br />

93 Giroud: S.56.<br />

94 Giroud: S.56.<br />

30


Im Gegensatz <strong>zu</strong> Monson versucht Giroud die Lücke, <strong>Alma</strong> Schindlers Entscheidung<br />

nach<strong>zu</strong>vollziehen, durch die Psychologisierung der Mutter-Tochter-<br />

Beziehung <strong>zu</strong> füllen. Sie hatte aber die Kompositionstätigkeit <strong>Alma</strong> Schindlers bis<br />

<strong>zu</strong> diesem Punkt kaum erwähnt. Die Idee einer Professionalisierung kommt bei ihr<br />

daher gar nicht auf. Ihre Erzählperspektive richtet sich stets auf die Rolle der<br />

Femme fatale, die die Männer ins Verderben stürzt. <strong>Mahler</strong>s Verbot, das <strong>Alma</strong><br />

Schindler in die Rolle der Muse <strong>zu</strong>rückweist, ist aus ihrer Sicht nur gerecht.<br />

Während in den Biografien die Rolle <strong>Alma</strong> Schindlers als Muse oder Femme<br />

fatale betont wird, trifft Eva Rieger eine Schuld<strong>zu</strong>weisung gegenüber <strong>Mahler</strong>.<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> habe zwar ihr späteres <strong>Leben</strong> frei von bürgerlichen Zwängen<br />

gestaltet, sich in ihrer Jugend jedoch dem „Komponierverbot“ gefügt. 95 Beim<br />

Versuch, den Konflikt schöpferischer Frauen zwischen Mann <strong>und</strong> Musik <strong>zu</strong> entscheiden,<br />

resümiert sie:<br />

Der Widerspruch <strong>Mahler</strong>s, der darin besteht, daß er seiner Frau das Komponieren verbot<br />

<strong>und</strong> sie seinen Belangen unterordnete, um dann in metaphysischer „Erhabenheit“, quasi<br />

entmaterialisiert <strong>und</strong> ins Visionäre gerückt, das Weibliche pauschal <strong>zu</strong> glorifizieren, ist<br />

nicht nur in seiner subjektiven Psyche <strong>zu</strong> suchen, sondern er ist ein Widerspruch unserer<br />

Kultur schlechthin. 96<br />

Ähnlich urteilt auch Constantin Floros. Gustav <strong>Mahler</strong> habe herrische, despotische<br />

Züge gehabt, seine Forderungen <strong>und</strong> Vorstellungen seien in der Männerwelt<br />

um 1900 aber durchaus normal gewesen. 97<br />

Die Darstellung des „Kompositionsverbots“ findet sich bei allen genannten<br />

AutorInnen aus geschlechtsspezifischer Sicht – Gustav <strong>Mahler</strong> verbietet <strong>und</strong><br />

<strong>Alma</strong> Schindler geht auf seine Forderungen ein. In den Betrachtungen werden<br />

aber weder Bedingungen <strong>und</strong> Möglichkeiten professioneller künstlerischer Arbeit<br />

für eine Frau der Jahrh<strong>und</strong>ertwende, noch Motive der Entscheidungsfindung <strong>Alma</strong><br />

Schindlers diskutiert.<br />

So, wie Gustav <strong>Mahler</strong> von ihr verlangte, das Komponieren auf<strong>zu</strong>geben, stellen<br />

die BiografInnen auch seine Forderung dar, sie solle wieder damit anfangen, als<br />

die beiden 1910 in ihre schwerste Ehekrise geraten waren.<br />

Allen Befürchtungen <strong>zu</strong>m Trotz war Gustav begeistert von <strong>Alma</strong>s Liedern.[...] Dann<br />

drehte er sich um <strong>und</strong> befahl ihr, wieder <strong>zu</strong> komponieren. Er nahm es damit ebenso genau<br />

95<br />

Rieger, Eva: Frau <strong>und</strong> Musik, Frankfurt 1980, S.31.<br />

96<br />

Rieger, Eva: Frau, Musik <strong>und</strong> Männerherrschaft. Zum Ausschluß der Frau aus d.dt.<br />

Musikpädagogik,<br />

Musikwissenschaft <strong>und</strong> Musikausübung, 2.Aufl., Kassel 1988, S.206.<br />

97<br />

Floros, Constantin: <strong>Alma</strong>. Der „Asket“ <strong>und</strong> die lebens<strong>zu</strong>gewandte Frau, in ders.: Gustav <strong>Mahler</strong>.<br />

Visionär <strong>und</strong> Despot, Zürich/ München 1998, S.135.<br />

31


wie neun Jahre <strong>zu</strong>vor mit der Weisung, daß sie sofort ihre Musik auf<strong>zu</strong>geben habe. Beide<br />

Male mußte sie sich sofort fügen. 98<br />

Monson diskutiert nicht, ob <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> nach zehnjährigem Kompositionsverzicht<br />

überhaupt in der Lage gewesen wäre, wieder damit <strong>zu</strong> beginnen. Sie enthält<br />

sich dieser Frage, obwohl sie der Darstellung der Autobiografien folgt, dass <strong>Alma</strong><br />

<strong>Mahler</strong> das Komponieren nach dem Brief <strong>Mahler</strong>s aufgegeben habe. Monson gibt<br />

genauso wenig <strong>zu</strong> bedenken, ob <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> in den zehn Jahren vielleicht doch<br />

komponierte. Wieder bestätigt sie ihre Sicht, <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong> eine professionelle<br />

Musiktätigkeit nie <strong>zu</strong>getraut <strong>zu</strong> haben.<br />

Vielleicht war es ohnehin besser, daß der Raum in ihrem <strong>Leben</strong>, den die Kompositionskunst<br />

eingenommen hatte, mit anderen Beschäftigungen ausgefüllt war. Nie hatte sie den<br />

Mut – ganz <strong>zu</strong> schweigen von der Zeit – gehabt, ernsthaft <strong>zu</strong>m Komponieren <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>kehren.<br />

99<br />

Da aus keiner Quelle hervorgeht, wie der Alltag <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s aussah, ist die<br />

Darstellung, Zeitmangel habe sie vom Komponieren abgehalten eine fiktive Annahme<br />

Monsons. Dies passt in ihr Konzept, <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> als Muse ohne eigene<br />

künstlerische Ambitionen <strong>zu</strong> beschreiben.<br />

Bei Giroud kommt die Episode nicht vor. Im Kontext der Ehekrise zieht sie es<br />

vor, seitenweise über <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s Verhältnis <strong>zu</strong> Walter Gropius <strong>zu</strong> berichten,<br />

den sie bei einer Erholungskur kennengelernt hatte. Diese Episode, die Giroud als<br />

weiteren Beweis ihrer Interpretation <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s als Femme fatale<br />

anführt, bekommt in diesem Zusammenhang eine besondere Gewichtung, da sie<br />

in Mein <strong>Leben</strong> verschwiegen wird.<br />

Ob <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> während ihrer Ehe mit Gustav tatsächlich ihre Kompositionstätigkeit<br />

aufgeben hat, kann bezweifelt werden. Mit Sicherheit ist <strong>zu</strong> sagen, dass<br />

eines der erhalten gebliebenen Lieder Der Erkennende nach einem Gedicht von<br />

Franz <strong>Werfel</strong> lange nach dem „Komponierverbot“, aber auch einige Jahre nach<br />

Gustav <strong>Mahler</strong>s Tod entstand (1915). 100 Eine abschließende Diskussion werde ich<br />

im Zusammenhang mit den Tagebuch-Suiten <strong>und</strong> der neuesten Forschung vornehmen.<br />

Der Vergleich der Biografien soll an dieser Stelle beendet werden. Da die<br />

Tagebuch-Suiten kurz vor <strong>Alma</strong> Schindlers Verlobung mit Gustav <strong>Mahler</strong> enden,<br />

fehlt über dieses Datum hinaus der Be<strong>zu</strong>gspunkt <strong>zu</strong> authentischem Quellenmate-<br />

98 Monson: S.123.<br />

99 Monson: S.124.<br />

100 Mein <strong>Leben</strong>: S.82.<br />

32


ial. Zwar lassen sich auch im Weiteren Widersprüche <strong>und</strong> einseitige<br />

Darstellungen finden, das Zusammenleben mit Oskar Kokoschka, Walter Gropius<br />

<strong>und</strong> Franz <strong>Werfel</strong> ist für die Betrachtung von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> als Komponistin aber<br />

weniger entscheidend.<br />

Alle BiografInnen übernehmen in den meisten Punkten die Schilderungen aus den<br />

Autobiografien, verschärfen aber noch die Sicht auf sie als Femme fatale (bei<br />

Giroud) <strong>und</strong> als Muse (bei Monson). Giroud kannte die Biografie Monsons. Möglicherweise<br />

wollte sie die Darstellung <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s als Muse um ihre<br />

Sicht der Femme fatale erweitern. Trotz teilweise kritischer Bemerkungen<br />

Monsons <strong>und</strong> Girouds über die Umbruchzeit <strong>zu</strong>r Jahrh<strong>und</strong>ertwende <strong>und</strong> die aufkommende<br />

Frauenbewegung, der durch zeitgenössische Autoren wie Otto<br />

Weininger <strong>und</strong> Karl Kraus im Sinne der alten Ordnung entgegengewirkt wurde,<br />

erfolgt im Falle <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s keine Einordnung in den zeitlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

Zusammenhang. Obwohl <strong>zu</strong>mindest Monson <strong>und</strong> Giroud das<br />

Autograf der Tagebücher in Philadelphia <strong>zu</strong>r Verfügung stand, benutzten sie<br />

dieses Quellenmaterial kaum.<br />

Wesslings Darstellung ist aufgr<strong>und</strong> ihrer Fehler schwer mit den anderen beiden<br />

Biografien <strong>zu</strong> vergleichen. In seiner Darstellung wird die Rolle der Femme fatale<br />

<strong>zu</strong>r Rolle der Prostituierten – im Sinne Weiningers – übersteigert.<br />

Unklar bleibt jedoch, aus welchen Motiven die genannten BiografInnen sich mit<br />

der Figur <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s beschäftigten. Einleuchtend wäre gewesen,<br />

aufgr<strong>und</strong> neuer Quellenf<strong>und</strong>e die Angaben der Autobiografien in einer Biografie<br />

<strong>zu</strong> korrigieren.<br />

Da die BiografInnen <strong>Alma</strong> Schindler die Professionalisierung der Kompositionstätigkeit<br />

nicht <strong>zu</strong>trauten, wurde dieser Teil der Persönlichkeit kaum beleuchtet. In<br />

den Biografien der 1980er Jahre werden die aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert stammenden<br />

Weiblichkeitstypologien der Muse <strong>und</strong> der Femme fatale im Sinne der Idealisierung<br />

des Patriarchats reproduziert. Die Persönlichkeit <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s ist<br />

dabei von keinem Interesse. Während in den Autobiografien die verinnerlichten<br />

Gesellschaftszwänge der Autorin nachvollzogen werden konnten, übernehmen die<br />

BiografInnen unreflektiert diese Darstellungen.<br />

33


4. Die Komponistin <strong>Alma</strong> Schindler in den Tagebuch-Suiten<br />

Im Folgenden soll die künstlerische <strong>und</strong> musikalische Entwicklung <strong>Alma</strong><br />

Schindlers anhand der Tagebuch-Suiten nachvollzogen werden <strong>und</strong> in den Kontext<br />

der Möglichkeiten weiblicher Musikausübung im Wien des Fin de Siècle<br />

eingeordnet werden. Die Betrachtung nähert sich von ihrer Kunst-, Literatur- <strong>und</strong><br />

Musikrezeption über die eigene Musikausübung <strong>und</strong> eigene Komponiertätigkeit<br />

bis an die Kompositionen <strong>und</strong> ihre Aufführungen an. 101<br />

4.1. <strong>Alma</strong> Schindlers Kindheit <strong>und</strong> Jugend in den Künstlerkreisen Wiens<br />

Wie <strong>Alma</strong> Schindler selbst immer betonte, verbrachte sie ihre Kindheit in einem<br />

glücklichem Umfeld. Ihr Vater, der Landschaftsmaler Emil Jakob Schindler, hatte<br />

seit 1885 ein Schloss mit einem großen Garten in Plankenberg gemietet, wo die<br />

Schindlers ihre Sommer verbrachten. Nur im Winter wohnte die Familie in Wien.<br />

Schon früh hatte die junge <strong>Alma</strong> Schindler – wie auch ihre Schwester Grete – die<br />

Möglichkeit, durch Teilhabe am kulturellen <strong>Leben</strong> der Erwachsenen <strong>zu</strong><br />

künstlerischer Bildung <strong>zu</strong> gelangen, obwohl die Schwestern kaum die Schule<br />

besuchten.<br />

Nach dem Tod des Vaters am 8. August 1892 <strong>und</strong> der Wiederverheiratung der<br />

Mutter Anna, ging <strong>Alma</strong> Schindler ihr Leitbild verloren.<br />

Auf der einen Seite hat sie für ihren Stiefvater Carl Moll als Künstler nur<br />

Geringschät<strong>zu</strong>ng übrig, wie sie am 10. August 1899 102 schrieb:<br />

Und Carl...ist ein recht fleißiger, tüchtiger Maler, aber nie wird ers <strong>zu</strong> einer wahren<br />

Künstlerschaft bringen.<br />

Besonders einsam fühlte sich <strong>Alma</strong> Schindler seit der Geburt ihrer Stiefschwester<br />

Maria <strong>und</strong> der Verlobung ihrer Schwester Grete. Für sie wuchs der Druck, aus<br />

dem Haus <strong>zu</strong> gehen.<br />

Kein Mensch mag mich! Kein Mensch liebt mich! [...] Niemanden haben, der einen<br />

interessiert, dem man sagen kann, wies einem ums Herz ist. 103<br />

101<br />

Die Vorgehensweise folgt Susanne Rode-Breymanns Porträt der Komponistin in der Reihe der<br />

Rode-Breymann.<br />

102<br />

Im Text gemachte Datierungen beziehen sich, falls nicht anders vermerkt, auf Eintragungen in<br />

den Tagebuch-Suiten. In diesen Fällen wird keine <strong>zu</strong>sätzliche Datumsangabe als Fußnote gemacht.<br />

Hervorhebungen, wie in diesem Zitat, entstammen dem Original.<br />

103<br />

Tagebuch-Suiten: 10. September 1899.<br />

34


Möglicherweise wurde sie aus dieser Einsamkeit heraus <strong>zu</strong>r fleißigen<br />

Tagebuchschreiberin. 104<br />

Auf der anderen Seite war Carl Moll Mitbegründer der Wiener Sezession, so dass<br />

seine Stieftöchter in ständigem Kontakt mit den Wiener Künstlerkreisen standen,<br />

in denen sich <strong>Alma</strong> Schindler schon früh souverän <strong>zu</strong> bewegen wusste. Häufig<br />

war sie Mittelpunkt der durch die Wiener Kunstmäzene veranstalteten Bälle.<br />

Ich war die Schönste. Man arrangierte Kämpfe mit der siegesreichen – <strong>Alma</strong> Schindler.<br />

Ich tanzte rasend. 105<br />

Der Umgang mit bekannten Künstlern war den Schwestern Schindler also<br />

selbstverständlich.<br />

4.1.1. <strong>Alma</strong> Schindlers Kunstrezeption<br />

Als Tochter eines Malers wurde schon früh ihr künstlerischer Blick geschult <strong>und</strong><br />

auch ihre eigenen Zeichnungen (viele der Modeentwürfe sind in den Tagebuch-<br />

Suiten abgedruckt) bezeugen ihr Talent:<br />

Mama kramte in alten Papieren – <strong>und</strong> fand ein Buch ganz gezeichnet <strong>und</strong> gedichtet von<br />

mir. Carl schaute es an <strong>und</strong> sah, dass ich viel Talent <strong>zu</strong>m Zeichnen habe. 106<br />

Trotz der ambivalenten Beziehung <strong>zu</strong> ihrer Familie wurde ihre musikalische <strong>und</strong><br />

künstlerische Bildung mit Offenheit gefördert. Sie bekam eine f<strong>und</strong>ierte pianistischen<br />

Ausbildung, <strong>und</strong> ihre vorsichtigen Schritte hinsichtlich kompositorischer<br />

Ambitionen erhielten Unterstüt<strong>zu</strong>ng.<br />

Zu beobachten ist, dass sich <strong>Alma</strong> Schindlers Interessen über den Zeitraum der<br />

Tagebuch-Suiten (1898-1902) veränderten. Während sie <strong>zu</strong> Beginn sehr ausführlich<br />

über die ersten Ausstellungen der Wiener Sezession schrieb – ihre<br />

Tagebücher lesen sich an diesen Stellen wie eine Dokumentation der Anfänge der<br />

Wiener Sezession – verschob sich später ihr Interesse <strong>zu</strong>gunsten der Musik. 107<br />

Ihre Urteile über Kunstwerke sind durchaus differenziert <strong>und</strong> durchdacht, wie z.B.<br />

der Eintrag über Gustav Klimts Schubert am Klavier vom 23.Mai 1899 bezeugt:<br />

Kl.(s) <strong>Werk</strong>e sind unbestritten die schönsten Bilder drin.[...] Der Schubert ist herrlich,<br />

doch hätte ich lieber den Schumann in die Umgebung gesetzt. Schubert sitzt am Clavier,<br />

[...] <strong>und</strong> das Ganze ist in schummerigem Kerzenglanz – also eigentlich der Schubertschen<br />

Melodie, die so ursprünglich <strong>und</strong> ges<strong>und</strong> ist, vollkommen fremd.<br />

104 Vgl. Rode-Breymann: S. 19.<br />

105 Tagebuch-Suiten: 4. März 1901.<br />

106 Tagebuch-Suiten: 18. Mai 1899.<br />

107 Vgl. Rode-Breymann: S.21.<br />

35


Gustav Klimt wurde nicht nur der Mentor <strong>Alma</strong> Schindlers, der sie an die Kunst<br />

der Sezession heranführte, sondern auch ihre erste große Liebe. Diese von den<br />

Eltern argwöhnisch beäugte Affäre (Klimt reiste <strong>Alma</strong> Schindler im Frühjahr<br />

1899 nach Italien nach <strong>und</strong> die Mutter las in ihrem Tagebuch über den ersten<br />

Kuss) fand schließlich im Mai 1899 ein Ende durch das Verbot des Umgangs mit<br />

ihm durch ihre Eltern. Lange noch lähmte sie der Liebeskummer <strong>und</strong> wurde<br />

seitenweise <strong>zu</strong>m Inhalt ihrer Tagebücher.<br />

Und ich muss weinen, denn ich habe ja alles verloren, meinen Vater, meinen Klimt, <strong>und</strong><br />

stehe nun auch im Begriffe, meine Mutter <strong>zu</strong> verlieren: Drei Menschen, die meine Welt<br />

waren... Mir ist so elend, dass ichs gar nicht sagen kann... so verlassen <strong>und</strong> so einsam, <strong>und</strong><br />

dabei muss ich lustig sein, denn man kennt nur die lustige <strong>Alma</strong>, die Fesche, die Übermüthige!<br />

Und wie sieht es in mir aus? Seit einer Woche habe ich keinen Ton<br />

componiert. 108<br />

Dieses Zitat drückt deutlich das Spannungsfeld aus, in dem sich <strong>Alma</strong> Schindler<br />

befand, <strong>und</strong> das sich fast motivisch durch die gesamten Tagebuch-Suiten<br />

verfolgen lässt:<br />

Seit der Wiederverheiratung der Mutter fühlte sich <strong>Alma</strong> Schindler immer<br />

weniger <strong>zu</strong> ihrer Familie <strong>zu</strong>gehörig <strong>und</strong> sehnte sich danach, eigenständig <strong>zu</strong> sein<br />

bzw. <strong>zu</strong> heiraten. In Folge dessen orientierte sie sich an dem künstlerischen<br />

Umfeld des Vaters, die das hübsche Mädchen gerne in ihrer Mitte aufnahmen. Für<br />

sie vermischte sich dadurch ihr künstlerisches Interesse mit dem Interesse an den<br />

Künstlern. Die Entwicklung der eigenen künstlerische Arbeit war unmittelbar<br />

abhängig von diesem Spannungsfeld.<br />

4.1.2. <strong>Alma</strong> Schindlers Literaturrezeption<br />

Neben dem Interesse an der Kunst verraten die Tagebuch-Suiten auch <strong>Alma</strong><br />

Schindlers literarische Rezeption.<br />

Rode-Breymann zeigt die Bedeutung der Literatur besonders für die Jugend des<br />

Bildungsbürgertums auf:<br />

Literarische Fiktion <strong>und</strong> erlebte Realität schoben sich dabei in vielfältigen<br />

Überblendungen ineinander, so daß Welterfahrung von den Mustern ästhetischer Sinnstiftung<br />

untrennbar wurde. [...] Hier konnten restriktive Bildungsvorstellungen der Eltern<br />

unterlaufen werden <strong>und</strong> war der auf Selbstfindung zielende Bildungshunger der jungen<br />

Leute nur schwer kontrollierbar. 109<br />

108 Tagebuch-Suiten: 22.Juli 1899.<br />

109 Rode-Breymann S.25.<br />

36


Rode-Breymann vergleicht die literarische Rezeption <strong>Alma</strong> Schindlers mit der des<br />

jungen Alban Berg, für den die Literatur einen ähnlichen Stellenwert in seinem<br />

Selbstfindungsprozess einnahm. Da Berg in einem mit <strong>Alma</strong> Schindler vergleichbaren<br />

Umfeld mit ähnlichen musikalischen Ambitionen aufwuchs, sind Parallelen<br />

augenfällig. Auch bei Stefan Zweig finden sich Hinweise <strong>zu</strong>r Bestätigung der<br />

zitierten These. In seiner Autobiografie Die Welt von gestern beschreibt er, wie<br />

das Interesse an der allerneuesten Literatur <strong>und</strong> Poetik, sowie an eigenen<br />

Dichtungen an der Institution der Schule vorbei, von den Jungen mit Fanatismus<br />

verfolgt <strong>und</strong> ausprobiert wurde. 110<br />

Für <strong>Alma</strong> Schindler, die als Mädchen keine Schule besuchte, war das Lesen die<br />

einzige Möglichkeit <strong>zu</strong>r Erweiterung ihres Bildungshorizontes. In der Diskussion<br />

mit gleichgesinnten Gesprächspartnern – beispielsweise mit Klimt, Olbrich oder<br />

Burckhard – konnte sie zwar keine gesellschaftlichen Realitäten umstoßen, konnte<br />

aber dennoch eine Nische der Ebenbürtigkeit erlangen.<br />

In den Sommermonaten 1899 lernte sie bei Spaziergängen Goethes Faust auswendig<br />

<strong>und</strong> führte lange Gespräche darüber mit Burckhard.<br />

Mit einem solch geistreichen Menschen ein ernstes Thema besprechen, gehört für mich <strong>zu</strong><br />

den schönsten Dingen. 111<br />

Mit Begeisterung las sie den theologischen Roman Ernest Renans Das <strong>Leben</strong> Jesu<br />

<strong>und</strong> verglich ihn mit David Friedrich Strauss‘ historischer Abhandlung über Das<br />

<strong>Leben</strong> Jesu.<br />

Auch Friedrich Nietzsches Jenseits von Gut <strong>und</strong> Böse befand sich auf <strong>Alma</strong><br />

Schindlers Literaturliste. Obwohl ihr die BiografInnen, wie bereits dargestellt, das<br />

Verständnis dieser philosophischen Schriften absprechen, finden sich in den Tagebüchern<br />

Hinweise auf eine eigenständige Erarbeitung.<br />

Abends – in meinem einsamen Bett – wollte mich die Wehmuth noch einmal beschleichen.<br />

Ich aber nahm den Nietzsche <strong>zu</strong>r Hand <strong>und</strong> las mir die Bekümmernis weg. 112<br />

Auf dem Gebiet der Dichtung interessierte sie sich für die zeitgenössischen<br />

Schriftsteller, die auch von Stefan Zweig als Schüler fanatisch verfolgt wurden: 113<br />

Richard Dehmel, Rainer Maria Rilke <strong>und</strong> Otto Julius Bierbaum seien an dieser<br />

Stelle genannt. Die Begeisterung für Hugo von Hofmannsthal teilte <strong>Alma</strong><br />

110 Zweig, Stefan: Die Welt von gestern, Frankfurt 1979, S.32-58.<br />

111 Tagebuch-Suiten: 17. Juli 1899.<br />

112 Tagebuch-Suiten: 4. September 1900.<br />

113 Zweig: S.32-58.<br />

37


Schindler mit Zemlinsky seitdem dieser ihr sein Tanzpoem nach Hofmannsthals<br />

Triumph der Zeit gezeigt hatte. Bei ihrem eigenen musikdramatischen Kompositionsversuch<br />

wählte sie schließlich auch eine Vorlage Hofmannsthals.<br />

Für den Zugang <strong>zu</strong>r Literatur wurde Burckhard für <strong>Alma</strong> Schindler <strong>zu</strong>r zentralen<br />

Figur. Weihnachten 1900 schenkte er ihr große Mengen Bücher:<br />

Burckhards Geschenk freut mich am meisten, weil es so lieb-rührend erdacht ist. 30<br />

Bände allein von ihm. Mein ganzes Zimmer ist voll Bücher, mir ja so das liebste. 114<br />

Auch hinsichtlich ihrer Theaterbesuche fungierte Burckhard – politisch progressiver<br />

Direktor des Wiener Burgtheaters – als ihr Mentor. Dennoch sind Einträge in<br />

den Tagebüchern über Burgtheaterbesuche eher selten. Häufig dagegen berichtete<br />

<strong>Alma</strong> Schindler über Besuche des 1889 eröffneten Volkstheaters. Rode-Breymann<br />

vermutet, dass die Kunstmäzene des Volkstheaters aus dem Umfeld der Familie<br />

Moll/ Schindler für einen Preisnachlass sorgten 115 <strong>und</strong> Eintrittskarten deshalb für<br />

dieses Theater erschwinglicher waren, als für das Burgtheater. Im Volkstheater<br />

sah <strong>Alma</strong> Schindler vor allem Lustspiele, Volksstücke, Komödien oder Märchenspiele,<br />

die ihr auch besonders gut gefielen.<br />

4.1.3. <strong>Alma</strong> Schindlers Musikrezeption<br />

<strong>Alma</strong> Schindlers besonderes musikalisches Interesse galt der Oper, die sie noch<br />

häufiger besuchte als das Theater. Ihre Bewertung zielte meistens auf die<br />

Leistungen der Sänger, unter denen <strong>Alma</strong> Schindler ihre besonderen Idole ausmachte.<br />

Besondere Bew<strong>und</strong>erung erhielten dabei Lilli Lehmann, Anna von<br />

Mildenburg <strong>und</strong> der Tenor Erik Schmedes, den <strong>Alma</strong> Schindler bald persönlich<br />

kennenlernte <strong>und</strong> der <strong>zu</strong> ihrem Schwarm wurde.<br />

Und dann...Schmedes! Er war so gut. Wenn ich ihn jetzt da hätte, wäre ich <strong>zu</strong> allem fähig.<br />

– Ich bin halt verrückt. Diese Musik ist sinnverwirrend. Und der Siegfried war es auch. Er<br />

sah mich! 116<br />

Die Opern Richard Wagners standen im Mittelpunkt des musikalischen Interesses<br />

<strong>Alma</strong> Schindlers. Mit seinen Opern war sie wie mit keinen anderen vertraut. Als<br />

einen der Höhepunkte beschrieb sie Besuch der Bayreuther Festspiele im Sommer<br />

1899. Ausführlich listete sie die Beset<strong>zu</strong>ngen der von ihr besuchten Opern auf.<br />

114 Tagebuch-Suiten: 24. Dezember 1900.<br />

115 Vgl. Rode-Breymann: S.31.<br />

116 Tagebuch-Suiten: 23. März 1900.<br />

38


Die Meistersinger in Bayreuth das erste mal hören! Das war mein Wunsch. Er ist in Erfüllung<br />

gegangen, <strong>und</strong> wie glänzend hat er sich bewährt. So viel <strong>Leben</strong>sfrische, an Lust<br />

<strong>und</strong> Liebe, an Frohsinn <strong>und</strong> Genialität wird nie mehr beisammen sein. Die Meistersinger<br />

sind so menschlich schön, dass sie dadurch göttlich sind. Ich war nicht so erregt wie<br />

gestern, aber ich fühlte auch heute, das <strong>Leben</strong> ist wieder schön. 117<br />

Rode-Breymann vermutet bei <strong>Alma</strong> Schindlers häufigen Opernbesuchen wieder<br />

die Unterstüt<strong>zu</strong>ng der Wiener Mäzene. Bei den Berichten über die Besuche ist<br />

meist von der Begleitung Hennebergs oder Hellmanns die Rede. 118<br />

Die Begeisterung für Wagner-Opern drückte sich <strong>zu</strong>dem im Spielen der Klavierauszüge<br />

aus. Schon als 20-jährige besaß sie dafür die pianistischen Fähigkeiten.<br />

Abends allein. Spielte 2 St<strong>und</strong>en lang: Meistersinger, Tristan <strong>und</strong> Walküre. Bin wieder<br />

ganz hingerissen von dieser Schönheit. [...] Ich jauchzte ordentlich bei jeder schönen<br />

Modulation, bei jeder schönen Stelle. Wagners Schönheit ist unertragbar groß – ich sinke<br />

immer langsam <strong>zu</strong>sammen unter der Last dieser Wonne. 119<br />

Unter den Wagner-Opern war Tristan <strong>und</strong> Isolde <strong>Alma</strong> Schindlers erklärte Lieblingsoper.<br />

Keine andere Erwähnung eines <strong>Werk</strong>es erfolgt in der Häufigkeit wie<br />

die des Tristan. Die „Oper aller Opern“ 120 zieht sich motivisch durch Stimmungsschwankungen<br />

<strong>und</strong> Liebeskummer, wie z.B. im Zusammenhang mit Alexander<br />

Zemlinsky.<br />

Abends Tristan – mit Zemlinsky. Ich sagte ihm, dass ich mich fühle wie ein gefallener<br />

Engel. [..] Ich muss sagen, ich habe noch nie so einen Tristan erlebt. Der III. Act begann –<br />

so furchtbar traurig <strong>und</strong> einsam. Ich konnte die Thränen kaum <strong>zu</strong>rückhalten. Ich habe ihn<br />

also wirklich <strong>und</strong> vollkommen verloren. 121<br />

Trotz der Wagner-Leidenschaft sah <strong>Alma</strong> Schindler natürlich auch andere Opern<br />

an der Wiener Hofoper, wie z.B. Bizets Carmen, Bellinis Norma, Verdis Aida<br />

oder einige Mozart-Opern. Meist fiel ihre Berichterstattung hier aber knapper aus<br />

als bei Wagner.<br />

Im Laufe des in den Tagebüchern erfassten Zeitraumes lässt sich bei <strong>Alma</strong><br />

Schindler eine Tendenz von einem äußerst emotionalen <strong>zu</strong> einem rationalerem<br />

Zugang <strong>zu</strong>r Musik beobachten. 122 Auch nutzte sie die besuchten Aufführungen<br />

<strong>zu</strong>nehmend <strong>zu</strong> Studienzwecken in Fragen der Orchestrierung oder Stimmführung.<br />

Ihren Bildungsnotstand versuchte sie durch die Schärfung ihrer Hörwahrnehmung<br />

<strong>zu</strong> kompensieren. Nach dem Konzertbesuch von Griegs Peer Gynt am 15. August<br />

