und Intentionalitätstheorie bei John R. Searle - Institut für ...
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Untersuchung zum Verhältnis von Sprechakt-<br />
<strong>und</strong> <strong>Intentionalitätstheorie</strong> <strong>bei</strong> <strong>John</strong> R. <strong>Searle</strong><br />
Lutz Schneider<br />
Magisterar<strong>bei</strong>t<br />
Betreuer: Prof. Dr. Herbert Schnädelbach<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Philosophie<br />
der Humboldt-Universität zu Berlin<br />
Seifersdorf, 14.11. 1998
I N H A L T<br />
Vorwort 1<br />
1. Sprechen <strong>und</strong> Handeln –<br />
Wege zur Sprechakttheorie 3<br />
2. Die Sprechakttheorie <strong>Searle</strong>s 9<br />
2.1. Sprechen als Vollzug regelgeleiteter Akte 9<br />
2.2. Bedeutung <strong>und</strong> Kommunikation 17<br />
2.3. Illokutionäre Akte 19<br />
2.4. Propositionale Akte 25<br />
2.4.1. Referenz 27<br />
2.4.2. Prädikation 33<br />
2.5. Äußerungs- <strong>und</strong> Satzbedeutung 38<br />
3. Intentionalität <strong>und</strong> Bedeutung 45<br />
3.1. Repräsentation als Erfüllung 45<br />
3.2. Die Bedeutungstheorie von Intentionality 52<br />
4. Erwiderungen 62<br />
4.1. Sprachlose Intentionalität? 62<br />
4.2. Apels <strong>und</strong> Habermas‘ <strong>Searle</strong>-Kritik 83<br />
5. Ergebnisse 89<br />
6. Literaturverzeichnis 90
Vorwort<br />
Für Erstaunen sorgte die Veröffentlichung von <strong>Searle</strong>s Intentionality 1 im Jahr 1983,<br />
<strong>und</strong> dies nicht ohne Gr<strong>und</strong>. Der Theoretiker, dessen Identifikation die Bezeichnung<br />
»Sprechakttheoretiker« fast schon notwendig <strong>bei</strong>nhaltete, trat mit einem „Essay in<br />
the philosophy of mind“ hervor. Dieses Werk beansprucht, <strong>für</strong> die früheren Werke<br />
Speech Acts <strong>und</strong> Expression and Meaning 2 eine begriffliche Gr<strong>und</strong>lage bereitzustellen<br />
(Int., S.vii). Die diesen Anspruch begründende Hauptthese besteht in der Behauptung,<br />
„the philosophy of language is a branch of the philosophy of mind“ (ebd.).<br />
<strong>Searle</strong> sieht Intentionality als „the third [book] in a series of related studies of mind and<br />
language“ (ebd.), wo<strong>bei</strong> Speech Acts <strong>und</strong> Expression and Meaning die zwei anderen<br />
Bücher der Reihe darstellen.<br />
Was <strong>Searle</strong> selbst als kontinuierlichen, fast selbstverständlichen Weg ansieht, das beschreiben<br />
andere Autoren als „erstaunliche Wende“ (Apel, 1990, S.19), Leilich macht<br />
gleich zwei Wenden (die antipragmatische <strong>und</strong> die intentionalistische) aus (Leilich,<br />
1993, S. 50); sie zerteilen die Entwicklung <strong>Searle</strong>s in zwei Phasen (Liedtke, 1990,<br />
S.194; Apel, 1990, S.19) <strong>und</strong> finden „important and irreconcilable differences“ zwischen<br />
Intentionality <strong>und</strong> Speech Acts. (Harnish, 1990, S.170).<br />
Ein Ziel vorliegender Untersuchung besteht darin, die Entwicklung <strong>Searle</strong>s nachvollziehbar<br />
zu machen. Meine These ist, daß <strong>Searle</strong> die Sprechakttheorie nicht als selbstgenügsam<br />
angesehen hat. Insofern ist eine F<strong>und</strong>ierung erwartbar gewesen. Dies ist, wenn man so<br />
will, eine These über <strong>Searle</strong>s intentionale Zustände. Ich möchte nicht die sachliche<br />
Behaupten aufstellen, daß die Sprechakttheorie – etwa in Habermas‘ oder Apels Verständnis<br />
– keine irreduziblen Aspekte enthält.<br />
Diese erste These ist zu ergänzen durch die Feststellung, daß die Durchführung von<br />
<strong>Searle</strong>s F<strong>und</strong>ierungsprojekt in Intentionality dann in der Tat zu erstaunlichen Ergebnissen<br />
führt. Dies betrifft zum einen die Theorie der Intentionalität des Geistes selbst<br />
(die ersten Seiten von Intentionality lesen sich wie ein Zitat aus Husserls Logischen Untersuchungen),<br />
zum anderen aber insbesondere die Bedeutungstheorie – also die Frage der<br />
F<strong>und</strong>ierung der Sprechakttheorie durch die <strong>Intentionalitätstheorie</strong>. Es handelt sich<br />
hier<strong>bei</strong> um die Frage, wie man – mit <strong>Searle</strong>s Worten - von der Physik zur Semantik<br />
kommt. Besonders überraschend ist die <strong>Searle</strong>sche These, daß Bedeutung unabhängig<br />
von Kommunikation analysiert werden muß (Int., S. 165).<br />
Die Tatsache, daß <strong>Searle</strong> eine Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> seine Sprechakttheorie schaffen will,<br />
scheint mir verständlich. Die Gr<strong>und</strong>lage, die <strong>Searle</strong> dann aber konkret darstellt, ist nicht gegeignet,<br />
um die Essentials seiner Sprechakttheorie zu erklären. Dies aufzuzeigen, ist ein weiteres<br />
Ziel vorliegender Untersuchung. Deshalb steht im dritten Teil die Bedeutungstheorie<br />
von Intentionality im Vordergr<strong>und</strong>. Denn hier muß sich ja entscheiden, inwiefern<br />
die Intentionalität des Geistes die Intentionalität der Sprechakte erklären kann.<br />
Ich werde im vierten Teil der Untersuchung Argumente sammeln, die zeigen, daß die<br />
1 <strong>Searle</strong>, <strong>John</strong> R.: Intentionality. An essay in the philosophy of mind. Cambridge 1983.<br />
2 <strong>Searle</strong> <strong>John</strong> R.: Speech Acts. Cambridge 1969; Ders.: Expression and Meaning. Cambridge 1979.
Theorie der Intentionalität des Geistes nicht gr<strong>und</strong>legender als die Sprechakttheorie<br />
sein kann, da sie selbst auf Unterscheidungen angewiesen ist, die nur im Rahmen von<br />
Sprache <strong>und</strong> Sprechakten erläuterbar sind. Außerdem werde ich zu zeigen versuchen,<br />
daß selbst unter der Voraussetzung, die Intentionalität des Geistes sei ohne Sprache<br />
analysierbar, die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> die Sprechakttheorie nicht begründen könnte,<br />
weil sozusagen die Brücke zwischen der <strong>Searle</strong>schen <strong>Intentionalitätstheorie</strong> <strong>und</strong> der<br />
<strong>Searle</strong>schen Sprechakttheorie nicht geschlagen werden kann. Dies hat seinen Gr<strong>und</strong><br />
in der inakzeptablen Bedeutungstheorie von Intentionality.<br />
Um es prägnant, freilich auch leicht verzerrt (weil zu unpragmatisch) zu sagen: Geist<br />
kann nicht ohne Sprache analysiert werden. Deshalb kann eine Theorie des Geistes<br />
keine Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> eine Theorie der Sprache sein. Selbst wenn Geist ohne Sprache<br />
analysierbar wäre, könnte die Theorie des Geistes, die <strong>Searle</strong> präsentiert, keine<br />
Gr<strong>und</strong>lage einer Theorie der Sprache sein, weil die Bedeutungstheorie, die unter genannter<br />
Bedingung eine Theorie der Bedeutungsverleihung ist, nicht erklären kann,<br />
wieso Sprache so funktioniert, wie sie funktioniert. Das Verhältnis von Sprechakttheorie<br />
<strong>und</strong> <strong>Intentionalitätstheorie</strong> ist demnach anders anzusetzen, als es <strong>Searle</strong> darstellt,<br />
es ist kein einseitiges F<strong>und</strong>ierungsverhältnis.<br />
Die vorliegende Untersuchung gliedert sich in vier Teile. Nach einer knappen Einleitung,<br />
die zwei philosophiegeschichtliche Wege zur Sprechakttheorie aufzeigt, wird im<br />
zweiten Teil <strong>Searle</strong>s Sprechakttheorie – nicht nur rein interpretativ, sondern argumentativ<br />
- dargestellt. Daß <strong>Searle</strong> hier nicht nur sprachpragmatisch motivierte Unterscheidungen<br />
gebraucht, wird in diesem Teil gezeigt werden. Im dritten Teil wird die<br />
<strong>Intentionalitätstheorie</strong> aus Intentionality vorgestellt. Im vierten Teil wird diese einer<br />
ausführlichen Kritik unterzogen, besonders, was die Frage des Verhältnisses von<br />
Sprechakttheorie <strong>und</strong> <strong>Intentionalitätstheorie</strong> <strong>und</strong> von Sprache <strong>und</strong> Intentionalität im<br />
allgemeinen angeht. In der Kritik wird auch auf neuere Entwicklungen der <strong>Searle</strong>schen<br />
Philosophie, nämlich die Theorie der institutionellen Tatsachen eingegangen,<br />
freilich nur soweit sie <strong>für</strong> die vorliegende Untersuchung von Belang sind.
1. Sprechen <strong>und</strong> Handeln - Wege zur Sprechakttheorie<br />
Den Menschen als sprachbegabt <strong>und</strong> handlungsfähig zu kennzeichnen, dies als konstitutiv<br />
<strong>für</strong> das Menschsein anzusehen, ist eine bereits <strong>für</strong> die Antike belegte Meinung.<br />
Auch ein Zusammenhang zwischen Sprache <strong>und</strong> Handlung wurde erkannt. Zu denken ist<br />
etwa an Aristoteles, der an einer schon berühmt zu nennenden Stelle in der Politik behauptet,<br />
daß die Sprache den Menschen vom Tier abhebt <strong>und</strong> ihm ermöglicht, zwischen<br />
gut <strong>und</strong> böse, nützlich <strong>und</strong> schädlich zu unterscheiden. 3<br />
Auch aus anderer, nicht-anthropologischer Perspektive werden in der Antike Beziehungen<br />
zwischen Handeln <strong>und</strong> Sprechen betrachtet, <strong>und</strong> zwar auf dem Felde der Rhetorik.<br />
Rede wird hier zur Kunstfertigkeit, die vor allem <strong>für</strong> die Durchsetzung politischer<br />
Interessen von Belang ist. Sprache kommt als instrumentelles Interaktionsmedium in<br />
den Blick, als Möglichkeit, politische Entscheidungsträger gemäß den eigenen Zielen zu<br />
beeinflussen. In der Sprechakttheorie wird dies unter dem Titel »perlokutionäre Effekte«<br />
abgehandelt. Platon vernachlässigt dann aber in seiner Auseinandersetzung mit der<br />
Rhetoriklehre der Sophisten die Handlungsbezogenheit des Sprechens, betrachtet Sprache<br />
nicht mehr in erster Linie im Hinblick auf die Wirkung auf einen möglichen Adressaten,<br />
sondern unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit des sprachlichen Ausdrucks<br />
an die besprochene Sache. Wie kann Sprache die zu verhandelnden Sachen adäquat<br />
vergegenwärtigen? Im Hintergr<strong>und</strong> steht hier<strong>bei</strong> die Vorstellung einer sprachunabhängig<br />
gegebenen Ordnung der Dinge.<br />
Der Rhetoriker nun, der nur das Ausdrucksmedium der Sprache, nicht aber die Ordnung<br />
des Seins kennt, ist kein geeigneter Redner, eben weil er mit der zu verhandelnden<br />
Sache nicht vertraut ist. Die bloßen Redner wissen gar nicht recht, wovon sie eigentlich<br />
sprechen. 4 Aus dieser Rhetorikkritik ergibt sich <strong>bei</strong> Platon die Tendenz, Adressaten,<br />
Redezweck <strong>und</strong> Äußerungskontext - ganz gegen jede Lehre der Beredsamkeit - in der<br />
sprachtheoretischen Reflexion zu übergehen.<br />
Eine folgenreiche Semiotik wird entwickelt, die von der Sprecher-Hörer-Beziehung <strong>und</strong><br />
von den Äußerungskontexten weitgehend abstrahiert <strong>und</strong> sprachliche Zeichen in Relation<br />
zu Gegenständen <strong>und</strong> Ideen setzt. Es kommt nach Platon alles darauf an, die Angemessenheit<br />
der Zeichen an die auszudrückenden Ideen (Wesenheiten) zu sichern. 5<br />
Diese Aufgabe kann nicht dem Rhetoriker überlassen werden, der sozusagen nur die<br />
Zeichen kennt, gefordert ist vielmehr der Dialektiker, der mit der Sache vertraut ist, d.h.<br />
die Wesenheiten geschaut hat <strong>und</strong> diese nun auch in der Sprache abbilden kann. 6 An<br />
3 Vgl.Aristoteles, Politik, I, 2; 1253a.<br />
4 Der Rhetoriker handelt ohne Einsicht, er gibt sich aber so, als handelte er mit Einsicht. D.h. der Rhetoriker<br />
weiß nur, worin die Geste des Einsichtigen besteht, nicht aber hat er selbst die Einsicht, denn dann<br />
würde er ja gemäß dieser handeln. Der Rhetoriker handelt <strong>und</strong> redet also nicht wieder besseres Wissen,<br />
sondern er weiß gar nicht, wovon er redet. Vgl. Platon, Gorgias, 463a ff.<br />
5 Dasselbe Denkmuster findet sich <strong>bei</strong>m Husserl der Logischen Untersuchungen, dem es darum geht, die<br />
wirklichen Bedeutungskategorien unter den sprachlichen Verdeckungen zu enthüllen, um diese dann<br />
wieder adäquat in die sprachlichen Kategorien einzuprägen. Vgl. LU, Einleitung, §4.<br />
6 Vgl. Platon, Kratylos, 390c ff. Im Kratylos wird daher auch scharfsinnig das Problem aufgeworfen, ob<br />
man die Gegenstände ohne sprachliche Identifikation quasi aus sich selbst kennen lernen <strong>und</strong> die sprachliche<br />
Bezeichnung dann mit den Gegenständen vergleichen kann oder ob die Identifizierungsleistung von<br />
vornherein an sprachliche Zeichen geknüpft ist (438a ff.).
dieser Stelle erhält das Schauen <strong>und</strong> die Theorie den Vorrang vor der Praxis, die Sprache<br />
wird <strong>für</strong> die Theorie in Dienst genommen. Das Paradigma der Sprachverwendung<br />
ist in der durch die wahr/falsch-Differenz konstituierten Aussage gef<strong>und</strong>en, der sitzende<br />
Theaitetos wird von nun an lange Zeit den philosophischen Diskurs über Sprache<br />
begleiten.<br />
Aristoteles <strong>und</strong> mit ihm die ganze Tradition einschließlich der neuzeitlichen Bewußtseinsphilosophie<br />
behält das Gr<strong>und</strong>schema dieser Semiotik <strong>bei</strong>. Zwar sind es, was die<br />
generellen Termini angeht, häufig nicht mehr überzeitliche Universalien, die ausgedrückt<br />
werden, sondern wahrnehmbare Ähnlichkeiten von Einzeldingen, aber die<br />
Struktur bleibt dieselbe. Immer ist ein zweistelliges Repräsentationsmodell Gr<strong>und</strong>schema<br />
der semiotischen Theorie. 7 Die Wörter repräsentieren demnach private Gedanken<br />
<strong>und</strong> Vorstellungen des Bewußtseins <strong>und</strong> machen sie dadurch öffentlich zugänglich.<br />
8 Wenn man Glück hat, repräsentieren die Wörter auch noch die Dinge in der<br />
Welt, was genau dann geschieht, wenn die repräsentierten Bewußtseinsvorstellungen<br />
ihrerseits Dinge in der Welt repräsentieren. Der Weltbezug der Sprache wird vom<br />
Weltbezug des Bewußtseins gleichsam geerbt. Sprache thematisierte man in diesem Zusammenhang<br />
nicht unter der Hinsicht vollzogenen Sprechens, sondern nur in der zweistellig<br />
gedachten Repräsentationsrelation Wort-Gegenstand bzw. Wort-Vorstellung.<br />
Diese abgeleitete Repräsentationsleistung der Sprache führte zu einer Art Sprachvergessenheit<br />
der Philosophie, denn natürlich beschäftigte man sich lieber mit den Dingen<br />
bzw. den mentalen Vorstellungen, als mit den sprachlichen Zeichen derselben. Die<br />
Funktion der Sprache war eben nur ein soziale, sie bestand einfach darin, die sich selbst<br />
genügenden privaten Vorstellungen öffentlich darzustellen, sozusagen bekanntzugeben.<br />
Zwei Dinge sind als Kernelemente dieser traditionellen Thematisierung der Sprache<br />
auseinanderzuhalten, wo<strong>bei</strong> ins Auge fällt, daß sich <strong>bei</strong>de gegenseitig ergänzen:<br />
1. Im allgemeinen wurde eine semiotische Theorie akzeptiert, deren Kernelement von<br />
dem bezeichneten zweistelligen Repräsentationsschema gebildet wurde. Diese meist als<br />
Referenzsemantik betitelte Auffassung versuchte, die Frage nach der Bedeutung von<br />
Zeichen auf die Frage nach dem Bezug von Zeichen zu reduzieren. 9 In diesem<br />
Zusammenhang steht die fast ausschließliche Orientierung der sprachlichen Reflexion<br />
an der Aussage. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Korrespondenztheorie der Wahrheit konnte<br />
die Aussage immer als die eigentliche Sprachform erscheinen, da mit der Aussage<br />
darauf abgezielt wurde, die Dinge so abzubilden, wie sie sind, d.h. dieselben<br />
angemessen zu repräsentieren. Die Korrespondenztheorie der Wahrheit <strong>und</strong> die<br />
Referenzsemantik können daher als zwei Seiten derselben Medaille betrachtet werden.<br />
2. Die primäre Leistung der Sprache besteht in der Mitteilungs- bzw. K<strong>und</strong>gabefunktion,<br />
auf die ein soziales Wesen wie der Mensch angewiesen ist. Private, mentale Zustände<br />
7 Der Terminus »Repräsentation« findet sich vornehmlich in der neueren Philosophie. Aber schon<br />
Aristoteles spricht davon, daß die "Laute [...] Zeichen der in der Seele hervorgerufenen Vorstellun-gen<br />
[sind]" Lehre vom Satz, Kap.1; 16a. Die Vorstellungen ihrerseits sind Abbilder der Dinge. Bei Aristoteles<br />
ist die neuzeitliche Repräsentationstheorie klar vorgebildet. Freilich haben die mentalen Vorstellungen<br />
hier noch nicht die explikative Funktion, die sie dann in der Neuzeit durch Descartes erhalten.<br />
8 Die öffentliche Darstellung von privaten Ideen ist nach Locke die genuine Leistung der Sprache, welcher<br />
der Mensch als geselliges Wesen notwendig bedarf. Vgl. Locke, Versuch über den menschlichen<br />
verstand, Bd.2, Buch 3, Kap.1.<br />
9 Vgl. zur Referenzsemantik v. Kutschera, 1975, S.38-51.
werden im sprachlichen Ausdruck öffentlich zugänglich, gleich, ob diese mentalen Zustände<br />
selbst noch einmal Repräsentationen von Gegenständen in der Welt sind oder<br />
ob sie als private Gefühle des Sprechers gelten. Sprache wird ausschließlich als Medium<br />
betrachtet, <strong>und</strong> zwar als Medium der Veröffentlichung von privaten Geistzuständen.<br />
Sowohl den ersten als auch den zweiten Punkt modifizierten die Sprachtheoretiker der<br />
modernen Philosophie in gr<strong>und</strong>legender Weise. Seit Frege <strong>und</strong> Husserl gilt, daß die Bedeutung<br />
von Sätzen nicht auf die Referenz derselben reduziert werden kann. 10 Schwierigkeiten<br />
mit negativen Existenzsätzen <strong>und</strong> intensionalen Kontexten führten zu einer<br />
Revision der traditionellen Auffassung. In der sprachanalytischen Philosophie wurde<br />
vor allem auf die Frage verzichtet, wo<strong>für</strong> der generelle Terminus, also das Prädikat,<br />
steht. Vielmehr orientierte man sich, darin Frege nachfolgend, am ganzen Satz als kleinstem<br />
vollständigen Bedeutungsträger <strong>und</strong> versuchte die Bedeutungsfrage durch Rekurs<br />
auf dessen Wahrheits- oder Verifikationsbedingungen zu klären, 11 wodurch das<br />
Problem der Referenz auf Satzebene, später gar auf die Ebene einer ganzen Theorie<br />
oder einer ganzen Sprache verschoben wurde. Die Gr<strong>und</strong>tendenz dieser Diskussion<br />
liegt in dem Versuch, die Referenzsemantik aufzugeben, ohne die primäre Orientierung<br />
an wahrheitsfähigen Sätzen fallenzulassen. Reality Without Reference ist der bezeichnende<br />
Titel eines Aufsatzes von Donald Davidson (Davidson, 1977).<br />
Die Skepsis gegenüber nur privat zugänglichen Entitäten führte des weiteren zu einer<br />
Modifikation des zweiten Kernelementes der traditionellen Sprachphilosophie. Es ist<br />
eine eher methodische Überlegung, die an der Funktionsbestimmung der Sprache als<br />
Veröffentlichung privater Zustände zweifeln ließ. Die traditionelle Philosophie interessierte<br />
sich ja, wie oben angedeutet, kaum <strong>für</strong> die Sprache, sondern fast ausschließlich<br />
<strong>für</strong> den Geist. Für den aber war es konstitutiv, daß er zunächst nicht öffentlich zugänglich<br />
war 12 - sonst hätte es der beschriebenen Funktionsbestimmung der Sprache gar<br />
nicht bedurft. Das Vorliegen privater mentaler Zustände konnte daher nur durch die<br />
Person verifiziert werden, die sich in diesen Zuständen befand. Das war, vor allem <strong>für</strong><br />
die (natur-)wissenschaftstheoretisch interessierten Vertreter des Logischen Empirismus,<br />
keine ausreichende Basis, um gerechtfertigte Urteile abgeben zu können. So hielt man<br />
sich lieber gleich an die weniger geheimnisvollen Sätze, machte die Sprache zum Gegenstand<br />
der Analyse, mit dem Vorteil, überprüfbare Ergebnisse vorweisen zu können.<br />
Das Bewußtsein <strong>und</strong> mentale Zustände kamen nur noch in den Blick, wenn Sätze über<br />
10 Freilich denkt der frühe Husserl Bedeutung, also die Gegegenheitsweise von Gegenständen selbst auch<br />
noch in gegenständlichen Kategorien, trennt aber trotzdem scharf zwischen Gegenstand <strong>und</strong> Bedeutung<br />
bzw. Sinn. Vgl. LU, I, §§11,12. Als hervorragenden Kenner <strong>und</strong> Kritiker von Husserls Bedeutungstheorie<br />
vgl. Tugendhat, 1976, 9. Vorl.143ff.; Tugendhat, 1970.<br />
11 Klassische Ausprägung findet diese Vorstellung in Wittgensteins berühmtem Diktum: “Einen Satz<br />
verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist.” Tractatus, 4.024. Diese These sollte allerdings<br />
nicht darüber hinwegtäuschen, daß der frühe Wittgenstein sehr viele Behauptungen aufstellt, die<br />
eher an eine (freilich subtile) Referenzsemantik denken lassen - so seine Bestimmungen der Sätze als<br />
Bilder der Wirklichkeit.<br />
12 Bei Descartes ergab sich diese Konsequenz daraus, daß die Existenz der öffentlichen Welt - die Welt<br />
der sensuellen Wahrnehmung - unter methodischen Zweifel gestellt wurde. Gewißheit konnte dann nur<br />
das mentale, innere Erlebnis selbst beanspruchen, nicht der Gegenstand, den das Erlebnis präsentierte.<br />
Insofern ist der Begriff des Geistes seit Descartes durch die Differenz innen/außen (privat/öffentlich)<br />
konstituiert. Vgl. Descartes, Meditationen über die Erste Philosophie, II. Meditation.
derartige Zustände Gegenstand der Analyse waren. Mit diesen Sätzen hatte man nun<br />
das alte Verifikationsproblem im Gewand der Sprache wieder vor sich. Der öffentlich<br />
zugängliche Satz konnte nur aus der Erste-Person-Perspektive verifiziert werden. Oder<br />
gab es eine Möglichkeit, dieses Ergebnis zu umgehen? Einige Philosophen sahen im<br />
Behaviorismus die Antwort auf das geschilderte Problem. Vom mittleren <strong>und</strong> späten<br />
Wittgenstein angeregt, entwickelte Ryle eine Analyse der fraglichen Sätze über Mentales.<br />
Psychische Prädikate wurden als Prädikate von Verhaltensregelmäßigkeiten oder<br />
Verhaltensdispositionen verstanden. 13 Damit konnte Sprache nicht mehr als öffentlicher<br />
Ausdruck des Geistigen gelten, vielmehr war in dieser Perspektive das sogenannte<br />
Geistige eher eine unzulässige Verdinglichung von sprachlichen Zuschreibungen vor<br />
dem Hintergr<strong>und</strong> der Referenzsemantik. Das in methodischer Hinsicht verabschiedete<br />
Bewußtsein wird auch ontologisch obsolet, es ist kaum verw<strong>und</strong>erlich, daß nun das<br />
Sprachvermögen den vakanten Posten besetzt.<br />
Zwei Aspekte bestimmen den Horizont, in dem sich das Bedeutungsproblem jetzt bewegt:<br />
zum einen gilt, daß der Begriff der Referenz den Begriff der Bedeutung nicht<br />
vollständig analysieren kann; zum anderen mußte der Öffentlichkeit der Sprache Rechnung<br />
getragen werden, diese konnte nicht allein durch Rekurs auf private Entitäten geklärt<br />
werden.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> machte Wittgenstein 14 den Vorschlag, den Gebrauch der Sprache<br />
in Analogie zur Praxis 15 des Spielens zu denken. Wichtigster Begriff, der jetzt in die<br />
Diskussion eingeführt wurde, ist der der Regel - gedacht nach dem Modell der<br />
Spielregel. Sprechen ist eine Form des Handelns, das durch Regeln geleitet wird. Was als<br />
eine bedeutungsvolle Äußerung gilt <strong>und</strong> als was diese Äußerung gilt, das legt die jeweilige<br />
Praxis des Sprechens - das Sprachspiel - fest, die freilich in eine gesamte Lebensform<br />
eingebettet ist. Zu fragen, worin diese Regeln des Gebrauchs begründet sind, ist so unsinnig<br />
wie die Frage, worin die Regeln des Tango-Tanzens begründet sind. Tango wird<br />
halt so getanzt, wie er getanzt wird, eine bestimmte Farbe wird im Deutschen »rot« genannt,<br />
<strong>bei</strong>des läßt sich nicht noch einmal rechtfertigen. Diese hier nur knapp geschilderte<br />
Auffassung hat den Vorteil, daß man den öffentlichen Aspekt von Sprache erläutern<br />
kann. Regelfolgen kann <strong>und</strong> muß gelernt werden. Dazu bedarf es in der Regel schon<br />
eines Lehrers <strong>und</strong> eines Lernenden. Wittgenstein geht sogar soweit, die Möglichkeit<br />
privaten Regelfolgens auszuschließen, den Fall also, <strong>bei</strong> dem Lehrer <strong>und</strong> Schüler identisch<br />
sind. Auch ist Wittgenstein von den Problemen der Referenztheorie nicht betroffen.<br />
Bedeutung wird ja nicht als Relation zwischen vorhandenen Entitäten gedacht,<br />
sondern, ganz grob gesprochen, als Handeln gemäß Regeln, die selbst aber nicht ir-<br />
13 Ryle, 1949. Vgl. auch v. Savigny, 1993, 89ff.<br />
14 Vgl. zum folgenden PU §§ 7, 23, 108, 202 u.a.<br />
15 Hier wird die lange Tradition, Bedeutung im Bereich der theoria zu verankern durchbrochen. Ähnliche<br />
Versuche machte Heidegger in Sein <strong>und</strong> Zeit, worin er Sprache in der Rede wurzeln läßt. Auch sein Programm<br />
ist gegen jede Referenzsemantik gerichtet, die letztlich nur Ausdruck einer Vorhandenheitsontologie<br />
wäre. Vielmehr entsteht das Bedeutungsphänomen im Zu-tun-haben mit etwas, also zunächst im<br />
alltäglichen Umgang mit den Dingen, in der Lebenspraxis. Freilich ist <strong>bei</strong> Heidegger Bedeutung, Verstehen<br />
<strong>und</strong> sogar Auslegung nicht an Sprache geb<strong>und</strong>en, umgekehrt gilt dies aber, so daß man zurecht sagen<br />
kann, Heidegger nimmt den Bereich des Sprachlichen in den der Praxis hinein. Die theoretische Aussage<br />
hat <strong>für</strong> Heidegger daher “abkünftigen” Status, da sie schon eine ganze Menge an Verstehens- <strong>und</strong> Auslegungsvorleistungen<br />
erfordert. Vgl. SuZ, §§ 31-34.
gendwo geschrieben sind, sondern nur in der jeweiligen Praxis des Miteinandersprechens<br />
<strong>und</strong> -lebens bestehen. Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes liegt in der Möglichkeit,<br />
die alleinige Orientierung an wahrheitsfähigen Sätzen zu durchbrechen. 16 Äußerungen<br />
mit Wahrheitsorientierung, z.B. Behauptungen, Feststellungen, Beschreibungen,<br />
sind in diesem Rahmen ebenso erläuterungsfähig wie Befehle, Entschuldigungen <strong>und</strong><br />
dergleichen. Freilich versuchen auch Autoren, die eine wahrheitskonditionale Semantik<br />
vertreten, Äußerungen mit anderen Modi innerhalb ihrer Theorie zu erklären (Vgl. Davidson,<br />
1968, 1979, 1981).<br />
Mit der Analyse des Bedeutungsbegriffs durch den Begriff des Regelfolgens, mit dem<br />
Verzicht auf die explikative Funktion mentaler Akte <strong>und</strong> mit der Ausweitung des Gegenstandsbereiches<br />
auf nicht-wahrheitsorientierte Sprachvollzüge ist nun der theoretische<br />
Boden <strong>für</strong> die Entwicklung der Sprechakttheorie erreicht. Austins Untersuchungen<br />
stehen in diesem Horizont. 17 Daß man, indem man spricht, bestimmte Handlungen<br />
vollzieht, läßt sich anhand des Begriffs des Regelfolgen klarmachen. Daß die Umstände<br />
einer Äußerung konstitutiv <strong>für</strong> die Bedeutung einer Äußerung sind, d.h. da<strong>für</strong>, als was<br />
diese Äußerung gilt, ist mit dem Wittgensteinschen Lebensformkonzept verb<strong>und</strong>en.<br />
Austins Klassifikation von Sprechakten beruht auf der Erkenntnis, daß die meisten<br />
Äußerungen nicht der wahr/falsch-Logik unterliegen. Die Sprechakttheorie Austins<br />
steht also ganz auf wittgensteinschem Boden, <strong>und</strong> damit ist natürlich auch das <strong>Searle</strong>sche<br />
F<strong>und</strong>ament gekennzeichnet.<br />
Allerdings gibt es noch einen zweiten, weniger voluminösen Weg, der zur Sprechakttheorie<br />
<strong>Searle</strong>s geführt hat <strong>und</strong> der hier nicht übergangen werden darf. Die Überlegungen,<br />
die <strong>Searle</strong> zu Veränderungen der Austinschen Position motivieren <strong>und</strong> die m.E.<br />
auch den Weg in die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> mitbedingen, finden im Umfeld handlungstheoretischer<br />
Diskussionen statt. Gerade weil die Methode der sprachanalytischen Philosophie<br />
in der Untersuchung von Sätzen bestand, war sie thematisch nie nur an der Sprache<br />
interessiert - bekanntlich handeln die meisten Sätze ja nicht selbst von der Sprache.<br />
Vor allem ethische Probleme verlangten zunächst eine Klärung des Handlungsbegriffes,<br />
denn mit diesem waren die Begriffe der Entscheidung, der Absicht, der Verantwortlichkeit,<br />
Freiheit usw. verb<strong>und</strong>en. Es lag nahe, die gewonnenen Erkenntnisse <strong>für</strong><br />
die Bedeutungstheorie fruchtbar zu machen, wo doch Sprache durch Wittgenstein wieder<br />
in den Bereich der Praxis eingegliedert worden war. In diesem Zusammenhang ist<br />
der Philosoph Grice zu nennen, der den Bedeutungsbegriff handlungs-theoretisch<br />
durch den Begriff der Sprecherabsicht zu klären versuchte. 18 Wenn man will, kann man<br />
16 Schon Husserl hatte in den Logischen Untersuchungen unterschiedliche Intentionalitätsarten herausgestrichen,<br />
unter denen das Urteil nur eines war, auf das andere Arten, wie der Wunsch, die Absicht, Gefühle<br />
usw. nicht reduziert werden konnten. Im sprachanalytischen Gewand tritt diese Differenzierung in<br />
Form einer Unterscheidung von Sprachspielen bzw. später von illokutionären Rollen wieder auf. Vgl.<br />
Husserl, LU, V, §§9ff., 15.<br />
17 Austins Analysen werden hier nicht eigens thematisiert, da die meisten seiner Ergebnisse in <strong>Searle</strong>s<br />
Theorie einfließen bzw. von <strong>Searle</strong> erst systematisiert werden. Insofern wende ich mich gleich <strong>Searle</strong> zu,<br />
auch wenn dies den gänzlich falschen Anschein erweckt, Austin wäre nur eine zu vernachlässigende<br />
Größe innerhalb der Sprechakttheorie. Austin ist vielmehr, darin Wittgenstein vergleichbar, der Steinbruch<br />
<strong>für</strong> nachfolgende systematisierende Ansätze.<br />
18 Vgl. von diesem Autor u.a. ‘Intendieren, Meinen, Bedeuten’ sowie ’Sprecher-Bedeutung <strong>und</strong> Intentionen’.<br />
Vgl. kritisch zu Grice Black, 1973. In späteren Kapiteln meiner Untersuchung wird die Gricesche
nun den 2500-jährigen Bogen spannen <strong>und</strong> in Grice wieder ein Anknüpfen an die Rhetorikdiskussion<br />
zwischen Platon <strong>und</strong> den Sophisten sehen. Ähnlichkeiten sind jedenfalls<br />
vorhanden, man denke nur daran, daß nun das Sprecher-Hörer-Modell neu belebt<br />
wird <strong>und</strong> daß Bedeutung letztlich durch Absichten, bestimmte Hörerwirkungen zu erzielen,<br />
expliziert wird.<br />
Während man auf Wittgensteinscher bzw. Austinscher Seite vom Begriff der sprachlichen<br />
Bedeutung zum Regelbegriff <strong>und</strong> dann zum Handlungsbegriff gelangte, kam man<br />
mit Grice vom Handlungsbegriff auf den Bedeutungsbegriff. Handlungstheorie <strong>und</strong><br />
Semantik verschmolzen so zur Sprechakttheorie, die <strong>Searle</strong> in konstitutiver Form ausformte.<br />
Die Frage, ob diese Verschmelzung gelungen ist, werden wir im Laufe der Untersuchung<br />
beantworten. Skepsis ist geboten, wenn man mit Habermas bedenkt, daß<br />
die handlungstheoretisch orientierte Semantik in der Sprache eher ein Werkzeug eines<br />
vorstellenden <strong>und</strong> handelnden Subjekts sieht, während die wittgensteinschen Analysen<br />
die „Verflechtung der Sprache mit einer interaktiven Praxis“ (Habermas, 1989a, S.112)<br />
betonen, mithin die Erklärungskraft eines Sprachmodells, ausgerichtet an atomistisch<br />
vereinzelten Handlungssubjekten, bestreitet.<br />
Theorie eine <strong>Searle</strong> konterkarierende Rolle spielen. Heute wird eine intentionalistische Semantik im<br />
deutschsprachigen Raum v.a. von Georg Meggle vertreten. Vgl. Meggle, 1990.
2. Die Sprechakttheorie <strong>Searle</strong>s<br />
2.1. Sprechen als Vollzug regelgeleiteter Akte<br />
An dieser Stelle soll nun die Kernthese der Sprechakttheorie, wie <strong>Searle</strong> sie versteht,<br />
dargestellt <strong>und</strong> auseinandergelegt werden. <strong>Searle</strong> formuliert die Gr<strong>und</strong>these seiner Theorie<br />
in Speech Acts so:<br />
"The hypothesis then of this work ist that speaking a language is engaging in a rule-governed<br />
form of behavior. To put it more briskly, talking is performing acts according to rules." (Speech<br />
Acts, S.22).<br />
Thema des <strong>Searle</strong>schen Klassikers sind also Handlungen oder Akte. 19 Da<strong>bei</strong> interessieren<br />
nur Handlungen, die regelgeleitet sind oder in Übereinstimmung mit Regeln vollzogen<br />
werden. In diesem handlungstheoretischen Rahmen soll der Begriff des Sprechens<br />
analysiert werden.<br />
Inwiefern ist Sprechen eine Form von Handeln? Zunächst läßt sich <strong>bei</strong> einer Betrachtung<br />
unseres Wortschatzes feststellen, daß es zahlreiche Verben (Tätigkeitswörter) gibt,<br />
von denen wir ganz unbestimmt sagen, daß sie etwas mit Sprache zu tun haben:<br />
»mitteilen«, »empfehlen«, »behaupten«, »bitten«, »beschreiben«, »ausrufen«, »erzählen«,<br />
»ernennen«. Mit Verben dieser Art ließe sich problemlos diese Seite füllen. Der Hinweis<br />
auf die grammatische Form mag die Hypothese, daß Sprechen eine Form von Handeln<br />
sei, plausibilisieren. Mehr wird man damit aber auch nicht erreichen, denn einerseits<br />
gibt es viele Verben, die wir nie oder selten zur Beschreibung von Handlungen verwenden<br />
(wachsen, erkranken, träumen, mögen, erwachen, wissen, wahrnehmen), andrerseits<br />
kommen die genannten Verben genauso häufig in substantivierter Form vor. 20<br />
Ein weiterer Sprachtest kann diese Zweifel allerdings ausräumen. Verben, die zur Bezeichnung<br />
von Handlungen gebraucht werden, zeichnen sich dadurch aus, daß man<br />
ihnen sinnvoll Attribute wie »absichtlich« oder »willentlich« zusprechen kann. Derartige<br />
Attribute sind analytisch mit dem Handlungsbegriff verknüpft. 21 Es ist offensichtlich,<br />
daß die Ergänzungen durch - in Austins Sprache - modifizierende Ausdrücke durchweg<br />
sinnvoll sind. (Von Grenzfällen sollte man sich nicht irritieren lassen, denn es steht ja<br />
nirgendwo geschrieben, was nun wirklich eine Handlung ist <strong>und</strong> was nicht. Man sollte<br />
von der Abgegrenztheit des Wortes »Handlung« nicht auf die klare Abgehobenheit der<br />
unter diesen Begriff fallenden Klasse schließen.) Wem der Sprachtest nicht genügt, der<br />
19<br />
In einer anderen Formulierung kennzeichnet <strong>Searle</strong> das regelgeleitete Verhalten als intentional, so daß<br />
mir die Rede von Handlung statt von Verhalten gerechtfertigt scheint. Vgl. Speech Acts, S.16.<br />
20<br />
Die genannten Verben, die etwas mit Sprache zu tun haben, sind m.E. sogar besonders leicht substantivierbar.<br />
21<br />
Vgl. dazu Austin, 1957, S.25f. Das Hinzusetzen von »absichtlich« wirkt nach Austin gerade deshalb<br />
etwas eigenartig, weil die Absicht eh schon unterstellt ist, wenn man ein Handlungsverb verwendet. Diese<br />
Auffassung bedeutet nicht, daß jede Handlung von einem geistigen Akt begleitet oder verursacht ist,<br />
wie Rayfield meint. Zunächst ist nur gesagt, daß wir u.a. von Handlungen dort sprechen, wo die Zuschreibung<br />
besagter Attribute tautologisch wirkt. Die Interpretation der Zuschreibbarkeit eines Attributs<br />
als das Vorhandensein einer Entität kann nur einen Referenzsemantiker überzeugen. Vgl. Rayfield, 1968,<br />
S. 69; Von Wright, 1971, S. 85ff.
möge sich klarmachen, daß es bestimmte juristische Konsequenzen <strong>für</strong> Äußerungen<br />
gibt, daß bspw. Drohungen oder Ankündigungen immer besonders gute Beweismittel<br />
darstellen, um eine Tat als vorsätzlich einstufen zu können. Da<strong>für</strong> ist es natürlich eine<br />
Voraussetzung, daß dem Sprecher die Verantwortlichkeit <strong>für</strong> die Äußerung zugesprochen<br />
wird. Die Übernahme von Verantwortung gilt aber seit jeher als Implikation des<br />
Handelns. Überhaupt ist es eines der interessantesten Ergebnisse der Sprechakttheorie -<br />
<strong>und</strong> insofern rechtfertigt sie ihre Hypothese in der Ausführung -, gezeigt zu haben, daß<br />
ein Sprecher, wenn er sich äußert, da<strong>für</strong> zur Verantwortung gezogen <strong>und</strong> auf bestimmte<br />
Dinge festgelegt wird. Wer ein Versprechen gibt, ist auf zukünftiges Verhalten festgelegt,<br />
<strong>und</strong> wenn er dies mißachtet, muß er berechtigterweise mit Vorwürfen rechnen.<br />
Alston kann daher behaupten, daß Äußerungen zu Akten werden, indem der Sprecher<br />
gewisse Verpflichtungen <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten übernimmt. 22 Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> in Übereinstimmung mit unseren Intuitionen ist es gerechtfertigt, Sprechen<br />
als eine Form von Handeln anzusehen. In Speech Acts findet sich zwar keine solche Erläuterung<br />
des Handlungsbegriffes, ich glaube aber, daß sich <strong>Searle</strong>s Position mit der<br />
geschilderten Analyse verträgt.<br />
Damit kommen wir - nach dem Handlungsbegriff - zum zweiten analysierenden Begriff<br />
der <strong>Searle</strong>schen Hypothese, dem der Regel. Sprechen sollte ja ein Handeln sein, das in<br />
Übereinstimmung mit Regeln vollzogen wird. Was versteht <strong>Searle</strong> unter »Regel«? Zunächst<br />
erscheint es mir sinnvoll anzumerken, daß Regeln befolgt werden <strong>und</strong> daß dieses<br />
Regelfolgen als richtig oder falsch beurteilt werden kann. 23 Dieser normative Aspekt<br />
rückt den Regelbegriff in die Nähe des Handlungsbegriffs <strong>und</strong> läßt den Schluß zu, daß<br />
ein Regelfolgen immer ein Handeln ist. 24 Dies wird auch deutlich, wenn man <strong>Searle</strong>s<br />
berühmt gewordener Unterscheidung von regulativen <strong>und</strong> konstitutiven Regeln (regula-<br />
22 Vgl. Alston, 1964, S. 39ff. Man kann dem entgegenhalten, daß es trivial sei, Sprechakte über den Begriff<br />
der Verantwortlichkeit zu klären, da dieser eben zum Begriff der Handlung gehört. Die Leistung der<br />
Sprechakttheorie besteht aber gerade darin, anhand verschiedener Rollen exemplifiziert zu haben, welche<br />
Verpflichtungen bzw. Verantwortlichkeiten <strong>für</strong> die jeweilige Rolle konstitutiv sind. Gerade diese Beispielanalysen<br />
beweisen doch, daß die <strong>Searle</strong>sche Hypothese sinnvoll ist - insofern rechtfertigt die Ausführbarkeit<br />
der Theorie die Hypothese dieser Theorie. <strong>Searle</strong>: "The effort to state the rules for the performance<br />
of speech acts can also be regarded as a test of the hypothesis that there are constitutive rules<br />
<strong>und</strong>erlying speech acts” Speech Acts, S. 37.<br />
23 Sicher gibt es auch einen Begriff von »Regel«, <strong>bei</strong> dessen Anwendung man nichts von einem Regelfolgen<br />
<strong>und</strong> einem Regelbefolger finden wird. Bspw. wird »Regel« manchmal in kausalen Zusammenhängen<br />
gebraucht, wo von Regelmäßigkeit die Rede ist. Dies ist aber ein wesentlich anderer Regelbegriff, weil<br />
die normative Komponente des Regelfolgens hier nicht zu den Anwendungsbedingungen des Begriffs<br />
gehört. Vgl. Keils Analyse des Regelbegriffs in der Kybernetik, Keil,1993, S.168f.<br />
24 Ob auch die Umkehrung gilt, scheint mir zweifelhaft. Inwiefern allerdings kann man nicht-regelgeleitetes<br />
Handeln beabsichtigen? Gehört nicht zum Beabsichtigen wenigstens eine Regularität derart<br />
dazu, daß, wenn das <strong>und</strong> das getan wird, das <strong>und</strong> das geschieht. Durch das praktische Wissen um diesen<br />
Zusammenhang läßt sich ein Ziel erst beabsichtigen, da gewußt wird, wie es her<strong>bei</strong>zuführen ist. Auf der<br />
anderen Seite sind Basis-Handlungen gerade dadurch ausgezeichnet, daß man nicht bestimmte Mittel<br />
einsetzen muß, um ein gewünschtes Ziel zu erreichen. Insofern wird man sagen können, daß Basis-<br />
Handlungen nicht regelgeleitet sind. Welcher Regel folgte man auch, wenn man den Arm hebt? Handlungen<br />
können auch zu Basis-Handlungen werden, nämlich dann, wenn die Regel sozusagen internalisiert<br />
bzw. verkörperlicht wurde. Vgl. zum Begriff der Basis-Handlung Danto, 1965; Martin, 1972, Von<br />
Wright, 1971, S.67ff.
