DER KAPITALISMUS IN DEN NIEDERLANDEN

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<strong>DER</strong> <strong>KAPITALISMUS</strong><br />

<strong>IN</strong> <strong>DEN</strong><br />

NIE<strong>DER</strong>LAN<strong>DEN</strong><br />

VON GENERALSTAATS ANWALT<br />

PROF. DR. R.VAN GENECHTEN<br />

<strong>DEN</strong> HAAG UND UNIVERS1TAT LEI<strong>DEN</strong><br />

LOBECK 1942<br />

REICHSKONTOR <strong>DER</strong> NORDISCHEN GESELLSCHAFT<br />

VERLAG CHARLES COLEMAN <strong>IN</strong> LOBECK


<strong>DER</strong> KAPITALISME<br />

<strong>IN</strong> <strong>DEN</strong><br />

NIE<strong>DER</strong>LAN<strong>DEN</strong><br />

V O N GENERALSTAATSANWALT<br />

PROF. DR. R. VAN GENECHTEN<br />

<strong>DEN</strong> HAAG LI N D UNIVERSITAT LEI<strong>DEN</strong><br />

LOBECK 1942<br />

HERAOSGEGEBEN VON <strong>DER</strong> NORDISCHEN GESELLSCHAFT<br />

VERLAG CHARLES COLEMAN <strong>IN</strong> LOBECK


ALLE RECHTE VORBEHALTEN<br />

COPYRIGHT 1942 BY CHARLES COLEMAN <strong>IN</strong> LOBECK<br />

DRUCK VON CHARLES COL EMAN, LOBECK


Das Wirtschaftsleben laIBt sich — wie alle anderen Formen des<br />

menschllchen Daseins — am besten aus der inneren Haltung der<br />

Menschen verstenen. Was die kapitalistische Gesellschaft vor allem<br />

kennzeichnet, ist eine gewisse Geisteseinstellung. Stets strebt der<br />

Mensen nach Wohlstand, d. h. er möchte besitzen, was zum taglichen<br />

Leben erforderlich ist. Es soll Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen<br />

und ihrer Befriedigung bestehen. Gerade der kapitalistisch eingestellte<br />

Mensch meint aber ein Gleichgewicht geschaffen zu haben, wenn er<br />

mit einer gewissen Anspannung ein gröBtmögliches Ergebnis erzielen<br />

kann. Er will keine Bedürfnisbeschrankung bei möglichst kleiner Anstrengung.<br />

Der kapitalistische Mensch kennt keine Grenzen in bezug<br />

auf seine Bedürfnisse. Ihre Erfüllung kann nur durch mangelnde<br />

Mittel begrenzt werden. Einzig und allein hieraus ist sein Drang nach<br />

allem Neuen zu erklaren. Nur um seine Bedürfnisse zu befriedigen,<br />

ist der kapitalistische Mensch imstande, das Wohl seiner Mitmenschen,<br />

die Geschlossenheit der Kultur und die in der Volksgemeinschaft geitenden<br />

Werte zu miBachten. Er fördert neue Erfindungen und beutet<br />

sie aus. Seine Ichsucht wird immer unersattlicher. Dadurch verlieren<br />

die Krafte an EinfluB, die den Menschen davon abhalten, nur berechnend<br />

materialistischen Strebungen nachzujagen, als da sind die Liebe<br />

zu den Sitten und Gebrauchen der Vorfahren, die Überlieferungen,<br />

die im Volke leben, die Verbundenheit mit der Familie, den Nachbarn,<br />

den Berufskameraden, und die Sinnbildlichkeit der heiligen Handlungen.<br />

Deshalb verscharft der Kapitalismus den Begriff des Privatbesitzes,<br />

belohnt Jeden Arbeitenden nur nach seiner Leistung, um<br />

seinen Arbeitswillen zu steigern, und neigt dazu, den Unternehmer<br />

innerhalb des Produktionsvorganges in den Vordergrund treten zu<br />

lassen und die einzelnen Produktionsvorgange und -teilnehmer so<br />

austauschbar wie möglich zu erhalten, um ihre bessere Verwertung<br />

jederzeit bestimmen zu können.<br />

Wir sehen diesen kapitalistischen Geist zuerst entstehen im 14.<br />

und 15. Jahrhundert, und zwar vor allem in den norditalienischen<br />

Stadten und in den südlichen Niederlanden. Es ist der Zweck dieser<br />

Untersuchung, darzulegen, welchen EinfluB der Kapitalismus auf die<br />

Lebenshaltung der Bewohner der Niederlande ausgeübt hat. Damals<br />

3


waren die Niederlande noch eine politische Einheit, so wie sie es<br />

bis heute auf dem Gebiete der Sprache geblieben sind. Auch nach<br />

der staatlichen Trennung der nördlichen und südlichen Provinzen<br />

ist die Sprachelnheit nicht das einzige Merkmal der Gemeinschaft<br />

zwischen der hollandischen und der fldmischen Bevölkerung. Ein bedeutender<br />

Teil ihrer Geschichte weist gleiche Begebenheiten auf. Auch<br />

in Zeiten verschiedener Staatsform haben sie Brauchbares voneinander<br />

übernommen. Trotzdem die Entwicklung des Kapitalismus in beiden<br />

Gebieten einen anderen Verlauf genommen hat, soll sie hier nacheinander,<br />

aber doch zusammenhangend behandelt werden, weil sie<br />

gerade auf die niederlandische Einheit einen verhangnisvollen EinfluB<br />

ausgeübt hat.<br />

Die kapitalistische Geis*eshaltung, die in den südlichen Niederlanden<br />

wohl ihre früheste Blüte erlebte, hat sich auf das Gesamtgebiet<br />

ausgewirkt. Ihr Ausgangs- und Schwerpunkt war das Zentrum des<br />

niederldndischen Raumes, das dichtbevölkerte Gebiet von Flandern<br />

und Brabant, wo zur burgundischen Zeit allein etwa 1% Millionen<br />

Menschen lebten, dazu 600000 im Fürstbistum Lüttich, wahrend alle<br />

anderen burgundischen Provinzen, soweit sie einen Bestandteil des<br />

heutigen Belgiens darstellen, zusammen auf nur etwa 600000 Einwohner<br />

geschatzt wurden. Die Bevölkerung der nördlichen Provinzen<br />

wird damals ungefahr 700000 betragen haben. Es ist bemerkenswert,<br />

daB durch Ursachen, die mit der Ausbreitung des kapitalistischen Gedankens<br />

in Zusammenhang stehen, dieser Schwerpunkt sich vom<br />

Zentrum aus nach dem Norden verlagerte. Die Auswanderung aus<br />

den südlichen Provinzen nach dem Norden in den Jahren des Aufstandes<br />

gegen Spanien und vor allem nach dem Fall von Antwerpen<br />

(1585) wird auf 80—100000 geschatzt; ein Bevölkerungszuwachs für<br />

den Norden von ungefahr 10%. Die Bevölkerung der Republik nimmt<br />

in dieser Zeit recht schnell zu. Sie wurde zu Anfang des 16. Jahrhunderts<br />

(1514) auf 880000 veranschlagt, davon 253000 im eigentlichen<br />

Holland, wahrend sie Ende des 18. Jahrhunderts 2,1 Millionen<br />

betragen haben wird, wovon 800000 auf Holland entfallen. Die südlichen<br />

Niederlande hatten zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine Bevölkerung<br />

von schatzungsweise 2' 2 Millionen. Die wallonischen Provinzen,<br />

die unter dem Aufstand viel weniger zu leiden hatten, haben<br />

dann die Flamen leicht eingeholt.<br />

Hatte sich im 17. und 18. Jahrhundert im Norden der Niederlande<br />

ein neuer Schwerpunkt gebildet, so entstand durch die Entwicklung<br />

des industriellen Kapitalismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein neuer<br />

Schwerpunkt im Süden, in Wallonien. Bei der Trennung von Belgien<br />

und den Niederlanden im Jahre 1831 betrug die belgische Bevölkerung<br />

ungefahr 3,8, die niederlandische 2,6 Millionen. Das 19. Jahrhundert<br />

brachte, wie in allen europaischen Landern, Bevölkerungszuwachs und<br />

4


-verschiebung. Aber in keinem der beiden Lönder hat die Verschiebung<br />

auf Kosten der beiden Staatszentren (der Provinzen Brabant in Belgien<br />

und Nord- und Südholland in den Niederlanden) stattgefunden, sondern<br />

sie erfolgte auf Kosten der anderen Provinzen. Stets waren die<br />

belgischen Provinzen dichter bevólkert als die nördlichen. Die Bevölkerungsdichte<br />

betrug in den Niederlanden 1930 247,5 auf den<br />

Quadratkilometer, in Belgien 275,9, aberdie Niederlande holen Belgien<br />

mit raschen Schriften ein. Die flamischen Provinzen haben im Augenblick<br />

die gröGte Bevölkerungsdichte, sie betragt durchschnittlich 314,9<br />

auf den Quadratkilometer. 1938 hatten die Niederlande 8,6 und Belgien<br />

8,3 Millionen Einwohner.<br />

Die erste Blüte des kapitalistischen Geistes in den südlichen Niederlanden<br />

zur burgundischen Zeit war zum groBen Teil das Werk von<br />

Fremden, von italienischen, portugiesischen und vor allem von jüdischen<br />

Handlern und Kaufleuten, die hier lediglich die Zustande für ihr Treiben<br />

reif fanden. Sie durchbrachen die Monopole, die die spatmittelalterliche<br />

Gesellschaftsordnung aufrecht erhielten, unter anderen das für<br />

die Textilindustrie so bedeutungsvolle Alaunmonopol und das Monopol<br />

der Einfuhr aus dem Oriënt, indem sie eigne Frachtfahrten einrichteten.<br />

Sie arbeiteten mit Schuldbriefen auf der Börse und sprengten damit das<br />

Monopol, das einige Patrizierfamilien bei der Finanzierung von Stadt<br />

und Obrigkeit genossen hatten. Das Monopol des stadtischen Gewerbes<br />

verdrangten sie durch die Gründung einer Idndlichen Industrie, das<br />

Monopol des Grundbesitzes in den Handen von Adel und Geistlichkeit<br />

brachen sie durch den Ankauf von Land und durch Neulandgewinnung<br />

mit Hilfe von Trockenlegungen. Dies wirtschaftliche Aufblühen konnte<br />

keinen Bestand haben, denn es war getragen von Menschen, bei denen<br />

wirtschaftliche Fantasie und Sucht nach dem Neuen alle kaufmannische<br />

Gediegenheit überwucherte. Ihr Ziel war im Grunde nur, in die<br />

herrschende feudale Gesellschaftsschicht einzudringen. Bei dieser Frühform<br />

des Kapitalismus war das Risiko im Wirtschaftsleben zu groB,<br />

und die meisten dieser Unternehmergeschlechter sind nach verhaltnismaBig<br />

kurzer Zeit untergegangen.<br />

Die Niederschlagung des Aufstandes gegen Spanien im Süden und<br />

die Auswanderung der vielen, die dem neuen wirtschaftlichen Denken<br />

wie der neuen Religion anhingen, verlegten das Zentrum des erwachenden<br />

Kapitalismus nach dem Norden. Hier wurde die frühkapitalistische<br />

Gesellschaftsordnung zu einem groBen Teil von diesen<br />

Auswanderern aufgebaut und verkörpert. Hier vermischte sich ihre<br />

Sucht nach Gewinn und nach dem Neuen mit der Bedachtsamkeit und<br />

Sparsamkeit der einheimischen Bevölkerung, deren Eigenschaften für<br />

den Bestand der kapitalistischen Gesellschaftsordnung unbedingt erforderlich<br />