1898 schrieb sie beispielsweise:<br />

117 Tagebuch-Suiten: 1. August 1899.<br />

118 Vgl. Rode-Breymann: S.35.<br />

119 Tagebuch-Suiten: 21. Februar 1899.<br />

120 Tagebuch-Suiten: 24. Oktober 1899.<br />

121 Tagebuch-Suiten: 12. März 1901.<br />

122 Rode-Breymann: S.39.<br />

39


Ich stehe fast immer bei der Kapelle, um mich ein bischen über die Orchestrierung <strong>zu</strong><br />

orientieren.<br />

Anhand von Wagners Götterdämmerung studierte sie am 26. März 1900 <strong>zu</strong>nächst<br />

die Stimmführung:<br />

Komme eben aus der Götterdämmerung. Sah die ganze Zeit ins Orchester <strong>und</strong><br />

beobachtete die Stimmführung – außer wenn Schmedes auf der Bühne war.<br />

Bei der nächsten Aufführung am 11. Mai 1900 setzte sie sich eine neue Priorität:<br />

Ich wende meine ganze Aufmerksamkeit jetzt der Orchestrierung <strong>zu</strong>. Wagner ist ein<br />

raffinierter Kerl.<br />

Auf diese Weise sammelte sich <strong>Alma</strong> Schindler ihre musikalische Erfahrung<br />

mühselig <strong>zu</strong>sammen, damit sie die Vorausset<strong>zu</strong>ngen dafür hatte, neben Liedern<br />

auch Instrumentalstücke komponieren <strong>zu</strong> können.<br />

Auch sinfonischen <strong>Werk</strong>en begegnete großer Aufmerksamkeit. Sie war<br />

regelmäßige Besucherin der philharmonischen Konzerte im Musikvereinssaal.<br />

Zum ersten Konzert, in dem sie Gustav <strong>Mahler</strong> als Dirigenten erlebte, schrieb sie<br />

am 20. November 1898:<br />

Gustav <strong>Mahler</strong> dirigierte. Dann kam der Torso der h-moll Symphonie von Schubert,<br />

welcher himmlisch ist, <strong>und</strong> <strong>zu</strong>m Schluss die ‚Symphonie phantastique‘ von Hector<br />

Berlioz. Sehr verrückt, aber famos. Der letzte Satz, ein Hexensabbath. Berlioz träumt,<br />

man begrabe ihn, <strong>und</strong> an seinem Leichenbegräbnis nähmen nur Unholde, Hexen <strong>und</strong> alle<br />

möglichen Gespenster theil. Der Satz ist großartig – unheimlich förmlich. Der 3te Satz ist<br />

wahnsinnig laut <strong>und</strong> – inhaltsleer. Im Ganzen war das Concert ausgezeichnet. Orchestermusik<br />

ist doch die edelste – reinste.<br />

An den Urteilen über Orchestermusik lässt sich beobachten, wie <strong>Alma</strong> Schindler<br />

ihren ausschließlich emotionalen Zugang <strong>zu</strong>r Musik um einen rationalen<br />

erweiterte. Ganz besonders gilt dies für Mozart. Seinem <strong>Werk</strong> stand sie <strong>zu</strong>nächst<br />

fast ablehnend gegenüber:<br />

Ich kann ehrlich sagen, dass ich mich in der Mozartsymphonie furchtbar gelangweilt<br />

habe. Ich hatte das Gefühl, aufregend ist die Sache nicht, dafür aber lang. Die Zeit hat<br />

sich geändert. Man will nicht mehr diese hypernativen Themen. Die Ohren sind<br />

verdorben durch Wagner, Liszt etc. Beim Beethoven fühlte ich mit. Der ist durch <strong>und</strong><br />

durch modern <strong>und</strong> verständlich, für Mozart fehlt mir alles, was man <strong>zu</strong>m Vertiefen in eine<br />

Künstlernatur <strong>und</strong> seine <strong>Werk</strong>e braucht...Liebe, Verständnis, Interesse. Ja, alles. 123<br />

<strong>Alma</strong> Schindler begriff im Laufe der Zeit Mozarts künstlerische Bedeutung, ohne<br />

seine Musik <strong>zu</strong> mögen. Nach einem Konzertbesuch am 11. Februar 1900 gab sie<br />

über die gehörten Stücke von Bruckner <strong>und</strong> Zemlinsky ihr genaues Urteil ab. Zu<br />

Mozarts Serenade in D-Dur schrieb sie dagegen:<br />

Mozart – so weit bin ich noch nicht.<br />

123 Tagebuch-Suiten: 5. November 1899.<br />

40


Erst allmählich gewann sie den Zugang <strong>zu</strong> seiner Musik. Nach dem Besuch von<br />

Figaros Hochzeit am 23. April 1900 urteilte sie:<br />

Diese Oper gefällt mir ungemein – sie ist jung <strong>und</strong> modern – <strong>und</strong> dabei 116 Jahre alt.<br />

Diese Art Musik hat absolut nichts Hinreissendes, Nervenerregendes -–wie die<br />

Wagnersche – aber süß ist sie – ungemein weiß <strong>und</strong> süß. [...] Ich muss aufrichtig sagen,<br />

heute habe ich Respect vor Mozart bekommen. Dass ich den vorher nicht hatte, braucht ja<br />

niemand <strong>zu</strong> wissen. Das heißt Ehrfurcht – ja, Ehrfurcht habe ich eigentlich immer vor ihm<br />

gehabt – aber Liebe keine. Und nun liebe ich seine Musik.<br />

Anhand der Beispiele wird deutlich, wie sich <strong>Alma</strong> Schindlers Musikauffassung<br />

veränderte. Zunächst orientierte sie sich nur am Zeitgeist der Romantik <strong>und</strong> hatte<br />

einen ausschließlich emotionalen Zugang <strong>zu</strong>r Musik. Durch intensive Beschäftigung<br />

<strong>und</strong> viele Opern- <strong>und</strong> Konzertbesuche kam ein rationaler Zugang hin<strong>zu</strong>.<br />

4.2. Musikausübung zwischen Öffentlichkeit <strong>und</strong> Privatheit<br />

Der Besuch einer Schule war in der bürgerlichen Kultur des Fin de Siècle für<br />

Mädchen keineswegs selbstverständlich – auch <strong>Alma</strong> Schindler erwarb sich ihre<br />

Bildung durch autodidaktisches Lernen – Klavierunterricht dagegen war obligatorischer<br />

Bildungsbestandteil für sie. Pianistische Fähigkeiten durften jedoch das<br />

Maß des Zeitvertreibs nicht überschreiten. 124<br />

Am Klavier entsprach die Körperhaltung dem bürgerlichen Benimmkodex <strong>und</strong><br />

war deshalb das Instrument für Mädchen. 125<br />

4.2.1. <strong>Alma</strong> Schindlers pianistische Tätigkeit<br />

Wie ihre Schwester Gretl hatte <strong>Alma</strong> Schindler einmal wöchentlich Klavierunterricht<br />

bei Adele Radnitzky-Mandlick. Wann sie mit dem Unterricht begonnen<br />

hatte, ist nicht bekannt.<br />

Adele Radnitzky-Mandlick hatte bei Julius Epstein am Wiener Konservatorium<br />

der Gesellschaft für Musikfre<strong>und</strong>e studiert <strong>und</strong> war als Pianistin <strong>und</strong> Pädagogin<br />

tätig. Rode-Breymann vermutet, dass sie möglicherweise 1895 den Kompositionsunterricht<br />

<strong>Alma</strong> Schindlers bei Josef Labor arrangiert hatte, da sie mit diesem<br />

124 Sabin, Stefana: Frauen am Klavier, Frankfurt/ Main, Leipzig 1998.<br />

125 Sabin: S.31/32.<br />

41


künstlerisch <strong>und</strong> menschlich in enger Verbindung stand <strong>und</strong> häufig seine<br />

Klavierwerke <strong>zu</strong>r Aufführung brachte. 126<br />

In den Tagebüchern ist der Klavierunterricht seltener vermerkt als die „Laborst<strong>und</strong>en“,<br />

wie <strong>Alma</strong> Schindler ihren Kompositionsunterricht bezeichnete. Ob sich<br />

dadurch auf eine geringere Priorität des Klavierunterrichts gegenüber dem Kompositionsunterricht<br />

schließen lässt, oder ob sie ihn als nicht erwähnenswerte<br />

Selbstverständlichkeit ansah, bleibt dahingestellt. An welchen Stücken sie gerade<br />

arbeitete, ist deshalb nur selten <strong>zu</strong> erfahren.<br />

Mit Sicherheit waren <strong>Alma</strong> Schindlers pianistische Fähigkeiten über das<br />

bürgerliche Maß hinaus ausgebildet. Mit 18 Jahren übte sie an Stücken von<br />

Chopin <strong>und</strong> Brahms, wie sie am 16. April 1898 berichtete:<br />

Frau Adele da. Sie war sehr <strong>zu</strong>frieden, gab mir eine sehr schwere Chopinetude <strong>und</strong> eine<br />

Brahmsballade auf.<br />

Schon wenige Tage später – am 23. April 1898 – ist bereits von einem anderen<br />

Stück die Rede, das im Klavierunterricht behandelte wurde:<br />

Frau Adele – Chopin. Ich lege in die Des dur Nocturne mein ganzes bisheriges <strong>Leben</strong>. Es<br />

ist, als ob es Chopin für mich, für mein Seelenleben geschrieben hätte...<br />

Dass sie offensichtlich schnell lernte, beweist auch die folgende Begebenheit: Am<br />

17. Dezember 1898 hatte sie von „Frau Adele“ die Erlaubnis bekommen, die Klavierbearbeitung<br />

von Wagners Feuerzauber aus der Walküre <strong>zu</strong> studieren. Schon<br />

wenige Wochen später – am 31. Januar 1899 – trat sie öffentlich bei einem der<br />

von Adele Radnitzky-Mandlick veranstalteten „Musikabende“ auf. Im Tagebuch<br />

vermerkte sie allerdings ihre Un<strong>zu</strong>friedenheit mit ihrer pianistischen Tagesform:<br />

Ich spielte sehr mäßig, patzte im Feuerzauber empfindlich...hatte einen großen Applaus<br />

<strong>und</strong> bekam unzählige Schmeicheleien <strong>zu</strong> hören.<br />

Adele Radnitzky-Mandlick setzte sich für die Aufführung von <strong>Alma</strong> Schindlers<br />

Liedern bei ihren Kammermusikabenden ein.<br />

Erlebte heute eine große Freude. Frau Adele kam <strong>und</strong> sagte:<br />

Du, <strong>Alma</strong>, ich habe mit dem Labor gesprochen <strong>und</strong> ihn gefragt, ob es ihm etwas machen<br />

würde, wenn Deine Lieder in einem Kammermusikabend bei mir gesungen würden. Er<br />

sagte, dass es ihm gar nichts mache, er gar nicht dagegen sei <strong>und</strong> sich im Gegentheil da<strong>zu</strong><br />

freuen würde.<br />

Und ich... auch ich freue mich. 127<br />

126 Vgl. Rode-Breymann: S.42.<br />

127 Tagebuch-Suiten: 2. Oktober 1899.<br />

42


Beim Kammermusikabend am 2. Februar 1900 wurde der Plan der öffentlichen<br />

Aufführung der Lieder verwirklicht <strong>und</strong> sie selbst nahm pianistisch an Kammermusik<br />

teil, so dass sie diesmal <strong>zu</strong>friedener war als sonst:<br />

N.M [nachmittags] in der Kammermusik der Frau Adele das erstmals gespielt. Ich muss<br />

sagen – gut gespielt. Das es-dur Quartett von Schumann. [...] Die Freystätt sang meine<br />

Lieder. Eins verpatzte sie total, die andern recht gut. Sie gefielen.<br />

Die „Musikabende“ fanden im halb-öffentlichen Rahmen statt. Sie waren zwar<br />

keine öffentlichen Konzertveranstaltungen der Wiener Kulturszene, wurden aber<br />

immerhin auch von Professoren des Konservatoriums der Gesellschaft für Musikfre<strong>und</strong>e<br />

aufmerksam verfolgt, wie <strong>Alma</strong> Schindler über den bereits erwähnten<br />

Abend berichtete:<br />

Professor Epstein kam <strong>zu</strong> mir nachdem ich gespielt hatte <strong>und</strong> sagte,<br />

Haben Sie denn noch nicht öffentlich gespielt? Sie gehören in den Conzertsaal.<br />

Da gehöre ich nämlich gar nicht hin, aber was weiß denn er...<br />

Dabei war gut ein Jahr vorher schon einmal die Rede davon gewesen, dass <strong>Alma</strong><br />

Schindler <strong>zu</strong> Professor Epstein wechseln sollte, was aber durch die Eltern nicht<br />

sehr unterstützt worden war:<br />

In der Früh ärgerte ich mich über 5 Dinge: I. hat Carl mit Frau Adele über Epstein gesprochen,<br />

<strong>und</strong> sie bat ihn, mich noch ein Jahr bei ihr <strong>zu</strong> lassen, da sie glaube, dass Epstein<br />

mich für 3 Monate nicht nehmen werde. Das ist alles recht, aber wir wissen ja noch nicht<br />

einmal, ob wir nach Italien gehen werden. – Und dann bin ich 19 Jahre, <strong>und</strong> da kann man<br />

doch schließlich einmal anfangen <strong>zu</strong> studieren. 128<br />

Zu diesem Zeitpunkt hatte sie offensichtlich eine professionelle Klavierausbildung<br />

im Sinn, die sie <strong>zu</strong>nehmend verwarf, wie sie öffentliche Auftritte <strong>zu</strong> verabscheuen<br />

begann. Häufig war sie mit ihrer Leistung un<strong>zu</strong>frieden <strong>und</strong> einmal verhinderte sie<br />

ein Vorspiel sogar auf recht drastische Art <strong>und</strong> Weise:<br />

Sie [Frau Adele] hielt mir einen langen Vortrag, dass ich morgen spielen solle. Dann ich<br />

in die Küche <strong>und</strong> schnitt mich so mörderisch tief in den linken Daumen, dass die ganze<br />

Küche voll Blut war. Auf morgen freue ich mich diebisch. 129<br />

Auftritte im öffentlichen Raum schienen <strong>Alma</strong> Schindler also weniger <strong>zu</strong> liegen.<br />

Um so häufiger spielte sie jedoch im privaten Bereich der ausgedehnten künstlerischen<br />

Nachbarschaft <strong>und</strong> des sezessionistischen Umfeldes, wo sie oft an das Klavier<br />

gebeten wurde. Auch bei Vorspielen im privaten Rahmen hing ihr Wunsch<br />

vor<strong>zu</strong>spielen sehr von ihrer augenblicklichen Stimmung ab. Manchmal ließ sie<br />

sich länger bitten, bis sie sich schließlich überreden ließ. Ob sie in Vorspielstimmung<br />

kam, hing davon ab, wie intim die Situation war. Je fremder die<br />

128 Tagebuch-Suiten: 5. November 1898.<br />

129 Tagebuch-Suiten: 23. November 1898.<br />

43


Atmosphäre war, desto weniger gerne schien sie vorspielen <strong>zu</strong> wollen. Wenn sie<br />

aber in der entsprechenden Stimmung war, lief sie <strong>zu</strong> pianistischer Hochform auf,<br />

so dass sie sogar selbst mit ihrer Leistung <strong>zu</strong>frieden war.<br />

In der Dämmerung spielte ich Clavier. – Die Stimmung war himmlisch, vor den Fenstern<br />

plätscherte der Springbrunnen, <strong>und</strong> alle lagen im Finstern auf Fauteuils <strong>und</strong> Sopha. – Ich<br />

kann sagen, dass ich wirklich recht nett spielte. Es kommt bei mir eben alles auf die<br />

Stimmung an – <strong>und</strong> die war da. Ich spielte Schumann, Schubert (Lieder), Chopin – <strong>und</strong><br />

Wagner. Spielte vielleicht eine St<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> alle raunzten wie ich aufhörte. – Der Abend<br />

war ungemein poetisch. 130<br />

Ihr Repertoire beinhaltete vor allem die Klavierauszüge von Wagner-Opern,<br />

Schumann- <strong>und</strong> Schubert-Lieder <strong>und</strong> Klavierliteratur von Chopin oder Brahms.<br />

Als sie einmal aufgefordert wurde, etwas von Bach oder Beethoven <strong>zu</strong> spielen,<br />

musste sie passen:<br />

[Lichtwark] liebt Bach <strong>und</strong> Beethoven, <strong>und</strong> das Vergnügen konnte ich ihm nicht machen.<br />

So spielte ich erst Schubert, dann Wagner. [...] Dann sang Mama Lieder von mir – mein<br />

allerletztes auch: Stumme Liebe – Text von Lenau. Sie gefielen recht gut. Lichtwark<br />

sagte: Das hätte ich Ihnen nicht <strong>zu</strong>getraut. 131<br />

Wie bereits angedeutet, kamen <strong>Alma</strong> Schindlers Lieder im halb-öffentlichen<br />

Rahmen häufiger <strong>zu</strong>r Aufführung. Meistens begleitete sie den Gesang ihrer<br />

Mutter am Klavier.<br />

Die Mutter [spielte] als Vortragende eine wichtige Rolle, was <strong>Alma</strong> mit einer bis an Undankbarkeit<br />

grenzenden Selbstverständlichkeit übergeht. Wahrend sie das Künstlertum<br />

des Vaters gar nicht genug rühmen kann, begegnet sie der musikalischen Begabung der<br />

Mutter mit vollkommener Nichtbeachtung <strong>und</strong> scheint sich in keinem Moment gefragt <strong>zu</strong><br />

haben, wie es denn da<strong>zu</strong> gekommen ist, daß die Mutter ihre ausgebildete Stimme nur<br />

beim häuslichen Musizieren <strong>zu</strong> Gehör bringen konnte. Sie zieht keine Schlüsse aus dem<br />

<strong>Leben</strong>sweg ihrer Mutter. 132<br />

Ihre Lieder schienen auf ein aufmerksames Interesse bei dem hauptsächlich<br />

kunstverständigen Publikum gestoßen <strong>zu</strong> sein <strong>und</strong> fanden in diesem Rahmen eine<br />

gewisse Verbreitung. <strong>Alma</strong> Schindler hatte also die Möglichkeit, auch ihren neuen<br />

Lieder den sachverständigen ZuhörerInnen vor<strong>zu</strong>stellen <strong>und</strong> bekam häufiger Lob<br />

<strong>und</strong> Ermutigung, produktiv tätig <strong>zu</strong> sein:<br />

Dann sang Mama meine 3 Lieder, Gleich <strong>und</strong> gleich <strong>und</strong> Ich wandle unter Blumen. Sie<br />

gefielen, besonders aber O.[Olbrich]. 133 Er fand, dass ich viel <strong>zu</strong> wenig Anerkennung<br />

finde. 134<br />

130 Tagebuch-Suiten: 1. Juni 1898.<br />

131 Tagebuch-Suiten: 21. Januar 1900.<br />

132 Rode-Breymann: S.47/48.<br />

133 Olbrich war Architekt <strong>und</strong> Mitbegründer der Wiener Sezession. Nach einer Trauerphase nach<br />

der Verliebtheit in Klimt, schwärmte <strong>Alma</strong> Schindler vergeblich für Olbrich, der kurze Zeit später<br />

von Wien nach Darmstadt umsiedelte.<br />

134 Tagebuch-Suiten: 29. November 1899.<br />

44


Aber nicht nur im heimischen Wiener Umkreis erfuhr sie Achtung für ihre kompositorischen<br />

Leistungen. So kam es auf der Italienreise der Familie Moll/<br />

Schindler im Frühjahr 1899 in Neapel <strong>zu</strong> einer der privaten Vorspielsituationen:<br />

Abends spielt ich Clavier vor. Mama sang eins meiner Lieder, <strong>und</strong> ich spielte meine 3<br />

Stücke. Die Sachen gefielen ehrlich. Eine alte Engländerin hielt eine lange Rede, die man<br />

mir folgendermaßen verdolmetschte: Ja, Fräulein, componieren Sie nur weiter, comp. Sie<br />

Opern, Lieder, wie es Ihnen gefällt. Zeigen Sie den Männern, dass wir auch was leisten<br />

können. Sie haben das Zeug da<strong>zu</strong>. [...]<br />

Auch mein Spiel gefiel, <strong>und</strong> man sagte mir viele Complimente darüber. Doch... was liegt<br />

daran? 135<br />

Das Konzertieren am Klavier als künstlerische Identifikation verlor für <strong>Alma</strong><br />

Schindler trotz allseitiger Anerkennung in dem Maße an Bedeutung, wie ihre<br />

Aversion gegen Auftritte wuchs.<br />

Eine kurze Episode machte noch einmal das Klavier <strong>zu</strong>m Mittelpunkt, nämlich in<br />

der Tätigkeit als Klavierlehrerin. Diese Beschäftigung verließ den privaten Rahmen<br />

<strong>und</strong> war für Frauen gesellschaftlich anerkannt. Damit war sie die einzige<br />

Möglichkeit, musische Begabung beruflich <strong>zu</strong> entfalten <strong>und</strong> selbständig Geld <strong>zu</strong><br />

verdienen<br />

Im Sommer 1899 hatte <strong>Alma</strong> Schindler mit ihrer Fre<strong>und</strong>in Gretl Hellmann Klavierunterricht<br />

vereinbart. Die erste St<strong>und</strong>e fand am 30. September 1899 statt.<br />

Vormittags Gretl Hellmann die I. Clavierst<strong>und</strong>e gegeben. Ich bin jetzt ernstlich ihre<br />

Lehrerin, bekomme für 8 St<strong>und</strong>en 6 fl.<br />

Aber schon wenige Tage später erhielt das Vorhaben einen Rückschlag. Am 6.<br />

Oktober 1899 schrieb <strong>Alma</strong> Schindler enttäuscht:<br />

Gretl Hellmann wollte gerne bei mir Clavier Unterricht nehmen, ihre Lehrerin aufgeben<br />

<strong>und</strong> ganz ernst studieren. Auf das freute ich mich nun damisch. Wie sehr ich mich gefreut<br />

habe, weiß ich erst heute, wo die ganze Geschichte für mich verloren gieng. Heute<br />

schreibt sie mir nämlich, ihre Mama wolle es deshalb nicht, weil wir <strong>zu</strong> intim sind, um die<br />

Sache ernst <strong>zu</strong> betreiben.<br />

Ich hatte mit Frau Adele drüber gesprochen, hatte den Lehrplan des ganzen Winters mir<br />

vorbereitet, hatte mich innig darauf gefreut <strong>und</strong> nun... Jede neue Enttäuschung macht<br />

mich muth-...wortloser. Alles, was ich mir vornehme, zerrinnt unter meinen Fingern.<br />

Gretl Hellmann schien den Unterricht bei ihrer Mutter aber doch noch<br />

durch<strong>zu</strong>setzen. Am 14. Oktober 1899 fand der erste Termin statt <strong>und</strong> <strong>Alma</strong><br />

Schindler reflektierte die St<strong>und</strong>e.<br />

Abends Gretl H.s erste St<strong>und</strong>e bei mir. Sie hat rasend geübt. Spielte auch die Etuden etc,<br />

gut, nur der Schumann...Ob man einem Geschöpf, das seelenlos spielt, Seele eintrichtern<br />

kann?<br />

In den weiteren Monaten notierte sie nicht den Inhalt des Unterrichts, sondern<br />

höchstens das Stattfinden desselben. Am 5. April 1900 endete das Lehrerin-<br />

135 Tagebuch-Suiten: 31. März 1899.<br />

45


Schülerin Verhältnis, möglicherweise weil Gretl Hellmanns Lust am „rasenden<br />

Üben“ nachließ.<br />

4.2.2. Selbstverwirklichung zwischen Ehe <strong>und</strong> Professionalisierung<br />

In Be<strong>zu</strong>g auf eine mögliche Professionalisierung brachte <strong>Alma</strong> Schindler dem<br />

Komponieren größeres Interesse entgegen als der pianistischen Tätigkeit, aber<br />

auch hier schwankte sie ständig zwischen Euphorie <strong>und</strong> Ermutigungen einerseits<br />

<strong>und</strong> Rückschlägen <strong>und</strong> Entmutigungen andererseits.<br />

Bevor sie die Entscheidung traf, durch die Ehe mit Gustav <strong>Mahler</strong> einen<br />

traditionell weiblichen <strong>Leben</strong>slauf <strong>zu</strong> beschreiten, hatte die Ambivalenz zwischen<br />

eigener Produktivität <strong>und</strong> gesellschaftlichen Schranken ihr <strong>Leben</strong> geprägt.<br />

Dass dieser vorgegebene Weg um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende langsam seine Selbstverständlichkeit<br />

verlor, beweist die häufige Auseinanderset<strong>zu</strong>ng in der Literatur. Beispielhaft<br />

ist hier Arthur Schnitzlers Roman Der Weg ins Freie <strong>zu</strong> nennen, der<br />

damals eine kontroverse Diskussion bezüglich dieses Themas nach sich zog. 136<br />

Auch die Frauenbewegung setzte sich mit der Problematik der Frauen zwischen<br />

Ehe <strong>und</strong> Musikausübung <strong>zu</strong>nehmend auseinander. So kritisierte 1898 S. Jessel in<br />

ihrem Vortrag Warum gibt es so wenige Komponistinnen?, gehalten in der Ortsgruppe<br />

des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins in Frankfurt/Main, 137 dass die<br />

musikalische Erziehung von Mädchen un<strong>zu</strong>reichend sei. Den Frauen werde zwar<br />

musikalische Begabung <strong>zu</strong>gestanden, aber keine berufliche Ausübung der Komposition.<br />

Um die Entwicklung der Frauen <strong>zu</strong> Komponistinnen <strong>zu</strong> verhindern,<br />

würden sie nur in Haushaltsdingen ausgebildet, intensive musikalische Bildung<br />

werde ihnen jedoch vorenthalten. Auch seien die beruflichen Aussichten für<br />

Frauen entmutigend.<br />

Neben einem aufkommenden öffentlichen Bewusstsein für diese Thematik hatte<br />

<strong>Alma</strong> Schindler auch persönlichen Kontakt <strong>zu</strong> Frauen, die als Vorbilder für eine<br />

künstlerische <strong>Leben</strong>sentscheidung geeignet gewesen wären<br />

136 Vgl. Rode-Breymann: S.65/66.<br />

137 Der Vortrag ist nachgedruckt in: Rieger, Eva: Frau <strong>und</strong> Musik, S.153-159.<br />

46


Der Sängerin Lilli Lehmann beispielsweise brachte sie für ihre Bühnenkarriere<br />

große Bew<strong>und</strong>erung entgegen. Sie ließ sich nach der Aufführung von Beethovens<br />

Fidelio am 9. Februar 1898 <strong>zu</strong> folgendem Wunsch hinreißen:<br />

Ich möchte ein große That thun. Möchte eine wirklich gute Oper componieren, was bei<br />

Frauen wohl noch nie der Fall war. Ja, das möchte ich. Mit einem Wort, ich möchte etwas<br />

sein <strong>und</strong> werden, <strong>und</strong> das ist unmöglich- & Warum? Mir fehlte die Begabung nicht, mir –<br />

fehlt nur der Ernst, der immer nothwendig ist, bei jedem Streben, bei jeder Kunst. – Ach<br />

Gott, gib mir irgend eine Pflicht, gib mir etwas Großes <strong>zu</strong> thun!! Gib mir das Glück!<br />

Diese Art Aussagen, die in den Tagebüchern öfter dokumentiert sind, beweisen,<br />

dass <strong>Alma</strong> Schindler durchaus mit dem Gedanken spielte, eine künstlerische<br />

Laufbahn ein<strong>zu</strong>schlagen, auch wenn andere Erlebnisse in gleicher Weise ihre<br />

Pläne auf entmutigende Weise durchkreuzten. Dieses Schwanken lähmte sie in<br />

ihrem uneingeschränkten Engagement für ihre künstlerische Ausbildung.<br />

Doch nicht alle Frauen ihres Umfeldes, die einen künstlerischen <strong>Leben</strong>sweg eingeschlagen<br />

hatten, standen so hoch in <strong>Alma</strong> Schindlers Gunst wie Lilli Lehmann.<br />

Beispielsweise hatte sie für die künstlerische Leistung der Sängerin Anna Prasch-<br />

Passy, die sich im Oktober 1899 138 noch für <strong>Alma</strong>s Unterricht in Instrumentation<br />

einsetzen sollte, nur Geringschät<strong>zu</strong>ng übrig:<br />

Abends Prasch – Concert. Es war mäßig. Sie hat eine kleine, äußerst geschulte Stimme,<br />

welche einen aber völlig kalt lässt. 139<br />

Auch die französische Komponistin <strong>und</strong> Pianistin Cécile Chaminade, deren<br />

<strong>Werk</strong>e <strong>Alma</strong> Schindler einige Male im Konzert hörte, stießen bei ihr eher auf<br />

Verachtung als auf Bew<strong>und</strong>erung, so dass Chaminade für sie nicht als Vorbild<br />

geeignet war.<br />

Eigentlich ist diese große Componistin nicht wert, auch nur mit einem Wort hier berührt<br />

<strong>zu</strong> werden, denn sie ist eine Schande des weiblichen Geschlechts. Ich spreche nur von ihr,<br />

weil sie mir eine bittere Enttäuschung gebracht hat. Ich dachte, man hört selten von einer<br />

Componistin, aber eine ist ja doch da, die rettet mich – Cecile Chaminade – die ich fast<br />

nur dem Namen nach kannte. Nun weiß ich, nach dem Conzert, ein Weib kann nichts<br />

erreichen, nie, nie, nie. [...] So etwas scheussliches habe ich nie gehört. 140<br />

Aber auch andere Frauen, die zwar keine künstlerische Laufbahn anstrebten,<br />

sondern ein Studium an der Universität aufgenommen hatten, fanden sich in <strong>Alma</strong><br />

Schindlers Bekanntenkreis. Alle drei Töchter des Ehepaares Conrat, in deren<br />

Salon sie häufig verkehrte, gingen Wege der Selbstverwirklichung. Ilse, die älteste,<br />

wurde erfolgreiche Bildhauerin, die zweite, Erica promovierte in Kunstge-<br />

138 Vlg. Tagebuch-Suiten: 17. Oktober 1899.<br />

139 Tagebuch-Suiten: 22. März 1898.<br />

140 Tagebuch-Suiten: 28. Februar 1899. Cécile Chaminade (1857-1944) hatte mit 8 Jahren <strong>zu</strong><br />

komponieren <strong>und</strong> mit 18 Jahren <strong>zu</strong> konzertieren begonnen. Die meisten ihrer <strong>Werk</strong>e sind in<br />

47


schichte <strong>und</strong> auch die jüngste, Lilli Conrat studierte. 141 <strong>Alma</strong> Schindler konnte<br />

ihre traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit offenbar schlecht mit neuen<br />

Wegen studierender oder Kunst ausübender Frauen vereinbaren. Über Lilli<br />

Conrat, mit der sie sich eigentlich gut verstand, notierte sie ihre Skepsis.<br />

Mit 6 Jahren lernte sie schon den ganzen Tag, mit 17 Jahren hat sie maturiert. Die hat halt<br />

einfach lernen gelernt. – Sie ist verlobt – ohne jede Erotik verliebt – das III.<br />

Geschlecht! 142<br />

Ich – Staat-Herrscher – würde die studierenden Weibern <strong>zu</strong>r Ehe wohl – aber nicht <strong>zu</strong>r<br />

Mutterschaft <strong>zu</strong>kommen lassen. [...] Denn ein an Geist <strong>und</strong> Körper überbildetes Weib – u.<br />

die Schwangerschaft: Es ist der Ruin der kommenden Generationen. 143<br />

Diese Aussagen spiegeln <strong>Alma</strong> Schindlers Verinnerlichung der patriarchalischen<br />

Denkmuster wider, in denen die Vereinbarkeit von Karriere <strong>und</strong> (einer<br />

glücklichen) Ehe für Frauen gr<strong>und</strong>sätzlich ausgeschlossen war.<br />

In ihrer Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit kunstschaffenden Frauen kam ihr am 21. Dezember<br />

1898 einmal folgende Idee:<br />

Warum hat eine Frau noch nie etwas auf dem Gebiet der Musik geleistet? [...] Die Frauen<br />

haben, nehmen wir Rosa Bonheur (Thiermalerin), Kauffmann (Landschaft), Vigée-<br />

Lebrun (Portraits), wenn ich mich nicht irre, alle mehr oder weniger die Natur abgeschrieben.<br />