tive vs. constitutive rules, vgl. Speech Acts, S.33ff.) 25 auf den Gr<strong>und</strong> geht. Beide Regelarten<br />
sind Handlungsregeln, <strong>und</strong> das scheint mir der kleinste gemeinsame Nenner <strong>bei</strong>der<br />
Arten zu sein.<br />
Unter regulativen Regeln wird das verstanden, was manchmal »gesellschaftliche Konvention«<br />
oder »Gepflogenheit« genannt wird. Wie das Besteck <strong>bei</strong>m Essen gehalten<br />
werden soll, bestimmt eine Regel, die <strong>Searle</strong> regulativ nennen würde. Wesentlich ist<br />
da<strong>bei</strong>, daß die Handlung, die reguliert wird, auch ohne Existenz der betreffenden regulativen<br />
Regel als diese Handlung intendiert werden kann <strong>und</strong> als diese Handlung<br />
beschreibbar ist: „Regulative rules regulate a pre-existing activity, an activity whose<br />
existence is logically independent of the rules“ (Speech Acts, S.34). Auch wenn es keine<br />
Konvention gäbe, wie das Besteck zu verwenden ist, würde ich das Besteck doch<br />
verwenden, <strong>und</strong> meine Handlung würde als Besteckverwendung beschreibbar sein.<br />
Ebenso regelt die StVO das Autofahren, doch ohne StVO wäre Autofahren genauso<br />
möglich. Allerdings wäre es ohne StVO <strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen <strong>Institut</strong>ionen<br />
wohl nicht möglich, eine Handlung als »Halten am Stoppschild« zu beschreiben, denn<br />
daß es Stoppschilder gibt <strong>und</strong> welches Objekt ein Stoppschild ist, legt die StVO ja<br />
erst fest. Welches Objekt wir als Stoppschild bezeichnen dürfen, das bestimmen<br />
konstitutive Regeln.<br />
Die konstitutiven Regeln bilden den interessanteren Regeltyp, weil diese Regeln es erst<br />
ermöglichen, gewisse Handlungen zu tun, genauer, Handlungen in einer Weise zu beabsichtigen<br />
<strong>und</strong> zu beschreiben, wie es ohne Bestehen der Regeln nicht möglich wäre.<br />
Klassische Beispiele hier<strong>für</strong> sind Spiele. Gäbe es keine Fußballregeln, so würde niemand<br />
Fußball spielen, das Tor zum 1:0 schießen oder Elfmeter geben können. ‚Diese‘<br />
Handlungen wären dann auch nicht als »das 1:0 schießen«, »Elfmeter geben« <strong>und</strong> natürlich<br />
»Fußball spielen« beschreibbar. Die Regeln des Fußballspielens definieren quasi, als<br />
was eine Handlung gilt. <strong>Searle</strong>s Formalisierung konstitutiver Regeln lautet daher: „X<br />
counts as Y in context C“ (Speech Acts, S.36, Kursiv im Original). An folgendem Beispiel<br />
will ich diese etwas kryptische Formel erläutern: Eine Sektflasche gegen einen Schiffsrumpf<br />
zu werfen <strong>und</strong> die Worte „Ich taufe dich auf den Namen ‚Carla‘“ zu äußern, gilt<br />
unter den Umständen a, b, c, ... als Schiffstaufe. 26 Die Einsetzung <strong>für</strong> X besteht in einer,<br />
man ist geneigt zu sagen, neutralen Beschreibung einer oder mehrerer Handlungen.<br />
Neutral ist diese Beschreibung insofern, als sie jemand verstehen bzw. verifizieren<br />
kann, obwohl er nicht weiß, was eine Schiffstaufe ist. Y liefert eine Neubeschreibung<br />
der gesamten Handlungsbeschreibung, die X geleistet hat. Es läßt sich daher sagen, daß<br />
Y getan wird, indem X getan wird. Dieser Zusammenhang ist begrifflich oder logisch,<br />
wie <strong>Searle</strong> sagt, er ist nicht kausal. Ein Test hier<strong>für</strong> ist die Sinnlosigkeit der Frage: »Hat<br />
er wirklich Y getan, dadurch, daß er X getan hat?«, »Hat er wirklich das Schiff getauft,<br />
dadurch, daß er die Sektflasche gegen den Schiffsrumpf geworfen hat <strong>und</strong> die Worte<br />
‚Ich taufe ...‘ geäußert hat?« Wenn man das »dadurch, daß« kausal verstünde, wäre die<br />
Frage keineswegs sinnlos, denn, ob bestimmte Kausalrelationen bestehen oder nicht,<br />
kann man anzweifeln <strong>und</strong> empirische Beweise fordern. Die Sinn- oder Witzlosigkeit der<br />
25 Die deutsche Übersetzung der wichtigen Begriffe entnehme ich der Ausgabe: <strong>Searle</strong>, <strong>John</strong> R.: Sprechakte.<br />
Ein sprachphilosophischer Essay. Übs. von R. u. R. Wiggershaus. Ffm. 1983.<br />
26 Das Beispiel findet sich sinngemäß <strong>bei</strong> Austin, 1962, S. 44f.
Frage beruht eben darauf, daß das »dadurch, daß« einen begrifflichen Zusammenhang<br />
beschreibt, der durch konstitutive Regeln festgelegt ist. Die konstitutiven Regeln<br />
bestimmen ja gerade, als was etwas zu gelten hat, <strong>und</strong> deshalb sind derartige Fragen<br />
sinnlos, man kann sie nur beantworten, indem man die Regel wiederholt. Konstitutive<br />
Regeln haben daher eher die Form von Definitionen, während sich regulative Regeln<br />
eher in imperativischer Form ausdrücken lassen.<br />
<strong>Searle</strong> behauptet nun, daß die Regeln, die <strong>bei</strong>m Vollzug von Sprechakten befolgt werden,<br />
konstitutiver Art sind. Nur durch die Befolgung dieser Regeln wird eine Äußerung<br />
zum Vollzug einer Sprechhandlung <strong>und</strong> als Vollzug dieser Handlung beschreibbar. Da<strong>bei</strong><br />
ist es, wie wir noch sehen werden, auch entscheidend, daß der Sprecher selbst seine<br />
Äußerung als Befolgung besagter Regel intendiert. Worin liegt die Begründung <strong>für</strong> die<br />
These, daß Sprechen regelgeleitet ist <strong>und</strong> daß die Sprechaktregeln konstitutiver Natur<br />
sein müssen?<br />
Daß sprachliches Handeln regelgeleitet erfolgt, mag zunächst als triviale Behauptung<br />
erscheinen. Jedes Sprachwörterbuch zeigt grammatikalische Regeln des Sprechens einer<br />
bestimmten Sprache auf. Diese Art von Regeln meint <strong>Searle</strong> allerdings nicht, wenn er<br />
Sprechen als regelgeleitetes Handeln bestimmt. Denn ihm geht es nicht um die jeweiligen<br />
Regeln einer Sprache, sondern um Sprache überhaupt. Die Sprechaktregeln sollen<br />
demgemäß <strong>für</strong> alle Sprecher gelten, nicht nur <strong>für</strong> Sprecher einer bestimmten Sprache.<br />
Diese Regeln sind in bestimmten Sprachen jeweils nur anders realisiert. Dies soll heißen,<br />
daß jede Sprache andere Mittel bereitstellt, dieselben Sprechakte zu vollziehen:<br />
„Different human languages, to the extent they are inter-translatable, can be regarded as<br />
different conventional realizations of the same <strong>und</strong>erlying rules“ (Speech Acts, S.39;<br />
vgl. hierzu Schneider, 1992, S. 412ff.). Diese <strong>Searle</strong>sche These ist verwegen. Vor allen<br />
Dingen ist nicht recht klar, welchen Status die Regeln haben, die ihren jeweiligen Realisierungen<br />
zugr<strong>und</strong>e liegen. Hier klopft der Intentionalitätstheoretiker schon an die Tür,<br />
denn dieser kann sagen, daß die zugr<strong>und</strong>eliegenden Sprechaktregeln (<strong>und</strong>erlying rules)<br />
ihren Sitz im Geiste haben, der seinerseits im Hirn realisiert ist. Schon der <strong>Searle</strong> der<br />
Speech Acts scheint dieses Konzept, freilich noch unausgefaltet, sozusagen im Kopf zu<br />
haben. Die Intuition scheint folgende zu sein: die meisten Sprachen, die wir kennen,<br />
eignen sich zum Vollzug derselben Sprechakte. Man kann im Englischen, im Arabischen,<br />
im Deutschen usw. behaupten, bitten, grüßen, sich entschuldigen. Die Sprachen<br />
sind ineinander übersetzbar. So weit ich sehe, gibt es allerdings auch eine ganze Menge<br />
von Sprechakten, von denen man sich vorstellen kann, daß sie historisch kontingent<br />
sind. Kulturgeschichtliche Untersuchungen zeigen immer wieder, wo <strong>und</strong> wann <strong>Institut</strong>ionen<br />
<strong>und</strong> mit ihnen Sprachspiele entstanden sind. Das heißt doch wohl, daß vorher<br />
einige Sprechakte nicht möglich waren. Die deklarativen Akte des Taufens, Kriegerklärens,<br />
Entlassens gehören hierzu. 27 Ich will diese Kritik hier nur andeuten, da sie eigentlich<br />
in den letzten Teil der Ar<strong>bei</strong>t gehört <strong>und</strong> dort erst ausgefaltet wird. Im übrigen tut<br />
die Tatsache der Kontingenz zumindest einiger Sprechakte der <strong>Searle</strong>schen Gr<strong>und</strong>hypothese<br />
keinen Abbruch. Schließlich wurde auch nicht zu allen Zeiten Fußball oder<br />
27 Man kann sich vorstellen, daß irgendwann niemand mehr den Sprechakt des Betens vollziehen kann,<br />
weil die Aufrichtigkeitsbedingung einfach nie erfüllt wäre. Man könnte nur noch vorgeben, diesen Akt zu<br />
vollziehen, so wie - gemäß <strong>Searle</strong> - Autoren im fiktionalen Diskurs nur vorgeben, Behauptungen aufzustellen.<br />
Vgl. <strong>Searle</strong>, 1974.
Tennis gespielt. Sagen wir daher zunächst nur, daß es eine Menge von Sprechakten<br />
gibt, die man innerhalb der meisten, wahrscheinlich sogar aller Sprachen vollziehen<br />
kann. Warum ist das Vollziehen dieser Sprechakte nun regelgeleitet?<br />
Ein Indiz hier<strong>für</strong> ist die Tatsache, daß man lernen kann, Sprechakte zu vollziehen. Ich<br />
glaube, daß es nur im Kontext von Regeln sinnvoll ist, vom Lernen zu reden. Gelernt<br />
wird ein Handeln gemäß einer Regel; gelernt wird es dadurch, daß bestimmte<br />
Verhaltensweisen als richtig oder falsch beurteilt werden. Die normative Komponente<br />
des Regelfolgens hat hier ihren Anfang. Ein geregeltes Verhalten wird als richtig oder<br />
falsch charakterisiert, insofern beurteilt werden kann, ob einer Regel gefolgt wird oder<br />
nicht. Wo Verhalten nicht regelgemäß stattfindet, kann man sozusagen keinen Maßstab<br />
an das Verhalten anlegen. 28 Daher kann man dieses Verhalten auch nicht als richtig<br />
oder falsch einschätzen. Die Sprechakttheorie hat nun gezeigt, daß Sprechakte<br />
schiefgehen können, was u.a. daran liegen kann, daß der Sprecher nicht das Richtige sagt<br />
oder aber sich in der falschen Situation befindet. 29 Der Sprecher hat dann eben die<br />
Sprechaktregeln nicht richtig befolgt. Diese Überlegungen reichen m.E., um die intuitiv<br />
eh plausible These, daß Sprechen ein Handeln gemäß Regeln sei, zu belegen. Auf zwei<br />
Probleme sei noch hingewiesen.<br />
Erstens redet <strong>Searle</strong> manchmal von regelgeleitetem Handeln (rule-governed), manchmal<br />
von Handeln in Übereinstimmung mit Regeln (according to rules). Durch die letzte Kennzeichnung<br />
wird angedeutet, daß der Sprecher sich der Regeln nicht immer bewußt sein<br />
muß, wenn er ihnen folgt. Er muß sie nicht einmal explizieren können, freilich muß er<br />
eine ihm verständliche Explikation auf ihre Angemessenheit prüfen können. Damit ist<br />
zweierlei gesagt. Zum einen heißt dies, daß Regeln normalerweise nicht dadurch gelernt<br />
werden, daß man sie sich in Form einer allgemeinen Explikation bewußt macht <strong>und</strong><br />
dann anwendet. Vielmehr lernt man die Regeln durch Übung <strong>und</strong> Beurteilung von anderen.<br />
Andrerseits ist dann ein Regelfolgen auch möglich, wenn keiner der Regelbefolger<br />
die Regel in allgemeiner Form darstellen kann. Das Regelfolgen ist, wie Wittgenstein<br />
sagt, eine Praxis. Die theoretische Formulierung einer Regel entspringt häufig der<br />
nachträglichen Analyse der Praxis. Die Angemessenheit einer theoretischen Explikation<br />
einer Regel kann dann nur vor dem Hintergr<strong>und</strong> der funktionierenden Regelpraxis geprüft<br />
werden. 30 <strong>Searle</strong>s Unterscheidung von knowing how <strong>und</strong> knowing that trifft genau<br />
diesen Punkt. Wenn also vom Sprechen als Regelfolgen gesprochen wird, dann sind die<br />
eben genannten Mißverständnisse auszuschließen. 31<br />
Zweitens gibt es <strong>bei</strong>m Lernen von Sprechakten das Problem des Anfangs. Wenn jemand<br />
nicht weiß - im Sinne von knowing how -, was beurteilen ist, dann kann er ja gar<br />
nichts lernen, da er den Witz der Beurteilung nicht versteht. Man könnte versuchen die<br />
Beurteilung über physiologisch funktionierende Belohnung <strong>und</strong> Bestrafung zu erklären.<br />
28 Welchen Status dieser Maßstab selbst hat, wodurch er bestimmt ist <strong>und</strong> dergleichen spannende Probleme<br />
können hier nicht diskutiert werden. Vgl. zu diesem Problem Wittgensteins Philosophische Untersuchungen,<br />
§§ 142ff., 188ff.<br />
29 Austin, 1962, S.38ff.<br />
30 Vgl. hierzu <strong>Searle</strong>s brilliante Argumentation gegen Quine <strong>und</strong> dessen Angriff auf die analytisch/ synthetisch-Unterscheidung<br />
(Speech Acts, S.5ff.) sowie den Abschnitt über die Möglichkeit der Verifikation<br />
linguistischer Charakterisierungen (ebd., S.12ff.).<br />
31 Die Unterscheidung von knowing how <strong>und</strong> knowing that übernimmt <strong>Searle</strong> von Ryle. (Vgl. Ryle, 1949,<br />
S.27-32).
Die Rede von Lohn <strong>und</strong> Strafe wäre dann eher metaphorisch <strong>und</strong> zwar deswegen, weil<br />
die Begriffe »Lohn«, »Beurteilung« einen normativen Kern haben. Den müßte man naturalisieren,<br />
was enorme Probleme aufwerfen würde. 32 Ich kann dieses Problem nicht<br />
beantworten, glaube aber, daß das Konzept des regelgeleiteten Verhaltens davon quasi<br />
nur am Anfang betroffen ist. Unter der Hypothese, daß Beurteilen funktioniert, kommt<br />
dem Begriff der Regel eine gute Erklärungsrolle zu. Das mag nicht überzeugen, eine<br />
bessere Antwort ist mir nicht bekannt. <strong>Searle</strong> seinerseits diskutiert dieses Problem gar<br />
nicht.<br />
Warum sollen die Sprechakte nun als Handlungen gemäß konstitutiven Regeln angesehen<br />
werden? <strong>Searle</strong>s aufschlußreichste Auskunft hierzu besteht im Verweis auf den Erfolg<br />
von Sprechakten, im Gegensatz zum Erfolg <strong>bei</strong>m Angeln :<br />
"But <strong>und</strong>er such and such condititons one catches a fish is not a matter of convention or anything<br />
like convention. In the case of speech acts performed within a language, on the other hand, it is a<br />
matter of convention -as opposed to strategy, technique, procedure, or natural fact- that the utterance<br />
of such and such expressions <strong>und</strong>er certain conditions counts as the making of a promise“<br />
(Speech Acts, S.37)<br />
Unter bestimmten Bedingungen ist es qua Konvention gerechtfertigt, Handlungen des<br />
Typs X als Handlungen des Typs Y zu beschreiben. Handlungen des Typs X bestehen<br />
<strong>bei</strong> Sprechakten zunächst in der Erzeugung von Phonemen. Handlungen des Typs Y<br />
nennt <strong>Searle</strong> illokutionäre Akte. Unter bestimmten Bedingungen ist es gerechtfertigt, die<br />
Erzeugung von Phonemen als Vollzug illokutionärer Akte zu beschreiben. 33 Die Frage<br />
nach der Rechtfertigung der Neubeschreibung ist witzlos, genauso wie dies oben <strong>bei</strong><br />
der Explikation des Begriffes der konstitutiven Regel beschrieben wurde. Wer die Laute<br />
»Morgen komme ich zurück« in einer bestimmten Situation zu einer Person sagt, der<br />
gibt ein Versprechen oder er droht, je nachdem, wie er die Laute äußert <strong>und</strong> in welcher<br />
Situation. Der Sprecher hat dann den illokutionären Akt vollzogen, er kann nachher<br />
nicht ohne weiteres bestreiten, daß er ein Versprechen bzw. eine Drohung ausgesprochen<br />
hätte. Diese Übernahme von Verpflichtungen ist unabhängig von tatsächlichen<br />
mentalen Zuständen des Sprechers. 34 Das soll gerade nicht heißen, daß Sprecherintentionen,<br />
überhaupt mentale Zustände unwichtig sind. Vielmehr übernimmt der Sprecher<br />
durch die meisten Akte gerade die Verpflichtung, die durch die Sprechaktregeln festgelegten<br />
mentale Zustände zu haben. Diese Verpflichtung gehört sozusagen zu den etablierten<br />
Spielregeln. Übrigens wird dadurch erst die Möglichkeit der Lüge eröffnet. Die<br />
32 Vgl. hierzu die differenzierte Darstellung von Keil, 1993, Kritik des Naturalismus.<br />
33 Die handlungstheoretische Frage nach der Identifikation eines Sprechaktes ist zu unterscheiden von der<br />
Frage nach der Akzeptabilität des Sprechaktes auf Seiten des Hörers. Die erste Frage betrifft die Verständlichkeit<br />
der Äußerung (sie wird bspw. als Behauptung verstanden), die zweite Frage die Berechtigung<br />
der Äußerung. Im gegebenen Kontext geht es nur um die erste Frage. Ob eine Äußerung als Behauptung<br />
gilt, hängt nicht von den Gründen ab, die ein Sprecher tatsächlich zur Stützung der Behauptung<br />
geben kann. Die Akzeptanz einer Behauptung dagegen hängt - jedenfalls in vielen Fällen - von dem Einlösen<br />
der mit der Behauptung verb<strong>und</strong>enen Begründungsverpflichtungen ab. Die gemachte Unterscheidung<br />
stammt von Austin, der <strong>bei</strong>m Gelingen von Sprechakten zunächst von »in Ordnung sein« <strong>und</strong> danach<br />
erst von »richtig sein« spricht (Austin, 1962, S.165; vgl. auch Habermas, 1976, S. 236f.).<br />
34 Allerdings kann der Sprecher sagen, daß er nur so vor sich hin geredet hat oder etwas ähnliches, trotzdem<br />
bleibt es eine Tatsache, daß er sich rechtfertigen muß.
Lüge ist in diesem Sinne der Riß zwischen der durch die etablierten Regeln gerechtfertigten<br />
Zuschreibung von mentalen Zuständen <strong>und</strong> den tatsächlichen Zuständen des<br />
Sprechers.<br />
Man kann sich die Sachlage auch durch die bekannte <strong>Searle</strong>sche Unterscheidung von<br />
perlokutionären <strong>und</strong> illokutionären Akten klarmachen. Diese hat keinen erklärenden<br />
Charakter, weil die Unterscheidung selbst durch den Begriff der konstitutiven Regel<br />
bestimmt ist. Aber heuristisch ist ein Verweis darauf gerechtfertigt. Wenn ein Sprecher<br />
den Adressaten dazu bringen will, <strong>für</strong> einen Kandidaten zu stimmen, so wird er dies<br />
vielleicht dadurch tun, daß er über den Kandidaten Behauptungen aufstellt. Die Äußerung<br />
des Sprechers ist illokutionär beschreibbar, dann hätte der Sprecher eben eine Behauptung<br />
gemacht <strong>und</strong> damit bestimmten Überzeugungen Ausdruck verliehen. Man<br />
kann denselben Äußerungsakt aber auch perlokutionär beschreiben, dann würde man<br />
wohl von der Handlung des Überredens sprechen. Die Differenz besteht darin, daß es,<br />
wenn die Regeln befolgt werden, notwendigerweise gerechtfertigt ist, die Handlung illokutionär<br />
zu beschreiben, dagegen hängt es von kontingenten Faktoren ab, ob man die<br />
Handlung auch perlokutionär beschreiben kann, v.a. von den tatsächlichen Sprecherintentionen<br />
<strong>und</strong> von der Akzeptanz des Hörers. Ob man jemanden zu etwas gebracht<br />
hat, hängt immer vom Willen des Hörers ab, während es <strong>bei</strong> illokutionären Akten nicht<br />
vom Willen des Hörers abhängt, ob der Akt vollzogen wurde. 35 Illokutionäre Akte<br />
funktionieren quasi von selbst, die etablierte Konvention sichert den Erfolg - freilich<br />
muß man sich nach den konventionellen Regeln richten. Diese Überlegungen mögen<br />
genügen, um die These zu erhärten, daß Sprechakte gemäß konstitutiven Regeln vollzogen<br />
werden.<br />
Nach dem Gesagten bleibt <strong>für</strong> die Analyse des Begriffs »Sprechakt« noch ein Problem<br />
bestehen. Was unterscheidet Sprechen von anderen Arten des Handelns gemäß<br />
konstitutiven Regeln? Die bisher verwendete <strong>und</strong> analysierte Begrifflichkeit stellt kein<br />
Kriterium bereit, das uns erlaubte, zwischen Fußballspielen <strong>und</strong> Sprechen zu<br />
unterscheiden.<br />
Eine schnelle <strong>und</strong> zweifelsohne richtige Antwort besteht in dem schon angedeuteten<br />
Hinweis, daß Sprechen in der Produktion von Phonemen besteht, soll heißen, daß<br />
Sprechen immer auch in phonetischem Vokabular beschreibbar ist. Wer spricht, der<br />
produziert immer auch Laute. Damit hat man ein - gewissermaßen behavioristisches -<br />
Kriterium zur Unterscheidung von Fußballspielen <strong>und</strong> Sprechen gewonnen. Wäre dies<br />
die endgültige Antwort, dann stünde es schlecht um die Sprechakttheorie. Denn man<br />
kann sich ohne große Schwierigkeit ein Spiel vorstellen, daß darin besteht, bestimmte<br />
Laute zu äußern <strong>und</strong> dessen Spielregeln nur auf den phonetischen Aspekt von Äußerungen<br />
rekurrieren. Wahrscheinlich gibt es oder gab es derartige Spiele sogar, Reimspiele<br />
etwa scheinen in diese Klassen zu fallen. 36 Man würde den Begriff des Sprechens zu<br />
35 Strawson begeht in seiner Analyse den Fehler, perlokutionäre Akt als illokutionäre auszugeben, weshalb<br />
er die Bedeutung von tatsächlichen Intentionen des Sprechers <strong>und</strong> dem Willens des Hörers überbetont.<br />
Der Akt des Warnens kann illokutionär sein, dann hängt es aber nicht vom Hörer ab, ob der Akt<br />
vollzogen wurde oder nicht. Auch wenn er die Warnung in den Wind schlägt, ist die Äußerung als eine<br />
Warnung beschreibbar. Eine Behauptung wird ja auch nicht dadurch zur Behauptung, daß sie der Hörer<br />
<strong>für</strong> wahr hält. Vgl. Strawson, 1964.<br />
36 Der Bedeutungsaspekt <strong>bei</strong>m Reimspiel wird ausgefiltert, wenn man ein Spiel konzipiert, <strong>bei</strong> dem die<br />
Spieler ein Lexikon einer ihnen fremden Sprache erhalten <strong>und</strong> nun nach sich reimenden Wörten suchen<br />
müssen.
sehr ausdehnen, wenn derartige Spiele noch unter ihn fielen. Erwägt man außerdem,<br />
daß es <strong>bei</strong> vielen, wenn nicht gar <strong>bei</strong> allen Sprechakten die Möglichkeit der Unaufrichtigkeit<br />
gibt, <strong>bei</strong> Spielen der beschriebenen Art dagegen nicht, dann kommt man zu dem<br />
Schluß, daß das genannte Kriterium vielleicht notwendig, aber keineswegs hinreichend<br />
ist. Wenn man die Analyse von Sprechakten auf Akte des Schreibens <strong>und</strong> des Gestikulierens<br />
ausdehnen will – unsere Intuitionen sprechen da<strong>für</strong> -, dann ist das Kriterium der<br />
Lautproduktion nicht einmal notwendig. Wie kann die Unterscheidung tragfähiger gemacht<br />
werden?<br />
Unseren Intuitionen <strong>und</strong> der Philosophietradition entsprechend wird man sagen, daß<br />
Sprechen doch irgendetwas mit Zeichen <strong>und</strong> Bedeutung zu tun hat. Diese Begriffe sind<br />
bisher, so hoffe ich wenigstens, nicht zur Explikation verwendet worden. Man wird<br />
sagen, daß Sprechen nicht einfach darin besteht, Laute zu produzieren, sondern bedeutungsvolle<br />
Wörter zu äußeren. Sprechen ist also nicht nur in einer phonetischen Begrifflichkeit,<br />
sondern immer auch semantisch beschreibbar. In Austins Terminologie:<br />
einen Sprechakt zu vollziehen, heißt immer auch einen rhetischen Akt zu vollziehen. 37<br />
Man mag hier erstens entgegenhalten, daß ein simples »Hallo« einen Sprechakt darstellt<br />
(den des Grüßens), aber eine Bedeutung schwer auszumachen ist. Falls dies zuträfe,<br />
würde ich lieber darauf verzichten, diesen Akt als Sprechakt anzusehen, als den Bedeutungsaspekt<br />
aufzugeben. Wahrscheinlich läßt sich der Gruß aber in ein wesentlich gehaltvolleres<br />
»Sei mir gegrüßt« übersetzen, wo<strong>bei</strong> »Hallo« dann eine Abkürzung innerhalb<br />
diverser sozialer Kreise darstellt. Ein zweiter Einwand wiegt schwerer. War es<br />
nicht gerade eine Wittgensteinsche Gr<strong>und</strong>idee, daß Bedeutung im Gebrauch besteht? 38<br />
Wenn dies der Fall wäre, müßte dann die Sprechakttheorie nicht mit den genannten<br />
Begriffen auskommen? Dies könnte man wohl nur um den Preis einer Angleichung der<br />
eben geschiedenen Fälle durchführen. Reimspiele wären demnach nichts prinzipiell anderes<br />
als bedeutungsvolles Sprechen. Die Begriffe der Bedeutung <strong>und</strong> des Verstehens<br />
wären dann nicht geklärt, sondern einfach fallengelassen worden. Das ist sicher eine<br />
Strategie, bedeutungstheoretische Probleme abzuschaffen, sie widerspricht jedoch <strong>für</strong><br />
meine Begriffe unseren Intuitionen zu radikal. Man hat mit derartigen Ansätzen die interessanten<br />
Probleme eher <strong>bei</strong>seite geschoben, als gelöst. Diese Bemerkungen ersetzen<br />
freilich nicht die philosophische Auseinandersetzung mit derartig minimalistischen Positionen,<br />
<strong>für</strong> die Zwecke vorliegender Untersuchung reicht es zu betonen, daß <strong>Searle</strong><br />
den Bedeutungsbegriff gerade nicht fallenläßt, sondern als einen Zentralbegriff gebraucht.<br />
Diese Strategie wird allerdings, wie wir noch sehen werden, traditionelle<br />
Schwierigkeiten der Bedeutungstheorie nach sich ziehen.<br />
2.2. Bedeutung <strong>und</strong> Kommunikation<br />
37 Vgl. Austin, 1962, S.111. Den phansischen Akt habe ich hier vernachlässigt. Mit diesemist gemeint,<br />
daß Akte gemäß der Syntax <strong>und</strong> Grammatik sowie dem Lexikon einer Sprache vollzogen werden müssen.<br />
Mein Reimspielfall ist so modifizierbar, daß auch dieser Akt darunterfällt <strong>und</strong> somit nicht als das Wesen<br />
(als notwendiges <strong>und</strong> hinreichendes Kriterium) des Sprechens angesehen werden kann.<br />
38 Zumindest wird dieser Satz meist in einem Atemzug mit dem Namen »Wittgenstein« geäußert. Ich will<br />
hier aber nicht in eine Wittgensteinexegese verfallen, so daß ich die Unzulänglichkeit dieser "Interpretation"<br />
Wittgensteins nicht diskutieren kann. Hinzuweise ist allerdings auf §43 der Philosophischen Untersuchungen<br />
, worin es sinngemäß heißt, daß die Gebrauchsdefinition nur eine - wenn auch eine große -<br />
Klasse von Bedeutungsfragen abdeckt.
<strong>Searle</strong> betont im Abschnitt über Bedeutung den Unterschied zwischen dem bedeutungsvollen<br />
Vollzug von Sprechakten <strong>und</strong> dem bedeutungslosen Spielen eines Spiels:<br />
"Illocutionary acts are characteristically performed in the utterance of so<strong>und</strong>s or marking of<br />
marks. What is the difference between just uttering so<strong>und</strong>s or marking marks and performing an<br />
illocutionary act? One difference is that the so<strong>und</strong>s or marks one makes in the performance of an<br />
illocutionary act are characteristically said to have meaning, and second related difference is that<br />
one is characteristically said to mean something by the utterance of those so<strong>und</strong>s and marks. Charakteristically,<br />
when one speaks one means something by what one says; and what one says, the<br />
string of so<strong>und</strong>s that one emits, is characteristically said to have meaning. [...] The pieces in a<br />
game like chess are not characteristically said to have a meaning, and furthermore, when one<br />
makes a move one is not characteristically said to mean anything by that move“ (Speech Acts,<br />
S.42f., Hervorhebungen im Original).<br />
Zwei Charakterisierungen werden getroffen: die im Sprechakt verwendeten Laute haben<br />
Bedeutung, <strong>und</strong> der Sprecher meint etwas mit den Lauten. Diese Unterscheidung<br />
bedarf der Erläuterung. Sie ist mit der These, Sprechen sei Handeln gemäß konstitutiven<br />
Regeln, in Zusammenhang zu bringen.<br />
Es fällt auf, daß Bedeutung den Lauten zukommen soll, während das Meinen den Sprecher<br />
betrifft. Wie ist das Verhältnis dieser <strong>bei</strong>den Aspekte zu denken? Haben Laute <strong>für</strong><br />
sich selbst Bedeutung, ohne Rekurs auf den Sprecher, oder ist Bedeutung immer auch<br />
im Meinen verankert? Kann ein Sprecher mit bedeutungslosen Lauten etwas meinen, oder<br />
werden Laute allein dadurch, daß ein Sprecher etwas meint, bedeutungsvoll? Die folgenden<br />
Überlegungen werden <strong>Searle</strong>s nicht ganz eindeutige Position in bezug auf diese<br />
Fragen einkreisen <strong>und</strong> sein Verständnis von Bedeutung aufzeigen.<br />
<strong>Searle</strong> teilt mit vielen Theoretikern die Überzeugung, daß physische Gegenstände oder<br />
Ereignisse nur dadurch zu sprachlichen, bedeutsamen Zeichen werden, daß sie als Erzeugnisse<br />
von uns ähnlichen, mit bestimmten Intentionen begabten Wesen angesehen<br />
werden (Vgl. Speech Acts, S.16). Etwas erlangt demnach Bedeutung, wenn es in intentionalem<br />
Verhalten f<strong>und</strong>iert ist. Insofern sprachliche Zeichen bedeutsam sind, müssen<br />
sie intentionalem Verhalten entspringen. Damit ist auch angezeigt, daß die Gr<strong>und</strong>einheit<br />
der sprachlichen Kommunikation („the unit of linguistic communication“, ebd.)<br />
nicht im Zeichen selbst, sondern in der Produktion des Zeichens besteht. Ein physisches<br />
Objekt ist nicht per se Zeichen, sondern wird als solches aufgefaßt, wenn es als Produkt<br />
intentionalen Verhaltens verstanden wird. Freilich kann hierin nicht die ganze Analyse<br />
des Bedeutungsphänomens bestehen. Erinnern wir uns an das im vorigen Abschnitt<br />
geschilderte Reimspiel. Auch hier werden Laute hervorgebracht von Wesen mit<br />
Intentionen, <strong>und</strong> die Laute selbst entspringen zweifelsohne intentionalem Verhalten,<br />
dennoch fällt es uns nicht ein, die Artikulationen semantisch zu beschreiben. Man kann<br />
entgegnen, daß die sich reimenden Worte doch Bedeutung haben, daß sie <strong>bei</strong>m Spiel nur<br />
nicht zu Kommunikationszwecken verwendet werden. Das beträfe aber nur Spiele, die<br />
lexikalische Wörter verwendeten - man könnte die diesbezüglichen Regeln verändern.<br />
Die Zuschreibbarkeit von Intentionen überhaupt ist keine hinreichende Bedingung, um<br />
Laute als bedeutungsvoll aufzufassen. Den Einwand aufnehmend, ließe sich die Sache<br />
spezifizieren, indem man nämlich auf Kommunikationsintentionen o.ä. rekurrierte.<br />
Demnach hätte eine Lautfolge nur Bedeutung, wenn dem Sprecher Intentionen eines
estimmten Typs, z.B. Kommunikations- oder klassisch Repräsentationsintentionen, zugeschrieben<br />
werden könnten. Nun ließe sich der Begriff des Meinens nutzen, um gerade<br />
diese Intentionen herauszugreifen. In der philosophischen Tradition wurde der Begriff<br />
des Meinens mit dem der Repräsentation etwa durch Husserl in Verbindung gebracht.<br />
An diese Tradition knüpft <strong>Searle</strong> - zunächst - nicht an. Vielmehr bildet die Gricesche<br />
Analyse des Meinens den Angelpunkt der <strong>Searle</strong>schen Untersuchung. Grice analysiert<br />
das Meinen mit Hilfe von Sprecherintentionen, bestimmte, den Hörer betreffende Wirkungen<br />
zu erzielen (Vgl. Grice, 1957 <strong>und</strong> 1968). <strong>Searle</strong> übernimmt nun aber nicht Grice‘<br />
Analyse, sondern kritisiert sie. Die berüchtigten Griceschen Absichten sind <strong>Searle</strong><br />
zu stark, ihre Zuschreibbarkeit stellt keine notwendige Bedingung dar, um von jemandem<br />
berechtigt zu sagen, er vollziehe einen Sprechakt. <strong>Searle</strong> pocht hier auf die Unterscheidung<br />
von perlokutionären <strong>und</strong> illokutionären Akten. Der Sprecher muß beabsichtigen,<br />
einen illokutionären Akt zu vollziehen, weitergehende Wirkungen auf den Hörer interessieren<br />
in diesem Kontext nicht:<br />
"In the case of illocutionary acts we succeed in doing what we are trying to do by getting our audience<br />
to recognize what we are trying to do. But the ‚effect‘ on the hearer is not a belief or response,<br />
it consists simply in the hearer <strong>und</strong>erstanding the utterance of the speaker. It is this effect<br />
that I have been calling the illocutionary effect. (Speech Acts, S.47).<br />
Die Perlokution-Illokution-Unterscheidung, die <strong>Searle</strong> hier bemüht, bedarf allerdings<br />
selbst der Klärung. Wie oben bereits angedeutet, können illokutionäre Effekte <strong>und</strong><br />
perlokutionäre Wirkungen m.E. nur auseinandergehalten werden, wenn der Begriff der<br />
konstitutiven Regel zur Erklärung herangezogen wird. Illokutionär ist eine Handlung<br />
dann, wenn sie gemäß konstitutiven Regeln vollzogen wird, wenn der Erfolg dieser<br />
Handlung durch Regeln festgelegt ist. Illokutionäre Akte zeichnen sich dadurch aus,<br />
daß ihre Identifikation qua konventioneller konstitutiver Regeln gesichert ist; perlokutionär<br />
können diese Handlungen nur beschrieben werden, wenn eine Zuschreibung von<br />
Sprecherintentionen gerechtfertigt ist, auf die der Sprecher nicht schon durch die konventionellen<br />
konstitutiven Regeln verpflichtet ist. Eine bestimmte Äußerung gilt in einem<br />
Kontext als Warnung; dem Sprecher wird die Intention zugesprochen, eine Warnung<br />
aussprechen zu wollen <strong>und</strong> bestimmte intentionale Zustände (z.B. Angst um den<br />
Zuhörer zu haben) zu haben - dies alles gehört sozusagen zum Spiel. Ob der Sprecher<br />
nun eigentlich noch ganz andere Intentionen mit der Äußerung verbindet, ist eine andere<br />
Sache. Gewisse Anzeichen, die nicht zum Spiel des Warnens gehören, erlauben<br />
vielleicht auch eine perlokutionäre Beschreibung der Äußerung. Aber diese ist eben<br />
nicht allein durch die Spielregeln gesichert. Festzuhalten ist, daß die Unterscheidung<br />
perlokutionär/illokutionär nur vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Begriffs der konstitutiven Regel<br />
Sinn macht. Ich jedenfalls kann mir auf die Formel »weitergehende Wirkungen vs.<br />
einfachem Verstehen« keinen anderen Reim machen als diesen.<br />
Wenn man nun den handlungstheoretischen Gr<strong>und</strong>satz, daß Handlungen immer auch<br />
unter intentionalen Beschreibungen identifiziert werden, auf Sprechakte anwendet,<br />
kommt man zu folgenden Schluß. Die relevante Intention, die die Beschreibung einer<br />
Äußerungshandlung als Sprechakt rechtfertigt, besteht in der Absicht, einen illokutionären<br />
Effekt <strong>bei</strong>m Hörer zu erzielen oder eben darin, einen illokutionären Akt zu vollziehen.<br />
Diese Intention, ich bezeichne sie ab jetzt als Kommunikationsintention, gilt es
näher zu analysieren. Sie ist zunächst dadurch gekennzeichnet, daß sie sich auf einen<br />
Adressaten bezieht. Der Adressat soll die Handlung, den Sprechakt des Sprechers, verstehen.<br />
Sprechakte lassen sich weiter zergliedern. <strong>Searle</strong> behauptet, daß man <strong>bei</strong>m Vollzug von<br />
Sprechakten (mindestens) drei Akte gleichzeitig vollzieht. Der Sprecher vollzieht einen<br />
Äußerungsakt, einen propositionalen Akt <strong>und</strong> einen illokutionären Akt. Die Identitätskriterien<br />
dieser Akte sollen nach <strong>Searle</strong> unterschiedlich sein - ansonsten wäre eine Unterscheidung<br />
ja sinnlos. Der gleiche Äußerungsakt kann zum Vollzug diverser propositionaler<br />
<strong>und</strong> illokutionärer Akte genutzt werden; eine Äußerung braucht auch gar nicht<br />
den Vollzug eines illokutionären Aktes darstellen. Die Äußerung »Morgen bekomme<br />
ich das Buch von dir zurück« kann als Voraussage oder als Aufforderung gemeint sein<br />
– dies betrifft die illokutionäre Ebene -, <strong>und</strong> in unterschiedlichen Kontexten können<br />
sich die Referenz von »ich« <strong>und</strong> »dir« ändern – dies betrifft die Proposition. Ebenso<br />
wird der gleiche illokutionäre Akt des Behauptens vollzogen, wenn der Sprecher einmal<br />
äußert: »Katharina II. ließ ihren Ehemann umbringen«, ein andermal: »Das Spiel ist 2:2<br />
ausgegangen«. Auf weitere Variationen des Themas wird der Kürze wegen verzichtet.<br />
<strong>Searle</strong> ist nun daran interessiert die konstitutiven Regeln aufzuzeigen, die den Vollzug<br />
propositionaler <strong>und</strong> illokutionärer Akte bestimmen. Die Äußerungsakte interessieren<br />
ihn nicht, da diese sich von Sprache zu Sprache unterscheiden, <strong>Searle</strong> sich aber - wie<br />
oben schon ausgeführt - <strong>für</strong> die Regeln der Sprache oder der Sprechakte interessiert,<br />
nicht <strong>für</strong> die konventionellen Realisierung der Regeln in einer bestimmten Sprache. Zunächst<br />
zu den illokutionären Akten.<br />
2.3. Illokutionäre Akte<br />
Unter dem illokutionären Aspekt wird eine Handlung meist dann beschrieben, wenn<br />
gefragt wird: »Was hat der Sprecher mit seiner Äußerung getan?«. Als Antwort ist die<br />
Beschreibung der Äußerung als Behauptung, Warnung, Bitte, Befehl, Feststellung,<br />
Dank usw. möglich. Die diversen illokutionären Rollen werden durch konstitutive Regeln<br />
bestimmt, welche die Akte zum einen von anderen, nicht-illokutionären Akten unterscheiden,<br />
zum anderen aber auch die illokutionären Akte untereinander unterscheiden.<br />
<strong>Searle</strong> stellt vier Regeltypen auf, hinsichtlich der alle illokutionären Akte, von einigen<br />
Ausnahmen abgesehen, bestimmt sind. Er zeigt dann <strong>für</strong> einige illokutionäre Rollen,<br />
wie die Typen in jeweils unterschiedlichen, das Wesen der jeweiligen Rolle bestimmenden<br />
Regeln realisiert sind: 39<br />
1. Regel des propositionalen Gehalts (propositional content rule): Diese Regel legt bestimmte Bedingungen<br />
<strong>für</strong> die Referenz <strong>und</strong> die Prädikation des Sprechaktes fest. Beispielsweise<br />
muß <strong>bei</strong>m Danken das Ereignis, auf das Bezug genommen wird, in der Vergangenheit<br />
liegen, z.B. das Zusichern von Unterstützung. Versprechen dagegen beziehen sich auf<br />
Ereignisse in der Zukunft, nämlich auf Handlungen seitens des Sprechers. Auch ist der<br />
Akt des Glückwünschens nur möglich, wenn dem Adressaten wegen einer Eigenschaft,<br />
39 Vgl. zum folgenden: Speech Acts, S. 54ff. <strong>und</strong> S. 64-71. Weitere Beispiele <strong>für</strong> die Regeltypen finden<br />
sich tabellenartig ebenfalls in: Speech Acts, S. 66f.
die ihm zukommt, oder wegen eines Ereignisses, das ihn betrifft, gratuliert wird. Dem<br />
propositionalen Gehalt einer bestimmten illokutionären Rolle sind hierdurch gewisse<br />
Grenzen gesetzt.<br />
2. Einleitungsregeln (preparatory rules): So wie es gewissermaßen zu den Möglichkeitsbedingungen<br />
des Reparierens eines Autos gehört, daß dieses Auto einen Defekt aufweist, so<br />
gilt auch <strong>für</strong> illokutionäre Akte, daß bestimmte Bedingungen hinsichtlich des Zustandes<br />
der Sprechers <strong>und</strong> Hörers erfüllt sein müssen, damit der Sprechakt erfolgreich vollzogen<br />
werden kann. So gehört es zum Versprechen, daß das Versprochene in der Macht<br />
des Versprechenden liegt. Dasselbe gilt <strong>für</strong> den Befehl, nur in umgekehrter Richtung.<br />
Hier muß der Adressat in der Lage sein, die befohlene Handlung auszuführen. Man<br />
kann daher niemandem befehlen, die Rotation der Erde zu beschleunigen. Wenn der<br />
Sprecher einen illokutionären Akt vollzieht, dann ist darin impliziert, daß die Einleitungsbedingungen<br />
- nach Meinung des Sprechers - erfüllt sind.<br />
3. Regel der Aufrichtigkeit (sincerity rule): Für die meisten Sprechakte ist charakteristisch, daß<br />
der Sprecher mit der Äußerung bestimmte intentionale Zustände zum Ausdruck bringt.<br />
Dem Sprecher werden, wenn er einen illokutionären Akt vollzieht, diese Zustände zugeschrieben,<br />
er wird auf sie festgelegt. Aufrichtigkeit ist immer dann gegeben, wenn die<br />
zugeschriebenen Zustände auch tatsächlich bestehen. Wer fragt, dem kann ein Interesse<br />
unterstellt werden, die Antwort zu erfahren. Wer ein Versprechen gibt, hat die Absicht,<br />
das Versprochene in der Zukunft zu leisten. Ein unaufrichtiges Versprechen liegt<br />
dann vor, wenn der Versprechende diese Absicht gar nicht hat <strong>und</strong> trotzdem das Versprechen<br />
gibt. Unaufrichtigkeit ist immer nur dann möglich, wenn ein Zustand qua Regel<br />
zugeschrieben werden darf. Insofern kann <strong>Searle</strong> sagen, daß man nicht unaufrichtig<br />
grüßen oder taufen kann (Speech Acts, S. 65). Diese illokutionären Rollen bilden nämlich<br />
eine Ausnahme von der Regel der Aufrichtigkeit, da diese Sprechakte nicht als<br />
Zum-Ausdruck-Bringen eines psychischen Zustandes gelten.<br />
4. Wesentliche Regel (essential rule): Hier nimmt <strong>Searle</strong> die Formalisierung <strong>für</strong> konstitutive<br />
Regeln wieder auf: »X gilt als Y im Kontext C«. Beglückwünschen soll in diesem Sinn<br />
als Ausdruck der Freude über eine Ereignis, das den Adressaten betrifft, gelten. Das<br />
folgt allerdings schon aus den anderen Bedingungen. Die wesentliche Regel ist eine Art<br />
Zusammenfassung der anderen drei Regeln, sie ergibt sich aus ihnen. Deswegen kann<br />
<strong>Searle</strong> auch sagen, daß die drei ersten Regeln aus der wesentlichen Regel abgeleitet werden<br />
können (Speech Acts, S.69).<br />
Die Analyse mag ob ihrer Vagheit <strong>und</strong> fehlenden Systematizität kritisiert werden. 40 Vor<br />
allem sind die formulierten Regeln recht allgemein. Man weiß nicht recht, was das Einteilungskriterium<br />
<strong>bei</strong> der Einleitungsregel sein soll. Letztlich kann man nur sagen, daß<br />
bestimmte Bedingungen hinsichtlich der Interessen, Kompetenzen <strong>und</strong> Überzeugun-<br />
40 Tugendhat wirft <strong>Searle</strong> vor, daß die wesentliche Regel (essential rule) illokutionärer Rollen “lediglich<br />
Paraphrasen darstellen <strong>und</strong> daß zwischen den Paraphrasen kein systematischer Zusammenhang besteht”<br />
(Tugendhat, 1976, S. 506). Wie wir allerdings sehen werden, versucht <strong>Searle</strong> später - in ‘A taxonomy of<br />
illocutionary acts’ - eine Systematik der Sprechakttypen herauszuar<strong>bei</strong>ten, freilich auch durch Einführung<br />
eines neuen Begriffs, nämlich dem der Ausrichtung. Insofern ist <strong>Searle</strong>s Analyse illokutionärer Akte<br />
in Speech Acts eher unausgereift <strong>und</strong> tastend, was sich auch daran zeigt, daß er die Analyse fast ausschließlich<br />
anhand eines Falles, dem Versprechen, durchführt.
gen von Sprecher <strong>und</strong> Hörer zum Zeitpunkt der Äußerung erfüllt sein müssen, damit<br />
ein Erfolg des Sprechaktes möglich ist. Das ist natürlich ein sehr vages Kriterium <strong>und</strong><br />
es braucht viel Spürsinn, diesbezüglich die Unterschiede der einzelnen Rollen herauszufiltern.<br />
Ich glaube allerdings, daß die Regeln, die <strong>Searle</strong> im einzelnen gef<strong>und</strong>en hat, tatsächlich<br />
notwendige Bedingungen <strong>für</strong> die Möglichkeit des Vollzug eines Aktes der jeweiligen<br />
Rolle bestimmen <strong>und</strong> insofern konstitutiv <strong>für</strong> die jeweilige Handlung sind.<br />
Damit liegt in der Durchführung der einzelnen Analysen selbst ein Gr<strong>und</strong>, die <strong>Searle</strong>sche<br />
Hypothese, Sprechen sei ein Handeln gemäß konstitutiven Regeln, bestätigt zu<br />
finden.<br />
<strong>Searle</strong> benutzt später die genannten Regeln, um größere Gruppen von Sprechakten zusammenzustellen,<br />
d.h. er systematisiert die ganze Angelegenheit. In ‚A taxonomy of<br />
illocutionary acts‘ faßt <strong>Searle</strong> die illokutionären Rollen in fünf Klassen von illokutionärem<br />
Witz (point) zusammen (Vgl. <strong>Searle</strong>, 1975). Assertive, direktive, kommissive, expressive<br />
<strong>und</strong> deklarative Sprechakte werden unterschieden. <strong>Searle</strong> hat zunächst eine<br />
ganze Liste von Verben im Hinterkopf, die so „aussehen“, als ob sie illokutionäre Akte<br />
bezeichneten. Die Liste hat er von Austin geerbt. Diese Aufstellung von Verben bildet<br />
einen Anhaltspunkt, um illokutionäre Akte zu identifizieren. <strong>Searle</strong> behauptet freilich<br />
auch hier wieder, daß in einzelnen Sprachen dieselben illokutionären Akte in unterschiedlicher<br />
Weise realisiert sind, daß manche illokutionären Akte in einigen Sprachen<br />
vielleicht (noch) nicht realisiert sind <strong>und</strong> daß eine Sprache auch zwei Verben <strong>für</strong> denselben<br />
illokutionären Akt haben kann. Daher sind die Verben einer Sprache nur Anhaltspunkt,<br />
um die zugr<strong>und</strong>eliegenden Regeln der illokutionären Akte zu erschließen.<br />
Zunächst diskutiert <strong>Searle</strong> eine Reihe von Unterscheidungskriterien, die in bezug auf<br />
illokutionäre Akte sinnvoll sind, die sich also zur Diskriminierung von Sprechaktklassen<br />
eignen. <strong>Searle</strong> neigt im Rahmen dieser Diskussion sehr dazu, die richtige Klassifikation<br />
auffinden zu wollen, diejenige also, die dem Wesen der Sache angemessen ist. 41 Daher<br />
will <strong>Searle</strong> auch die wesentliche Regel als Einteilungskriterium benutzen. Diese freilich ist,<br />
wie sie im genannten Aufsatz verstanden wird, ein Konglomerat aus Aufrichtigkeitsbedingung<br />
<strong>und</strong> Ausrichtung - insofern erinnert das Kriterium nur noch entfernt an die<br />
wesentliche Regel aus Speech Acts. Der Begriff der Ausrichtung (direction of fit) kommt<br />
ganz neu ins Spiel. Was ist unter der Ausrichtung von Sprechakten zu verstehen? Ausgerichtet<br />
sind Sprechakte insofern, als die Äußerungen in (kausalen) 42 Beziehungen zur<br />
41 Diese Tatsache weist schon darauf hin, daß die sprechakttheoretischen Unterscheidungen nicht <strong>für</strong> sich<br />
allein stehen, sondern intentionalitätstheoretischer Unterscheidungen bedürfen. Angemessen kann eine<br />
sprechakttheoretische Klassifikation nur dann sein, wenn sie auf eine andere Klassifikation aufbaut bzw.<br />
diese benutzt. So f<strong>und</strong>iert <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> die Unterscheidung intentionaler Zustände eine Unterscheidung von<br />
Sprechakten, letztere mißt sich sozusagen der ersteren an. Für die These der Abgeleitetheit der Sprache<br />
vom Geist bedarf es dann freilich auch des Nachweises, daß sich die intentionalitätstheoretischen Unterscheidung<br />
ohne Rückgriff auf die Sprechakttheorie treffen lassen.<br />
42 Hier von kausalen Beziehungen zu reden, ist ziemlich gewagt. Allerdings wird <strong>Searle</strong> in Intentionality<br />
von intentionaler Verursachung sprechen, wohl um diesen Punkt erklären zu können. Im hier diskutierten<br />
Aufsatz finden sich nur Verlegenheitslösungen, die ein ungeklärtes intentionales Idiom benutzen, wenn<br />
<strong>Searle</strong> etwa vom Verantwortlichsein <strong>für</strong> das Passen bzw. Fehlgehen der Beziehung spricht. Es ist allerdings<br />
fraglich, ob die Begriffe der Kausalität <strong>und</strong> der Intentionalität kompatibel sind, gerade was das<br />
Problem des Fehlgehens angeht. Intentionalität sollte ja gerade eine Beziehung kennzeichnen, die nicht<br />
erfüllt sein kann, während man gar nicht weiß, in welchem Sinn kausale Relationen schiefgehen können.<br />
Schief in bezug auf welchen Richtigkeitsanspruch?