waren. Durch die Einführung der Aktiengesellschaft wurde<br />

das Risiko auf die Einlagen beschrankt. So konnten groBe Gefahren,<br />

5


wie sie der Handel nach Ostindien mit sich brachte, getragen werden,<br />

ohne daB ein MiBerfolg gleich zu einem Zusammenbruch fuhren<br />

muBte. Durch das System der Patentierung, d. h. der Erteilung des<br />

gewerblichen Schutzrechtes, wurden neue Monopole auf breitester<br />

Grundlage geschaffen. Dieses Verfahren fand auch Anwendung auf<br />

die Amsterdamer Wechselbank.<br />

Die Führung innerhalb der Republik der Vereinigten Provinzen ist<br />

Menschen anvertraut, die von dem neuen Geist beseelt sind. Die Verantwortung<br />

tragt eine Gruppe von Seefahrern und Kaufleuten. Sie<br />

sind kühn und selbstandig, versessen auf Gewinn, dennoch von Hause<br />

aus sparsom, typisch hollandisch in ihrem Tun und Treiben. Land<br />

bedeutet für sie eine Bürde oder bestenfalls Lagerplatz fur Waren,<br />

die aus den nördlichen Landern oder aus Indien eingeführt werden.<br />

Die Niederlande sind stets ein ausgesprochenes Handelsland gewesen<br />

und geblieben. Dies zeigt sich nicht so sehr in der Anzahl der Menschen,<br />

die im Handel beschaftigt sind; ihre Zahl wird zu einem groBen Teil<br />

durch den Kleinhandel bestimmt. Aber man kann sagen, daB bis vor<br />

kurzer Zeit bei politischen Entscheidungen in den Niederlanden die<br />

Handelsinteressen ausschlaggebend waren.<br />

Auch das Bankwesen ist in den Niederlanden mehr auf Handel und<br />

Emissionswesen (das-in-den-Umlaufbringen von Wertpapieren) als auf<br />

Unterstützung der nationalen Industrie eingestellt. Deshalb ging man<br />

in den letzten Jahren, angeregt durch das belgische Beispiel, dazu<br />

über, besondere Industriebanken zu gründen.<br />

Die machtige Stellung des Handels in der Republik hat hier lange<br />

nicht in dem gleichen MaBe zu einer gröBeren industriellen Entwicklung<br />

geführt wie bei anderen Vólkern. GewiB, im Gebiet des Zaan,<br />

nördlich von Amsterdam, hat sich eine besondere Industrie entwickelt,<br />

die mit dem nordlandischen und dem ostindischen Handel enge Verbindung<br />

hatte. Diese Industrie, die lange Zeit hindurch die Eigenheit besaB,<br />

daB in ihr in einem AusmaB wie sonst nirgendwo Windmühlen benutzt<br />

wurden, bestand aus der Bearbeitung eingeführter Rohstoffe. Die<br />

Betriebe wurden mit dem Namen „Trafiken" bezeichnet; es waren<br />

Holzsagewerke, Türen- und Fensterfabriken, Reisschalereien, Kaffeebrennereien,<br />

Teemengereien und Farbmühlen, die auch noch heute<br />

dort anzutreffen sind. In den vergangenen Jahrzehnten haben Landwirtschaft<br />

und Viehzucht viele Erzeugnisse für die Ausfuhr geliefert,<br />

die erst bearbeitet werden muBten. So waren im Jahre 1930 17,7%<br />

der Industriearbeiter in den Niederlanden mit der Zubereitung von<br />

Nahrungs- und GenuBmitteln beschaftigt, wahrend dieser Prozentsatz<br />

in Belgien 1920 nur 5,3% betrug.<br />

Für eine industrielle Entwicklung gröBeren Stils hatte das wohlhabende<br />

Holland und seine nachste Umgebung einen viel zu hohen<br />

Lebensstand. Nur der Schiffsbau, der unmittelbar mit der Seefahrt in<br />

6


Verbindung steht, konnte sich entwickeln und ist bestehen geblieben<br />

trotz seiner Verlegung aus den Stddten an der Zuiderzee nach Süd-<br />

Holland, nach Dordrecht und Rotterdam. Aus Barendrecht und Umgebung<br />

stammen noch immer die Hafenbauer, die in der ganzen Welt<br />

geschatzt sind. lm Schiffsbau und in der Metallindustrie sind 1930 in<br />

den Niederlanden 19,21% der Industrie-Arbeiterschaft beschaftigt, in<br />

Belgien sind es 1920 17,88%. Zwischen diesen Sdtzen besteht kein<br />

groBer Unterschied. Gehen wir jedoch der Sache auf den Grund, so<br />

zeigen sich gröBere Abweichungen: die Halfte der Metallarbeiter in<br />

Belgien war in der Schwermetallindustrie tatig, mehr als ein Drittel<br />

in Maschinenfabriken. In den Niederlanden ist die Schwermetallindustrie<br />

sehr unbedeutend und beschaftigt nur 10% der Metallarbeiter<br />

in Maschinenfabriken. lm Gegensatz dazu belief sich die Anzahl der<br />

Arbeiterauf denSchiffswerften in Belgien auf 5000(1920), inden Niederlanden<br />

auf 37000 (1930).<br />

Der Handel der Republik hat ferner die industrielle Entwicklung<br />

durch das Manufakturwesen gefórdert, bei dem die Hdndler einmal<br />

als Lieferanten der Rohstoffe, ein andermal als Abnehmer der Fertigwaren<br />

auftraten. Gerade an Orten, die vom Mittelpunkt von Handel<br />

und Verkehr weit entfernt waren, entstanden Industrien: Schuhindustrie<br />

in der Langstraat, dem schmalen Landstrich westlich von 's Hertogenbosch,<br />

Wollindustrie in Tilburg, Textilindustrie zuerst in Amersfoort,<br />

spater in Twente, als dort die Verordnungen des Gildewesens zu streng<br />

geworden waren. In der Twente entstand eine Leinen- und spater<br />

eine Kattunindustrie, die dank der Absatzmöglichkeiten in Indien einen<br />

groBen Aufschwung nahm. Aber gerade in den letzten Jahren wurde<br />

ihre Zukunft durch den internationalen und besonders durch den<br />

japanischen Wettbewerb bedroht.<br />

Schon sehr früh ging die niederlandische Oberschicht darauf aus,<br />

die ganze Welt dem Wohlstande Westeuropas dienstbar zu machen.<br />

Die eigenartige Mischung von Kaufmannsgeist mit der Kühnheit des<br />

Seefahrers verleiht der Geschichte der Republik im 17. Jahrhundert<br />

ihren besonderen Reiz. Es zeigt sich jedoch, daB diese Verwegenheit,<br />

die eigentlich nicht gut zu einer Oberschicht paBt, die ihre Stellung<br />

fast nur durch ihre berechnende Findigkeit erworben hat, schnell verschwindet.<br />

Freilich hatte die Republik auch weiterhin tiichtige Seeleute,<br />

weil eben „Seeluft frel macht", und Herkunft und Verwandtschaftsbeziehungen<br />

für das Förtkommen wenig Bedeutung hatten. Aber<br />

die Regenten versuchen ihre Stellung im In- und Auslande eher durch<br />

Bestechung der Seerauber und durch allerhand geistreiche Vertrdge<br />

als durch militarische Macht und durch kraftvolle Verteidigung zu<br />

sichern. Diese Neigung verstarkt sich noch durch die Einwanderung<br />

der Juden und Hugenotten, die auf die geistige Haltung Hollands im<br />

18. Jahrhundert einen groBen EinfluB ausgeübt haben. Sie vertrauten<br />

7


ausschiieBlich ihrer Einsicht und Vernunft, was innen schon in Frankreich<br />

rum Verderben gereicht hatte. Diese Einstellung brachten sie<br />

nach dem Norden mit und verstarkten damit dort eine Anlage, die<br />

schon in hohem Mafje vorhanden war. Es ist bezeichnend, daB in<br />

den Jahren, in denen die Republik ihre groBen Kriege um die Seeherrschaft<br />

mit England führte, ein sehr groBer Teil der englischen<br />

Staatsschuld sich im Besitz niederldndischer Kaufleute befand, so daB<br />

es für sie fraglich war, ob ein Sieg Englands oder ihres eigenen Landes<br />

innen mehr Vorteil bringen würde.<br />

In den Niederlanden entstand eine Rentnergesinnung, die seitdem<br />

im Volke fest verwurzelt blieb. Der Hollander fand von nun an Wohlbehagen<br />

am erworbenen Reichtum, den er ungestört und ohne Gefahr<br />

genieBen will. Er ist der Unverdnderlichkeit der Gesellschaftsordnung<br />

zugefan, nur um der Ordnung willen, ohne selbst nachzuforschen,<br />

welches der Inhalt dieser Ordnung ist. Die Vorfahren hatten durch<br />

eigene Kühnheit und durch eigenen Weitblick Reichtümer gesammelt,<br />

die Nachfahren bemühten sich nur noch um ihre Erhaltung. Als Unternehmer<br />

traten sie in den Hintergrund, um das Risiko anderen zu<br />

überlassen. Da das Land reich war und viele reiche Familien dort<br />

lebten, gaben diese dem Gemeinschaftsleben die besondere Note. Die<br />

Lebensführung des begüterten Rentners wird auch von vielen erstrebt,<br />

denen die Mittel dazu fehlen. Ich glaube, daB die Sympathie des<br />

Hollanders für das gutsituierte französische Bürgertum auf diese<br />

geistige Übereinstimmung zurückzuführen ist. Insofern besteht eine<br />

gewisse Verwandtschaft zwischen Franzosen und Niederlandern und<br />

ein groBer Unterschied zwischen Belgiern und Niederlandern, der<br />

durch die kapitalistische Entwicklung entstanden ist, denn Flamen und<br />

Wallonen stehen den Erscheinungen des Kapitalismus und der Bourgoisie<br />

viel fremder und ablehnender gegenüber als Franzosen und<br />

Niederldnder.<br />

Keine Bevölkerungsgruppe kann sich auf die Dauer halten, die<br />

ihre eigenen Wohlstandsauffassungen zu ausschiieBlich vertritt. Darum<br />

muBte auch die Republik als GroBmacht untergehen. Obwohl es im<br />

ersten Augenblick schien, als ob sie die gröBte Kolonialmacht der Welt<br />

werden würde, machten die Charaktereigenschaften der führenden<br />

Schicht sie dazu ungeeignef.<br />

Die Auffassung, daB Reichtum und Machtstellung besser durch Berechnung<br />

und Schlauheit als durch regelmaBige Leistung und ausreichende<br />

VerteidigungsmaBnahmen erhalten bleiben könne, hat stets<br />

das persönliche Leben der hervorragenden Niederldnder und ihre<br />

gesamte Politik beherrscht. Man denke an die grolde Rolle, die die<br />

Amsterdamer Bórse im 17. und 18. Jahrhundert spielte, an die stets<br />

wiederkehrende Neigung, dem Handel einen spekulativen Charakter<br />

zu geben, z. B. beim Tulpenhandel, beim Handel mit Anteilen an<br />

8


Kolonialgesellschaften und sogar an Insein, die noch erst entdeckt<br />

werden sollten. Auch in der heutigen Zeit hat die Amsterdamer Börse<br />

den Hang zum Spekulieren, ja, man sagt, daB das Spekulieren mit<br />

Kredit auf Prolongation (wobei die gekauften Effekten als Pfand bleiben)<br />

nirgends so üblich ist wie in den Niederlanden. Dies scheint mehr oder<br />

weniger in Widerspruch zu den Charakterzügen zu stehen, die man<br />

dem Niederldnder gern zuschreibt: Vorsicht und Zurückhaltung. In<br />

der Tat besitzt er diese Eigenschaften in hervorragendem MaBe. Es<br />

ist jedoch falsch, anzunehmen, daB sie die Spekulationssucht ausschlieBen.<br />

Sie veranlassen nur, daB das kaufmdnnische Wagen und<br />

Wagen sorgfaltiger und den tatsachlichen Möglichkeiten besser entsprechend<br />

vorgenommen wird.<br />

Auch die bis zum Kriege an derSpitze stehenden Mdnner bewiesen<br />

diesen Sinn für kaufmannisches Berechnen und Spekulieren und regierten<br />

mit Zugestdndnissen anstatt mit wirklicher Macht und Staatsgewalt.<br />

Nur wenige Völker empfanden und empfinden, auch in ihrer führenden<br />

Schicht, eine so tiefe Abneigung gegen jede Bewaffnung, hegen solches<br />

MiBtrauen gegen jeden „Militarismus" und haben ein so starrköpfiges<br />

Vertrauen auf pazifistische Gedankengdnge wie das niederlandische<br />

Volk. Auch in der Innenpolitik kommen die gleichen Züge zum Ausdruck.<br />

Die Rechte, die die führende Schicht seit dem Ende des 19. Jahrhunderts<br />

dem Stadtproletariat in ganz Westeuropa einraumte, um es<br />

mit dem Kapitalismus zu versöhnen, sind in den Niederlanden gleitend<br />

und weitgehend verwirklicht worden.<br />

Eine weitere bezeichnende Tatsache ist, daB die niederlandische<br />

Oberschicht keine früher herrschende Gruppe zu bekdmpfen brauchte,<br />

um ihre Stellung in der aufkommenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung<br />