[...] Dichterinnen... Dr Ricarda Huch, Gabriele Reuter, Ebner-Eschenbach, sie alle<br />

beschreiben Züge aus ihrem <strong>Leben</strong>... treffend <strong>und</strong> naturwahr, aber... Genie! Ja Genie!<br />

Und nun Musik. Sie ist die schwerst verständliche <strong>und</strong> geistig durchdrungenste Kunst,<br />

<strong>und</strong>... kommt ganz aus dem Herzen. Da gibts kein Naturabschreiben – man käme da über<br />

die Vogelstimmen <strong>und</strong> Mühlenräder nachahmenden Lieder nicht hinweg. Da heißts eine<br />

Stimmung wiedergeben, <strong>und</strong> die Stimmung ist ein augenblicklicher Zustand des Herzens.<br />

Und ich... ein Frauenzimmer mit einem so kleinen Herzen <strong>und</strong> noch kleinerem Gehirn,<br />

will darin etwas leisten! – Pa!...<br />

An anderen Tagen konnte sie aber wieder anderer Meinung sein. Der Roman Aus<br />

guter Familie von Gabriele Reuter brachte sie <strong>zu</strong> gegenteiligen<br />

Schlussfolgerungen.<br />

Ein famoses Buch! Dieses Irren nach Freiheit <strong>und</strong> Liebe <strong>und</strong> diese grenzenlose Enge der<br />

Umgebung, die alles hemmt, alles zerstört. Oh, es ist famos – <strong>und</strong> wahr! Ja, die Frauen<br />

werden! Ich bin überzeugt, ihnen gehört ein gut Theil der Zukunft. 144<br />

Dieses Schwanken in ihren Ansichten spiegelt ihre eigene Ambivalenz zwischen<br />

Professionalisierung <strong>und</strong> Ehe wider.<br />

Der <strong>Leben</strong>slauf von Frauen, die ihre sängerische oder schauspielerische Laufbahn<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer Eheschließung aufgegeben hatten, war <strong>Alma</strong> Schindler aus ihrer<br />

Umgebung vielleicht vertrauter. Neben ihrer Mutter gehörte da<strong>zu</strong> beispielsweise<br />

Vergessenheit geraten – mit Ausnahme des Concertinos op.107 für Flöte <strong>und</strong> Orchester. (Vgl.<br />

Tagebuch-Suiten: S.781, Fußnote 35)<br />

141 Vgl. Rode-Breymann: S.71/72.<br />

142 Tagebuch-Suiten: 5. Dezember 1900.<br />

143 Tagebuch-Suiten: 14. November 1900.<br />

144 Tagebuch-Suiten: 4. September 1899.<br />

48


ihre Fre<strong>und</strong>in Christine Geiringer geb. Bukovics, die zwischen 1880-1884 am<br />

Wiener Stadttheater Schauspielerin gewesen war <strong>und</strong> ihre Bühnenkarriere <strong>zu</strong>gunsten<br />

der Ehe mit dem Gesangsprofessor, Pianisten <strong>und</strong> Komponisten Gustav<br />

Geiringer beendet hatte 145 . Der Vergleich der verschiedenen Biografien von<br />

Frauen aus <strong>Alma</strong> Schindlers Umfeld verdeutlicht, dass sie durchaus<br />

unterschiedliche Fälle kannte <strong>und</strong> reflektierte. Die tradierten Geschlechterrollen<br />

prägten <strong>Alma</strong> Schindlers <strong>Leben</strong>sentscheidung, auch wenn sie ihr durchaus<br />

bewusst waren <strong>und</strong> sie sie häufiger verwünschte. Sie hinterfragte sie aber nie<br />

ernsthaft.<br />

In Wahrheit, meine Unfreiheit ist grenzenlos – <strong>und</strong> gerade mich drückt das entsetzlich.<br />

Ich vertrag‘ es einmal nicht, geb<strong>und</strong>en <strong>zu</strong> sein an Händen <strong>und</strong> Füßen. Ach – nur ein Mann<br />

sein! 146<br />

Aus welchem Gr<strong>und</strong> sie den Entschluss gegen ihre künstlerischen Ambitionen<br />

<strong>und</strong> für ein traditionelles Eheleben traf, kann nicht eindeutig beantwortet werden.<br />

Möglicherweise war ihr der beschwerliche Weg weiblicher Kunstausübung<br />

zwischen dem Dasein als Klavierlehrerin <strong>und</strong> der Aufführung eigener <strong>Werk</strong>e im<br />

kleinen Rahmen <strong>zu</strong> mühsam. Sie hatte zwar innerhalb ihres künstlerischen Umfeldes<br />

einige ermutigende Erfolge errungen, um diese aber auch außerhalb dieses<br />

geschützten Raumes aus<strong>zu</strong>dehnen, fehlten ihr Mut <strong>und</strong> Durchset<strong>zu</strong>ngswille. Kunst<br />

ausübenden Frauen brachte <strong>Alma</strong> Schindler meistens ein größeres Maß an Kritik<br />

entgegen als Männern. Sie hielt sich selbst zwar für talentiert, wollte aber auf<br />

keinen Fall in dergleichen Mittelmäßigkeit eingestuft werden, die sie diesen<br />

Frauen so oft nachsagte. Da sie Ehe <strong>und</strong> Karriere für unvereinbar hielt, bzw.<br />

„studierende Weiber“ für unweiblich, musste sie sich zwischen eigener Kunstausübung<br />

<strong>und</strong> Ehe eindeutig entscheiden. Sie traf eine traditionelle weibliche <strong>Leben</strong>sentscheidung<br />

<strong>zu</strong>gunsten der Ehe, weil sie einer eigenen künstlerischen Karriere<br />

offenbar skeptisch gegenüberstand.<br />

145 Rode-Breymann: S.66/67.<br />

146 Tagebuch-Suiten: 7. August 1900.<br />

49


4.3. Komposition zwischen Selbstausdruck <strong>und</strong> Professionalisierung<br />

Wie ihr Klavierspiel hing auch <strong>Alma</strong> Schindlers schöpferisch-kompositorische<br />

von ihren Stimmungen ab. Komponieren war, ähnlich wie Tagebuch-Schreiben,<br />

etwas sehr Privates <strong>und</strong> Intimes für <strong>Alma</strong> Schindler, etwas, das sie bevor<strong>zu</strong>gt am<br />

Abend <strong>und</strong> allein tat.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> sind häufig Tagebucheinträge der folgenden Art <strong>zu</strong> finden:<br />

Ich war allein <strong>zu</strong> Hause. Componierte ein Lied. 147<br />

Abends allein. Habe ein kleines Liederl componiert. Goethe natürlich! 148<br />

<strong>Alma</strong> Schindler befasste sich <strong>zu</strong>nächst hauptsächlich – wenn auch nicht ausschließlich<br />

– mit der Komposition von Liedern. Diese Gattung entsprach dem<br />

Zeitgeist des Fin de Siècle, denn Gedichte <strong>und</strong> Lieder waren konstitutiver<br />

Bestandteil der bürgerlichen Salonkultur, so dass das Lied auch die Gattung war,<br />

die in diesem halb-öffentlichen Rahmen <strong>zu</strong>r Aufführung gelangen konnte.<br />

Stimmungen, die in den Gedichten ausgedrückt waren, regten <strong>Alma</strong> Schindlers<br />

kompositorische Kreativität an. Vergleichbar mit Anton Webern oder Alban Berg<br />

setzte auch sie sich viel mit Lyrik auseinander. Berg beispielsweise komponierte<br />

<strong>zu</strong>nächst nur nach seinen literarischen Interessen <strong>und</strong> seinen Stimmungen:<br />

Ich hatte noch ein wenig <strong>zu</strong> tun – bald war’s geschehen – dann zog’s mich <strong>zu</strong>m Clavier.<br />

Ich wollte den ersten Eindruck festhalten, den das Gedicht von Hoffmanstal [sic] in mir<br />

wach rief. 149<br />

<strong>Alma</strong> Schindlers Empfindungsintensität schlug sich mehr als vorgegebene<br />

musikalische Formmodelle auf ihre Liedkompositionen nieder.<br />

Ihre Lieder gleichen frei assoziierenden, träumerischen Selbstgesprächen eines<br />

empfindungsstarken jungen Menschen. 150<br />

Komposition bedeutete für <strong>Alma</strong> Schindler – wie für Alban Berg – die<br />

Möglichkeit <strong>zu</strong>m Selbstausdruck. Bei <strong>Alma</strong> Schindler war die Gedichtauswahl<br />

häufig an ihre gegenwärtige Stimmung geb<strong>und</strong>en, was einmal sogar ihrer<br />

Schwester Gretl auffiel:<br />

147 Tagebuch-Suiten: 2. Februar 1898.<br />

148 Tagebuch-Suiten: 17. März 1898.<br />

149 Zitat aus einem Jugendbrief Bergs an Watznauer vom 20. November 1903, Kopie des<br />

Autografen in: Berg, Erich Alban (Hrsg.): Alban Berg. <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> <strong>Werk</strong> in Daten <strong>und</strong> Bildern.<br />

Frankfurt/ Main 1976, S.79.<br />

150 Rode-Breymann: S.74.<br />

50


[Gretl:] Wo Du nur immer Texte herhast, die so auf Deinen Zustand passen. Ich kenne<br />

Dich, <strong>und</strong> alle Menschen, die Deine Lieder hören werden, werden Deinen Zustand<br />

kennen.<br />

[<strong>Alma</strong>:] Es ist richtig, mich drängts nur, Lieder <strong>zu</strong> schreiben, die <strong>zu</strong> meiner Stimmung<br />

passen, <strong>und</strong> das können keine Schnadahüpferln sein. Ich habe noch nie, weder ein lustiges<br />

Lied noch ein lustiges Stück geschrieben, ich kann nicht! 151<br />

Durch die vollkommene Identifikation mit dem Inhalt der Gedichte werden die<br />

Lieder <strong>zu</strong> Dokumenten der Selbstfindung <strong>Alma</strong> Schindlers in der Zeit ihrer<br />

Adoleszenz.<br />

Sie bevor<strong>zu</strong>gte vor allem Gedichte, die die Stimmung der Nacht <strong>zu</strong>m Inhalt hatten<br />

<strong>und</strong> diese verherrlichten. Einerseits sah sie dort die mondglänzende Schönheit<br />

ausgedrückt, andererseits Dunkelheit. Die Mondnacht diente <strong>Alma</strong> Schindler aber<br />

auch als Projektionsfläche für eigene Wünsche.<br />

Ich bin in einer solchen Raserei, dass ich aufhören musste <strong>zu</strong> componieren. – Ich glaube,<br />

ich werde verrückt. Ich weiß nicht, was mit mir vorgeht. Ich hasse, ich liebe... Ich möchte<br />

sterben. – Ich componiere ein Lied: Meine Nächte – ich kam nicht weiter – unfrei. –<br />

Wenn ich nur jemanden hätte <strong>zu</strong>m umarmen – <strong>zu</strong>m küssen – <strong>zu</strong> tod küssen – nur einmal<br />

lieben – nur einmal genießen <strong>und</strong> dann sterben. 152<br />

Schöpferische Stimmungen <strong>und</strong> Schaffensschwankungen hingen bei <strong>Alma</strong><br />

Schindler eng mit Gefühlen von Liebe <strong>und</strong> Sehnsucht <strong>zu</strong>sammen, wie sich in den<br />

Tagebüchern leicht nachvollziehen lässt. Unerwiderte Liebe, wie im Beispiel der<br />

Verliebtheit in Olbrich, wirkte meist als Schaffensimpuls.<br />

Componierte viel, aber mehr mit dem Verstand wie mit dem Herzen. Ich habe wenig<br />

erf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> doch nicht schlecht gearbeitet. Ach, wenn nur Olbrich bald käme, dann<br />

gienge es gleich besser von Statten. Der reizt mich immer so sonderbar. 153<br />

Andersherum löste der Zustand von erwiderter Liebe das Ausbleiben von Ideen<br />

aus, wie im Fall der Verliebtheit <strong>zu</strong> <strong>Mahler</strong>.<br />

Ich bin auf etwas gekommen. Die Kunst entsteht aus der Liebe. Während sie – Liebe –<br />

beim Mann <strong>Werk</strong>zeug <strong>zu</strong>m Schaffen ist, ist sie bei der Frau Hauptgedanke. Ich war<br />

immer nie so unfruchtbar, wie in den Zeiten der Liebe. Ich sitze am Clavier, warte, warte<br />

– u. es kommt nichts. Ich kann auch an nichts concentriert denken, wie an das. 154<br />

Dass die jungen KomponistInnen mit der Ausdeutung ihrer Stimmungen weniger<br />

Schwierigkeiten hatten als mit der Umset<strong>zu</strong>ng von form- oder satztechnischen<br />

Aufgaben, ist aus den beschriebenen Zusammenhängen heraus leicht verständlich.<br />

Der Unterschied liegt nur in den verschiedenen Bewertungen der frühen<br />

identitätsbildenden Kompositionen. Was bei Alban Berg <strong>und</strong> Anton Webern<br />

positiv als produktive Entwicklungsstufe ihrer Jugendzeit angesehen wird, wird<br />

151 Tagebuch-Suiten: 5. Januar 1899.<br />

152 Tagebuch-Suiten: 19. März 1900.<br />

153 Tagebuch-Suiten: 20. Dezember 1899.<br />

154 Tagebuch-Suiten: 9. November 1901.<br />

51


ei <strong>Alma</strong> Schindler negativ als Unfähigkeit, in anderen Gattungen <strong>und</strong> Formen <strong>zu</strong><br />

komponieren, angekreidet. In Be<strong>zu</strong>g auf die Beurteilung der frühen<br />

Kompositionen werden also häufig geschlechtsspezifische Unterscheidungen<br />

vorgenommen.<br />

Nicht nur die inneren, sondern auch die äußeren Bedingungen hatten Einfluss auf<br />

ihre kreative Arbeit. <strong>Alma</strong> Schindler teilte bis <strong>zu</strong>r Übersiedlung der Familie in das<br />

neue Haus auf der Hohen Warte im September 1901 – also bis <strong>zu</strong> ihrem 22.<br />

<strong>Leben</strong>sjahr – ein Zimmer mit ihrer Schwester Gretl. Es fehlten ihr die Freiräume,<br />

sich ungestört auf ihre Arbeit konzentrieren <strong>zu</strong> können. So kam es häufiger <strong>zu</strong><br />

Störungen, weil jemand ins Zimmer kam.<br />

Abends componiert: es gieng trefflich, mir fiel alles mögliche ein. Da geht die Thüre auf:<br />

Mama kommt mit einem Buch, setzt sich. Nicht lange nachher Carl. Die Stimmung war<br />

beim Teufel. [...] Allein sein, ein bissel Geld haben, unabhängig sein – oh wie herrlich<br />

wäre das! [...] Ich geh schnell nach dem Nachtmahl herauf, glücklich, dass ich nun allein<br />

im Wohnzimmer bin, frei bin, componieren kann. Mama kommt, bleibt, <strong>und</strong> ich bin<br />

gerade jetzt gestimmt, jetzt kann ich. Eine St<strong>und</strong>e drauf bin ich wieder steryl. Und Mama<br />

sagt: Sei froh, wenns mich nicht geniert. 155<br />

<strong>Alma</strong> Schindler wurde von ihren Eltern zwar in der für Mädchen üblichen Weise<br />

unterstützt, ging es aber um Freiräume <strong>und</strong> Förderungen, die eine Professionalisierung<br />

vorangetrieben hätten, fand sie – wie auch schon im Fall des Klavierunterrichts<br />

bei Professor Epstein – wenig Verständnis.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> suchte sich <strong>Alma</strong> Schindler ihre ersehnte Einsamkeit oft auf<br />

Spaziergängen oder in Räumen des Hauses ohne Klavier.<br />

Gestern abends noch spazieren gegangen – allein – nur mit meinem Skizzenbuch.<br />

Componierte. 156<br />

Die Suche nach Zurückgezogenheit <strong>zu</strong>m Komponieren beweist, dass <strong>Alma</strong><br />

Schindlers musikalisch-kompositorisches Talent auch ohne Klavier auskam.<br />

Schaffensschwankungen hingen des Weiteren eng mit ihren gesellschaftlichen<br />

Verpflichtungen <strong>zu</strong>sammen, die sie oft von ihrer Kompositionstätigkeit ablenkten.<br />

Josef Labor <strong>und</strong> noch eindringlicher Alexander Zemlinsky stellten sie vor eine<br />

Entscheidung.<br />

Er [Zemlinsky] war unsagbar ruppig. Ich lachte nur <strong>zu</strong> dem Thun... innerlich wurmte es<br />

mich. Er sagte:<br />

Entweder Sie componieren, oder Sie gehen in Gesellschaften – eines von beiden. Wählen<br />

Sie aber lieber das, war Ihnen näher liegt – gehen Sie in Gesellschaften. 157<br />

155 Tagebuch-Suiten: 8. Januar 1900.<br />

156 Tagebuch-Suiten: 20. Mai 1901.<br />

157 Tagebuch-Suiten: 4. März 1901.<br />

52


In Zeiten ihrer Abwesenheit von Gesellschaftsveranstaltungen fühlte sie die<br />

innere Identifikation mit ihrem kompositorischen Schaffen.<br />

Mir ist auch gar nicht leid, das <strong>zu</strong> versäumen. Überhaupt fühle ich mich jetzt allem gesellschaftlichen<br />

Treiben so völlig fern, dank meines Schaffens, das mir so große, innere<br />

Freude macht, dass ich mich direct fürchte, mit der Außenwelt in Contact <strong>zu</strong> treten. 158<br />

Ihr Wunsch „Wenn ich doch nur etwas erreichen könnte“ 159 wurde immer wieder<br />

von diesem Antagonismus durchkreuzt, <strong>und</strong> es gelang ihr nie ganz, sich von<br />

gesellschaftlichen Anlässen fern<strong>zu</strong>halten.<br />

Ich werde mich nie ganz in die Sache vertiefen können. [...] Es ist mein größter Kummer,<br />

dass ich eine Halbnatur bin. 160<br />

Auf diese Weise geriet <strong>Alma</strong> Schindler in einen stetigen Kreislauf. Sie wurde<br />

durch Entmutigung <strong>und</strong> Selbstzweifel geplagt, wenn ihr die Konzentration auf ihr<br />

kompositorisches Schaffen nicht gelang. Wenn sie in Zeiten des Verzichts auf<br />

gesellschaftliche Ereignisse künstlerische Fortschritte machte, fühlte sie sich <strong>zu</strong><br />

professionellen Ambitionen ermutigt. Da sie sich aber in ihrem Elternhaus seit der<br />

Wiederverheiratung der Mutter <strong>und</strong> der Geburt der Stiefschwester nicht mehr<br />

wohl fühlte, suchte sie im gesellschaftlichen Treiben nach einem Ausweg – mit<br />

anderen Worten – sie wollte heiraten, um dem Familienleben <strong>zu</strong> entkommen.<br />

Judith Förner bringt in ihrer Arbeit die geschlechtsspezifische Entwicklung von<br />

Kreativität treffend auf den Punkt. 161<br />

Dies [das sinkende Selbstbewusstsein], <strong>zu</strong>sammen mit der während der Adoleszenz sich<br />

vollziehenden Ausrichtung auf Attraktivität für <strong>und</strong> Bestätigung durch Jungen bietet<br />

keine gute Gr<strong>und</strong>lage für die Ausbildung eigener musikalisch-künstlerischer<br />

Produktivität, deren Besonderheit gerade in der Unabhängigkeit von Gefallenwollen <strong>und</strong><br />

äußerer Bestätigung liegt. Unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen gestaltet<br />

sich die Adoleszenz für Mädchen tendenziell keineswegs im Sinne eines „Aufbruchs“,<br />

eines „Freiraums“ <strong>zu</strong>m Experimentieren mit <strong>und</strong> Finden von neuen Rollen <strong>und</strong><br />

<strong>Leben</strong>sentwürfen, [...] sondern stellt vielmehr eine Zeit der erzwungenen Selbstrücknahme,<br />

Selbstbeschränkung <strong>und</strong> der Ausrichtung an den Wünschen anderer dar, mit der<br />

Abnahme des Zutrauens in sich selbst <strong>und</strong> die eigenen Fähigkeiten. 162<br />

Auch wenn diese Arbeit die heutigen Bedingungen künstlerischer Produktivität<br />

beleuchtet, sind die genannten geschlechtsspezifischen Einflüsse während der<br />

Adoleszenz durchaus auch im Falle von <strong>Alma</strong> Schindler für bedenkenswert <strong>und</strong><br />

<strong>zu</strong>treffend.<br />

158 Tagebuch-Suiten: 2. Januar 1899.<br />

159 Tagebuch-Suiten: 27. Dezember 1898.<br />

160 Tagebuch-Suiten: 12. Mai 1900.<br />

161 Förner, Judith: Die Bedeutung der Adoleszenz im weiblichen <strong>Leben</strong>s<strong>zu</strong>sammenhang für die<br />

Ausbildung künstlerischer-musikalischer Produktivität, Wissenschaftliche Hausarbeit an der<br />

Hochschule der Künste Berlin 1995. Ich danke Beatrix Borchard, die mir diese Arbeit <strong>zu</strong>r<br />

Verfügung gestellt hat.<br />

162 a.a.O.: S.87.<br />

53


Auch Zeitgenossen reflektierten über die Adoleszenz als problematische <strong>Leben</strong>sphase,<br />

wie <strong>Alma</strong> Schindlers späterer Ehemann Franz <strong>Werfel</strong> in seiner Erzählung<br />

über seine Stieftochter <strong>und</strong> <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s Tochter Manon. 163<br />

Während der Adoleszenz Manons schien ihre Leidenschaft fürs Deklamieren <strong>und</strong><br />

Theaterspielen <strong>zu</strong> erlöschen.<br />

Daß es die Scham vor dem starken Ausdruck, die Scheu vor der Selbstentblößung sein<br />

mochte, wie sie in der Geschlechtsreife alle feineren Naturen überkommt, daran dachte<br />

ich nicht. 164<br />

Von Interesse ist hier, dass Franz <strong>Werfel</strong>s Reflexion über die Adoleszenz offenbar<br />

nicht von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> übernommen wurde. Auch wenn davon<br />

aus<strong>zu</strong>gehen ist, dass sie die <strong>Werk</strong>e ihres Mannes kannte, hat sie ihre eigene<br />

künstlerische Laufbahn in ihren Autobiografien nicht auf diese Weise beleuchtet.<br />

4.4. Das Kompositionsstudium bei Josef Labor <strong>und</strong> Alexander Zemlinsky<br />

Alfred Claytons Einschät<strong>zu</strong>ng von 1995, dass über <strong>Alma</strong> Schindlers Lehrzeit bei<br />

Alexander Zemlinsky kaum Überblick <strong>zu</strong> gewinnen sei, da <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s<br />

Manuskripte in den letzten Kriegstagen verbrannt worden seien, 165 ist heute nicht<br />

mehr aktuell. Anhand der Tagebuch-Suiten <strong>und</strong> der bisher unveröffentlichten<br />

Briefe Zemlinskys an <strong>Alma</strong> Schindler 166 lässt sich das Unterrichtsverhältnis nun<br />

rekonstruieren. So sind diese Quellen sicherlich auch für die Verallgemeinerung<br />

der Prinzipien von Zemlinskys Kompositionsunterricht fruchtbar <strong>und</strong> sagen etwas<br />

über seine künstlerisch-pädagogische Beziehung <strong>zu</strong> seinen Schülern aus, die<br />

Clayton in seinem Aufsatz bereits versucht hatte, <strong>zu</strong> beleuchten.<br />

Das Gleiche gilt für <strong>Alma</strong> Schindlers Unterricht bei dem blinden Organisten Josef<br />

Labor, der bislang kaum Erwähnung gef<strong>und</strong>en hat <strong>und</strong> nun anhand der Tagebuch-<br />

Suiten im Vergleich <strong>zu</strong> Zemlinskys Unterricht anschaulich nachvollzogen werden<br />

kann.<br />

163<br />

<strong>Werfel</strong>, Franz: Manon, in: Erzählungen aus zwei Welten Bd. 3, hrsg. von Adolf Klarmann,<br />

Frankfurt/ Main 1954.<br />

164<br />

a.a.O.: S.395.<br />

165<br />

Clayton, Alfred: Alexander Zemlinskys künstlerisch-pädagogische Beziehung <strong>zu</strong> seinen<br />

Schülern, in: Alexander Zemlinsky. Ästhetik, Stil <strong>und</strong> Umfeld, hrsg. von Hartmut Krones, Wien<br />

usw. 1995, (=Wiener Schriften <strong>zu</strong>r Stilk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Aufführungspraxis. Sonderband 1), S.309.<br />

166<br />

Wie bereits erwähnt, liegen mir diese unveröffentlichten Briefe zwar nicht vor, die für die<br />

Unterrichtszeit relevanten Briefe sind jedoch <strong>zu</strong> einem großen Teil zitiert in: Urban, Juliane: Die<br />

Lieder von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> geb. Schindler, Magisterarbeit Freie Universität Berlin 1994,<br />

S.74-83.<br />

54


4.1.1. Prinzipien des Kompositionsunterrichts bei Josef Labor<br />

Seit 1895 – also seit <strong>Alma</strong> Schindlers 16. <strong>Leben</strong>sjahr – fand der Unterricht<br />

einmal wöchentlich Dienstags in Labors Wohnung statt.<br />

Der Unterricht beanspruchte oft länger als die geplante Zeitst<strong>und</strong>e, denn neben<br />

den Unterrichtsinhalten sprachen sie allgemein über Kunst oder diskutierten<br />

aktuelle Themen, wie beispielsweise am 25. Oktober 1899 die „moderne<br />

Erziehung“:<br />

Ich sprach gestern mit dem Labor über moderne Erziehung. Warum lernt der Bursche<br />

denken <strong>und</strong> das Mädchen nicht? [...] Warum wird denn einem Mädel alles so schrecklich<br />

leicht (schwer) gemacht? Das sollten die Frauen anstreben: Die Emancipation der Frauen<br />

ist nicht möglich, wenn ihr Gedenken nicht systematisch geschult wird, gedrillt wird. Er<br />

musste mir recht geben.<br />

Da es für bürgerliche Familien allgemein üblich war, den Sommer nicht in der<br />

Stadt, sondern in der „Sommerfrische“ <strong>zu</strong> verbringen, setzte auch der Unterricht<br />

während des Sommers aus, so dass meist im Juni Vermerke wie diese <strong>zu</strong> finden<br />

sind.<br />

Letzte St<strong>und</strong>e beim Labor. Mir war furchtbar leid. Auf meine Frage, ob er mich nächstes<br />

Jahr wieder nähme, sagte er:<br />

Ich freue mich schon darauf <strong>und</strong> werde Sie mit offnen [sic] Armen wieder aufnehmen. 167<br />

Wegen der Blindheit des Lehrers spielte <strong>Alma</strong> Schindler ihm ihre Kompositionen<br />

– hauptsächlich Lieder <strong>und</strong> Klavierstücke – am Klavier vor <strong>und</strong> Labor korrigierte<br />

nach Gehör. <strong>Alma</strong> Schindlers Notationen entbehrten also der schriftlichen<br />

Korrektur.<br />

Labor war wieder <strong>zu</strong>frieden. Ich spielte ihm mein Adagio <strong>und</strong> mein Lied ‚die<br />

Frühlingsnacht‘ vor.<br />

Sie sind ja furchtbar productif, sagte er.<br />

Ich bringe ihm <strong>zu</strong> jeder St<strong>und</strong>e 2 Sachen, meistens ein Stück <strong>und</strong> ein Lied. Mir macht das<br />

ganze eine große, große Freude. Wenn ich doch nur etwas erreichen könnte! Meine<br />

Seligkeit kennt keine Grenzen. 168<br />

Nach sechs Jahren Unterricht – im Frühjahr 1899 – schlug Labor die Vertiefung<br />

der musiktheoretischen Studien in Form von Kontrapunktunterricht vor. <strong>Alma</strong><br />

Schindler hatte Vorbehalte, obwohl ihr bewusst war, dass der rationale Zugang für<br />

ihre kompositorische Entwicklung unentbehrlich war.<br />

167 Tagebuch-Suiten: 14. Juni 1898.<br />

168 Tagebuch-Suiten: 27. Dezember 1898.<br />

55


Nächstes Jahr will er mich vom Contrapunkt schmecken lassen. Das ist eine gefährlich<br />

Sache. Große Talente befreit er, kleine erdrückt er. Lieber erdrücken lassen von der<br />

Wucht dieser Wissenschaft als unwissend dahinleben, ein kleines Talent ‚behüten‘. 169<br />

Auch im Umfeld der Sezession stieß das Vorhaben der Kontrapunktstudien auf<br />

Widerspruch gegen den sie sich <strong>zu</strong> verteidigen versuchte, so wie sie einige Tage<br />

nach der Vereinbarung des Unterrichts mit Olbrich stritt.<br />

Mit Olbrich hatte ich einen großen Streit <strong>und</strong> bin ganz entsetzt über seine hirnverbrannten<br />

Ansichten. Er meinte, ich solle nicht Contrapunkt lernen:<br />

Sie haben Empfindungen, Einfälle, mehr brauchen Sie nicht. Brechen Sie mit der<br />

Tradition, werfen Sie den alten Pl<strong>und</strong>er von sich, seien Sie modern, individuell, sie haben<br />

das Zeug da<strong>zu</strong>.<br />

Umsonst suchte ich ihn <strong>zu</strong> überzeugen, dass das Können die Hauptsache sei, auf dem sich<br />

alles aufbaut – das ist eben Secession (wie sie nicht sein soll) <strong>und</strong> (deshalb) verwerflich:<br />

Mit solchen Ansichten kommt man nicht weiter. 170<br />

<strong>Alma</strong> Schindler geriet auf diesem Wege in den Zwiespalt zwischen Tradition <strong>und</strong><br />

Moderne. Olbrich plädierte für Modernität ohne das Erlernen des traditionellen<br />

Unterrichtskanons während Labor diese Konzepte verteidigte.<br />

Labor. Ich spielte ihm 2 meiner Lieder vor, <strong>und</strong> er meinte, dass sie <strong>zu</strong> secessionistisch<br />

seien. 171<br />

Obwohl <strong>Alma</strong> Schindler Vorbehalte hatte, begann im Oktober 1899 der Kontrapunktunterricht.<br />

Nebenbei schien sich <strong>Alma</strong> Schindler aber auch für Anderes <strong>zu</strong><br />

interessieren. Am 13. Oktober 1899 versuchte sie ein Gedicht von Henrik Ibsen <strong>zu</strong><br />

vertonen – am 17. Oktober dachte sie über Unterricht in Instrumentation nach.<br />

Nachdem ihr Vorhaben – wie bereits erwähnt – von der Sängerin Anna Prasch<br />

unterstützt worden war, trug sie es Labor vor.<br />

Ich frug ihn wegen Instrumentationslehre, <strong>und</strong> er sagte:<br />

Erst Contrapunkt.<br />

Und recht hat nun wieder Labor. 172<br />

Labor legte als Pianist <strong>und</strong> Organist seine Priorität mehr auf kontrapunktische<br />

Formen <strong>und</strong> Kammermusik, weniger auf Instrumentation, auch wenn sich seine<br />

Schülerin mit dem neuen Unterrichtsgegenstand schwer tat.<br />

Der Contrapunkt, das ist die allergraueste Theorie. Beim Suchen einer Oberstimme für<br />

einen Choral wurde ich halb wahnsinnig von dem ewigen ‚Zurück‘ des Labor. 173<br />

Und Labor war un<strong>zu</strong>frieden mit ihren Leistungen in dem neuen Fach.<br />