Welt stehen. Die jeweilige (kausale) Richtung <strong>und</strong> der jeweilige Zustand der Welt, wo<strong>bei</strong><br />
Sprecher <strong>und</strong> Hörer zur Welt gehören, bilden dann das Einteilungskriterium. Assertive<br />
Sprechakte zeichnen sich dadurch aus, daß sie beanspruchen, zur Welt zu passen<br />
(match the world). Sie haben Wort-auf-Welt-Ausrichtung (word-to-world-direction).<br />
Bei direktiven <strong>und</strong> kommissiven Sprechakten ist es Sache der Welt, nämlich des Sprechers<br />
oder des Hörers, zu den Sprechakten zu passen. <strong>Searle</strong> nennt dies Welt-auf-Wort-<br />
Ausrichtung (world-to-word-direction). M.E. sollte man hier von Sprecher-auf-Wort-<br />
bzw. Hörer-auf-Wort-Ausrichtung sprechen, um direktive <strong>und</strong> kommissive Sprechakte<br />
ihrerseits unterscheiden zu können. Schließlich geht es <strong>bei</strong> kommissiven Sprechakten<br />
um eine zukünftige Handlung des Sprechers (Versprechen, Schwur), <strong>bei</strong> direktiven<br />
Sprechakten dagegen um eine Handlung des Adressaten (Befehl, Bitte). Expressiva sollen<br />
keine Ausrichtung haben; Deklarative dagegen stellen einen Zustand in der Welt her,<br />
indem sie vollzogen werden. Insofern haben sie sowohl Welt-auf-Wort-Ausrichtung als<br />
auch Wort-auf-Welt-Ausrichtung (Vgl. <strong>Searle</strong>, 1975, S.19).<br />
<strong>Searle</strong> sagt letztlich nicht sehr viel über den Begriff der Ausrichtung. Die Metapher des<br />
Passens - falls es eine ist - hinterläßt allerdings den Eindruck, als werde hier unter der<br />
Hand ein Repräsentationsmodell der Bedeutung eingeführt. Gibt es Zustände in der<br />
Welt <strong>und</strong> daneben sprachliche Repräsentation davon, die den Anspruch haben, zu den<br />
Zuständen zu „passen“? Wie können wir das „Passen“ überprüfen? Müssen wir die<br />
Zustände in der Welt unabhängig von den sprachlichen Repräsentationen identifizieren<br />
können? Woher wissen wir, welcher Zustand von einer Repräsentation repräsentiert<br />
wird, <strong>und</strong> wann Worte überhaupt Repräsentationen sind? Man kann angesichts dieser<br />
Latte von bekannten Problemen der Repräsentationstheorie vermuten, daß <strong>Searle</strong> ein<br />
derartiges Modell nicht vor Augen hat. Der Begriff der Ausrichtung allerdings bedürfte<br />
einer näheren Klärung, um die Interpretation im repräsentationstheoretischen Rahmen<br />
ausschließen zu können. Übrigens ist es auch erstaunlich, daß <strong>Searle</strong> <strong>bei</strong> der Differenzierung<br />
der Ausrichtungsarten von Worten <strong>und</strong> nicht von Äußerungen spricht (Wortauf-Welt-Ausrichtung<br />
<strong>und</strong> Welt-auf-Wort-Ausrichtung). Damit wird ja der Handlungscharakter<br />
von Sprechakten, die pragmatische Dimension von illokutiver Bedeutung,<br />
ausgeblendet.<br />
Zurück zur Taxonomie von Sprechakten. Die Aufrichtigkeitsbedingung soll eine Stütze<br />
der geschilderten Einteilung darstellen. So ist der intentionale Zustand, auf den der<br />
Sprecher verpflichtet ist, <strong>bei</strong> Assertiven eine Überzeugung, <strong>bei</strong> Direktiven ein Wunsch,<br />
<strong>bei</strong> Kommissiven eine Absicht; <strong>bei</strong> Expressiven kommen alle (anderen?) intentionalen<br />
Zustände infrage, <strong>und</strong> <strong>bei</strong> Deklarativen ist der Sprecher auf keinen intentionalen Zustand<br />
festgelegt. Durch den Rekurs auf die Aufrichtigkeitsbedingung können also auch<br />
direktive von kommissiven Sprechakten unterschieden werden, das Ausrichtungskriterium<br />
ist nicht hinreichend, da <strong>bei</strong> <strong>bei</strong>den Klassen „die Welt auf das Wort ausgerichtet<br />
ist.“ So wie sich Sprechakte dadurch von anderen Handlungen abheben, daß den Handelnden<br />
eine Kommunikationsintention zugesprochen werden konnte, so unterscheiden<br />
sich die einzelnen Sprechakte voneinander u.a. dadurch, daß dem Sprecher verschiedene<br />
intentionale Zustände zugesprochen werden dürfen. Die Zuschreibung von<br />
intentionalen Zuständen ist also auch <strong>bei</strong> Sprechakten als Identitätskriterium <strong>für</strong> Handlungen<br />
in Kraft, Deklarative bilden hier allerdings eine Ausnahme.<br />
Beruht die <strong>Searle</strong>sche Einteilung allein auf sprachpragmatischen Unterscheidungen?
Die Klassifikation stützt sich, wie gesehen, auf zwei Kriterien, das der Ausrichtung <strong>und</strong><br />
das des zum Ausdruck gebrachten psychischen Zustandes.<br />
Die <strong>Searle</strong>sche Aufrichtigkeitsbedingung stellt nun, wie gesehen, eine Verpflichtung <strong>für</strong><br />
den Sprecher dar, bestimmte Zustände zu haben. Da <strong>Searle</strong> die Aufrichtigkeitsbedingung<br />
als Klassifikationskriterium benutzt, sieht es so aus, als ob die Klassifikation rein<br />
sprechakttheoretisch begründet ist, insofern sie nämlich eine Zusammenfassung von<br />
Sprechakten darstellt, auf die dieselbe Erwiderung möglich ist. Assertive Sprechakte<br />
wären dann dadurch von anderen unterschieden, daß der Adressat einwendet: »Das ist<br />
ja gar nicht deine Überzeugung« bzw. »Du lügst«. Kommissive wären in dieser Hinsicht<br />
dadurch gekennzeichnet, daß folgende Erwiderungen sinnvoll wären: »Das ist nicht<br />
deine Absicht, du sagt das nur so.« Dem Sprecher könnte immer vorgeworfen werden,<br />
daß der relevante intentionale Zustand nicht besteht. Es fragt sich dann allerdings, wieso<br />
die Expressiva eine einheitliche Klasse darstellen, immerhin werden hier ganz unterschiedliche<br />
intentionale Zustände eingefordert, etwa Dank, Reue, Freude usw. Weshalb<br />
werden hier nicht noch mehr Klassen unterschieden? Zwar haben alle expressiven<br />
Sprechakte dieselbe Ausrichtung, doch trifft dies auch auf direktive <strong>und</strong> kommissive<br />
Sprechakte zu, <strong>und</strong> trotzdem werden sie unterschieden. Könnte man dann nicht auch<br />
noch Klassen unterscheiden, die durch die Aufrichtigkeitsbedingung Trauer, Angst,<br />
Nervosität von anderen Klassen <strong>und</strong> voneinander abgegrent werden? Die Klassifikation<br />
leuchtet nur ein, wenn man eine Theorie der intentionalen Zustände in der Hinterhand<br />
hat, die eine derartige Gewichtung der Zustände begründet.<br />
Was das Kriterium der Ausrichtung angeht, so ist dies <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> überhaupt nicht<br />
sprachpragmatisch ausgewiesen. Wir sahen im Gegenteil, daß die Metapher des Passens<br />
an ein Repräsentationsmodell erinnerte. Man mag auch hier versuchen, unterschiedliche<br />
Ausrichtungen auf unterschiedliche Erwiderungsmöglichkeiten zurückzuführen,<br />
<strong>Searle</strong> geht diesen Weg jedenfalls nicht. Insofern ist die These gerechtfertigt, daß <strong>Searle</strong>s<br />
Taxonomie zu kriteriellen Zwecken Unterscheidungen gebraucht, die über den<br />
Rahmen der Sprechakttheorie hinausgehen.<br />
Fassen wir zusammen. Sprechen besteht im Vollziehen illokutionärer Akte. Beim Vollzug<br />
illokutionärer Akte lassen sich verschiedene Rollen auseinanderhalten. Die jeweiligen<br />
Rollen sind bestimmt durch spezifische Ausformungen von vier, oben im einzelnen<br />
aufgeführten Regeltypen. Die Rollen wiederum faßt <strong>Searle</strong> in Gruppen des illokutionären<br />
Witzes zusammen, nämlich in assertive, direktive, kommissive, expressive <strong>und</strong><br />
deklarative Sprechakte. <strong>Searle</strong>s Klassifikation ar<strong>bei</strong>tet da<strong>bei</strong> mit Begriffen, die nicht<br />
sprechakttheoretisch eingelöst werden.<br />
Mancher wird angesichts der Analyse illokutionärer Akte einwenden, daß dies alles ganz<br />
interessant sei, daß aber die klassischen Probleme der Bedeutungstheorie damit noch<br />
gar nicht berührt seien, ja daß der Bedeutungsbegriff überhaupt noch keine Rolle gespielt<br />
hat <strong>und</strong> keiner Klärung unterzogen wurde. Dieser Einwand trifft die Sprechakttheorie<br />
natürlich zunächst schon deshalb nicht, weil die Analyse propositionaler Akte<br />
diese Lücke ausfüllt. Doch, so läßt sich mit <strong>Searle</strong> <strong>und</strong> Habermas 43 an den Einwenden-<br />
43 <strong>Searle</strong> <strong>und</strong> Habermas bestreiten <strong>bei</strong>de Austins Reservierung des Bedeutungsbegriffes <strong>für</strong> den propositionalen<br />
Gehalt. Vgl. <strong>Searle</strong>, 1968, S. 412 <strong>und</strong> Habermas, 1976, S. 228ff. Vgl dazu auch v. Savigny,<br />
1993, S.159f.
den rückfragen, ist mit der Analyse illokutionärer Akte wirklich nichts in bezug auf den<br />
Bedeutungsbegriff gewonnen? Zunächst läßt sich sagen, daß mit der Analyse illokutionärer<br />
Akte auch eine semantische Analyse verb<strong>und</strong>en ist, nämlich die der illokutionären<br />
Verben. Nun zielt der Einwand freilich nicht auf die Frage nach der Bedeutung einer<br />
speziellen Klasse von Wörtern, sondern - ganz platonisch - auf die Frage nach Bedeutung<br />
überhaupt. Doch auch hier<strong>für</strong> scheint mir die Untersuchung illokutionärer Akte<br />
unabdingbar. Man kann sinnvoll nicht nur nach der Bedeutung von Wörtern <strong>und</strong> Sätzen,<br />
sondern auch nach der Bedeutung von Äußerungen fragen. 44 Unserem Alltagssprachgebrauch<br />
entsprechend, unterscheidet sich die Bedeutung der Äußerung »Carla,<br />
reich mir die Butter!« von »Carla reicht mir die Butter.« Die Änderung der illokutionären<br />
Rolle ist auch eine Änderung der Bedeutung der Äußerung. Nun kann man erwidern,<br />
daß die Äußerungsbedeutung - gemäß dem Prinzip der Ausdrückbarkeit (alles was<br />
man meinen kann, läßt sich auch sagen) 45 - ja immer auch durch Ergänzung des performativen<br />
Verbs sozusagen auf die semantische Satzbedeutung zurückgeführt werden<br />
kann. 46 Unsere Beispielsätze wären dann wie folgt zu modifizieren: »Carla, ich bitte<br />
dich, reiche mir die Butter« bzw. »Ich stelle fest, daß Carla mir die Butter reicht« (das<br />
Beispiel sei mir verziehen). Damit wären wir wieder <strong>bei</strong> der Ursprungsfeststellung, die<br />
Analyse illokutionärer Akte bestehe nur in der semantischen Analyse illokutionärer<br />
Verben.<br />
Doch ist dies ein Einwand? Selbst wenn der illokutionäre Akt wörtlich, d.h. mit Angabe<br />
des illokutionären Verbs vollzogen wird, ist die pragmatische Bedeutung nicht auf die<br />
semantische Bedeutung zurückführbar. Denn die semantische Bedeutung eines Satzes<br />
ist nicht auf eine Situation spezifiziert. Dies geschieht erst durch die Äußerung eines Satzes.<br />
Der radikale Unterschied zwischen den Äußerungen »Er verspricht, ...« <strong>und</strong> »Ich<br />
verspreche, ...« leuchtet nur durch die Verwendung der Sätze in einer Sprecher-Hörer-<br />
Situation ein. Habermas behauptet in diesem Sinn, daß wir die „Bedeutung illokutiver<br />
Akte [...] allein in der performativen Einstellung von Teilnehmern an Sprechhandlungen<br />
[lernen]“ (Habermas, 1976, S. 233). Was illokutionäre Akte sind, wissen wir also<br />
nicht dadurch, daß wir die Bedeutung der illokutionären Verben (unabhängig vom<br />
Vollzug dieser Akte) kennenlernen, sondern umgekehrt, wir kennen die Bedeutung der<br />
illokutionären Verben erst, wenn wir die illokutionäre Praxis beherrschen.<br />
Dies läßt sich auch anhand der Differenz einer Äußerung im fiktionalen Diskurs <strong>und</strong><br />
einer „wirklichen“ Äußerung verdeutlichen. Diese läßt sich nur pragmatisch analysieren.<br />
Obwohl die Satzbedeutungen dieselben sein können, verstehen wir die Äußerung<br />
anders. Wir verlangen im normalen Leben bspw. Gründe <strong>für</strong> Behauptungen, im fiktionalen<br />
Diskurs dagegen bleibt der Autor davon weitgehend verschont (Vgl. <strong>Searle</strong>,<br />
1974).<br />
Daß <strong>Searle</strong> eine ähnliche Position wie Habermas vertritt, zeigt sich in seiner Ablehnung<br />
der Gebrauchstheorie der Bedeutung. Ein Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>Searle</strong>s Ablehnung besteht darin,<br />
daß die Gebrauchstheorie ein <strong>und</strong> dasselbe Wort, wenn es in unterschiedlichen illokutio-<br />
44 Habermas spricht von „pragmatischer Bedeutung“, Habermas, 1976, S.229.<br />
45 Das Prinzip der Ausdrückbarkeit wird in 2.5. noch diskutiert.<br />
46 Diesen Einwand erhebt Cohen gegen Austins Theorie der illokutionären Rollen. Vgl. Cohen, L.J.: Do<br />
Illocutionary Forces exist? In: Rosenberg, Travis (Eds.): Readings in the Philosophy of Language. Englewood<br />
Cliffs 1971, S.587, gemäß Habermas, 1976, S.229.
nären Rollen verwendet wird, als bedeutungsverschieden ansehen muß. Dadurch wäre<br />
aber die Möglichkeit von Kommunikation beeinträchtigt. <strong>Searle</strong> unterscheidet demnach<br />
zwischen Wort-Bedeutung <strong>und</strong> Äußerungsbedeutung. Er paßt zwar die Wort-<br />
Bedeutung nicht der Äußerungsbedeutung an, aber umgekehrt führt er auch nicht die<br />
Äußerungsbedeutung auf die Wort-Bedeutung zurück. 47<br />
2.4. Propositionale Akte<br />
Neben den illokutionären Akten sind die propositionale Akte konstitutiv <strong>für</strong> das Vollziehen<br />
von Sprechakten. Propositionale Akte können nur in Verbindung mit illokutionären<br />
Akten vollzogen werden. Die Proposition, bestehend aus Referenz <strong>und</strong> Prädikation,<br />
gibt dem illokutionären Akt - in Husserls Worten 48 - die gegenständliche Richtung.<br />
Damit haben wir nun endlich das klassische Feld der Bedeutungstheorie erreicht, das<br />
eingangs geschildert wurde. Oben wurde gesagt, daß sich Sprechen von sprachlichen<br />
Spielen dadurch unterscheidet, daß die verwendeten Äußerungselemente Bedeutung<br />
haben <strong>und</strong> sich zu bedeutungsvollen Äußerungen zusammenfügen. Bedeutung, so sagt<br />
uns unsere Intuition <strong>und</strong> die klassische Bedeutungstheorie, hat da<strong>bei</strong> immer etwas mit<br />
Gegenstandsbezug zu tun. Wenn man dies außen vorläßt, verweigert man sich dem<br />
Gr<strong>und</strong>problem der Bedeutungstheorie. Eine zufriedenstellende Theorie der Sprechakte<br />
muß den Gegenstandsbezug <strong>und</strong> die Prädikationsleistung konzeptualisieren können.<br />
Diese Themen standen <strong>und</strong> stehen im Zentrum semantischer Theorien. <strong>Searle</strong> verwendet<br />
daher große Teile seines Buches Speech Acts auf die Klärung der Begriffe »Referenz«<br />
<strong>und</strong> »Prädikation«. Die interessante Frage besteht nun darin, ob die sprechakttheoretische Gr<strong>und</strong>hypothese,<br />
Sprechen sei ein Handeln gemäß konstitutiven Regeln, nicht nur die Analyse illokutionärer<br />
Rollen betrifft, sondern auch die Themenbereiche Prädikation <strong>und</strong> Referenz abdeckt. Ist der Handlungsbegriff<br />
auch <strong>für</strong> die klassischen Probleme der Bedeutungstheorie maßgebend oder<br />
werden die propositionalen Elemente der Sprechakte in einem anderen Paradigma - zu<br />
denken wäre an ein Repräsentationsmodell - gedacht? Erinnert man sich daran, wie <strong>Searle</strong><br />
die Gleichsetzung von Bedeutung <strong>und</strong> Gebrauch kritisierte, dann könnte man<br />
meinen, es gäbe den Bereich des Illokutionären, der handlungstheoretisch begriffen<br />
wird <strong>und</strong> den des Propositionalen, zu dessen Analyse ein anderes Vokabular benutzt<br />
würde. Verhält sich dies so?<br />
Gegen diese Auffassung spricht ganz offensichtlich, daß <strong>Searle</strong> die propositionalen Elemente<br />
selbst als Aktvollzug konzipiert. <strong>Searle</strong> spricht von propositionalen Akten, die<br />
im Vollzug illokutionärer Akte mitvollzogen werden. Referenz <strong>und</strong> Prädikation werden<br />
als Handlungsweisen angesehen, durch die ein Handlungssubjekt im Vollzug propositionaler<br />
Akte die gegenständliche Richtung des ganzen Sprechaktes bestimmt. Andrerseits<br />
aber ist häufig vom propositionalen Gehalt (content) illokutionärer Akte die Rede.<br />
Der Gehalt ist dann die Proposition, die in propositionalen Akten nur ausgedrückt<br />
wird. Der propositionale Akt in diesem Sinn wäre nicht der kombinierte Akt des Refe-<br />
47 Vgl. Speech Acts, S.146ff. Auf diesen Aspekt werde ich unter 2.5. zurückkommen.<br />
48 Daß die Unterscheidung von propositionalem Akt <strong>und</strong> illokutionärem Akt strukturelle Ähnlichkeit zu<br />
Husserls Unterscheidung von Aktqualität <strong>und</strong> Aktmaterie hat, fällt sofort ins Auge. Vgl. LU, V, §§ 16ff.
ierens <strong>und</strong> Prädizierens, sondern nur der des Ausdrückens schon bestimmter Propositionen:<br />
"The expression of a proposition is a propositional act, not an illocutionary act. [...] Notice that I<br />
do not say that the sentence express a proposition; I do not know sentences could perform acts of<br />
that (or any other) kind. But I shall say that in the utterance of the sentence, the speaker express a<br />
proposition“ (Speech Acts, S.29).<br />
Da Ausdrücken eine Handlung darstellt, ist klar, daß Sätze per se nichts ausdrücken<br />
können, sondern nur durch eine bestimmte Verwendung zu Ausdrucksmitteln werden.<br />
Das ist auch nicht der strittige Punkt. Es fragt sich vielmehr, wie die Rede von Propositionen<br />
zu verstehen ist. Im Zitat scheint es so, als seien Propositionen abstrakte, irgendwie<br />
innere Gegenstände, die in propositionalen Akten dann sozusagen veröffentlicht<br />
werden. Andrerseits spricht <strong>Searle</strong> sogar in einer Überschrift von Referenz als<br />
Sprechakt (Speech Acts, S.26). Wenn Referenz ein Sprechakt sein soll <strong>und</strong> die propositionalen<br />
Akte im Vollzug von Referenz <strong>und</strong> Prädikation bestehen, dann kann ein propositionaler<br />
Akt nicht einfach nur als K<strong>und</strong>geben einer nur privat zugänglichen Proposition<br />
gedacht sein. Schneider, der u.a. die Sprechakttheorie benutzt, um Semantik <strong>und</strong><br />
Syntax in der Pragmatik f<strong>und</strong>ieren zu können, deutet <strong>Searle</strong> daher anders. Er meint,<br />
<strong>Searle</strong> würde Referieren <strong>und</strong> Prädizieren als Tätigkeiten begreifen, die unabhängig von<br />
der Frage, in welchem konkreten Medium (in welcher nat. Sprache bspw.) sie sich vollziehen,<br />
charakterisiert werden können. Der Sprechakttheorie würde es um die zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />
Regeln des Akts der Bezugnahme <strong>und</strong> der Prädikation gehen, die in konkreten<br />
natürlichen Sprachen realisiert seien (Vgl. Schneider, 1992, S.418). Dieses Schema<br />
(zugr<strong>und</strong>eliegende Regel - Realisierung der Regel) hatte <strong>Searle</strong> ja auch <strong>für</strong> die Charakterisierung<br />
der illokutionären Akte benutzt. Demgemäß würde die Untersuchung der<br />
semantischen Fragen zur Referenz, Prädikation <strong>und</strong> zum Satzverstehen wesentlich auf<br />
handlungstheoretisches Vokabular bezogen bleiben müssen.<br />
Dieses Problem ist <strong>für</strong> die Auseinandersetzung mit der <strong>Intentionalitätstheorie</strong> von hoher<br />
Bedeutsamkeit, 49 daher wird man nicht umhinkommen, sich <strong>Searle</strong>s Konzeption<br />
von Referenz <strong>und</strong> Prädikation im einzelnen anzuschauen, um die geschilderten Interpretationshypothesen<br />
zu prüfen. Da<strong>bei</strong> geht es nicht in erster Linie um die Diskussion<br />
spezieller bedeutungstheoretischer Probleme in bezug auf singuläre 50 <strong>und</strong> generelle Termini,<br />
sondern um die Frage, ob <strong>Searle</strong> die Konstitution des Propositionalen in den<br />
Sprechhandlungen selbst ansiedelt oder ob er auf ein Modell rekurriert, das die Sprechhandlungen<br />
von Referenz <strong>und</strong> Prädikation noch f<strong>und</strong>iert.<br />
49 Beispielsweise ist Schneider der Auffassung, daß die Akte Referenz <strong>und</strong> Prädikation, nach <strong>Searle</strong>s<br />
Auffassung, nicht nur in einem sprachlichen Medium vollzogen werden können, sondern auch in anderen<br />
Zeichensystemen (Vgl. Schneider, 1992, S.418). Die Unabhängigkeit der Analyse von Prädikation <strong>und</strong><br />
Referenz von den Medien, in denen die Handlungen vollzogen werden, führt aber nicht zu der These, daß<br />
die Handlungen auch ohne Medien vollziehbar sind. Welches Medium benutzt wird, mag ja egal sein,<br />
aber ob ein Medium benutzt werden muß, stellt ein ganz anderes Problem dar. Man kann sich dann fragen<br />
- <strong>und</strong> das wird weiter unten geschehen - ob Referenz <strong>und</strong> Prädikation (oder deren Äquivalente) im<br />
Geist nicht auch eines Mediums bedürfen. <strong>Searle</strong> dagegen wird von intrinsischer Intentionalität sprechen,<br />
die gerade keines Mediums bedarf. Mehr dazu in den Kapiteln 3 <strong>und</strong> 4.<br />
50 Zur Diskussion der singulären Termini vgl. die Aufsatzsammlung von Wolf, 1993. Hierin sind die paradigmatischen<br />
Aufsätze der sprachanalytischen Debatte um das Thema »Eigennamen« abgedruckt.
2.4.1. Referenz<br />
<strong>Searle</strong> spricht, wie gesehen, von Referenz als Sprechakt. Das muß zunächst eine Verkürzung<br />
sein, denn propositionale Akte, <strong>und</strong> dazu sollte Referenz gehören, können<br />
niemals allein vorkommen, während Sprechakte permanent allein vorkommen. Man<br />
kann nicht auf Gegenstände Bezug nehmen, ohne noch etwas anderes zu tun, nämlich<br />
zu prädizieren <strong>und</strong> einen illokutionären Akt zu vollziehen. 51 Dies eingestanden, kann<br />
man sagen, Referenz bestehe darin, daß ein Sprecher durch bestimmte Worte (sing.<br />
Termini) einen Gegenstand identifiziert:<br />
"It is characteristic of each of these expressions [singular definite referring expressions – L.S.]<br />
that their utterance serves to pick out or identify one ‚object‘ or ‚entity‘ or ‚particular‘ apart from<br />
other objects, about which the speaker then goes on to say something, or ask some question, etc“<br />
(Speech Acts, S.26).<br />
Der Akt des Bezugnehmens ist demnach ein Akt des Identifizierens. <strong>Searle</strong>s Analyse<br />
zielt nun darauf, wie könnte es anders ein, die Regeln des Referenzaktes zu explizieren.<br />
Daß <strong>Searle</strong> von Regeln spricht ist schon ein Beweis da<strong>für</strong>, daß Referenz zunächst als<br />
Akt gedacht wird, denn der Regelbegriff steht in engem Zusammenhang mit dem<br />
Handlungsbegriff. Auf das Vokabular des klassischen Repräsentationsparadigmas<br />
(mentale Zustände als dem Bewußtsein gegenwärtige Repräsentationen von Dingen)<br />
wird scheinbar nicht zurückgegriffen. Insofern steht zu vermuten, daß wir Worte bzw.<br />
Laute gebrauchen, um uns auf Gegenstände zu beziehen, nicht aber, daß die Worte <strong>und</strong><br />
Laute selbst den Bezug innehaben oder herstellen. Bestätigt wird diese Vermutung<br />
durch folgenden Hinweis <strong>Searle</strong>s: „[R]eference is a speech act, and speech acts are performed<br />
by speakers in uttering words, not by words“ (Speech Acts, S.28).<br />
Doch wenden wir uns dem wichtigen Begriff der Identifikation zu. Die Funktion von<br />
singulären Termini (bzw. hinweisenden Ausdrücken) besteht in ihrer Identifizierungsleistung.<br />
Durch sie wird es dem Sprecher möglich, über einen Gegenstand zu reden,<br />
diesen herauszugreifen, "apart from all other objects" (Speech Acts, S.79). Die Identifikation<br />
ist geglückt, wenn ein <strong>und</strong> nur ein Gegenstand durch den singulären Termini<br />
herausgegriffen wird (Axiom der Existenz, Speech Acts, S.82). Zwei Interpretationsalternativen<br />
eröffnen sich hier, deren Entscheidung wichtig ist <strong>für</strong> die Frage der Verträglichkeit<br />
von <strong>Intentionalitätstheorie</strong> <strong>und</strong> Sprechakttheorie. Die Alternativen betreffen die<br />
Metapher des Herausgreifens (to pick out, vgl. Speech Acts, S.26). Werden durch singuläre<br />
Termini schon vorher bestimmte <strong>und</strong> intendierte Gegenstände (aus dem dunklen<br />
Behälter des Bewußtseins) „herausgegriffen“ <strong>und</strong> an das Licht der Öffentlichkeit gebracht,<br />
oder aber bestimmen die singulären Termini ihrerseits die gegenständliche Richtung,<br />
indem die Gegenstände durch die Identifizierungsleistung erst als Gegenstände<br />
51 Ist Nennen ein Sprechakt? Man könnte dies behaupten, um damit die Selbständigkeit des Referierens<br />
zu beweisen. Allerdings scheint mir das Nennen nur Sinn zu machen, wenn vorher eine Frage gestellt<br />
wurde, die die Prädikation mitvollzieht. Das Nennen als Antworten auf die Frage ist dann zugleich ein<br />
Behaupten. Bspl.: »Wer hat besonders gut gespielt?« »Zu nennen wären Jeremies <strong>und</strong> Wörns.« Letztlich<br />
besteht die Anwort in der Behauptung, daß Jeremies <strong>und</strong> Wörns gut gespielt haben.
einer bestimmten Art klassifiziert <strong>und</strong> konzipiert werden? Gibt es ein inneres Meinen<br />
von Gegenständen, das den singulären Termini den Weltbezug verschafft, oder kommt<br />
den Termini ureigener Weltbezug zu. 52 Schauen wir, ob sich aus <strong>Searle</strong>s Ausführungen<br />
im Rahmen der Sprechakttheorie eine Entscheidung dieser Frage her<strong>bei</strong>führen läßt.<br />
Ein längere, m.E. sehr aufschlußreiche Passage aus Speech Acts sei zitiert:<br />
"And the temptation at this point is to think [...] that the speaker’s intention to refer to a particular<br />
object is independent of his ability [...] to identify the object for the hearer. He knows what he<br />
means all right, even if he cannot explain it to anyone! But I wish to argue that the two requirements,<br />
of uniqueness of intention and ability to identify, are at root identical. For what is it to<br />
mean or intend a particular object to the exclusion of all others? Some facts incline us to think<br />
that it is a movement of the soul - but can I intend just a particular object independent of any description<br />
or other form of identification I could make of it? And if so, what makes my intention<br />
an intention directed at just that object and not at some other? [...] A necessary condition of a<br />
speaker’s intending to refer to a particular objekt in the utterance of an expression is the<br />
speaker’s ability to provide an identifying description of that object“ (Speech Acts, S.87,<br />
Hervorhebungen im Original)<br />
Gegenstände können demnach nicht unabhängig von Identifikationen des Gegenstandes<br />
intendiert werden können. Intendieren eines bestimmten (partikularen) Gegenstandes<br />
bedeutet immer auch, ihn identifizieren zu können, <strong>und</strong> zwar auch <strong>für</strong> den Hörer -<br />
das drückt die Rede von der notwendigen Bedingung aus.<br />
Worin besteht aber die Identifizierung? <strong>Searle</strong> spricht zum einen von Identifizierung<br />
durch Beschreibung. Des weiteren hat die Ostension eine identifizierende Funktion,<br />
oder aber es liegt eine Kombination von Ostension <strong>und</strong> Beschreibung vor. So weit ich<br />
sehe, erschöpfen sich nach <strong>Searle</strong> hierin die Mittel der Identifikation. Ich will an dieser<br />
Stelle nicht die Möglichkeit einer „indexical presentation of the object referred to“<br />
(Speech Acts, S.88) diskutieren. <strong>Searle</strong> besteht auf diese Möglichkeit, sie ist <strong>für</strong> ihn jedoch<br />
ein Grenzfall. 53 Interessanter ist der Begriff der identifizierenden Beschreibung.<br />
Hierin liegt das Paradigma von Referenz. Gr<strong>und</strong>lage der Identifikation qua Beschreibung<br />
ist da<strong>bei</strong> die Tatsache, daß eine bestimmte Beschreibung nur einem Gegenstand<br />
zukommt, daß nur ein Gegenstand die Beschreibung erfüllt. Andernfalls ist die Referenz<br />
gescheitert bzw. unbestimmt. Wenn eine bestimmte Merkmalskombination nur einem<br />
Gegenstand zukommt, dann kann durch Angabe dieser Merkmale der Gegenstand identifiziert<br />
werden, da andere Gegenstände diese Eigenschaften nicht haben.<br />
Diese Darstellung birgt freilich das anfangs erwähnte Problem des inneren Meinens in<br />
sich. Die Formulierung legt die Deutung nahe, daß Sprecher wie Hörer mit den Gegenständen,<br />
über die sie sprechen, schon vertraut sein müssen, um überhaupt prüfen zu<br />
können, ob die Merkmale den vorher identifizierten Gegenständen zukommen. Damit<br />
52 Man wird die Alternative wohl gar nicht als eine echte ansehen können, denn schließlich haben singuläre<br />
Termini ja ureigenen Weltbezug auch dann, wenn sie sich primär nur auf inneres Meinen beziehen.<br />
Auch hier stellt sich ja die Frage, wodurch sich singuläre Termini auf Gegenstände (jetzt freilich auf<br />
Gegenstände des Bewußtseins) beziehen. Das Problem wäre damit nur verschoben.<br />
53 Ich glaube diesbezüglich, daß <strong>bei</strong> der indikatorischen Präsentation ebenfalls eine ganze Menge versteckter<br />
Beschreibungen eine Rolle spielen. Man wüßte <strong>bei</strong> bloßer Ostension ja gar nicht, welcher Klasse<br />
von Gegenständen der Bezugsgegenstand angehört. Dies ist aber wichtig, da sonst Behauptungen, die die<br />
Referenz durch bloße Ostension sichern wollten, gar keine eindeutigen Wahrheitsbedingungen hätten.
liebe der zu klärende Begriff des Gegenstandsbezuges ja gerade wieder im Dunklen<br />
<strong>und</strong> der Begriff der Identifikation müßte auf dieser Ebene wieder neu aufgeklärt werden.<br />
Häufig sind es nun die Eigennamen, denen hier Erklärungskraft zukommt. Sie sollen<br />
unmittelbar - ohne Rekurs auf Eigenschaften <strong>und</strong> Tatsachen - Gegenstände benennen,<br />
wodurch dann auch die Identifikation durch Beschreibung ihre Erdung erhielte. 54<br />
<strong>Searle</strong> verwirft derartige Theorien mit guten Fregeschen Argumenten <strong>und</strong> insistiert auf<br />
der These, Eigennamen legten die Referenz nur in Abhängigkeit eines deskriptiven Gehalts<br />
fest. Wie umgeht nun aber <strong>Searle</strong> das geschilderte Problem der vorgängigen Gegenstandsidentifikation,<br />
wenn er nicht die magische Kraft der Eigennamen beschwören<br />
will?<br />
Die Lösung <strong>Searle</strong>s scheint zum einen im Rekurs auf ganze wahrheitsfähige Sätze, zum<br />
anderen in einer holistischen 55 Strategie zu bestehen. Man kann demnach einen Gegenstand<br />
identifizieren, indem man <strong>bei</strong>spielsweise sagt: »Ich meine den Gegenstand,<br />
der gestern mit dem Zug nach Berlin fuhr, heute am Marathon teilnimmt <strong>und</strong> schwarze<br />
Augen hat.« Der Sprecher muß (mindestens) eine Beschreibung - einen wahrheitsfähigen<br />
Satz - angeben können, damit eine Identifikation vollzogen werden kann. Meist<br />
sind es aber, wie im Beispiel, eine ganze Menge, ein Bündel von Beschreibungen, die<br />
den Kreis der infrage kommenden Gegenstände eingrenzen. Holistisch ist dies insofern,<br />
als selbst die Falschheit einer Beschreibung nicht die ganze Referenz scheitern lassen<br />
muß; es gibt daneben noch eine ganze Menge anderer Beschreibungen, die noch<br />
wahr sind <strong>und</strong> die den gemeinten Gegenstand identifizieren. Jede einzelne Beschreibung<br />
trägt ihren Teil <strong>bei</strong>, um den richtigen Gegenstand herauszugreifen, freilich stellen<br />
die meisten keine notwendige Bedingung <strong>für</strong> das Gelingen der Referenz dar - <strong>bei</strong> Existenzaussagen<br />
soll dies allerdings der Fall, denn die Referenz gelingt ja nur, wenn der<br />
Gegenstand, auf den Bezug genommen wird, tatsächlich existiert 56 - <strong>Searle</strong> läßt aber<br />
auch die Möglichkeit der Existenz in der Dichtung zu (Vgl. Speech Acts, S.78, 93f.).<br />
Das Modell, nach dem sich <strong>Searle</strong> die Gegenstandsidentifikation denkt, ist das der kriminalistischen<br />
Täterermittlung. Bei der Täterermittlung hat man jedoch den Vorteil,<br />
daß man vorher schon weiß, wonach man sucht - nämlich nach einer oder eventuell<br />
mehreren Personen. Dieses „vorher“ <strong>bei</strong> der Täterermittlung steht <strong>Searle</strong> <strong>bei</strong> einer f<strong>und</strong>amentalen<br />
Referenztheorie nun nicht zur Verfügung. Man weiß ja zunächst überhaupt<br />
nicht, von welcher Art der Gegenstand ist - zumindest kann man sich eine derartige Situation<br />
vorstellen. Wir haben angenommen, daß <strong>Searle</strong> dieses „vorher“ nicht mentalis-<br />
54 <strong>Searle</strong> nennt Mill <strong>und</strong> den frühen Wittgenstein als Kronzeugen dieser Auffassung. Letztlich ist die<br />
ganze philosophische Tradition von diesem Bild bestimmt. Die neuere Diskussion um die Eigennamen ist<br />
zwar differenzierter, dennoch sind mir Donellans <strong>und</strong> Kripkes Argumente gegen die Bündeltheorie nicht<br />
einleuchtend - <strong>Searle</strong>s Erwiderungen da<strong>für</strong> um so mehr. <strong>Searle</strong>s Stärke besteht v.a. im Aufzeigen von<br />
versteckten Aspekten, die im Gebrauch von Eigennamen mitspielen. Außerdem scheint es mir plausibel<br />
zu sein, die kausale Geschichte von Eigennamen - wie <strong>Searle</strong> es tut - selbst als Teil des Sinns von Eigennamen<br />
zu betrachten. Zur Kritik der Bündeltheorie vgl. Kripke, 1972, 1977 <strong>und</strong> Donellan, 1974.<br />
55 <strong>Searle</strong> redet in Speechs Acts nicht von Holismus, m.E. ist aber die Bündeltheorie, die unten noch beschreiben<br />
wird, eine holistische Theorie, insofern nicht einzelne Sätze, sondern Netzwerke von Sätzen<br />
die Analyseeinheit bilden.<br />
56 Hier muß man freilich anmerken, daß die Existenzaussage keine Beschreibung ist, sie informiert über<br />
nichts <strong>und</strong> hilft auch nicht <strong>bei</strong> der Suche nach dem gemeinten Gegenstand. Sie ist vielmehr absolut gehaltlos,<br />
solange nicht klar ist, welcher Gegenstand überhaupt gemeint ist. Dies heißt aber gerade, daß ein<br />
Existenzsatz nicht zum identifizierenden Gehalt eines singulären Termini gezählt werden kann.