zu erobern. Als der Kapitalismus in den nördlichen Niederlanden<br />

entstand und dort in kurzer Zeit eine groBe Entwicklung durchmachte,<br />

befand sich die mittelalterliche Gesellschaftsordnung in einem<br />

Zustand des Verfalls. Der feudale Adel war gröBtenteils ausgestorben<br />

oder hatte sich in den Hoekschen und Kabeljauwschen Fehden selbst<br />

ausgerottet. Der Osten des Landes, wo er groBe Macht ausübte, trat<br />

bei der Neuordnung völlig in den Hintergrund. Das Zentrum des<br />

Landes verlagerte sich an die See. Um den EinfluB, den der Adel noch<br />

inne hatte, zu behalten, sah er sich gezwungen, sich mit den neuen<br />

Regentenfamilien zu vermischen.<br />

Dies drückt auch der gegenwartigen niederldndischen Gesellschaft<br />

den Stempel auf. GroBgrundbesitz bedeutet ihr nicht viel. Dagegen<br />

hat das stddtische Patriziat, das fast immer auf angesehene Kaufmannsgeschlechter<br />

zurückgeht, seine Vormachtstellung behalten. Das starke<br />

SelbstbewuBtsein, das die Mitglieder dieser Schicht besonders zur Zeit<br />

der Republik besaBen, als sie sich für die geeigneten Führer des Staates<br />

hielten, wurde noch verstdrkt durch das Herrschergefühl, das der<br />

9


Besitz des ausgedehnten Kolonialreiches in breiten Kreisen hatte entstehen<br />

lassen. Man verstehe mich recht, ich meine hiermit keineswegs<br />

die Neigung zum Unterdrücken, zur Anwendung von Gewalt; das<br />

liegt der führenden Gruppe fern, weil sie weiB, daB sie ihre Stellung<br />

nur halten kann, wenn sie den Lebensstand der anderen Schichten<br />

mit hebt. Man kann Einwendungen erheben gegen den spekulativen<br />

Charakter der niederldndischen Kolonialentwicklung, weil sie sich zu<br />

sehr auf die Erzeugung einzelner Produkte beschrankt hat, aber man<br />

wird zugeben müssen, daB die Hollander im Umgang mit den Eingeborenen<br />

und bei der Hebung des Wohlstandes in ihren Koloniën<br />

groBe kolonisatorische Fdhigkeiten bewiesen haben, die nicht hinter<br />

denen anderer Völker zurückstehen. Sie wuBten, wie man Herrschaft<br />

ausübt, sie verstanden aber auch, ihren Führungsanspruch zu pflegen<br />

und weiterzugeben.<br />

Wahrend in den meisten Ldndern die aufstrebende kapitalistische<br />

Oberschicht im Kampf gegen die Machte, die sie auf die Seite schieben<br />

muBte, oft andere Bevölkerungsschichten zu Hilfe rief, ist dies in den<br />

Niederlanden nur wenig der Fall gewesen. lm Gegenteil, dadurch,<br />

daB die groBe Mehrzahl der Niederldnder vorldufig der alten Religion<br />

treu blieb — nur eine kleine Minderheit war kalvinistisch — muBte<br />

diese führende Minderheit sich vom Volke abwenden; auf diese Weise<br />

konnte sie sich gut abschlieBen. Das StandesbewuBtsein ist deshalb<br />

auch im Norden stdrker als im Süden ausgebildet, und jeder, der die<br />

Möglichkeit sieht, Mitglied der leitenden Schicht zu werden, nlmmt<br />

ihre Formen mit verblüffender Schnelligkeit an.<br />

II<br />

Wir müssen nun nachforschen, auf welche Weise die Wohlstandsauffassung<br />

der führenden Schicht sich ausgebreitet hat. Es Ist eine der<br />

wichtigsten soziologischen Erscheinungen, daB die Wohlstandsldeale<br />

der herrschenden Gruppe stets weitere Kreise der Bevölkerung durchdringen.<br />

Der Kapitalismus zog das Volk in seinen Bann. Der Gedanke<br />

setzt sich durch, mit einer begrenzten Anstrengung eine groBtmögliche<br />

Bedarfsbefriedigung zu erzielen, Rohstoffe und menschliche<br />

Arbeitskraft lediglich als Mittel solcher Bedarfsbefriedigung anzusehen.<br />

Die Bevölkerung der nördlichen Provinzen, besonders der, die<br />

sich unmittelbar an Holland anschlieBen, hat sich leicht in diese Einstellung<br />

eingelebt. Dort sind alle Teile des Volkes Rationalisierungsbestrebungen<br />

zugdngig. In einem geringeren MaBe gilt dies fur die<br />

Provinzen Friesland, Drenthe und Overijssel, die ihren Uberlieferungen<br />

treuer blieben.<br />

Will man der Einwirkung der kapitalistischen Geisteshaltung aut<br />

den niederldndischen Volkscharakter nachgehen, so muB man vor<br />

10


allem beachten, daB der Bliek des Hollanders auf die See hin gerichtet<br />

ist. Diese Uranlage ist mit dem niederldndischen Menschen unlösbar<br />

verbunden. LöBt man sie auBer Acht, so kann man diesen Menschenschlag<br />

weder in seiner GröBe noch in seiner Schwache verstehen.<br />

Was erfüllt das Leben des Seemannes? Es gipfelt völlig in der Kunst,<br />

mit kleinen Mitteln, zlelbewuBt und klug, die groBen Naturkrdfte,<br />

die, wenn man sie nicht zu gebrauchen weiB, den Menschen vernichten,<br />

den eigenen Zielen dienstbar zu machen. Wind und Wasser, die<br />

Krdfte des Ozeans, muB er zu meistern wissen. Das holldndische Volk<br />

ist in allen jenen Dingen groB, bei denen mit kleinen Mitteln durch<br />

kluge und zielbewuBte Überlegung groBe Ergebnisse erreicht werden<br />

können. Die alte hollandische Segelschiffahrt z. B. ist nicht waghalsig,<br />

alle Vorsorge und Vorsicht wird in Acht genommen, aber sie ist kühn,<br />

denn immer wieder aufs neue ist sie im Spiel und Kampf mit den gefdhrlichen<br />

Gewalten der Natur.<br />

Die Windmühle ist eigentlich nichts anderes als ein Segelschiff auf<br />

dem Lande — allerdings ohne Gefahren. Sie leistet dem Hollander<br />

Dienste bei der Bewirtschaftung seiner Polder und bei seiner Veredlungsindustrie.<br />

Auch hier versteht er es wieder, durch eine verhaltnismöBig<br />

einfache Vorrichtung groBe Ziele zu erreichen. Es drgert<br />

den modernen Hollander, wenn das Ausland ihn als Bauern in Holzschuhen<br />

und Pumphose mit der Windmühle im Hintergrund darstellt.<br />

Und das ist verstandlich. Aber in dieser naiven Vorstellung steekt doch<br />

etwas Richtiges, denn die Windmühle verkörpert in der Tat eine seiner<br />

kennzeichnendsten Eigenschaften.<br />

Ahnlich steht es mit dem Fahrrad. Wohl nirgends ist das Fahrrad<br />

zu einem so nationalen Verkehrsmittel geworden wie in Holland.<br />

Nirgends wurde es so in das tdgliche Leben aufgenommen wie hier.<br />

Mit seiner Hilfe erzielt der Hollander bei einfachsten Mitteln eine<br />

erhebliche Steigerung der Schnelligkeit und das liegt ihm und gefdllt<br />

ihm.<br />

Kolossalgebdude liebt der Niederldnder nicht. Er gibt seinen Hdusern<br />

gern ein leichtes und beschwingtes Aussehen. Nicht nur im Stil,<br />

sondern auch in der Ausführung sind die holldndischen Hduser verhaltnismaBig<br />

leicht für ein Land, das so sehr unter dem EinfluB von<br />

Wind und Wetter steht. Sogar bei den Hafenanlagen von Rotterdam<br />

oder bei dem Zuiderzeedeich versteht es der Niederldnder durch eine<br />

Einzelheit, eine schwungvolle Linie, eine kleine Biegung, durch leichte<br />

Bauart eine spielerische Note anzubringen. Er hat eine Abneigung<br />

gegen alles Wuchtige. Nicht durch Kraft, sondern durch Zielstrebigkeit,<br />

nicht durch Widerstand gegen die Naturkraft, sondern dadurch,<br />

daB er sie in seine Bahnen leitet, will er sein Ziel erreichen.<br />

Daher begeistert er sich auch für das Flugwesen. Lange vor allen<br />

anderen Ldndern hatten die Niederlande eine Flugverbindung mit<br />

11


ihren Koloniën, die die langste der Welt ist. Auch hier zeigt sich<br />

Kühnheit ohne Waghalsigkeit. Alle nur möglichen VorsorgemaBnahmen<br />

wurden getroffen: Pünktlichkeit, Zuverlassigkeit, gute Verpflegung.<br />

Man merkt sofort, wenn man unter Niederlandern lebt,<br />

daB sie dabei alle mitempfinden, alle ohne Unterschied. Man muB es<br />

einmal mitgemacht haben, wie diese kühlen, mehr oder weniger<br />

apathischen Menschen einen Luftfahrterfolg miterleben; wie er es<br />

fertig bringt, alle Standesunterschiede wegzuwischen, wie ein jeder<br />

dabei gern auf seine Lebensgewohnheiten verzichtet. Das gleiche Mitempfinden<br />

zeigt sich, wenn eine Rettung mit einem kleinen Boot gelingt<br />

oder wenn ein paar Schlepper ein Trockendock zum andern Ende<br />

der Welt ziehen müssen. — Die niederldndischen Steinkohlengruben<br />

sind ausgezeichnet eingerichtet, die Abbauweise ist zweckmöBig, sicher<br />

und ausgiebig, aber das interessiert lediglich einige Fachleute. Wenn<br />

aber das Mittelstück einer Brücke mit einem besonderen Schiffahrtskunststück<br />

an einer schwer erreichbaren Stelle eingepaBt wird, dann<br />

verfolgt ein jeder gespannt den Verlauf der Unternehmung.<br />

Deshalb konnte sich in den Niederlanden besonders die Industrie<br />

entwickeln, die groBe Ansprüche an die Organisation und an die<br />

persönliche Geschicklichkeit und Sachkenntnis des einzelnen Arbeiters<br />

stellt. Schwerindustrie findet sich hier nicht, da in Holland alles auf<br />

Veredlung eingestellt ist. Als sich nach 1870 eine Umstellung der<br />

europdischen Landwirtschaft als nötig erwies infolge der billigen Belieferung<br />

aus überseeischen Gebieten, haben sich Holland und Belgien<br />

umgestellt auf Produkte, die einen intensiven Anbau verlangen. Viel<br />

mehr als in Belgien hat man sich in Holland der Erzeugung von landwirtschaftlichen<br />