Labor. Er war sehr un<strong>zu</strong>frieden.<br />

Ja, wenn Sies so treiben, dann geben Sies lieber auf.<br />

Ich war unglücklich. 174<br />

169 Tagebuch-Suiten: 28. Februar 1899.<br />

170 Tagebuch-Suiten: 4. März 1899.<br />

171 Tagebuch-Suiten: 15. März 1898.<br />

172 Tagebuch-Suiten: 17. Oktober 1899.<br />

173 Tagebuch-Suiten: 24. Oktober 1899.<br />

174 Tagebuch-Suiten: 31. Oktober 1899.<br />

56


Die frustrierende Beschäftigung mit dem Kontrapunkt endete vorerst nach etwa<br />

einem Jahr. Im November 1901 versuchte <strong>Alma</strong> Schindler bei einem neuen Lehrer<br />

– Robert Go<strong>und</strong> – einen neuen Zugang <strong>zu</strong> dem Fach <strong>zu</strong> bekommen, nachdem<br />

Zemlinsky ihr da<strong>zu</strong> geraten hatte. Über die St<strong>und</strong>en bei Go<strong>und</strong> ist aus den Tagebüchern<br />

inhaltlich nichts <strong>zu</strong> erfahren. Sie werden bloß als Termine erwähnt.<br />

Labors pädagogisches Konzept bestand darin, seine SchülerInnen langsam heranreifen<br />

<strong>zu</strong> lassen. „Gipfelstürmer“ fanden wenig Gnade vor seinen Augen.<br />

Er sagte: Nichts ist gefährlicher für ein junges Talent als das, sich nicht reif werden<br />

lassen. Die warnendsten Beispiele sollten für alle jungen Künstler Rubinstein &<br />

Goldmark sein – 2 solche Talente, untergegangen, weil sie nicht abwarteten, bis sie fertig<br />

waren. 175<br />

Neben den Inhalten des Kontrapunkts <strong>und</strong> der Korrektur von <strong>Alma</strong> Schindlers<br />

Kompositionen war das Lernen an klassischen Vorbildern Unterrichtsgegenstand<br />

in der „Laborst<strong>und</strong>e“. <strong>Alma</strong> Schindler hatte mit Labors Konzept der Nachahmung<br />

aber Schwierigkeiten, da sie ihre Ergebnisse häufig als Plagiate ihrer Vorbilder<br />

empfand.<br />

Ich componierte ein Lied, doch lehnt sichs stark an Schumann an <strong>und</strong> macht mir deshalb<br />

keine Freude. 176<br />

In Labors Unterricht fehlte die Abstraktion der musikalischen Parameter (z.B.<br />

Form oder harmonische Prinzipien) <strong>und</strong> ihr Transfer auf eigene Kompositionen.<br />

Anhand <strong>Alma</strong> Schindlers Berichte aus den „Laborst<strong>und</strong>en“ lässt sich entnehmen,<br />

dass Labor über wenige pauschale Sätze hinaus kaum begründete Kritik an ihren<br />

Kompositionen anbrachte. Meistens beschränkten sich seine Kommentare auf<br />

allgemeine Aussagen, die selten die Fehler präzisierten.<br />

Habe ihm alles vorgespielt: Hinaus ist <strong>zu</strong> lange <strong>und</strong> ist <strong>zu</strong>viel Clavierstück. Qual ist<br />

unges<strong>und</strong> mit schlechter Melodik <strong>und</strong> detralogisch (Detralogie: Erinnerung), der Text <strong>zu</strong><br />

dumm. Der Morgen ist gut, nur die Abweichung nach As-dur unnöthig. Einsamer Gang<br />

hat sehr gute Sachen. Der Satz der Sonate ist gut, mein Muth, die Sache an<strong>zu</strong>packen, <strong>zu</strong><br />

bestaunen. Die Etude fade. 177<br />

Labors Aussagen beschränkten sich auf das Allgemeine <strong>und</strong> als <strong>Alma</strong> Schindler<br />

ihm acht ihrer Lieder am 17. Januar 1899 vorspielte, lautete sein Kommentar „Das<br />

ist aller Ehren wert... für ein Mädel.“ <strong>Alma</strong> Schindler machte in solchen<br />

Situationen oft sich selbst für den wenig systematischen <strong>und</strong> wenig herausfordernden<br />

Unterricht verantwortlich.<br />

175 Tagebuch-Suiten: 28. Februar 1899.<br />

176 Tagebuch-Suiten: 3. Februar 1899.<br />

177 Tagebuch-Suiten: 3. Oktober 1899.<br />

57


Spielte dem Labor das neue Lied vor, <strong>und</strong> er sagte, dass es eines meiner besten Lieder sei,<br />

ein gutes Lied. Das macht mir viel Freude, obwohl ichs gewusst hatte. Im übrigen mache<br />

ich technisch keine Fortschritte – ich kann halt nicht denken. 178<br />

Auch wenn Labor <strong>Alma</strong> Schindlers Talent auffiel, förderte er sie nicht in dem<br />

Maße, wie andere seiner Schüler 179 , denen er eine Komponistenkarriere <strong>zu</strong>traute<br />

(Julius Bittner, Paul Wittgenstein <strong>und</strong> Arnold Schönberg). Mangelnde Systematik<br />

<strong>und</strong> fehlende Herausforderung in der Kritik an ihren Kompositionen ließen <strong>Alma</strong><br />

Schindler die Lust verlieren. Während sie bereits bei Zemlinsky mit dem Unterricht<br />

begonnen hatte, liefen ihre St<strong>und</strong>en bei Labor noch ein Jahr weiter, über die<br />

sie inhaltlich aber immer weniger in ihr Tagebuch schrieb. Ihr Studium bei<br />

Zemlinsky hielt sie vor ihm geheim, bis sie ihm am 8. Oktober 1901 darüber<br />

beichtete <strong>und</strong> das Unterrichtsverhältnis beendet wurde. Sie selbst resümierte über<br />

die jahrelange Zusammenarbeit:<br />

Ich habe 6 Jahre bei ihm gelernt – nicht all<strong>zu</strong>viel gelernt, aber doch stets einen warmen,<br />

antheilnehmenden Fre<strong>und</strong> bei ihm gef<strong>und</strong>en. 180<br />

Wahrscheinlich hatten Labors Vorurteile gegenüber der Professionalisierung von<br />

kunstschaffenden Frauen die Mittelmäßigkeit seiner Unterrichtskonzepte hervorgerufen<br />

<strong>und</strong> schließlich da<strong>zu</strong> beigetragen, dass <strong>Alma</strong> Schindler nicht mehr<br />

genügend Herausforderung fand – Herausforderung, die sie im Unterricht bei<br />

Zemlinsky <strong>zu</strong> diesem Zeitpunkt bereits kennengelernt hatte.<br />

4.4.2. Prinzipien des Kompositionsunterrichts bei Alexander Zemlinsky<br />

Zemlinskys Unterricht setzte ein, als <strong>Alma</strong> am Wendepunkt zwischen Dilettantismus <strong>und</strong><br />

Professionalisierung stand – in etwa vergleichbar dem Entwicklungsstand von Alban Berg bei<br />

Beginn seines Unterrichts bei Schönberg. 181<br />

<strong>Alma</strong> Schindler hatte bei Alexander Zemlinsky einige prominente Mitschüler, als<br />

sie bei ihm am 18. Oktober 1900 mit dem Kompositionsunterricht begann. Unter<br />

ihnen waren Erich Wolfgang Korngold, Rudolf Stefan Hoffmann, Karl Weigl <strong>und</strong><br />

Arnold Schönberg. 182 Zemlinsky war bei einem Gesellschaftskonzert im März<br />

1900 eines ihrer Lieder aufgefallen, der Unterricht begann aber erst ein gutes<br />

halbes Jahr später.<br />

178 Tagebuch-Suiten: 23. Januar 1900.<br />

179 Rode-Breymann: S.89.<br />

180 Tagebuch-Suiten: 15. Oktober 1901.<br />

181 Rode-Breymann: S.88.<br />

182 Über Zemlinskys Unterrichtsverhältnis <strong>zu</strong> diesen Schülern vgl. Clayton: S.310/311.<br />

58


Zemlinsky sagte mir nun, dass mein Lied ihm außerordentlich gefalle, dass ich ein<br />

ausgesprochenes Talent habe. 183<br />

Der Wunsch, in ein Unterrichtsverhältnis <strong>zu</strong> treten, kam bald ich ihre auf.<br />

Ich denke Tag <strong>und</strong> Nacht nurmehr an eine Sache: Ich möchte beim Zemlinsky lernen. Wenn<br />

Mama’s nur erlaubt. 184<br />

Am 1. Juni 1900 bestätigte Zemlinsky seinerseits ihre Anfrage. Schon in der<br />

ersten St<strong>und</strong>e zeichnete sich ab, welche anderen Prinzipien den Unterricht<br />

beherrschen sollten. Zwar kritisierte Zemlinsky <strong>Alma</strong> Schindler, jedoch lernte sie<br />

anhand der konstruktiven Kritik, Fehler <strong>zu</strong> verbessern.<br />

Ich spielte ihm den Lobgesang <strong>und</strong> den Engelgesang vor. Er war durchaus un<strong>zu</strong>frieden. –<br />

Stimmung verfehlt – <strong>und</strong> er erklärte mir warum. Es war so ungemein interessant, er hatte in<br />

allem so recht, dass ich ganz beglückt bin <strong>und</strong> war. 185<br />

Als Zemlinskys pädagogisches Konzept beschreibt Clayton, dass dessen Schüler<br />

ihre eigene musikalische Auffassung entwickelten sollten, um ihre Individualität<br />

<strong>zu</strong>r Geltung <strong>zu</strong> bringen. Dabei sei Zemlinsky strikt gegen die Anwendung starrer<br />

Systeme gewesen. 186<br />

Meine Unterrichtsmethode geht <strong>zu</strong>m Unterschiede gewisser Unterrichtsarten dahin, daß<br />

meine Schüler alles bisher für gut <strong>und</strong> notwendig Gegoltene <strong>zu</strong> erlernen haben, um dann<br />

erst das <strong>zu</strong> verlernen bzw. um<strong>zu</strong>lernen, was ihnen ihre Begabung <strong>zu</strong> deren freien Entfaltung<br />

als notwendig diktiert. Nur die können ganz frei von allem Hergebrachten <strong>und</strong><br />

Ueberw<strong>und</strong>enem sein, die durch alles durchgegangen sind <strong>und</strong> alles beherrschen. Bei<br />

einem Genie ist es vielleicht anders. Genies brauchen auch keinen Unterricht <strong>zu</strong><br />

nehmen... 187<br />

Dieses Programm schlug für <strong>Alma</strong> Schindler die Brücke zwischen dem<br />

musiktheoretischen Lernen <strong>und</strong> der kreativen Anwendung desselben <strong>und</strong><br />

verwurzelte das Neue in der Tradition, wie sie es bei Labor <strong>zu</strong> vermissen<br />

begonnen hatte.<br />

Von vornherein teilten Zemlinsky <strong>und</strong> <strong>Alma</strong> Schindler ihre Affinität <strong>zu</strong>r Oper <strong>und</strong><br />

<strong>zu</strong>m Lied <strong>und</strong> bevor<strong>zu</strong>gten die gleichen Dichter. Beiden lagen die vokalen<br />

Gattungen offensichtlich näher als die Laborschen Kontrapunktstudien <strong>und</strong> die<br />

Kammermusik.<br />

183 Tagebuch-Suiten: 10. März 1900.<br />

184 Tagebuch-Suiten: 22. Mai 1900.<br />

185 Tagebuch-Suiten: 18. Oktober 1900.<br />

186 Vgl. Clayton: S.303.<br />

187 Zitiert nach Clayton: S.305. Die Aussage geht <strong>zu</strong>rück auf Alexander Zemlinsky, den Hugo<br />

Robert Fleischmann zitierte in: Ders.: Alexander Zemlinsky <strong>und</strong> die neue Kunst, in: Der Auftakt 1,<br />

(1920/21).<br />

59


In einem herausfordernden Lernklima spornte Zemlinsky <strong>Alma</strong> Schindler durch<br />

begründete Kritik an <strong>und</strong> wusste die Gradwanderung zwischen Kritik <strong>und</strong><br />

Ermutigung angemessen ein<strong>zu</strong>schätzen.<br />

In seinem Brief vom 19. Juni 1901 188 schrieb Zemlinsky:<br />

Ich bin ganz froh, daß Du meine herbe – vielleicht etwas <strong>zu</strong> herbe Kritik nicht übler<br />

aufgenommen hast. Ich hatte eigentlich ein bissel Angst, nachdem ich Dir den Brief<br />

schickte. Aber so muß es sein! Je früher <strong>und</strong> strenger Kritik an eigenen <strong>Werk</strong>en geübt<br />

wird – man wächst in seinen eigenen Anforderungen mit der Strenge derselben. Bekommt<br />

man einmal das Einsehen, daß man nichts gemacht hat, <strong>und</strong> verliert dabei den Mut nicht,<br />

spürt immer neue Kraft <strong>zu</strong>r Arbeit – dann ists fein! Das ist schon ein kleines Zeichen!<br />

Wie auch bei Labor lernte <strong>Alma</strong> Schindler in Zemlinskys Unterricht anhand<br />

klassischer Vorbilder. Anders als Labor forderte Zemlinsky aber den Transfer auf<br />

ein allgemeines Prinzip. Diese Technik empfand <strong>Alma</strong> Schindler als motivierend.<br />

An der Hand der Beethovenschen Claviersonaten gieng er vor – logisch, klar, distinct. [...]<br />

Ich soll jetzt mit meinen Liedern aufhören <strong>und</strong> muss für die nächste St<strong>und</strong>e nach Muster<br />

der ersten Perioden <strong>und</strong> Sätze aus einzelnen Sonaten kleine Sätze machen. – Ich thus mit<br />

Wonne – Zemlinsky ist ein famoser Kerl. 189<br />

Auch bei der Korrektur einer Sonate verwies Zemlinsky auf Beethovens Vorbild,<br />

um dort Kriterien für das eigene Komponieren ab<strong>zu</strong>leiten.<br />

Auch müßte das zweite Thema sich mehr unterscheiden vom früheren. Sieh doch<br />

Beethoven daraufhin an. Nicht nur die Motive durchspielen; harmonisch analysieren. 190<br />

Diese Korrekturbriefe entstammen der Zeit der Sommerfrische 1901 191 der<br />

Familie Moll/Schindler. Der Unterricht wurde durch Briefwechsel<br />

aufrechterhalten <strong>und</strong> den offiziellen Unterrichtsbriefen versteckte Liebesbriefe<br />

beigefügt, da sich das Unterrichtsverhältnis in ein Liebesverhältnis aus<strong>zu</strong>dehnen<br />

begann.<br />

Zemlinsky scheint <strong>Alma</strong> Schindler den Weg <strong>zu</strong>r Professionalisierung <strong>zu</strong>getraut <strong>zu</strong><br />

haben, auch wenn er den negativen Einfluss ihrer gesellschaftlichen<br />

Verpflichtungen auf ihre Arbeit durchaus scharf kritisierte. Besonders im Sommer<br />

1901 ist aus Zemlinskys Briefen immer wieder <strong>zu</strong> entnehmen, dass er von der<br />

Entwicklungsfähigkeit seiner Schülerin <strong>und</strong> ihren Fortschritten – besonders<br />

hinsichtlich ihrer Liedkompositionen überzeugt war. Am 8. Juni 1901 schrieb er:<br />

Dein Lied hat mich so gefreut, fast jedem Menschen, der <strong>zu</strong> mir kam, hab ichs vorgespielt<br />

(ohne die Widmung <strong>zu</strong> zeigen – fürchte nichts). Es hat auch gut gefallen.<br />

188<br />

Brief zitiert nach Urban: S.80. Urban zitiert ihn als <strong>und</strong>atierten Brief. Rode-Breymann datiert<br />

ihn auf den 19. Juni 1901, vgl.: Rode-Breymann: S.90.<br />

189<br />

Tagebuch-Suiten: 22. November 1900.<br />

190<br />

Undatierter Brief zitiert nach: Urban: S.81.<br />

191<br />

Im Jahr 1901 verbrachte die Familie von Mitte Mai bis Ende September die Sommerfrische in<br />

St. Gilgen bei Ischl.<br />

60


Merkwürdigerweise hat man gef<strong>und</strong>en, daß die Arbeit besser sei als die Erfindung: Du<br />

fängst auch an gefährlich <strong>zu</strong> werden, heißt das. 192<br />

Im Sommer 1901 wagte <strong>Alma</strong> Schindler sich erstmals an die Vertonung einer<br />

Szene aus einem Drama von Hugo von Hofmannsthal heran. 193 Zemlinsky<br />

unterstützte die Arbeit <strong>zu</strong>nächst, da er mit seiner Schülerin den Übergang von der<br />

textumsetzenden Form des Liedes auf die Ebene größerer Formen erproben<br />

wollte. Die Vertonung der Szene machte <strong>Alma</strong> Schindler jedoch Schwierigkeiten<br />

<strong>und</strong> er riet ihr vorerst ab, den musikdramatischen Versuch weiter<strong>zu</strong>führen.<br />

Ich sage nicht, daß sie nicht einmal so etwas machen könnten – jedoch, ich kann auch<br />

nicht sagen (nämlich mit Sicherheit), daß sie genügend Talent da<strong>zu</strong> haben! Ich weiß es<br />

vorläufig nicht. Schließlich wären Sie damit wirklich eine fabelhafte Ausnahme. Meines<br />

Wissens hat noch nie eine Frau etwas derartiges Gutes gemacht! Lieder, das ist<br />

gewöhnlich das Feld der Weiber! 194<br />

Trotz seiner Einschät<strong>zu</strong>ng korrigierte er ihr Manuskript ausführlich <strong>und</strong> verwarf<br />

ihren Versuch nicht einfach.<br />

Hat man eine Szene disponiert, muß man sich klar werden, welche Gr<strong>und</strong>motive dieselbe<br />

beherrschen, – die müssen <strong>zu</strong>erst erf<strong>und</strong>en werden. [...] Nämlich gewöhnlich ist es der<br />

Fall – (bei Anfängern in erster Linie) daß man bei ersten Szenen immer ein langsames,<br />

schleppendes Tempo empfindet. Das ist der Haken <strong>und</strong> ist meistenteils unrichtig. [...]<br />

Betrachten Sie einmal das ganze Buch des Tristan [...] dann werden Sie die Bemerkung<br />

machen, daß die meisten Szenen [...] auch für ein langsames Tempo geeignet sind. [...]<br />

Ferner noch: [...] Haarscharf die inneren Motive der Handlungen des Menschen<br />

unterscheiden! Das wäre so in Umrissen meine Lehre für die sehr gründlichen Studien<br />

von Opern <strong>und</strong> durch eigene Erfahrung <strong>und</strong> ein bissel Begabung mir errungen! Aber<br />

vorerst muß man korrekte Harmonien schreiben können, gute plastische Formen bauen<br />

können: das ist einige Grade tiefer – muß also viel früher noch gelernt werden. 195<br />

Auch wenn der musikdramatische Versuch fehlschlug, fand Zemlinsky schon an<br />

<strong>Alma</strong> Schindlers nächstem ihm <strong>zu</strong>gesandten Manuskript einer Sonate mehr<br />

Gefallen.<br />

Meine <strong>Alma</strong>, ich freue mich Dir sagen <strong>zu</strong> könne, daß der mir gesandte Sonatenteil viel<br />

besser ausgefallen ist als die Oper. 196<br />

Wieder korrigierte Zemlinsky ernsthaft die Komposition <strong>und</strong> forderte sie auf,<br />

stärker kontrastierende Themen für Haupt- <strong>und</strong> Seitensatz <strong>zu</strong> finden.<br />

Bei einem zweiten Versuch schien <strong>Alma</strong> Schindler Zemlinskys Ratschläge befolgt<br />

<strong>zu</strong> haben, denn er fiel besser aus als der erste. 197<br />

192<br />

Zitiert nach Urban: S. 76. Die Datierung des Briefes ist <strong>zu</strong> entnehmen aus Rode-Breymann:<br />

S.98.<br />

193<br />

Rode-Breymann vermutet, dass es sich um die Eröffnungsszene von Madonna Dianora <strong>und</strong> der<br />

Amme aus dem 1898 erstveröffentlichten <strong>und</strong> in Berlin uraufgeführten Drama Die Frau im<br />

Fenster gehandelt habe; vgl. Rode-Breymann: S.98.<br />

194<br />

Brief Zemlinskys an <strong>Alma</strong> Schindler 13. Juni 1901, zitiert nach Urban: S.79, Datierung nach<br />

Rode-Breymann: S.89.<br />

195<br />

Brief 13. Juni 1901; zitiert nach Urban: S.79.<br />

196<br />

Brief Juni 1901; zitiert nach Urban: S.81.<br />

197<br />

Vgl.: Rode-Breymann: S.100.<br />

61


In dem einen Jahr des Kompositionsunterrichts bei Alexander Zemlinsky machte<br />

<strong>Alma</strong> Schindler offenbar große Fortschritte, da sie anhand klassischer Vorbilder<br />

lernte, ihre Kenntnisse über Form <strong>zu</strong> stabilisieren <strong>und</strong> auf eigene Kompositionen<br />

an<strong>zu</strong>wenden. Zemlinsky schien an ihre Entwicklungsfähigkeit ernsthaft geglaubt<br />

<strong>zu</strong> haben, sah jedoch im Hinblick auf eine Professionalisierung die Problematik<br />

der tradierten Geschlechterrollen.<br />

Dann Zem. [Zemlinsky]. Er hatte wieder Freude an meinen Sachen. Sagte, wie schade es<br />

sei, dass ich nicht als Bub auf die Welt gekommen sei. Denn um mein Talent sei es direkt<br />

schade.<br />

Sie werden als Mädel noch viel <strong>zu</strong> leiden haben, wenn Sie sich behaupten wollen. 198<br />

Den Stimmungsgehalt ihrer Lieder schien er sehr gemocht <strong>zu</strong> haben <strong>und</strong> einige<br />

ihrer Ideen fand er sogar beneidenswert.<br />

Ich spielte ihm mein Sommerernte vor. Er fand, dass sogar sehr schöne Dinge darunter seien.<br />

Bei einigen Stellen beneidete er mich sogar. Ich will wieder fest arbeiten. 199<br />

Auch als Interpret setzte er sich mit <strong>Alma</strong> Schindlers Kompositionen auseinander,<br />

so dass sie schwärmend schrieb.<br />

Er spielte mein Lied In meines Vaters Garten mit einer solchen Schönheit, wie ich es nie<br />

spielen kann. 200<br />

Sicherlich verstärkte sich das gegenseitige Einfühlungsvermögen der beiden in<br />

dem Maße, wie <strong>zu</strong> dem Unterrichtsverhältnis ein Liebesverhältnis hin<strong>zu</strong>kam, bei<br />

dem <strong>Alma</strong> Schindler sogar über eine mögliche Heirat nachdachte. Solange aber<br />

der Unterricht andauerte, unterstützte er ihre kompositorischen Ambitionen durch<br />

konstruktive Kritik <strong>und</strong> ernsthafte Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen.<br />

Zemlinsky legte großen Wert auf das Erlernen von kompositionstechnischen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen wie die tonartliche <strong>und</strong> formale Planung einer Komposition <strong>und</strong><br />

ergänzte damit <strong>Alma</strong> Schindlers Vorliebe, Stimmungen <strong>zu</strong>m Ausdruck <strong>zu</strong><br />

bringen.<br />

198 Tagebuch-Suiten: 28. März 1901.<br />

199 Tagebuch-Suiten: 11. Oktober 1901.<br />

200 Tagebuch-Suiten: 2. November 1901.<br />

62


4.5. Das „Kompositionsverbot“ in den Tagebuch-Suiten<br />

So einseitig wie sich der Wendepunkt des künstlerischen Werdegangs von <strong>Alma</strong><br />

Schindler in den Autobiografien <strong>und</strong> Biografien darstellt, kann er nach<br />

Konsultation der Tagebuch-Suiten nicht mehr gesehen werden. Zwar ist auch in<br />

dieser Quelle der entscheidende Tag, an dem Gustav <strong>Mahler</strong>s Brief <strong>Alma</strong><br />

Schindler erreichte, kurz gehalten, jedoch entwerfen die Tagebücher ein<br />

detaillierteres Bild ihrer Auseinanderset<strong>zu</strong>ng zwischen Eheschließung <strong>und</strong><br />

Professionalisierung der Musik auch schon im Vorfeld des Briefes vom 19.<br />

Dezember 1901.<br />

Bei Erhalt des Briefes sind <strong>Alma</strong> Schindler mögliche Entscheidungsalternativen<br />

<strong>zu</strong>mindest noch durch den Kopf gegangen, auch wenn sie sich für die Aufgabe<br />

ihrer Musik entschied.<br />

V.M. [vormittags] <strong>zu</strong> Hause – dieser Brief. Mir blieb das Herz stehn... Meine Musik<br />

hergeben – weggeben – das, wofür ich bis jetzt gelebt. Mein erster Gedanke war – ihm<br />

abschreiben. Ich musste weinen – denn da begriff ich, dass ich ihn liebe. [...] Ich habe das<br />

Gefühl, als hätte man mir mit kalter Faust das Herz aus der Brust genommen. Mama u.<br />

ich haben bis tief in die Nacht von ihm gesprochen. Sie hat den Brief gelesen-! Ich war so<br />

rathlos. Ich finde es so unüberlegt, ungeschickt von ihm. Es hätte ja kommen können, von<br />

allein... ganz sachte... Aber einen ewigen Stachel wird das <strong>zu</strong>rücklassen... 201<br />

Worüber Mutter <strong>und</strong> Tochter in dem nächtlichen Gespräch geredet haben könnten,<br />

wurde später Inhalt vieler Spekulationen. Die Tagebuch-Suiten liefern <strong>zu</strong>m<br />

Verständnis der Situation wenig Anhaltspunkte. Klar wird, dass <strong>Alma</strong> Schindler<br />

<strong>zu</strong>mindest in ihrer ersten Reaktion nicht, wie in den Autobiografien dargestellt,<br />

einfach <strong>Mahler</strong>s Forderung <strong>zu</strong>stimmte, sondern die Alternative, <strong>Mahler</strong> <strong>zu</strong><br />

verlassen, in Erwägung zog. Ob sie je überlegt hat, <strong>Mahler</strong> ihre Kompositionen<br />

nahe <strong>zu</strong> bringen <strong>und</strong> innerhalb ihrer Beziehung für ihre Musik <strong>zu</strong> kämpfen, muss<br />

auch anhand der Tagebuch-Suiten offen bleiben.<br />

Der Konflikt hatte sich schon in den ersten Wochen der näheren Bekanntschaft<br />

mit <strong>Mahler</strong> langsam abgezeichnet. Für <strong>Alma</strong> Schindler wurde die Wahl zwischen<br />

Zemlinsky <strong>und</strong> <strong>Mahler</strong> – die Liebesbeziehung <strong>zu</strong> Zemlinsky war <strong>zu</strong> diesem<br />

Zeitpunkt noch nicht beendet – auch eine Wahl zwischen Ausübung ihrer<br />

Kompositionstätigkeit <strong>und</strong> Ehe. Schon früh spürte sie, dass <strong>Mahler</strong> ihre Musik<br />

neben seiner nicht akzeptieren würde, aber auch, dass es ihr selbst schwer fiel,<br />

Zugang <strong>zu</strong> <strong>Mahler</strong>s Kompositionen <strong>zu</strong> finden.<br />

201 Tagebuch-Suiten: 20. Dezember 1901.<br />

63


Ich bin in einem furchtbaren Dilemma. Leise sagte ich mir immer ‚mein Geliebter‘ <strong>und</strong><br />

immer sage ich ‚Alex‘ hinterher. Kann ich den <strong>Mahler</strong> so lieb haben, wie er es verdient,<br />

<strong>und</strong> wie es in meiner Macht liegt? Werde ich je seine Kunst verstehn, u. er die meine!?<br />

Bei Alex dieses beiderseitige Verständnis. Er liebt jeden Ton von mir. [...] Eines peinigt<br />

mich: ob <strong>Mahler</strong> mich <strong>zu</strong>r Arbeit animieren wird – ob er meine Kunst unterstützen wird –<br />

ob er sie so lieben wird, wie Alex. Denn der liebt sie direct. 202<br />

Im Tagebucheintrag vom 3. Dezember 1901 gibt es einen kurzen Hinweis, der an<br />

der Darstellung der Autobiografien, dass <strong>Mahler</strong> nie eine Note von ihren<br />

Kompositionen gesehen habe, Zweifel aufkommen lässt.<br />

<strong>Mahler</strong> sagte nur: Das ist ja erst <strong>zu</strong> nehmen. Das hatte ich nicht erwartet!<br />

Nicht nur bei <strong>Mahler</strong>, sondern auch während der Liebesbeziehung <strong>zu</strong> Zemlinsky,<br />

hatte <strong>Alma</strong> Schindler sich schon einmal Gedanken gemacht, ob sie im Falle einer<br />

Eheschließung mit Zemlinsky ihr Studium fortführen könne. Der Gr<strong>und</strong> für diese<br />

Sorgen lag in diesem Fall nicht in einer möglichen mangelnden Unterstüt<strong>zu</strong>ng,<br />

sondern in der finanziellen Lage Zemlinskys, denn er verdiente in seiner Tätigkeit<br />

als Lehrer, Dirigent <strong>und</strong> Komponist offensichtlich nicht viel Geld.<br />

Ich liebe Alex, u. doch der Zweifel! Wird er mich weiter studieren lassen, werde ich in diesem<br />

kleinen Hauswesen Zeit da<strong>zu</strong> haben? 203<br />

Alle Menschen des persönlichen Umfeldes <strong>Alma</strong> Schindlers hatten ihr von einer<br />

Ehe mit Zemlinsky abgeraten, da er „arm <strong>und</strong> hässlich“ gewesen sei.<br />

Möglicherweise war die Tatsache, dass <strong>Mahler</strong> Hofoperndirektor in Wien war,<br />

umgekehrt Gr<strong>und</strong> für die Erwägung einer Ehe mit ihm.<br />

Einen Tag vor Erhalt des „Komponierverbotbriefes“ hatte sie ihre Sorgen im<br />

Fre<strong>und</strong>eskreis ausgesprochen.<br />

Wir sprachen viel über Gustav. Ich redete mir meinen Groll etwas von der Seele. Das Ganze,<br />

was in mir tobt, musste heraus. Wenn wir soweit kommen, <strong>und</strong> ich werde die Seine, so muss<br />

ich schon jetzt mich gehörig rühren, um mir den Platz <strong>zu</strong> sichern, der mir gebührt... nämlich<br />

künstlerisch. Er hält von meiner Kunst gar nichts – von seiner viel – <strong>und</strong> ich halte von seiner<br />

Kunst gar nichts <strong>und</strong> von meiner viel. – So ist es! 204<br />

Ob schließlich das ambivalente Verhältnis <strong>zu</strong>r Mutter, die ihr laut Mein <strong>Leben</strong> 205<br />

<strong>zu</strong>r Beendigung der Beziehung <strong>zu</strong> <strong>Mahler</strong> geraten hatte, ausschlaggebend für eine<br />

Art Trotzentscheidung gewesen ist, bleibt spekulativ, wenn auch plausibel.<br />

Die im Tagebuch dokumentierten Zweifel hätten auf den Brief <strong>Mahler</strong>s mehr<br />

Kampfgeist erwarten lassen. Am Tag nach dem Erhalt des Briefes hatte <strong>Alma</strong><br />

Schindler alle Alternativen <strong>und</strong> alle Zweifel verdrängt.<br />

202 Tagebuch-Suiten: 3. Dezember 1901.<br />

203 Tagebuch-Suiten: 20. Juni 1901.<br />

204 Tagebuch-Suiten: 19. Dezember 1901.<br />

205 Mein <strong>Leben</strong>: S.31.<br />

64


In der früh seinen Brief durchgelesen – <strong>und</strong> so warm kams auf einmal über mich. Wie<br />

wärs, wenn ich ihm <strong>zu</strong> Liebe verzichten würde? Auf das, was gewesen! Muss ich mir doch<br />

gestehn, dass mich kaum eine Musik jetzt interessiert, als die seine. Ja – er hat recht. Ich<br />

muss ihm ganz leben, damit er glücklich wird. Und ich fühle jetzt gar seltsam, dass ich<br />

ihn tief u. echt liebe. [...] Er kam – liebend <strong>und</strong> gut wie immer. [...] Alles will ich ihm<br />

geben. Meine Seele gehört ihm. Ach, wenn nur alles klar wäre! 206<br />

Die Sicht auf <strong>Alma</strong> Schindler in der Rolle der Frau, die keine andere Möglichkeit<br />

hatte, als auf <strong>Mahler</strong>s Forderungen ein<strong>zu</strong>gehen, muss dahingehend revidiert<br />

werden, dass <strong>Alma</strong> Schindler die Entscheidung für die Ehe mit dem<br />