tisch deuten will. Welcher Gegenstand gemeint bzw. intendiert wird, sollte selbst von<br />
der Möglichkeit der Identifikation (Beschreibung <strong>und</strong>/oder Ostension) abhängen. Der<br />
intendierte Gegenstand kann also selbst keine Erklärungsrolle <strong>für</strong> die Analyse des identifizierten<br />
Gegenstandes abgeben, vielmehr scheint es umgekehrt so zu sein, daß das<br />
Meinen eines Gegenstandes auf der Basis der identifizierenden Beschreibung oder der<br />
Ostension geklärt werden soll. 57 Das „vorher“ kann dann nur holistisch gedeutet werden,<br />
indem man nämlich annimmt, daß ein ganzes Bündel an Beschreibungen im Hintergr<strong>und</strong><br />
als wahr gesetzt wird, wodurch dann auch die thematisierte einzelne Beschreibung<br />
ihren Bezug <strong>und</strong> ihre Wahrheitsbedingungen gewinnt. Verdeutlichen wir uns diese<br />
Deutung anhand eines Beispiels mit einem Eigennamen.<br />
Der Name »Jesus Christus« mag zunächst als bedeutungsloses Etikett <strong>für</strong> einen Gegenstand<br />
angesehen werden, doch <strong>Searle</strong> meint, daß mit diesem Namen nur etwas bezeichnet<br />
wird, weil der Sprecher damit ein Bündel von Kennzeichnungen verbindet,<br />
welche die Referenz festlegen. Jesus Christus war eine Person, ein Mann, wurde um 753<br />
a.u.c. in Bethlehem geboren, bezeichnete sich als Gottes Sohn, trat als Prediger auf,<br />
heilte Kranke, wurde gekreuzigt, ist auferstanden, seine Geschichte ist in den Evangelien<br />
niedergeschrieben usw. Nun wird man einwenden, daß einige, vielleicht jede einzelne<br />
Kennzeichnungen unzutreffend sein oder sich als unzutreffend herausstellen<br />
kann. Dies würde bedeuten, daß sich die Referenz mit dem Weltwissen der Sprecher<br />
ändern könnte. Die Kennzeichnungen können ja aber nur auf Wahrheit oder Falschheit<br />
überprüft werden, wenn die Referenz festliegt, wenn man weiß, wovon gesprochen<br />
wird. Muß nicht vorher festliegen, was »Jesus Christus« bezeichnet um die Beschreibungen<br />
überhaupt verifizieren zu können? Der angedeutete holistische Ansatz besteht<br />
nun in dem Hinweis, daß zur Feststellung der Wahrheit einer Kennzeichnung die anderen<br />
Kennzeichnungen konstant gehalten werden müssen. Insofern wäre es durchaus<br />
sinnlos zu sagen, der ganze deskriptive Gehalt von »Jesus Christus« sei unzutreffend,<br />
weil kein Sprecher <strong>und</strong> kein Interpret mehr verstünde, worüber überhaupt geredet wird.<br />
Vielmehr gewinnt die Beschreibung »Jesus war ein Prediger« erst ihre Wahrheitsbedingungen,<br />
indem im Hintergr<strong>und</strong> der weitere deskriptive Gehalt des singuläre Terms »Jesus«<br />
als wahr gesetzt wird. Wäre der konstant gehaltene deskriptive Gehalt von »Jesus«<br />
ein anderer, wären auch die Wahrheitsbedingungen der thematisierten Beschreibung<br />
andere. Wenn sich nun <strong>bei</strong>spielsweise herausstellen würde, daß 753 a.u.c. gar keine<br />
Bethlehem existierte, 58 wenn aber Bethlehem als der Geburtsort Jesu weiterhin akzeptiert<br />
würde, dann änderten sich die Wahrheitsbedingungen der anderen Beschreibungen<br />
gewaltig. Freilich sind die meisten Beschreibungen miteinander so vernetzt, daß man<br />
andere Strategien wählen würde, um den Widerspruch im deskriptiven Gehalt aufzulösen.<br />
Wahrscheinlich bestünde die Lösung in unserem Beispiel im Anzweifeln der richti-<br />
57 Diese Deutung träfe sich mit Tugendhats Auffassung, daß eine Analyse des Meinen von Gegenständen<br />
nur innerhalb einer Analyse des Satzverstehens möglich ist (Vgl. Tugendhat, 1970). Die pure Ostension<br />
stellte <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> allerdings noch eine Ausnahme dar, als vorsprachliche Weise der Identifikation.<br />
58 Man muß sich <strong>bei</strong> diesen Fällen immer auch klar machen, daß die Dinge so einfach nicht liegen, da ja<br />
»Bethlehem« auch ein Eigenname ist, dessen Referenz durch eine derartige Entdeckung ja auch nicht<br />
unberührt bleiben müßte. Wenn etwa zum deskriptiven Gehalt von »Bethlehem« auch »der Ort, wo Jesus<br />
geboren wurde« gehörte, dann zeigt sich, daß Weltwissen <strong>und</strong> Sprachwissen (analytische <strong>und</strong> synthetische<br />
Sätze) nicht apriori auseinandergehalten werden kann.
gen Überlieferung des Namens von Jesu Geburtsort. Die Wahrheitsbedingungen der<br />
anderen Beschreibungen könnten so nämlich unangetastet bleiben, andernfalls wäre es<br />
ziemlich unklar, welche Person mit »Jesus« überhaupt bezeichnet würde. Andere Lösungen<br />
bestehen bspw. im Einräumen einer Mehrdeutigkeit im Wort <strong>für</strong> den singulären<br />
Term, nämlich dann, wenn viele miteinander unverträgliche Beschreibungen harmonisiert<br />
werden können, indem man einfach sagt, sie handeln von unterschiedlichen Gegenständen.<br />
Diese holistische Lösung mag eher einem Programm von Quine oder Davidson<br />
- man denke an die These der Un(ter)bestimmtheit <strong>und</strong> der Unerforschlichkeit<br />
der Referenz 59 - entsprechen, ich glaube aber, daß <strong>Searle</strong>s Bündeltheorie nur so Sinn<br />
macht, zumindest wenn sie eine wirkliche Klärung des Gegenstandsbezuges leisten will,<br />
d.h. diesen nicht mentalistisch voraussetzt.<br />
Allerdings gibt es Passagen im Werk <strong>Searle</strong>s, die eine andere Interpretation nahelegen.<br />
Dann sieht es so aus, als ob die Welt aus einer Menge von selbstidentifizierten Gegenständen<br />
besteht, die mittels einer Tatsache, einem Aspekt dann zu Kommunikationszwecken<br />
herausgegriffen werden. Sinn macht diese Deutung auch vor dem Hintergr<strong>und</strong> eines<br />
direkten Zugangs zum Gegenstand im Falle einer Ostension bzw. Präsentation des Gegenstandes.<br />
Dieser Grenzfall von Identifikation 60 läßt den Bezugsgegenstand selbst, ohne<br />
Vermittlung durch aspekthafte Beschreibungen, erscheinen. Man kann über den<br />
Gegenstand nur reden, man kann ihn aber auch sozusagen aus der Tasche zaubern <strong>und</strong><br />
ihn dem Gegenüber leibhaftig (Husserl) präsentieren. Die Funktion der Eigennamen<br />
<strong>und</strong> anderer singulärer Termini ist demnach allein das Vergegenwärtigen eines nicht <strong>bei</strong><br />
der Hand seienden Gegenstandes zu Kommunikationszwecken in einer Sprecher-<br />
Hörer-Situation. Diese Funktion wird erfüllt, indem ein Bündel von Kennzeichnungen<br />
angegeben wird, die den Gegenstand charakterisieren (Vgl. <strong>Searle</strong>, 1979a, S.142). Die<br />
sprachlichen Beschreibungen legen nach diesem Modell Bedingungen fest, die im richtigen<br />
Fall ein Gegenstand erfüllt bzw. von dem Sprecher <strong>und</strong> Hörer glauben, daß der<br />
Gegenstand sie erfüllt. Dadurch, daß nur ein Gegenstand diese Bedingungen erfüllt<br />
bzw. Sprecher <strong>und</strong> Hörer dies glauben, kann man durch Anführung dieser sprachlich<br />
formulierten Bedingungen auf den Gegenstand verweisen. Die Tatsache, daß allein die<br />
gemeinsam geteilte Überzeugung ausreicht, um einen Gegenstand zu identifizieren –<br />
egal, ob die Überzeugung wahr oder falsch ist (<strong>Searle</strong>, 1979a, S. 144) – legt es nahe, die<br />
Identifikationsleistung einfach darin zu sehen, einem Hörer zu vermitteln, welchen Gegenstand<br />
ich meine. Dieses Meinen selbst aber wäre durch das Modell nicht erklärt.<br />
Dieses Modell leuchtet schon <strong>bei</strong> Wahrnehmungsgegenständen nicht ein, allein schon<br />
deshalb nicht, weil zunächst schon ausgemacht sein muß, daß es sich <strong>bei</strong>m Bezugsgegenstand<br />
eben um einen wahrnehmbaren Gegenstand handelt – das gehört schon zum<br />
Gehalt einer Ostension. Wenn der deskriptive Gehalt viele Wahrnehmungsqualitäten<br />
<strong>bei</strong>nhaltet, dann ist deren Erfüllung in einer konkreten Wahrnehmung so etwas wie eine<br />
Präsentation. Insofern die Präsentation eines Wahrnehmungsgegenstandes aber selbst<br />
die Referenz sichern soll, müssen immer auch begriffliche Momente <strong>und</strong> Klassifikatio-<br />
59 Vgl. Quine, 1992, §§9-13, 20 <strong>und</strong> Davidson, 1979.<br />
60 Genau dieses Modell findet sich übrigens auch <strong>bei</strong> Husserl. Dieser betont ebenfalls die Aspekthaftigkeit<br />
unseres Gegenstandsmeinens (siehe das Beispiel »Sieger von Jena« <strong>und</strong> »Besiegtre von Waterloo«),<br />
sieht dann aber in der adäqauten Wahrnehmung eine Möglichkeit, worin der Gegenstand selbstgegeben<br />
vor uns steht Vgl. LU I, § 12, VI, § 37.
nen im Spiel sein, denn es muß klar sein, was <strong>für</strong> ein Gegenstand gemeint ist - da gibt es<br />
im Wahrnehmungsfall immer noch viele Möglichkeiten. Für die Identifikation von abstrakten<br />
Gegenständen ist die Möglichkeit einer direkten Präsentation noch unzumutbarer.<br />
Wenn man etwa versuchte, den deutschen Rechtsstaat leibhaftig zu präsentieren,<br />
käme man in eine große Verlegenheit. Trotzdem läßt sich trefflich über ihn reden. Man<br />
identifiziert den Rechtsstaat eben durch historische Beschreibungen, durch seine Wirkungen,<br />
durch institutionelle Regeln usw.<br />
Bezeichnend <strong>für</strong> die etwas zweideutige Position <strong>Searle</strong>s hinsichtlich der Frage nach einer<br />
direkten Präsentation eines Gegenstandes ist sein Schweigen zum Thema indexikalischer<br />
Ausdrücke. Während er in Intentionality eine elaborierte Theorie der indexikalischen<br />
Ausdrücken vorlegt, findet sich in Speech Acts hierzu nicht viel. Es scheint so zu<br />
sein, daß die indexikalischen Ausdrücke hier eben noch als sprachliche Formen des<br />
Zeigens angesehen werden, damit aber keinen deskriptiven Gehalt besitzen. Dieser<br />
Grenzfall der Identifikation paßt nicht so recht in die Beschreibungstheorie der Eigennamen,<br />
weshalb er gewissermaßen unter den Tisch fällt.<br />
<strong>Searle</strong>s schwankende Position sei zum Abschluß nochmals vor Augen gestellt:<br />
Einerseits scheint <strong>Searle</strong> in Speech Acts Identifizieren als ein Handeln anzusehen, das entweder<br />
in dem Handlungsmedium der Sprache vollzogen wird, wo<strong>bei</strong> die Als-Struktur des<br />
Zeichens <strong>für</strong> die Aspekthaftigkeit <strong>und</strong> Indirektheit der sprachlichen Referenz verantwortlich<br />
ist, 61 oder aber durch die Wahrnehmung einen direkten Bezug liefert, der nicht<br />
durch irgendwelche Medien gebrochen ist. Identifizieren ist in diesem Sinn ein indirektes<br />
sprachliches Vergegenwärtigen oder ein direktes Präsentieren eines Gegenstandes.<br />
Die Gegenstände sind da<strong>bei</strong> als solche schon bestimmt unabhängig von unserer Identifikationsleistung.<br />
Gemäß der holistischen Deutung aber sahen wir andrerseits, daß die Bündel von<br />
sprachlichen Beschreibungen erst klarwerden lassen, als welcher der Gegenstand überhaupt<br />
gemeint ist, d.h. welcher Klasse er angehört. Diese Deutung legt es nahe, Identifizieren<br />
nicht unabhängig vom Klassifizieren zu analysieren. Die Gegenstände sind als<br />
solche erst innerhalb eines Netzwerkes von Begriffen bestimmt.<br />
Welche Deutung die intendierte ist, mag ich nicht beurteilen. Eine Konsequenz gilt aber<br />
<strong>für</strong> <strong>bei</strong>de Deutungen. Die Identifikation qua Beschreibung gründet auf wahrheitsfähigen<br />
Sätzen. Ein Eigenname sollte durch eine Reihe von <strong>für</strong>-wahr-gehaltenen Beschreibungen<br />
bestimmt sein. Damit wird man im Rahmen der Aufklärung von Referenz<br />
von selbst auf die Ebene der Aufklärung des Satzverstehens verwiesen, auf die<br />
Ebene des Propositionalen also. Wahrheit betrifft den ganzen Satz, insofern die<br />
Rechtmäßigkeit des Prädizierens eines Ausdrucks auf das Satzsubjekt thematisch ist.<br />
Die Frage nach der Prädikation ist damit zugleich die Frage nach dem propositionalen<br />
Gehalt im ganzen, da das Satzsubjekt nur im Umkreis wahrer Beschreibungen bestimmt<br />
ist.<br />
61 Hier schlösse sich die Heideggersche Frage an, ob die Als-Struktur letztlich in allem Handeln, als Sichauf-etwas-Verstehen,<br />
angelegt ist, oder ob diese dem spezifischen Verweisungscharakter von Zeichen<br />
vorbehalten wäre. Vgl. SuZ, §§ 31,32. Interessant ist Heideggers These, daß das Als-freie Erfassen im<br />
Rahmen einer puren Wahrnehmung einer “gewissen Umstellung bedarf”, das schlichte, schon verstehend-auslegende<br />
Sehen voraussetzt (Vgl. ebd, S.149).
2.4.2. Prädikation<br />
<strong>Searle</strong> verwendet den Hauptteil seiner Untersuchung zur Prädikation darauf zu zeigen,<br />
worin der Akt der Prädikation nicht besteht. <strong>Searle</strong> wendet mehr Fleiß auf die Kritik<br />
wegweisender Positionen an, als seine eigene Position zu explizieren. In Auseinandersetzung<br />
mit Frege <strong>und</strong> Strawson macht er deutlich, daß die Funktion des Prädizierens<br />
zu unterscheiden ist von der Funktion der Referenz. Die Akte der Referenz dienten<br />
dazu, einen Gegenstand zu identifizieren. Die Verwendung von Prädikaten ist nun<br />
nicht dadurch zu klären, daß man fragt, welcher Gegenstand durch den Ausdruck herausgegriffen<br />
wird. Prädikate können nicht erklärt werden, indem man auf einen Gegenstand<br />
weist bzw. einen Gegenstand herausgreift. Prädikatausdrücke funktionieren<br />
nicht nach dem Modell des Für-etwas-Stehens (Vgl. Speech Acts, S.113ff). Vielmehr<br />
werden Prädikatausdrücke gebraucht <strong>für</strong> „the ascription of a property to an object“<br />
(Speech Acts, S.102). Dies darf nun nicht so verstanden werden, als stünde der Prädikatausdruck<br />
<strong>für</strong> eine Eigenschaft bzw. als identifiziere er eine Eigenschaft. Dieses Modell<br />
wollte <strong>Searle</strong> ja gerade vermeiden (das Modell ist ja unabhängig davon, ob die<br />
Gegenstände abstrakt oder konkret sind). <strong>Searle</strong> macht dagegen sogar die Behauptung,<br />
daß die Namen <strong>für</strong> Eigenschaften (»Trunkenheit«, »Weisesein«, »Kahlköpfigkeit«,<br />
»Röte« - um diese Eigenschaften dreht sich traditionell die Welt der Philosophen)<br />
logisch abhängig sind vom vorgängigen Verstehen des Aktes der Prädikation, d.h. ein<br />
Sprecher muß erst den Ausdruck »ist betrunken« verwenden bzw. verstehen können,<br />
bevor er weiß, wo<strong>für</strong> die Nominalisierung »Trunkenheit« steht (auf dieser Ebene kann<br />
man dann wohl vom „Für-etwas-Stehen“ sprechen).<br />
Worin besteht aber dieser Akt der Prädikation? Was ist die Funktion von<br />
Prädikatausdrücken <strong>und</strong> unter welchen Bedingungen versteht ein Sprecher bzw. Hörer<br />
einen Prädikatausdruck?<br />
"To predicate an expression ‚P‘ of an object R is to raise the question of the truth of the predicate<br />
expression of the object reffered to“ (Speech Acts, S.124).<br />
"To know the meaning of a general term and hence a predicate expression is to know <strong>und</strong>er what<br />
conditions it is true or false of a given object“ (ebd., S.125.)<br />
<strong>Searle</strong> benutzt den Begriff der Wahrheit zur Explikation des Prädikationsaktes. Das<br />
mag nicht überraschen. Im Kapitel über illokutionäre Akte sahen wir allerdings, daß<br />
viele illokutionäre Rollen gar nicht unmittelbar auf den Wahrheitsaspekt bezogen sind.<br />
Inwiefern <strong>bei</strong> diesen nicht-assertiven Akten der Wahrheitsaspekt dennoch eine Rolle<br />
spielt, müßte <strong>Searle</strong> aufzeigen. Schließlich wird der Akt der Prädikation auch innerhalb<br />
dieser Rollen vollzogen. Wir müssen demgemäß zwei Probleme auseinanderhalten.<br />
Einmal handelt sich um die Frage, wie die assertiven <strong>und</strong> nicht-assertiven illokutionären<br />
Akte auf Wahrheit bezogen sind. Hier hat m.E. der Begriff der Ausrichtung seinen theoretischen<br />
Ort. Davon zu unterscheiden ist die Wahrheitsbeziehung des Akts der Prädikation.<br />
Beide Probleme hängen freilich zusammen, denn der Akt der Prädikation soll<br />
ja ein Teilakt von illokutionären Sprechhandlungen sein. Dieses Verhältnis hätte <strong>Searle</strong><br />
auseinanderzulegen
Doch zunächst ist ein noch schwerer wiegendes Problem zu behandeln, nämlich das<br />
einer handlungstheoretischen Reinterpretation des Wahrheitsbegriffes. Man muß sich ja<br />
klar machen, daß dieser Begriff innerhalb einer Handlungstheorie selbst erst der Klärung<br />
bedarf. Man wird sagen können, daß in der philosophischen Tradition zumindest<br />
der Neuzeit die Bereiche von praktischer <strong>und</strong> theoretischer Philosophie gerade dadurch<br />
voneinander abgegrenzt sind, daß die Frage nach der Wahrheit von Vorstellungen <strong>und</strong><br />
Aussagen den theoretischen Teil bestimmt, während die praktische Philosophie nach<br />
dem Zweck von Handlungen fragt. Es ist daher gerade die interessante <strong>und</strong> <strong>für</strong> eine<br />
Sprechakttheorie auch konstitutive Frage, wie der Begriff der Wahrheit im handlungstheoretischen<br />
Rahmen interpretiert werden kann. Wenn die Sprechakttheorie wirklich<br />
eine philosophische Bedeutungstheorie f<strong>und</strong>ieren soll, dann muß sie entweder diese<br />
Reinterpretation des Wahrheitsbegriffes leisten können oder ganz ohne ihn auskommen.<br />
Ansonsten würden die traditionellen Repräsentationstheorien der Bedeutung<br />
nicht wirklich überw<strong>und</strong>en, sondern über einen ungeklärten Wahrheitsbegriff quasi<br />
wieder eingeführt. Man sollte von <strong>Searle</strong> also eine Klärung dieses Begriffs erwarten.<br />
Bisher allerdings wurden wir diesbezüglich enttäuscht. Wir sahen oben, daß <strong>Searle</strong> die<br />
Klasse illokutionärer Rollen, die auf den Wahrheitsaspekt bezogen sind, die Assertive,<br />
durch den Begriff der Wort-auf-Welt-Ausrichtung abgrenzte <strong>und</strong> den Wahrheitsbegriff<br />
da<strong>bei</strong> geradezu offensichtlich umging. Erinnert sei daran, daß auch der Begriff der Ausrichtung<br />
ziemlich ungeklärt blieb <strong>und</strong> daß die wenigen Kennzeichnungen („match the<br />
world“) eher eine repräsentationstheoretische Deutung nahelegten. Ändert sich die Situation<br />
nun <strong>bei</strong> der Analyse des Prädikationsaktes?<br />
Man wird die Frage verneinen müssen. <strong>Searle</strong>s Ausführungen zum Wahrheitsbegriff<br />
halten sich in engen Grenzen, er nimmt genaugenommen gar keine Stellung dazu.<br />
Eine Verschärfung des Problems ergibt sich aus der Tatsache, daß unterschiedliche<br />
Weisen des Wahrheitsbezuges der Prädikation unterschieden werden müssen. Eine<br />
Frage etwa thematisiert das Zutreffen (das Wahrsein) eines Prädikats auf einen Gegenstand<br />
anders, als es eine Behauptung oder ein Befehl tut (Vgl. Speech Acts, S.122). Die<br />
Differenz dieser Akte betrifft nicht nur die illokutionäre Rolle des Aktes, sondern nach<br />
<strong>Searle</strong>s Auffassung auch den Teilakt der Prädikation. In Tugendhats Worten heißt dies,<br />
daß die Prädikate nicht modus-neutral, sondern modus-variabel sind (Vgl. Tugendhat,<br />
1976, S.506). Der Akt der Prädikation kann demzufolge von einer Änderung der illokutionären<br />
Rolle (Modi) mitbetroffen sein. Eine Analyse der Prädikation muß dem Problem<br />
der Modus-Variabilität gerecht werden. Mit Tugendhat muß man dann fragen,<br />
worin die Einheit des Wahrheitsbegriffes, der den Akt der Prädikation klären soll, besteht,<br />
wenn die diversen Modi bzw. Rollen das Zutreffens eines Prädikates (das Wahrsein)<br />
immer irgendwie anders zur Sprache bringen (raise the question of truth).<br />
Tugendhat wirft <strong>Searle</strong> letztlich vor, dieses Problem nicht gelöst zu haben. Er sei genau<br />
an der Stelle stehengeblieben, „an der das eigentliche Problem anfängt” (Tugendhat,<br />
1976, S. 507). Der Wahrheitsbegriff, den <strong>Searle</strong> zur Klärung verwendet, sei zu unbestimmt.<br />
Vor allem aber ist Tugendhat der Meinung, daß der Wahrheitsbegriff allenfalls<br />
<strong>für</strong> Sprechakte in assertorischem Modus (assertiver Witz) Erklärungswert besitze. Insofern<br />
die illokutionäre Rolle auch sinnbestimmend <strong>für</strong> den propositionalen Gehalt <strong>und</strong><br />
damit auch <strong>für</strong> die Prädikation sei, könne der Wahrheitsbegriff zur Klärung des Aktes<br />
der Prädikation nur in assertiven Sprechakten Anwendung finden. Das Aufwerfen der
Frage des Wahrseins, das <strong>Searle</strong> als Kennzeichen der Prädikation überhaupt auffaßt,<br />
würde also nur <strong>für</strong> die Prädikation in assertiven Sprechakten relevant sein. In Tugendhats<br />
Augen löst <strong>Searle</strong> die These der Modus-Variabilität der Prädikation nicht ein <strong>und</strong><br />
gleicht alle Modi letztlich den Assertiven an.<br />
Interessant ist nun aber, daß Tugendhat in seiner Analyse zu dem Ergebnis kommt, den<br />
Wahrheitsbegriff, der nur <strong>für</strong> Assertive Klärung bringt, durch den Oberbegriff der Übereinstimmung<br />
zu ersetzen:<br />
“Mit dem jetzt angedeuteten Begriff der Übereinstimmung wäre nun also der <strong>für</strong> eine allgemeine<br />
Semantik erforderliche, gegenüber dem Wahrheitsbegriff umfassendere Begriff gef<strong>und</strong>en. Er<br />
würde <strong>für</strong> alle propositionalen Sätze das leisten, was der Wahrheitsbegriff <strong>für</strong> den speziellen Fall<br />
der assertorischen Sätze leistet. [...] Da es zwei <strong>und</strong> nur zwei Möglichkeiten der Übereinstimmung<br />
gibt, müßte man anerkennen, daß es nur zwei semantisch f<strong>und</strong>amentale Satzmodi gibt:<br />
Übereinstimmungsbedingungen sind entweder Wahrheitsbedingungen oder Erfüllungsbedingungen”<br />
(Tugendhat, 1976, S.510).<br />
Der Begriff der Übereinstimmung Tugendhats meint ungefähr das, was <strong>Searle</strong> in der<br />
Metapher des Passens ausdrückt, um den Begriff der Ausrichtung zu charakterisieren.<br />
Daher verw<strong>und</strong>ert es nicht, daß sich die zwei Richtungen der Übereinstimmung in Tugendhats<br />
Analyse mit den <strong>bei</strong>den Arten der Ausrichtung <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> decken. So wie<br />
Wort-auf-Welt- <strong>und</strong> Welt-auf-Wort-Ausrichtung <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> unterschieden wird, so hält<br />
Tugendhat zwei Arten der Übereinstimmung auseinander, <strong>bei</strong> assertorischen Sätzen<br />
bildet die Wirklichkeit den Maßstab der Übereinstimmung von Satz <strong>und</strong> Wirklichkeit,<br />
<strong>bei</strong> Wunsch- <strong>und</strong> Befehlssätzen bildet der Satz den Maßstab der Übereinstimmung. 62<br />
Tugendhats Ansatz soll nun dem Problem der Modus-Variabilität genügen. Die Leistung<br />
der Prädikation besteht nun darin, die Übereinstimmung von Satz <strong>und</strong> Wirklichkeit<br />
zu thematisieren, wo<strong>bei</strong> die Modi dann die Richtung dieser Übereinstimmung festlegten.<br />
Nach diesem Modell müßte die zitierte Kennzeichnung <strong>Searle</strong>s wie folgt abgewandelt<br />
werden: Die Bedeutung eines allgemeinen Ausdrucks <strong>und</strong> damit eines Prädikatsausdrucks<br />
kennen heißt wissen, unter welchen Bedingungen, Satz <strong>und</strong> Wirklichkeit<br />
miteinander übereinstimmen bzw. zueinander passen. Den Prädikatausdruck im Imperativ<br />
verstehen hieße dann bspw. wissen, welche Handlung von der angesprochenen<br />
Person (Referenzobjekt) ausgeführt werden soll <strong>und</strong> unter welchen Umständen sie ausgeführt<br />
ist. Ein Verstehen von praktischen Sätzen - so nennt Tugendhat die Sätze in<br />
nicht-assertiver Verwendung - erfordert demgemäß auch die Fähigkeit zu handeln. Diese<br />
praktischen Sätze 63 sind streng zu unterscheiden von assertiven Sätzen, die eine<br />
Handlung beschreiben bzw. diese zum Thema haben. Praktische Sätze haben keine<br />
Wahrheitsbedingungen, während Handlungsbeschreibungen Wahrheitsbedingungen<br />
haben.<br />
62 <strong>Searle</strong> hat den Begriff der Ausrichtung in dem 1971 entstandenen Aufsatz ‘A Taxonomy of Illocutionary<br />
Acts’ eingeführt. Tugendhat kann daher in den 1970 gehaltenen Vorlesungen auf diesen Begriff<br />
nicht eingehen. Die Gemeinsamkeit <strong>bei</strong>der Modelle zeigt sich am Umstand, daß <strong>bei</strong>de auf Anscombes<br />
Werk Intention als Quelle verweisen. Vgl. Tugendhat, 1976, S. 520 <strong>und</strong> <strong>Searle</strong>, 1975, S. 3.<br />
63 Befehle, Wünsche, Bitten, Absichtsbek<strong>und</strong>ungen u.a. gehören nach Tugendhat in die Klasse der praktischen<br />
Sätze. Die <strong>Searle</strong>sche Unterscheidung von direktiven <strong>und</strong> kommissiven Sprechakte ist <strong>für</strong> Tugendhat<br />
innerhalb einer allgemeinen Semantik nicht von Bedeutung.
Läßt sich die Tugendhatsche Analyse mit <strong>Searle</strong>s Position harmonisieren, wenn der<br />
Begriff der Ausrichtung mit in Rechnung gezogen wird? Die erwähnte Analogie in der<br />
Begrifflichkeit läßt dies vermuten, auch gehört die Rede von Erfüllungsbedingungen<br />
zumindest seit dem Buch über Intentionalität zu den Kernelementen <strong>Searle</strong>scher Untersuchungen.<br />
Außerdem bleibt <strong>Searle</strong> keine andere Alternative, wenn er die These der<br />
Modus-Variabilität aufrecht erhalten will. Ansonsten, <strong>bei</strong>m Verzicht auf diese These,<br />
könnte <strong>Searle</strong> behaupten, daß der gesamte propositionale Gehalt durch Wahrheitsbedingungen<br />
festgelegt sei, unabhängig von der illokutionären Rolle des Sprechaktes. Nun<br />
hatten wir angenommen, daß <strong>Searle</strong> die Modus-Variabilität anerkennt, daher spricht er<br />
dem Prädikationsakt ja die Selbständigkeit ab. Doch mit Blick auf andere Stellen kann<br />
man nur zu dem Schluß kommen, daß der propositionale Gehalt unabhängig von der<br />
illokutionären Rolle bestimmt ist. Zumindest die ersten Kapitel von Speech Acts nähren<br />
diese Vermutung. <strong>Searle</strong> analysiert die Illokution, Referenz <strong>und</strong> Prädikation in getrennten<br />
Kapiteln. Zwar zeigt er im Kapitel über illokutionäre Akte, daß nicht jeder propositionale<br />
Gehalt mit jeder Rolle kombinierbar ist, doch daß setzt gerade voraus, daß die<br />
Gehalte überhaupt unabhängig von den Rollen identifiziert werden können.<br />
Verdeutlichen wir uns nochmals die Alternativen, die <strong>Searle</strong> hat. Entweder <strong>Searle</strong><br />
behauptet die Unabhängigkeit des propositionalen Gehalts von der illokutionären Rolle<br />
(das schließt nicht aus, daß der propositionale Akt nur im Zusammenhang mit illokutionären<br />
Akten vollzogen werden kann) 64 , dann kann er gut mit dem Begriff der Wahrheitsbedingungen<br />
ar<strong>bei</strong>ten. Oder aber er löst seine These der Unselbständigkeit der<br />
Prädikation ein <strong>und</strong> gibt einen anderen Begriff als den der Wahrheit zur Klärung des<br />
Aktes der Prädikation an. 65 Der Begriff des Ausrichtung hätte hier eventuell Klärung<br />
bringen können. Innerhalb des Rahmens der Sprechakttheorie bleibt die Entscheidung<br />
der Alternative <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> jedoch ungeklärt, was auch damit zusammenhängt, daß der<br />
Ausrichtungsbegriff wie auch der Wahrheitsbegriff kaum selbst thematisiert werden.<br />
<strong>Searle</strong> kann die geschilderte Kluft nur verdecken, indem der schillernde Begriff des<br />
Zur-Sprache-Bringens von Wahrheit verwendet wird.<br />
Es verw<strong>und</strong>ert daher auch nicht, daß die Regeln des Aktes der Prädikation, die <strong>Searle</strong><br />
zusammenstellt, kaum zur Klärung <strong>bei</strong>tragen. <strong>Searle</strong> benutzt <strong>bei</strong> der Formulierung der<br />
Regeln immer schon den Begriff »einem Gegenstand zukommen« (»to be true or false«),<br />
der <strong>für</strong> eine f<strong>und</strong>amentale Theorie der Prädikation ja gerade zu klären wäre. Daß<br />
es sich <strong>bei</strong> der Prädikation - zumindest in assertorisch verwendeten Sätzen - um die<br />
Frage des Zutreffens von Prädikaten handelt, das kann wohl nicht mehr als eine Paraphrase<br />
unseres Alltagsverständnisses sein. <strong>Searle</strong> erweckt damit den Eindruck, daß ihn<br />
die f<strong>und</strong>amentale Klärung dessen, was er als Akt der Prädikation bezeichnet, innerhalb<br />
der Sprechakttheorie gar nicht interessiert. Was es heißt, daß Prädikate einem Gegenstand<br />
zukommen (das Wahrsein von einem Gegenstand), bleibt jedenfalls ungeklärt.<br />
Wenn man überdies die plausible Meinung vertritt, daß das Zukommen bzw. das<br />
64 Die Referenz ist <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> eindeutig als ein selbständiger Akt gekennzeichnet, obwohl er auch nur in<br />
Verbindung mit einem illokutionären Akt vorkommen kann. Vgl. dazu Speech Acts, S. 122f.<br />
65 Eine dritte Möglichkeit bestünde noch in dem Vorgehen, auch die diversen Modi oder Rollen über eine<br />
Semantik der Wahrheitsbedingungen zu klären. Diese Möglichkeit zieht <strong>Searle</strong> aber nicht in Betracht. Vgl.<br />
zu diesem Programm: Davidson, 1979a.
Wahrsein schon die Satzebene betrifft <strong>und</strong> nicht mehr nur den prädikativen “Anteil”,<br />
daß damit das Verständnis von Prädikaten im Verstehen von Sätzen f<strong>und</strong>iert ist, dann<br />
stellt sich <strong>Searle</strong> ein neues Problem. Die propositionale Ebene würde erklärt durch den<br />
Zusammenhang von Referenz <strong>und</strong> Prädikation, Prädikation würde erklärt durch Rekurs<br />
auf die Proposition, insofern hier der Begriff des Zutreffens seinen Ort findet. Dies ist<br />
ein merkwürdiges, nach den jetzigen Erwägungen sogar zirkuläres Vorgehen. Erinnert<br />
sei auch daran, daß selbst der Akt der Referenz nur im Rückgriff auf die ganze Propositionen<br />
erläutert werden konnte. Wenn <strong>Searle</strong> von Identifikation durch Beschreibung<br />
spricht, dann impliziert der Begriff der Beschreibung ja die Ebene wahrheitsfähiger Sätze.<br />
<strong>Searle</strong> sagt selbst:<br />
“But if one insists on symmetry, it would be more accurate to construe reference as a peculiar<br />
kind of predication: the principle of identification might be regarded as saying that reference is<br />
identification via predication“ (Speech Acts, S.119).<br />
Auch der <strong>Searle</strong>sche Begriff der Referenz verlangt demnach eine vorgängige Klärung<br />
der propositionalen Ebene. Im Rahmen der Sprechakttheorie wartet man auf diese Klärung<br />
vergebens. Vielleicht aber will <strong>Searle</strong> in seiner Sprechakttheorie gar nicht f<strong>und</strong>amental<br />
sein, vielleicht hebt er sich die Klärung der f<strong>und</strong>amentalen Begriffe <strong>für</strong> eine spätere<br />
Untersuchungen auf. Die bisherigen Überlegungen lassen eine derartige Vermutung<br />
jedenfalls als gerechtfertigt erscheinen.
2.5. Äußerungsbedeutung <strong>und</strong> wörtliche Bedeutung<br />
Es gehört zu <strong>Searle</strong>s f<strong>und</strong>amentalen Thesen, daß zwischen der Äußerungsbedeutung<br />
<strong>und</strong> der Satzbedeutung unterschieden werden muß, erstere heißt <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> auch<br />
Sprecherbedeutung, letztere wörtliche Bedeutung (Vgl. <strong>Searle</strong>, 1975a, S.30f.). Diese Unterscheidung<br />
ist insofern interessant, weil man <strong>bei</strong> der <strong>Searle</strong>schen Orientierung an intentionalem<br />
Handeln auch hätte vermuten können, daß so etwas wie Satzbedeutung gar<br />
nicht vorkommt. Doch schauen wir uns die Unterscheidung näher an.<br />
Sprechakte werden dann richtig verstanden, wenn der Hörer die Intention des Sprechers<br />
erkennt, also wenn er erkennt, was der Sprecher meint. Der Sprecher will einen<br />
bestimmten illokutionären Akt mit einem propositionalen Gehalt vollziehen. Der Versuch<br />
ist gelungen, wenn der Hörer die intendierte illokutionäre Rolle <strong>und</strong> den intendierten<br />
propositionalen Gehalt erkennt. Die Sprecherbedeutung besteht nun in diesen vom<br />
Sprecher intendierten illokutionären Akt <strong>und</strong> dem propositionalen Gehalt. Wer die Äußerungsbedeutung<br />
versteht, der weiß auch, was der Sprecher meint bzw. welche den<br />
Sprechakt betreffenden Intentionen dem Sprecher zugesprochen werden dürfen. Davon<br />
zu unterscheiden ist die wörtliche Bedeutung. Sie ist nicht durch die Intention des<br />
Sprechers festgelegt, sondern durch die Konvention des Lexikons in einer konkreten<br />
Sprachgemeinschaft. Auch die wörtliche Bedeutung bezieht sich auf das, was der Sprecher<br />
meint, nur eben qua lexikalischer Konvention. Wer die wörtliche Bedeutung versteht,<br />
kann dem Sprecher auch eine Kommunikationsintention zuschreiben, nur muß<br />
im gegebenen Fall diese Konvention nicht hinreichen, um die tatsächlichen Kommunikationsintentionen<br />
des Sprechers zu erschließen. Jemand kann die wörtliche Bedeutung des<br />
Gesagten verstehen, ohne überhaupt zu wissen, welcher Sprechakt vom Sprecher gerade<br />
vollzogen wurde, d.h. ohne überhaupt die illokutionäre Rolle des Aktes zu erfassen.<br />
V.a. durch die Analyse indirekter Sprechakte läßt sich die <strong>Searle</strong>sche Unterscheidung<br />
untermauern. Die Frage »Kannst du mir das Salz reichen?« wird am Frühstückstisch<br />
eben nicht als Frage benutzt, sondern als Bitte. Der Sprecher will mit der Äußerung<br />
bitten, er verwendet hierzu aber eine Frage. Meinen <strong>und</strong> Bedeutung driften auseinander,<br />
die wörtliche Bedeutung allein erlaubt nicht den Schluß auf die tatsächliche Absicht<br />
des Sprechers. Die wörtliche Bedeutung ist demgemäß weniger situationsgeb<strong>und</strong>en als<br />
die Sprecherbedeutung, sie ist stärker durch Konventionen als durch Intentionen bestimmt.<br />
Zu betonen ist, daß die Unterscheidung von wörtlicher Bedeutung <strong>und</strong> Sprecherbedeutung<br />
sowohl das Verständnis der illokutionären Rolle als auch des propositionalen Gehaltes<br />
betrifft. Der Aufsatz ‚Indirect speech acts‘, aus dem das eben erwähnte Beispiel<br />
entnommen ist, thematisiert v.a. das Problem, wie die intendierte illokutionäre Rolle zu<br />
erschließen ist, wenn die wörtliche Bedeutung Anlaß gibt, nach einen anderen Modus<br />
zu suchen. Wie dies im Einzelnen durch Rekurs auf die Sprechakt-regeln <strong>und</strong> auf Rationalitätsunterstellungen<br />
erklärbar ist, kann hier nicht diskutiert werden. Daß auch der<br />
propositionale Gehalt von der Unterscheidung betroffen ist, zeigt sich dagegen im Aufsatz<br />
‚Metaphor‘. Metaphorische <strong>und</strong> ironische Sprechakte 66 ar<strong>bei</strong>ten - im einfachsten<br />
66 Die ironischen Sprechakte müßten einmal gesondert untersucht werden. Die zeitgenössische Diskussion<br />
dreht sich dagegen meist um die Metapher (Vgl. Seel, 1990, S. 237). Ironie ist aber ein lohnendes
Fall - mit Prädikaten, deren wörtliche Zuschreibung eklatant falsch oder kategorial absurd<br />
wäre. 67 Aufgr<strong>und</strong> dieser Tatsache kommt der Hörer überhaupt auf die Idee, daß<br />
der Sprecher eigentlich einen anderen Prädikationsakt vollziehen will. In der Äußerung<br />
»Carla ist eine Schlange« wird demgemäß einem Mädchen (davon wollen wir ausgehen)<br />
nicht attestiert, daß sie in die biologische Gattung der Kriechtiere einzuordnen ist, sondern<br />
daß sie ziemlich falsch ist bzw. mit gespaltener Zunge redet - was natürlich ebenfalls<br />
nicht wörtlich gemeint sein kann.<br />
Hier ist nun zu bemerken, daß die Sprecherbedeutung zwar die Bedeutung ist, auf die<br />
es <strong>bei</strong>m Verstehen letztlich ankommt, daß aber in jedem Fall die wörtliche Bedeutung<br />
sozusagen die Brücke ist, über die der Hörer gehen muß, um zum Verständnis der vom<br />
Sprecher intendierten Bedeutung zu gelangen. Dies gilt eben auch <strong>für</strong> Sprechakte, <strong>bei</strong><br />
denen wörtliche Bedeutung <strong>und</strong> die Sprecherbedeutung auseinanderfallen. Erst nachdem<br />
die wörtliche Bedeutung verstanden wurde bzw. verstanden wurde, daß diese keinen<br />
Sinn macht, kann <strong>und</strong> muß zu einer neuen Interpretationshypothese übergegangen<br />
werden. Der Begriff der wörtlichen Bedeutung, der über den Begriff der lexikalischen<br />
Konvention erklärt wird, ist also von tragender Bedeutung <strong>für</strong> <strong>Searle</strong>s Konzept.<br />
Damit ist das viel diskutierte Problem des Verhältnisses von Intention <strong>und</strong> Konvention<br />
<strong>bei</strong> Sprechakten angesprochen. In Auseinandersetzung mit Grice gewinnt <strong>Searle</strong>s Verständnis<br />
Konturen:<br />
„This [Grice‘s – L.S.] account of meaning does not show the connection between one’s meaning<br />
something by what one says, and what that which one says actually means in the language“ (Speech<br />
Acts, S.43).<br />
„Meaning is more then a matter of intention, it is also at least sometimes a matter of convention“<br />
(Speech Acts, S. 45).<br />
„In the case of speech acts performed within a language, on the other hand, it is a matter of convention<br />
[...] that the utterance of such and such expressions <strong>und</strong>er certain conditions counts as the<br />
making of a promise“ (Speech Acts, S.37)<br />
„The meaning of a sentence is determined by rules, and those rules specify both conditions of utterance<br />
of the sentence and also what the utterance counts as“ (Speech Acts, S.48).<br />
Damit ist der Frage nach der Bedeutung von Äußerungen freilich eine neue Akzentuie-<br />
Thema, wenn die Analyse nicht nur die ironischen Akte umfaßt, <strong>bei</strong> denen schlicht das Gegenteil des<br />
Gemeinten gesagt wird – obwohl auch dies interessant, da hierin nämlich eine Möglichkeit besteht »Hier<br />
ist es kalt« zu sagen <strong>und</strong> »Hier ist es warm« zu meinen (vgl. PU § 510). Trotzdem macht es ja gerade den<br />
Reiz der Ironie - in ihrem romantischen Verständnis - aus, daß nicht ganz klar wird, was eigentlich gemeint<br />
ist. Der Ironiker transzendiert die Bedeutung des Gesagten, ohne daß sich abschließend beurteilen<br />
ließe, worin die gemeinte Bedeutung liegt. Er legt sozusagen nur eine Spur, ohne daß er <strong>und</strong> der Interpret<br />
wüßte, wohin sie führt. Wird dieses Phänomen der Ironie zu einem Gr<strong>und</strong>bestand von Sprachlichkeit<br />
überhaupt verallgemeinert, führt dies zur hermeneutischen Behauptung einer gr<strong>und</strong>sätzlichen Offenheit<br />
oder Unabschließbarkeit jeglicher Interpretation. Insofern würde <strong>Searle</strong>s Prinzip der Ausdrückbarkeit zu<br />
einem nicht abschließbaren Sagen führen. Vgl. zum Ironieverständnis der Romantik: Manfred Frank,<br />
1989, 17.-21. Vorlesung.<br />
67 An dieser Stelle muß <strong>Searle</strong> wieder mit dem Wahrheitsbegriff <strong>und</strong> noch dazu mit dem der Absurdität<br />
ar<strong>bei</strong>ten, ohne daß er näher klärt, wie diese Begriffe in seinem Theorierahmen explizierbar sind.
ung gegeben. <strong>Searle</strong> hatte festgestellt, daß Zeichen zu solchen erst werden, wenn dem<br />
Sprecher bestimmte Intentionen zugesprochen werden können. Nun scheint es so, als<br />
ob die Zeichen nicht qua Intention, sondern qua Konvention Bedeutung haben. Der<br />
Begriff der wörtlichen Bedeutung ließ dies erahnen.<br />
Es ist klar, warum <strong>Searle</strong> die Konvention stark macht. Schließlich gehört es zur Analyse<br />
des Begriffs der Intention, daß das Intendierte dem Handelnden möglich sein muß.<br />
Wie aber kann es einem Sprecher möglich sein, durch Äußerung bestimmter Phoneme,<br />
dem Hörer seine Intentionen zu vermitteln. Nun eben, indem er auf ein Medium zurückgreift,<br />
daß sowohl der Hörer als auch der Sprecher teilen. Dieses Medium ist dann<br />
eben u.a. deshalb konventionell, weil es von einer Sprachgemeinschaft – <strong>und</strong> sei es nur<br />
die Gemeinschaft von Sprecher <strong>und</strong> Hörer - anerkannt wird. Der Sprecher kann daher<br />
durch Benutzung dieses Mittels, des Lexikons, davon ausgehen, daß seine mit dem<br />
Sprechakt verb<strong>und</strong>enen Intentionen vom Hörer als solche verstanden werden.<br />
Diese Argumentation <strong>Searle</strong>s bildet auch die Motivation <strong>für</strong> die Kritik der Gebrauchstheorie<br />
der Bedeutung in Speech Acts. Auch wenn <strong>Searle</strong> in diesem Buch die Unterscheidung<br />
von wörtlicher Bedeutung <strong>und</strong> Sprecherbedeutung noch nicht explizit eingeführt<br />
hat, so ist die Argumentation doch nur schlüssig vor diesem Hintergr<strong>und</strong>. Die<br />
Gebrauchstheorie, welche die Bedeutung von Worten durch deren Verwendungsmöglichkeiten<br />
analysiert - so <strong>Searle</strong>s kurze Paraphrase der Theorie (Vgl. Speech Acts,<br />
S.146) -, verwechsle die Ebenen <strong>und</strong> bringe Regeln der illokutionären Rolle mit Regeln<br />
der Bedeutung von Worten durcheinander. Eine Analyse von Verwendungsweisen<br />
könne nicht zwischen den Fällen differenzieren, in denen ein bestimmter Gebrauch den<br />
Sprechaktregeln, d.h. den Regeln der illokutionären Rolle zuzuschreiben ist <strong>und</strong> den Fällen,<br />
in denen die Wortbedeutung <strong>für</strong> das Verstehen verantwortlich ist. Deshalb führe<br />
sie zu unbrauchbaren Ergebnissen. Bei der Analyse des Wortes »wahr« etwa, kommt es<br />
darauf an, ob der Sprechakt in einer Behauptung, Frage oder in sonst etwas besteht:<br />
„The word ‚true‘ means or can mean the same thing in interrogatives, indicatives, conditionals,<br />
negations, disjunctions optatives, etc. If didn’t, conversation would be imposible, for ‚It is true‘<br />
would not be an answer to the question ‚Is it true?‘ if ‚true‘ changed its meaning from interrogative<br />
to indicative sentences“ (Speech Acts, S.137).<br />
Die Bedeutung des Wortes ist in allen Sprechakten dieselbe. Das ist <strong>Searle</strong>s Prämisse,<br />
begründet durch das schon dargestellte Motiv, daß anders eine Verständigung nicht<br />
möglich sei. Der Gebrauchstheoretiker dagegen müßte, so <strong>Searle</strong>, behaupten, daß das<br />
Wort »wahr« in den verschiedenen Sprechakten jeweils eine andere Bedeutung hat, weil<br />
in den unterschiedenen Verwendungen unterschiedliche illokutionäre Zweck erzielt<br />
werden. In unterschiedlichen Sprechakten hat dasselbe Wort dann eben verschiedene<br />
Bedeutungen. Diese Konsequenz hält <strong>Searle</strong> <strong>für</strong> unmöglich, da damit Bedingungen der<br />
Möglichkeit von Kommunikation verletzt sind. Daher führt er später den Begriff der<br />
wörtlichen Bedeutung ein, der durch lexikalische Konvention bestimmt ist. Dieser sichert,<br />
daß eine Kommunikation zustande kommt, ja daß überhaupt beabsichtigt werden<br />
kann, zu kommunizieren, weil ein allgemein geteiltes Medium (das Lexikon) diese<br />
Absicht erst möglich macht. Festzuhalten ist, daß konventionelle wörtliche Bedeutung<br />
<strong>für</strong> <strong>Searle</strong> Bedingung <strong>für</strong> die Möglichkeit von Kommunikation ist, also auch Bedingung<br />
<strong>für</strong> den Vollzug von Sprechakten.