Produkten zugewandt, mit denen man ganz Westund<br />

Mitteleuropa beliefern konnte. Die Treibhauskultur hat sich hier<br />

viel stdrker entwickelt, die Spezialisierung auf bestimmte Gemüse und<br />

die intensive Viehzucht sind viel weiter gediehen. Das alles hat der<br />

niederldndischen Landwirtschaft zweifellos einen spekulativen Charaktergegeben,<br />

aber es hat ihrauch durch vielejahre hindurch zu groBem<br />

Wohlstand verholfen.<br />

Die kapitalistische Einstellung hat aber im ganzen viel Schaden in<br />

Holland angerichtet. Der Kleinhandel z. B. ist völlig darauf eingestellt,<br />

mit einem kleinen Umsatz einen groBen Gewinn herauszuholen. Er<br />

macht dadurch das Leben und den bescheidenen Aufwand, der in<br />

anderen Ldndern so viel Wohlbehagen schafft, nur unnötig teuer.<br />

Und das hat sich auch sonst gerdcht, denn die übermaBig groBen<br />

Gewinne zogen einen übermaBig groBen Teil der Bevölkerung in die<br />

Verteilung; dies hatte wiederum eine Verteuerung der Ladenmieten<br />

und eine Erhöhung der Lasten zur Folge, wodurch der Wohlstand<br />

der Ladenbesitzer sank, die zur Zeit in Holland schlecht<br />

daran sind.<br />

12


Auch in anderer Beziehung paBte sich das Volk der Lebensweise<br />

der führenden Schicht des Bürgertums an. Dabei ging die kulturelle<br />

Selbstdndigkeit des Kleinbürgertums völlig verloren. Eine kleinbürgerliche<br />

Kultur mit eigener Lebensauffassung und mit eigenen Idealen<br />

gibt es in Holland nicht. Es besteht überhaupt keine Spannung zwischen<br />

dem Kleinbürgertum und der leitenden Schicht, es paBt sich ihr vollkommen<br />

an. Daher macht es einen gewissermaBen blutleeren Eindruck.<br />

Dazu kommt, daB es auch den Abstand, den die höhere Schicht<br />

ihm gegenüber wahrt, seinerseits den nach ihm kommenden Gruppen<br />

gegenüber behdlt. Es teilt sich in Stdnde, Grüppchen und Klieken auf<br />

und erschwert sich sein Leben, indem es darüber nachsinnt, wie man<br />

in eine höhere Gruppe kommen könnte. Der Kleinbürger lebt meist<br />

über seine Verhdltnisse, er muB stark rechnen und disponieren, es<br />

bleibt nur wenig Spielraum für ein unvorhergesehenes Vergnügen, für<br />

Geselligkeit und Ausgelassenheit, ja nicht einmal für Notfdlle. Und<br />

das verbittert das Leben. — Die Arbeiter leben ihrerseits genau so.<br />

Die Arbeiterführer können sich noch so viel Mühe geben, sie können<br />

ihre Anhdnger nicht von dem bürgerlichen Lebensideal losreiBen, das<br />

ihnen stets vorschwebt.<br />

Diese Verhdltnisse stehen in Zusammenhang mit der starken Intellektualisierung<br />

des Lebens in den Niederlanden. Man hat hier eine<br />

einseitige Ehrfurcht vor dem Verstande, vor Gelehrsamkeit, vor dummen<br />

Dingen, die in gelehrten Ausdrücken verkündet werden, vor<br />

Diplomen, Schulen und Spitzfindigkeiten. Auch setzen die nationalen<br />

Anlagen der allgemeinen westeuropdischen Verjudung wenig Widerstand<br />

entgegen, es fehlt auch hier an Spannkraft. Alles, was einen<br />

ausldndischen Namen tragt, wird bevorzugt. Viele niederlandische<br />

Erzeugnisse können nur unter ausldndischem Namen an den Mann<br />

gebracht werden. Niederlandische Künstler müssen einen fremden<br />

Namen annehmen, um in ihrem Vaterlande auftreten zu können.<br />

Neue wissenschaftliche Begriffe tragen fremde Namen. Das nationale<br />

Empfinden, daB es wünschenswert sei, den Ausdruck aus der Begriffswelt<br />

der eigenen Sprache zu nehmen, um ihn für jedermann verstdndlich<br />

zu machen, besteht nicht. Dies alles sind AuBerungen eines vollstdndigen<br />

Sieges des Rationalitdtsprinzipes.<br />

Das Gefühlsleben in den Niederlanden ist entsprechend verkümmert;<br />

es kennt nur wenig Schattierungen: Gutherzigkeit, Eifersucht und<br />

Mitleid. Jeder heftigen Gemütsbewegung begegnet man argwöhnisch.<br />

Will man dieses Volk zum Mitfühlen bringen, so muB man sich davor<br />

hüten, mit seiner ganzen Persönlichkeit für die Sache einzutreten, sondern<br />

sein Bemühen umstdndlich und vernünftig begründen. Aber das<br />

holldndische Volk ist nicht immer so gewesen, es verhielt sich noch<br />

nicht so, als der kapitalistische Gedanke entstand. Das ist den LebensduBerungen<br />

des 17. Jahrhunderts zu entnehmen. Betrachtet man die<br />

13


„Nachtwache" oder die Bilder der Schützengilden und Regenten, so<br />

kann man sich kaum vorstellen, daB die Dargestellten Hollander sind.<br />

Der Rationalismus hat das gesamte Volk ergriffen und es ist sehr<br />

zweifelhaft, ob der materielle Wohlstand, das geordnete Leben und<br />

die ZweckmöBigkeit der Organisation es glücklich gemacht haben.<br />

Die Melancholie, die in Holland über dem ganzen Leben liegt, gehort<br />

eigentlich nicht zum Volkscharakter. Der Hollander ist im Ausland<br />

ein fröhlicher und aufgeschlossener Mensch. Er freut sich, wenn er<br />

auf Reisen in den Ferien keine anderen Hollander trifft, und lebt sich<br />

ganz aus, wenn er losgelöst ist von der Enge der Heimat und dem<br />

Zwang ihrer Lebensführung.<br />

Der Niederldnder muBte sein Land dem Meere abgewinnen. Auch<br />

das hat den Volkscharakter tief beeinfluBt. Mit kleinen Mitteln hat er<br />

dabei wieder GroBes geschaffen: Eindeichungen, Polder, Trockenlegungen,<br />

Schleusen, Grachten. Die holldndische Landschaft hat ihre<br />

eigenen Reize, zwei Dinge fallen uns besonders auf: die hohe Schönheit<br />

der unendlichen Weiten — sie ist ein Geschenk Gottes —; das<br />

andere ist die Kunst des Menschen, der das Land geschaffen, es eingeteilt<br />

und vor uns wie in einem Bilderrahmen ausgebreitet hat. Man<br />

vergiBt fast, daB es Menschenwerk ist. Die Natur ist hier so sehr in<br />

die Kultur aufgenommen worden, daB beide fast unbemerkt ineinander<br />

iibergehen. Die Schönheit der holldndischen Landschaft zeigt sich auch<br />

in der Majestdt der breiten Ströme, die durch die Weiden dahinziehen,<br />

und in der Naturfrische der Wdlder und Gehölze; und doch stehen<br />

FluB und Wald hier seit Jahrhunderten unter der Aufsicht des Menschen,<br />

aber ohne daB ihrem natürlichen Charakter Gewalt angetan worden<br />

ware.<br />

Die Neigung, Land dem Meere abzugewinnen, die Natur- in eine<br />

Kulturlandschaft zu verwandein, haben den niederldndischen Charakter<br />

stark beeinfluBt. Und hier wirken andere und tiefere Krafte als<br />

nur Vernunft- und Zweckgründe: der uralte Instinkt der Germanen,<br />

Neuland zu gewinnen, der Ziel und Aufgabe des Einzelmenschen und<br />

ganzer Stomme und Völker sein kann.<br />

Die nahe Verbindung, die zwischen Natur und Kultur entstanden<br />

ist, stellt eine der anziehendsten Seiten des holldndischen Lebens dar.<br />

Diese engen Bande behüten sowohl die Kultur als auch die Natur<br />

vor Seitensprüngen. Die Natur kann in den Niederlanden erhaben<br />

und groBartig sein, aber niemals wild. Überall entdeckt man die<br />

Menschenhand, die das Wesen der Natur versteht und es gelernt hat,<br />

sich ihr anzupassen, ihren Linien zu folgen und sie zu verbessern.<br />

Das setzt eine gründliche Kenntnis der Eigentümlichkeiten der niederldndischen<br />