Hofoperndirektor selbst getroffen hat. <strong>Mahler</strong> hatte ihr in dem Brief seine<br />

Bedingungen von Ehe mitgeteilt, die sie im Fall der Eheschließung <strong>zu</strong> akzeptieren<br />

hatte.<br />

Aber daß Du so werden mußt, ‚wie ich es brauche‘, wenn wir glücklich werden sollen, mein<br />

Eheweib <strong>und</strong> nicht mein College – das ist sicher! Bedeutet dies für Dich einen Abbruch<br />

Deines <strong>Leben</strong>s <strong>und</strong> glaubst Du auf einen Dir unentbehrlichen Höhepunkt des Seins verzichten<br />

<strong>zu</strong> müssen, wenn Du Deine Musik aufgibst, um die Meine <strong>zu</strong> besitzen, <strong>und</strong> auch <strong>zu</strong> sein? Dies<br />

muß zwischen uns klar sein, bevor wir an einen B<strong>und</strong> fürs <strong>Leben</strong> denken dürfen. 207<br />

<strong>Alma</strong> Schindler zog es vor, die Beziehung <strong>zu</strong> <strong>Mahler</strong> aufrecht <strong>zu</strong> erhalten <strong>und</strong> auf<br />

seine Forderungen ein<strong>zu</strong>gehen. Nicht allein <strong>Mahler</strong> trägt die Verantwortung dafür,<br />

dass <strong>Alma</strong> Schindler ihren vorher in den Tagebüchern dokumentierten<br />

Kampfgeist an dieser Stelle aufgab. So kategorisch wie <strong>Mahler</strong> eine Entscheidung<br />

verlangte, so eindeutig lenkte sie auf seine Forderungen ein.<br />

Welche Motive hatten <strong>Alma</strong> Schindler <strong>zu</strong>r Preisgabe ihrer identitätsbildenden<br />

Tätigkeit eigenen Kompositionsschaffens bewogen? Welche familiären <strong>und</strong><br />

gesellschaftlichen Faktoren hatten <strong>zu</strong> der Entscheidung beitragen? 208<br />

Primäres Motiv für <strong>Alma</strong> Schindlers Entscheidung war sicherlich ihre familiäre<br />

Situation, in der sie sich nach dem Tod ihres Vaters <strong>und</strong> der Wiederverheiratung<br />

der Mutter immer fremder gefühlt hatte. Spätestens seit der Heirat ihrer Schwester<br />

Gretl <strong>und</strong> der Geburt ihrer Stiefschwester Maria wuchs der Druck, sich <strong>zu</strong><br />

verheiraten. Der fast 20 Jahre ältere <strong>Mahler</strong> bot ihr den gesellschaftlichen<br />

Aufstieg <strong>und</strong> war ihr die Vaterfigur, die sie verloren hatte.<br />

Des Weiteren spielte ohne Zweifel der Kontext der gesellschaftlichen Mentalität<br />

des Wiens der Jahrh<strong>und</strong>ertwende eine Rolle. Gesellschaftliche Rollenkonzepte<br />

waren durch die aufkommende Frauenbewegung zwar ins Wanken geraten,<br />

wurden gleichzeitig aber in Traktaten wie Otto Weiningers Geschlecht <strong>und</strong><br />

206<br />

Tagebuch-Suiten: 21. Dezember 1901.<br />

207<br />

GoR: 19. Dezember 1901, S. 108.<br />

208<br />

Die folgenden Überlegungen folgen, soweit nicht anders ausgewiesen: Rode-Breymann: S.104-<br />

112, S.129/130.<br />

65


Charakter konsolidiert. Weininger charakterisierte Frauen innerhalb der Pole von<br />

Mutterschaft <strong>und</strong> Prostitution 209 <strong>und</strong> diese Vorstellungen durchzogen alle Teile<br />

der Gesellschaft.<br />

Für <strong>Alma</strong> Schindler war Mutterschaft nicht erstrebenswert. Wenn sie darüber<br />

schrieb, dann nur in abwertender Art <strong>und</strong> Weise.<br />

Habe heute viel componiert <strong>und</strong> will jetzt einen Cyklus machen. Eines der Lieder<br />

behandelt die Schwangerschaft, <strong>und</strong> – ich bin überzeugt – nie ist dieser unschöne<br />

Gegenstand so schön besungen worden. 210<br />

Um sich selbst der Einordnung in die Muttertypologie <strong>zu</strong> entziehen, riskierte sie<br />

bei Einkaufsbummeln oder beim Flanieren auf der Wiener Ringstraße ihren Ruf<br />

als gut erzogenes Mädchen aus angesehenem Hause, die bei – nicht immer<br />

<strong>zu</strong>fälligen – Begegnungen die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zog. Die<br />

Tagebücher dokumentieren in dieser Hinsicht eindrücklich die Bekanntschaft mit<br />

dem Tenor der Hofoper Eric Schmedes. Es schmeichelte <strong>Alma</strong> Schindler, mit<br />

Schmedes in der Öffentlichkeit gesehen <strong>zu</strong> werden, auch wenn sie ihren Ruf<br />

gefährdete <strong>und</strong> Schmedes verheiratet war.<br />

Im Zurückgehen traf ich Schmedes in der Kärthnerstraße... <strong>und</strong> er geleitete mich nach Hause.<br />

Morgen wissens die Spatzen am Dach. Er erzählte mir, dass sie knapp vor der Scheidung<br />

waren. Mein Name wurde auch genannt beim Advocaten, aber nicht unangenehm für mich. 211<br />

<strong>Alma</strong> Schindler versuchte – wie an diesem <strong>und</strong> ähnlichen Beispielen<br />

nach<strong>zu</strong>vollziehen ist – innerhalb dieser gesellschaftlichen Rollenkonzepte ihre<br />

Identität <strong>zu</strong> finden.<br />

Es scharten sich die Männer um mich wie die Mücken um die Lampe. Und ich fühlte<br />

mich so recht als Königin. 212<br />

<strong>Alma</strong> Schindler war in ihrem Umfeld als Schönheit bekannt. Schönheit als<br />

weibliche Eigenschaft fungierte als Inspirationsquelle für männliche Kreativität.<br />

Weiblichkeit wurde für den künstlerischen Schaffensprozess von Männern<br />

vereinnahmt.<br />

Aber an weiblicher Lust nährt sich der männliche Geist. Sie schafft seine <strong>Werk</strong>e. Durch<br />

all das, was dem Weib nicht gegeben ist, bewirkt es, daß der Mann seine Gaben nütze.<br />

Bücher <strong>und</strong> Bilder werden von der Frau geschaffen, – nicht von jener, die sie selbst<br />

schreibt <strong>und</strong> malt. Ein <strong>Werk</strong> wird <strong>zu</strong>r Welt gebracht: hier zeugte das Weib, was der Mann<br />

gebar. 213<br />

209<br />

Vgl. Weininger: Kapitel: Mutterschaft <strong>und</strong> Prostitution, S.280-313.<br />

210<br />

Tagebuch-Suiten: 30. März 1900.<br />

211<br />

Tagebuch-Suiten: 20. März 1900.<br />

212<br />

Tagebuch-Suiten: 10.März 1900.<br />

213<br />

Kraus, Karl: Kehraus, in: Die Fackel Nr. 229 vom 2. Juli 1907, S.12; zitiert nach Rode-<br />

Breymann: S.109.<br />

66


<strong>Alma</strong> Schindler gehörte <strong>zu</strong> der heranwachsenden Generation, die sich<br />

ausschließlich an ästhetischen Werten orientierte <strong>und</strong> von ihrer künstlerischliterarischen<br />

Bildung alles Selbstbewusstsein ableitete.<br />

In dem 20 Jahre älteren Gustav <strong>Mahler</strong> traf sie einen Mann, der diese Generation,<br />

mit der sie sich so identifizierte, in ihrem Selbstbewusstsein <strong>und</strong> ihrer<br />

Individualität in Frage stellte.<br />

Alle diese Burckhards – Zemlinskys etc. sind keine Individualitäten. Jeder von ihnen hat<br />

so eine Domäne – [...] <strong>und</strong> diese Domänen verteidigen sie – innerlich auch nur sehr<br />

unselbständig <strong>und</strong> immer auf der Hut gegen ihre – ‚Nahrung‘, um nicht unoriginell <strong>zu</strong><br />

werden. [...] Meine <strong>Alma</strong>! Sieh! Deine ganze Jugend – also Dein ganzes <strong>Leben</strong> – ist<br />

fortwährend bedroht gewesen durch diese höchst unklaren <strong>und</strong> im Trüben auf falscher<br />

Fährte suchenden, alles innere <strong>Leben</strong> durch lautes Schreien betäubenden, Kern <strong>und</strong><br />

Schale fortwährend verwechselnden Gefährten begleitet, geleitet (währenddem Du immer<br />

selbständig <strong>zu</strong> sein glaubtest) <strong>und</strong> mißhandelt gewesen. 214<br />

Damit zerstörte <strong>Mahler</strong> nicht nur <strong>Alma</strong> Schindlers künstlerische Vorbilder,<br />

sondern auch die Wege, die ihr das künstlerische Umfeld hinsichtlich eigener<br />

Kreativität geboten hatten. Die ohnehin vorhandene Ambivalenz zwischen<br />

Ermutigung <strong>zu</strong> eigenem Schaffen <strong>und</strong> Entmutigung unter der Last der tradierten<br />

Geschlechterrollen wurde durch <strong>Mahler</strong>s Brief auf der Seite des<br />

Minderwertigkeitsgefühls verstärkt.<br />

Frauen, die versuchten, die ihnen <strong>zu</strong>gedachte begrenzte Welt <strong>zu</strong> verlassen, brauchten<br />

einen unerschütterlichen Willen, ein überdurchschnittliches Durchhaltevermögen <strong>und</strong><br />

einen ausgeprägten Mut [...], um ein <strong>Leben</strong> außerhalb der bürgerlich-patriarchalen<br />

Normen <strong>zu</strong> führen, um sich von den Fremd-Definitionen <strong>zu</strong> befreien <strong>und</strong> eine eigene<br />

Identität entwickeln <strong>zu</strong> können. 215<br />

<strong>Alma</strong> Schindler teilte jedoch die Zweifel an weiblicher Kreativität <strong>und</strong> hatte für<br />

ihre möglichen Vorbilder – Cécile Chaminade oder Anna Prasch <strong>zu</strong> wenig<br />

Bew<strong>und</strong>erung übrig, um selbst einen Weg gegen die bürgerlich-patriarchalen<br />

Normen ein<strong>zu</strong>schlagen.<br />

Tradierte Geschlechterrollen, von denen <strong>Alma</strong> Schindler sich nicht befreien konnte, ihr noch<br />

inkonstantes Selbstbild sowie ihr höchst schwankendes Selbstverständnis als schöpferische<br />

Frau standen in vollkommen labilem Gleichgewicht <strong>zu</strong>einander. 216<br />

<strong>Alma</strong> Schindler hatte die Geschlechterrollen soweit internalisiert, dass sie ihre<br />

persönlichen Versagensängste nicht von der <strong>zu</strong>gewiesenen Rollenidentität von<br />

Weiblichkeit <strong>zu</strong> trennen wusste. Obwohl sie in einem künstlerischen Milieu<br />

aufwuchs, war ihre Kreativität wenig über das für Mädchen übliche Maß gefördert<br />

214 GoR: 19. Dezember 1901, S. 106.<br />

215 Severit, Frauke: Wien um 1900 – eine Stadt im Widerstreit von Tradition <strong>und</strong> Moderne, in:<br />

dies. (Hrsg.): Das alles war ich. Politikerinnen, Künstlerinnen, Exzentikerinnen der Wiener<br />

Moderne, Wien usw. 1998, S.22.<br />

216 Rode-Breymann: S.110.<br />

67


worden. <strong>Mahler</strong>s Brief kam <strong>zu</strong> einem Zeitpunkt, an dem sie den Sprung in eine<br />

künstlerische Laufbahn <strong>zu</strong> wenig vor Augen hatte, als dass sie ernsthaft eine<br />

lukrative Eheschließung gegen das Dasein einer Komponistin hätte eintauschen<br />

können.<br />

Die aus heutiger Sicht so wenig nachvollziehbare Entscheidung bekommt im<br />

Kontext des gesellschaftlichen Umfeldes des Wien um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende <strong>und</strong><br />

unter Berücksichtigung von <strong>Alma</strong> Schindlers Charakterzügen <strong>zu</strong>sätzliche<br />

Dimensionen, die in den Autobiografien <strong>und</strong> Biografien keine Erwähnung fanden.<br />

Ob <strong>Alma</strong> Schindler tatsächlich von einem Tag auf den nächsten mit dem<br />

Komponieren aufhörte, ist nicht eindeutig <strong>zu</strong> beantworten.<br />

Rode-Breymann führt aus, dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> vermutlich 1960 in einem<br />

Radiointerview die Zweifel an der Geschichte des „Komponierverbots“ geschürt<br />

habe, indem sie berichtete, nach ihrer Heirat „nicht viel“ Zeit für ihre<br />

musikalischen Studien gehabt <strong>zu</strong> haben. 217<br />

Da der Unterricht bei Zemlinsky <strong>Mahler</strong>s Eifersucht nährte, fanden die St<strong>und</strong>en<br />

wahrscheinlich <strong>zu</strong>nächst ein Ende. Den eigenen Ausführungen in Mein <strong>Leben</strong><br />

<strong>zu</strong>folge war die erste Zeit der Ehe mit <strong>Mahler</strong> wegen des fehlenden eigenen<br />

Musikschaffens sehr schwer.<br />

Auch wenn der Unterricht bei Zemlinsky nicht mehr stattfand, wurde der Briefkontakt<br />

jedoch weiterhin aufrechterhalten.<br />

Rode-Breymann zitiert Briefstellen, die Hinweise auf einen Versuch <strong>Alma</strong><br />

<strong>Mahler</strong>s geben, Zemlinsky 1904 gegen Honorar für St<strong>und</strong>en <strong>zu</strong> engagieren. 218<br />

Zemlinsky habe das Geld <strong>zu</strong>rückgewiesen, da er für regelmäßige St<strong>und</strong>en nicht<br />

die Zeit gehabt habe, sei aber hin <strong>und</strong> wieder <strong>zu</strong>m Musizieren <strong>zu</strong> ihr gekommen.<br />

Zwischen Frühjahr 1904 <strong>und</strong> Dezember 1906 habe diese gemeinsame Musizierst<strong>und</strong>e<br />

gelegentlich stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Die Erwähnungen sind <strong>zu</strong> schemenhaft, um Mutmaßungen über die Inhalte dieser Musik- oder<br />

Musizierst<strong>und</strong>en an<strong>zu</strong>stellen: Kann sein, man plauschte nur, kann sein, man spielte Klavier,<br />

kann aber auch sein, man sah Kompositionen von Zemlinsky (<strong>und</strong> vielleicht von <strong>Alma</strong>?) an. 219<br />

Der eigenen Darstellung <strong>zu</strong>folge hat <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> ihre Kompositionen in einer<br />

Mappe stets bei sich geführt.<br />

217 Rode-Breymann: S.112.<br />

218 Rode-Breymann: S.129.<br />

219 Rode-Breymann: S.129.<br />

68


Der Sarg mit diesen Geschöpfen war eine Mappe, die ich immer im Frühjahr an den<br />

Sommerort <strong>und</strong> im Herbst wieder nach Wien mitgeschleppt hatte; ich war mit dieser Sache<br />

niemals fertig geworden. 220<br />

Rode-Breymann geht davon aus, dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> häufig in ihre alten<br />

Dokumente hineinsah. 221 Bei ihren Tagebüchern lasse sich dieses an den Überarbeitungen<br />

beweisen. Die eigene Darstellung <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s, stets eine<br />

verschlossene Mappe mit sich <strong>zu</strong> führen, ohne diese <strong>zu</strong> öffnen, sei wenig<br />

plausibel.<br />

Sicherlich sind die Ausführungen Rode-Breymanns nicht eindeutig <strong>zu</strong> beweisen.<br />

Indizien weisen aber darauf hin, dass die Darstellung in den Autobiografien <strong>und</strong><br />

Biografien, die mit großer Eindeutigkeit das Ende von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s<br />

Komponiertätigkeit deklarieren, nicht mehr zweifelsfrei übernommen werden<br />

kann.<br />

4.6. Die Kompositionen<br />

Nur wenige Kompositionen <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s sind heute erhalten<br />

<strong>und</strong> publiziert. Bei diesen Kompositionen handelt es sich ausnahmslos um<br />

Klavierlieder, so dass häufig der Eindruck entstanden ist, dass <strong>Alma</strong> Schindler-<br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> nur <strong>Werk</strong>e dieser Gattung komponiert habe, was die Tagebuch-<br />

Suiten jedoch widerlegen.<br />

Zugänglich sind heute die im Dezember 1910 bei der Wiener Universal Edition<br />

erschienenen 5 Lieder, die 1915 im gleichen Verlag veröffentlichten 4 Lieder <strong>und</strong><br />

die 1924 bei Josef Weinberger publizierten 5 Gesänge. Herta Blaukopf fasste<br />

diese vierzehn Lieder unter dem Titel Sämtliche Lieder <strong>zu</strong> einer Neuausgabe bei<br />

der Universal Edition <strong>zu</strong>sammen. 222<br />

Darüber hinaus existieren zwei unveröffentlichte Lieder im Besitz Susan M.<br />

Fillers. Eine Kopie der Abschrift Fillers befindet sich im Anhang der<br />

Magisterarbeit von Juliane Urban. 223 Ob weitere Kompositionen in Archiven oder<br />

in Privatbesitz erhalten geblieben sind, ist beim heutigen Stand der Forschung<br />

nicht <strong>zu</strong> beantworten.<br />

220 GME: S.207.<br />

221 Rode-Breymann: S.130.<br />

222 Die Ausgabe der Sämtlichen Lieder ist ohne Jahresangabe.<br />

223 Urban: S. A27-38. Die Handschriften befinden sich laut Urban im Besitz von Susan M. Filler in<br />

Chicago, die eine Kopie der internationalen Gustav <strong>Mahler</strong> Gesellschaft überlassen habe.<br />

69


4.6.1. Versuch der zeitlichen Einordnung<br />

Ausgehend von der Annahme, dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> nach ihrer Verheiratung mit<br />

dem Komponieren aufhörte, müssten sich die meisten der Lieder in die Zeit vor<br />

1902 einordnen lassen. Dieses ist anhand der Tagebuch-Suiten aber nur für vier<br />

der Lieder eindeutig möglich. Gesichert ist die Datierung nur für die Vertonung<br />

von Franz <strong>Werfel</strong>s Gedicht Der Erkennende, das <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> im Oktober 1915<br />

in der Monatszeitschrift Die weißen Blätter entdeckt hatte. 224 Die verbleibenden<br />

neun bzw. elf Lieder lassen sich nicht exakt datieren. 225<br />

Datiert Nicht eindeutig datierbar<br />

5 Lieder (1910 veröffentlicht)<br />

Nr.1 Die stille Nacht<br />

(Richard Dehmel)<br />

Nr.2. In meines Vaters Garten<br />

(Otto Erich Hartleben)<br />

Komponiert vor 2. November 1901)<br />

Nr.3 Laue Sommernacht<br />

(Otto Julius Bierbaum) 226<br />

Nr.4 Bei dir ist es traut<br />

(Rainer Maria Rilke)<br />

Nr.5 Ich wandle unter Blumen<br />

(Heinrich Heine)<br />

Komponiert am 7. Januar 1899<br />

4 Lieder (1915 veröffentlicht)<br />

Nr.1 Licht der Nacht<br />

(Otto Julius Bierbaum)<br />

Nr.2 Waldseligkeit<br />

(Richard Dehmel)<br />

Nr.3 Ansturm<br />

(Richard Dehmel)<br />

Nr.4 Erntelied<br />

(Gustav Falke)<br />

224 Mein <strong>Leben</strong>: S.69.<br />

225 Die Datierung der veröffentlichten Lieder ist übernommen aus: Rode-Breymann: S.132.<br />

226 Urban weist darauf hin, dass zwar die Druckausgabe der Lieder Falke als Autor von Laue<br />

Sommernacht anführt, das Gedicht aber Bierbaum unter dem Titel Gef<strong>und</strong>en <strong>zu</strong><strong>zu</strong>schreiben ist.<br />

Urban: S.33. Auch Rode-Breymann führt das Gedicht unter dem Namen Bierbaums an.<br />

70


5 Gesänge (1924 veröffentlicht)<br />

Nr.1 Hymne<br />

(Novalis)<br />

Nr.2 Ekstase<br />

(Otto Julius Bierbaum)<br />

Komponiert am 14. März 1901<br />

Nr.3 Der Erkennende<br />

(Franz <strong>Werfel</strong>)<br />

Komponiert im Oktober 1915<br />

Nr.4 Lobgesang<br />

(Richard Dehmel)<br />

Komponiert am 16. Juni 1900<br />

Nr.5 Hymne an die Nacht<br />

(Novalis)<br />

Unveröffentlichte Lieder<br />

Nr.1 Leise weht ein erstes Blühn von den Lindenbäumen<br />

(Rainer Maria Rilke)<br />

Nr.2 Kennst Du meine Nächte<br />

(Dichter unbekannt)<br />

Darüber hinaus lassen sich anhand <strong>Alma</strong> Schindlers literarischer Interessen Vermutungen<br />

über die Datierung einiger <strong>und</strong>atierter Lieder anstellen.<br />

So begeisterte sie sich im Juli 1901 für die Gedichte Otto Julius Bierbaums.<br />

Ein dicker Band Gedichte. Irrgarten der Liebe Bierbaum – die Gedichte – numeriertes<br />

Exemplar, Büttenpapier, Pergamenteinband, Goldschnitt – herrlich. 227<br />

Möglicherweise ist also im Zuge des Interesses für den Dichter nicht nur im März<br />

1901 Ekstase entstanden, sondern auch die beiden anderen Bierbaum-<br />

Vertonungen Laue Sommernacht <strong>und</strong> Licht der Nacht.<br />

Vielleicht ist das Erntelied auf ein Gedicht von Gustav Falke im gleichen Zusammenhang<br />

wie die Vertonung von Gib dich darein entstanden. Am 13. Juli<br />

1898 schrieb <strong>Alma</strong> Schindler neben einigen anderen Gedichten Gib dich darein in<br />

ihr Tagebuch 228 <strong>und</strong> eine Vertonung dieses Textes fertigte sie am 28. Dezember<br />

1898 an.<br />

Im Sommer 1898 schien sie sich besonders für die Lyrik Rainer Maria Rilkes <strong>zu</strong><br />

interessieren. Am 20. Juni 1898 schrieb sie Rilkes Liebesgedicht Lehnen im<br />

Abendgarten beide in ihr Tagebuch. Rode-Breymann vermutet, dass für <strong>Alma</strong><br />

Schindler in diesem Gedicht der Beginn der Verliebtheit <strong>zu</strong> Gustav Klimt ausge-<br />

227 Tagebuch-Suiten: 4. Juli 1901.<br />

228 Tagebuch-Suiten: 13.Juli 1898, vgl. Anm. 18, S.774.<br />

71


drückt sei. 229 Das Gedicht regte sie auch <strong>zu</strong>r Vertonung 230 <strong>und</strong> <strong>zu</strong> einer<br />

tschechisch klingenden, vermutlich kryptografischen Umset<strong>zu</strong>ng an, die sie am<br />

28. Juni 1898 in ihr Tagebuch schrieb.<br />

Auch am 16. Juni 1900 vertonte sie Gedichte von Rilke.<br />

Ziemlich viel componiert. 2 Gesänge. Texte von Richard Dehmel <strong>und</strong> Rainer Maria Rilke.<br />

Halb Lied, halb Sprache, halb Choral – eine ganz eigenthümliche Kunstgattung, die ich<br />

mir da <strong>zu</strong>sammen gearbeitet habe.<br />

Rilke interessierte sie noch einmal im August 1900.<br />

Ich wußte von Anfang an, dass ich es nur so machen werde. Es kam über mich. Text:<br />

Rainer Maria Rilke. 231<br />

Wann genau die Rilke-Vertonung Bei dir ist es traut entstanden ist, bleibt offen.<br />

Jedoch ist es gut möglich, dass <strong>Alma</strong> Schindler im Zusammenhang mit ihrem<br />

Interesses für den Dichter nicht nur die im Tagebuch erwähnten Kompositionen<br />

erarbeitete. Mit großer Wahrscheinlichkeit gehört Bei dir ist es traut also <strong>zu</strong> den<br />

frühen Kompositionen bis 1902.<br />

Bei den Dehmel-Vertonungen Die stille Stadt <strong>und</strong> Waldseligkeit ist die Einordnung<br />

weniger eindeutig vor<strong>zu</strong>nehmen. Zwar spielte sie ihr Lied Lobgesang auf<br />

einen Text von Richard Dehmel nach der Sommerpause am 25. September 1900<br />

Josef Labor vor <strong>und</strong> auch von einer oder mehreren Dehmel-Vertonungen war –<br />

wie zitiert – im Juni 1900 die Rede, weitere Einträge im Sinne eines verstärkten<br />

Interesses für den Dichter sind in den Tagebüchern jedoch nicht <strong>zu</strong> finden.<br />

Die Dehmel-Vertonung Ansturm zählen de la Grange, Weiß <strong>und</strong> Martner in Glück<br />

ohne Ruh‘ <strong>zu</strong> den Liedern, die nach der Wiederentdeckung von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s<br />

Liedern durch Gustav <strong>Mahler</strong> 1911 neu entstanden sind. Sie begründen ihre Einordnung<br />

damit, dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> den Text <strong>zu</strong> einer Liebeserklärung an Walter<br />

Gropius umgeformt habe, als sie 1910 eine Affäre mit ihm begonnen hatte. 232 Da<br />

das Gedicht aber nicht eindeutig auf Walter Gropius hinweist, ist die Umformung<br />

des Gedichtes meines Erachtens noch kein Beweis, die Datierung von Ansturm für<br />

1910 vor<strong>zu</strong>nehmen.<br />

Bei beiden Dehmel-Vertonungen Lobgesang <strong>und</strong> Ansturm handelt es sich um<br />

„eigentümliche Kunstgattungen halb Lied – halb Sprache“, von denen am 16. Juni<br />

1900 in den Tagebüchern die Rede ist. Von welchem der beiden Lieder <strong>Alma</strong><br />

229 Rode-Breymann: S.133/134.<br />

230 Tagebuch-Suiten: 26. Juni 1898.<br />

231 Tagebuch-Suiten: 5. August 1900.<br />

232 GoR: S.465.<br />

72


Schindler sprach, lässt sich nicht rekonstruieren. So lassen sich bei der Datierung<br />

der Dehmel-Lieder zwar Indizien <strong>zu</strong>sammentragen, von eindeutiger Einordnung<br />

kann jedoch nicht ausgegangen werden.<br />

Dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> um 1910 wieder komponierte, findet sich in einem Brief<br />

Gustav <strong>Mahler</strong>s an seine Schwiegermutter Anna Moll.<br />

Von Almscherl kann ich Dir diesmal das Allerschönste berichten. [...]. Fleißig ist sie <strong>und</strong><br />

hat ein paar neue reizende Lieder gemacht, die von einem großen Fortschritt zeugen. 233<br />

Welche Kompositionen <strong>zu</strong> den „reizenden Liedern“ gehörten, erschließt sich nicht<br />

aus dem Zusammenhang.<br />

Hypothetisch ist auch der Versuch einer Einordnung der Novalis-Gesänge. In<br />

einem unveröffentlichten, nicht datierten Brief Franz <strong>Werfel</strong>s, den er im Vorfeld<br />

der Veröffentlichung der 5 Gesänge an <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> schrieb, verdichten sich die<br />

Hinweise, dass die Novalis-Vertonungen vor 1924 entstanden sein könnten.<br />

Mein geliebtes Almerl, selbstverständlich musst Du Deine Lieder gleich dem Weinberger<br />

<strong>zu</strong>m Druck geben. Ich freue mich rasend auf die Korrekturen. Inhalt: 2 Novalishymnen,<br />

Erkennenden, Ekstase, <strong>und</strong> das fünfte mit dem Meer <strong>und</strong> der Liebe, dem wellenhaften<br />

Motiv. Anordnung: 3 Teile I. 1.) Ekstase, 2.) Tief wie das Meer oder ähnlich II. Der<br />

Erkennende III. 2 Hymnen des Novalis. Es wäre herrlich, wenn Du, während der<br />

Korrektur, noch ein oder das andere Lied schreiben (Novalis) oder ein älteres umarbeiten<br />

würdest, daß diese drei Teile ergänzt sind, aber es ist nicht nötig. Auch so wird das ein<br />

ausgezeichnetes, objektiv w<strong>und</strong>erschönes Heft. Das ganze nenne nicht „Lieder“ sondern<br />

„Gesänge“, weil Dir die pathetischere form [sic] viel mehr liegt. 234<br />

Ob die Novalis-Gesänge tatsächlich erst kurz vor der Veröffentlichung der 5<br />

Gesänge entstanden sind oder bereits vorher, ist nicht klar <strong>zu</strong> beantworten. Sicher<br />

ist nur, dass die Novalis-Gesänge nicht zwischen 1898 <strong>und</strong> 1902 entstanden sind,<br />

da der Dichter in den Tagebuch-Suiten keine Erwähnung findet.<br />

Der Versuch einer Datierung bei den publizierten Liedern ist also schwierig. Über<br />

diese erhalten gebliebenen Kompositionen hinaus finden sich in den Tagebuch-<br />

Suiten mehr oder weniger genaue Angaben <strong>zu</strong> 47 Einzelliedern <strong>und</strong> drei Liederzyklen,<br />

die im Folgenden tabellarisch aufgelistet werden. 235 Die mit Fragezeichen<br />

versehenen Einträge deuten auf fehlende Angaben hin.<br />

233 Brief vom Februar 1911, zitiert in: GoR: S.464.<br />

234 Zitiert nach: Rode-Breymann: S.135.<br />

235 Tabelle entnommen aus Rode-Breymann: S.137.<br />

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Datum Titel <strong>und</strong> Text Dichter<br />