Auch ist einzusehen, daß ohne den Begriff der konventionellen Satzbedeutung die indirekten,<br />
metaphorischen <strong>und</strong> ironischen Sprachverwendungen gar nicht möglich wären.<br />
Wäre die Satzbedeutung allein durch die Intention bestimmt, könnte es nie den Fall<br />
geben, daß Gesagtes <strong>und</strong> das Gemeintes nicht deckungsgleich sind. Der Gebrauchstheoretiker<br />
kann nicht zwischen Meinen <strong>und</strong> Sagen differenzieren, weil die Bedeutung<br />
des Wortes (das Sagen) mit der jeweiligen illokutionären Kommunikationsintention<br />
(das Meinen) identisch ist. Die Sprache muß, bildlich gesprochen, ein gewisses Eigengewicht<br />
haben, das nicht durch jede neue Sprecherintention umgestoßen werden kann.<br />
Freilich ist es immer möglich, daß sich neue Klassifikationen einbürgern, Metaphern<br />
„absterben“. Die Veränderung <strong>und</strong> Verletzung von Konventionen - in einem begrenzten<br />
Maß - gehören zum Wesen von Sprachkompetenz. 68<br />
Trotz dieser Betonung des Status von Konventionen, sollte man <strong>Searle</strong> nicht als Konventionalisten<br />
bezeichnen. Konventionelle Sprachen sind <strong>für</strong> kommunikative Zwecke<br />
unabdingbar, doch das zunächst private Meinen des Sprechers ist von konventionellen<br />
Mitteln, d.h. von Sprache, unabhängig. Dieser etwas gewagte Schluß läßt sich anhand<br />
des Prinzips der Ausdrückbarkeit verifizieren. M.E. wird hier die <strong>Intentionalitätstheorie</strong><br />
impliziert, zumindest läßt sich das Prinzip in diesem Sinne interpretieren. Und wenn<br />
man <strong>Searle</strong>s spätere Entwicklung in Rechnung zieht, dann wird man zu dem Schluß<br />
kommen, daß diese Deutung wohl von <strong>Searle</strong> intendiert ist. 69<br />
Das Prinzip besteht kurz gesagt darin, daß alles, was man meinen kann, auch gesagt<br />
werden kann (Vgl. Speech Acts, S.19ff.). Das heißt zunächst, daß sich alle Arten von<br />
indirekten Äußerungen, Metaphern <strong>und</strong> von Ironie prinzipiell auch wörtlich wiedergeben<br />
lassen. Prinzipiell heißt in diesem Zusammenhang, daß es Sprachen geben mag,<br />
deren Konvention es nicht ermöglicht, bestimmte Dinge auszudrücken. Dies aber sei<br />
eine kontingente Tatsache:<br />
„But often I am not know the language well enough to say what I mean [...], or worse yet, because<br />
language may not contain words or other devices for saying what I mean. [...] Any language<br />
provides us with a finite set of words and syntactical forms for saying what we mean, but<br />
where there is in a given language or in any language an upper bo<strong>und</strong> on the expressible, where<br />
there are thoughts that cannot be expressed in a given language or in any language, it is a contignet<br />
fact and not a necessary truth“ (Speech Acts, S.19f).<br />
Man mag annehmen, daß diese Schwierigkeiten allein die Übersetzbarkeit betreffen.<br />
Ein Sprecher hat eben manchmal nicht die Kenntnis einer Sprache, oder es fehlen bestimmte<br />
Unterscheidungen in einer Sprache, um etwas adäquat zu übersetzen. Doch<br />
wenn <strong>Searle</strong> dann sogar im Plural von den existierenden Sprachen spricht, denen die<br />
Mittel fehlen, dann reicht diese Deutung nicht aus. Es geht vielmehr um die den<br />
sprachlichen Konventionen zugr<strong>und</strong>eliegenden Regeln, von denen <strong>Searle</strong> selbst immer<br />
68 Vgl. Keil, 1993, S.89. Keil verweist darauf, daß der produktive Umgang mit Konventionen <strong>und</strong> die<br />
Möglichkeit der Regelverletzung gerade konstitutiv <strong>für</strong> menschliche Sprachkompetenz sind, daß somit<br />
Computerprogramme <strong>und</strong> viele Tiersprachen nicht als Sprachen in unserem Sinn angesehen werden können.<br />
69 Die Tendenz, sprachliche Konventionen nur als Mittel zur Realisierung von Kommunikationszwecken<br />
anzusehen, deutet schon auf die Trennung von Kommunikationsintention <strong>und</strong> Bedeutungsabsicht hin.<br />
Freilich ist dies in Speech Acts nur eine Tendenz.
wieder spricht. 70 In diesem Horizont muß das Prinzip anders formuliert werden: nicht<br />
allein lassen sich alle indirekten Sprechakte direkt, wörtlich sagen, vielmehr lassen sich<br />
alle Gedanken <strong>und</strong> Intentionen, die zunächst nicht sprachlich verfaßt sind, in Worte<br />
fassen - unser mentales „Vokabular“ läßt sich, abgesehen von kontingenten Schwierigkeiten,<br />
adäquat in eine sprachliche Form bringen. Jede Bedeutung läßt sich ausdrücken. Der<br />
Begriff der zugr<strong>und</strong>eliegenden Regel verweist auf die intentionalitätstheoretischen Unterscheidungen,<br />
in diesem Rahmen gewinnen die Begriffspaare von Sagen <strong>und</strong> Meinen,<br />
von wörtlicher Bedeutung <strong>und</strong> Sprecherintention <strong>und</strong> die Metapher von Oberfläche<br />
<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong> ihre Bestimmtheit. Die Tatsache, daß wir manchmal etwas nicht wörtlich<br />
sagen, sondern indirekt, metaphorisch, ironisch, daß wir also etwas anderes meinen, als<br />
wir sagen, wird von <strong>Searle</strong> letztlich in einen mentalistischen Rahmen gebracht - das<br />
Meinen ist eben im Geist, weil es ja nicht in der wörtlichen Bedeutung steckt. Das Prinzip<br />
der Ausdrückbarkeit ar<strong>bei</strong>tet damit mit einem mentalen Begriff des Meinens. Sollte<br />
damit zunächst nur die innersprachliche Differenz von Wörtlichkeit auf der einen <strong>und</strong> Metapher,<br />
Ironie, Indirektheit auf der anderen Seite eingefangen werden, so wird diese Unterscheidung<br />
jetzt verstanden als die Differenz von Sprachlichkeit überhaupt <strong>und</strong> geistigem<br />
Meinen. Nicht nur kann man alles Indirekte <strong>und</strong> Metaphorische wörtlich sagen,<br />
man kann alles Geistige ausdrücken, dies darüber hinaus freilich auch noch wörtlich.<br />
Diese Deutung offenbart einen Riß in <strong>Searle</strong>s Theorie der Sprechakte. Wir sahen oben,<br />
daß seine Analyse konstitutive Regeln des Sprechens aufzeigen will. Gegenstand der<br />
Analyse sind Regeln, die qua Konvention gelten. Daß die konstitutiven Regeln durch<br />
Konventionen bestimmt sind, zeigt sich in <strong>Searle</strong>s These, konstitutive Regeln seien institutionelle<br />
Tatsachen. Jetzt allerdings sieht es so aus, als seien Konventionen nur <strong>für</strong> die<br />
Realisierung der konstitutiven Regeln notwendig. Die Regeln selbst scheinen durch den<br />
Konventionen zugr<strong>und</strong>eliegende Phänomene festgelegt. Diese Festlegung muß aber<br />
institutionell geb<strong>und</strong>en sein, schließlich sollte Bedeutung kein natürliches Phänomen<br />
sein. Der Begriff der Geltung, der <strong>für</strong> die Analyse konstitutiver Regeln beansprucht<br />
wurde, verwies auf den der institutionellen Tatsache. Wie man sich nun die <strong>Institut</strong>ionalität<br />
der zugr<strong>und</strong>eliegenden Regeln denken soll, ohne auf sprachliche Konventionen<br />
rekurrieren zu können, bleibt unklar.<br />
Fassen wir die Ergebnisse der Analyse von <strong>Searle</strong>s Sprechakttheorie zusammen. Äußerungen<br />
werden als Handlungen immer mit einer bestimmten Intention vollzogen. Die<br />
<strong>für</strong> Sprechakte relevante Intention richtet sich darauf, einen illokutionären Effekt <strong>bei</strong>m<br />
Hörer zu erzielen. Diese Intention bezeichnet man am besten als Kommunikationsintention.<br />
Die Handlungen, die durch diese Intention bestimmt sind, bezeichnet <strong>Searle</strong><br />
als illokutionäre Akte. Sie werden durch konventionelle Mittel ermöglicht, indem nämlich<br />
der Sprecher die Äußerungen gemäß konstitutiven Regeln vollzieht - Regeln, die<br />
das Lexikon einer Sprachgemeinschaft bilden <strong>und</strong> die wörtliche Bedeutung konstituieren.<br />
Der Hörer kann aufgr<strong>und</strong> der Kenntnis dieser Regeln dem Sprecher eine Intention<br />
zuschreiben, wo<strong>bei</strong> die Zuschreibung qua Konvention gerechtfertigt ist bzw. gegebe-<br />
70 Erinnert sei daran, daß uns diese zugr<strong>und</strong>eliegenden Regeln <strong>bei</strong> den konstitutiven Regeln <strong>für</strong><br />
illokutionäre Kräfte ja schon begegnet waren. Hier allerdings sind, durch die Einbeziehung der<br />
metaphorischen <strong>und</strong> ironischen Sprechakte auch die propositionalen Gehalte mitbetroffen. Auch die<br />
Regeln der Referenz <strong>und</strong> der Prädikation sind demnach durch die den Sprachen zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />
Regeln bestimmt.
nenfalls durch einige Zusatzindikatoren erschlossen werden kann. Soweit die relativ<br />
eindeutigen Thesen.<br />
In der Ausführung dieses Programms zeigt sich aber immer wieder, daß die verwendeten<br />
Begriffe den Rahmen der Sprechakttheorie transzendieren. Dies betrifft, was den allgemeinen<br />
Teil der Analyse angeht, in erster Linie den der Kommunikationsintention. Was eine<br />
Absicht ist, hat <strong>Searle</strong> gar nicht versucht sprechakttheoretisch zu explizieren. Er ging<br />
eher - wie Grice - von diesem Begriff als Gr<strong>und</strong>begriff aus, um sich seine Klärung <strong>für</strong><br />
später aufzuheben, was <strong>Searle</strong> dann wieder von Grice unterscheidet. 71 Doch dieser offensichtliche<br />
Tatbestand ist nicht die einzige Hinsicht, in der die Sprechakttheorie den<br />
sprachpragmatischen Boden verläßt. <strong>Searle</strong> sprach, wie eben gesehen, immer wieder<br />
von den Konventionen zugr<strong>und</strong>eliegenden Regeln, sowohl die illokutionäre Rolle als<br />
auch den propositionalen Gehalt betreffend. Diese Regeln sind nicht allein als Konventionen<br />
im Sinne von Sprachspielen gedacht, sondern als Regeln, die sprachliche Konventionen<br />
noch f<strong>und</strong>ieren <strong>und</strong> ein Kriterium <strong>für</strong> die Angemessenheit des Ausdrucks<br />
<strong>und</strong> der Konvention bilden. Dies ist ja gerade das Modell, was sich im Prinzip der<br />
Ausdrückbarkeit ankündigt: es ist immer möglich, Konventionen zu finden oder zu erfinden,<br />
die dem, was da ausgedrückt werden soll, angemessen ist. Die konventionelle<br />
Ebene wird so überschritten, freilich ohne daß auf die Begriffe der institutionellen Tatsache,<br />
der konstitutiven Regel <strong>und</strong> des Geltens verzichtet würde.<br />
Im übrigen verwies uns im spezielleren auch die Analyse des Prädikationsaktes <strong>und</strong> der<br />
Referenz - also des propositionalen Aktes - auf eine f<strong>und</strong>amentalere Untersuchung, insofern<br />
der Wahrheitsbegriff gar nicht geklärt wurde. Die Theorie der Referenz ließ außerdem<br />
die Deutung zu, ein vom Sprechakt unabhängiges Meinen als f<strong>und</strong>amentale Form<br />
des Gegenstandbezuges anzunehmen. <strong>Searle</strong> war in dieser Hinsicht uneindeutig. Teilweise<br />
konnte es so erscheinen, als wäre die Identifikationsleistung des Sprechaktes der<br />
Referenz nur da<strong>für</strong> verantwortlich, daß Sprecher <strong>und</strong> Hörer denselben Gegenstand<br />
meinen. Dieses Meinen selbst mußte dann aber ungeklärt bleiben.<br />
Auch sahen wir, daß die Klassifikation von Sprechakten durch die Kriterien der<br />
Ausrichtung <strong>und</strong> des zum Ausdruck gebrachten psychischen Zustandes bestimmt<br />
wurde - Begriffe wie Überzeugung, Absicht, Wunsch gehörten hier zum ungeklärten<br />
Vokabular. Der Ausrichtungsbegriff scheint sogar auf ein Repräsentationsmodell der<br />
Bedeutung hinzuweisen, zumindest aber ist er von <strong>Searle</strong> innerhalb der<br />
Sprechakttheorie nicht analysiert worden. Dies ist deshalb hervorzuheben, weil hiermit<br />
die Ebene der illokutionären Akte thematisiert ist. Somit muß der Schluß gezogen<br />
werden, daß auch die begriffliche F<strong>und</strong>ierung des illokutionären Bestandteils der<br />
Sprechakte noch aussteht.<br />
Alles in allem ist daher die Motivation <strong>für</strong> <strong>Searle</strong>s These, erst die <strong>Intentionalitätstheorie</strong><br />
könne die Klärung des Bedeutungsbegriffs leisten (vgl. Int., S.viif.), nachvollziehbar.<br />
Damit bestätigt <strong>Searle</strong> implizit die Vermutung Tugendhats gegenüber einigen kommunikations-<br />
<strong>und</strong> sprechakttheoretischen Ansätzen, die er mit Bezug auf Grice so aus-<br />
71 In Intentionality macht <strong>Searle</strong> auf diesen Punkt aufmerksam: „[F]or a speaker to mean something by an<br />
utterance is for him to make that utterance with the intention of producing certain effects on his audience.<br />
Characteristically, the adherents oft this view [the adherents of Grice– L.S.] have taken the notions of<br />
intention and action, as well as other mental notions such as belief and desire, as unanalyzed“ (Int.,<br />
S.161).
drückt:<br />
„Die heute z.T. übertriebene <strong>und</strong> unreflektierte Tendenz zu einer kommunikationstheoretischen<br />
Semantik um jeden Preis kann nur zu einer Semantik führen, die die Sprache wieder nur als bloßes<br />
Kommunikationsmittel versteht <strong>und</strong> die aufklärungsbedürftigen erkenntnistheoretischen<br />
Strukturen, wie schon in der traditionellen Philosophie, als vorsprachliche voraussetzt; sie werden<br />
dann also gerade nicht aus der Gesprächssituation verstanden. [...] So haben wir gesehen, daß<br />
eine bloß kommunikationstheoretische Auffassung assertorischer Sätze wie die von Grice das<br />
Urteil bzw. Meinen <strong>und</strong> damit alle logischen Strukturen der Semantik voraussetzen muß <strong>und</strong> also<br />
gerade nicht aus dem Gespräch verständlich machen kann“ (Tugendhat, 1976, S.392f).<br />
Was Tugendhat freilich als Manko der kommunikationstheoretischen Ansätze ansieht,<br />
ist <strong>für</strong> <strong>Searle</strong> gar kein Diskussionsgegenstand. Denn allem Anschein nach erhebt <strong>Searle</strong><br />
gar nicht den Anspruch, die logischen Strukturen der Semantik innerhalb des sprechakttheoretischen<br />
Rahmens aufzuklären. Interessanterweise scheint dieser Bef<strong>und</strong> nicht nur<br />
<strong>für</strong> die propositionale Struktur der Sätze, sondern auch die illokutionäre Seite der<br />
Sprechakte zu gelten. Die Klärung muß dann eine <strong>Intentionalitätstheorie</strong> leisten, die,<br />
genau wie Tugendhat es vermutet hatte, ohne Rückgriff auf Sprache funktionieren soll.<br />
Aber kann <strong>Searle</strong> die Probleme der traditionellen Semantik vermeiden? Fällt er tatsächlich<br />
in die sprach- <strong>und</strong> handlungsvergessene Phase der Philosophiegeschichte zurück,<br />
wie es Habermas <strong>und</strong> Apel behaupten?<br />
Es ist anzunehmen, daß ein Theoretiker, der in der analytischen Philosophie zuhause<br />
ist, nicht einfach alles vergessen wird, was die Tradition der analytischen Philosophie<br />
erst begründet hat. Es ist daher interessant zu sehen, wie <strong>Searle</strong> versucht, die traditionellen<br />
Probleme zu umgehen, <strong>und</strong> das mit einer Theoriekonstruktion, die große Ähnlichkeit<br />
mit den traditionellen Semantiktheorien hat.
3. Intentionalität <strong>und</strong> Bedeutung<br />
3.1. Repräsentation als Erfüllung<br />
Mit dem Buch Intentionality betritt <strong>Searle</strong> ein Terrain, das in der europäischen Philosophie<br />
besonders durch Brentano, Meinong <strong>und</strong> v.a. Husserl erschlossen wurde <strong>und</strong> das<br />
unter dem Titel »Phänomenologie« in die Philosophiegeschichtsschreibung eingegangen<br />
ist. <strong>Searle</strong> bezieht sich allerdings nicht oder sehr selten ausdrücklich auf die genannten<br />
Autoren. 72 Insgesamt ist zu bemerken, daß der Diskurs der analytischen Philosophie<br />
immer häufiger durch den Bezug auf die frühe phänomenologische Bewegung,<br />
besonders auf Husserl befruchtet wird. Neben den Ähnlichkeiten zu den Phänomenologen<br />
wird uns <strong>bei</strong> der Darstellung der <strong>Intentionalitätstheorie</strong> auch auffallen, daß begriffliche<br />
Unterscheidungen der Sprechakttheorie <strong>Searle</strong>s in leicht veränderter Gestalt<br />
wiederkehren. Darauf wird zu achten sein, v.a. im Hinblick auf <strong>Searle</strong>s These, die <strong>Intentionalitätstheorie</strong><br />
f<strong>und</strong>iere („provide[s] a fo<strong>und</strong>ation“, Int., S.vii) die Sprechakttheorie.<br />
<strong>Searle</strong>s Beschreibungen von intentionalen Zuständen <strong>und</strong> Ereignissen (states and events)<br />
73 , die hier kurz wiedergegeben werden sollen, haben große Ähnlichkeit zu Husserls<br />
Konzeption. Zunächst ist natürlich auffällig, daß <strong>bei</strong>de dieselben Gegenstände<br />
untersuchen, nämlich mentale Ereignisse in der Erste-Person-Perspektive, also das, was<br />
in vorphänomenologischer Zeit »Bewußtseinsvorstellung« genannt wurde. Freilich gehören<br />
zu den Untersuchungsgegenständen nun auch solche Entitäten wie Absichten,<br />
Wünsche, Gefühle. Allerdings kennt Husserl m.W. in seiner Ontologie nur Ereignisse -<br />
innerhalb der phänomenologischen Reduktion sind dies Erlebnisse. <strong>Searle</strong> dagegen berücksichtigt<br />
auch die Klasse der intentionalen Zustände. Wie Husserl ist auch <strong>Searle</strong> der<br />
Ansicht, daß nicht alle mentalen Ereignisse (<strong>und</strong> Zustände) intentional sind, 74 daß Intentionalität<br />
aber das entscheidende Merkmal des Geistes ist, insofern sie <strong>für</strong> den Weltbezug<br />
der Ereignisse <strong>und</strong> Zustände verantwortlich ist:<br />
„Intentionality is that property of many mental states and events by which they are directed at or<br />
about or of objects and states of affair in the world. [...] [O]n my account only some, not all,<br />
mental states and events have Intentionality“ (Int., S.1).<br />
<strong>Searle</strong> gebraucht dieselbe Metaphorik in seinen Beschreibungen der Intentionalität<br />
wie Husserl; er spricht von der Gerichtetheit (directedness, aboutness) intentionaler<br />
Zustände <strong>und</strong> Ereignisse. Auch distanziert sich <strong>Searle</strong> davon, intentionale Ereignisse<br />
mit absichtlichen Aktivitäten des Ich gleichzusetzen. Absichten sind zwar intentional,<br />
aber nicht alle intentionalen Zustände sind deshalb Absichten oder auch nur mit Absichten<br />
verb<strong>und</strong>en. Wenn <strong>Searle</strong> aus diesem Gr<strong>und</strong> die Rede von geistigen Akten ablehnt,<br />
so ist dies kein sachlicher Unterschied zu Husserl. Dieser hatte ausdrücklich auf<br />
die Differenz von Intention <strong>und</strong> Intentionalität sowie von Akt <strong>und</strong> Aktivität auf-<br />
72 Das ist <strong>Searle</strong> öfters vorgeworfen wurden. Doch gut amerikanisch kümmert sich <strong>Searle</strong> wenig um diese<br />
Diskussion, argumentiert in der Sache <strong>und</strong> überläßt die geschichtlichen Belange nach dem Prinzip der<br />
Ar<strong>bei</strong>tsteilung den Historikern - ein Zug, durch den <strong>Searle</strong> m.E. nur gewinnt.<br />
73 Die deutschen Begriffe entnehme ich der Ausgabe: <strong>Searle</strong>, <strong>John</strong> R.: Intentionalität. Eine Abhandlung<br />
zur Philosophie des Geistes. Übs. v. Harvey P. Gavagai. Ffm. 2 1996.<br />
74 Bei Husserl heißen die intentionalen Erlebnisse „Akte“. Vgl. LU, V, §§ 10ff.
merksam gemacht (Vgl. LU, V, §13).<br />
<strong>Searle</strong> unterscheidet zwischen intentionalem Gegenstand (intentional object) Ausrichtung<br />
(direction of fit) bzw. Modus (psychological mode) <strong>und</strong> intentionalem Gehalt (representive<br />
or intentional content) eines Zustandes oder Ereignisses. Der intentionale Gegenstand<br />
ist Thema eines intentionalen Zustandes, er ist das, wovon der Zustand handelt.<br />
Da<strong>bei</strong> ist zu beachten, daß daraus, daß der intentionale Zustand von einem Gegenstand<br />
handelt, noch nicht folgt, daß dieser Gegenstand existiert. Ein intentionaler Zustand<br />
kann also etwas thematisieren, was nicht existiert. Und wenn dieser Gegenstand, über<br />
den bspw. geurteilt wird, nicht existiert, heißt dies auch nicht, daß statt dessen eine „intermediate<br />
Meinongian entity“ (Int., S.17) existiert, auf die sich das besagte Urteil bezieht.<br />
Genau wie Husserl lehnt <strong>Searle</strong> es ab, Intentionalität als reale Beziehung eines<br />
Ichs auf immanente Objekte aufzufassen. Intentionalität ist eine Eigenschaft von geistigen<br />
<strong>und</strong> sprachlichen Zuständen <strong>und</strong> Ereignissen, keine Beziehung zwischen zwei existenten<br />
Relata:<br />
„Notice that Intentionality cannot be an ordinary relation like sitting on top of something or hitting<br />
it with one’s fist because for a large number of Intentional states I can be in the Intentional<br />
State without the object or state of affair that the Intentional state is ‚directed at‘ even existing“<br />
(Int., S.4).<br />
<strong>Searle</strong> kommt so implizit zu demselben Ergebnis wie Husserl qua phänomenologischer<br />
Methode. Die Existenz von intentionalen Gegenständen ist <strong>für</strong> die Analyse der Intentionalität<br />
belanglos. Es betrifft die Beschreibung intentionaler Zustände nicht, ob ein<br />
thematisierter Gegenstand existiert oder ein Sachverhalt besteht, denn die Gegenstände<br />
der Beschreibung, also die Zustände oder Ereignisse, bleiben in allen Fällen dieselben.<br />
Durch die Sprechakttheorie erschloß sich <strong>Searle</strong>, wie oben beschrieben, die Unterscheidung<br />
von propositionalem Gehalt <strong>und</strong> illokutionärer Rolle. Dies überträgt er nun<br />
ebenfalls auf intentionale Zustände <strong>und</strong> Ereignisse. Demgemäß sind psychischer Modus<br />
<strong>und</strong> Repräsentationsgehalt auseinanderzuhalten. Der illokutionären Rolle entspricht<br />
sozusagen auf Geistebene der psychische Modus, dem propositionalen Gehalt der Repräsentationsgehalt.<br />
<strong>Searle</strong> kennt geistige Gehalte, die propositional strukturiert sind <strong>und</strong><br />
solche, die es nicht sind. Der Modus des Liebens verlangt bspw. keine vollständige<br />
Proposition als Repräsentationsgehalt. Wenn man <strong>Searle</strong> fragt, worin ein Kriterium <strong>für</strong><br />
die Propositionalität eines Zustandes besteht, dann muß <strong>Searle</strong> auf die Sprache zurückgreifen.<br />
75 Intentionale Zustände sind dann propositional strukturiert, wenn „those<br />
content must always be expressible as a whole proposititon“ (Int., S.6). Das kann doch<br />
wohl nur heißen, daß sich solche Gehalte im ganzen Satz ausdrücken lassen. Dann ist<br />
es allerdings schwierig, dieses Kriterium auf nicht-sprachliche intentionale Zustände<br />
anzuwenden. Das funktionierte nur, wenn man zugäbe, daß jeder Zustand adäquat ausdrückbar<br />
ist. Das Prinzip der Ausdrückbarkeit müßte also auch hier gelten.<br />
Der psychische Modus legt die Ausrichtung des intentionalen Zustandes fest. 76 Genauer<br />
gesprochen, besteht der Modus eines Zustandes im wesentlichen darin, eine bestimmte<br />
75<br />
Jedenfalls sehe ich <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> keinen anderen Weg vorgezeichnet, der die Propositionalität aus dem<br />
Umkreis der Sprache herausführen könnte.<br />
76<br />
Vgl. zum Begriff der Ausrichtung <strong>und</strong> zur Beziehung zur Sprechakttheorie: Int., S.7ff.
Ausrichtung zu haben. Dem Begriff der Ausrichtung waren wir schon im Aufsatz über<br />
die Taxonomie illokutionärer Akte begegnet, <strong>Searle</strong> überführt ihn nun in den intentionalitätstheoretischen<br />
Rahmen. Es gehört so auch zum Wesen intentionaler Zustände,<br />
daß sie sich in bestimmter Weise auf Gegenstände beziehen. Dieses Beziehen kann einmal<br />
so angelegt sein, daß der Gegenstand als einer angesehen <strong>und</strong> thematisiert wird, der<br />
unabhängig vom Zustand selbst so existiert, wie er existiert. Diese Beziehung nennt<br />
<strong>Searle</strong> Geist-auf-Welt-Ausrichtung. Überzeugungen sind Beispiele <strong>für</strong> Zustände mit<br />
Geist-auf-Welt-Ausrichtung. Sie finden ihr Äquivalent auf sprachlichem Gebiet, wie<br />
nicht anders zu erwarten, in assertiven Sprechakten. Andere Arten der Beziehung auf<br />
Gegenstände sind so angelegt, daß der Gegenstand als in irgendeiner Weise vom intentionalen<br />
Zustand abhängig gemeint wird. Paradigmatisch hier<strong>für</strong> sind Absichten. Das<br />
Beabsichtigte steht in der Relation der Verursachung zur Absicht. Hier liegt eine Weltauf-Geist-Ausrichtung<br />
vor. Man sieht, daß die Verursachungsrelation - wie im Kapitel<br />
über die Sprechakttheorie bereits angedeutet - entscheidend <strong>für</strong> die Ausrichtungsproblematik<br />
ist. Hier<strong>bei</strong> geht es freilich um intentionale Verursachung.<br />
<strong>Searle</strong>s Kausalitätstheorie kann hier nicht ausführlich thematisiert werden. Nur soviel<br />
sei angemerkt: <strong>Searle</strong> meint, daß die primäre Kausalitätsbeziehung eine reale Relation<br />
darstellt, zu der wir im Erleben Zugang haben. Diese Beziehung nennt <strong>Searle</strong> intentionale<br />
Verursachung (Intentional causation). In bestimmten geistigen Ereignissen erleben<br />
(experience) wir die Verursachungsrelation direkt, z.B. in Wahrnehmungen. Kausalität<br />
wird also nicht als Erklärung <strong>für</strong> bestimmte Regularitäten postuliert, sondern als einzelnes<br />
Vorkommnis von intentionaler Verursachung erlebt. Erlebt wird also die Relation<br />
selbst, nicht nur die verknüpften Ereignisse. Das Humesche Kausalitätsverständnis, 77<br />
das wesentlich an die Vorstellung der Regelmäßigkeit zeitlicher Abfolgen von Ereignissen<br />
geknüpft war, wird daher von <strong>Searle</strong> abgelehnt, schließlich bietet sich ja ein direkter<br />
Weg zum Kausalnexus im Erleben dar. Der gewonnene Verursachungsbegriff ermöglicht<br />
es dann auch, kausale Regularitäten zwischen nicht-intentionalen Ereignissen in<br />
der Welt zu entdecken. Das geschieht dadurch, daß derartige Kausalzusammenhänge in<br />
Handlungsabsichten benutzt werden <strong>und</strong> somit selbst Teil des Verursachungserlebnisses<br />
sind. Daß die Bewegung der Billardkugel A die Bewegung der Billardkugel B verursacht,<br />
entdeckt jemand dadurch, daß er ein paarmal probiert (Regularität), B zu bewegen<br />
<strong>und</strong> das mit Hilfe von A. Wenn seine Absicht dann regelmäßig glückt, ist ein Kausalnexus<br />
zwischen A <strong>und</strong> B entdeckt.<br />
Intentionale Ereignisse wie Wahrnehmungen <strong>und</strong> Absichten zeichnen sich nun dadurch<br />
aus, daß sie ihre Gegenstände (das Wahrnehmungsobjekt, die physische Handlung)<br />
als verursacht oder verursachend erleben. Diese erlebte Relation der Verursachung<br />
ist da<strong>bei</strong> selbstbezüglich: das Wahrnehmungsereignis wird als verursacht durch<br />
das Wahrnehmungsobjekt erlebt; die Absicht wird als verursachend <strong>für</strong> die Handlung<br />
erlebt. Interessant hier<strong>bei</strong> ist die Tatsache, daß nicht mehr von Zuständen, sondern von<br />
Ereignissen gesprochen wird. Intentionale Verursachung gäbe es dann wohl nur <strong>bei</strong><br />
Erlebnissen, nicht <strong>bei</strong> Zuständen, wie Überzeugungen. Und selbst wenn man sich ein<br />
77 Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, III.-VII. Abschnitt. Vgl. zur wissenschaftstheoretischen<br />
Diskussion des Kausalitätsbegriffes die kenntnisreiche <strong>und</strong> klare Darstellung von<br />
von Wright (von Wright, 1971, Erklären <strong>und</strong> Verstehen), die gerade auch <strong>für</strong> den Problemkreis dieser<br />
Untersuchung von Interesse ist, da sie im Umfeld handlungstheoretischer Probleme steht.
Überzeugungserlebnis denkt (Akt des Urteilens), dann ist es immer noch fraglich, ob<br />
man hier eine Verursachungsrelation erlebt. Intentionale Verursachung gehört eben<br />
nicht zum Gehalt von Überzeugungen. Die Ausrichtungsproblematik ist daher nicht<br />
auf die Verursachungsthematik reduzierbar, hängt aber meist eng mit ihr zusammen.<br />
Übrigens muß <strong>Searle</strong> aufgr<strong>und</strong> dieser Konstruktion auch die Behauptung aufstellen,<br />
daß die Relata der Kausalrelation nicht logisch unabhängig voneinander sind. (Diese<br />
Unabhängigkeit war ein Kriterium <strong>für</strong> die Unterscheidung von Ursache-Wirkungs-<br />
Relationen <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>-Folge-Beziehungen.) Ein Wahrnehmungserlebnis ist durch einen<br />
bestimmten intentionalen Gehalt charakterisiert. Im Gehalt aber kommen als konstitutive<br />
Bestandteile die kausale Verknüpfung <strong>und</strong> das Wahrnehmungsobjekt selbst<br />
vor. Das Wahrnehmungserlebnis ist also gar nicht ohne Rekurs auf die kausalen Verhältnisse<br />
dieses Erlebnisses identifizierbar. Insofern kann es eine logische Unabhängigkeit<br />
der in der Kausalrelation verknüpften Ereignisse nicht geben.<br />
Kommen wir nun zu dem, was <strong>Searle</strong> den intentionalen Gehalt oder den Repräsentationsgehalt<br />
eines Zustandes oder Erlebnisses nennt. Dieses Konzept war uns unter dem Titel<br />
»Propositionaler Gehalt« in der Sprechakttheorie in etwas anderer Form schon begegnet.<br />
Zunächst macht <strong>Searle</strong> klar, daß er seinen Repräsentationsbegriff unterschieden<br />
wissen will von einem Abbildungsverständnis desselben. Er grenzt sich explizit von<br />
einigen traditionsbildenden Modellen von Repräsentation ab. Repräsentation heißt <strong>bei</strong><br />
<strong>Searle</strong> nicht Abbildung irgendeiner Tatsache in der Welt. Wenn intentionale Zustände<br />
sich auf etwas in der Welt beziehen, so heißt dies nicht, daß jemandem irgend etwas<br />
präsent ist, daß aufgr<strong>und</strong> von Ähnlichkeit die Beziehung zur Welt herstellt:<br />
„There is probably no more abused a term in the history of philosophy than ‚representation‘ and<br />
my use of this term differs both from ist traditional philosophy and from its use in contemporary<br />
cognitive psychology and artificial intelligence. When I say, for example, that a belief is a representation<br />
I am most emphatically not saying that a belief is a kind of picture, nor am I endorsing<br />
the Tractatus account of meaning, nor am I saying that a belief re-presents something that has<br />
been presented before [...]“ (Int., S.11f.)<br />
Der zentrale Begriff im <strong>Searle</strong>schen Verständnis von Intentionalität <strong>und</strong> Repräsentation<br />
ist der Begriff der Erfüllungsbedingung (condition of satisfaction). Mit diesem Begriff<br />
sollen letztlich die Untiefen der bisherigen Modelle von Repräsentation umschifft werden.<br />
Intentionale Zustände sind dadurch ausgezeichnet, daß sie sich erfüllen können<br />
oder auch nicht. Ein intentionaler Zustand formuliert demnach Bedingungen, die bestimmen,<br />
was als Erfüllung eines intentionalen Zustandes gelten kann. Bedingung wird<br />
hier einmal als Forderung (requirement) verstanden, durch die gewissermaßen festgelegt<br />
ist, wovon die Rede bzw. was Thema eines Zustandes ist. Zum anderen kann man<br />
unter Erfüllungsbedingung auch das verstehen, was gefordert ist, d.h. die Sache (thing<br />
required), die da<strong>für</strong> verantwortlich ist, ob die Forderung erfüllt ist oder nicht (Int.,<br />
S.13). Bei Überzeugungen spräche man wohl davon, daß die erste Seite die Bedeutung,<br />
die zweite die Wahrheit einer Überzeugung betrifft. Demnach legen die Erfüllungsbedingungen<br />
einer Überzeugung fest, unter welchen Umständen eine Überzeugung<br />
wahr oder falsch ist. Die Tatsache, von deren Bestehen jemand überzeugt ist, ist<br />
dann das, was gefordert ist. Auch die Tatsache nennt <strong>Searle</strong> dann Erfüllungsbedingung,<br />
im Sinne der geforderten Sache. Um Konfusionen zu vermeiden, spreche ich im ersten
Sinn von Erfüllungsbedingungen, also im Sinn von Forderung, nicht von der geforderten<br />
Sache.<br />
Man kann in diesem Zusammenhang nicht behaupten, daß <strong>Searle</strong> eine von unseren<br />
Überzeugungen gänzlich unabhängige Welt postuliert, der unsere Überzeugungen dann<br />
anzugleichen wären. Vielmehr scheint <strong>Searle</strong> von einem quasi-transzendentalen Modell<br />
der Repräsentation auszugehen. Intentionalität ist eine Weise der - freilich vorsprachlichen<br />
- Welterschließung. Die intentionalen Zustände legen ja fest, was als Erfüllung gilt<br />
<strong>und</strong> was nicht. Und es ist gerade Teil des intentionalen Zustandes der Überzeugung,<br />
daß sie das Bestehen eines Sachverhaltes als unabhängig von der Existenz der Überzeugung<br />
thematisiert. Insofern legt die spezifische Intentionalitätsform der Überzeugung<br />
Zustände in der Welt erst als unabhängig von den intentionalen Zuständen aus.<br />
Schnädelbach bemerkt zutreffend, daß propositionale Einstellungen <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> „kein<br />
Abbilden, sondern eher das Entwerfen eines ‚state of affair‘“ bedeuten (Schnädelbach,<br />
1997, S. 233).<br />
Die Erfüllungsbedingungen sind „intrinsic capacities“ (Int., S.vii, S.21f.) der intentionalen<br />
Zuständen. Das soll vor allem heißen, daß diese Eigenschaft den Zuständen nicht<br />
zukommt, weil mit diesen Zuständen etwas getan wird. Dann hätte man ein Zirkelproblem<br />
vorliegen, 78 da dieses Tun ja wieder eine Absicht erforderte, die selbst ein intentionaler<br />
Zustand ist <strong>und</strong> somit keine explikative Kraft haben darf. Ein intentionaler<br />
Zustand wird nicht benutzt, um zu repräsentieren, er repräsentiert einfach - so <strong>Searle</strong>s<br />
lapidare Bemerkung (Int., S.vii).<br />
<strong>Searle</strong> interessiert sich nun im Rahmen seiner <strong>Intentionalitätstheorie</strong> nicht da<strong>für</strong>, was<br />
Kriterien der tatsächlichen Erfüllung eines intentionalen Gehaltes sind, sondern er interessiert<br />
sich <strong>für</strong> die Forderung, den Anspruch, der sich aus dem intentionalen Gehalt<br />
selbst ergibt, insofern er eben Erfüllungsbedingungen bestimmt. Genau wie Husserl<br />
kann <strong>Searle</strong> daher immer sagen, daß seine Analysen unabhängig davon gelten, ob die<br />
Überzeugung wahr ist, ob der Wunsch befriedigt bzw. die Absicht realisiert ist, ob das<br />
wahrgenommene Objekt eine Halluzination ist usw. Vielmehr wird ja in intentionaler<br />
Einstellung gerade nur beschrieben, was der Fall sein müßte, wenn eine Überzeugung<br />
wahr wäre. Ob dies dann tatsächlich der Fall ist, tut nichts zur Sache. Es kommt darauf<br />
an, was die Überzeugung zur Überzeugung macht, <strong>und</strong> das ist klarerweise nicht ihre<br />
Wahrheit. Denn schließlich gibt es ja auch falsche Überzeugungen. Das Beanspruchen<br />
von Wahrheit ist Kennzeichen von Überzeugungen als solcher.<br />
<strong>Searle</strong> versucht nun zunächst die unterschiedlichen psychischen Modi der Intentionalität<br />
dadurch zu charakterisieren, daß er die differenten Formen der Erfüllungsbedingungen<br />
aufzeigt. Unterschiedliche Modi haben Erfolg, wenn unterschiedliche Ansprüche<br />
befriedigt sind. Die Erfüllungsbedingungen einer Absicht haben eine Welt-auf-Geist-<br />
Ausrichtung, d.h. die Absicht ist erfüllt, wenn die Welt sich so ändert, wie es beabsichtigt<br />
ist. Und zu den Erfüllungsbedingungen der Absicht gehört es auch, daß die Absicht<br />
selbst in Verursachungsrelation zur Veränderung in der Welt gehört. Dergleichen Analysen<br />
führt <strong>Searle</strong> auch noch <strong>für</strong> Wünsche, Wahrnehmungen <strong>und</strong> Überzeugungen<br />
78 Husserl hat dieses Problem, da <strong>bei</strong> ihm die reellen Aktinhalte erst dadurch repräsentieren, daß sie eine<br />
objektivierende Auffassung erfahren. Diese objektivierende Auffassung bleibt <strong>bei</strong> Husserl dann letztlich<br />
auch ungeklärt. Vgl. LU, V, §§ 16, 17, Beilage zu den §§ 11, 20.
durch. Geschult ist diese Analyse an der Klassifikation von Sprechakten. Wir sahen,<br />
daß auch diese nach dem Kriterium der Ausrichtung eingeteilt wurden. Freilich reicht<br />
die Ausrichtung nur hin um drei Klassen von Modi zu unterscheiden (Null-<br />
Ausrichtung, Geist-auf-Welt-, Welt-auf-Geist-Ausrichtung), Wahrnehmungen bspw.<br />
könnten allein durch dieses Kriterium nicht von Überzeugungen, Absichten nicht von<br />
Wünschen unterschieden werden.<br />
Diese <strong>Searle</strong>schen Charakterisierungen der Erfüllungsbedingungen von Wünschen,<br />
Wahrnehmungen, Überzeugungen <strong>und</strong> Absichten betreffen nur die Arten der psychischen<br />
Modi. Der Repräsentationsgehalt dagegen soll ja dem entsprechen, was <strong>Searle</strong> in der<br />
Sprechakttheorie den propositionalen Gehalt genannt hatte, welcher aus Referenz <strong>und</strong><br />
Prädikation besteht. Diverse psychische Modi können nun aber dieselbe gegenständliche<br />
Richtung haben - dieselbe Materie, um mit Husserl zu sprechen. Was <strong>Searle</strong> nun<br />
hierzu im einzelnen sagt, ist nicht mehr, als er in der Sprechakttheorie schon ausgeführt<br />
hatte. Die Theorie des intentionalen Bezugs deckt sich weitestgehend mit der der Theorie<br />
der referentiellen Ausdrücke, erweitert nur durch eine freilich notwendige Theorie<br />
ostensiven Bezugs, wodurch auch die indexikalischen Ausdrücke in die Theorie eingebaut<br />
werden können. Die eigentliche Neuerung besteht vor allem darin, daß statt vom<br />
deskriptiven vom intentionalen Gehalt gesprochen wird. Dadurch können Wahrnehmungserlebnisse<br />
in die Bündeltheorie integriert werden. Es sind ja jetzt nicht mehr Beschreibungen,<br />
die die Referenz frestlegen, sondern mentale Zustände. Insofern ist auch<br />
eine Identifikation bloß durch Rekurs auf Wahrnehmung möglich, einfach dadurch,<br />
daß ein Wahrnehmungserlebnis sozusagen wiedererkannt wird. Dies könnte sich etwa<br />
in der Äußerung „Dies Ding habe ich gestern schon gesehen“ ausdrücken. Dieser Fall<br />
stellt ein Äquivalent zum Fall der Identifikation durch bloße Ostension in Speech Acts<br />
dar.<br />
Hinzuweisen ist v.a. darauf, daß der Status der Prädikate, der im Rahmen der Sprechakttheorie<br />
keine Klärung erfuhr, innerhalb der <strong>Intentionalitätstheorie</strong> übergangen<br />
wird. Der Repräsentationsgehalt, wenn er denn propositional strukturiert ist, bedarf<br />
anscheinend keiner Erläuterung. Dies wäre nur akzeptabel, wenn <strong>Searle</strong> eine brauchbare<br />
Theorie der Prädikation hätte <strong>und</strong> nicht behauptete, daß die <strong>Intentionalitätstheorie</strong><br />
unabhängig von der Sprechakttheorie begründbar ist. <strong>Searle</strong> hat aber keine brauchbare<br />
Theorie der Prädikation, wir sahen uns oben im Gegenteil mit Tugendhat auf die<br />
<strong>Intentionalitätstheorie</strong> verwiesen, um die Ebene des Propositionalen klären zu<br />
können. Auch hatte sich gezeigt, daß der Begriff der Wahrheit eine Klärungsbasis<br />
hätte abgeben können, daß dieser Begriff aber in der Sprechakttheorie nicht erläutert<br />
wurde. Für die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> trifft aber dasselbe zu, Wahrheit bleibt ein ungeklärter<br />
Begriff. Man könnte versuchen, den Begriff der Erfüllung fruchtbar <strong>für</strong> dieses<br />
Problem zu machen. <strong>Searle</strong> allerdings sagt hierzu nichts, weil er einfach von propositional<br />
strukturierten Gehalten ausgeht.<br />
Neue Akzente werden im Rahmen der <strong>Intentionalitätstheorie</strong> durch die Themen<br />
»Hintergr<strong>und</strong>« (Backgro<strong>und</strong>) <strong>und</strong> »intentionales Netzwerk« (Intentional holistic Network)<br />
gesetzt. <strong>Searle</strong> behauptet, daß die intentionalen Gehalte nur im Zusammenspiel<br />
mit anderen intentionalen Gehalten <strong>und</strong> vor einem nicht-intentionalen Hintergr<strong>und</strong><br />
feststehen, also ihre Identität gewinnen.