Landschaft voraus. Die flümische Landschaft ist, wenn nicht<br />

Flüsse und Hügel sie zieren, eintönig und dürftig im Gegensatz zu<br />

14


der hollöndischen Landschaft, die so abwechslungsreich erscheint, da<br />

das Auge immer wieder auf Baumgruppen oder kleine Wdldchen<br />

gelenkt wird, wenn es auch meist nur ein paar Pappeln, ein paar<br />

Buchen oder Ulmen sind. Liest man einmal den von der StraBenbaukommission<br />

herausgegebenen Bericht über die Anlage der StraBen<br />

in den Zuiderzeepoldern, so beginnt man zu verstehen, daB die Menschen<br />

diese Landschaft auf den gegebenen natürlichen Grundlagen<br />

mehr oder weniger bewuBt geformt haben.<br />

Man vergleiche das holldndische und dasfldmische Dorf: das holldndische<br />

ist durch hervorragende StraBen mit der AuBenwelt verbunden,<br />

hat aber dennoch seinen eigenen Charakter behalten. Das Alte ist<br />

hier noch lebendig geblieben. Das flamische Dorf aber ist durch<br />

beinah unbegehbare Wege von der Welt abgeschnitten, hat dagegen<br />

seinen Dorfanger in ein lacherliches Stadtpdrkchen umgewandelt und<br />

seine Schönheit durch eine StraBenbahnlinie zerstört.<br />

So wie man in Holland in der Natur stets die Hand des Menschen<br />

spürt, so spürt man in der hollöndischen Kultur stets den frischen<br />

Wind des Natürlichen. Die verdrehten Verhdltnisse, die aus dem<br />

überspannten Standesgefühl entstanden sind, werden dadurch gemildert.<br />

Das holldndische Gemüt ist nicht leicht durch Veranderungen<br />

oder neue Moden zu beunruhigen. Man nimmt teil am Leben und<br />

Treiben des westeuropdischen Menschen, aber stets mit Zurückhaltung.<br />

Das gibt zwar dem Ganzen ein etwas bürgerliches Geprage,<br />

das aber dafür ein hohes Niveau hat. Schddliche Kulturelemente<br />

fassen nur wenig FuB in einem Volk, das die Gesetze der Natur so<br />

stark empfindet. Die holldndische Lebensweise ist recht einfach, auch<br />

in den Kreisen, wo sie üppiger sein könnte. Die Abneigung gegen<br />

Pracht und Glanz ist sozusagen ongeboren. Es gibt hier wenig Wohnungen,<br />

die mehr scheinen wollen, als sie sind. Man hat sie wirklich<br />

nur, um darin zu wohnen, nicht um zu prunken und zu protzen. Nur<br />

der Kleinbürger gibt hier und da aus übertriebenem Standesgefühl<br />

unnótig viel Geld für seine Wohnung aus. Betrachtet man das holldndische<br />

Landhaus, so muB man zugeben, daB andere Ldnder es nicht<br />

zu einer solchen Übereinstimmung zwischen Haus und Landschaft gebracht<br />

haben. Natürlich hat der groBe Aufschwung der neuzeitlichen<br />

holldndischen Baukunst hieran Anteil, aber auch Landhauser aus der<br />

Zeit, in der kaum von einer Baukunst gesprochen werden kann, und<br />

die vielleicht an sich hüBlich sind, storen die Landschaft nicht.<br />

Die Tulpenzucht muB nicht allein als eine Frage des Bodens betrachtet<br />

werden, sie ist auch der Ausdruck des holldndischen Strebens<br />

nach Verfeinerung des Einfachen, einer der edelsten Kennzeichen des<br />

holldndischen Charakters überhaupt. Liegt nicht auch die Erhaltung<br />

der eigenen Bauernkultur daran, daB man, getrieben durch die starke<br />

15


Naturgebundenheit der Kultur, seine Kraft mehr in der Verfeinerung<br />

des Eigenen suchte als in der Anpassung an fremde Forderungen?<br />

Die schwungvolle Form der Wagen, die Vornehmheit der Kleidung,<br />

der Adel der Haltung und das reiche Brauchtum zeugen von der Höhe<br />

der Bauernkultur auf Walcheren. Wo sind Bauern durch schwere<br />

Zeifen hindurch so sehr ihren eigenen Sitten und Gebrduchen treu<br />

geblieben wie in Friesland? Wo konnten Orte wie Hindeloopen und<br />

Harlingen ihre eigene Kraft in so schlichtem Stolze bewahren? Welch<br />

ein Unterschied zu Brügge, das verlorener GröBe nachtrauert! In<br />

Holland hat sich der Bauer auch wieder in Orte eingelebt, die schon<br />

einmal in enger Berührung mit der AuBenwelt gestanden haben. Aber<br />

die Stadte hatten so sehr das bewahrt, was im Volke lebt, daB sich der<br />

Bauer sofort zurechtfand.<br />

Natürlich hat auch hier der Kapitalismus auf die Bevölkerung eingewirkt.<br />

Auch hier bemerkt man die allmdhliche Gleichmachung des<br />

Volkscharakters. Aber welch eine Spannung hat da bestanden! Und<br />

Spannung deutet auf Charakter.<br />

Die Naturgebundenheit bringt einen Hang zur MöBigung mit sich.<br />

Schroffe Gegensatze findet man in Holland kaum. MiBbraucht Jemand<br />

seine Macht, so entsteht dadurch wenig Verzweiflung und kein langer<br />

Groll. Klugheit, Geduld, Behutsamkeit und MdBigung lieBen den<br />

Kapitalismus mit seinen guten und schlechten Seiten in den Niederlanden<br />

in seiner besten und ertrdglichsten Form zur Auswirkung<br />

kommen. Auch hier hat er wie überall die typischen Erscheinungen<br />

hervorgerufen, d. h. er hat zur kaufmdnnischen Berechnung und<br />

Spekulation angereizt und die Gewinnsucht verstdrkt. Aber er hat<br />

hier nicht dazu geführt, daB ein groBer Prozentsatz der Frauen in das<br />

Erwerbsleben einbezogen wurde. Es ist bemerkenswert, daB in den<br />

Niederlanden nur 14% der Industrie-Arbeiter Frauen sind und daB<br />

der Anteil der Frauen, wenn man die Hausangestellten auBer Betracht<br />

laBt, an der arbeitenden Bevölkerung nur 7% betrdgt. Dagegen betrug<br />

im Jahre 1920 der Prozentsatz der Frauen unter den Industrie-Arbeitern<br />

in Belgien 21% und in bezug auf die gesamte Bevölkerung 22%, wobei<br />

ebenfalls die Hausangestellten nicht mitgerechnet sind. Trotzdem<br />

gibt es in den Niederlanden eine Bestrebung, die Frauen völlig aus<br />

dem Berufsleben herauszuziehen, wahrend in Belgien davon nicht die<br />

Rede ist. Meiner Ansicht nach ist dies auch für die Höhe der niederldndischen<br />

Geburtenziffer von wesentlicher Bedeutung.<br />

Scheinheiligkeit und Verschlagenheit, die unangenehmen Begleiterscheinungen<br />

der kapitalistischen Gewinngier und Spekulationssucht,<br />

treten in den Niederlanden stark in den Vordergrund. Aber die<br />

Menschen sind hier daran gewöhnt, so daB dies im Ganzen keine so<br />

gefahrlichen Folgen hat, als wenn nur eine kleine Gruppe so geartet<br />

ware. Die Abstumpfung des Gefühlslebens ist weit durchgedrungen,<br />

16


andererseitshat hier der Kapitalismus den allgemeinen materiellen<br />

Wohlstand gehoben, gute Lebensverhaltnisse für einen groBen Teil<br />

der Bevölkerung geschaffen, und er hat dasLeben sehr viel weniger<br />

stillos gemacht als in Belgien.<br />

III<br />

Welchen EinfluB haben nun jene Geistesströmungen auf den Süden<br />

ausgeübt, als sie ihn durchdrangen? Der industrielle Kapitalismus<br />

hat in Wallonien die günstigen Umstande des 19. Jahrhunderts ausgenutzt.<br />

Gerade die frühe Entwicklung in Jenem Gebiet hat einer<br />

Anpassung an die starker entwickelten Formen des Kapitalismus im<br />

Wege gestanden. Einige Betriebszweige, z. B. die Glasblaserei und<br />

die Spiegelindustrie, haben jahrzehntelang kapitalistische Betriebsformen<br />

und Betriebsfendenzen gekannt, die auf einer eigentlich nicht<br />

kapitalistischen Technik aufbauten. Die Steinkohlengruben, das Rückgrat<br />

der wallonischen industriellen Entwicklung, sind durch die Kleinheit<br />

ihrer ErschlieBungszentren gekennzeichnet; die darauf gegründete<br />

Schwermetallindustrie genoB lange vollkommene Konkurrenzlosigkeit,<br />

wahrend die leichte Metallindustrie nicht die Qualitatserzeugung<br />

anderer Ldnder erreichte.<br />

Der Kapitalismus hat die Wallonen zwar materiell bereichert, aber<br />

man kann nicht sagen, daB es diesem Volk etwa wie den Niederlandern<br />

gelungen sei, eine vom kapitalistischen Geist beeinfluBte Kultur<br />

zu schaffen, wahrend das, was sie an vor- und frühkapitalistischer<br />

Kultur hatten, durch den Entwicklungsstrom des 19. Jahrhunderts so gut<br />

wie weggefegt wurde. Das kommt u. a. auch darin zum Ausdruck,<br />

daB der Geist des Rationalismus zwar zu einem Sinken der Geburtenziffer<br />

geführt hat, demgegenüber aber keine entsprechende Abnahme<br />

der Sterbeziffer steht.<br />

Der starke EinfluB des kapitalistischen Gedankens, der den Nachdruck<br />

auf die Bedeutung des Unternehmers legt, auf die Selbstdndigkeit<br />

des eigenen Betriebes, auf die Vorteile der individuellen Konkurrenz<br />

— er hat in diesem Lande nicht zum ZusammenschluB mehrerer<br />

Betriebe geführt, obwohl deren Art gerade dazu AnlaB gegeben<br />

haben könnte. (Haben doch Bergbau und Metallindustrie hohe standige<br />

Kosten.) Die Folge war, daB der EinfluB des Bankiers auf das Betriebsleben<br />

in viel starkerem MaBe als in den Niederlanden hervortrat.<br />

GröBer war übrigens auch das Interesse der belgischen Banken<br />

für die eigene industrielle Entwicklung. In Wallonien beruhte diese<br />

z. T. auf Fdhigkeiten, die die Bevölkerung seit Jahrhunderten besaB.<br />

In bezug auf die Glasblaserei und die Spiegelindustrie teilte sie früher<br />

das Weltmonopol nur mit den Vereinigten Staaten. Diese Stellung<br />

wurde kurz nach dem Kriege zunichte durch die mechanische Er-<br />

17


zeugung, die in Belgien sogar dazu geführt hat, daB man die Betriebe<br />

in die Rohstoffgebiete verlegen will, d. h. in die Antwerpener Kempen<br />

mit ihrem feinen, weiBen Sand. — Sonst beruhte die wallonische<br />

Industrie ausschiieBlich auf der Entdeckung von Rohstoffen und ihrer<br />

ersten Verarbeitung. Sie ist damit auf schlechter Grundlage errichtet,<br />

denn die Erschöpfung dieser Rohstoffvorrdte steht in einigen Fallen<br />

nahe bevor. Auf eine andere Weise haf man diese Industrie nicht an<br />

den Boden zu binden verstanden. Wahrend in den Niederlanden<br />

und in Flandern die Steinkohlenindustrie ein junger Wirtschaftszweig<br />

ist, ist er in Wallonien ein sferbender. Die Konzentration eines groBen<br />

Teiles der Steinkohleninteressen in Handen der Société Générale de<br />

Belgique, die drei Viertel der belgischen Steinkohlenproduktion beaufsichtigt,<br />

war mit der AnlaB, daB der schwierige Zustand dieser Industrie<br />

zu einer Steinkohlenpolitik führte, bel der man sich fragt, ob sie<br />

genügend basiert ist auf der unvermeidlichen Liquidierung der wallonischen<br />

Steinkohlenbergwerke, zu deren Erhaltung man die Preise vergeblich<br />

auf der Höhe halt, wahrend den fldmischen Bergwerken eher<br />

mit einer anderen Preispolitik gedient ware.<br />

Alles zusammenfassend glaube ich, daB der Kapitalismus in Wallonien,<br />

wo er, unter günstigen Umstanden, leicht und ohne in der<br />

Bevölkerung groBe Spannung hervorzurufen, durchgedrungen ist —<br />

für diese minder gute Folgen gehabt hat als z. B. in den Niederlanden.<br />

Auch darum schon, weil diese Bevölkerung wenig alte, abgeschlossene<br />

Kulturelemente besaB, die einem solchen EinfluB Widerstand leisten<br />

konnten, und auch weil sich der Kapitalismus so ungebunden verwirklichte<br />

und zu einer so einseitigen Zusammenstellung der leitenden<br />

Gruppen geführt hat.<br />

Die Art, in der der Kapitalismus auf die fldmische Bevölkerung eingewirkt<br />

hat, ist sehr merkwürdig. Wir haben gesehen, daB das erste<br />

Aufkommen der kapitalistischen Einstellung in Flandern einen wichtigen<br />

Mittelpunkt fand, daB der damals neue Gedanke aber zu einem groBen<br />

Teil von Fremden getragen wurde. Trotzdem hat er auf manche<br />

Volkselemente, die dafür zugdnglich waren, EinfluB gehabt. Sie hatten<br />

kaum verstanden, sich eine einigermaBen bedeutende Stellung zu erwerben,<br />

als durch den miBglückten Aufstand des Südens gegen Spanien<br />

gerade aus diesem Teil der Bevölkerung, der mit dem neuen Geist am<br />

meisten vertraut geworden war, sehr viele nach Norden auswanderten.<br />

So wurde der weiteren Ausbreitung des Kapitalismus ein Riegel vorgeschoben.<br />

Der Schwerpunkt des Gesellschaftslebens verlagerte sich<br />

aus den Stddten auf das flache Land. So fiel das schon früh im kapitalistischen<br />

Sinne entwickelte Flandern in eine Lebensform zurück, die<br />

zwar nicht mehr mittelalterlich war, worin aber das Zunftwesen ein<br />

wichtiges und lebendiges Element blieb. Von den Habsburgern wurde<br />

aus Fremden und den einheimischen Beamten, die der alten Religion<br />

18


und dem alten Geist treu geblieben waren, eine neue, dem Volke<br />

fremd, abweisend gegenüberstehende Aristokratie geschaffen, die auf<br />

der Grundlage früher erworbenen Reichtums weiterlebte und sich<br />

als Wachhund der neu gefestigten, wenn auch schwach auftretenden<br />

Staatsgewalt über das Land verbreitete.<br />

Man irrt sich, wenn man meint, daB das 17. und 18. Jahrhundert<br />

der Bevölkerung nur Elend gebracht hatte. Hauptsdchlich im 18. Jahrhundert<br />

entwickelte sich die Landwirtschaft erfolgreich. Nach den<br />

blutigen Kriegen Ludwigs XIV., die das ganze Land verwüstet hatten,<br />

wuchs der Wohlstand des Volkes von Tag zu Tag. Dennoch fehlte es<br />

an antreibenden Kröften, die neue Entwicklungen möglich gemacht<br />

hatten. Der Industrie setzen die beschrankten Ausfuhrmöglichkeiten<br />

Grenzen. Darum hat das Patentwesen (Monopolwesen) hier eine weit<br />

geringere Bedeutung als im Norden. Lediglich die neuen Industrien<br />

und die, die sich vom Gildewesen freimachen konnten, erhalten diesen<br />

Patentcharakter und bekommen eine etwas bessere Entfaltungsmöglichkeit.<br />

(Die Metallindustrie in den wallonischen Gebleten drohte<br />

aus Mangel an Holz in Schwierigkeiten zu geraten. Die Sachlage<br />

dnderte sich jedoch zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Technik der<br />