02.02.1898 Wanderers Nachtlied Joh. W. v. Goethe<br />

17.03.1898 Gleich <strong>und</strong> gleich: Joh. W. v. Goethe<br />

Ein Blumenglöckchen<br />

vom Boden hervor<br />

11.05.1898 ? ?<br />

26.06.1898 Lehnten im Abendgarten beide Rainer Maria Rilke<br />

22.11.1898 ? ?<br />

30.11.1898 Wie es gieng: Am Kreuzweg<br />

stand ein Weißdornstrauch<br />

Wohlgemuth<br />

??.12.1898 ? ?<br />

20.12.1898 Die Frühlingsnacht: Wie die<br />

Blätter raunten<br />

M. Weyreuther<br />

28.12.1898 Gieb dich darein: Ich wollte das<br />

Reis ausreuten<br />

Gustav Falke<br />

05.01.1899 Nicht lange täuschte mich das<br />

Glück<br />

Heinrich Heine<br />

07.01.1899 Ich wandle unter Blumen <strong>und</strong><br />

blühe selber mit<br />

Heinrich Heine<br />

13.01.1899 ? ?<br />

??.01.1899 ? ?<br />

24.01.1899 ? Heinrich Heine<br />

24.01.1899 ? ?<br />

27.01.1899 ? ?<br />

03.02.1899 ? ?<br />

20.05.1899 Wiegenlied ?<br />

04.06.1899 Hinaus: Meine alte Heimat Otto Körner<br />

05.06.1899 ? ?<br />

12.06.1899 Nixe ?<br />

26.08.1899 Die Erinnerung ?<br />

15.09.1899 Einsamer Gang: Felder im Wind Leo Greiner<br />

17.09.1899 ? Leo Greiner<br />

??.09.1899 Tränenkinder Leo Greiner<br />

20.09.1899 Ich will den Sturm Leo Greiner<br />

??.??.1899 Qual ?<br />

??.??.1899 Der Morgen ?<br />

07.10.1899 Ich trat in jene Hallen Heinrich Heine<br />

74


13.10.1899 ? Henrik Ibsen<br />

??.12.1899 Aus meiner Erinnerung erblühen ?<br />

09.01.1900 Zyklus: Schilflieder Nikolaus Lenau<br />

21.01.1900 Stumme Liebe Nikolaus Lenau<br />

19.03.1900 Meine Nächte ?<br />

30.03.1900 Zyklus mit drei Liedern darunter:<br />

Und reden sie Dir jetzt von Schande<br />

?<br />

??.06.1900 ? ?<br />

16.06.1900 Lobgesang [?] 236 Richard Dehmel<br />

16.06.1900 ? Rainer Maria Rilke<br />

05.08.1900 Zyklus mit drei Liedern Nr.2 Rainer Maria Rilke<br />

??.??.1900 Engelsgesang ?<br />

21.10.1900 ? ?<br />

16.11.1900 ? Eduard Mörike<br />

??.11.1900 Abend ?<br />

??.11.1900 Unvermeidlich ?<br />

??.11.1900 Er ist´s (?) Eduard Mörike<br />

15.03.1901 ? ?<br />

15.03.1901 ? ?<br />

24.03.1901 Ekstase: Gott, deine Himmel<br />

sind mir aufgetan<br />

Otto Julius Bierbaum<br />

22.04.1901 ? ?<br />

??.??.1901 In meines Vaters Garten Otto Erich Hartleben<br />

Auch anhand dieser Auflistung bestätigt sich noch einmal die These, dass <strong>Alma</strong><br />

Schindler meistens mehrere Gedichte von einem Dichter hintereinander vertonte.<br />

Diese Beobachtung unterstützt die oben dargestellten Datierungsversuche. Da<br />

man nicht davon ausgehen kann, dass <strong>Alma</strong> Schindler akribischalle Kompositionen<br />

in ihrem Tagebuch eintrug, sind wahrscheinlich über die hier aufgelisteten<br />

Lieder hinaus in dem Zeitraum von 1898-1902 noch weitere entstanden.<br />

Weniger gut sind die Kompositionen in anderen Gattungen nach<strong>zu</strong>vollziehen, da<br />

sie nicht – wie die Lieder – mit Titeln versehen sind, sondern nur von Rondo,<br />

Adagio, Klavierstück oder Variation die Rede ist. In den Tagebüchern sind etwa<br />

236 Wie oben dargestellt, ist nicht eindeutig klar, ob es sich bei der Dehmel-Vertonung um<br />

Lobgesang handelt. Am 25. September 1900 spielte <strong>Alma</strong> Schindler jedoch das Lied Josef Labor<br />

vor.<br />

75


20 Klavierkompositionen genannt, von denen vermutlich viele fragmentarisch<br />

blieben. Davon sind Folgende anhand der Tagebücher nach<strong>zu</strong>weisen, wenn die<br />

Erwähnung auch nichts über den Ausarbeitungsgrad aussagt:<br />

Juni 1898: 5 Variationen über ein eigenes Thema<br />

November 1898: 2 Sonatensätze<br />

15. Dezember 1898: Klavierstück: Vom Küssen<br />

20. Mai 1899: Fantasia über Klimts Motto: „Aus meiner Einsamkeit komme ich.<br />

In meine Einsamkeit gehe ich, denn mir genügen mein eigenen Gedanken.“<br />

Juni 1899: 1. Satz einer Sonate<br />

Dezember 1899: Etude<br />

Mai 1900: Thema <strong>und</strong> Variationen<br />

Oktober 1900: Fuge<br />

November 1900: Novelette<br />

Invention<br />

Dezember 1900: Zehn Kontrapunktsätze<br />

September 1901: Rondo.<br />

Die Pläne <strong>Alma</strong> Schindlers sinfonische <strong>Werk</strong>e oder Kammermusik <strong>zu</strong> schreiben,<br />

scheiterten an den fehlenden Gr<strong>und</strong>lagen in Instrumentation, wie beispielsweise<br />

bei einem Klaviertrio.<br />

Gestern ein Trio mit Clavierbegleitung begonnen, doch muss ichs steh’n lassen, da ich mich in<br />

den Streichinstrumenten <strong>zu</strong> wenig auskenne <strong>und</strong> erst ein bischen daran studieren muss in<br />

Wien. 237<br />

In der Zeit vor einem der Kammermusikabende von Adele Radnitzky-Mandlick<br />

komponierte <strong>Alma</strong> Schindler im November <strong>und</strong> Dezember 1899 zwei<br />

Violinsonaten.<br />

Des Weiteren arbeitete sie auf Anraten Zemlinskys während des Sommers 1901<br />

an einem Chorsatz für gemischten Chor auf einen Text von Gustav Falke 238 <strong>und</strong><br />

am 31. Oktober 1901 begann sie mit einer Vertonung eines Goethe-Gedichtes für<br />

drei Solisten <strong>und</strong> Chor.<br />

Neben all diesen Gattungen schwebte es <strong>Alma</strong> Schindler immer wieder vor, eine<br />

Oper <strong>zu</strong> komponieren.<br />

237 Tagebuch-Suiten: 1. September 1899.<br />

238 Tagebuch-Suiten: 3. August 1901.<br />

76


Herr mein Gott, gieb mir Kraft, das <strong>zu</strong> vollbringen, wonach mein ganzes Innre verlanget –<br />

eine Oper – <strong>und</strong> Ver sacrum muss sie heißen. [...] Mein Traum wäre das! 239<br />

Im Sommer 1899 schien sich eine Möglichkeit da<strong>zu</strong> <strong>zu</strong> ergeben, als Max Burckhard<br />

sie fragte, ob sie einen seiner Texte <strong>zu</strong> einer Operette <strong>zu</strong> verarbeiten wolle.<br />

[Burckhard:] Ich will Ihnen offen sagen, Heuberger will den Text <strong>zu</strong> einer Operette oder<br />

Oper von mir. [...] Jedenfalls ist das eine ganz guter Stoff für eine Operette.<br />

Auf einmal sagte Burckhard <strong>zu</strong> mir: Wollen Sie es machen? Es wäre das ein Gr<strong>und</strong> für<br />

mich daran <strong>zu</strong> arbeiten.<br />

Ich freute mich riesig, denn ich habe das Gefühl, es müsste ja gehen. Jedenfalls erwies er<br />

mir viel Vertrauen damit. Leider habe ich wenig Operettengelüste. Mich ziehts <strong>zu</strong>r Oper.<br />

Mein seligster Augenblick wäre es, eine erste Oper mit Erfolg aufgeführt <strong>zu</strong> sehen. Ich<br />

lechze nach Ruhm <strong>und</strong> Erfolg. 240<br />

Ähnlich verhielt es sich mit einem musikdramatischen Plan Olbrichs im Juni<br />

1900.<br />

Er [Olbrich] sagte mir, dass er mir sein Drama schicken werde, <strong>und</strong> ich solle an den<br />

Stellen, so die Sprache aufhört, die Musik einfallen lassen. Bis <strong>zu</strong>m nächsten Frühjahr<br />

solls fertig sein – aber ohne Texteintheilungen etc. Er will es als erste im Darmstädter<br />

Theater aufführen lassen. Streng – verrückt. Ich werde das nicht <strong>zu</strong> seiner Zufriedenheit<br />

können. 241<br />

Auch wenn aus beiden Vorschlägen nichts geworden ist, zeugen sie von der Affinität<br />

<strong>Alma</strong> Schindlers <strong>zu</strong> dieser Gattung <strong>und</strong> von dem Vertrauen Burckhards <strong>und</strong><br />

Olbrichs in ihre kompositorischen Fähigkeiten. Konkrete Formen nahm schließlich<br />

der Opernversuch auf einen Text von Hugo von Hofmannsthal im Sommer<br />

1901 unter der Anleitung von Zemlinsky an, mit dem sie – wie bereits dargestellt<br />

– nicht auf Anhieb <strong>zu</strong>rechtkam.<br />

239 Tagebuch-Suiten: 6. Januar 1899.<br />

240 Tagebuch-Suiten: 18. Juli 1899.<br />

241 Tagebuch-Suiten: 3. Juni 1900.<br />

77


4.6.2. Die Lieder<br />

Von musikwissenschaftlicher Seite gibt es bis heute sehr wenige Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen<br />

mit den erhalten gebliebenen Liedern <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s.<br />

Die erste Beschäftigung mit einigen der Lieder findet sich bei Warren Storey<br />

Smith aus dem Jahr 1950. 242<br />

Anlässlich des 100. Geburtstags <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s erschien 1979 ein Artikel Robert<br />

Schollums in der Österreichischen Musikzeitschrift „nicht so sehr, um sie in dieser<br />

Funktion [als Komponistin] <strong>zu</strong> ‚entdecken‘, sondern um ihr Musikverständnis <strong>und</strong><br />

dessen Einfluß auf ihren Gatten richtig beurteilen <strong>zu</strong> können.“ 243 Weitere kurze<br />

Detailstudien der Lieder befinden sich bei Susan Filler, die sich offensichtlich (als<br />

Besitzerin der Autografen der beiden unveröffentlichten Lieder) musikwissenschaftlich<br />

besonders um die Kompositionen bemühte. 244 Die ausführlichste Beschäftigung<br />

findet sich in der Magisterarbeit Juliane Urbans (1994), die dort<br />

erstmals musikwissenschaftliche Analysen von allen Liedern anfertigt <strong>und</strong> den<br />

Forschungsstand bis <strong>zu</strong> jenem Zeitpunkt <strong>zu</strong>sammenfasst. Da ihr die frühen Tagebücher<br />

noch nicht <strong>zu</strong>r Verfügung standen, kommt sie besonders in Be<strong>zu</strong>g auf die<br />

Datierungsproblematik auf andere Ergebnisse als es unter Hin<strong>zu</strong>ziehung der<br />

Tagebuch-Suiten nun möglich ist.<br />

In diesem Teil der Arbeit geht es um zweierlei: Zum einen um die Charakteristik<br />

<strong>und</strong> die Tonsprache der Lieder im Zusammenhang mit eigenen Aussagen <strong>Alma</strong><br />

Schindlers aus den Tagebüchern, <strong>zu</strong>m anderen aber auch um die Bewertungen der<br />

Kompositionen, die die MusikwissenschaftlerInnen in ihre Analysen eingeflochten<br />

haben.<br />

Für ihre Lieder wählte <strong>Alma</strong> Schindler – mit Ausnahme der Gedichte Goethes,<br />

Heines <strong>und</strong> später Novalis‘ – ausschließlich zeitgenössische Texte. Die Dichter,<br />

242<br />

Der Artikel The songs of <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> befindet sich in der Zeitschrift Chord and Discord 2,<br />

1950, die während meiner Literaturrecherche jedoch nicht auffindbar war. Da es aber nur diese<br />

wenige Literatur über die Lieder gibt, sei der Artikel an dieser Stelle angeführt. Er wurde zitiert<br />

bei Urban <strong>und</strong> bibliografiert bei Susan Filler: Gustav and <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>. A guide to research, New<br />

York 1989.<br />

243<br />

Schollum, Robert: Die Lieder von <strong>Alma</strong> Maria Schindler-<strong>Mahler</strong>, in: Österreichische<br />

Musikzeitschrift 1979, S.544.<br />

244<br />

Filler, Susan M.: A composers wife as composer. The songs of <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>, in: Journal of<br />

Musicological Research, New York u.a. 1983, S.427-442.<br />

Filler, Susan M.: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>. Der Erkennende, in: Historical Anthology of Music by Women,<br />

Hrsg. James R. Briscoe, Bloomington 1987, S.245-247. Auch diese Studie war nicht auffindbar, ist<br />

aber in den Bibliografien aufgeführt.<br />

78


für die sich <strong>Alma</strong> Schindler in ihrer Jugendzeit interessierte, waren <strong>zu</strong> dem Zeitpunkt,<br />

<strong>zu</strong> dem ihre <strong>Werk</strong>e rezipiert <strong>und</strong> in Liedern vertont wurden, selbst noch<br />

jung. Die Dichtergeneration um Richard Dehmel (1863-1920), Rainer Maria Rilke<br />

(1863-1920), Otto Julius Bierbaum (1865-1910), Gustav Falke (1853-1916) <strong>und</strong><br />

Otto Erich Hartleben (1864-1905) gehörten der Darstellung Stefan Zweigs<br />

<strong>zu</strong>folge <strong>zu</strong> den bew<strong>und</strong>erten <strong>und</strong> in den Wiener Kaffeehäusern rezipierten<br />

Literaten der jungen Generation.<br />

‚Junge Leute entdecken sich ihre Dichter, weil sie sich sie entdecken wollen.‘<br />

Wir witterten in der Tat den Wind, noch ehe er über die Grenze kam, weil wir unablässig<br />

mit gespannten Nüstern lebten. Wir fanden das Neue, weil wir das Neue wollten, weil wir<br />

hungerten nach etwas, das uns <strong>und</strong> nur uns gehörte, – nicht der Welt unserer Väter,<br />

unserer Umwelt. Jugend besitzt wie gewisse Tiere einen ausgezeichneten Instinkt für<br />

Witterungsumschläge, <strong>und</strong> so spürte unsere Generation, ehe es unsere Lehrer <strong>und</strong> die<br />

Universitäten wußten, daß mit dem alten Jahrh<strong>und</strong>ert auch in den Kunstanschauungen<br />

etwas <strong>zu</strong> Ende ging. 245<br />

<strong>Alma</strong> Schindler bewegte sich als junge Frau nicht in den Wiener Kaffeehäusern –<br />

dieses Forum war nur Männern vorbehalten – sie hatte aber durch ihr<br />

künstlerisches Umfeld unmittelbaren Kontakt <strong>zu</strong> allen Ereignissen der Wiener<br />

Kulturszene.<br />

Juliane Urban macht darauf aufmerksam, dass die Texte der Lieder häufig<br />

wesentliche Abweichungen im Vergleich <strong>zu</strong> den Gesamtausgaben der Gedichte<br />

aufweisen. 246 Möglicherweise lassen sich diese Abweichungen aber dadurch<br />

erklären, dass <strong>Alma</strong> Schindler die jeweils ersten Ausgaben <strong>und</strong> vielleicht sogar<br />

handschriftliche Versionen der Gedichte vorgelegen haben. In den Tagebuch-<br />

Suiten ist über die Benut<strong>zu</strong>ng bestimmter Ausgaben jedoch nichts ausgesagt.<br />

Wie bereits im Kapitel über <strong>Alma</strong> Schindlers Literaturrezeption dargestellt wurde,<br />

diente ihr die Literatur nicht nur dem Zeitvertreib, sondern wurde <strong>zu</strong>m Objekt<br />

ihrer Identifikation.<br />

Filler vergleicht die Textauswahl <strong>Alma</strong> Schindlers mit der Gustav <strong>Mahler</strong>s mit<br />

dem Wissen, dass die meisten ihrer Lieder vor der Zeit (bis 1902) mit <strong>Mahler</strong><br />

entstanden.<br />

245 Zweig: S.43.<br />

246 Urban: S.7.<br />

247 Filler: S.429.<br />

Her choice of texts varied greatly from her husband’s also. They seem to have shared<br />

only one poet (Heine, to whom <strong>Mahler</strong> never returned after his student days) and they did<br />

not share any actual texts. 247<br />

79


Der Vergleich der Kompositionen von Gustav <strong>und</strong> <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> wird stets dadurch<br />

legitimiert, dass die beiden verheiratet waren. Ohne diese familiäre Verbindung<br />

läge dieser Vergleich nicht nahe, da <strong>zu</strong> unterschiedliche Kompositionsstile<br />

angewandt wurden. Indem trotz dieses Bewusstseins <strong>Alma</strong> Schindlers neben<br />

Gustav <strong>Mahler</strong>s Kompositionen gestellt werden, wird so getan, als hätte es doch<br />

Be<strong>zu</strong>gspunkte gegeben. Dabei interessiert die MusikwissenschaftlerInnen meist<br />

mehr der Einfluss <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s auf Gustav <strong>Mahler</strong>s Kompositionen als eine<br />

eigenständige Analyse ihrer Lieder.<br />

In den Tagebüchern finden sich mehrere Stellen, in denen <strong>Alma</strong> Schindler sich<br />

mit Gedichten ihrer jeweiligen <strong>Leben</strong>sphase entsprechend identifizierte.<br />

Beispielsweise vertonte sie am 15. September 1899 Leo Greiners Gedicht<br />

Einsamer Gang als ihre Schwester Gretl sich verlobt hatte, die Stiefschwester<br />

geboren war <strong>und</strong> sie sich in ihrer Familie daraufhin fremd <strong>und</strong> einsam fühlte.<br />

Die beiden erhalten gebliebenen Lieder Ich wandle unter Blumen (Heine) <strong>und</strong><br />

Ekstase (Bierbaum), deren Entstehung die Tagebücher am eindeutigsten <strong>und</strong><br />

detailliertesten dokumentieren, können darüber Auskunft geben, aus welcher momentanen<br />

<strong>Leben</strong>slage oder Stimmung heraus <strong>Alma</strong> Schindler sie komponierte <strong>und</strong><br />

wie sich das auf die Kompositionen niederschlug. Unter diesem Aspekt soll<br />

beispielhaft die Heine-Vertonung betrachtet werden.<br />

Ich wandle unter Blumen entstand am 7. Januar 1899. In dieser Zeit scheint sich<br />

<strong>Alma</strong> Schindler mit Heine-Gedichten beschäftigt <strong>zu</strong> haben, am 5. <strong>und</strong> 24. Januar<br />

1899 vertonte sie zwei weitere Texte des Dichters. Sie schwärmte währenddessen<br />

immer intensiver für Gustav Klimt, eine Verliebtheit, die im Sommer 1899 ihren<br />

Höhepunkt erreichte.<br />

Componierte eben in 5° ein kleines Liederl.<br />

Ich wandle unter Blumen<br />

<strong>und</strong> blühe selber mit.<br />

Ich wandle wie im Traume<br />

<strong>und</strong> wanke bei jedem Schritt.<br />

Oh halt mich fest, Geliebte,<br />

Vor Liebestrunkenheit<br />

Fall ich Dir sonst <strong>zu</strong> Füßen<br />

...<strong>und</strong> der Garten ist voller Leut!<br />

Obs gut ist, weiß ich nicht. Nur weiß ich, Liebesleidenschaft ist genug drin. Das ganze ist<br />

ein cromatischer [sic] Lauf! Verrückt ist’s – ob das dem Labor nicht einen geringen<br />

Schreck einjagen wird. 248<br />

248 Tagebuch-Suiten: 7. Januar 1899.<br />

80


Dieses kürzeste aller erhalten gebliebenen Lieder ist, wie <strong>Alma</strong> Schindler selbst<br />

schrieb, von Chromatik bestimmt. Die Singstimme durchschreitet chromatisch<br />

aufsteigend eine ganze Oktave von g‘ bis g‘‘. Bei „fall ich Dir sonst <strong>zu</strong> Füßen“<br />

(T.11/12) fällt das erreichte g‘‘ tonsymbolisch wieder auf den Ausgangston g‘<br />

<strong>zu</strong>rück. Der chromatische Aufstieg bleibt <strong>zu</strong>vor in T.7 bei „<strong>und</strong> schwanke bei<br />

jedem Schritt“ stehen <strong>und</strong> „schwankt“ wortausdeutend zwischen h‘ <strong>und</strong> a‘ hin <strong>und</strong><br />

her. 249<br />

Notenbeispiel T.7/8<br />

Notenbeispiel: T.11/12<br />

Die beiden Strophen des Liedes sind – trotz der strophenübergreifenden<br />

Chromatik – im Charakter <strong>und</strong> im Tempo sehr unterschiedlich komponiert. Die<br />

zweite Strophe folgt der ersten „träumenden“ im rasanten Tempo „Plötzlich sehr<br />

schnell“. Am Beispiel dieses Liedes lassen sich häufig benutzte Parameter <strong>Alma</strong><br />

Schindlers nachvollziehen. Der Effekt der Chromatik, der in die meisten Lieder<br />

<strong>Alma</strong> Schindlers Eingang gef<strong>und</strong>en hat, spielt laut Schollum zeitbedingt eine<br />

große Rolle. 250 Charakteristisch für ihre Komponierweise sind aber auch die<br />

raschen Stimmungswechsel, die sich in Tempi- <strong>und</strong> Taktwechseln <strong>und</strong> großer<br />

dynamischer Bandbreite vollziehen. Des Weiteren benutzt <strong>Alma</strong> Schindler mit<br />

Vorliebe musikalische Wortmalerei, wie z.B. hohe Töne bei Licht, Christ,<br />

Himmel <strong>und</strong> tiefe Töne bei Finsternis, Nacht, Dunkel.<br />

Schollum bewertet diese Klangornamentik in den Liedern als „typisch weiblich“,<br />

ein Ausdruck, der in der <strong>Werk</strong>betrachtung männlicher Komponisten sicherlich<br />

selten Eingang findet, auch wenn sich beispielsweise Berg in seinen frühen Lieder<br />

ähnlicher textausdeutender Klangmalerei bediente.<br />

Als typisch weiblich könnte man die vielen ausgezeichneten, aber nicht durchwegs auch<br />

sinnvoll ausgewerteten Ideen bezeichnen, die schon auf den kleinsten Textanstoß hin<br />

vorhanden sind. 251<br />

249<br />

Alle Notenbeispiel sind entnommen aus: Schindler-<strong>Mahler</strong>, <strong>Alma</strong> Maria: Sämtliche Lieder für<br />

mittlere Stimme <strong>und</strong> Klavier, Universal Edition 18016.<br />

250<br />

Schollum: S.549.<br />

251<br />

Schollum: S.548.<br />

81


Bei den meisten der Lieder handelt es sich um variierte Strophenlieder oder um<br />

durchkomponierte Lieder. Einfache Strophenlieder sind nicht <strong>zu</strong> finden.<br />

In <strong>Alma</strong> Schindlers Kompositionen finden sich verschiedenste Stile. Urban vermutet,<br />

dass dies in den vielen persönlichen Kontakten <strong>zu</strong> Komponisten <strong>und</strong><br />

Musikern sein Ursache hatte. 252<br />

Filler fasst ihren Eindruck der Lieder wie folgt <strong>zu</strong>sammen:<br />

<strong>Alma</strong>’s style was a mixture of the old and the new. She employed the huge chords,<br />

broken and solid, beloved of Brahms and Liszt; but in many cases her form shows<br />

astonishing compression and economy. While not as adventuresome as her fellow student,<br />

Arnold Schoenberg, she did venture into paths that <strong>Mahler</strong> did not try till near the end of<br />

his life. 253<br />

Bezüglich der Einschät<strong>zu</strong>ng der Modernität von <strong>Alma</strong> Schindlers Liedern gegenüber<br />

denen Schönbergs ist Schollum anderer Meinung.<br />

[<strong>Alma</strong>s Tonsprache] kommt naturgemäß von Zemlinsky <strong>und</strong> – über diesen – etwa von<br />

Wagner (harmonisch) <strong>und</strong> Brahms (formal). Ihr Ausgangspunkt ist also der gleiche wie<br />

der der Lieder op.1 von Schönberg, wobei sie von Anbeginn an ‚moderner‘ als der noch<br />

fast ganz ‚Brahmsische‘ Schönberg von op.1 <strong>und</strong> teilweise auch op.2 <strong>und</strong> 3 ist. Vergleicht<br />

man Zemlinskys Lieder mit denen seiner Schülerin 254 , so findet sich die gleiche tonal<br />

geb<strong>und</strong>ene, aber harmonisch doch oft stark irisierende Klangwelt: man merkt das Ringen<br />

um Überwindung der Tonalität. 255<br />

Tatsächlich lässt sich beispielsweise in dem Lied In meines Vaters Garten eine<br />

Art Wagnersche Leitmotivik finden. Dieses längste der 14 Lieder umfasst acht<br />

Strophen mit zwei immer wiederkehrenden Textzeilen, wobei die Worte „süßer<br />

Traum“ auf die immer gleiche Weise in Musik gesetzt wurden, während die<br />

Strophen durchkomponiert angelegt sind.<br />

Notenbsp. In meines Vaters Garten T.8-12.<br />

252 Urban: S.18.<br />

253 Filler: S.430.<br />

254 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass das Dehmel-Gedicht Ansturm von Lehrer <strong>und</strong><br />

Schülerin vertont wurde. Beide Lieder finden sich in: Rode-Breymann: S.115-117 (Zemlinsky)<br />

<strong>und</strong> S.123-125 (Schindler).<br />

255 Schollum: S.547/548.<br />

82


Harmonisch entfernt sich <strong>Alma</strong> Schindler nie ganz von der Tonalität. Schollum<br />

bezeichnet ihre harmonische Vorgehensweise als häufig „am Rande der<br />

Atonikalität“. 256<br />

<strong>Alma</strong>s melodische Begabung springt sofort ins Auge <strong>und</strong> macht die Lieder selbst dann noch<br />

sanglich, wenn, wie in den Liedern von 1901 – der 22jährigen also! – oft eine erstaunlich<br />

kühne <strong>und</strong> originelle Harmonik [...] die Singstimme in ihren Bann zieht. 257<br />

Als weitere Charakteristik vieler Lieder ist die weite Ausnut<strong>zu</strong>ng der Klaviatur <strong>zu</strong><br />

nennen. Arpeggien <strong>und</strong> weit angelegte Akkorde werden bevor<strong>zu</strong>gt <strong>zu</strong>r Textausdeutung<br />

gewählt.<br />

In der Dehmel-Vertonung Ansturm weitet sich mit der im Gedicht beschriebenen<br />

inneren „Aufruhr“ der Tonraum <strong>und</strong> die Notenwerte werden verkürzt. Arpeggien<br />

symbolisieren diese Aufgeregtheit.<br />

Notenbsp. Ansturm T. 19.<br />

Diese Vorliebe für orchestrales Effekte am Klavier lässt sich als einzige Möglichkeit<br />

<strong>Alma</strong> Schindlers verstehen, Klangräume <strong>zu</strong>mindest an diesem Instrument<br />

aus<strong>zu</strong>nutzen. Ihre ganze Gefühlswelt brauchte den Raum der gesamten Klaviatur.<br />

Selbst wenn <strong>Alma</strong> Schindler mit dem gleichen Eifer wie bei den Liedern<br />

Orchesterwerke geschrieben hätte, wären diese innerhalb der Möglichkeiten<br />

öffentlicher Privatheit, die <strong>Alma</strong> Schindler <strong>zu</strong>r Verfügung standen, wahrscheinlich<br />

nie <strong>zu</strong>r Aufführung gelangt.<br />

<strong>Alma</strong> Schindlers Vertonungen orientieren sich stets sehr am Text. In einigen<br />

Fällen, wie z.B. in Hymne an die Nacht (Novalis) sind Taktwechsel dem Redefluss<br />

des Textes angepasst.<br />

Der in den Tagebüchern dokumentierte Charakter<strong>zu</strong>g <strong>Alma</strong> Schindlers, zwischen<br />

extremen Gefühlen <strong>und</strong> <strong>Leben</strong>sauffassungen <strong>zu</strong> schwanken, findet sich auch in<br />

den Liedern wieder. Textausdeutende Effekte der Dynamik, des Klangs, des Text-<br />

256 Schollum: S.549.<br />

257 Schollum: S.548.<br />

83


flusses <strong>und</strong> der Harmonik sind zwar auch bei anderen Komponisten <strong>zu</strong> finden,<br />

sind aber bei <strong>Alma</strong> Schindler in besonderem Maße <strong>zu</strong> finden. Die Lieder sind<br />

Dokumente der Lehrzeit <strong>und</strong> der Adoleszenz im Sinne einer Suche nach musikalischer<br />

<strong>und</strong> persönlicher Identität, da sie so stark auf Texten beruhen, die <strong>Alma</strong><br />

Schindlers Stimmungen widerspiegelten. Gleichzeitig sind sie Dokumente der<br />

Jahrh<strong>und</strong>ertwende in Wien, denn sie vermitteln den Aufbruch von Tradition<br />

(Tonalität) <strong>zu</strong>r Moderne (Atonalität), einen Schritt, den <strong>Alma</strong> Schindler im Fall<br />

der fortgesetzten Kompositionstätigkeit wahrscheinlich mitvollzogen hätte, wie<br />

sich in ihren frühen <strong>Werk</strong>en bereits ankündigt.<br />

4.6.3. Aufführungen <strong>und</strong> Publikationen<br />

Wie bereits dargestellt, kamen <strong>Alma</strong> Schindlers Lieder <strong>und</strong> Klavierstücke verhältnismäßig<br />

oft im Fre<strong>und</strong>eskreis <strong>zu</strong>r Aufführung. In den Tagebüchern ist aber auch<br />

einmal von einem Vortrag im Salon ihres Zahnarztes die Rede, also bei einer Aufführung<br />

bei einem weniger nahestehenden Bekannten.<br />

Abends bei Robicsek [Zahnarzt].Es waren nur Bloch <strong>und</strong> Blau da. Blau nahm meine<br />

Lieder mit. Ich spielte meine Stücke, <strong>und</strong> man sagte allgemein, dass sie nicht wie von<br />

einer Frau componiert klängen. 258<br />

Die Wiener Gesellschaftsabende boten für junge talentierte Menschen ein Forum,<br />

eigene Kompositionen <strong>zu</strong>r Aufführung <strong>zu</strong> bringen. Dem Rahmen entsprechend<br />

kamen besonders Lieder, Klavierstücke <strong>und</strong> kammermusikalische <strong>Werk</strong>e dort <strong>zu</strong>r<br />

Aufführung. Kompositionen für größere Beset<strong>zu</strong>ngen konnten in Ermangelung<br />

von Platz <strong>und</strong> einer großen Anzahl von (Orchester-) MusikerInnen nicht gespielt<br />

werden.<br />

<strong>Einige</strong> Lieder <strong>Alma</strong> Schindlers gelangten auf Anstoß ihres Lehrers Labor bei<br />

einem Kammermusikabend von Adele Radnitzky-Mandlick am 2. Februar 1900<br />

<strong>zu</strong>r öffentlichen Aufführung. Dem Vortragsabend waren mehrere Proben vorausgegangen.<br />

Eine Schülerin – Fräulein Freistätt – war die Interpretin der Lieder. Sie<br />

hatte Unterricht bei einer ehemals erfolgreichen Sängerin der Wiener Hofoper <strong>und</strong><br />

der New Yorker Metropolitan Opera, die nun als Gesangspädagogin tätig war <strong>und</strong><br />

auch die Proben für den Abend begleitete.<br />

N.M. [nachmittags] bei der Marianne Brandt. Sie sang meine Lieder selbst mit einer<br />

verhältnismäßig unglaublich frischen Stimme <strong>und</strong> einem famosen Können. Sie gefiel mir<br />

258 Tagebuch-Suiten: 14. März 1898.<br />

84


ungemein. Alles was sie sagt, hat Hand <strong>und</strong> Fuß. Ich lernte viel von ihr. – Freystätt kam<br />

dann auch <strong>und</strong> sang meine Lieder schon recht gut. 259<br />

Trotz der ausführlichen Vorbereitung dieses Abends erwähnte <strong>Alma</strong> Schindler die<br />

öffentliche Aufführung ihrer Lieder dann recht kurz. Wie bereits dargestellt,<br />

erhielt sie an diesem Abend große Anerkennung von dem Klavierprofessor<br />

Epstein nach ihrem eigenen pianistischen Vortrag.<br />

Carl Moll schlug im Juni 1900 die Privatveröffentlichung von <strong>Alma</strong> Schindlers<br />