„Intentional states with a direction of fit have contents which determine their conditions of satisfaction.<br />
But they do not function in an independent or atomisitc fashion, for each Intentional<br />
state has ist content and determines its conditions of satisfaction only in relation to numerous<br />
other Intentional states“ (Int., S.141).<br />
„Intentional states only have the conditions of satisfaction that they do, and thus only are the<br />
states they are, against a Backgro<strong>und</strong> of abilities that are not themselves Intentional states“<br />
(Int., S.143).<br />
Hintergr<strong>und</strong> meint zum einen nicht-repräsentationale Fähigkeiten <strong>und</strong> Techniken, die<br />
entweder durch unsere biologische Konstitution quasi von selbst erschlossen sind<br />
oder die im Kreise einer lokalen Gemeinschaft <strong>und</strong> Kultur Anwendung finden. Zum<br />
anderen besteht der Hintergr<strong>und</strong> aus einer Art praktischem Wissen darüber, wie die<br />
Dinge sich verhalten. Dieses Wissen soll aber nicht repräsentational sein, es handelt<br />
sich da<strong>bei</strong> also nicht um Überzeugungen. Beispiele <strong>für</strong> Hintergr<strong>und</strong>phänomene sind<br />
das Erkennen von Härtegraden von Dingen, die „Annahme“, daß der Boden vor mir<br />
<strong>bei</strong>m nächsten Schritt nicht wegbricht 79 oder das Fahren eines Autos. Ohne die Technik<br />
des Autofahrens würden bestimmte intentionale Zustände sozusagen in der Luft<br />
hängen - etwa der Wunsch, in den zweiten Gang zu schalten.<br />
Man kann <strong>Searle</strong>s Hintergr<strong>und</strong> mit etwas interpretatorischem Mut in die Nähe dessen<br />
rücken, was im Anschluß an Wittgenstein »Lebensform« genannt wird. Freilich umfaßt<br />
<strong>Searle</strong>s Konzept auch biologische Faktoren, doch diese geben ja auch der Lebensform<br />
Bestimmtheit. Diese Deutung läßt sich an <strong>Searle</strong>s These verifizieren, daß<br />
wörtliche <strong>und</strong> metaphorische Bedeutung erst vor dem Hintergr<strong>und</strong> einer sozialen<br />
Welt bestimmt sind. Es muß bestimmte <strong>Institut</strong>ionen geben (<strong>Searle</strong>s Standard<strong>bei</strong>spiele<br />
sind Cocktailparties <strong>und</strong> das Bestellen im Restaurant), damit Äußerungen die Erfüllungsbedingungen<br />
haben, die sie haben. Letztlich wird der pragmatische Aspekt der<br />
Sprechakttheorie in den Hintergr<strong>und</strong> der Intentionalität hineinverlegt. Über den Begriff<br />
des Hintergr<strong>und</strong>es gewinnen aber nicht nur Sprache, sondern auch die intentionalen<br />
Zustände soziale Erdung. Die intentionalen Zustände sind ja auch nur vor dem<br />
Hintergr<strong>und</strong> von Kulturtechniken die Zustände die Zustände, die sie sind.<br />
Damit wird eine Brücke geschlagen zu einer Theorie der institutionellen Tatsachen,<br />
die <strong>Searle</strong> heute voranbringt. Hier sind auch bedeutungstheoretische Fragen angesprochen,<br />
denn schließlich sollte Sprechen ja ein Handeln gemäß konstitutiven Regeln<br />
sein, konstitutive Regeln sind aber die Bedingung <strong>für</strong> institutionelle Tatsachen.<br />
In Intentionality wird dies kaum behandelt, ich werde aber im Rahmen der Kritik von<br />
<strong>Searle</strong>s Bedeutungstheorie diesen Punkt gesondert behandeln.<br />
79 Letztlich will <strong>Searle</strong> so das Außenweltproblem in den Griff bekommen. Ob die Außenwelt existiert<br />
oder nicht, ist keine Frage, die die Erfüllung eines intentionalen Zustandes beträfe, also eine Überzeugung.<br />
Vielmehr ist die Existenz der Außenwelt eine Hintergr<strong>und</strong>annahme (wo<strong>bei</strong> „Annahme“ hier nicht<br />
repräsentational zu verstehen ist), die Bedingung da<strong>für</strong> ist, daß wir die meisten intentionalen Zustände<br />
überhaupt erst haben können. Der Realismus ist demzufolde keine Hypothese, sondern eine Bedingung<br />
da<strong>für</strong>, daß man Intentionalität überhaupt haben kann. Vgl. Int., S.158f.; <strong>Searle</strong>, 1995, S.187ff.
4.2. Die Bedeutungstheorie von Intentionality<br />
<strong>Searle</strong> knüpft an Speech Acts in seinem Intentionalitätsbuch insofern an, als er Bedeutung<br />
in handlungstheoretischem Vokabular analysiert bzw. zu analysieren den Anschein<br />
erweckt. Das zeigt sich v.a. darin, daß der Begriff der Absicht, der ja im Rahmen der<br />
Sprechakttheorie f<strong>und</strong>amental war <strong>und</strong> ungeklärt blieb, im Mittelpunkt des Interesses<br />
steht.<br />
Am Anfang des Kapitels über Bedeutung im Buch Intentionality ist <strong>Searle</strong>s Auffassung<br />
klar dargestellt:<br />
„From an evolutionary point of view, just as there is an order of priority in the development of<br />
other biological processes, so there is an order of priority in the development of Intentional phenomena.<br />
In this development, language and meaning, at least in the sense in wich humans have<br />
language and meaning, comes very late. [...] A natural consequence of the biolocical approach<br />
advocated in this book is to regard meaning, in the sense in which speakers mean something by<br />
their utterances, as a special development of more primitive forms of Intentionality. [...] If, for<br />
example, we can define meaning in terms of intentions we will have defined a linguistic notion in<br />
terms of a nonlinguistic notion even though many, perhaps most, human intentions are in fact<br />
linguistically realized“ (Int., S.160).<br />
Die naturalistische <strong>und</strong> die evolutionstheoretische These kann uns hier nicht näher beschäftigen,<br />
80 die Analyse des Bedeutungsbegriffs durch den der - nicht-linguistisch verstandenen<br />
- Absicht dagegen steht im Zentrum unseres Problems. Wie sieht <strong>Searle</strong>s<br />
Analyse aus?<br />
Zunächst ist zu unterscheiden zwischen dem Sprechakt <strong>und</strong> dem im Sprechakt zum<br />
Ausdruck gebrachten intentionalen Zustand. Der Zustand ist, wie aus dem Zitat folgt,<br />
logisch unabhängig von Sprache. Dem intentionalen Zustand kommen Erfüllungsbedingungen<br />
intrinsisch zu, die Äußerungen dagegen haben nicht-intrinsische Erfüllungsbedingungen.<br />
Sie erhalten Erfüllungsbedingungen, indem sie als physische Ereignisse<br />
dazu benutzt werden, Erfüllungsbedingungen auszudrücken. Äußerungen sind also Mittel<br />
der Repräsentation, erst durch ihre Verwendung als Mittel der Repräsentation erhalten<br />
sie Erfüllungsbedingungen. Daher spricht <strong>Searle</strong> <strong>bei</strong> Sprechakten von abgeleiteter Intentionalität.<br />
Die paradigmatische Textpassage in ganzer Länge:<br />
„Since sentences – the so<strong>und</strong>s that come out of one’s mouth or the marks that one makes on paper<br />
– are, considered in one way, just objects in the world like any other objects, their capacity to<br />
represent is not intrinsic but derived from the Intentionality of the mind. The Intentionality of<br />
mental states, on the other hand, is not derived from some more prior forms of Intentionality but<br />
is intrinsic to the states themselves. An agent uses a sentence to make a statement or ask a question,<br />
but he does not in that way use his beliefs and desieres, he simply has them“ (Int., S.vii,<br />
Hervorhebungen im Original).<br />
Äußerungen bzw. Geräuschansammlungen werden nun näherhin dadurch zu bedeu-<br />
80 Angemerkt sei hier nur, daß die Tatsache, daß ein Phänomen in der Evolution später auftritt als ein<br />
anderes, noch nicht rechtfertigt, in der begrifflichen Analyse daraus ein logisches Abhängigkeitsverhältnis<br />
zu machen. Das weiß allerdings auch <strong>Searle</strong>.
tungsvollen Sprechakten, daß sie mit einer Bedeutungsabsicht (meaning intention) vollzogen<br />
werden. Das Vorhandensein dieser Absicht ist Bedingung da<strong>für</strong>, daß man von Bedeutung<br />
sprechen kann. Des weiteren muß die Absicht Ursache der Produktion der<br />
Äußerung sein, der äußere Aspekt der Handlung muß also der äußere Aspekt einer<br />
Handlung sein, deren innerer Aspekt eine Bedeutungsabsicht darstellt. Die Bedeutungsabsicht<br />
ihrerseits macht Äußerungen dadurch zu bedeutungsvollen, daß sie den<br />
Äußerungen Erfüllungsbedingungen - mithin Intentionalität - verleiht oder auferlegt<br />
(impose), <strong>und</strong> zwar die Erfüllungsbedingungen des zum Ausdruck zu bringenden intentionalen<br />
Zustandes. Dadurch erst wird eine Lautkette zum Ausdruck, nämlich zum<br />
Ausdruck eines intentionalen Zustandes. (Man sieht deutlich, daß sich diese Theorie<br />
einer Verabsolutierung der Aufrichtigkeitsbedingung (sincerity rule) aus Speech Acts verdankt.)<br />
Man kann die f<strong>und</strong>amentalen Thesen von <strong>Searle</strong>s Bedeutungstheorie nun<br />
zusammenstellen. Äußerungen repräsentieren Sachverhalte in bestimmten Modi. Diese<br />
Intentionalität (Repräsentationalität) kommt den Ausdrücken nicht intrinsisch zu, sondern sie wird<br />
geerbt von geistigen intentionalen Zuständen, die intrinsisch repräsentieren bzw. intentional sind. Dieses<br />
Erben geschieht, indem einem äußeren Aspekt einer Handlung durch eine Absicht die intentionalen<br />
Bedingungen verliehen werden, die ein geistiger intentionaler Zustand per se schon hat. Diese<br />
Auffassung impliziert, daß die geistigen Zustände selbst weitgehend unabhängig von<br />
einer existierenden konventionellen Sprache bestimmt sind. <strong>Searle</strong> gesteht zwar zu, daß<br />
es „mit dem Repräsentationssystem, das die Sprache zur Verfügung stellt, [...] <strong>für</strong> uns<br />
viel, viel mehr <strong>und</strong> kompliziertere intentionale Zustände [gibt] als ohne Sprache“<br />
(<strong>Searle</strong>, 1979, S.161). Diesen Tatbestand begreift <strong>Searle</strong> jedoch als empirischen, er soll<br />
die Priorität der Intentionalität des Geistes vor der Intentionalität der Sprache nicht<br />
betreffen. In jedem Fall sind die Basisformen, auf denen auch die abgeleitete<br />
Intentionalität der Sprache gründet, eine sprachunabhängige, intrinsische Leistung der<br />
Intentionalität Diese Auffassung des macht Geistes. es <strong>für</strong> <strong>Searle</strong> verständlich, daß es nur fünf Arten von Sprech-<br />
akten gibt. Die Erfüllungsbedingungen der intentionalen Zustände des Geistes, eingeteilt<br />
nach ihrer Ausrichtung, sind fünffältig. Da die Sprechakte diesen Erfüllungsbedingungen<br />
ihre Intentionalität verdanken, gibt es auch nur fünf Arten von Sprechakten.<br />
Die Taxonomie der illokutionärer Akte wird so gerechtfertigt <strong>und</strong> es wird verständlich,<br />
warum <strong>Searle</strong> glaubte (vgl. oben Anm. 41), daß seine Klassifikation der Sache angemessen<br />
sei. Die Angemessenheit besteht in der Übereinstimmung von Klassifikationen von<br />
Sprechakten mit der von intentionalen Zuständen. (Hier drängt sich natürlich der Verdacht<br />
auf, daß die sprechakttheoretischen Unterscheidungen die intentionalitätstheoretischen<br />
untermauern <strong>und</strong> nicht umgekehrt. Es fragt sich daher, ob die Klassen der psychischen<br />
Modi allein intentionalitätstheoretisch abgrenzbar sind. Damit wäre der Begriff<br />
der Ausrichtung thematisiert, wir werden im nächsten Kapitel auf ihn zurückkommen.)<br />
Zu betonen ist, daß <strong>Searle</strong>s Bedeutungstheorie damit auch den illokutionären Bestandteil<br />
von Äußerungen zu erklären beansprucht <strong>und</strong> nicht etwa ausblendet. Auch die illokutionären<br />
Klassen sind durch die Intentionalität des Geistes bestimmt, nämlich durch<br />
die Ausrichtung der intentionalen Zustände. Dies ist deshalb hervorzuheben, weil die<br />
Kritik Apels <strong>und</strong> Habermas‘ zu großen Teilen diesen Punkt betrifft (Vgl. Leilich, 1993).<br />
Wenn <strong>Searle</strong> von der Repräsentationsleistung des Geistes spricht, dann involviert dies
nicht nur die propositionale Sachverhaltsrepräsentation, sondern auch die Weise der<br />
Repräsentation, d.h. die Ausrichtung. Ist daher sinnvoll, von der Intentionalität des Geistes<br />
zu sprechen, <strong>und</strong> nicht nur von der Repräsentationsleistung. Denn Intentionalität betrifft<br />
spätestens seit Husserl nicht nur den Weltbezug (Materie), sondern auch die Art<br />
<strong>und</strong> Weise des Weltbezugs (Qualität), während der Begriff der Repräsentation häufig<br />
auf den ersten Aspekt des Weltbezugs beschränkt war (Vgl. LU, V, §20). Ob die Klärung<br />
der illokutionären Klassen innerhalb der intentionalitätstheoretischen Bedeutungstheorie<br />
akzeptabel ist, wird noch diskutiert werden. Festzustellen ist hier nur, daß diese<br />
Klärung möglich sich soll. Daß dieser Anspruch besteht, läßt sich allein aus der Tatsache<br />
plausibel machen, daß der <strong>Searle</strong> der Sprechakttheorie den illokutionären Bestandteil<br />
immer zur Bedeutung einer Äußerung gerechnet hat (Vgl. <strong>Searle</strong>, 1968, S.412). Eine<br />
F<strong>und</strong>ierung der Sprechakttheorie durch eine <strong>Intentionalitätstheorie</strong> muß also auch diesen<br />
Aspekt betreffen. Die Doppelstruktur der Rede (Habermas) muß demnach ihr Äquivalent<br />
<strong>und</strong> ihr F<strong>und</strong>ament in einer Doppelstruktur der Intentionalität haben, der<br />
Doppelstruktur nämlich, die <strong>Searle</strong> im Modus <strong>und</strong> Gehalt eines Zustandes vorfindet. 81<br />
Diese Interpretation läßt eine weitere f<strong>und</strong>amentale These <strong>Searle</strong>s als fast zwangsläufig<br />
erscheinen. Er behauptet, die Bedeutungsabsicht sei unabhängig von jeglicher Kommunikationsabsicht<br />
(Int., S.165). Wenn selbst die Klassen illokutionärer Rollen durch die intrinsische<br />
Ausrichtung des Geistes bestimmt sind, dann kann von der Kommunikationsfunktion<br />
weitgehend abstrahiert werden. <strong>Searle</strong> kommt aufgr<strong>und</strong> folgender Überlegung zu diesem<br />
Ergebnis. Die Unabhängigkeit der Bedeutungsintention von der Kommunikationsintention<br />
schließt er daraus, daß die Akzeptanz eines Sprechaktes keinen notwendige<br />
Bedingung <strong>für</strong> dessen Vollzug darstellt. Die Erfüllungsbedingungen der Bedeutungsabsicht<br />
sind ja schon eingelöst, wenn die Erfüllungsbedingungen des entsprechenden intentionalen<br />
Zustandes der beabsichtigten Sprechhandlung verliehen sind. Ob diese Bedingungen<br />
dann ihrerseits erfüllt sind, ob der Hörer seinerseits den Sprechakt akzeptiert,<br />
das soll <strong>für</strong> die Bedeutungsfrage uninteressant sein. Gehört es zu den Erfüllungsbedingungen<br />
der Bedeutungsabsicht aber nicht, daß der Hörer wenigstens verstehen<br />
muß, was der Sprecher sagt? <strong>Searle</strong> erweckt den Eindruck, daß die Bedeutungsabsicht<br />
auch davon unabhängig ist:<br />
„One can make a statement without intending to produce conviction or belief in one’s hearers or<br />
without intending to get them to believe that the speaker believes what he says or indeed without<br />
even intending to get them to unterstand it at all“ (Int., S.165)<br />
Dies steht nun in offenk<strong>und</strong>igem Widerspruch zu <strong>Searle</strong>s Behauptungen in Speech Acts.<br />
Dort war Grice‘ Analyse trotz der neuen Unterscheidung von Illokution <strong>und</strong> Perlokution<br />
neben Austins Ansätzen die theoretische Orientierung. Die Absicht, den Hörer zum<br />
Erkennen der Absichten des Sprechers zu bringen, bildete geradezu das wesentliche<br />
Element des Vollzugs von Sprechakten (Vgl. oben, S.18f). Ein Sprechakt mochte viel-<br />
81 Leilich ist nicht zuzustimmen, wenn er behauptet, daß die Analyse des illokutionären Bestandteils <strong>bei</strong><br />
<strong>Searle</strong> letztlich mysteriös bleibt (Leilich, 1993, S.54.). Wie wir in der Besprechung von Habermas‘ <strong>und</strong><br />
Apels Kritik noch sehen werden, beansprucht <strong>Searle</strong> nicht, alle illokutionären Rollen, sondern nur die<br />
Klassen der Rollen im Rahmen der <strong>Intentionalitätstheorie</strong> klären zu können. Der Begriff der Ausrichtung<br />
soll genaus dies leisten. Leilich diskutiert diesen Begriff leider nur am Rande, obwohl er <strong>für</strong> die Bestimmung<br />
der illokutionären Seite der Sprechakte f<strong>und</strong>amental ist.
leicht nicht akzeptiert werden, doch erst, wenn er verstanden wurde, konnte von einem<br />
erfolgreichen Sprechakt gesprochen werden, ansonsten wurde eben nur versucht, einen<br />
Sprechakt zu vollziehen. Die semantische Beschreibung von Äußerungen <strong>bei</strong>nhaltete<br />
gerade auch, dem Sprecher die Kommunikationsintention, einen illokutionären Effekt<br />
<strong>bei</strong>m Hörer zu erreichen, zuzuschreiben. Daß der Sprecher mit seinen Worten etwas<br />
meint, bedeutete gemäß Speech Acts gerade auch, bestimmte Intentionen in bezug auf<br />
einen Hörer zu haben (Vgl. Speech Acts, S.48). Seit dem Intentionalitätsbuch hat sich<br />
dies verändert. Ob der Hörer den Sprechakt versteht, ist nicht relevant <strong>für</strong> die Frage, ob<br />
die Bedeutungsabsicht erfüllt ist oder nicht, so wie es <strong>bei</strong>spielsweise <strong>für</strong> das Gelingen<br />
des Armhebens nicht relevant ist, ob jemand diese Bewegung beobachtet oder nicht.<br />
Die Veränderung in der <strong>Searle</strong>schen Bedeutungstheorie von Intentionality gegenüber der<br />
von Speech Acts besteht darin, daß Bedeutung nicht nur nicht durch beabsichtigte perlokutionäre<br />
Wirkungen analysiert werden kann, sondern auch nicht durch illokutionäre<br />
Effekte auf den Hörer. Der illokutionärer Bestandteil der Sprechakte ist selbst noch<br />
einmal durch die Erfüllungsbedingungen der intentionalen Zustände bestimmt. Er ist<br />
nicht kommunikationsintern, sondern von den Kommunikationssituationen ablösbar.<br />
Es ist verständlich, daß <strong>Searle</strong> so sowohl die Griceaner (vgl. Bennett, 1993) als auch die<br />
Sprachpragmatiker um Habermas <strong>und</strong> Apel gegen sich aufbringt. Intentionality entfernt<br />
sich von <strong>bei</strong>den bedeutungstheoretischen Konzepten, insofern Kommunikation als<br />
irrelevant <strong>für</strong> das Bedeutungsproblem angesehen wird. 82 Auch macht <strong>Searle</strong> selbst in<br />
Intentionality keinen Hehl daraus, daß „my own work” früher daran krankte, den Kommunikationsaspekt<br />
zu stark mit der Frage nach Bedeutung in Verbindung gebracht zu<br />
haben (Vgl. Int., S.166). Diese Vermengung stelle einen entscheidenden Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong><br />
zahlreiche Schwierigkeiten auf dem Felde der Bedeutungstheorie dar.<br />
Bevor wir prüfen, ob durch <strong>Searle</strong>s Trennung von Bedeutung <strong>und</strong> Kommunikation <strong>für</strong><br />
eine semantische Theorie viel gewonnen ist <strong>und</strong> ob diese Trennung mit den Essentials<br />
der Sprechakttheorie überhaupt vereinbar ist, 83 gilt es nachzufragen, wie sich die Metapher<br />
des Verleihens von Bedeutung, die sich schon <strong>bei</strong> Husserl findet, 84 angemessen<br />
durch den gegebenen begrifflichen Apparat erläutern läßt. Schließlich ist es diese Metapher,<br />
welcher die eigentliche Erklärungsrolle zuwächst. Bei deren Aufklärung muß sich<br />
gerade auch zeigen lassen, daß Bedeutung unabhängig von Kommunikation zu analysieren<br />
ist. Es fragt sich also, wie es der Geist macht, daß er einen materiellen Ausdruck,<br />
den äußeren Aspekt einer Handlung bzw. das verselbständigte Ergebnis einer Hand-<br />
82 <strong>Searle</strong>s klagt in seinen Erwiderungen zu den Einwänden von Bennett <strong>und</strong> Habermas: „Roughly speaking,<br />
one might say that Bennett thinks my view are not enough like Grice’s, Habermas thinks they are<br />
altogether too much like Grice’s“ (Response, S.96). Das ist m.E. eine falsche Beschreibung, denn <strong>Searle</strong><br />
bewegt sich in Intentionality eher hin zu Husserl <strong>und</strong> den Phänomenologen <strong>und</strong> weg von den Intentionalisten<br />
um Grice <strong>und</strong> den Intersubjektivisten. Bedeutung ist laut „<strong>Searle</strong> II“ eben keine Sache der Pragmatik<br />
<strong>und</strong> Kommunikation (ob diese nun intentionalistisch zergleidert oder intersubjektivistisch als Gr<strong>und</strong>begriff<br />
angenommen wird), sondern der Repräsentation des Geistes. Ähnlich sieht dies Leilich, 1993,<br />
S.47, vgl. auch Apel, 1990, S.23f., 25f.<br />
83 Die Vereinbarkeit von <strong>Intentionalitätstheorie</strong> <strong>und</strong> Sprechakttheorie ist ja trotz der eben erwähnten ausdrücklichen<br />
Veränderung in <strong>Searle</strong>s Konzept (Unabhängigkeit der Bedeutungsabsicht von Kommunikationsintentionen)<br />
nach wie vor Ziel seiner Untersuchung zum Bedeutungsbegriff.<br />
84 Husserl redet von Bedeutungsverleihung, von Bedeutungsintention – all dies beruht auch <strong>bei</strong> Husserl<br />
auf einer sprachunabhängigen Basis von Intentionalität. Vgl. LU I, § 9.
lung (z.B. Schrift) mit Erfüllungsbedingungen “ausstattet”?<br />
Wenn man die Metapher des Verleihens ernst nimmt, dann muß man 1.) einen Verleiher<br />
ausmachen können, 2.) etwas, da, verliehen wird <strong>und</strong> 3.) jemanden, dem etwas (2)<br />
verliehen wird. Das klingt recht einfach, <strong>und</strong> man ist mit <strong>Searle</strong> auch nicht verlegen, die<br />
drei gesuchten “Dinge” zu benennen. Natürlich ist es 1.) der Geist, genauer eine bestimmte<br />
(Bedeutungs-)Absicht, die 2.) Erfüllungsbedingungen verleiht <strong>und</strong> zwar 3.) an<br />
den äußeren Aspekt einer Handlung.<br />
Interessant hieran scheint mir der dritte Punkt zu sein. Freilich bedarf auch der Begriff<br />
der Absicht <strong>und</strong> der Erfüllungsbedingungen einer Klärung, doch sei hier einmal angenommen,<br />
dies sei geleistet. 85 Konzentrieren wir uns nicht allein auf die Binnenprobleme<br />
der <strong>Intentionalitätstheorie</strong>, sondern auf das Problem, was Analysen geistiger Intentionalität<br />
zum theoretischen Verständnis von Sprechhandlungen <strong>bei</strong>tragen können. Da<strong>bei</strong><br />
scheint gerade die Verbindung von einem geistigen Zustand der Absicht <strong>und</strong> einer<br />
Handlung, die „Bedeutungsträger“ ist, aufschlußreich zu sein. Wie funktioniert das Verleihen<br />
von Erfüllungsbedingungen an Handlungen genau?<br />
Bei <strong>Searle</strong> findet sich außer der genannten Metapher des Verleihens wenig Explizites zu<br />
diesem Thema. Man kann sich aber trotzdem ein Bild machen, wenn man zunächst<br />
bedenkt, daß alle Handlungen Erfüllungsbedingungen haben, insofern sie einem beabsichtigtem<br />
Zweck dienen sollen. Die (Bedeutungs-)Absicht, eine Sprechhandlung zu<br />
vollziehen, ist dann erfüllt, wenn der materielle Aspekt der Handlung mit denselben<br />
Erfüllungsbedingungen ausgestattet ist wie der zum Ausdruck zu bringende intentionale<br />
Zustand. Ob diese Zustände ihrerseits erfüllt sind, ob damit die Sprechhandlungen<br />
wahr, befolgt usw. sind, das spielt hier<strong>bei</strong> keine Rolle. Es geht ja zunächst nur darum,<br />
daß die Lautproduktion bedeutungsvoll ist, daß wir es also überhaupt mit Sprechakten zu<br />
tun haben <strong>und</strong> nicht mit bloßen Lauten. Diese Analyse befindet sich in Einklang mit<br />
dem am Anfang des vorigen Kapitels dargestellten Unterschied zwischen bloßer Lautproduktion<br />
(etwa im Reimspiel) <strong>und</strong> einer Erzeugung, die ursächlich mit Kommunikationsintentionen<br />
verb<strong>und</strong>en ist. 86<br />
Kann man etwas sagen (indem man grammatisch <strong>und</strong> semantisch wohlgeformte Sätze<br />
ausspricht) 87 , ohne daß das Gesagte Bedeutung hat, weil die Bedeutungsabsicht nicht<br />
vorlag? Kann die Bedeutungsintention theoretisch so verstanden werden wie die Absicht,<br />
den Arm zu heben? Kann man ebenso, wie man den Arm hebt, einfach eine<br />
Sprechhandlung vollziehen, quasi durch bloße Absicht?<br />
An einigen Textstellen wird von <strong>Searle</strong> der Eindruck vermittelt, als sei die Bedeutungsverleihung<br />
selbst eine durch Bedeutungsabsicht verursachte Handlung, die einem<br />
äußeren Aspekt einer anderen Handlung, die ihrerseits Wirkung einer Absicht<br />
85 In der Einleitung wurde darauf hingewisen, daß in dieser Ar<strong>bei</strong>t nicht die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> als<br />
solche im Mittelpunkt steht, sondern die Frage, ob eine derartig konzpierte Theorie eine Basis <strong>für</strong> die<br />
Sprechakttheorie sein kann. Freilich läßt sich das eine vom anderen nicht immer trennen, dennoch soll<br />
die Begrenzung der Fragestellung, dort , wo sie möglich ist, eingehalten werden.<br />
86 Die Tatsache, daß <strong>Searle</strong> die Kommunikationsintention in Intentionality nicht als notwendige Bedingung<br />
<strong>für</strong> Bedeutung ansieht, wird uns gleich noch beschäftigen,<br />
87 Zumindest kann man sich den Fall denken, daß es <strong>für</strong> einen Sprecher einer Sprache möglich ist, eine<br />
Äußerung eines anderen ”Sprechers” als grammatisch <strong>und</strong> semantisch wohlgeformt zu interpretieren.<br />
Falls die Intentionalitätsbedingung als notwendig <strong>für</strong> den Vollzug von bedeutungstragenden Handlungen<br />
angesehen würde, dürfte man in diesem Fall nicht von Bedeutung sprechen.
(nicht der Bedeutungsabsicht) ist, die Erfüllungsbedingungen „aufdrückt“ bzw. die<br />
Handlung damit „ausstattet“. Da hätte man es dann mit einer Verschachtelung von<br />
mehreren Handlungen <strong>und</strong> Absichten zu tun. Die eine Handlung wäre als Produktion<br />
von Lauten beschreibbar, die andre eben als Bedeutungsverleihen. Dieses recht umständliche<br />
Modell bringt das Problem mit sich, das Verhältnis der <strong>bei</strong>den Handlungen,<br />
des Produzierens von Lauten <strong>und</strong> des Bedeutungsverleihens zu klären. Im übrigen<br />
wäre nicht recht klar, worin der äußere Aspekt der bedeutungsverleihenden<br />
Handlungen zu sehen ist.<br />
Daher scheint eine andere Deutung angebracht. Ob eine Äußerung, d.h. eine Produktion<br />
von Lauten, Bedeutung trägt oder nicht, hängt demgemäß davon ab, ob die Absicht,<br />
diese Äußerung zu produzieren, selbst eine Bedeutungsabsicht ist. Wir haben es dann<br />
nur noch mit einem äußeren Aspekt einer Handlung zu tun <strong>und</strong> der Frage, welcher innere<br />
Aspekt - also welche Absicht - diesen äußeren Aspekt verursacht hat. Handelt es sich<br />
bspw. um die Absicht, die Stimme zu trainieren, so würde die produzierte Lautkette<br />
keine Bedeutung tragen. <strong>Searle</strong> kann daher die These vertreten, daß es einen großen<br />
Unterschied mache, ob man etwas sagt, ohne es zu meinen oder ob man etwas sagt <strong>und</strong><br />
dasselbe meint. Wenn nämlich das Gesagte nicht gemeint wird, dann trägt es keine oder<br />
eine andere Bedeutung als, wenn es gemeint wird (Vgl. Int., S.169). Etwas zu meinen,<br />
heißt, etwas mit einer bestimmten Bedeutungsabsicht zu sagen, die Begriffe des Meinens<br />
<strong>und</strong> der Bedeutungsabsicht sind m.E. <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> austauschbar. Man kann zusammenfassend<br />
behaupten, daß nur dann Bedeutung tragen, wenn sie mit einer Bedeutungsabsicht<br />
vollzogen wurden.<br />
Kann ein Sprecher nun einfach so beabsichtigen, daß seine Äußerungen bedeutungstragend<br />
sein sollen, wie er beabsichtigen kann, seinen Arm zu heben. Blicken wir zur<br />
Klärung dieser Frage kurz in die Problemdiskussionen der analytischen Handlungstheorie.<br />
Eine viel diskutierte Schwierigkeit <strong>bei</strong> der Analyse von Handlungen besteht<br />
darin, daß einige Handlungen zerlegbar sind in Teilhandlungen, daß aber meist <strong>bei</strong><br />
Körperbewegungen, wie der des Armhebens das Ende diese Prozesses erreicht ist. Diese<br />
Handlungen sind also gewissermaßen Basishandlungen. 88 Daß die Zerlegung hier<br />
eine Ende findet, liegt wohl daran, daß die vielfältigen physiologischen Prozesse, die <strong>bei</strong><br />
einer Handbewegung ablaufen, nicht einzeln gesteuert werden können, zumindest nicht<br />
durch eine bloße Absicht. 89 Die Absicht einer Handlung ist daher auch wesentlich <strong>für</strong><br />
die Frage der Identifizierung von Handlungen. Insofern steht zu vermuten, daß es vom<br />
Automatisierungsgrad bestimmter Handlungsabläufe abhängt, was alles als Basishandlung<br />
angesehen werden kann (Vgl. Martin, S.112f.) <strong>und</strong> welche Teilhandlungen vollzogen<br />
werden.<br />
Interessant ist der Begriff der Basishandlung <strong>für</strong> unser semantisches Problem nun, weil<br />
88 Der Begriff der Basishandlung ist gemäß Danto <strong>für</strong> Handlungen einer Person M reserviert, die nicht<br />
durch andere Handlungen der Person M verursacht sind. Das Armheben ist ein klassisches Beispiel <strong>für</strong><br />
Basishandlungen. Einen Geldschein nimmt man dadurch, daß man Arm, Hand <strong>und</strong> Finger bewegt. Diese<br />
Bewegungen sind in diesem Verständnis Ursachen der Handlung des Geldschein-Nehmens. Die Bewegung<br />
selbst haben aber keine anderen Handlungen der Person als Ursache. Vgl. Danto, 1965, S.93ff.<br />
89 Dies Zusatzklausel soll nur Fälle ausschließen, <strong>bei</strong> denen man mit physiologischem Wissen <strong>und</strong><br />
entsprechendenen Geräten die einzelnen Elemente unserer Motorik gewissermaßen von außen (unabhängig<br />
von den Intentionen der Person, dessen Motorik manipuliert wird) kontrollieren <strong>und</strong> steuern kann.
zu fragen ist, ob die Sprechhandlungen Basishandlungen sind. Eine weitere Analyse<br />
wäre dann gewissermaßen zwecklos. Doch <strong>Searle</strong> kann nicht dieser Auffassung zu sein,<br />
auch wenn er sich zu diesem Thema nicht äußert. Denn er behauptet ja, daß dieselbe<br />
Sprechhandlung durch verschiedene Äußerungsakte vollzogen werden kann. Die Existenz<br />
mehrerer ineinander übersetzbarer Sprachen ist der einfachste Beweis dieser These.<br />
Die »dadurch, daß« Relation (Vollzug eines illokutionären Aktes durch Vollzug eines<br />
Äußerungsaktes) will <strong>Searle</strong> m.E. als Zweck-Mittel-Beziehung interpretiert wissen. Die<br />
eingeübten Sprachen stellen demzufolge Mittel bereit, durch deren Gebrauch bestimmte<br />
illokutionäre Zwecke erreicht werden können. Verdeutlichen wir uns diese Auffassung<br />
anhand des Aktes des Schwitzens. Es ist keine Basishandlung, wenn man eine<br />
Sauna besucht, um den Effekt des Schwitzens zu erzielen. Denn die Mittel, die es erlauben,<br />
dieses Ziel zu erreichen <strong>und</strong> überhaupt erst zu beabsichtigen, 90 sind nicht per se<br />
durch die Leiblichkeit gegeben, 91 sie erfordern Wissen <strong>und</strong> Techniken. Ähnlich verhält<br />
es sich mit dem Vollzug von Sprechakten. Diese sind zwar an das Medium des Leibes<br />
geb<strong>und</strong>en, insofern Äußerungen produziert werden. Doch diese Äußerungen sind nur<br />
dann dem illokutionären Zweck dienlich, wenn sie Äußerungen in einem konventionellen Medium<br />
darstellen. Der Unterschied zwischen Schwitzen <strong>und</strong> Sprechen ist freilich, daß der<br />
Erfolg der Absicht einmal von Naturprozessen, das andre Mal von <strong>Institut</strong>ionen abhängig<br />
ist. Die Sprache wird daher von <strong>Searle</strong> auch als <strong>Institut</strong>ion bezeichnet (Int.,<br />
S.176). Damit knüpft <strong>Searle</strong> an die Unterscheidung von natürlichen <strong>und</strong> institutionellen<br />
Tatsachen an, die <strong>für</strong> den Begriff der konstitutiven Regel maßgebend war. <strong>Institut</strong>ionelle<br />
Tatsachen gelten in der Regel per Konvention <strong>und</strong> sichern den Erfolg qua Konvention;<br />
natürliche Tatsachen dagegen bestehen unabhängig davon, ob wir sie kennen oder<br />
nicht. Wir können das Wissen über natürliche Tatsachen (auch das praktische knowing<br />
how) allerdings ausnutzen, um bestimmte Zwecke zu erreichen. In diesem Sinne war ja<br />
auch die Maxime der früh-neuzeitlichen Naturwissenschaft, Wissen sei Macht, gemeint.<br />
92 Damit allerdings hätte <strong>Searle</strong> zugestanden, daß Konventionen <strong>und</strong> konstitutive<br />
Regeln Möglichkeitsbedingungen der Bedeutungsabsicht wären.<br />
Man wird hier erwidern, daß dies <strong>Searle</strong>s Position in Speech Acts sei, die nun, in Intentio-<br />
90 In diesem Sinne trifft es zu, daß die Mittel uns Ziele erschließen helfen <strong>und</strong> daß Wunschvorstellungen<br />
eben erst zu Zielen werden, insofern Mittel zur Verwirklichung bereitstehen.<br />
91 Damit soll nicht gesagt werden, daß die Leiblichkeit ein ganz von selbst funktionierendes Handlungsmedium<br />
bereitstellt. Es ist bspw. geradezu Vorbedingung des Sports, daß bestimmte Bewegungsabläufe<br />
nicht von allen Menschen in gleicher Weise vollzogen werden können <strong>und</strong> daß es gerade die immerwährende<br />
Übung ist, die eine Handlungskette zur Basishandlung oder zum nicht intendierten Ablauf werden<br />
läßt. Hier wird Leiblichkeit in sehr langwierigen Prozessen erschlossen <strong>und</strong> steht nicht einfach zur Verfügung.<br />
Einige Bewegungen sind m.E. aber doch so basal, daß sie gar nicht gelernt werden müssen. Hieran<br />
lassen sich anthropologische Bemerkungen anknüpfen, die auch den Tier-Mensch-Vergleich berücksichtigen<br />
müßten. Die Weisheit, daß der Mensch seine Freiheit der Ar<strong>bei</strong>t verdankt, hat wohl hier ihren<br />
Ursprung <strong>und</strong> kann in diesem Theorierahmen konkretisiert werden.<br />
92 Im Anschluß an Dantos Deklination von Handlungen müßte <strong>Searle</strong> Sprechakte in die Kategorie C-I<br />
einfügen wollen. Dies sind Handlungen, die durch den Handelnden selbst verursacht werden, wo<strong>bei</strong> der<br />
Erfolg der Handlung aber den Einsatz eines Mittels verlangt. Dieses Mittel wird eingesetzt, um den beabsichtigten<br />
Effekt zu erzielen <strong>und</strong> nicht aus einem anderen Motiv. Das ist nach Danto keine Basishandlung,<br />
weil die Handlung nur dann vollzogen werden kann, wenn besagtes Mittel bereitsteht. Der Handelnde<br />
muß gewisse Kenntnisse über die Natur der Dinge bzw. über akzeptierte Konventionen haben, um<br />
den Akt vollziehen zu können. Vgl. Danto, 1965, S.94ff.