Textilindustrie wird verbessert und Steinkohle in den Hochöfen verwondt.)<br />

Die Textilindustrie hatte durch den Verlust des niederldndischen<br />

Absatzgebietes Schwierigkeiten und machte zur gleichen Zeit<br />

eine Strukturkrise durch. Die technische Entwicklung verdrangte die<br />

fldmische Heimarbeit, und da in Flandern die Industrie noch nicht entwickelt<br />

war, konnten die Wallonen dieFlamen zu ihrer eigenen Industriearbeit<br />

heranziehen. Inwieweit eine gröBere Einwanderung stattfand, ist<br />

nicht festzustellen, da die belgischen Statistiken keinen Unterschied zwischen<br />

Flamen und Wallonen machen. DaB jedoch eine Einwanderung<br />

erfolgte, zeigt die groBe Zahl der fldmischen Namen, denen man in<br />

Wallonien begegnet. DaB neben der fortwdhrenden Auswanderung<br />

auch regelmöBige allwöchentliche und Saisonauswanderungen aus<br />

Ost- und Westflandern und den Kampen nach Wallonien und Frankreich<br />

stattfinden, zeigt die Heimatverbundenheit der fldmischen Bevölkerung.<br />

Diese Menschen waren offensichtlich zu sehr an ihren<br />

Grund und Boden gefesselt, um für immer in ein anderes Land umzusiedeln.<br />

DaB diese Industrie als Heimarbeit unterging, beweist,<br />

daB sich die fldmische Bevölkerung mit einer geradezu heroischen<br />

Hartnackigkeit gegen das Eindringen der kapitalistischen Mentalitat<br />

gewehrt hat: Die Textilindustrie war seit dem Aufkommen des Frühkapitalismus<br />

eine landliche Industrie mit Heimarbeit geworden,<br />

woran die Bevölkerung im zahen Kampf gegen die neue Technik<br />

festhielt. Obwohl die mechanische Spinnerei und Weberei bereits in<br />

der Franzosenzeit eingeführt wurde, dauerte der Kampf bis 1850.<br />

Vor allem in den Jahren der KartoffelmiBernte war das Schicksal der<br />

19


Flamen schwer. Sie zogen es vor unterzugehen, anstatt sich von der<br />

neuen Strömung mitreiBen zu lassen. Man muB zugeben, daB dieser<br />

Kampf unfruchfbar und zum MiBlingen verurteilt war, aber ein objektiver<br />

Beschauer wird daraus schlieBen, daB die Triebkrafte der Bevölkerung<br />

stark waren, und er wird das Bestehen solcher Krdfte<br />

nicht für einen Beweis der Minderwertigkeit halten, sondern für ein<br />

Zeichen von Charaktersfdrke. Der Durchbruch des Kapitalismus lm<br />

19. Jahrhundert, die Anpassung an dies System erfolgte unter fremder<br />

Führung. Die groBen Handelsgewinne, die der Schiffsverkehr Antwerpen<br />

einbrachte, kamen zum groBen Teil Auslandern zugute. Die<br />

Deutschen, unter deren EinfluB die Entwicklung jenes Hafens stand,<br />

lieBen sich aber wiederum recht leicht in die herrschende belgische<br />

Oberschicht aufnehmen. — Denjenigen, die vom kapitalistischen<br />

Denken erfüllt waren, verschaftte die französische Revolution schlieBlich<br />

die politische Macht. Der mittelalterliche Grundbesitz wurde vernichtet,<br />

die Güter der Geistlichkeit und des Adels verkauft. In Belgien<br />

traf diese neue Ordnung den Adel in weitaus geringerem MaBe als<br />

in Frankreich, wo die Bauern durch diese Ordnung zu Grund und<br />

Boden kamen. Napoleon gab dem Adel ja auch einen groBen Teil<br />

des Grundbesitzes zurück. Die verkauften Kirchengüter kamen in<br />

den Besitz fremder oder dem Volke entfremdeter Menschen, die<br />

sich als GroBgrundbesitzer aufspielten, sofern dieser Begriff damals<br />

angewendet werden konnte. Die Bevölkerung selbst war zu sehr<br />

mit ihrem Gottesdienst und ihren Überlieferungen verknüpft, als daB<br />

sie „Schwarzes Gut", das der Kirche gestohlen war, übernommen<br />

hatte.<br />

Diese Übertragung des Grundbesitzes auf andere Gruppen der<br />

Bevölkerung wurde nach dem Jahre 1930 noch erweitert. Dies geschah<br />

dadurch, daB unter dem EinfluB der liberalen belgischen Regierungen<br />

der ausgedehnte gemeinsame Grundbesitz, der damals in<br />

manchen Gegenden Flanderns noch anzutreffen war, innerhalb sehr<br />

kurzer Zeit verduBert wurde, wodurch er in die Hdnde der Bodenspekulanten<br />

kam. Auch in den Niederlanden ist der gemelnschaftliche<br />

Grundbesitz im 19. Jahrhundert unter dem EinfluB des kapitalistischen<br />

Denkens gröBtenteils aufgelöst worden, doch ging es dort langsamer<br />

und das Land kam mehr in den Besitz der Bauern. Es ist schwierig,<br />

für Belgien genaue Unterlagen über die Verteilung des Grundbesitzes<br />

zu erhalten. In einer früheren Arbeit steilte ich fest, daB nach<br />

dem KriegeeinDrittel desGrund und Bodens in den Handen sogenannter<br />

GroBgrundbesitzer, ein Drittel in Handen des stadtischen Bürgertums,<br />

ein Viertel im Besitz der Bauern selbst war, wahrend etwa ein Zwölftel<br />

immer aus dem Besitz der Bürger in den der Bauern hinüberwechselte<br />

und umgekehrt. Gleich nach dem Kriege nahm der Bauernbesitz zu.<br />

Damals habe ich schon vor allzu groBen Erwartungen gewarnt. Wahr-<br />

20


scheinlich hat dieser Besitz in der Krise nach 1929 wiederabgenommen.<br />

Die landwirtschaftliche Zahlung von Ende 1929, deren Ergebnis im Dezember<br />

1934 veröffentlicht wurde, gibt als Gesamtsumme des „landwirtschaftlichen<br />

Bodens" 1 997578 haan. Die Wdlder (541140 ha) sind hierbei<br />

auBer Acht gelassen. 817841 ha des „landwirtschaftlichen Bodens"<br />

waren in eigener Bewirtschaftung und 1179764ha verpachtet. Zu diesem<br />

„landwirtschaftlichen Boden" wurden aber gerechnet: Lustgdrten und<br />

Parks mit mehr als 14065 ha und Heide und Brachland in Privatbesitz<br />

(90980 ha). Dieses Land gehort natürlich nicht zum Kulturboden und<br />

wird wohl unter eigener Nutzung gestanden haben. Es bleiben also<br />

vom gesamten Kulturboden 37,5% übrig, die sich in eigener Bewirtschaftung<br />

befanden. lm Jahre 1929 hatte sich der EinfluB der Krise noch<br />

nicht bemerkbar gemacht. Heute ist wohl nur noch ein Drittel des<br />

Kulturbodens in Bauernhand.<br />

Vergleichen wir diesen Zustand mit dem in den Niederlanden, so<br />

fallt uns der groBe Unterschied auf. lm Jahre 1930 waren in den<br />

Niederlanden 51% des Bodens in bduerlichem Besitz, wozu noch<br />

ungefahr 6% des Bodens zu rechnen sind, der von den Eltern an ihre<br />

Kinder verpachtet wird. Die andern 43% waren in nicht bduerlichen<br />

Handen.<br />

Um die sechziger Jahre war in Belgien der Übergang vom Landwirtschaftsstaat<br />

zum Industriestaat endgültig vollzogen. Aber schon<br />

vorher waren die Interessen der Industrie ausschlaggebend gewesen.<br />

Die Industrialisierung der fldmischen Provinzen war erst zu einem<br />

viel spdteren Zeitpunkt beendet. lm Jahre 1896 hatten sie bei einer<br />

produktiven Bevölkerung von 1,516 Millionen eine Industriebevölkerung<br />

von 535000, von der 98000 noch Heimarbeiter waren. Wenn wir diese<br />

mitrechnen, betrug die Zahl der in diesem Erwerbszweig Beschdftigten<br />

noch nicht ganz 35% der produktiven Bevölkerung. Für die wallonischen<br />

Provinzen betrug die Anzahl damals 593000 auf reichlich 200000<br />

Produktive (20000 Heimarbeiter) oder 49%. Seit dem Anfang des<br />

20. Jahrhunderts haben sich diese Verhdltnisse gedndert. lm Jahre 1920<br />

ergab sich folgendes Bild:<br />

Verhaltnis<br />

zwischen<br />

v o n d e r<br />

produktiven Bevölkerung waren<br />

produktiver<br />

und totaler<br />

beschaftigt in der<br />

Bevölkerung Landwirtsch. Industrie Handel<br />

Belgien 42,3% 15,2% 46,8% 18 %<br />

Fldmische Provinzen 41,1% 19,3% 42,7% 17,1%<br />

Niederlande. . . . 39,6% 22,8% 37,7% 21,2%<br />

Niederlande 1930 . 40,1 % 20,5% 38,7% 23,3%<br />

21


Diese Entwicklung ist sicherlich weitergegangen, und zwar durch<br />

die ErschlieBung der limburgischen Steinkohlengruben und der um sie<br />

herum entstehenden Industrien, durch die Mechanisierung der Glashütten<br />

und durch die Verarbeitung der Rohstoffe aus dem Kongo in<br />

der Umgebung von Antwerpen. Bezeichnend ist die Tatsache, daB<br />

auch hier die Leitung in Handen wallonischer und Brüsseler Unternehmen<br />

liegt.<br />

Als die fldmische Landwirtschaft nach den siebziger Jahren ihre<br />

Möglichkeiten besser ausnutzen muBte, hat sie die Lösung nicht in dem<br />

MaBe wie der Norden in der Ausfuhr von Gartenbau- und Meiereierzeugnissen<br />

gefunden, aber sie hat sich behaupten können, weil der<br />

Bauer hart arbeitete und sich mit einer Verringerung seines Wohlstandes<br />

zufrieden gab. Der Pachtkontrakt entwickelte sich in Flandern<br />

nicht zu einem rein auf Geld eingestellten Vertrag. Auch kannte man<br />

hier die Flurbereinigung noch nicht, wozu in den Niederlanden Jedenfalls<br />

schon eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Die Organisation<br />

der fldmischen Bauern ist dagegen starker, aber — und das ist auch<br />

wieder bezeichnend — die Industrialisierungstendenzen, die im Norden<br />

auftreten (Molkereigenossenschaften, Zuckerfabriken, Phosphatfabriken),<br />

findet man hier nicht. Das Geld der fldmischen Bauern ist verwende!<br />

worden, um die Spekulationsneigungen kapitalistisch orientierter<br />

Flamen zu ermöglichen, aber es ist sehr fraglich, ob das am<br />

Ende eine Stdrkung des fldmischen Elementes zur Folge haben wird.<br />

Es ist auffallend und im gewissen Sinne überraschend, wie schnell<br />

die Flamen, die sich von der kapitalistischen Mentalitdt mitreiBen MeBen,<br />

ihrem Volk entfremdeten und mit der herrschenden fremden Oberschicht<br />

verschmolzen. Das ist nur zu erklaren aus einem Zusammenkommen<br />

verschiedener Faktoren, die alle in derselben Richtung wirken.<br />

Der erste Faktor ist die Leichtigkeit, mit der die kapitalistische Oberschicht<br />