Liedern vor. Ihr selbst war die Idee nicht so recht.<br />

N.M. [nachmittags] hatte mir Carl [...] meine 3 Mai-Lieder gedruckt – Bürstenab<strong>zu</strong>g.<br />

Moser wird sie zeichnen. Die Idee ist sehr lieb von Carl, aber mir ist das Ganze nicht<br />

angenehm – ein bischen dilettantenhaft – <strong>und</strong> vielleicht ärgere ich mich später darüber. 260<br />

Wie <strong>Alma</strong> Schindler wollte auch Alban Berg die Lieder seiner Lehrzeit nie<br />

veröffentlichen. Seine frühen Lieder wurden schließlich nach seinem Tod publiziert.<br />

Die Reaktion <strong>Alma</strong> Schindlers ist ähnlich <strong>zu</strong>rückhaltend. Zemlinsky war<br />

gegen die Privatveröffentlichung, da das Druckmanuskript <strong>zu</strong> fehlerhaft war. In<br />

einem Brief vom 8. August 1900 schrieb er an <strong>Alma</strong> Schindler:<br />

Es sind in den 3 Liedern so unerhört viel Fehler, einerseits von Ihrem Manuskript<br />

herrührend, andererseits aber vom Drucker, durch unglaublichste Stellung der Noten<br />

übereinander, nie dagewesene Zeichen, daß mir der Kopf brummte. Ich sagte: werden<br />

selbst alle Fehler ausgebessert, so wird die Sache noch immer so schlecht u. unleserlich<br />

erscheinen, dass es besser ist ich gebe folgenden Rath: Wenn es irgend möglich ist, mit<br />

nicht grossem Verluste verb<strong>und</strong>en, dann machen Sie das Ganze rückgängig u. schreiben<br />

ein neues Manuskript (dieselben Lieder bitte!) u. bringen mir das vor Drucklegung u.<br />

lassen die Lieder bei Eberle machen. [...] Das hat ein Drucker gemacht, der nie im <strong>Leben</strong><br />

2 Zeilen Noten gesehen u. gedruckt hat. 261<br />

Öffentliche Konzerte erfolgten erst wieder nach vielen Jahren. In Wien waren vier<br />

der 5 Lieder nach ihrer Publikation durch Gustav <strong>Mahler</strong> (1910) bei einem<br />

Liederabend der Sängerin Thea Drill-Orridge am 11. Dezember 1910 uraufgeführt<br />

worden. Am Klavier begleitete Alexander Zemlinsky.<br />

Gustav <strong>Mahler</strong> veranlasste eine Aufführung von Laue Sommernacht in New York.<br />

Eigentlich hatte er gewollt, dass alle fünf Lieder bei dem Liederabend der<br />

Sängerin Frances Alda Gatti-Casazza am 3. März 1911 gesungen würden, die<br />

Änderung des Programms war aber <strong>zu</strong> kurzfristig. Laue Sommernacht war so<br />

erfolgreich, dass es wiederholt werden musste. 262<br />

In einem Brief an Anna Moll schilderte Gustav <strong>Mahler</strong> den künstlerischen Erfolg<br />

der Lieder in New York.<br />

259<br />

Tagebuch-Suiten: 29. Januar 1900.<br />

260<br />

Tagebuch-Suiten: 21. Juni 1900, vgl. auch Fußnote 8, S.810.<br />

261<br />

unveröffentlichter Brief zitiert nach: Rode-Breymann: S:141/142.<br />

262<br />

vgl. GoR: S.464<br />

85


Ihre Lieder machen Furore hier <strong>und</strong> werden demnächst von zwei verschiedenen<br />

Sängerinnen gesungen werden. 263<br />

In jüngster Zeit fanden die Lieder <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s <strong>zu</strong> einer<br />

Renaissance, die sie sich selbst wahrscheinlich nie erträumt hätte. Nachdem sie<br />

noch <strong>zu</strong> ihren Lebzeiten die Wiederentdeckung der <strong>Werk</strong>e Gustav <strong>Mahler</strong>s hatte<br />

verfolgen können, lässt sich seit dem Artikel über ihre Lieder aus dem Jahr 1979<br />

von Robert Schollum <strong>und</strong> der Gesamtausgabe der Lieder durch Herta Blaukopf<br />

eine erhöhtes Interesse beobachten. Seit Mitte der 80er Jahre wurden die Lieder<br />

erstmals eingespielt. Aber auch in den 90er Jahren entstanden noch einige Aufnahmen,<br />

sowie eine Orchestrierung von David <strong>und</strong> Colin <strong>und</strong> Matthews.<br />

5. Rezensionen<br />

Im Anschluss an die Publikation der Tagebuch-Suiten 1997, die im Übrigen auch<br />

in einer etwas gekürzten Fassung in englischer Sprache erschienen ist, wurde in<br />

wissenschaftlichen Zeitschriften, Wochenmagazinen, Tages- <strong>und</strong> Wochenzeitungen<br />

<strong>und</strong> in der Boulevardpresse im In- <strong>und</strong> Ausland der Inhalt des Buches zahlreich<br />

rezensiert, bekam also ein beachtliches Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit.<br />

Die Rezensionen liefern einen Querschnitt der öffentlichen Rezeption <strong>und</strong><br />

geben die Lesart für die Tagebuch-Suiten vor.<br />

Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit ist es interessant, ob im öffentlichen<br />

Bewusstsein die Publikation der Tagebuch-Suiten etwas an dem Bild <strong>und</strong> an<br />

der Sicht auf <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> verändert hat, oder ob aus dem Zusammenhang<br />

der Tagebücher tendenziös die Textstellen herausgenommen<br />

wurden, die das Bild einer Muse oder einer Femme fatale reproduzieren.<br />

Welche Schlagzeilen benutzen RedakteurInnen, um auf die Tagebücher aufmerksam<br />

<strong>zu</strong> machen? Welche Art von Artikeln werden bei den redaktionellen<br />

Sit<strong>zu</strong>ngen in die Kulturteile der Zeitungen <strong>und</strong> Magazine aufgenommen?<br />

Die früheste mir vorliegende Rezension vom 15. Oktober 1997 aus der<br />

Süddeutschen Zeitung 264 lobt die Edition der Tagebücher <strong>zu</strong>nächst als Dokumentation<br />

einer Persönlichkeit des Wiens der Jahrh<strong>und</strong>ertwende.<br />

263 GoR: Brief vom Februar 1911, S.464/465.<br />

264 Graf, Hansjörg: Lehrjahre einer Windsbraut, in: Beilage der Süddeutschen Zeitung 15.10.1997.<br />

86


Die Präsentation der ungekürzten Fassung dieser Notizen ermöglicht, was keine<br />

Biographie <strong>zu</strong> leisten vermag: die unvoreingenommene Betrachtung <strong>und</strong> Analyse eines<br />

widersprüchlichen Charakters.<br />

Diese „unvoreingenommene Analyse“ verfolgt der Autor Hansjörg Graf aber<br />

keineswegs konsequent. In dem Artikel ist die Kompositionstätigkeit <strong>Alma</strong><br />

Schindlers nicht von Interesse <strong>und</strong> in der zweiten Hälfte wird das<br />

„Liebeskarussel“ <strong>und</strong> das „riskantes Feld erotischer Parallelaktionen“<br />

beschrieben, auf das <strong>Alma</strong> Schindler sich gewagt habe.<br />

Vermutlich war der Spiegel 265 als eine der ersten Zeitschriften, in der die<br />

Tagebuch-Suiten rezensiert wurde, meinungsbildend für weitere Artikel anderer<br />

Zeitungen. <strong>Alma</strong> Schindlers <strong>Leben</strong> wird an der Seite berühmter Männer aus<br />

sexualisierender Perspektive kommentiert.<br />

Sie hat Kunstgenies betört wie keine andere vor oder nach ihr. Womit umgarnte sie die<br />

Kreativen? War sie Muse oder Megäre, Dummchen im Glück oder Dauer-<br />

Nymphomanin? 266<br />

Das Wiener Boulevardblatt Neue Kronenzeitung reiht in ihrem Artikel Tagebuchzitate<br />

aneinander, die stets einseitig die Liebesbeziehungen in den Vordergr<strong>und</strong><br />

stellen. 267 Diese Art von Collagetechnik suggeriert Authentizität der durch die<br />

Zitate gemachten Aussagen, verschweigt aber <strong>Aspekte</strong>, die über die Liebesbeziehungen<br />

hinaus den Tagebüchern <strong>zu</strong> entnehmen sind.<br />

Aber nicht nur die Boulevardzeitungen bedienen sich einseitiger<br />

Berichterstattung. Auch im Literaturteil der Zeit 268 beginnt der Autor damit, in der<br />

ersten Spalte der ausführlichen Rezension die intimsten <strong>und</strong> erotischsten Stellen<br />

der Tagebuch-Suiten <strong>zu</strong> zitieren. Im Folgenden ist von der musikalischen Tätigkeit<br />

<strong>Alma</strong> Schindlers die Rede, jedoch trifft der Autor abwertende Urteile über ihr<br />

Talent, ohne bei seiner Bewertung gesellschaftliche Bedingungen für die künstlerische<br />

Arbeit von Frauen <strong>zu</strong> berücksichtigen.<br />

Sie studiert, <strong>zu</strong>nächst ohne rechten Erfolg, den Kontrapunkt <strong>und</strong> die strenge Form. [...]<br />

Immerhin, Zemlinsky hätte ihre musikalische Passion wohl geduldet. [...] Die<br />

Äußerungen Zemlinskys lassen einen liebenswürdigen Dilettantismus vermuten. Hätte es<br />

sich anders verhalten, wäre es ihr leichter geworden, sich die Vorausset<strong>zu</strong>ngen der Komposition<br />

an<strong>zu</strong>eignen: Clara Schumann <strong>und</strong> Fanny Mendelssohn meisterten den Kontrapunkt.<br />

269<br />

265<br />

Saltzwedel, Johannes: „Weib möchte ich sein“, in: Der Spiegel 51/1997.<br />

266<br />

a.a.O.: S.220.<br />

267<br />

Die Neue Kronenzeitung veröffentlichte zwei Artikel. Der erste vom 3.1.1998 ist sehr kurz<br />

gehalten, während der zweite vom 1.-3.3.1998 aus den Tagebuchauszügen einen<br />

Fortset<strong>zu</strong>ngsroman konstruiert.<br />

268<br />

Harprecht, Klaus: Die Katze <strong>und</strong> die Genies, in: Die Zeit Nr.10, 26.2.1998.<br />

269 a.a.O.: S.50.<br />

87


Im Focus 270 hingegen finden sich keine Aussagen <strong>zu</strong>r Komponistin <strong>Alma</strong><br />

Schindler, so dass LeserInnen der Rezension ein musikalisches Talent nicht vorgestellt<br />

wird. Nach langen Ausführungen über <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s angebliche<br />

„Charakterlosigkeit“ <strong>und</strong> einer Aufzählung aller Künstler, die ihr „<strong>zu</strong>m Opfer<br />

gefallen“ seien, kommt der Autor <strong>zu</strong> einem Ergebnis, das das Komponierverbot<br />

betrifft.<br />

Tatsächlich hielt sie sich für begabter als <strong>Mahler</strong>, bis er ihr dann genervt das<br />

Komponieren schlichtweg verbot. 271<br />

Neben dem Zitieren von ausgewählten (erotischen) Intimitäten des Tagebuchs <strong>und</strong><br />

den abwertenden Urteilen über <strong>Alma</strong> Schindlers Kompositionstätigkeit wird in<br />

den Rezensionen häufig angeblicher Antisemitismus <strong>zu</strong>m Thema der ersten<br />

Spalten. In einem umfangreichen Artikel in The S<strong>und</strong>ay Times 272 findet der<br />

Musikwissenschaftler Bryan Appleyard 273 erstaunliche Vergleiche bei der<br />

Charakterisierung der Femme fatale.<br />

At time <strong>Alma</strong> so<strong>und</strong>s like Bridget Jones – man-hungry and out of control, waking up after<br />

one drinking spree with her white dress covered in vomit. Then there is a touch of Bart<br />

Simpson’s sister, Lisa – cultivated yet naively romantic about art and constantly yearning<br />

to be swept away to some higher plane. And, finally, there is whiff of Joseph Goebbels –<br />

Jew-hating and lost in pagan dream of Teutonic supremacy. She was a woman who<br />

absorbed her age. 274<br />

Trotz des musikwissenschaftlichen Hintergr<strong>und</strong>s des Autors bek<strong>und</strong>et die Rezension<br />

kein Interesse an der Komponistin <strong>und</strong> ihren Schaffensbedingungen. Im Vordergr<strong>und</strong><br />

steht ein weiteres Mal die Hervorhebung der Liebesaffären.<br />

Nur wenige Rezensionen verzichten auf die Aufzählung von Affären. In dem<br />

Artikel Renate Wagners im Wiener Journal 275 geht es um <strong>Alma</strong> Schindlers<br />

„Bildung <strong>und</strong> Erlebnisfähigkeit“, um ihre Kunst- <strong>und</strong> Musikverständnis <strong>und</strong> um<br />

eine Einordnung in den gesellschaftlichen Rahmen des Fin de Siècle.<br />

Als Tochter des großen Schindler bewegt <strong>Alma</strong> sich ganz selbstverständlich in den<br />

künstlerischen Kreisen Wiens, wo Maler, Musiker <strong>und</strong> Schriftsteller sich mit (teils)<br />

jüdischen Kapitalisten mischen. 276<br />

In einer Rezension aus dem BBC Music Magazine wird die Betrachtung auf die<br />

Bedingungen künstlerischer Arbeit <strong>Alma</strong> Schindlers ausgedehnt. Die gesellschaftlichen<br />

Vorausset<strong>zu</strong>ngen für weibliche Kreativität werden einbezogen.<br />

270<br />

Fuld, Werner: Bis die Zähne schmerzten, in: Focus 5.1.1998.<br />

271<br />

a.a.O.: S.80.<br />

272<br />

Appleyard, Bryan: Femme fatale, in: The S<strong>und</strong>ay Times Culture 25.10.1998.<br />

273<br />

Musikwissenschaftler in Oxford.<br />

274<br />

a.a.O.: S.2.<br />

275<br />

Wagner, Renate: Ein wahres „Nervengeschöpf“, in: Wiener Journal Feb.1998.<br />

276 a.a.O.: S.38.<br />

88


Sensual and artistic desires and frustration were all but inextricable for her: she despairs<br />

at the lack of rigorous intellectual training available to women; she agonises over her own<br />

lack of technique as a composer. 277<br />

Eine differenzierte Rezension findet sich in der musikwissenschaftlichen Zeitschrift<br />

Music and Letters. 278 Hier werden Rezeptionen der Tagebücher kritisiert,<br />

in denen behauptet werde, die Transkription habe keine neuen Informationen<br />

hervorgebracht.<br />

If we forget the rancour of the <strong>Mahler</strong>ians [...] and shelve the conventionally misogynist<br />

discourse in which <strong>Alma</strong>’s image has been constructed, even with her own later<br />

connivance, as a heartless and rather vulgar femme fatale, the person we meet as she<br />

attempts to construct herself is a lively, intelligent and clearly gifted young woman. 279<br />

Peter Franklin betrachtet die Tagebuch-Suiten als kulturhistorisches Dokument<br />

einer Komponistin, die mit ihrem künstlerischen Talent an die Grenzen der Geschlechterrollen<br />

geraten sei. Ihre Schwierigkeiten in der männlich dominierten<br />

Künstlerszene ordnet er in den Kontext der Wiener patriarchalischen bürgerlichen<br />

Gesellschaft ein (patriarchal bourgeois society).<br />

Die Zeitschrift Music and Letters ist als musikwissenschaftliche Zeitschrift jedoch<br />

nur einer schmalen musikinteressierten Leserschaft <strong>zu</strong>gänglich.<br />

Einer breiten Öffentlichkeit wurde in den Zeitungen <strong>und</strong> Magazinen die Reproduktion<br />

der alten patriarchalischen Muster verkauft. Das Bild der Femme fatale,<br />

wie auch das der Muse ist, in diesen Rezensionen weiterhin vorherrschend, <strong>und</strong> es<br />

besteht offensichtlich kein Interesse, aus den frühen Tagebücher die bisher<br />

unbekannten Informationen über <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> einer breiteren<br />

Öffentlichkeit <strong>zu</strong>gänglich <strong>zu</strong> machen. Auch die als seriös eingestuften Tageszeitungen<br />

<strong>und</strong> Wochenmagazine nutzen Berichte über die Intimsphäre einer jungen<br />

Frau, ihre Verhältnisse <strong>zu</strong> Künstlern <strong>und</strong> über ihre angeblichen antisemitischen<br />

Tendenzen, um ihre Auflagenzahlen <strong>zu</strong> stärken. Durch tendenziös ausgewählte<br />

Zitate wird das Bild <strong>Alma</strong> Schindlers als Muse auf der einen <strong>und</strong> Femme fatale<br />

auf der anderen Seite stetig reproduziert. In den gleichen Zeitungen <strong>und</strong> Magazinen<br />

werden an anderer Stelle frauenfeindliche Tendenzen angeprangert.<br />

Durch die Rezensionen der Tagebuch-Suiten bekam die Person <strong>Alma</strong> Schindler-<br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> eine hohes Maß an Aufmerksamkeit, die aber nicht <strong>zu</strong>r<br />

Dekonstruktion des bestehenden Bildes beigetragen hat.<br />

277<br />

Finch, Hilary: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>. Diaries 1898-1902, in: BBC Music Magazine, Dez.1998.<br />

278<br />

Franklin, Peter: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>. Diaries 1898-1902, in: Music and Letters, Vol.80 No.4,<br />

Nov.1999.<br />

279<br />

a.a.O.: S.650.<br />

89


6. Fazit<br />

Haben wir es nun mit einer vergessenen Komponistin <strong>zu</strong> tun? Kann man <strong>Alma</strong><br />

Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> überhaupt als Komponistin bezeichnen, wenn doch nur<br />

so wenige ihrer Kompositionen erhalten geblieben sind? Welche Aussagen lassen<br />

sich über sie als Komponistin <strong>und</strong> Person treffen?<br />

Geschichte, das wissen wir alle von politisch brisanten Themen deutscher Vergangenheit,<br />

ist nicht die Vergangenheit als solche, sondern das, was wir von ihr <strong>zu</strong> erfassen<br />

vermögen, was wir aus unserer Perspektive, unserem Erkenntnisinteresse daraus machen.<br />

Jede Zeit entwirft andere, der vergangenen Wirklichkeit mehr oder weniger nah<br />

kommende Bilder, die sich dann als geschichtliche „Tatsachen“ einnisten. 280<br />

Deutlich trifft dieses auf <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> <strong>zu</strong>. In ihren Autobiografien<br />

entwarf sie von sich ein Bild an der Seite berühmter Männer, das von ihrer<br />

frühen Tätigkeit als Komponistin nicht mehr viel übrig ließ. Bezüglich ihrer<br />

Kompositionstätigkeit hinterließ sie den Eindruck, nach der Heirat mit Gustav<br />

<strong>Mahler</strong> mehrere Jahre keine einzige Note mehr geschrieben <strong>zu</strong> haben.<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> konstruierte ihr <strong>Leben</strong> als Kunstwerk. In für Autobiografien<br />

von Frauen typischer Weise ließ sie dabei die Tätigkeit unbeleuchtet, mit der sie<br />

sich in jungen Jahren am meisten identifiziert hatte. In den Autobiografien ist ihre<br />

Rolle als Muse oder Femme fatale beschrieben, die als fiktiver Entwurf betrachtet<br />

werden muss. In diesem Selbstentwurf zeigt sich die Nicht-Identität, da das Komponieren<br />

als Identifikationsobjekt aus ihren Schilderungen herausfällt.<br />

Die Biografien der 1980er Jahre übernahmen unreflektiert die Darstellung der<br />

Autobiografien, nicht bedenkend, dass Autobiografien keine „Tatsachen“ widerspiegeln,<br />

sondern einen fiktiven Selbstentwurf darstellen. Die BiografInnen<br />

beschränkten sich einseitig auf die Reproduktion der aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

stammenden Weiblichkeitsbilder. Dabei ließen sie alle <strong>Aspekte</strong> außer Acht, die<br />

die Kompositionstätigkeit <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s näher beleuchtet hätten.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der Publikation der Tagebuch-Suiten im Jahr 1997 ist es heute möglich,<br />

das von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> in den Autobiografien entworfene Bild <strong>zu</strong> korrigieren<br />

bzw. <strong>zu</strong> ergänzen. Die Tagebuch-Suiten vermitteln eindrücklich die<br />

Atmosphäre der Wiener Jahrh<strong>und</strong>ertwende aus der subjektiven Sicht der jungen<br />

<strong>Alma</strong> Schindler. Sie sind ein kulturhistorisches Dokument ihre Jugend <strong>und</strong><br />

spiegeln die Wiener Sezession <strong>und</strong> die Salonkultur um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende<br />

wider. Anhand der Aufzeichnungen aus den Jahren 1898-1902 lässt sich<br />

280 Rode-Breymann: Der schwere Mut, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 1.12.1999, S.6.<br />

90


eobachten, wie sich <strong>Alma</strong> Schindlers Interesse von der Kunst auf die Musik<br />

verlagerte. Schon in jungen Jahren besaß sie souveräne pianistische Fähigkeiten<br />

<strong>und</strong> das Komponieren wurde immer mehr <strong>zu</strong>m Mittelpunkt ihres Engagements.<br />

Als sie 1900 mit dem Kompositionsstudium bei Alexander Zemlinsky begann,<br />

hatte sie einen in etwa vergleichbaren Stand erreicht wie Alban Berg <strong>zu</strong> Beginn<br />

seines Studiums bei Arnold Schönberg. Beide interessierten sich dem Zeitgeist<br />

entsprechend für Lyrik <strong>und</strong> vertonten ihre Stimmungen in Liedern. Gr<strong>und</strong>lage<br />

dieser Vertonungen waren fast ausschließlich Gedichte von zeitgenössischen<br />

Schriftstellern. Auch bezüglich ihrer Fortschritte gab es kaum Unterschiede.<br />

Denn daß wir alle längst <strong>zu</strong> schreiben oder <strong>zu</strong> dichten, <strong>zu</strong> musizieren oder <strong>zu</strong> rezitieren<br />

begonnen hatten, war selbstverständlich. [...] Jeder suchte in sich ein Talent <strong>und</strong> versuchte<br />

es <strong>zu</strong> entfalten. [...] Zwei oder drei waren ausgezeichnet ausgebildete Musiker, hatten sich<br />

aber nicht entschlossen, ob sie Komponisten, Virtuosen oder Dirigenten werden wollten.<br />

[...] [D]as Niveau, das wir mit siebzehn Jahren erreichten, [ging] weit über das<br />

Dilettantische hinaus. 281<br />

Auch <strong>Alma</strong> Schindler hatte „das Dilettantische“ mit jungen Jahren bereits überw<strong>und</strong>en.<br />

Der bei Zweig ausgedrückte selbstverständliche Weg <strong>zu</strong>r künstlerischen<br />

Professionalisierung war von <strong>Alma</strong> Schindler aber weniger leicht <strong>zu</strong> beschreiten,<br />

als es jungen Männern wie Stefan Zweig oder auch Alban Berg möglich war.<br />

Restriktive Bildungsvorstellungen machten es <strong>Alma</strong> Schindler schwer, über das<br />

für Mädchen übliche Maß hinaus <strong>zu</strong> musikalischen Kenntnissen <strong>und</strong> Fähigkeiten<br />

<strong>zu</strong> gelangen. Unterricht in Instrumentation wurde ihr verweigert, <strong>und</strong> als sie ein<br />

Klavierstudium bei Julius Epstein beginnen wollte, lehnten die Eltern ihr<br />

Anliegen ab. Aus ihrem künstlerischen Umfeld, wo sie die Möglichkeit hatte, im<br />

halb-öffentlichen Rahmen ihre Kompositionen <strong>zu</strong>r Aufführung <strong>zu</strong> bringen, bekam<br />

sie viel Lob <strong>und</strong> Ermutigung für ihre Tätigkeit. Aufgr<strong>und</strong> der dauernden Beeinträchtigungen<br />

ihrer künstlerischen Ambitionen <strong>und</strong> der geringen Aussicht, einen<br />

musikalischen Beruf <strong>zu</strong> ergreifen, traf sie schließlich eine zeittypische<br />

Entscheidung weiblicher Sozialisation: die eigene Profession <strong>zu</strong>gunsten der Ehe<br />

auf<strong>zu</strong>geben.<br />

Die Lieder sind als Dokumente ihrer Lehrzeit <strong>zu</strong> betrachten. In ihnen sind starke<br />

Stimmungsschwankungen mittels einer großen dynamischen Bandbreite, einem<br />

immensen Tonumfang <strong>und</strong> in textausdeutender Tonsymbolik ausgedrückt.<br />

Das Interesse für die Komponistin <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> ist jedoch auch<br />

von musikwissenschaftlicher Seite eher gering. Nur wenige Abhandlungen<br />

281 Zweig: S.50.<br />

91


eschäftigen sich mit den Liedern. Selten werden sie unabhängig von Gustav<br />

<strong>Mahler</strong>s Kompositionen betrachtet – ähnlich wie auch ihre Person immer in<br />

Beziehung <strong>zu</strong> anderen (Männern) gesetzt wird. Selbst die Herausgeber der<br />

Tagebuch-Suiten haben ein unterschiedliches Interesse an dieser Frau: Während<br />

Susanne Rode-Breymann in ihrem Buch über die Komponistin <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<br />

<strong>Werfel</strong> die Tagebücher in den Kontext der Wiener Gesellschaft stellt, beleuchtet<br />

Antony Beaumont die Bedingungen künstlerischer Arbeit nicht <strong>und</strong> kommt <strong>zu</strong><br />

folgendem Ergebnis:<br />

Aber schon die wenigen Notenbeispiele, die <strong>Alma</strong> in ihr Tagebuch einträgt, zeugen von<br />

mangelhaftem Gehör <strong>und</strong> gerade<strong>zu</strong> niederschmetternder Unkenntnis der<br />

musiktheoretischen Gr<strong>und</strong>sätze. Sie beschränkt sich auf Lieder <strong>und</strong> Klaviermusik; einmal<br />

aber möchte sie ein Klaviertrio komponieren, muß das Vorhaben jedoch aufgeben, weil<br />

sei nicht so recht weiß, wie man die Streichinstrumente behandelt. 282<br />

Die Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s Liedern zielt also<br />

häufig auf die Abwertung ihres künstlerischen Talents, da selten versucht wird,<br />

diese in den Gesamt<strong>zu</strong>sammenhang ihrer Entstehungsgeschichte ein<strong>zu</strong>ordnen.<br />

Wer die Lieder als „Kunstwerke“ einer erfahrenen Komponistin – nicht einer<br />

Kompositionsschülerin – betrachtet, kommt zwangsläufig <strong>zu</strong> einer negativen<br />

Bewertung ihres Talents.<br />

Das einseitige Bild <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s als Femme fatale oder Muse<br />

hat also da<strong>zu</strong> geführt hat, dass ihre Tätigkeit als Komponistin gar nicht erst in den<br />

Blickpunkt des (musikwissenschaftlichen) Erkenntnisinteresses gelangte.<br />

Indem sich die Printmedien – auch nach der Veröffentlichung der Tagebuch-<br />

Suiten – nur für die Sicht auf <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> als Femme fatale<br />

<strong>und</strong> als Muse interessieren, werden auch im „Fin de Siècle des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts“<br />

die Klischees von Weiblichkeit des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts reproduziert.<br />

Ob man <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> also als Komponistin betrachtet, hängt<br />

davon ab, welches Erkenntnisinteresse der Beschäftigung mit ihrer Person vorangeht.<br />

Die Mythenbildung erschwerte die Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit ihr als<br />

Komponistin. Die Publikation der frühen Tagebücher ermöglichen nun jedoch<br />

eine Annäherung an die Komponistin <strong>Alma</strong> Schindler-<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>.<br />

282 Tagebuch-Suiten: S.XIII. Entnommen aus der Einleitung der Tagebuch-Suiten, die als<br />

Briefwechsel verfasst ist. Brief Antony Beaumonts an Susanne Rode-Breymann vom 4.10.1994.<br />

92


7. Zeittafel<br />

Zur besseren Orientierung über <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s <strong>Leben</strong>sdaten sei an dieser<br />

Stelle eine Zeittafel angefügt. Dabei ist auffällig, dass <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s<br />

Tätigkeiten häufig nicht erwähnt sind, sondern nur die Ereignisse aus ihrem Umfeld,<br />

wie z.B. die Uraufführung von <strong>Mahler</strong>s Sinfonien. Da neben den Autobiografien<br />

<strong>und</strong> Biografien kaum Quellenmaterial existiert, in dem <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<br />

<strong>Werfel</strong>s <strong>Leben</strong> nicht ausschließlich an der Seite berühmter Männer dargestellt ist,<br />

entsteht bei der Konstruktion einer Zeittafel dieses etwas schiefe Bild.<br />

Die Zeittafel ist angelehnt an Karen Monsons Übersicht. 283 Die historischen<br />

Ereignisse, die Monson anfügt, sind hier weggelassen. Widersprüche zwischen<br />

Monsons Datierung <strong>und</strong> anderen Quellen sind kenntlich gemacht.<br />

1879 31.August: Geburt <strong>Alma</strong> Maria Schindlers als Tochter des<br />

Malers Emil Jakob Schindler <strong>und</strong> Anna von Bergen in Wien.<br />

1881 Geburt der Schwester Grete.<br />

1883 18.Mai: Geburt von Walter Gropius in Berlin.<br />

1884 Vater Emil Jakob Schindler erwirbt Gr<strong>und</strong>besitz in<br />

Plankenburg, wo die Familie Schindler die meiste Zeit des<br />

Jahres verbringt.<br />

1886 1. März: Geburt Oskar Kokoschkas.<br />

1890 10.September: Geburt Franz <strong>Werfel</strong>s in Prag.<br />

1892 9.August: Tod des Vaters Emil Jakob Schindler auf Sylt<br />

1894 Kurzzeitiger Besuch <strong>Alma</strong> Schindlers einer Schule.<br />

Seit 1895 Förderung der literarischen Interessen <strong>Alma</strong> Schindlers durch den<br />

Wiener Burgtheaterdirektor Max Burckhard.<br />

Kontrapunkt- <strong>und</strong> Kompositionsunterricht bei dem Organisten<br />

Josef Labor.<br />

1897 Mutter Anna Schindler heiratet in zweiter Ehe den Schüler ihres<br />

verstorbenen Mannes, Carl Moll.<br />

Gustav <strong>Mahler</strong> wird Direktor der Wiener Hofoper.<br />

Gründung der Wiener Sezession (Josef Hoffmann, Gustav Klimt,<br />

Carl Moll, Kolo Moser, Otto Wagner.)<br />

283 Monson: S.343-373.<br />

93


1898-1902 Tagebuch-Suiten.<br />

1898 Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> erste Verliebtheit <strong>zu</strong> Gustav Klimt.<br />

Um<strong>zu</strong>g der Familie Moll in die Wiener Theresianumgasse.<br />

1899 9.August: Geburt der Stiefschwester Maria Moll.<br />

1900 18.Oktober: Erste Kompositionsst<strong>und</strong>e bei Alexander Zem-<br />

linsky. 284<br />

Beziehung <strong>zu</strong> Alexander Zemlinsky.<br />

1901 Beendigung des Unterrichtsverhältnisses mit Josef Labor.<br />

Herbst: Um<strong>zu</strong>g der Familie Moll in den Bezirk Hohe Warte.<br />

25.November: Uraufführung von Gustav <strong>Mahler</strong>s 4. Sinfonie in<br />

München.<br />

November: Beginn der Beziehung <strong>zu</strong> Gustav <strong>Mahler</strong>.<br />