nality, nicht mehr gelten kann. Schließlich könne man die Unabhängigkeit der Bedeutungsabsicht<br />
von der Kommunikationsintention auch so interpretieren, daß die <strong>Institut</strong>ion<br />
der Sprache, die qua Konvention gilt, zur Realisierung der Bedeutungsabsicht nicht<br />
notwendig sei. Die Konvention würde demnach nur den Kommunikationsaspekt<br />
betreffen. Sie stellte sicher, daß Kommunikationsintentionen möglich <strong>und</strong> realisierbar seien,<br />
in dem eben geschilderten Sinne. Die Bedeutungsverleihung selbst aber wäre davon<br />
unabhängig.<br />
Dagegen spricht, daß <strong>Searle</strong>s Modell zunächst die Bedeutungsabsicht eines kompetenten<br />
Sprechers erklären soll, d.h. innerhalb des Rahmens einer funktionierenden Sprache aufgestellt<br />
ist (Vgl. Int., S.176). Die Beispiele <strong>Searle</strong>s erfordern, wie Apel herausstellt (Apel,<br />
1990, S. 16f.) schon ein vorgängiges Sprachverständnis. Die Geste des Armhebens gilt<br />
qua Verabredung als ein Zeichen <strong>für</strong> etwas (Int., S.167). M.E. bestreitet <strong>Searle</strong> diese Tatsache<br />
nicht. Zieht man dies in Rechnung, dann scheint <strong>Searle</strong>s mentalistische Bedeutungstheorie<br />
gar nicht so mentalistisch zu sein, wie sie daherkommt. Denn dann könnte<br />
Sprachkompetenz ja eine notwendige Bedingung <strong>für</strong> die Möglichkeit sein, eine Bedeutungsabsicht<br />
zu haben. Dann würde die Unabhängigkeit der Bedeutungsabsicht von der<br />
Kommunikationsabsicht wohl nur die Tatsache betreffen, daß wir manchmal ohne Adressaten<br />
nur zu uns selbst sprechen (Es fragte sich dann freilich, warum der Sprecher<br />
dann nicht selbst als Adressat angesehen würde). Dieser Fall begründete aber keineswegs<br />
eine logische Unabhängigkeit der Bedeutung von Kommunikation, im Gegenteil, er<br />
wäre auch im „kommunikationstheoretischen Paradigma“ erklärbar.<br />
Verdeutlichen wir uns die Interpretationsalternativen. Entweder die Bedeutungsabsicht<br />
ist an die Sprachkompetenz gekoppelt, oder aber sie ist davon unabhängig. Trifft letzteres<br />
zu, dann wäre wohl nur die Kommunikationsintention von der Sprachkompetenz<br />
abhängig, insofern eine Sprache konventionelle Mittel bereitstellt, um Zwecke in bezug<br />
auf einen anderen sprachkompetenten Adressaten realisieren zu können. Die Bedeutungsabsicht<br />
wäre gemäß diesen Modells logisch unabhängig von der Kommunikationsintention.<br />
Denn wenn Sprachkompetenz logisch mit der Möglichkeit von Kommunikationsintentionen<br />
verknüpft ist <strong>und</strong> Kommunikationsintentionen logisch mit Bedeutungsabsichten<br />
verknüpft wären, dann wäre Sprachkompetenz auch logisch notwendig<br />
<strong>für</strong> die Möglichkeit, eine Bedeutungsabsicht zu haben. Das sollte aber, gemäß der ersten<br />
Alternative, nicht der Fall sein. Die andere Alternative besagt, daß die Möglichkeit,<br />
eine Bedeutungsabsicht zu haben, Sprachkompetenz erfordert. Damit ist freilich die logische<br />
Abhängigkeit der Bedeutungsabsicht von der Kommunikationsabsicht noch nicht<br />
zugestanden.<br />
<strong>Searle</strong>s Position hinsichtlich dieses Problemkontextes wird vor dem Hintergr<strong>und</strong> folgender<br />
Frage klarer:<br />
„Suppose there were a class of <strong>bei</strong>ngs who were capable of having Intentional states like belief,<br />
desire, and intention, but who did not have a language, what more would they require in order to<br />
be able to perform linguistic acts? [...] Notice also that the question is conceptual and not historical<br />
or genetic“ (Int., S.177).<br />
Die Antwort <strong>Searle</strong>s beginnt mit dem wichtigen Hinweis, daß die Zuschreibung eines<br />
intentionalen Zustandes an die Fähigkeit geknüpft ist, die Erfüllung von der Nicht-<br />
Erfüllung des Zustandes unterscheiden zu können. Dann fährt fort:
„The first thing that our <strong>bei</strong>ngs would need to perform illocutionary acts is some means for externalizing,<br />
for making publicly recognizable to others, the expression of their Intentional states.<br />
A <strong>bei</strong>ng that can do that on purpose, that is, a <strong>bei</strong>ng that does not just express its Intentional<br />
states but performs acts for the purpose of letting others know of its Intentional states, already has<br />
a primitive form of a speech act“ (Int., S.178).<br />
<strong>Searle</strong> unterscheidet zwischen bloßem Ausdrücken (just express) eines intentionalen<br />
Zustandes <strong>und</strong> dem Veröffentlichen (externalizing) eines intentionalen Zustandes zu<br />
dem Zweck, andere von einem intentionalen Zustand in Kenntnis zu setzen. Dieser<br />
(kommunikative) Zweck, anderen von den eigenen Zuständen Kenntnis zu verschaffen,<br />
soll Bedingung <strong>für</strong> die Möglichkeit des Sprechaktvollzuges sein. Zum bloßen Ausdrücken<br />
des Zustandes muß also noch ein kommunikativer Zweck hinzukommen, um<br />
einen Sprechakt zu vollziehen. Denn der Zweck, einen Hörer in Kenntnis der eigenen<br />
Zustände zu setzen, ist doch wohl ein <strong>bei</strong>spielhaft kommunikativer Zweck. Des weiteren<br />
ist ein Mittel zur „Externalisierung“ notwendig. Überraschenderweise wird man<br />
dann aber doch sagen können, daß Sprechakte an Kommunikationsintentionen <strong>und</strong> an<br />
konventionelle Verfahren geb<strong>und</strong>en sind. Das ist doch aber die Position <strong>Searle</strong>s in Speech<br />
Acts. Worin besteht denn dann die Neuerung? Ist die These der Unabhängigkeit der<br />
Bedeutungsabsicht von Kommunikationsintentionen zurückgenommen worden?<br />
Im Zitat unterscheidet <strong>Searle</strong> zwischen einem bloßen Ausdrücken von intentionalen Zuständen<br />
<strong>und</strong> dem Vollzug von Sprechakten. Steckt in dieser Differenz vielleicht die Unterscheidung<br />
von Bedeutungsabsicht <strong>und</strong> Kommunikationsintention? Das Zitat sagt deutlich<br />
aus, daß der Vollzug von Sprechakten an kommunikative Zwecke geb<strong>und</strong>en ist. Ist das<br />
bloße Ausdrücken nun die von der Kommunikationsintention unabhängige Form des<br />
Bedeutens, getragen von einer bloßen Repräsentationsabsicht? <strong>Searle</strong> scheint dies zu<br />
glauben, er muß es auch, denn ansonsten wäre die Unabhängigkeit von Bedeutungs-<br />
<strong>und</strong> Kommunikationsintention nicht zu retten. Doch worin soll das bloße Ausdrücken<br />
eines intentionalen Zustandes bestehen. Im Zitat wird ja deutlich, daß Wesen, die bloß<br />
ausdrücken können, eben noch keine Sprache haben sollen. Ist damit gemeint, daß man<br />
bestimmten Tieren „ansieht“, daß sie Hunger, Angst, Freude oder ähnliches empfinden,<br />
ohne daß die Tiere ihre Zustände mit Absicht kenntlich machen wollen? Aber lassen<br />
wir diesen Fall <strong>bei</strong>seite.<br />
<strong>Searle</strong> kann ja immer noch behaupten, daß selbst sprachbegabte Wesen ihre intentionalen<br />
Zustände bloß ausdrücken können. Selbst wenn sie de facto immer eine Kommunikationsabsicht<br />
hätten, wenn sie etwas ausdrückten, wäre dies kein Gr<strong>und</strong>, um die These,<br />
die Bedeutungsabsicht sei logisch unabhängig von der Kommunikationsintention, zurückzunehmen.<br />
93 Die Pointe der <strong>Searle</strong>schen Überlegung liegt darin, daß die Bedeutung<br />
eines Sprechaktes (illokutionäre Rolle+propositionaler Gehalt) weitgehend durch die<br />
Bedeutungsabsicht bestimmt ist <strong>und</strong> nicht von der Kommunikationssituation <strong>und</strong> Intentionen<br />
in Bezug auf den Hörer abhängt. Die Kommunikationsintention ist <strong>für</strong> den<br />
semantischen Aspekt der Äußerung irrelevant. Das bloße Ausdrücken ist demnach eine<br />
93 So auch Leilich, 1993, S.48f. Die These der Unabhängigkeit der Bedeutung von Kommunikation, würde<br />
auch bestehen, „wenn de facto mit allen Repräsentationsabsichten auch eine Kommunikationsabsicht<br />
verb<strong>und</strong>en wäre.“
Abstraktion vom tatsächlichen Sprechakt, die nur die Bedeutungsseite betrachtet, die<br />
Kommunikationsaspekte dagegen vernachlässigt. <strong>Searle</strong> freilich wird wohl auch die<br />
empirische These vertreten wollen, daß das bloße Ausdrücken tatsächlich allein vollzogen<br />
werden kann, sowohl <strong>bei</strong> sprachbegabten Wesen, als auch <strong>bei</strong> Wesen ohne Sprachkompetenz.<br />
(Folgende Metapher scheint mir hinter <strong>Searle</strong>s Überlegungen zu stehen:<br />
Für die Frage, was in einem Paket enthalten ist, ist es unwichtig, wer der Empfänger<br />
des Pakets ist. Das Packen des Pakets ist vom Adressieren <strong>und</strong> vom Abschicken unabhängig.<br />
Und: Das Paket muß gar nicht abgeschickt werden, obwohl man in der Regel<br />
Pakete packt, um sie abzuschicken. Selbst wenn der Fall, daß das Paket nicht abgeschickt<br />
wird, nie auftrete, könnte man das Packen vom Abschicken des Pakets unterscheiden,<br />
ersteres kann man als logisch unabhängig vom letzteren ansehen.)<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> können wir das Problem der Basishandlung beantworten. Der<br />
Vollzug eines Sprechaktes stellt keine Basishandlung dar, weil er ein konventionelles<br />
Medium erfordert, daß die an einen Adressaten gerichtete Externalisierung von intentionalen<br />
Zuständen ermöglicht. Man kann einen Hörer vor einem Brand warnen, indem (dadurch,<br />
daß) man bestimmte Laute in Übereinstimmung mit der lexikalischen Konvention<br />
äußert. Freilich bleibt die Frage, ob vielleicht das bloße Ausdrücken eine Basishandlung<br />
ist? Diese Handlung scheint nicht weiter analysierbar. Die Frage, wie man es<br />
macht, daß bestimmte Äußerungen Bedeutung haben, klingt einigermaßen witzlos. Das<br />
kann zum einen heißen, daß tatsächlich eine Basishandlung vorliegt. Die Witzlosigkeit<br />
der Frage entspräche dann der Witzlosigkeit der Frage, wie man es macht, daß sich der<br />
Arm hebt. Andrerseits kann man die These vertreten, daß das Bedeutungsverleihen gar<br />
keine Handlung darstellt <strong>und</strong> daß die Frage deshalb witzlos sei. Ich werde dies unter<br />
Punkt 7) meiner Erwiderungen näher analysieren, da ich glaube, daß das <strong>Searle</strong>sche<br />
Modell der Bedeutungsverleihung schon dem zweiten Blick nicht mehr standhält.<br />
Das Ergebnis der Überlegungen zu <strong>Searle</strong>s Bedeutungstheorie ist erstaunlich. <strong>Searle</strong><br />
gibt zu, daß <strong>für</strong> den Vollzug von Sprechakten kommunikative Zwecke konstitutiv sind.<br />
Die Bedeutung der Äußerung allerdings ist nicht durch diese kommunikative Zwecke<br />
bestimmt, sondern allein durch die Bedeutungsabsicht. Diese verleiht der Äußerung<br />
bestimmte Erfüllungsbedingungen mit einem psychischen Modus <strong>und</strong> einem Repräsentationsgehalt.<br />
Mehr ist <strong>für</strong> die Beantwortung der Frage, wie Äußerungen Bedeutung<br />
erhalten, nicht erforderlich. Herauszustellen ist die Tatsache, daß die erfolgreiche<br />
Verleihung der genannten Erfüllungsbedingungen eine Äußerung noch nicht zum<br />
Sprechakt macht. Zum Sprechakt wird sie erst dann, wenn zusätzlich noch eine<br />
Kommunikationsintention ins Spiel kommt. Außerdem gilt, daß Sprachkompetenz<br />
keine notwendige Bedingung <strong>für</strong> das bloße Ausdrücken ist, d.h. <strong>für</strong> die Möglichkeit,<br />
eine Bedeutungsabsicht zu haben. Sprache wird erst dort relevant, wo es um Sprechakte<br />
<strong>und</strong> damit um Kommunikation geht. Kommunikationsintentionen müssen aber<br />
<strong>bei</strong>m „bloßen Ausdrücken“ des intentionalen Zustandes nicht involviert sein. Betont<br />
sei nochmals, daß sowohl der illokutionäre Bestandteil als auch der propositionale<br />
Gehalt durch dieses Ausdrücken bestimmt ist, nicht durch die<br />
Kommunikationsintention (Vgl. Apel, 1990, S.15). Denn psychischer Modus <strong>und</strong><br />
Repräsentationsgehalt kommen bereits dem auszudrückenden intentionalen Zustand<br />
zu, der Ausdruck erbt diese Erfüllungsbedingungen nur.
4. Erwiderungen<br />
4.1. Sprachlose Intentionalität?<br />
Wir sahen am Ende des Kapitels über die Sprechakttheorie, daß in <strong>Searle</strong>s Beschreibungen<br />
einigen Begriffen (Ausrichtung, Absicht, Überzeugung, Wahrheit, Konvention)<br />
Erklärungswert zukam, ohne daß diese innerhalb des sprechakttheoretischen Rahmens<br />
expliziert wurden. Eine Klärung dieser Begriffe war also zu erwarten, die <strong>Intentionalitätstheorie</strong><br />
sollte sie leisten. Die in der Einleitung aufgestellte These, daß dieses Vorhaben<br />
durch die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> <strong>Searle</strong>s nicht befriedigend gelöst wird, soll jetzt<br />
begründet werden. Damit verb<strong>und</strong>en ist auch die Frage, ob die Essentials der <strong>Intentionalitätstheorie</strong><br />
überhaupt ohne Rückgriff auf Sprachkompetenz expliziert werden können.<br />
Dies ist ja eine notwendige Bedingung des ganzen Unternehmens von Intentionality,<br />
schließlich sollte die Sprachphilosophie ein Teil der Philosophie des Geistes, d.h. in<br />
dieser f<strong>und</strong>iert sein. Wenn sich herausstellt, daß die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> ihrerseits<br />
Anleihen <strong>bei</strong> der Sprachphilosophie nehmen muß, dann kann <strong>Searle</strong>s Programm als<br />
gescheitert betrachtet werden.<br />
Im folgenden werden zehn mehr oder weniger zusammenhängende Überlegungen vorgetragen,<br />
die alle die Möglichkeit des <strong>Searle</strong>schen Programms von Intentionality anzweifeln.<br />
Die ersten fünf Punkte betreffen die Frage, ob Repräsentationsgehalt <strong>und</strong> psychischer<br />
Modus unabhängig von Sprache expliziert werden können. Punkt 6) geht auf<br />
neuere Entwicklungen der <strong>Searle</strong>schen Philosophie ein, die auch ein anderes Licht auf<br />
die Sprachunabhängigkeits-These von Intentionality werfen. Punkt 7) kritisiert die Bedeutungstheorie<br />
<strong>Searle</strong>s, insbesondere das Konzept der Bedeutungsverleihung qua Bedeutungsabsicht.<br />
Unter den übrigen Punkten wird nachgefragt, ob die Begriffe der Wahrheit<br />
<strong>und</strong> der Konvention durch die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> geklärt werden, außerdem<br />
diskutiere ich eine Schwierigkeit, die mit dem Prinzip der Ausdrückbarkeit verb<strong>und</strong>en<br />
ist.<br />
1.) Zu Beginn ist die Frage aufzuwerfen, ob die Struktur unserer sprachlichen Repräsentationen<br />
tatsächlich durch ein strukturanaloges, ursprünglicheres mentales Vokabular<br />
gedeckt ist. Die logische Struktur der intentionalen Zustände muß unabhängig von<br />
der Struktur der sprachlichen Repräsentation bestimmt <strong>und</strong> identifizierbar sein. 94<br />
Zu fragen ist dies zunächst <strong>für</strong> den Repräsentationsgehalt der intentionalen Zustände,<br />
also das intentionale Äquivalent des propositionalen Gehalts. Repräsentationsgehalte<br />
sind, gemäß <strong>Searle</strong>, im allgemeinen propositional strukturiert. Ist die propositionale<br />
Strukturiertheit von intentionalen Zuständen ohne Rückgriff auf die Fähigkeit, Sätze<br />
zu verstehen <strong>und</strong> zu bilden, erklärbar? Was soll Propositionalität hier eigentlich heißen?<br />
<strong>Searle</strong> scheint sagen zu wollen, daß intentionale Zustände dann propositional<br />
strukturiert sind, wenn eine sprachliche Angabe der Erfüllungsbedingungen des Zustandes<br />
in einer ganzen Proposition ausgedrückt werden muß, d.h. in einem Neben-<br />
94 Vgl. zum folgenden Schnädelbach, 1997. Schnädelbachs These besteht zusammengefaßt darin, daß<br />
man soviel logische Struktur, wie <strong>Searle</strong> <strong>für</strong> die Explikation von Intentionalität in Anspruch nimmt, nur<br />
Wesen mit der Fähigkeit zu symbolischer Repräsentation zumuten dürfe. Der Begriff der symbolischen<br />
Repräsentation hat da<strong>bei</strong> eine weitere Extension als der der natürlichen Sprache.
satz der Form »daß p«. Dies soll aber gerade nicht heißen, daß ein Wesen diese<br />
sprachliche Angabe muß vollziehen können. Es muß dies nicht. Ansonsten wäre die<br />
These der Sprachunabhängigkeit widerlegt. Wenn wir allerdings sprachlich angeben,<br />
welche Erfüllungsbedingungen ein intentionaler Zustand hat, dann muß sich zeigen<br />
lassen, daß dieser sprachlichen Beschreibung tatsächlich etwas „im Kopf“ entspricht.<br />
Führen wir uns als (ein <strong>für</strong> <strong>Searle</strong> günstiges) Beispiel den Gehalt von Wahrnehmungen<br />
vor Augen, intentionalen Ereignissen also, <strong>für</strong> die die Sprachunabhängigkeit<br />
scheinbar am besten nachvollzogen werden kann.<br />
Zunächst ist anzumerken, daß Wahrnehmungsgehalte in <strong>Searle</strong>s Verständnis propositional<br />
strukturiert sind:<br />
„The content of the visual experience, like the content of the belief, is always equivalent to a<br />
whole proposition. Visual experience is never simply of an object but rather it must always be<br />
that such and such is the case. (Int., S.40, Hervorhebungen im Original).<br />
Diskutieren wird den Fall der Tierwahrnehmung. Die Tierwahrnehmung ist ein guter<br />
Test <strong>für</strong> <strong>Searle</strong>s Argumentation, denn die logische Unabhängigkeit des Wahrnehmungsgehalts<br />
von der Sprachkompetenz ist daran gut verifizierbar, insofern Tiere in<br />
der Regel nicht sprechen können, jedenfalls nicht in dem Sinn, in dem Menschen<br />
sprechen. Falls die <strong>Searle</strong>schen Anforderungen an die logische Struktur des Wahrnehmungsgehaltes<br />
<strong>für</strong> die Tierwahrnehmung nicht eingelöst werden können, dann<br />
läßt sich die These plausiblisieren, daß propositionales Wahrnehmen überhaupt an<br />
Sprachkompetenz geknüpft ist. Denn man wird nicht behaupten wollen, daß es am<br />
Wahrnehmungsapparat der Tiere läge, daß sie nicht propositional wahrnehmen können.<br />
Die logische Struktur eines Wahrnehmungsgehaltes soll propositional sein, d.h. es<br />
muß zunächst die Möglichkeit der Gegenstandsidentifikation geben, <strong>und</strong> darüber hinaus<br />
muß im Wahrnehmungsgehalt diesem Gegenstand eine Eigenschaft "<strong>bei</strong>gelegt"<br />
werden. 95 Kann man <strong>bei</strong> der Tierwahrnehmung nun davon sprechen, daß Gegenstände<br />
identifiziert werden? Und wird von diesen Gegenständen gesehen, daß ihnen eine<br />
bestimmte Eigenschaft zukommt?<br />
Schwierig ist diese zweiteilige Frage zunächst deshalb zu beantworten, weil die Antwort<br />
immer auf eine sprachliche Beschreibung des intentionalen Gehalts angewiesen<br />
ist. Wir beschreiben die Wahrnehmung eines H<strong>und</strong>es, der sein Herrchen anblickt, mit<br />
den Mitteln <strong>und</strong> Klassifikationen unsrer Sprache: »Der H<strong>und</strong> sieht, daß Peters Bruder<br />
zur Tür hereinkommt«. <strong>Searle</strong> weist daraufhin, daß der Bericht über oder die sprachliche<br />
Angabe eines intentionalen Zustand nicht dieser Zustand selbst ist. Die Eigenschaften<br />
des Berichts sind nicht zu verwechseln mit den Eigenschaften des Zustandes,<br />
über den berichtet wird (Vgl. Int., S. 43). Das heißt auch, daß der Träger eines<br />
intentionalen Zustandes nicht die Kompetenz zu haben braucht, die ein Beschreibender<br />
hat. Die Fähigkeit, einen intentionalen Zustand haben zu können, erfordert<br />
nicht die Fähigkeit, diesen Zustand auch angemessen ausdrücken zu können. 96 Die<br />
95 Bei intentionalen Zuständen, die nicht propositional strukturiert sind (z.B. Liebe, Haß) muß zumindest<br />
die Bedingung der Gegenstandidentifikation erfüllt sein.<br />
96 Freilich ist zu fragen, ob der These der propositionalen Strukturiertheit von Wahrnehmungsgehalten
Unterscheidung von intentionalen Zuständen <strong>und</strong> Berichten über intentionale Zustände<br />
berücksichtigend, fragen wir weiter, ob die Rede von Gegenstandsidentifikation<br />
<strong>und</strong> "Prädikation" 97 im Rahmen der Tierwahrnehmung sinnvoll ist.<br />
Nun scheint nichts plausibler als die These, daß in der Tierwahrnehmung einzelne<br />
Gegenstände wahrgenommen werden. Die Schwierigkeit <strong>für</strong> Tiere scheint eher darin<br />
zu liegen, vom Einzelnen zum Allgemeinen zu kommen, d.h. die Ähnlichkeiten der<br />
einzelnen wahrgenommenen Gegenstände unabhängig von diesen Gegenständen als<br />
Ähnlichkeiten thematisieren zu können (Vgl. Schnädelbach 1997, S. 237 u. 241).<br />
Schnädelbach erinnert an Herder, der Merkmalsisolierung an die Möglichkeit des semiotischen<br />
Gebrauchs von akustischen Phänomenen knüpft. Die Fähigkeit zur Abstraktion<br />
erfordere die semiotische Fähigkeit der Verknüpfung von Merkmal <strong>und</strong><br />
Merkwort. Das Merkwort stünde dann <strong>für</strong> ein thematisiertes Merkmal. Da<strong>bei</strong> ist das<br />
Thematisieren eines Merkmals kein vorsprachlicher geistiger Akt, dem dann ein akustisches<br />
Phänomen zugewiesen wird - wodurch dieses zum Wort würde. Vielmehr<br />
wird dieses Herausgreifen eines Merkmals, die Konstitution des Allgemeinen also,<br />
erst durch den Gebrauch des Wortes ermöglicht. Schnädelbach faßt Herdes Position<br />
zusammen:<br />
"Nachahmung von akustischen Phänomenen kommt auch <strong>bei</strong> Tieren vor; das spezifisch<br />
Menschliche besteht nach Herder im semiotischen Gebrauch solcher Phänomene, der allein<br />
den Menschen durch Besonnenheit möglich ist. So lassen sich ihm zufolge Merkmale nur isolieren<br />
<strong>und</strong> reidentifizieren durch die Verwendung von Merkworten, die jeweils als Repräsentanten<br />
des Merkmals fungieren" (ebd., S. 237).<br />
Im Anschluß an Tugendhat ist nun zu fragen, ob diese semiotische Abhängigkeit des<br />
Allgemeinheitsbewußtseins nicht auch auf eine semiotische Abhängigkeit der Identifizierung<br />
von einzelnen Gegenständen hinweist. 98 In seinen Vorlesungen zur Einführung in die<br />
sprachanalytische Philosophie vertritt Tugendhat die These, daß in der Wahrnehmung<br />
nicht Einzelnes thematisiert ist, sondern Gleichartiges. Das Meinen von singulären<br />
Gegenständen ist demgegenüber an die Fähigkeit geknüpft, Allgemeines thematisieren<br />
zu können. Allgemeines <strong>und</strong> Einzelnes sind Komplementärbegriffe, deren Gegenbegriff<br />
das Gleichartige ist:<br />
nicht gerade eine Verwechslung von Bericht <strong>und</strong> intentionalem Zustand zugr<strong>und</strong>e liegt. Der Verdacht,<br />
daß die Grammatik der Beschreibungen <strong>für</strong> Behauptungen über die Struktur intentionaler Zustände implizit<br />
verantwortlich ist, liegt nahe. Die Verben »Überzeugen« <strong>und</strong> »Beabsichtigen« etwa verlangen im<br />
Deutschen in der Regel einen Nebensatz oder einen Infinitiv-mit-zu als objektive Bestimmung. Der Streit<br />
um die propositionale Verfaßtheit des Sehens kann dann durch die Grammatik von »Sehen« erklärt werden.<br />
Sehen kann man - wenn man die Grammatik unreflektiert ontologisch interpretiert - sowohl Gegenstände<br />
(»Ich sehe ein Mädchen«) als auch Sachverhalte (»Ich sehe, daß das Mädchen kurze, schwarze<br />
Haare hat«). Für <strong>Searle</strong> freilich sind grammatische Analysen Oberflächenphänomen. Insofern würde er<br />
die Prämissen dieser Argumentation anzweifeln. Dann allerdings bräuchte er ein anderes Kriterium, das<br />
die Frage der Propositionalität entschiede. Dieses allerdings sucht man vergebens.<br />
97<br />
Ich setze Prädikation in Anführungszeichen, da damit nicht gesagt sein soll, daß die Kompetenz der<br />
Prädikatsverwendung in Frage steht.<br />
98<br />
Wenn hier von Allgemeinheit <strong>und</strong> Einzelheit gesprochen wird, dann meint dies nicht die sprachliche<br />
Ebene der Verwendung von generellen <strong>und</strong> singulären Termini, sondern die Frage, wie Einzelnes <strong>und</strong><br />
Allgemeines überhaupt intendiert werden können
"Von der Sprachanalyse her gesehen ist das Bewußtsein von Einzelnem ein ebensowenig sinnliches,<br />
sondern logisches Phänomen wie das Bewußtsein von Allgemeinem [...]. Wir können<br />
[...] verstehen, wieso die traditionelle Philosophie den offenk<strong>und</strong>igen <strong>und</strong> in der Psychologie<br />
auch nie bezweifelten Sachverhalt, daß sich Wahrnehmung auf Gleichartiges bezieht, übersehen<br />
konnte: sie mußte die Kategorie des Einzelnen irgendwo unterbringen, <strong>und</strong> da sie auf die<br />
Satzform nicht reflektierte, blieb nur übrig, das Einzelne der Sinnlichkeit zuzuordnen" (Tugendhat,<br />
1976, S. 203).<br />
Diese Argumentation trifft sich mit Schnädelbachs These, daß dem nicht-semiotisch<br />
vermittelten Wahrnehmen, "niemals die logische Leistung des Etwas-Identifizierensals<br />
... oder gar die Verbindung von Referenz <strong>und</strong> Prädikation entsprechen könnte,<br />
denn immer fehlt die Differenz zwischen dem Allgemeinen <strong>und</strong> dem Besonderen<br />
[...]" (Schnädelbach, 1997, S. 242). 99<br />
Wir sahen bis hierhin, daß es wenig sinnvoll ist, eine propositionale Struktur der<br />
Wahrnehmungsgehalte anzunehmen, wenn dem Wahrnehmenden keine semiotische<br />
Kompetenz zugesprochen werden kann. Dieses Resultat läßt sich verallgemeinern.<br />
Jeder propositional strukturierte Gehalt ist von Interpretation <strong>und</strong> damit von der Fähigkeit<br />
des Symbolgebrauchs getragen. 100 Die semiotische Kompetenz ist da<strong>bei</strong> nicht<br />
auf eine natürliche Relation von Zeichen <strong>und</strong> Bezeichnetem reduzierbar, sondern erfordert<br />
geistige Tätigkeit, genauer gesagt, der semiotische Gebrauch ist die geistige<br />
Tätigkeit. Geistige Tätigkeit besteht in symbolisch vermittelter Repräsentation, geistige<br />
Akte sind nicht ablösbar von interpretativer Kompetenz. Der Klassiker der Semiotik<br />
Peirce hat die Nicht-Reduzierbarkeit der Interpretation (Drittheit) auf eine kausale<br />
Relation (Zweitheit) oder bloße Qualitäten (Erstheit) betont. Interessant ist, daß <strong>Searle</strong><br />
dieser These der Nicht-Reduzierbarkeit folgt, wenn er behauptet, daß sich institutionelle<br />
Tatsachen nicht auf natürliche Tatsachen (kausaler Natur) reduzieren lassen,<br />
sondern ein intentionale Leistung verlangen (Vgl. <strong>Searle</strong> 1995, S.54ff. <strong>und</strong> 78ff). Diese<br />
Leistung sieht <strong>Searle</strong> freilich, wie eben gesehen, nicht als semiotische Leistung an,<br />
sondern als "einfache" nicht weiter analysierbare intentionale Leistung des Geistes.<br />
Dies ist der eigentliche Streitpunkt. Im Anschluß an Peirce ist hervorzuheben, daß<br />
jegliche Repräsentation symbolisch vermittelt ist, daß Repräsentation gerade in der<br />
Symbolisierung besteht (Vgl. Peirce, 1868a, S. 54, 5.283).<br />
Damit ist die logische Möglichkeit einer intrinsischen, nicht medial konstituierten<br />
Repräsentation bestritten. Das mag in Erwiderung auf <strong>Searle</strong> genügen. Der problematisierte<br />
Fall der Tierwahrnehmung läßt aber noch die Frage zu, ob Tiere einer Symbolverwendung<br />
zugänglich sind. Schnädelbach kommt zum plausiblen Schluß, daß<br />
das angeborene Reiz-Reaktionsschema den Tieren nur Vorformen symbolischer Repräsentation<br />
gestattet, wo<strong>bei</strong> <strong>bei</strong> der "Grenzziehung zwischen Mensch <strong>und</strong> Tier" Vorsicht<br />
geboten sei. In diesem Zusammenhang ist auf Gehlens Anthropologie hinzu-<br />
99 Schnädelbach schließt hier an Plessner an, der den Tieren den Sinn <strong>für</strong>s Negative <strong>und</strong> somit die Bedingung<br />
<strong>für</strong> Abstraktion <strong>und</strong> Distanzierung von der jeweiligen Wahrnehmungssituation absprach.<br />
100 Wenn man Tugendhats These ernst nimmt, dann sind auch intentionale Gehalte, die nicht propositional<br />
strukturiert sind, sondern sich auf Einzelnes richten (Liebe, Haß) vom Satzverstehen abhängig. <strong>Searle</strong><br />
sagte ja in Speech Acts selbst, daß ein singulärer Gegenstand nicht unabhängig von Tatsachen intendiert<br />
werden kann. Tatsachen betreffen dann aber wieder die propositionale Ebene, so daß auch das Meinen<br />
von einzelnen Gegenständen an das Satzverstehen geknüpft ist.
weisen. Die fehlende Instinktgeb<strong>und</strong>enheit des "Mängelwesens" Mensch erfordert<br />
Schaffung von Orientierungen, die zunächst durch ganz praktische Überlebensstrategien<br />
bestimmt sind. Bevor die Dinge – in Herders Besonnenheit – betrachtet <strong>und</strong> die<br />
Merkmale in freier Assoziation herausgehoben werden konnten, bedurfte es eines<br />
langen Ar<strong>bei</strong>tsprozesses, der schrittweise neue Freiheitsgrade auch in der Zeichenverwendung<br />
ermöglichte. Die Herausbildung künstlerischer Produktion etwa zeugt<br />
von einem großen Freiheitsspielraum, in dem nicht mehr kurzfristigen Überlebensimperativen<br />
gehorcht wird. Die Dinge werden nicht mehr nur nach ihrem praktischen<br />
Wert klassifiziert, sondern in ästethischer, zweckfreier Einstellung in anderer Weise<br />
thematisiert. Die Als-Struktur des Meinens bleibt da<strong>bei</strong> aber erhalten, nur sind die<br />
Verweisungen andere.<br />
2.) Gemäß Intentionality sind die Erfüllungsbedingungen von intentionalen Zuständen<br />
nur innerhalb eines Netzwerkes von intentionalen Gehalten bestimmt. Was als Erfüllung<br />
eines intentionalen Zustandes gilt, hängt sozusagen vom Ort des Zustandes im<br />
intentionalen Universum eines Wesens ab (welches seinerseits nur vor einem Hintergr<strong>und</strong><br />
festliegt). Eine Überzeugung <strong>bei</strong>spielsweise bezieht sich nicht unmittelbar auf<br />
einen ihr korrespondierenden Sachverhalt, vielmehr hat sie ihre Wahrheitsbedingungen<br />
nur in einem Netz von anderen Wahrheitsbedingungen. Ein intentionaler Gehalt<br />
ist demgemäß nicht vornehmlich dadurch bestimmt, daß ihm, quasi in einer 1:1-<br />
Beziehung, ein Gegenstand zugeordnet wird, sondern indem er in einem Netzwerk<br />
von anderen intentionalen Gehalten seinen Platz findet.<br />
Man stellt sich dies am besten nach dem Modell eines sprachlichen Klassifikationssystems<br />
(Begriffsschema) vor, in dem jeder Begriff identifiziert ist, insofern er Gegenbegriffe,<br />
Oberbegriffe <strong>und</strong> Unterbegriffe hat, also in eine Struktur von Begriffen<br />
eingeordnet ist. Jeder Begriff kann dann durch andere Begriffe dargestellt, damit dann<br />
auch analysiert werden. Ihm kommt im Begriffsschema eine semantische Rolle zu.<br />
Das Attribut »salzig« ist u.a. dadurch bestimmt, daß es abgegrenzt ist von »süß«, »fade«,<br />
andrerseits mit den genannten Attributen unter den Begriff des Geschmacks<br />
fällt, welcher seiner abgegrenzt ist vom Begriff des Geruchs, des Hörens <strong>und</strong> Sehens.<br />
Er ist wiederum auf diese Begriffe verwiesen, weil alle in die Klasse der Wahrnehmungssinne<br />
gehören.<br />
Dieses recht geschmeidige holistische Modell, das sich in Speech Acts durch die Bündeltheorie<br />
schon andeutete, hat freilich einen Nachteil. Das Modell läßt sich gut am<br />
Beispiel von sprachlichen Klassifikationssystemen erläutern. Doch ohne die Differenzierungskapazität<br />
von Sprache oder eines anderen Mediums, ja überhaupt ohne<br />
Medium 101 ist eine derartige Verweisungsstruktur eines intentionalen Netzwerks nicht<br />
verständlich zu machen. Wie macht es ein mentales Erlebnis, daß es auf ein anderes<br />
verweist? Braucht man <strong>für</strong> diese interne Verweisung nicht ein Drittes (ein Mittel), das<br />
als Verweisungsträger, als tertium comparationes fungiert?<br />
Am nicht ganz unbeabsichtigt gewählten Beispiel der Erlebniswörter kann man das<br />
Problem deutlich machen. Der salzige Geschmack brennt zwar auf den Lippen <strong>und</strong><br />
101 Letztlich bieten sich viele Dinge als Medium an: ob nun Striche auf Papier, Laute usw. Doch, wie der<br />
Geist ohne Medien - direkt, intrinsisch – repräsentieren kann, erscheint mir unverständlich.
steckt nicht im Begriff des Salzigen. Ob etwas salzig ist oder nicht, kann man nur<br />
durch Kosten erkennen, doch vorher muß man wissen, was es heißt, daß etwas salzig<br />
ist. Dazu braucht man Begriffe, die die unterschiedlichen sinnlichen Erfahrungen miteinander<br />
koppeln, <strong>und</strong> Hinsichten bilden, die bestimmen, als was etwas gemeint ist.<br />
Erdbeeren <strong>und</strong> Paprikaschoten sehen rot aus, doch schmecken sie süß bzw. scharf. Der<br />
süße Geschmack einer Aprikose verweist nicht von selbst auf den süßen Geschmack<br />
einer anderen Aprikose, auch nicht auf den sauren Geschmack einer Gurke. Diese<br />
Verweisung ist eine produktive, interpretatorische Leistung. In anderen Hinsichten<br />
sind die Erlebnisse ganz anders aufeinander verwiesen, etwa, wenn nicht mehr die<br />
geschmackliche Komponente des Erlebnisses, sondern die visuelle thematisiert wird.<br />
Ich will nicht behaupten, daß eine ausgebildete Lautsprache Bedingung <strong>für</strong> die Möglichkeit<br />
einer derartigen Verweisungsfunktion ist. (Das wir die Welt allerdings in derartig<br />
vielen Hinsichten thematisieren können, wie wir es tun, liegt sicher auch an der<br />
Differenzierungsfähigkeit unseres Stimmorgans <strong>und</strong> an der Fähigkeit diese Differenzierungen<br />
auch akustisch unterscheiden <strong>und</strong> wiedererkennen zu können.) Meine Behauptung<br />
ist nur, daß ein Netzwerk von Erfüllungsbedingungen Verweisungen involviert,<br />
ja im Verweisen besteht, <strong>und</strong> daß dieses Verweisen per se auf Medien angewiesen<br />
ist. Dies liegt aber mit die Vorstellung eines intrinsischen Repräsentierens von Erfüllungsbedingungen<br />
im Streit. Wenn man schon von intrinsischem Repräsentieren<br />
spricht, dann sollte wenigstens die Vorstellung der Vernetztheit dieser Repräsentationen<br />
fallengelassen werden.<br />
3. ) <strong>Searle</strong> betont in Intentionality, daß der zentrale Begriff der Repräsentation nicht<br />
nach dem Modell einer Abbildrelation verstanden werden kann. Vielmehr repräsentiert<br />
ein Zustand einfach dadurch, daß er Erfüllungsbedingungen hat. Repräsentieren<br />
heißt gerade, Erfüllungsbedingungen haben. Insofern spricht <strong>Searle</strong> vom Repräsentieren<br />
auch <strong>bei</strong> Wünschen oder Absichten. Mehr soll Repräsentation nicht heißen.<br />
Die Erfüllungsbedingungen bestimmen, wie wir sahen, die Identität von intentionalen<br />
Zuständen. Die diversen psychischen Modi werden durch die Erfüllungsbedingungen<br />
dadurch festgelegt, daß diesen unterschiedliche Ausrichtungen zukommen. Doch<br />
auch der Repräsentationsgehalt der intentionalen Zustände, das Äquivalent zum propositionalen<br />
Gehalt <strong>bei</strong> Sprechakten, wird durch die Erfüllungsbedingungen fixiert.<br />
Die Überzeugung, daß draußen die Sonne scheint, wird von der Überzeugung, daß<br />
alle Menschen einen guten Kern haben, unterschieden, weil die genannten Überzeugungen<br />
verschiedene Wahrheitsbedingungen haben. Der Repräsentationsgehalt ist<br />
also durch eine Beziehung auf Wahrheit gekennzeichnet.<br />
Auch die intentionalen Zustände, die nicht Überzeugungen sind, haben Repräsentationsgehalte.<br />
Worin bestehen deren Erfüllungsbedingungen? Von Überzeugungen sind<br />
sie im Modus durch eine andere Ausrichtung unterschieden. Doch sind die Repräsentationsgehalte<br />
auch durch Wahrheitsbedingungen charakterisiert? Wünsche bspw.<br />
repräsentieren gemäß <strong>Searle</strong> manchmal die Handlungen, die eine Person ausführen<br />
soll:<br />
„Just as my order to Sam to leave the room is about Sam and represents a certain action on his<br />
part, so my desire that Sam should leave the room is about Sam and represents a certain action
on his part“ (Int., S.11).<br />
Worin besteht der Unterschied zwischen der Überzeugung, daß Sam ein Glas Wein anbietet<br />
<strong>und</strong> dem Wunsch, Sam möge ein Glas Wein anbieten. <strong>Searle</strong> verweist auf die<br />
Ausrichtung; diese bestimmt die psychischen Modi. Doch der Repräsentationsgehalt<br />
<strong>bei</strong>der Zustände soll identisch sein. Wodurch ist dieser Repräsentationsgehalt bestimmt?<br />
Die Ausrichtung der Zustände kommt, wie gesehen, nicht infrage, denn diese<br />
unterschied sich, während die Repräsentationsgehalte identisch sein sollten. Man wird<br />
sagen wollen, daß <strong>bei</strong>de Zustände dieselben Wahrheitsbedingungen haben <strong>und</strong> daß<br />
diese Identität den Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong> liefert, daß die Repräsentationsgehalte identisch sind.<br />
Doch Wahrheitsbedingungen kamen ja nur Überzeugungen zu, sie waren der Spezialfall<br />
der Erfüllungsbedingungen von Zuständen mit Geist-auf-Welt-Ausrichtung. Der<br />
Wahrheitsbegriff ist an diese bestimmte Ausrichtung geknüpft. Anderen Klassen von<br />
intentionalen Zuständen kann dieser Begriff nicht einfach untergeschoben werden.<br />
Insofern ist die gegebene Antwort, Wahrheitsbedingungen legten den Repräsentationsgehalt<br />
fest, untauglich.<br />
Alternativ könnte man behaupten, jeglicher Wunsch, jede Absicht, letztlich alle intentionalen<br />
Zustände <strong>bei</strong>nhalteten Überzeugungen, die den jeweiligen intentionalen Zuständen<br />
erst ihre gegenständliche Richtung gäben. Insofern wären Absichten <strong>und</strong><br />
Wünsche keine einfachen Zustände, sondern zusammengesetzt. Intentionalität, im<br />
Sinne von Sachverhaltsbezogenheit, käme dann originär nur Überzeugungen zu. Die<br />
anderen intentionalen Zustände leiteten ihren Gegenstandsbezug vom Bezug der Überzeugungen<br />
ab. Zwei Interpretationsmöglichkeiten müssen also unterschieden werden.<br />
A) Die Überzeugung, die den Gegenstandsbezug liefert, ist mit Geist-auf-Welt-<br />
Ausrichtung ausgestattet. Dies ist die zunächst plausible Auffassung, da Überzeugungen<br />
ja erst durch diese Ausrichtung zu Überzeugungen werden. Insofern die Geistauf-Welt-Ausrichtung<br />
auf Wahrheit bezogen ist, könnte der Repräsentationsgehalt<br />
von allen intentionalen Zuständen auch über Wahrheitsbedingungen geklärt werden.<br />
Dies würde gestützt durch die Analyse des Prädikationsaktes in Speech Acts, die den<br />
propositionalen Gehalt, also das sprachliche Äquivalent des Repräsentationsgehaltes,<br />
betraf. Denn wir sahen, daß <strong>Searle</strong> die Analyse des Prädikationsaktes mithilfe des<br />
Wahrheitsbegriffs durchführte. In diesem Modell allerdings bliebe die Frage, wieso<br />
der gesamte intentionale Zustand eine andere Ausrichtung haben kann als die <strong>bei</strong>nhaltete<br />
Überzeugung, unbeantwortet. Die Geist-auf-Welt-Ausrichtung der Überzeugung<br />
müßte etwa innerhalb von Wünschen oder Absichten außer Kraft gesetzt sein.<br />
Wie dies funktionieren soll, ist unklar. Außerdem fragt es sich, was mit den Überzeugungszuständen<br />
selbst ist. Deren Repräsentationsgehalt soll ja auch unterschieden<br />
werden vom psychischen Modus, den die Ausrichtung festlegt. Damit wäre man aber<br />
wieder <strong>bei</strong>m Ausgangsproblem. Ist der Repräsentationsgehalt einer Überzeugung etwa<br />
durch eine weitere Überzeugung bestimmt, die die Gesamtüberzeugung f<strong>und</strong>iert.<br />
Ein infiniter Regreß wäre die Folge.<br />
B) Die eben betrachteten Schwierigkeiten legen den Schluß nahe, daß nicht eine vollständige<br />
Überzeugung den Repräsentationsgehalt darstellt, sondern daß der Gehalt irgendwie<br />
anders bestimmt ist. Das würde <strong>für</strong> die Gehalte aller intentionalen Zustände
gelten. Dadurch wäre auch die Austauschbarkeit von psychischen Modi <strong>bei</strong> gleichzeitigem<br />
Konstantbleiben des Repräsentationsgehaltes besser erklärbar. Ein unabhängig<br />
von der Ausrichtung (<strong>und</strong> damit von Wahrheit) bestimmter Repräsentationsgehalt<br />
könnte eben mit beliebigen Modi kombiniert werden. Die Gehalte wären so unabhängig<br />
von Modi, in denen sie vorkommen. Diese Kombinationsfähigkeit stellt einen<br />
Tatbestand dar, auf den <strong>Searle</strong> nicht verzichten will. 102 Insofern scheint mir dieses<br />
Modell den Interessen des Autors eher entgegenzukommen. Doch stellt sich diesbezüglich<br />
natürlich wider die Frage, wie der Repräsentationsgehalt denn bestimmt ist.<br />
Dem Wahrheitsbegriff kann in diesem Rahmen keine Erklärungsrolle zukommen,<br />
denn dieser war ja <strong>für</strong> die Geist-auf-Welt-Ausrichtung reserviert, also nur <strong>für</strong> die Modi,<br />
noch dazu nur <strong>für</strong> eine Klasse von Modi. Einen zweiten Wahrheitsbegriff <strong>für</strong> die<br />
Repräsentationsgehalte einzuführen, wäre wenig sinnvoll, da dessen Verhältnis zum<br />
Wahrheitsbegriff im Sinne der Geist-auf-Welt-Ausrichtung zu klären wäre. Stehen<br />
andere Erklärungsalternativen bereit? Das scheint nicht der Fall zu sein, es sei denn<br />
man läßt traditionelle Ansichten wieder aufleben. Der Begriffe des psychisch Gegebenen<br />
oder der Vorstellung etwa stünden bereit. Der Weltbezug wäre dann letztlich<br />
durch eine Art Abbildverhältnis, durch eine natürliche Beziehung - wie immer man<br />
dies im einzelnen ausbuchstabieren will - geleistet, wo<strong>bei</strong> die Vorstellung oder das<br />
psychisch Gegebene aufgr<strong>und</strong> von Ähnlichkeit oder kausaler Mechanismen die Dinge<br />
der Welt repräsentierte. Damit verstrickt man sich wieder in Probleme, mit denen<br />
noch Husserl zu kämpfen hatte <strong>und</strong> die er nicht lösen konnte. 103 Außerdem lehnt<br />
<strong>Searle</strong> ein derartiges Verständnis von Repräsentation, wie gesehen, ausdrücklich ab.<br />
<strong>Searle</strong>s Modell, so läßt sich resümieren, kann den Begriff des Repräsentationsgehaltes<br />
nicht klären. Der einzig perspektivenreiche Erklärungsversuch über den Begriff der<br />
Wahrheitsbedingungen scheitert, weil Wahrheit nur die Ebene der psychischen Modi<br />
betrifft, insofern nämlich die Ausrichtung der Zustände in Frage steht. Eine ähnlich<br />
gelagerte Schwierigkeit bestand schon im Rahmen der Sprechakttheorie. Der Akt der<br />
Prädikation sollte das Zukommen eines Prädikatausdrucks hinsichtlich eines Gegenstandes<br />
zur Sprache bringen. Auch hier hätte eigentlich nur der Wahrheitsbegriff Klärung<br />
schaffen können, der war aber <strong>für</strong> Assertive reserviert gewesen. Die Scheinlösung<br />
der Sprechakttheorie, die letztlich nur in einer vagen Formulierung besteht,<br />
pflanzt sich in die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> fort, ohne darin Erhellung zu finden.<br />
4.) Die Punkte 1-3 betrafen insbesondere die Frage, wie der Repräsentationsgehalt<br />
von intentionalen Zuständen bestimmt ist, v.a. vor dem Hintergr<strong>und</strong>, daß der Sprache<br />
keine Erklärungsrolle zukommen sollte. Das Meinen von Gegenständen bzw.<br />
Sachverhalten bildete aber nur einen Aspekt der Intentionalität. Thematisiert sind<br />
Gegenstände bzw. Sachverhalte immer in einer bestimmten Weise, in einem Modus,<br />
um <strong>Searle</strong>s Terminologie zu gebrauchen. Wenn eben bezweifelt wurde, daß der Repräsentationsgehalt<br />
ohne Rekurs auf Sprachlichkeit (oder ein anderes Repräsentati-<br />
102 Damit wäre allerdings die Modus-Variabilität, auf der Tugendhat besteht <strong>und</strong> die <strong>Searle</strong> in Speech<br />
Acts anerkennt, zugunsten einer Modus-Neutralität aufgegeben.<br />
103 Die ganze eben dargestellte Kritik ist an eine Argumentation Husserls in den Logischen Untersuchungen<br />
angelehnt. Die Unterscheidung von setzenden <strong>und</strong> nicht-setzenden Vorstellungen hat hier ihren Ursprung.
onsmedium) erklärt werden kann, dann liegt es nahe, die Fragestellung auch auf die<br />
psychischen Modi auszudehnen. Wenn man zudem <strong>Searle</strong>s Vorgehen in Intentionality<br />
bedenkt, nämlich die Taxonomie der illokutionären Rollen auf eine Taxonomie der<br />
psychischen Modi abzubilden, dann kann man leicht zu dem Schluß kommen, daß<br />
<strong>Searle</strong>s Unterscheidung der Modi letztlich noch im Horizont der Sprechakttheorie<br />
steht <strong>und</strong> nur innerhalb dieses Rahmens verstehbar ist.<br />
Von genuinem Interesse <strong>für</strong> die vorliegende Untersuchung ist dieses Problem v.a.<br />
deshalb, weil hier entschieden wird, ob die Analyse illokutionärer Akte durch eine<br />
Theorie der geistigen Intentionalität f<strong>und</strong>iert werden kann. Viele Autoren sahen es<br />
gerade als originäre Leistung der Sprechakttheorie an, den illokutionären Bestandteil<br />
der Bedeutung aufgezeigt zu haben, <strong>und</strong> zwar als kommunikationsabhängigen, d.h. von<br />
Kommunikation bestimmten Teil der Bedeutung. 104 Die illokutionären Akte sind in diesem<br />
Verständnis per se kommunikative Akte, sie sind überhaupt nur im Rahmen eines<br />
Sprecher-Hörer-Modells analysierbar, weil sie eine bestimmte Weise einer interpersonalen<br />
Beziehung darstellen.<br />
Daß <strong>Searle</strong> nun selbst den illokutionären Bestandteil der Sprechakte im Rahmen der<br />
<strong>Intentionalitätstheorie</strong> aufklären will, das mag <strong>für</strong> den Leser von Speech Acts überraschend<br />
gewesen sein. Doch schon in ‚A taxonomy of illocutionary acts‘ gebrauchte<br />
<strong>Searle</strong>, wie wir sahen, den Begriff der Ausrichtung, der nicht sprachpragmatisch ausgewiesen<br />
wurde. Insofern mag man auch <strong>für</strong> diesen Teil der <strong>Searle</strong>schen Entwicklung<br />
sagen, daß sie kontinuierlicher vonstatten ging, als es Habermas <strong>und</strong> Apel erscheinen<br />
lassen, freilich auch nicht so kontinuierlich, wie es <strong>Searle</strong> selbst darstellt.<br />
Kann <strong>Searle</strong> die psychischen Modi unabhängig von der Taxonomie der illokutionären<br />
Akte klassifizieren? 105 Oder sind Überzeugungen, Absichten, Wünsche, Gefühle nur<br />
durch das Verstehen des illokutionären Witzes der entsprechenden Sprechakte als<br />
diese wohl unterschiedenen Modi verstehbar? Anders gefragt, ist die Ausrichtung von<br />
intentionalen Zuständen nicht nur vor dem Hintergr<strong>und</strong> einer Sprecher-Hörer-<br />
Situation verständlich?<br />
<strong>Searle</strong> behandelt die Ausrichtung als nicht analysierbares Gr<strong>und</strong>phänomen. Metaphorisch<br />
bleibt die Kennzeichnung des Passens an die Welt, unzureichend die Charakterisierung<br />
des Verantwortlichseins <strong>für</strong> das Fehlgehen eines Zustandes (Vgl. Int.,<br />
S.23f.). In Kapitel 2.3. wurde angedeutet, daß eventuell die intentionale Kausalität die<br />
unterschiedlichen Ausrichtungen erklären könnte. Die Überzeugungen wären durch<br />
die Welt kausal bestimmt, insofern müßten sie zur Welt passen. Bei Wünschen <strong>und</strong><br />
Absichten wären diese Zustände selbst kausal verantwortlich da<strong>für</strong>, wie die Welt zu<br />
sein hat. Dieses Modell ist freilich inakzeptabel. Einerseits kann man nur zwei Arten<br />
von psychischen Modi auseinanderhalten, zum anderen ist die Rede von Kausalität<br />
im gegebenen Kontext unverständlich. Kausale Beziehungen können nicht fehlgehen,<br />
auch ist Verantwortlichkeit innerhalb einer kausalen Beziehung nicht zuschreibbar.<br />
Kausalität kann daher den Begriff der Ausrichtung nicht verständlich machen. Da<br />
hilft es auch nichts, das Attribut »intentional« vor den Kausalitätsbegriff zu stellen.<br />
104 Vgl. Habermas, 1976, 226ff., Leilich, 1993, S. 46f.; v. Savigny, 1993,156ff.<br />
105 Diese Frage ist zu unterscheiden von dem Problem, ob die Differenziertheit der illokutionären Rollen<br />
durch eine ähnliche Differenziertheit der psychischen Modi gedeckt ist. Letzteres behauptet <strong>Searle</strong> gar<br />
nicht, wir werden es <strong>bei</strong> der Besprechung von Apels <strong>und</strong> Habermas‘ Kritik sehen (Kap. 4.2.).