in Belgien neue Krdfte aufnimmt. Wer die erforderlichen Fdhigkeiten<br />

besitzt, findet auf seinem Weg wenig Hindernisse. Diese Oberschicht<br />

besteht selbst aus einer internationalen, durch Tradition wenig<br />

gebundenen Gesellschaft, die sich nur in beschranktem MaBe mit dem<br />

einheimischen Adel vermischt hat. Zweitens sind die Flamen ein<br />

Grenzvolk, das auf der Scheide verschiedener Kulturgebiete lebt und<br />

sich auBerdem im Laufe seiner Geschichte stets den Ansichten fremder<br />

Herren anzupassen hatte. Das Gefühlsleben eines solchen Volkes ist<br />

verworrener als das anderer Völker, die dergleichen Schwierigkeiten<br />

nicht durchmachen. Klammert sich ein Volk nicht stark an die Tradition<br />

und an das Eigene, so treibt es leicht ab zu den Wünschen derer, die<br />

den Ton angeben, und der geistige Abstand wird dann plötzlich viel<br />

gröBer, als er es unter anderen Umstönden gewesen ware. Dies kommt<br />

schlieBIIch auch in dem Sprachunterschied zum Ausdruck, der mit dem<br />

Unterschied im Wohlstandsbegriff ziemlich übereinstimmt und ihn auch<br />

22


wieder betont. Meiner Meinung nach ist es falsch, in der Verschiedenheit<br />

der Sprache ausschiieBlich die Ursache zu sehen für das geringe<br />

Eindringen der Wohlstandsideale der leitenden Gruppe in die groBe<br />

Masse des Volkes. Sie erschwert gewiB die Berührung, und man<br />

empfindet dadurch die andere Geistesrichtung als etwas Fremdes. Wöre<br />

dies Jedoch die einzige Seite des Problems, so müBte eine weitgehende<br />

Geschlossenheit der Oberschicht die Folge sein. Gerade das Gegenteil<br />

ist der Fall. Eigenartig jedoch ist es, daB derjenige, der die Kluft des<br />

Unterschiedes in der inneren Haltung überwindet, sehr bald auch die<br />

der Sprachen überbrückt. Darum ist es auch falsch, die Trennungslinie<br />

bei der GröBe des Einkommens zu ziehen. Sie liegt in der Auffassung<br />

vom Wohlstand.<br />

Diejenigen, die ihr Geschaft auf eine dltere Tradition gründen und<br />

auf eine feste, regelmöBige Kundschaft, bleiben meist durch und durch<br />

fldmisch. Fldmische Kleinbürger dagegen, die von Habsucht und Fortschrittsdrang<br />

beseelt sind, werden in kurzer Zeit Franzosen und behalten<br />

wenig Verbindung mit dem Geist ihres Volkes.<br />

Nach dem Weltkrieg ist eine Bewegung entstanden, die in Flandern<br />

die soziale Ordnung auf fldmischer Grundlage aufbauen wollte und<br />

bestrebt war, das fldmische Volk mehr der kapitalistischen Einstellung<br />

anzupassen. Die Trager dieser Ideen waren von den Nachteilen getroffen,<br />

die die abweisende Haltung der Flamen mitbringt. Diese Versuche<br />

haben wenig bleibenden Erfolg gehabt. Manche der Führer sind<br />

in einen seelisch verwirrten Zustand geraten und scheinen den Leitgedanken<br />

ihrer Handlungen verloren zu haben. IhrVorhaben, dessen<br />

GröBe man nicht leugnen kann, hat für viele von ihnen im Spekulantentum<br />

geendet. Was übrig blieb, ist ein gut entwickeltes und für ein bestimmtes<br />

Absatzgebiet tatiges Unternehmertum.<br />

Müssen wir nun annehmen, daB Flandern die Krdfte, die eine eigene<br />

kapitalistische Gesellschaft hatte schaffen können, für immer verloren<br />

hat mit der groBen Auswanderung nach Norden im 16. Jahrhundert,<br />

daB dadurch aus dem Bevölkerungsganzen ein Bestandteil weggefallen<br />

ist, dessen Platz nicht mehr von anderen Volksgenossen eingenommen<br />

werden konnte?<br />

Da die Bevölkerung selbst keine kapitalistische Gesellschaft aufzubauen<br />

verstanden hat, sie andererseits in einem Gebiet wohnt, das<br />

von der kapitalistischen Wohlstandsauffassung in starkem MaBe überströmt<br />

ist, und nicht imstande war, sich gegen diesen Geist genügend<br />

zu schützen, so war es unvermeidlich, daB sie von ihm überrumpelt<br />

und beherrscht wurde. Ihre Lage erinnert an die Erscheinungen, die<br />

bei anderen — meist nicht-europöischen — Vólkern auftraten, die sich<br />

ebenfalls erfolglos gegen diesen Moloch gewehrt haben, und ist fast<br />

kolonialen Zustanden vergleichbar. Die Flamen muBten dulden, daB<br />

kapitalistische Einrichtungen und Unternehmen auf ihrem Grundgebiet<br />

23


errichtet wurden und daB sie in deren Werkstdtten arbeiten muBten.<br />

Dabei leisteten sie wenig fachmannische Mitarbeit, und Fremde besetzten<br />

die wichtigsten Posten. Die Entdeckung wichtiger Rohstoffzentren<br />

im fldmischen Gebiet hatte zur Folge, daB Fremde sich derer<br />

bemdchtigten, dort ihren Willen aufdrangen und die Französierung<br />

fórderten. Die Gesetze, die eine weitere Schwdchung des nationalen<br />

Charakters verhindern sollten, halfen nichts gegen die zunehmende<br />

Französierung in den Industriezentren. So machte diese vor allem in<br />

den letzten zehn Jahren furchterregende Fortschritte.<br />

Ware das kapitalistische System nicht selbst zur Zeit einer fundamentalen<br />

Anderung unterworfen, so müBte der Kampf gegen diese<br />

kapitalistische Mentalitdt, die so sehr mit der Französierung zusammengeht,<br />

für ziemlich hoffnungslos gehalten werden. Man muB beachten,<br />

daB diese Entwicklung sich vollzog, wahrend die Zahl derer, die<br />

von fldmischen Eltern geboren wurden, in Belgien immer gröBer<br />

wurde.<br />

Das fldmische Land muBte die kapitalistische Flutwelle erdulden.<br />

Aber, so wie Fabriken und Industriegebdude wie Fremdkörper in die<br />

fldmische Stadt und in das fldmische Land hineingebaut sind, so empfindet<br />

auch das Volk den ganzen Aufbau als etwas Fremdes. Man wird<br />

einen Flamen nie sagen hören: „Wir haben diese oder jene Einrichtung<br />

bekommen. Unsere Textilerzeugung hat ein neues Absatzgebiet" oder<br />

„Unsere Bergwerke produzieren dieses Jahr mehr oder weniger",<br />

sondern immer hört man: „sie" haben dies oder jenes getan. „Sie",<br />

das sind die Fremden, deren Handlungen man nicht beeinflussen<br />

kann, und die man immer als fremd empfindet. Es gibt in Flandern<br />

eine Fabrik, die das Wasser eines ganzen Flusses verdorben<br />

hat, seine Fische tötete und die ganze Umgebung verunstaltet hat.<br />

Jeder ist darüber empört, aber keiner trifft MaBnahmen, es zu<br />

verhindern. Man duldet es, wie man all diese Dinge schon lange<br />

geduldet hat. —<br />

Weil Flandern keine eigene führende Volksgruppe haf, hat es auch<br />

keinen Nationalcharakter. Dies duBert sich nicht nur in der Verschiedenheit<br />

der Sprache, in der der Dialekt eine noch immer wichtige<br />

Stellung einnimmt, sondern auch in der verschiedenen Artung der einzelnen<br />

Volksteile. Man kann sagen, daB jedes Zentrum und jeder<br />

Landstrich seine Wohlstandsansichten noch bestimmen löBt von den<br />

Lebensumstdnden, wie sie zur Zeit der gröBten Blüfe eben dieses Gebietes<br />

waren. Der Einwohner von Brügge hat noch die Gewohnheiten<br />

des reichen mittelalterlichen Bürgers, der kein Kaufmann war und<br />

doch gelegentlich Handelsgeschdfte abschloB. Der Genter strebt noch<br />

immer danach, die machtigen Industriellen von heute an den Willen<br />

seiner verproletarisierten Handwerker zu fesseln und versucht, wie<br />

24


einst die Weber, seine politische Macht zur Verbesserung seiner<br />

ökonomischen Stellung zu gebrauchen. In Brabant denken sowohl<br />

Brüssel als auch Antwerpen noch zurück an die ruhmreichen<br />

Burgunder Jahre. Man denkt nicht nur an diese Zeiten, sondern sie<br />

erfüllen auch heute noch das Gemütsleben und die Phantasie der<br />

Bevölkerung. —<br />

Noch immer fühlt sich der Flame in einem kleinen Betriebe am<br />

wohlsten. Den kann er beherrschen, der stimmt mit seiner Lebensauffassung<br />

überein. Wenn ein Flame etwas für seine Kunden tut, so<br />

will er nicht nur geldliche Vergütung dafür empfangen, sondern er<br />

will auch, daB dieser seine Arbeit schdtzf, ja, daB er sich sozusagen<br />

dafür verpflichtet fühlt, daB dies für ihn getan wurde. Der Geist des<br />

Zunftwesens lebt noch immer in Gent, der des Manufakturwesens in<br />

Antwerpen. Überall gibt es noch die eigenartigen Bande ungeschriebener<br />

Pflichten und Rechte, die alles Einheimische verbinden.<br />

Sobald der Flame aus dieser Umwelt herausgeholt wird, paBt er<br />

sich schnell dem anders ausgerichteten Leben fremder Lander an.<br />

Aber in seiner Heimat kann das nicht geschehen, ohne daB er seinem<br />

Volke völlig entfremdet wird. Die Kraft des Volkslebens liegt in den<br />

Vereinigungen, den Bünden, den Gilden und den Volksgesellschaften.<br />

Hier herrscht eine Freude am Gemeinschaftsleben, die weit entfernt<br />

ist von den rationalistischen Überlegungen, die auch den Kapitalismus<br />

zum Organisieren von allerhand nützlichen Vereinigungen geführt<br />

haben.<br />

Man hat in Flandern auch nicht den Drang, seine Bedürfnisse soweit<br />

zu steigern, daB man sie kaum mehr bezahlen kann. lm allgemeinen<br />

lebt man einfach, daraus folgt aber, daB für plötzliche Freudenfeste<br />

und unerwartete Ereignisse etwas übrig bleibt. Was ist Freude, wenn<br />

sie die Gemeinschaft nicht teilt, und wie konnte die sie wohl teilen,<br />

wenn sie ihr nicht gezeigt würde? Der Flame faBt Wohlstand nicht<br />

so auf, daB er immer neue Bedürfnisse befriedigen will durch VergröBerung<br />

seines Einkommens, nein, er versucht lieber durch billigen<br />

Einkauf als durch teuren Verkauf zu Geld zu kommen. Die holldndische<br />

Hausfrau rühmt sich ihres Haushaltes, den sie jedoch lange<br />

nicht in dem MaBe beherrscht, wie die mater familias in Flandern.<br />

Diese regiert das Haus und alles, was dazu gehort. Schon ihre Erziehung<br />

ist durch den getrennten Mddchenunterricht mehr auf das<br />

Hausfrauliche gerichtet. Sie weiB, wo man am billigsten einkaufen<br />

kann, und ihr Standesgefühl wird nicht beleidigt, wenn sie danach<br />

sucht. In welcher holldndischen Stadt kennt man die Markfe, auf denen<br />

die Hausfrauen, von ihrem Dienstmddchen begleitet, ihre Einkdufe<br />

machen? Die fldmische Hausfrau führt kein Haushaltbuch wie viele<br />

Holldnderinnen, sie Mest keine Schriften: „Wie komme ich mit dem<br />

25


Hausstandsgelde aus?", und es gibt in Flandern keine „Hausfrauenvereinigungen"<br />