20.Dezember: Brief Gustav <strong>Mahler</strong>s mit dem „Kompositionsverbot“.<br />

23.Dezember: Verlobung mit Gustav <strong>Mahler</strong>.<br />

1902 9. März: Hochzeit <strong>Alma</strong> Schindlers mit Gustav <strong>Mahler</strong> in Wien.<br />

12.Juni: Uraufführung von <strong>Mahler</strong>s 3.Sinfonie in Krefeld.<br />

3.November: Geburt der Tochter Maria Anna.<br />

1904 15.Juni: Geburt der Tochter Anna Maria.<br />

18.Oktober: Uraufführung von <strong>Mahler</strong>s 5. Sinfonie in Köln unter<br />

eigener Leitung.<br />

1905 Uraufführung von <strong>Mahler</strong>s Kindertotenlieder in Wien.<br />

1906 27.Mai: Uraufführung von <strong>Mahler</strong>s 6. Sinfonie in Essen.<br />

1907 12.Juli: Tod der Tochter Maria Anna.<br />

Krise an der Wiener Hofoper – Gustav <strong>Mahler</strong> löst seinen Vertrag.<br />

1908 Gustav <strong>Mahler</strong> wird Dirigent an der New York Metropolitan<br />

Opera.<br />

19.September: Uraufführung von Gustav <strong>Mahler</strong>s 7. Sinfonie in<br />

Prag.<br />

Erneute Konzertsaison in New York – erstmals mit der gesamten<br />

Familie.<br />

1909 Februar: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> erleidet eine Fehlgeburt.<br />

284 Wie bereits angeführt, irrt sich Monson in der Datierung des ersten Unterrichts bei Alexander<br />

Zemlinsky. Die Datierung hier folgt den Tagebuch-Suiten.<br />

94


Herbst: Dritte Amerikareise der <strong>Mahler</strong>s.<br />

Gustav <strong>Mahler</strong> wird Chefdirigent der Philharmonic Society of New<br />

York.<br />

1910 April: Rückkehr nach Europa.<br />

Ab Ende Mai: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> <strong>zu</strong>r Kur in Tobelbad, wo sie Walter<br />

Gropius kennenlernt.<br />

Ehekrise: Gustav <strong>Mahler</strong> lässt sich von Sigm<strong>und</strong> Freud in Leyden/<br />

Holland beraten.<br />

12. September: Uraufführung von Gustav <strong>Mahler</strong>s 8. Sinfonie in<br />

München.<br />

Herbst: Gustav <strong>Mahler</strong> veranlasst die Veröffentlichung der 5 Lieder<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s bei der Universal Edition.<br />

Vierte Amerikareise.<br />

Familie <strong>Mahler</strong> erwirbt ein Haus in Breitenstein/ Semmering.<br />

1911 <strong>Mahler</strong> dirigiert sein letztes Konzert in New York.<br />

April: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> fährt mit ihrem todkranken Ehemann erst nach<br />

Paris danach nach Wien.<br />

18. Mai: Tod Gustav <strong>Mahler</strong>s.<br />

Beiset<strong>zu</strong>ng neben der Tochter Maria Anna.<br />

1912 Frühjahr: Beginn der engen Beziehung <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s <strong>zu</strong> Oskar<br />

Kokoschka.<br />

26.Juni: Uraufführung von <strong>Mahler</strong>s 9. Sinfonie durch Bruno Walter<br />

in Wien.<br />

Sommer: Fahrten nach Holland <strong>und</strong> in die Schweiz – mit Oskar<br />

Kokoschka.<br />

1913 Oskar Kokoschka versucht, <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> <strong>zu</strong> einer Eheschließung<br />

<strong>zu</strong> überreden, die sie ablehnt.<br />

August: Reise nach Tre Croci/ Dolomiten mit Kokoschka.<br />

95


1914 Beginn des Ersten Weltkrieges.<br />

Dezember: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> nimmt Briefkontakt <strong>zu</strong> Walter Gropius<br />

auf. 285<br />

Die Windsbraut, Gemälde von Oskar Kokoschka.<br />

1915 Januar: Walter Gropius im Feldlazarett.<br />

Kokoschka als Soldat bei der Kavallerie. Schwere Verw<strong>und</strong>ung.<br />

Frühjahr: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> bei Walter Gropius in Berlin.<br />

Mai: endgültiges Ende der Beziehung <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s <strong>zu</strong> Oskar<br />

Kokoschka.<br />

18. August: Hochzeit mit Walter Gropius, der aber weiterhin<br />

Kriegsdienst ab<strong>zu</strong>leisten hat.<br />

Oktober: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> entdeckt Franz <strong>Werfel</strong>s Gedicht Der<br />

Erkennende <strong>und</strong> komponiert ein Lied auf den Text.<br />

Veröffentlichung der 4 Lieder.<br />

1916 5. Oktober: Geburt der Tochter Manon Gropius.<br />

1917 Herbst: Bekanntschaft mit Franz <strong>Werfel</strong>.<br />

1918 Januar: Beginn der Beziehung mit Franz <strong>Werfel</strong>.<br />

Ende des Ersten Weltkrieges: Berufung Walter Gropius‘ nach<br />

Berlin.<br />

Juli: Vorzeitige Geburt des Sohnes Martin Carl Johannes. 286<br />

1919 Walter Gropius gründet das Bauhaus in Weimar.<br />

Frühjahr: Sohn Martin stirbt.<br />

März: Besuch <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-Gropius in Weimar bei Walter Gropius<br />

<strong>zu</strong>sammen mit der Tochter Manon.<br />

1920 Jahresanfang: Reise nach Italien mit Franz <strong>Werfel</strong> <strong>und</strong> Manon.<br />

Die Scheidung von Walter Gropius wird eingeleitet.<br />

15.Oktober: Uraufführung von Franz <strong>Werfel</strong>s Drama Der<br />

Spiegelmensch in Leipzig.<br />

285<br />

Giroud <strong>zu</strong>folge stand <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> seit dem Beginn der Affäre während der Kur in Tobelbad<br />

mit Walter Gropius in Briefkontakt<br />

Ihre Affäre sei erst 1912 <strong>zu</strong> Ende gewesen, der Briefkontakt sei geblieben. Giroud: S.133.<br />

Wahrscheinlich bezieht sich Giroud auf die Biografie Reginhald Isaacs: Walter Gropius. Bd.1,<br />

Berlin 1983/84.<br />

286<br />

Da noch keine Vaterschaftstests existierten, war <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-Gropius der Vater Martins nicht<br />

eindeutig klar. Mein <strong>Leben</strong>: S.115.<br />

96


1922 Erwerb eines Hauses in Venedig.<br />

1923 Abwechselndes Wohnen in Venedig <strong>und</strong> am Semmering,<br />

<strong>zu</strong>sammen mit Franz <strong>Werfel</strong>.<br />

1924 Reise mit Franz <strong>Werfel</strong> in den Nahen Osten.<br />

Publikation der Briefe <strong>Mahler</strong>s durch <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>.<br />

1925 Enge Fre<strong>und</strong>schaft mit Alban <strong>und</strong> Helene Berg.<br />

Veröffentlichung der 5 Gesänge.<br />

Uraufführung von Alban Bergs Oper Wozzeck. Alban Berg widmet<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> den Klavieraus<strong>zu</strong>g der Oper, da diese den Druck<br />

finanziell unterstützt hatte.<br />

1929 6. Juli: Hochzeit <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>s mit Franz <strong>Werfel</strong>.<br />

Hochzeitsreise in den Nahen Osten.<br />

1931 Um<strong>zu</strong>g in das neue Haus auf der Hohen Warte.<br />

1932 Hinwendung <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s <strong>zu</strong>m römischkatholischen<br />

Glauben, Fre<strong>und</strong>schaft <strong>zu</strong>m Theologieprofessor<br />

Johannes Hollnsteiner.<br />

1933 30. Januar: Machtergreifung Hitlers in Deutschland.<br />

Franz <strong>Werfel</strong>: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Roman.<br />

1934 April: Tochter Manon erkrankt in Venedig an Kinderlähmung<br />

1935 Ostern: Tod Manons.<br />

Alban Berg widmet der verstorbenen Manon sein Violinkonzert: Im<br />

Angedenken eines Engels.<br />

Herbst: Ehepaar <strong>Werfel</strong> in New York <strong>zu</strong>r Uraufführung von Franz<br />

<strong>Werfel</strong>s Weg der Verheißung.<br />

24. Dezember: Tod Alban Bergs.<br />

Verkauf des Hauses in Venedig.<br />

1936 Verkauf des Hauses auf der Hohen Warte.<br />

1938 <strong>Alma</strong> <strong>und</strong> Franz <strong>Werfel</strong> in Mailand. Er bleibt in Mailand während<br />

sie in Wien letzte Angelegenheiten regelt.<br />

Ab März: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> verlässt Wien, um ins Exil <strong>zu</strong><br />

gehen. Fahrt nach Prag, Budapest, Zagreb, Triest <strong>und</strong> Mailand, wo<br />

Franz <strong>Werfel</strong> wartet.<br />

Erste Exilniederlassung in Sanary-sur-Mer in Südfrankreich.<br />

Herzerkrankung Franz <strong>Werfel</strong>s.<br />

97


November: Tod der Mutter Anna Moll in Wien.<br />

1939 September: Beginn des Zweiten Weltkrieges.<br />

Jahresende: Aufenthalt in Paris.<br />

Um 1940 <strong>Alma</strong>s Schwester Gretl wird unter der Naziherrschaft in<br />

Deutschland ermordet.<br />

1940 Emigration der <strong>Werfel</strong>s mit Golo <strong>und</strong> Heinrich Mann über Frankreich,<br />

Spanien <strong>und</strong> Portugal in die USA.<br />

13. Oktober: Ankunft in New York.<br />

Herausgabe von: Gustav <strong>Mahler</strong>. Erinnerungen <strong>und</strong> Briefe in<br />

Amsterdam.<br />

1941 Franz <strong>Werfel</strong>: Das Lied der Bernadette, Roman.<br />

1942 Bekanntschaft der <strong>Werfel</strong>s mit Erich Maria Remarque.<br />

16. März: Tod Zemlinskys in Larchmont/ New York.<br />

September: Um<strong>zu</strong>g nach Beverly Hills.<br />

Fre<strong>und</strong>schaft der <strong>Werfel</strong>s mit Friedrich Torberg.<br />

1943 Kauf eines Sommerhauses in Santa Barbara.<br />

Franz <strong>Werfel</strong> erleidet mehrere Herzanfälle.<br />

23. Dezember: Premiere des Films: Das Lied der Bernadette.<br />

(wegen des schlechten Ges<strong>und</strong>heits<strong>zu</strong>standes Franz <strong>Werfel</strong>s<br />

können die <strong>Werfel</strong>s nicht dabei sein.)<br />

1944 Besserer Ges<strong>und</strong>heits<strong>zu</strong>stand Franz <strong>Werfel</strong>s. Arbeit an<br />

seinem Roman Der Stern der Ungeborenen.<br />

1945 Mai: Kriegsende<br />

17. August: Franz <strong>Werfel</strong> beendet den Roman Der Stern der<br />

Ungeborenen.<br />

26. August: Tod Franz <strong>Werfel</strong>s in Beverly Hills.<br />

1946 <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> erhält die amerikanische Staatsbürgerschaft.<br />

1947 Spätsommer: Europareise: Besuch in London bei Tochter Anna <strong>und</strong><br />

Enkelin Marina; Aufenthalt in Wien; Bemühungen, den eigenen<br />

Besitz <strong>zu</strong> sichern.<br />

1948 Jahresanfang: Besuch der Tochter Anna in Beverly Hills.<br />

1950 Tochter Anna <strong>und</strong> Enkelin Marina ziehen nach Beverly Glen.<br />

April: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> lässt <strong>Mahler</strong>s unvollendete 10.<br />

Sinfonie in Druck geben.<br />

98


1952 <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> zieht nach New York/ Manhattan.<br />

1953 Januar/ Februar: Rom-Aufenthalt.<br />

1954 Herbst: Rom-Aufenthalt.<br />

1958 <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s englischsprachige Autobiografie And the<br />

bridge is love erscheint.<br />

1959 Benjamin Britten widmet <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> das Nocturno für<br />

Tenor <strong>und</strong> kleines Orchester.<br />

1960 <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s Autobiografie Mein <strong>Leben</strong> erscheint.<br />

1964 31. August: Feier des 85. Geburtstages.<br />

11.Dezember: Tod <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>s aufgr<strong>und</strong> einer Lungenentzündung<br />

in New York. Sie wird neben Manon in Wien/<br />

Grinzing beigesetzt.<br />

99


9. Literaturverzeichnis *<br />

Primärliteratur<br />

<strong>Mahler</strong>, <strong>Alma</strong>: Gustav <strong>Mahler</strong>. Erinnerungen <strong>und</strong> Briefe (Amsterdam 1940), Frankfurt/ Main<br />

1991.<br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>, <strong>Alma</strong> (in Zusammenarbeit mit E.B. Ashton): And the Bridge is Love, New York<br />

1958.<br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>, <strong>Alma</strong>: Mein <strong>Leben</strong>, Frankfurt/ Main 1960.<br />

<strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>, <strong>Alma</strong>: Tagebuch-Suiten 1898-1902, hrsg. von Antony Beaumont, Susanne Rode-<br />

Breymann, Frankfurt/ Main 1997.<br />

Henry-Louis de La Grange, Günther Weiß (Hrsg.): Ein Glück ohne Ruh`. Die Briefe Gustav<br />

<strong>Mahler</strong>s an <strong>Alma</strong>, Berlin 1995.<br />

Biografien<br />

Giroud, Franςoise: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> oder die Kunst, geliebt <strong>zu</strong> werden (Paris 1988), aus dem<br />

Französischen übersetzt von Ursel Schäfer, Wien/ Darmstadt 1989.<br />

Monson, Karen: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>. Die unbezähmbare Muse (London 1983), aus dem<br />

Englischen übersetzt von Renate Zeschitz, München 1985.<br />

Wessling, Berndt W.: <strong>Alma</strong>. Gefährtin von Gustav <strong>Mahler</strong>, Oskar Kokoschka, Walter Gropius,<br />

Franz <strong>Werfel</strong>, Düsseldorf 1983.<br />

Sek<strong>und</strong>ärliteratur<br />

Anderson, Harriet: Vision <strong>und</strong> Leidenschaft. Die Frauenbewegung im Fin de Siècle Wiens (1992),<br />

übersetzt aus dem Englischen von Gertraud Fägler, Wien 1994.<br />

Berg, Erich Alban (Hrsg.): Alban Berg. <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> <strong>Werk</strong> in Daten <strong>und</strong> Bildern, Frankfurt/ Main<br />

1976.<br />

Biba, Otto (Hrsg.): Alexander Zemlinsky. Bin ich kein Wiener? Katalog <strong>zu</strong>r Ausstellung im Archiv<br />

der Gesellschaft der Musikfre<strong>und</strong>e Wien, Wien 1992.<br />

* In der Arbeit nicht zitierte Literatur diente <strong>zu</strong>r Annäherung an das Thema.


Blaukopf, Herta: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong> als Komponistin. Vorwort <strong>zu</strong>: Sämtliche Lieder von <strong>Alma</strong> Maria<br />

Schindler, Wien (UE 18016) o.J.<br />

Brusatti, Otto: Probleme mit <strong>Alma</strong>, in: ders.: Verklärte Nacht. Einübung in Jahrh<strong>und</strong>ertwenden, St.<br />

Pölten/ Wien 1998, S.129-151.<br />

Clayton, Alfred: Alexander Zemlinskys künstlerisch-pädagogische Beziehung <strong>zu</strong> seinen Schülern,<br />

in: Alexander Zemlinsky. Ästhetik, Stil <strong>und</strong> Umfeld, hrsg. von Hartmut Krones, Wien usw. 1995,<br />

S.301-313 (=Wiener Schriften <strong>zu</strong>r Stilk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Aufführungspraxis. Sonderband 1).<br />

Cohen, Aaron I.: International Encyclopydia of Women Composers. Zweite erweiterte <strong>und</strong><br />

revidierte Ausgabe, 2 Bde., New York 1987.<br />

Femme fatale, in: Brockhaus Enzyklopädie Bd. 7, Mannheim 1988, S.189.<br />

Filler, Susan M.: A composer´s wife as composer. The songs of <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>, in: Journal of<br />

Musicological Research, Hrsg. F. Joseph Smith, New York u.a.1983, Bd. 4, S.427-442.<br />

Filler, Susan M.: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>. Der Erkennende, in: Historical Anthology of Music by Women,<br />

Hrsg. James R. Briscoe, Bloomington 1987, S.245-247.<br />

Filler, Susan M.: Gustav and <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>, A guide to research, New York 1989.<br />

Finck, Almut: Autobiographisches Schreiben nach dem Ende der Autobiographie, hrsg. von<br />

Gerhard Neuman, Ina Schabert, (=Geschlechterdifferenz <strong>und</strong> Literatur, Publikationen des<br />

Münchner Graduiertenkollegs) Bd.9, Berlin 1999.<br />

Floros, Constantin: <strong>Alma</strong>. Der „Asket“ <strong>und</strong> die lebens<strong>zu</strong>gewandte Frau, in: ders.: Gustav <strong>Mahler</strong>.<br />

Visionär <strong>und</strong> Despot. Porträt einer Persönlichkeit, Zürich/ München 1998, S.131-144.<br />

Förner, Judith: Die Bedeutung der Adoleszenz im weiblichen <strong>Leben</strong>s<strong>zu</strong>sammenhang für die<br />

Ausbildung künstlerischer-musikalischer Produktivität, Wissenschaftliche Hausarbeit an der<br />

Hochschule der Künste Berlin 1995.<br />

Gallwitz, Klaus (Hrsg.): Oskar Kokoschka <strong>und</strong> <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>. Die Puppe. Epilog einer Passion,<br />

Frankfurt/ Main 1992.<br />

Goodman, Katherine R.: Weibliche Autobiographien, in: Frauen – Literatur – Geschichte, hrsg.<br />

von Hiltrud Gnüg, Renate Möhrmann, 2.Aufl. Stuttgart 1999.


Gruber, Clemens: <strong>Alma</strong> Maria <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>, in: Nicht nur Mozarts Rivalinnen. <strong>Leben</strong> <strong>und</strong><br />

Schaffen der 23 österreichischen Komponistinnen, Wien 1990, S.125-130.<br />

Heuser, Magdalene (Hrsg.): Autobiographien von Frauen. Beiträge <strong>zu</strong> ihrer Geschichte, Tübingen<br />

1996.<br />

Isaaks, Reginald R.: Walter Gropius. Der Mensch <strong>und</strong> sein <strong>Werk</strong>, Bd. 1, Berlin 1983/84.<br />

Jancik, Hans: Zemlinsky, in: Die Musik in Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart (MGG), hrsg. von Friedrich<br />

Blume, Kassel / Basel 1968/1989, Bd.14 , Sp. 1215-1216.<br />

Janik, Allan <strong>und</strong> Toulmin, Stephen: Wittgensteins Wien (1973), aus dem Amerikanischen übersetzt<br />

von Reinhard Merkel, München/ Wien 1984.<br />

Kolleritsch, Otto (Hrsg.): Alexander Zemlinsky. Traditionen im Umkreis der Wiener Schule.<br />

Studien <strong>zu</strong>r Wertungsforschung, Bd.7, Universal Edition für Institut für Wertungsforschung, Graz<br />

1976.<br />

Krämer, Ulrich: Alban Berg als Schüler Arnold Schönbergs. Quellenstudien <strong>und</strong> Analysen <strong>zu</strong>m<br />

Frühwerk, Wien 1996 (=Alban Berg Studien, Bd. 4).<br />

Krenek, Ernst: Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne, Hamburg 1998.<br />

La Grange, Henry-Louis de: Gustav <strong>Mahler</strong>, New York 1973/ Oxford 1995.<br />

La Mara (= Marie Lepsius): Musikalische Studienköpfe, Bd.5: Die Frauen im Tonleben der<br />

Gegenwart, Leipzig 1882.<br />

Mann, Thomas: Der Tod in Venedig, Frankfurt/ Main 1982.<br />

Mitchell, Donald: Einleitung <strong>zu</strong>: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>. Erinnerungen an Gustav <strong>Mahler</strong>. Gustav<br />

<strong>Mahler</strong>: Briefe an <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>, London 1968, Frankfurt/ Main/ Berlin/ Wien 1971.<br />

Olivier, Antje <strong>und</strong> Weingartz-Perschel, Karin: Komponistinnen von A-Z, Düsseldorf 1988.<br />

Perle, George: „Mein geliebtes Almschi...“ (Briefe von Alban <strong>und</strong> Helene Berg an <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>),<br />

in: Österreichische Musikzeitschrift 1980, S.2-15.<br />

Redlich, Hans Ferdinand: Gustav <strong>Mahler</strong>, in: Die Musik in Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart (MGG),<br />

hrsg. von Friedrich Blume, Kassel / Basel 1954/ 1989, Bd.8, Sp. 1490-1500.


Rieger, Eva: Frau <strong>und</strong> Musik, Frankfurt/ Main 1980.<br />

Rieger, Eva: Frau, Musik <strong>und</strong> Männerherrschaft. Zum Ausschluß der Frau aus der deutschen<br />

Musikpädagogik, Musikwissenschaft <strong>und</strong> Musikausübung, 2. Aufl. Kassel 1988.<br />

Rode-Breymann, Susanne: Die Komponistin <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>, hrsg. von Niedersächsische<br />

Staatstheater GmbH, Brigitta Weber, Hannover 1999, (=Prinzenstraße. Hannoversche Hefte <strong>zu</strong>r<br />

Theatergeschichte, Heft 10).<br />

Roster, Danielle: Allein mit meiner Musik. Komponistinnen in der europäischen Musikgeschichte,<br />

Echternach 1995 (darin: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-Schindler, S.182-197).<br />

Sabin, Stefana: Frauen am Klavier. Skizze einer Kulturgeschichte, Frankfurt/ Main 1998.<br />

Schickedanz, Hans-Joachim: Femme fatale. Ein Mythos wird entblättert, Dortm<strong>und</strong> 1983.<br />

Schnitzler, Arthur: Der Weg ins Freie, (Das erzählerische <strong>Werk</strong> Bd.4), Frankfurt/ Main 1961.<br />

Schollum, Robert: Die Lieder von <strong>Alma</strong> Maria Schindler-<strong>Mahler</strong>, in: Österreichische<br />

Musikzeitschrift 1979, S.544-551.<br />

Severit, Frauke: Wien um 1900 – eine Stadt im Widerstreit von Tradition <strong>und</strong> Moderne, in: dies.<br />

(Hrsg.): Das alles war ich. Politikerinnen, Künstlerinnen, Exzentikerinnen der Wiener Moderne,<br />

Wien usw. 1998, S.9-24.<br />

Smith, Warren Storey: The songs of <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>, in: Chord and Dischord 2, 1950, S.74-78.<br />

Sonntag, Brunhilde: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>, in: Annäherungen II – an sieben Komponistinnen. Interviews<br />

<strong>und</strong> Selbstdarstellungen, hrsg. von Brunhilde Sonntag <strong>und</strong> Renate Matthei, Kassel 1987, S.7-17.<br />

Spielmann, Heinz: Oskar Kokoschka. Die Fächer für <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>, Dortm<strong>und</strong> 1988.<br />

Steinbrecher, Sigrid: Die Vaterfalle. Die Macht der Väter über die Gefühle der Tochter, Hamburg<br />

1992.<br />

Stephan, Rudolf: Alexander Zemlinsky ein unbekannter Meister der Wiener Schule, in: Kieler<br />

Vorträge <strong>zu</strong>m Theater, Heft 4, Kiel 1978.<br />

Torberg, Friedrich: Liebste Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> <strong>Alma</strong>, Briefwechsel mit <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> nebst<br />

einigen Briefen an Franz <strong>Werfel</strong> ergänzt durch zwei Aufsätze Friedrich Torbergs im Anhang <strong>und</strong>


einem Vorwort von David Axmann (Hrsg. von David Axmann u. Marietta Torberg), Frankfurt/<br />

Main/ Berlin 1990.<br />

Urban, Juliane: Die Lieder von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> geb. Schindler, Magisterarbeit Freie<br />

Universität Berlin 1994.<br />

Weber, Horst: Alexander Zemlinsky. Eine Studie. Österreichische Komponisten des 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, Bd.23, Wien 1977.<br />

Weidinger, Alfred: Kokoschka <strong>und</strong> <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>. Dokumente einer leidenschaftlichen Begegnung,<br />

München/ New York 1996.<br />

Weininger, Otto: Geschlecht <strong>und</strong> Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung, München 1997<br />

[Reprint der 1. Aufl., Wien 1903].<br />

<strong>Werfel</strong>, Franz: Manon, in: Erzählungen aus zwei Welten, Bd. 3, hrsg. von Adolf D. Klarmann,<br />

Frankfurt/ Main 1954, S.392-399.<br />

Zelenka, Karl: Komponierende Frauen. Ihr <strong>Leben</strong>, ihre <strong>Werk</strong>e. Köln 1980.<br />

Zweig, Stefan: Die Welt von gestern. Frankfurt/ Main 1979.<br />

Ausgaben der Lieder<br />

Handschriften<br />

Die beiden Handschriften von Leise weht ein erste Blühn von den Lindenbäumen <strong>und</strong> Kennst Du<br />

meine Nächte? befinden sich nach Angaben von Juliane Urban (Urban: S.90) im Besitz von Susan<br />

M. Filler, Chicago, die eine Kopie der Internationalen Gustav <strong>Mahler</strong> Gesellschaft/ Wien<br />

überlassen hat. Eine Kopie dieser Handschriften befinden sich in: Urban, Juliane: Die Lieder von<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> – geb. Schindler, Magisterarbeit Freie Universität Berlin 1994.<br />

Drucke<br />

<strong>Mahler</strong>, <strong>Alma</strong>: Sieben Lieder für mittlere Stimme <strong>und</strong> Orchester, orchestriert von David & Colin<br />

Matthews (1995), Partitur, Universal Edition 19793.<br />

Schindler-<strong>Mahler</strong>, <strong>Alma</strong> Maria: Sämtliche Lieder für mittlere Stimme <strong>und</strong> Klavier, Universal<br />

Edition 18016.


Diskografie<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>: Vier Lieder. in: Lili Boulanger <strong>und</strong> <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>.<br />

Katherine Ciesinski (Mezzo-Sopran), Ted Taylor (Klavier) U.S.A. 1983.<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>: Sämtliche Lieder.<br />

Isabel Lippitz (Sopran), Barbara Heller (Klavier) cpo 1987.<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>, Gustav <strong>Mahler</strong>: Lieder.<br />

Hanna Schaer (Mezzo-Sopran), Franςoise Tillard (Piano), Darunter von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>: 5<br />

Lieder, Notre Dame de Liban 1990.<br />

Clara Schumann, Fanny Mendelssohn, <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>: Lieder.<br />

Christian Högman (Sopran), Roland Pöntinen (Piano) darunter von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong> Laue<br />

Sommernacht, Ich wandle unter Blumen aus den Fünf Liedern, Vier Lieder <strong>und</strong> Der Erkennende<br />

<strong>und</strong> Lobgesang aus den Fünf Gesängen, BIS 1995.<br />

<strong>Mahler</strong>, <strong>Mahler</strong> and friends. Songs by <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>, Gustav <strong>Mahler</strong>, Alexander Zemlinsky <strong>und</strong><br />

Hans Pfitzner<br />

Anne Gjevang (Alt), Einar Stehen-Nokleberg (Klavier) darunter von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>: Fünf<br />

Lieder, Victoria AS 1995.<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>: Complete Songs<br />

Ruth Ziesak (Sopran), Iris Vermillion (Mezzo-Sopran), Christian Elsner (Tenor), Cord Garben<br />

(Klavier), cpo 1997.<br />

Alexander Zemlinsky: Eine Florentinische Tragödie.<br />

<strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>: Lieder.<br />

Iris Vermillion (Mezzo-Sopran), Royal Concertgebouw Orchestra, Ltg. Riccardo Chailly<br />

Darunter von <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>: Die stille Stadt, Laue Sommernacht, Licht in der Nacht,<br />

Waldseligkeit, Bei dir ist es traut, Erntelied, Orchestriert von Colin & David Matthews, decca<br />

(Entartete Musik) 1997.<br />

Verfilmung<br />

Manker, Paulus (Drehbuch/ Regie): <strong>Alma</strong> – The movie, basierend auf einem Polydrama von<br />

Joshua Sobol, Nanook Film Wien 1998 (ausgestrahlt: arte 1998, ORF 1999).<br />

Wandel, Juliane (Drehbuch): Meine Sinnlichkeit ist grenzenlos (für arte produziert) 1997.


Rezensionen<br />

Annan, Gabriele: Not Sex, but Sexy, in: London review of books 10.12.1998.<br />

Appleyard, Bryan: Femme fatale, in: The S<strong>und</strong>ay Times Culture 25.10.1998.<br />

Finch, Hilary: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>. Diaries 1898-1902, in: BBC Music Magazine 12/1998.<br />

Fischer, Jens-Malte: Auf der Schaumkrone des Wiener Fin de Siècle, in: Neue Zürcher Zeitung<br />

21./22.6.1998.<br />

Franklin, Peter: <strong>Alma</strong> <strong>Mahler</strong>-<strong>Werfel</strong>. Diaries 1898-1092, in: Music and letters Vol. 80 No.4,<br />

Oxford 11/1999.<br />

Fuld, Werner: Bis die Zähne schmerzten, in: Focus 5.1.1998.<br />

Graf, Hansjörg: Lehrjahre einer Windsbraut, in: Beilage der Süddeutschen Zeitung Nr.237,<br />

15.10.1997.<br />

Harprecht, Klaus: Die Katze <strong>und</strong> die Genies, in: Die Zeit Nr.10, 26.2.1998.<br />

Harries, Susie: Groupies of genius, in: The Times Literary Supplement 20.11.1998.<br />

Harrison, Max: <strong>Alma</strong> and her men, in: Hampstead & Highgate Express 13.11.1998.<br />

Hensher, Philip: Getting off with the nearest genius, in: The Spectator 7.11.1998.<br />

Hillger, Andreas: Die Erziehung der Gefühle. Selbstzeugnisse der erfolgreichen Muse von 1908<br />

bis 1912 [sic], in: Mitteldeutsche Zeitung 3.2.1998.<br />

Jungheinrich, Hans-Klaus: Vollkommene Verführbarkeit, in: Frankfurter R<strong>und</strong>schau 28.2.1998.<br />

Klein, Erdmute: Entzifferung einer Muse, in: Rheinischer Merkur 13.2.1998.<br />

Macdonald, Marianne: Viennese whirl, in: The Observer Review 15.11.1998.<br />

Maddox, Brenda: She longed for rape, in: Literary Review, 12/1998.<br />

Neubauer, Simon: Selbstenthüllung einer Ungestümen, in: Weser Kurier Bremen, 8.1.1998.


Rode-Breymann, Susanne: Der schwere Mut, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung 1.12.1999.<br />

(bei diesem Artikel handelt es sich nicht um eine Rezension, sondern um die Buchankündigung<br />

ihrer Ausgabe in der Reihe Prinzenstraße (s.o.)).<br />

Saltzwedel, Johannes: „Weib möchte ich sein“, in: Der Spiegel 51/1997, 15.12.1997.<br />

Schnegdar, Karin: In schöner Reinschrift <strong>zu</strong> lesen..., in: Kronen Zeitung Wien 10.12.1997.<br />

Wagner, Renate: Ein wahres „Nervengeschöpf“, in: Wiener Journal, 2/1998.<br />

(Verf. unbekannt ):Musik, Liebe <strong>und</strong> Wien, in: Neue Kronen Zeitung (unabhängig) 3.1.1998.<br />

(Verf. unbekannt): <strong>Alma</strong> die Zauberfrau, in: Neue Kronen Zeitung (unabhängig), 1.-3.3.1998<br />

(=Tagebuchauszüge als Fortset<strong>zu</strong>ngsroman).

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