mit teuren Büros und scheinwissenschaftlichem Unsinn.<br />

Aber die fldmische Hausfrau weiB, wo ihr Geld geblieben ist, und sie<br />

kann Kattun von Leinen unterscheiden.<br />

Die Lebenshaltung des Flamen ist ausgesprochen konservativ, was<br />

er durch radikales Politisieren auszugleichen bemüht ist, das jedoch<br />

kaum praktische Ergebnisse zeitigt. Sein Wohlstandsniveau liegt tiefer<br />

als das des Niederlanders, aber der Flame ist zweifellos viel glücklicher<br />

als der Niederldnder, er ist zufriedener mit seinem Los, haf weniger<br />

Angst vor der Zukunft und tut seinen Gefühlen selten Zwang an. Dadurch<br />

ist der Menschenschlag auch nicht so einförmig, ist das Leben<br />

fruchtbarer, blütenreicher und voller als in den Niederlanden. Der<br />

groBe Unterschied zwischen der Haltung derjenigen, die in ökonomischer<br />

und gesellschaftlicher Beziehung in Flandern die Führung haben<br />

und der Mehrheit der Bevölkerung hat bewirkt, daB das Kleinbürgertum<br />

— das Wort in weiterem Sinne gebraucht — einen viel gröBeren<br />

und selbstdndigeren EinfluB auf die Kultur des Volkes gehabt hat, als<br />

in den meisten anderen Völkern. In dieser Hinsicht besteht ein lebhafter<br />

Gegensatz zwischen der sozialen Bedeutung des Kleinbürgertums<br />

in Flandern und in den Niederlanden. Die Kultur, die dieses<br />

krdftige, mit dem Volk und vor allem mit dem Bauernstand verbundene<br />

Kleinbürgertum aus den besten Elementen der fldmischen Volksseele<br />

aufgebaut hat, ist zwar gewiB begrenzt, aber viel selbstdndiger als<br />

das, was jene Gruppe in den Niederlanden hervorgebracht hat.<br />

Daher kommt es, daB der Künstler in Flandern von Natur viel mehr<br />

in der Gemeinschaft zu Hause ist, wahrend er in Holland von ihr ausgeschlossen<br />

ist. Die Malerei, zu der beide Volksg ruppen Anlagen haben,<br />

lebt in Flandern viel mehr im Volke als in den Niederlanden, wo nur<br />

eine ausgewdhlte Gruppe Teilnahme bezeugt. Die fldmische Musik<br />

flieBt aus dem Volksgemüt, die holldndische hat sich verfeinert, entbehrt<br />

aber die Beriihrung mit der Gemeinschaft, aus der sie geboren<br />

ist. Der Bildhauer, dessen Werk der sinnlichen Wahrnehmung am<br />

ndchsten steht, wird in Holland nicht verstanden. In Flandern lebt sein<br />

Werk, auch für die Masse. Und vor allem steht der Flame dem Kunstwerk<br />

unbefangener gegenüber, er folgt seinem eigenen, manchmal<br />

vielleicht schlechten Geschmack und nicht dem seiner Lehrmeister, sein<br />

Gefühl beeinfluBt sein Urteil.<br />

Dadurch, daB die fldmische Bevölkerung im Kapitalismus einen<br />

neuen Herrscher erdulden muBte, der seine Seele nicht versteht, hat<br />

der unvermeidliche Sieg dieses Wirtschaftssystems bei der Bevölkerung<br />

die Minderwertigkeitsgefühle noch verstdrkt, die ihr schon zu eigen<br />

wurden, als ihr Befreiungsversuch gegen die spanische Herrschaft miBlang.<br />

Es muB gesagt werden, daB die politischen Herrscher Flanderns<br />

26


stets das Ihre dazu beigetragen haben, diese Selbsteinschdtzung der<br />

Bevölkerung noch zu verstdrken. Jeder Versuch zur Urteilsfreiheit,<br />

jeder Beginn eines Widerstandes ist mit einer Unerbittlichkeit niedergeschlagen,<br />

die alle spdteren Beherrscher dieses Landes von den Habsburgern<br />

gelernt haben. DaB die Flamen durch das parlamentarische<br />

System die Gelegenheit bekamen, selbst EinfluB auszuüben auf die<br />

Wahl derer, die sie regieren sollten, hat wenig geholfen, denn die so<br />

Gewdhlten trugen den Stempel des Minderwertigkeitsgefühles in der<br />

neuen Umgebung noch deutlicher als das Volksganze an sich.<br />

Auch für die Niederldnder hat sich die Durchdringung mit dem<br />

kapitalistischen Geist zum SchluB unglücklich ausgewirkt. Sie haben<br />

den Kapitalismus auf eigene Weise durch ihren Volkscharakter bestimmt<br />

und durch die Umstdnde, unter denen sie lebten, verarbeitet.<br />

Aber hier, ebenso wie anderswo, führte das letzten Endes zum Verderb<br />

und zur Erstarrung.<br />

Die Weise, wie die nördlichen und die südlichen Niederlande unter<br />

verschiedenen Umstdnden verschieden auf den Kapitalismus reagierten,<br />

hat den Norden und den Süden voneinander entfernt. Wenn sie wieder<br />

zueinander wachsen sollen, dann kann das nur dadurch geschehen,<br />

daB eine gröBere Einheit in das Geistesleben kommt, eine gröBere Einheit<br />

in die Lebenshaltung, wodurch die Entfremdung, welche die<br />

kapitalistische Entwicklung gebracht hat, verschwindet. Nicht ein mechanischer<br />

ZusammenschluB von dem, was auseinander gewachsen<br />

ist, kann zu einem Erfolg führen. Die beiden Volksgruppen müssen<br />

wieder zusammenwachsen, dadurch daB die Elemente, die die kapitalistische<br />

Entwicklung in den Volkscharakter hineingetragen haben,<br />

aus ihm verschwinden, so daB lediglich die natürlichen Verschiedenheiten<br />

übrig bleiben. Das zu erreichen, ist das Bestreben der völkischen<br />

Bewegungen, in den beiden Volksteilen. Diese völkischen Bewegungen<br />

müssen sich in den staatlichen und wirtschaftlichen Verhültnissen entfalten,<br />

in denen die verschiedenen Volksteile leben.<br />

Indem sie um die staatliche Macht und für ein neues Wirtschaftssystem<br />

kdmpfen, müssen sie gleichzeitig den Volkscharakter formen.<br />

Das ist in Flandern das Ziel der Fldmischen Nationalbewegung, die<br />

sich selbst recht langsam verstanden hat, aber die, stdndig kdmpfend,<br />

zu tieferer Einsicht und zu sich selbst gekommen ist. Sie ist entstanden<br />

als eine Bewegung zum Schutze der Sprachrechte des fldmischen Volkes<br />

und ist mit den Erfolgen und Rückschlagen, die man bei einer Bewegung<br />

erwarten muB, die sich im Kampfe formt, schon vor dem<br />

Weltkrieg zu einer nationalen Bewegung im kulturellen Sinne geworden.<br />

Dies kam darin zum Ausdruck, daB der fldmische Kampf<br />

sich damals auf die Eroberung der Genter Universitdt für das fldmische<br />

Volk richtete. Der Weltkrieg steilte die Flamen vor Probleme, für<br />

27


deren Lösung der fldmische Nationalismus noch nicht reif war. Er<br />

hatte die politischen Folgerungen aus seiner Einstellung ziehen müssen.<br />

Leider waren die Lösungen, zu denen sich die einzelnen Gruppen<br />

bekannten, sehr verschieden voneinander. Der „Aktivismus" hatte die<br />

politischen Folgerungen des fldmischen Nationalismus durch seine Bereitwilligkeit<br />

zu einer Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden<br />

gezogen und war auf die Flamisierung des öffentlichen Lebens und<br />

auf eine selbstandige fldmische Politik gerichtet. Die deutsche Niederlage<br />

vernichtete die sofortige Verwirklichung dieser Möglichkeiten.<br />

Es erwies sich auch, daB der Aktivismus das fldmische Volk in jenem<br />

Augenblick noch nicht genug in der Hand hatte, um gegen die zurückkehrende<br />

belgische Staatsmacht eine selbstandige Politik führen zu<br />

können. Aber der Griff nach der Macht, den er vergegenwdrtigte, hatte<br />

für das fldmische SelbstbewuBtsein eine groBe Bedeutung. Die Lösung,<br />

die in den ersten Jahren nach dem Weltkriege versucht wurde, war<br />

begrenzter. Durch Sprachgesetze und die Befriedigung einiger kultureller<br />

Forderungen der Flamen, wie z. B. der Verniederldnderung<br />

der Genter Universitdt, versuchte man die Geister zu besdnftigen. Diese<br />

Sprachenpolitik ist jedoch teilweise miBlungen und in sehr weiten<br />

Kreisen in Belgien fdngt man an, die Notwendigkeit einer Trennung<br />

Flanderns und Walloniens in verwaltungsmöBiger und selbst in politischer<br />

Hinsicht einzusehen. Unterdessen wird das SelbstbewuBtsein<br />

der Flamen durch die veranderten Verhdltnisse in Flandern gestdrkt.<br />

In Wallonien wöchst die Sorge um das eigene selbstandige Weiterbestehen<br />

in Folge des Rückganges der eigenen und des Wachstums<br />

der fldmischen Bevölkerung und durch den zunehmenden EinfluB der<br />

Flamen und die Verringerung des kulturellen Einflusses des Französischen.<br />

GewiB steht dem gegenüber, daB die starken Industrialisierungsbestrebungen<br />

in Flandern die Französierung zu vermehren drohen.<br />

Der Individualismus, die politische Streitsucht und Verwirrung haben<br />

jahrelang die Entwicklung des fldmischen Nationalismus gebremst.<br />

Die Entwicklung der letzten Jahre, in denen der fldmische Nationalismus<br />

sich trotz mancher Rückschldge zum Nationalsozialismus hin<br />

entwickelt, ist jedoch erfreulich.<br />

In den Niederlanden hat die nationalsozialistische Bewegung (NSB.)<br />

das Ziel, das niederlandische Volk für die neue Zeit zu erziehen. Auch<br />

sie formt das Volk durch den Kampf, den sie gegen die erstarrten<br />

kapitalistischen Machte und den erstarrten demokratisch-liberalen Staat<br />

führt. Aus ihrer Ideologie ergibt sich, daB sie die Elemente in dem<br />

niederldndischen Volkscharakter, die in ihn durch die kapitalistische<br />

Entwicklung hineingekommen sind, notwendig bekdmpfen muB. Der<br />

Nationalsozialismus, der für ganz Europa eine Erneuerung bringt,<br />

soll auch für das niederlandische Volk im Süden wie im Norden eine<br />

geistige Verjüngung bringen und die Schaden, die der Kapitalismus<br />

28


dem Volkscharakter zugefügt hat, beseitigen. lm Norden hat die<br />

Durchringung mit dem Geist des Rationalismus eine Verkümmerung<br />

des Gefühls mit sich gebracht, die mit Freudlosigkeit, mit einer gewissen<br />

Verlegenheit und mit einer Art Herrschermentalitdt verbunden ist.<br />

lm Süden hat der Widerstand gegen die Durchringung mit dem kapitalistischen<br />

Geist zum Konservatismus geführt, und die Oberherrschaft<br />

fremder kapitalistischer Elemente hat bei den Flamen Mangel an Tatkraft<br />

und einen Geist der Unterwürfigkeit entstehen lassen. Diese<br />

Elemente, die auch die Ursache sind, daB der Volkscharakter sich in<br />

den Niederlanden und in Belgien verschieden entwickelt hat, werden<br />

durch den Nationalsozialismus verschwinden.<br />

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