Selbst wenn zugestanden wird, daß eine kausale Beziehung in einem Erlebnis zugänglich<br />
ist, ja zum Gehalt eines intentionalen Zustandes gehört, fragt es sich immer noch,<br />
wie die kausale Beziehung scheitern, d.h. nicht erfüllt sein kann. Kann man im Falle<br />
einer Halluzination sagen, daß eine kausale Beziehung nicht erfüllt ist, weil das Erlebnis<br />
nicht durch den Gegenstand verursacht wurde, der im intentionalen Gehalt vorkommt?<br />
Hier<strong>bei</strong> handelt es sich doch vielmehr um den Fall, daß die Überzeugung<br />
über eine kausale Relation nicht erfüllt, d.h. falsch ist. Die kausale Relation selbst verweist<br />
nicht von sich aus auf eine Erfüllung oder Nicht-Erfüllung. Diese Differenz ist<br />
nicht kausalistisch verstehbar. Der Begriff der Ausrichtung von intentionalen Zuständen<br />
kann demnach auch nicht kausalistisch interpretiert werden. Er bleibt im<br />
<strong>Searle</strong>schen Theorierahmen ungeklärt.<br />
Diese unbefriedigende Konsequenz mag man vielleicht noch akzeptieren. Es gibt aber<br />
außerdem ein weiteres Problem mit der Ausrichtung <strong>bei</strong>m Modus des Wünschens.<br />
Person S wünscht sich, daß Person P eine Handlung vollzieht. In einem direktiven<br />
Sprechakt von S kann P’s Handlung erbeten werden, <strong>und</strong> zwar so, daß die<br />
Handlung durch den Sprechakt bedingt ist. Man muß nun fragen, ob es nicht zum<br />
Gehalt des ausgedrückten Wunsches gehören muß, daß der Adressat die erwünschte<br />
Handlung ausführt <strong>und</strong> die Handlung des Adressaten da<strong>bei</strong> aufgr<strong>und</strong> der Akzeptanz<br />
des Sprecherwunsches erfolgt. <strong>Searle</strong> würde erwidern, daß es <strong>für</strong> den Wunsch des<br />
Sprechers zunächst irrelevant ist, welche Gründe der Hörer hat, den ausgedrückten<br />
Wunsch zu erfüllen. Der Sprecher wünscht sich eine bestimmte Handlung der Person<br />
P <strong>und</strong> damit hat sich die Analyse. Doch betrifft die Handlung der Person P zunächst<br />
nur den Repräsentationsgehalt des Wunsches, der Modus des Wünschens ist damit noch<br />
nicht erklärt. Genausogut könnte der Sprecher die Überzeugung haben, daß Person P<br />
die Handlung vollziehen wird.<br />
Ist eine Beziehung zwischen Wunsch <strong>und</strong> erwünschter Handlung denkbar, die unterschieden<br />
wäre von der Beziehung zwischen Überzeugung <strong>und</strong> Handlung? Zwar läßt es sich<br />
sagen, daß eine bestimmte Handlung einen Wunsch erfüllt, doch dies gilt auch <strong>für</strong> die<br />
Überzeugung. Mir scheint dagegen, daß erst durch das Ausdrücken des Wunsches in<br />
einem direktiven Sprechakt der spezifische Weltbezug der Wunsch-Ausrichtung erklärt<br />
werden kann. Folgende Erwägung macht dies deutlich.<br />
Die Erfüllung eines Wunsches kann man sozusagen nicht selbst herstellen. Die Angewiesenheit<br />
des Wünschens auf einen Faktor, der nicht im Verfügungsbereich des<br />
Wünschenden steht, ist konstitutiv <strong>für</strong> den Modus des Wünschens, dadurch unterscheidet<br />
sich der Wunsch von der Absicht. Freilich kann eine Überzeugung auch<br />
nicht selbst auch nicht ihre Wahrheit herstellen, doch ist diese Ausrichtung eine andere.<br />
Die Unabhängigkeit der Welt vom intentionalen Zustand besteht <strong>bei</strong>m Wunsch<br />
eben nicht. Wiederum ist die Welt auch nicht direkt beeinflußbar durch den Wunsch,<br />
dann wäre es eine Absicht. Das Modell, das den Wunsch nur erklären kann, ist das<br />
der Bitte. Nur vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Bittens oder eines ähnlichen Sprechaktes<br />
kann man verstehen, was mit Wünschen gemeint ist. Die Welt ist in der Bitte zwar<br />
beeinflußbar, sie ist nicht als unabhängige thematisiert, aber dieser Einfluß ist nicht<br />
kausaler Art. Der Hörer muß die Bitte akzeptieren. Dieses indirekte Moment des Bittens<br />
erklärt die Spezifik der Wunsch-Ausrichtung.<br />
Die Ausrichtung von Wünschen kann demzufolge nur analysiert werden, wenn der
direktive Sprechakt, dessen Aufrichtigkeitsbedingung der Wunsch ist, mitgedacht<br />
wird. Erst vor dem Hintergr<strong>und</strong> einer Sprecher-Hörer-Beziehung gewinnt die Rede<br />
von der spezifischen Ausrichtung von Wunsches Sinn. 106 Dies gilt selbst <strong>für</strong> Wüsche,<br />
die sich nicht auf eine Handlung einer anderen Person beziehen. Es gibt keinen konkreten<br />
Adressaten derartiger Wünsche, sie werden aber in der Einstellung vollzogen,<br />
als gäbe es einen Adressaten, der den Wunsch wahr machen könnte. 107<br />
5.) Liefert <strong>Searle</strong>s Bedeutungstheorie in Intentionality ein Kriterium, um die Sprechaktklasse<br />
der Expressiva von anderen Klassen abzugrenzen? Sie muß dies leisten können,<br />
da <strong>Searle</strong> behauptet, daß die f<strong>und</strong>amentalen Unterscheidungen 108 der Sprechakttheorie<br />
durch die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> begründet werden können. Zunächst mag es<br />
scheinen, als seien die Expressiva <strong>für</strong> <strong>Searle</strong> am leichtesten zu klären, denn diese<br />
Klasse drückt intentionale Zustände ja nur aus. Insofern scheint dies das Paradigma<br />
<strong>für</strong> <strong>Searle</strong>s Bedeutungstheorie zu sein, denn Bedeutung entstand nach <strong>Searle</strong> ja dadurch,<br />
daß intentionale Zustände in einer Äußerung ausgedrückt werden. Man könnte<br />
sogar der Ansicht sein, daß die anderen Klassen der Sprechakte in <strong>Searle</strong>s Bedeutungstheorie<br />
an die Spezifik der Expressiva angeglichen werden, insofern es eben <strong>bei</strong><br />
allen Klassen ums Ausdrücken intentionaler Zustände gehen soll. Der Unterschied<br />
wäre einzig, daß in assertiven Sprechakten Überzeugungen, in direktiven Wünsche, in<br />
kommissiven Absichten <strong>und</strong> in expressiven alle Zustände ausgedrückt würden. Dies<br />
bringt freilich die Frage auf den Tisch, wie ein expressiver Ausdruck einer Überzeugung<br />
- dies muß ja auch möglich sein - von einem assertiven Ausdruck einer Überzeugung<br />
abgegrenzt werden kann. Man wird sagen müssen, daß <strong>bei</strong> assertiven Sprechakten der<br />
Sprecher auf die Wahrheit der Überzeugung festgelegt wird, <strong>bei</strong> expressiven nicht.<br />
Diese Rede vom Festgelegtsein macht m.E. aber nur Sinn vor dem Hintergr<strong>und</strong> eines Anspruches,<br />
den ein Hörer geltend machen kann. Insofern kommen an dieser Stelle pragmatische Aspekte ins<br />
Spiel.<br />
<strong>Searle</strong> müßte erwidern, daß auch durch die bloße Repräsentationsabsicht - also ohne<br />
Rekurs auf die Kommunikationssituation <strong>und</strong> Intentionen in bezug auf den Hörer -<br />
eine Unterscheidung zwischen expressiven Ausdrücken <strong>und</strong> Ausdrücken anderer<br />
Klassen möglich ist. Er würde natürlich behaupten, daß das Verleihen der Ausrichtung<br />
eben diese Unterscheidung konstituiert. Einmal wird eben Wort-auf-Welt-<br />
Ausrichtung verliehen, das andere Mal eine Null-Ausrichtung. Hierin steckt allerdings<br />
ein Problem, was die Expressiva nicht zum Paradigma, sondern zur Schwierigkeit <strong>für</strong><br />
<strong>Searle</strong>s Bedeutungstheorie werden läßt. Die Bedeutungsabsicht sollte ja darin beste-<br />
106 Zu einem ähnlichen Ergebnis komme ich <strong>bei</strong> der Analyse der Klasse der intentionalen Zustände ohne<br />
Ausrichtung, dem Äquivalent der Expressiva. Vgl. Punkt 5).<br />
107 Das (Bitt-)Gebet drückt einen Wunsch aus, der nur vor dem Hintergr<strong>und</strong> eines Sprecher-Hörer-<br />
Modells verständlich ist. Insofern in modernen Zeiten die Existenz das allmächtigen Hörers bezweifelt<br />
wird, bleibt nur noch die Form dieses Modells bestehen, ohne daß auf einen konkreten Adressaten verwiesen<br />
wird.<br />
108 In seiner Antwort auf Habermas‘ Kritik behauptet <strong>Searle</strong>, die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> könne zwar nicht<br />
alle Unterscheidungen der Sprechakte erklären, das sei häufig Sache sozialer Konventionen, das Skelett<br />
der Sprechakttheorie allerdings muß durch die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> gedeckt sein. Die Abgrenzung der<br />
Sprechaktklassen betrifft dieses Skelett. Vgl. dazu auch das nächste Kapitel vorliegender Untersuchung,<br />
in dem Habermas‘ <strong>und</strong> Apels Kritik an <strong>Searle</strong> (4.2.) diskutiert wird.
hen, der Äußerung die Erfüllungsbedingungen zu verleihen, die der intentionale Zustand<br />
hat. Die Erfüllung der Bedeutungsabsicht hat also nichts mit der Erfüllung des<br />
ausgedrückten intentionalen Zustand zu tun. Worin besteht aber <strong>bei</strong> Expressiven der<br />
Unterschied zwischen den Erfüllungsbedingungen der Bedeutungsabsicht <strong>und</strong> den<br />
Erfüllungsbedingungen des ausgedrückten intentionalen Zustandes? Wie kann man<br />
sich die Erfüllungsbedingungen des ausgedrückten intentionalen Zustandes überhaupt<br />
denken? Kann ein Gefühl der Freude über ein Prüfungsergebnis irgendwie erfüllt<br />
sein? Die Rede von Erfüllungsbedingungen macht <strong>bei</strong> Gefühlen m.E. gar keinen<br />
Sinn. Ein expressiver Sprechakt freilich kann erfüllt sein, nämlich dann, wenn der ausgedrückte<br />
Zustand <strong>bei</strong>m Sprecher tatsächlich besteht, wenn also die Aufrichtigkeitsbedingung<br />
erfüllt ist. Doch die Übertragung dieser Rede von der Erfüllung eines expressiven<br />
Sprechaktes auf den ausgedrückten intentionalen Zustand selbst hat keinen<br />
Sinn. Dies funktioniert deshalb nicht, weil die Aufrichtigkeitsbedingung im Bereich<br />
des Mentalen keine Anwendung findet. Es ist in gewisser Weise sinnlos zu fragen, ob<br />
die Freude, die ich empfinde, tatsächlich besteht. Ein Hörer kann dies mit Blick auf<br />
einen expressiven Sprechakt eines Sprechers fragen. Er kann sich fragen, ob der<br />
Sprecher die Freude wirklich empfindet. Doch der Sprecher selbst kann sich dies<br />
nicht fragen. Die Aufrichtigkeitsbedingung ist <strong>für</strong> den mentalen Bereich außer Kraft<br />
gesetzt, worin können aber dann noch die Erfüllungsbedingungen von Freude, Angst,<br />
Trauer usw. bestehen? Ich sehe keine Möglichkeit, dieser Rede Sinn abzugewinnen.<br />
Damit ist aber auch klar, daß die Sprechaktklasse der Expressiva nicht durch intentionalitätstheoretische<br />
Unterscheidungen abgegrenzt werden kann. Vielmehr bedürfen<br />
diese Sprechakte immer einer Sprecher-Hörer-Situation, damit die Aufrichtigkeit in<br />
Frage gestellt werden kann. Es ist die Aufrichtigkeitsbedingung, welche die besagte<br />
Klasse konstituiert. Diese Bedingung kommt aber nicht dem ausgedrückten intentionalen<br />
Zustand selbst zu, insofern kann sie auch nicht qua Bedeutungsabsicht verliehen<br />
werden. Man muß resümieren, daß <strong>Searle</strong>s Theorie der Bedeutungsverleihung das<br />
Skelett der Sprechakttheorie nicht aus sich heraus begründen kann, da eine Klasse<br />
von Sprechakten (Expressiva) nicht gemäß des Schemas „Verleihung von Erfüllungsbedingungen“<br />
erklärt werden kann.<br />
Was dieses Resultat angeht, so sei noch hinzugefügt, daß auch die deklarativen<br />
Sprechakte nicht dadurch erklärt werden können, daß irgendwelche Erfüllungsbedingungen<br />
intentionaler Zustände verleihen werden. Man weiß im Falle von Deklarativen<br />
gar nicht, welche intentionalen Zustände hier ausgedrückt werden sollten. Deklarative<br />
sagen nichts aus über die Wünsche, Überzeugungen, Gefühle <strong>und</strong> Absichten<br />
eines Sprechers, sie sind davon weitgehend losgelöst. (Das ist ja gerade die Errungenschaft<br />
von derartigen <strong>Institut</strong>ionen, daß nicht die individuelle Eigenart einer Person,<br />
sondern einfach das Innehaben einer Funktion den Erfolg bzw. die Geltung einer<br />
Handlung sichert.) Ob ein Sprechakt korrekt als deklarativ beschrieben werden kann,<br />
hängt demnach nicht von zum Ausdruck gebrachten intentionalen Zuständen des<br />
Sprechers ab, sondern von einer klar umrissenen institutionellen Norm. Die Einhaltung<br />
dieser Norm kann in der Regel ohne Rekurs auf die Zustände des Sprechers überprüft<br />
werden. Seine Äußerung hat eine bestimmte Bedeutung, <strong>und</strong> diese ist unabhängig<br />
von einer Bedeutungsabsicht.<br />
Punkt 4) mit in Rechnung gezogen, kann zu Recht behauptet werden, daß <strong>Searle</strong>s In-
tentionalitätstheorie direktive, expressive <strong>und</strong> deklarative Sprechakte nicht aus sich<br />
selbst heraus erklären kann, da entweder keine korrespondierenden intentionalen Zustände<br />
ausgemacht werden können (Deklarative) oder aber die korrespondierenden<br />
Zustände selbst nur durch Rekurs auf eine Sprecher-Hörer-Situation geklärt werden<br />
können (Direktive, Expressive).<br />
6.) In Intentionality ist das Abhängigkeitsverhältnis von Hintergr<strong>und</strong>, Sprache <strong>und</strong><br />
Geist eingleisig gedacht: die intentionalen Zustände sind nur vor einem Hintergr<strong>und</strong><br />
bestimmt, die sprachliche Intentionalität ist wiederum abhängig von der geistigen Intentionalität<br />
<strong>und</strong> damit dann auf zweiter Ebene auch vom Hintergr<strong>und</strong>. Doch scheint<br />
andrerseits weder der Hintergr<strong>und</strong> bestimmt durch geistige Intentionalität, noch ist<br />
die geistige Intentionalität bestimmt durch sprachliche Intentionalität. Dagegen ist es<br />
mir wichtig zu betonen, daß Hintergr<strong>und</strong>, Sprache <strong>und</strong> intentionale Zustände wechselseitig<br />
aufeinander bezogen <strong>und</strong> miteinander verflochten sind. 109 Auch <strong>Searle</strong>s neuere<br />
Ar<strong>bei</strong>ten betonen die Bedeutung der <strong>Institut</strong>ion »Sprache« <strong>für</strong> die Konstitution institutioneller<br />
Tatsachen, die, gemäß Intentionality, in den Bereich des lokalen kulturellen<br />
Hintergr<strong>und</strong>es eingeordnet werden müßten. Alle institutionellen Tatsachen sind<br />
durch Sprache mit konstituiert, d.h. Sprache wird als notwendige Bedingung <strong>für</strong> das<br />
Aufstellen <strong>und</strong> Perpetuieren institutioneller Tatsachen angesehen (Vgl. <strong>Searle</strong> 1995,<br />
S.69ff.).<br />
Diese These begründet <strong>Searle</strong>, indem er die Möglichkeitsbedingungen von konstitutiven<br />
Regeln aufzeigt. Konstitutive Regeln haben die Form: „X zählt als Y“. Dieses<br />
Zählen läßt sich nicht auf natürliche Eigenschaften der Entität zurückführen, die mit<br />
dem X-Terminus bezeichnet wird. Dieser nicht-natürliche (nicht-kausale) Übergang<br />
von der X-Ebene zur Y-Ebene soll nun Sprache erfordern. Ich verstehe <strong>Searle</strong> hier<br />
so, daß Wesen ohne Sprache die nicht-natürliche Ebene nie erreichen können. Vielmehr<br />
sind es die natürlichen Eigenschaften der X-Entität, die festlegen, als was die Y-<br />
Entität zählt. Genau genommen, darf man hier gar nicht vom Zählen sprechen. Wieso<br />
ist nun die Sprache notwendig, um die institutionelle, nicht-natürliche (deontische)<br />
Ebene zu erreichen?<br />
Ohne der ganzen Komplexität der Theorie der institutionellen Tatsachen hier nachgehen<br />
zu können, läßt sich doch in bezug auf die Sprachabhängigkeit konstitutiver<br />
Regeln <strong>und</strong> damit institutioneller Tatsachen folgende Antwort geben. Ex negativo<br />
läßt sich zunächst sagen, daß Wahrnehmungen nur Zugang zu natürlichen Eigenschaften<br />
bieten. Man kann die Farbe eines Geldscheines wahrnehmen, man kann aber<br />
nicht die Funktion dieses Scheines wahrnehmen, man kann nicht wahrnehmen,<br />
daß das Stück Papier Geld ist. Zu Geld wird das Papier dadurch, daß sich Benutzer<br />
darauf geeinigt haben, es als Geld zu betrachten. Eine institutionelle Tatsache besteht<br />
nur, weil geglaubt wird, daß sie existiert - sie ist ontologisch subjektiv. Dieser Glaube<br />
109 Man könnte den reinen Symbolismus der Mathematik als Kronzeugen <strong>für</strong> die Behauptung anführen,<br />
daß symbolische Repräsentation bestimmend <strong>für</strong> die Entwicklung von Techniken <strong>und</strong> Handlungsmöglichkeiten<br />
ist, die dann wieder neue intentionale Zustände hervorbringen. Die sozialen Techniken sind ja<br />
nicht gottgegeben, sondern sie entwickeln sich <strong>und</strong> werden auch planvoll entwickelt. Die Entwicklung<br />
der meisten meschlichen Lebensformen lassen sich ohne die Möglichkeit von Sprachen nicht denken.
aber ist aus folgendem Gr<strong>und</strong> sprachabhängig. Eine natürliche Tatsache als etwas zu<br />
betrachten, das selbst nicht natürlich ist, ist selbst eine Symbolisierung. Sprache bzw.<br />
Symbole sind Entitäten, die auf etwas verweisen, was nicht in ihren natürlichen Eigenschaften<br />
liegt. Insofern ist das Repräsentieren-als-etwas selbst ein sprachlicher<br />
Schritt (Vgl. ebd., S.76ff.).<br />
Diese <strong>Searle</strong>sche Antwort ist überraschend. Darin liegt die Konsequenz, daß eine<br />
Vielzahl unserer intentionalen Zustände (unserer Gedanken) de facto sprachabhängig<br />
sind. Alle Zustände, die sich auf institutionelle Tatsachen beziehen, können nur Wesen<br />
mit Sprache zugeschrieben werden. Die These der Sprachunabhängigkeit der intentionalen<br />
Zustände wird damit stark relativiert. Nur noch Zustände, deren intentionaler Gegenstand<br />
ein natürliches Objekt ist <strong>und</strong> deren Gehalt diesen Gegenstand als natürlichen<br />
Gegenstand meint, sind sprachunabhängig. In der letzten Formulierung liegt freilich<br />
schon ein nächstes Problem. Kann man etwas als natürliches Objekt meinen, ohne<br />
eine symbolisierende Fähigkeit zu haben. Ist die Differenz von Natürlichkeit <strong>und</strong> <strong>Institut</strong>ionalität<br />
nicht selbst ein Produkt symbolischer Tätigkeit? <strong>Searle</strong> würde wohl entgegnen,<br />
daß ein Tier ein Objekt nicht als natürliches wahrnimmt, sondern eben<br />
schlicht so, wie es ist. Insofern aber die Als-Struktur des Symbolisierens hier nicht<br />
greift, ist auch die propositionale Struktur der intentionalen Gehalte - auf der <strong>Searle</strong><br />
immer noch besteht (Vgl. ebd., 72) - nicht mehr verständlich. Das hatte ich unter<br />
Punkt 1) ausgeführt. Doch selbst wenn dies <strong>für</strong> Tiere gelten mag, der einer symbolischen<br />
Repräsentation fähige Mensch kennt die Differenz von Natürlichkeit <strong>und</strong> <strong>Institut</strong>ionalität<br />
- darin besteht ja, wie <strong>Searle</strong> selbst ausgewiesen hat gerade das Wesen des<br />
Symbolischen. Wenn nun dieser Mensch eine Repräsentation eines hohen Berges hat,<br />
meint er dann den Berg nicht als natürliches Objekt. Gehört dies nicht mit zum intentionalen<br />
Gehalt seiner Repräsentation? Dann allerdings wären auch die Repräsentationen<br />
natürlicher Tatsachen sprachabhängig. Ob man dies zugesteht oder nicht, es<br />
bleibt, daß die eingleisige Auffassung des Abhängigkeitsverhältnisses von Hintergr<strong>und</strong>,<br />
geistiger Intentionalität <strong>und</strong> Sprache, die in Intentionality noch vorherrscht, auch<br />
gemäß <strong>Searle</strong>s eigener Ar<strong>bei</strong>ten der 90er Jahre, als inakzeptabel angesehen werden<br />
muß.<br />
Eine andere Konsequenz der Theorie der institutionellen Tatsachen ist freilich noch<br />
verblüffender. Die These der Sprachabhängigkeit institutioneller Tatsachen besagt ja<br />
genau genommen nicht nur, daß wir zum Aufstellen dieser Tatsachen eine natürliche<br />
Sprache benötigen. Sie besagt darüber hinaus, daß die Fähigkeit konstitutive Regeln zu<br />
erzeugen, die sprachliche Fähigkeit ist. Damit wird Sprache in den größeren Umkreis<br />
des Symbolisierens gestellt. Die Fähigkeit, Sprechakte zu vollziehen ist letztlich ein<br />
Teil der Fähigkeit, institutionelle Tatsachen zu erzeugen.<br />
Man muß sich darüber klar sein, welche Konsequenzen dies <strong>für</strong> <strong>Searle</strong> hat. Gemäß<br />
der Bedeutungstheorie in Intentionality wurde eine Produktion von Phonemen zu einer<br />
bedeutungsvollen Äußerung, indem die Produktion mit der Absicht vollzogen wurde,<br />
die Erfüllungsbedingungen eines intentionalen Zustandes der Äußerung zu verleihen.<br />
Die Äußerung ist dann aber nicht mehr nur eine natürliche Tatsache, sondern auch<br />
eine institutionelle. Denn sie hat Eigenschaften - in diesem Falle Erfüllungsbedingungen<br />
- die nicht auf die Struktur der natürlichen (physischen) Eigenschaften der Äußerung<br />
zurückzuführen ist. Dies ist ja der ganze Sinn der Bedeutungsverleihung. Damit
aber ist jedes Ausdrücken, im Sinne von Bedeutungsverleihen, eine sprachliche, symbolisierende<br />
Tätigkeit. Diese Konsequenz mag man als trivial ansehen. Doch erinnern wir<br />
uns an <strong>Searle</strong>s f<strong>und</strong>amentale These der Unabhängigkeit der Bedeutungsabsicht von<br />
der Kommunikationsabsicht. Diese war nur verständlich vor dem Hintergr<strong>und</strong> der<br />
Unterscheidung eines bloßen Ausdrückens <strong>und</strong> des Vollzugs von Sprechakten.<br />
Sprechakte waren demgemäß kommunikationsbezogen, das bloße Ausdrücken nicht.<br />
In diesem Zusammenhang stellte sich <strong>Searle</strong> aber die interessante Frage, welche über<br />
das bloße Ausdrücken hinausgehende Fähigkeiten ein Wesen haben muß, um die <strong>Institut</strong>ion<br />
der Sprache haben zu können (Vgl. Kapitel 3.2. vorliegender Untersuchung).<br />
Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Überlegungen zur Theorie der institutionellen Tatsachen<br />
verliert diese Frage ihren Sinn. Denn danach wäre ja schon das bloße Ausdrücken<br />
eine sprachliche Tätigkeit, der Ausdruck eine institutionelle Tatsache. Das bedeutete<br />
aber, daß Wesen, die bloß ausdrücken können, eben auch schon Sprache haben. Sie<br />
können einer Lautfolge Eigenschaften auferlegen, die nicht durch die Natur der Lautfolge<br />
bestimmt sind. Damit haben sie Sprache, <strong>und</strong> sie haben institutionelle Tatsachen.<br />
Verliert damit aber nicht die These der Unabhängigkeit Bedeutungsabsicht von der<br />
Kommunikationsabsicht ihre letzte Plausibilität? Sind institutionelle Tatsachen nicht<br />
an Konventionen geknüpft, an Geltung innerhalb einer Gemeinschaft von intentional<br />
begabten Wesen? Ist Bedeutung dann nicht aber apriori kommunikativ vermittelt?<br />
<strong>Searle</strong> muß dies an der jetzigen Stelle nicht zugeben. <strong>Institut</strong>ionelle Tatsachen könnte<br />
es auch im einsamen Seelenleben (Husserl) geben, eine allgemein geteilte Konvention<br />
wäre nur <strong>für</strong> die Kommunikation dieser Tatsache vonnöten. Man sollte hier den<br />
Doppelsinn im Konventionsbegriff beachten. Konventionell ist eine institutionelle<br />
Tatsache nur insofern, als sie keine natürliche Tatsache ist, sondern auf konstitutiven<br />
Regeln beruht. Sie muß dagegen nicht konventionell in dem Sinn sein, daß sie aufgr<strong>und</strong><br />
einer gesellschaftlichen Übereinkunft gilt. Hier muß sich die Frage anschließen, ob<br />
die <strong>bei</strong>den Bedeutungen des Konventionsbegriffes nicht voneinander abhängig sind.<br />
Um es deutlicher zu formulieren: Kann man als Einzelner (privat) konstitutiven Regeln<br />
folgen? Im Begriff der konstitutiven Regel steckte ja der Begriff des Geltens. Es<br />
scheint mir - vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Diskussion um die Möglichkeit einer Privatsprache<br />
- sehr fraglich, diesen Begriff explizieren zu können, ohne auf eine von vielen<br />
Sprechern geteilte Praxis zu rekurrieren. Wo ist, um es mit Wittgenstein zu sagen, die<br />
unabhängige Stelle, die der Begriff des Regelfolgens erfordert, um ein Regelfolgen unterscheiden<br />
zu können vom bloßen Glauben, einer Regel zu folgen (Vgl. PU § 265)?<br />
Die Frage, wie <strong>Searle</strong> innerhalb seines bedeutungstheoretischen Rahmens dieser<br />
Schwierigkeit aus dem Weg gehen kann, wird uns unter Punkt 7) noch beschäftigen.<br />
Angemerkt sei hier, daß <strong>Searle</strong>s neuere Theorie der institutionellen Tatsachen eine<br />
notwendige Bedingung der Möglichkeit konstitutiver Regeln in der kollektiven Akzeptanz<br />
dieser Regel sieht:<br />
„Da außerdem die physischen Eigenschaften, die der Terminus X nennt, an sich selbst ungenügend<br />
sind, die Erfüllung der zugewiesenen Funktion, die der Terminus Y nennt, zu garantieren,<br />
müssen der neue Status <strong>und</strong> seine begleitenden Funktionen die Art von Dingen sein, die durch<br />
kollektive Übereinkunft oder Akzeptanz konstituiert werden können. Und da die physischen Eigenschaften,<br />
die der Terminus X nennt, nicht hinreichend sind, um die zugewiesene Funktion erfolgreich<br />
zu erfüllen, muß es eine fortdauernde kollektive Akzeptanz oder Anerkennung der Gül-
tigkeit der zugewiesenen Funktion geben [...]“ (<strong>Searle</strong>, 1995, S.55).<br />
In dieser Häufigkeit finden sich die Begriffe »Akzeptanz«, »Anerkennung« <strong>und</strong> »Gültigkeit«<br />
sonst nur <strong>bei</strong> Apel <strong>und</strong> Habermas. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der neueren Ar<strong>bei</strong>ten<br />
<strong>Searle</strong>s muß mithin die These der logischen Unabhängigkeit der Bedeutungsabsicht<br />
von Kommunikationsintention in Zweifel gezogen werden. Zumindest kann<br />
man sie nicht mehr so interpretieren, als wäre sprachliche Bedeutung ohne Bezug auf<br />
andere Sprecher, damit auf eine Sprachgemeinschaft explizierbar. Da<strong>bei</strong> geht es nicht<br />
nur um die jeweilige Sprachkonvention, sondern schon um die „zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />
konstitutiven Regeln“, die eine Äußerung erst zur institutionellen Tatsache machen.<br />
Eine institutionelle Tatsache muß eine Äußerung aber immer sein, denn sie hat nichtnatürliche<br />
Eigenschaften.<br />
Im übrigen findet man schon in Intentionality - wenn man die explizite Bedeutungstheorie<br />
<strong>bei</strong>seite läßt – einige Bemerkungen, die die Bestimmung von Bedeutung durch<br />
soziale Kontexte betonen. Der pragmatische <strong>Searle</strong> schimmert in der Theorie des<br />
Hintergr<strong>und</strong>es wieder durch. Hier behauptet <strong>Searle</strong>, daß die wörtliche Bedeutung, d.h. die<br />
Wahrheitsbedingungen von Sätzen, nur vor bestimmten Hintergr<strong>und</strong>annahmen feststeht.<br />
Dieser Hintergr<strong>und</strong> ist weitgehend sozialer Natur, er betrifft gesellschaftliche<br />
Praktiken. Des weiteren kann dieselbe wörtliche Bedeutung in verschiedenem Sinn verstanden<br />
werden, auch dies liegt am Hintergr<strong>und</strong> (Vgl. Int., S. 147). In ‚Literal meaning‘<br />
hatte <strong>Searle</strong> ausgeführt, daß die Kontextabhängigkeit besonders von direktiven Sprechakten<br />
teilweise zum semantischen Gehalt des Satzes gehört (Literal meaning, S.127).<br />
Auf diesen Punkt zielt auch <strong>Searle</strong>s Analyse in Intentionality. Die wörtliche Bedeutung ist<br />
mitbestimmt, durch die Handlungskontexte, in denen die Äußerungen ihren Platz haben.<br />
Dies in Rechnung ziehend, kann nicht mehr behauptet werden, daß allein die Bedeutungsabsicht<br />
die Intentionalität der Sprache bestimmt. Sprache ist durch Intentionen<br />
<strong>und</strong> Handlungskontexte bestimmt <strong>und</strong> umgekehrt, die sprachunabhängig verstandene<br />
Intentionalität des Geistes kann daher nicht das F<strong>und</strong>ament <strong>für</strong> eine Theorie der Bedeutung<br />
liefern.<br />
7.) Ein gr<strong>und</strong>legendes semantisches Problem ergibt sich aus <strong>Searle</strong>s Theorie der Bedeutungsverleihung.<br />
Eine Lautkette soll dadurch Bedeutung erhalten, daß sie mit der<br />
Intention produziert wird, die Erfüllungsbedingungen eines intentionalen Zustandes<br />
auf die Lautkette zu übertragen. Diese Intention, von <strong>Searle</strong> als Bedeutungsabsicht<br />
bezeichnet, war erfüllt, wenn der Lautkette tatsächlich die auszudrückenden Erfüllungsbedingungen<br />
zukommen. Ob der auszudrückende intentionale Zustand selbst<br />
erfüllt war, ob der Sprechakt erfolgreich, im Sinne von »akzeptiert« war, das sollte <strong>für</strong><br />
die Erfüllungsbedingungen der Bedeutungsabsicht nicht relevant sein.<br />
Die intentionale Gr<strong>und</strong>kompetenz besteht nun darin, die Erfüllung eines Zustandes<br />
von der Nicht-Erfüllung unterscheiden zu können. Diese Unterscheidung muß ein<br />
Wesen treffen können, ansonsten können ihm intentionale Zustände nicht zugeschrieben<br />
werden. Die Kompetenz betraf da<strong>bei</strong> nicht die Frage der tatsächlichen Erfüllung<br />
eines Zustandes, die Möglichkeit der Täuschung sollte die Zuschreibbarkeit<br />
von intentionaler Kompetenz nicht beeinflussen.<br />
Da<strong>bei</strong> ist zunächst zu fragen, ob die erwähnte Unterscheidung in einer propositiona-
len Überzeugung besteht, <strong>und</strong> zwar in der Überzeugung, daß der intentionale Zustand<br />
erfüllt ist oder nicht. Wäre dies der Fall, würde <strong>Searle</strong> in einen infiniten Regreß geraten,<br />
denn die Überzeugung, daß der Zustand erfüllt ist oder nicht, hat ja selbst Erfüllungsbedingungen,<br />
die ein Wesen wiederum auseinanderhalten muß, was Sache einer<br />
nächsten Überzeugung wäre, die ihrerseits Erfüllungsbedingungen hat, usw. Ein derartiges<br />
Modell hat <strong>Searle</strong> nicht vor Augen, er sagt ausdrücklich, daß das Bewußtsein<br />
von der Erfüllungsbedingungen eines Zustandes nicht selbst ein Zustand zweiter Stufe<br />
sei (Vgl. Int., S. 22). Ein infiniter Regreß ist <strong>Searle</strong> daher nicht so einfach nachzuweisen.<br />
Es gibt aber ein anderes Problem mit der Kompetenz, Erfüllung von Nicht-Erfüllung<br />
unterscheiden zu können, nämlich in bezug auf die Bedeutungsabsicht. <strong>Searle</strong>s Modell<br />
muß mindestens folgende Fälle auseinanderhalten <strong>und</strong> erklären können (Ich zähle<br />
nur die relevanten Fälle auf):<br />
1. Der Sprecher glaubt, 110 daß seine Bedeutungsabsicht erfüllt ist.<br />
2. Der Sprecher glaubt, daß seine Bedeutungsabsicht nicht erfüllt ist.<br />
3. Der Sprecher glaubt, daß seine Bedeutungsabsicht erfüllt ist, tatsächlich ist sie aber<br />
nicht erfüllt. 111<br />
(Für die ersten <strong>bei</strong>den Fälle soll es irrelevant sein, ob der Glaube des Sprechers den<br />
Tatsachen entspricht.)<br />
Die Unterscheidung der Fälle 1 <strong>und</strong> 2 betrifft die intentionale Gr<strong>und</strong>kompetenz. Ist<br />
Fall 1 oder Fall 2 aber überhaupt möglich? Was soll es heißen, daß der Sprecher<br />
glaubt, seine Absicht, einem Ausdruck bestimmte Erfüllungsbedingungen aufzuerlegen,<br />
sei nicht erfüllt? Vergleichen wir den Fall mit dem des Armhebens. 112 Eine Person<br />
kann beabsichtigen, daß sich ihr Arm hebt, <strong>und</strong> zwar so, daß diese Absicht Ursache<br />
des Armhebens ist. Es ist uns <strong>und</strong> der Person klar, was es heißt, daß die Absicht<br />
nicht erfüllt ist. Der Arm ist unten geblieben bzw. bewegte sich aufgr<strong>und</strong> einer externen<br />
Ursache. Die Person hat in diesem Fall die Möglichkeit, das Armheben selbst zu<br />
erleben. Diese physische Erlebnis bildet ein Kriterium, um privat die Erfüllung von<br />
der Nicht-Erfüllung unterscheiden zu können. Damit ist noch nicht behauptet, daß<br />
dieses Kriterium ein Wahrheitskriterium bzw. Erfüllungskriterium der Absicht ist.<br />
Die Person kann ein derartiges Erlebnis haben, ohne daß sich ihr Arm hebt. Das Erlebnis<br />
erlaubt der Person trotzdem, der Rede von der Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung<br />
einen Sinn abzugewinnen - auch wenn sie sich in seltenen Fällen täuschen kann. Diese<br />
Täuschungsmöglichkeit zeigt nun des weiteren, daß unabhängig vom physischen<br />
Erlebnis des Armhebens andere Kriterien der Erfüllung der Absicht in Anschlag gebracht<br />
werden können. Beispielsweise kann die Person ein visuelles Erlebnis des<br />
110 Glaube soll hier nicht im Sinne der von <strong>Searle</strong> ausgeschlossen Überzeugung auf zweiter Ebene verstanden<br />
werden. Das Regreßproblem will ich nicht diskutieren. Wenn ich im folgenden »Glauben« benutze,<br />
dann immer unter dieser Einschränkung.<br />
111 Man mag einwenden, daß den Phänomenologen - <strong>und</strong> in dieser Hinsicht ist <strong>Searle</strong> Phänomenologe -<br />
die Frage, ob eine Zustand tatsächlich erfüllt ist oder nicht, nicht interessiert. Das ist richtig. Gerade diese<br />
These aber macht selbst Gebrauch von der Unterscheidung zwischen tatsächlicher <strong>und</strong> bloß scheinbarer<br />
Erfüllung, sie muß daher auch im Rahmen einer phänomenologischen Perspektive logisch möglich<br />
sein. Allein diese Möglichkeit interessiert mich am Fall 3.<br />
112 Das Armheben soll hier nicht als Geste verstanden werden, wie im Beispiel in Intentionality, S.167ff.
Armhebens haben, auch kann eine andere Person mitteilen, daß sich der Arm nicht<br />
gehoben hat. Zu betonen ist außerdem, daß die Erfüllungsbedingungen kausale Beziehungen<br />
thematisieren. Erfüllt ist die Absicht, wenn die kausale Beziehung zwischen<br />
der Absicht <strong>und</strong> dem durch die Absicht festgelegten geforderten Ereignis besteht.<br />
Wenn das Heben des Armes ausbleibt oder aber durch etwas anderes als durch<br />
die Absicht her<strong>bei</strong>geführt wird, dann ist die Absicht nicht erfüllt.<br />
Der Fall der Bedeutungsabsicht ist gänzlich anders gelagert. Zwar läßt sich auch <strong>bei</strong>m<br />
Ausdrücken einer Äußerung ein physisches Erlebnis ausmachen, dieses Erlebnis kann<br />
seinerseits durch ein akustisches Erlebnis begleitet werden. Nur ist damit überhaupt<br />
noch nichts über die semantischen Eigenschaften der Äußerung gesagt, die gerade in<br />
Frage stehen. Vielmehr sind, in <strong>Searle</strong>s Terminologie gesprochen, nur die natürlichen<br />
Eigenschaften durch das Erlebnis berührt. Die kausale Beziehung zwischen Absicht<br />
<strong>und</strong> Lautproduktion wird durch das Erlebnis erfaßt, nicht aber die nicht-natürliche<br />
Ebene der Semantik. Die mentalen Erlebnisse allein stellen kein Kriterium dar, um<br />
eine Unterscheidung zwischen Erfüllung <strong>und</strong> Nicht-Erfüllung einer Bedeutungsabsicht<br />
treffen zu können. Daher kann man gar nicht sagen, was es bedeuten soll, die<br />
Bedeutungsabsicht sei erfüllt bzw. nicht erfüllt. Diese Unterscheidung ist <strong>für</strong> den<br />
Sprecher schlichtweg unverständlich.<br />
Diese Konsequenz ergibt sich auch noch durch eine andere Erwägung. Angenommen<br />
die mentalen Erlebnisse lieferten nicht nur einen Zugang zu den natürlichen, sondern<br />
auch zu den semantischen Eigenschaften der Äußerung. Könnte der Sprecher je<br />
glauben, daß die Äußerung andere Erfüllungsbedingungen hat als die intendierten.<br />
Damit ist noch nicht gefragt, ob sich der Sprecher irren kann hinsichtlich der tatsächlichen<br />
Erfüllungsbedingungen der Äußerung. Vielmehr steht zunächst nur in Zweifel,<br />
daß der Sprecher selbst jemals von der Nicht-Erfüllung seiner Absicht überzeugt sein<br />
kann. Der Sprecher legt ja im Moment der Äußerung fest, welche Erfüllungsbedingungen<br />
seine Äußerung haben soll. Wie kann er dann aber glauben, daß sie andere<br />
hätte? Dieses Argument betrifft noch nicht die Möglichkeit einer Privatsprache. Eine<br />
Privatsprache muß der Bedingung genügen, daß Worte benutzt werden, die zu verschiedenen<br />
Verwendungszeiten dieselbe Bedeutung haben müssen. In unserem Fall<br />
ist von verschiedenen Verwendungssituationen <strong>und</strong> –zeiten noch gar nicht die Rede.<br />
Wäre dies der Fall, so könnte der Sprecher zumindest zu vergleichen versuchen, ob<br />
seine jetzige Verwendungsweise mit der letzten übereinstimmt. Der Sprecher in unserem<br />
Fall kann aber einen derartigen Vergleich gar nicht anstellen. Er will nur, daß seine<br />
Äußerung das <strong>und</strong> das bedeutet, er will nicht, daß seine Äußerung das bedeutet,<br />
was sie das letzte Mal bedeutet hat. Wenn man aber den Fall der Nicht-Erfüllung gar<br />
nicht denken kann, dann ist es <strong>für</strong> meine Begriffe auch zu gewagt zu behaupten, der<br />
Sprecher könne Nicht-Erfüllung von Erfüllung auseinanderhalten. Damit kommen<br />
wir über eine andere Erwägung zu demselben Ergebnis.<br />
Was nun noch die Möglichkeit von Fall 3 angeht, so weiß ich überhaupt nicht mehr,<br />
wie diese mit <strong>Searle</strong>s Vorgaben zu konzeptualisieren ist. Wenn es schon sinnwidrig<br />
ist, von der Unterscheidung von Nicht-Erfüllung <strong>und</strong> Erfüllung in bezug auf den<br />
Glauben des Sprechers zu reden, dann kann die Rede von der tatsächlichen Erfüllung<br />
nur noch mehr Verwirrung stiften. Es ist weit <strong>und</strong> breit kein Kriterium in Sicht, welches<br />
diese Unterscheidung rechtfertigte.
Man muß daher zu dem Schluß kommen, daß die Gr<strong>und</strong>kompetenz der Intentionalität<br />
- Erfüllung von Nicht-Erfüllung unterscheiden zu können - in <strong>Searle</strong>s Theorie der<br />
Bedeutungsverleihung keine Anwendung findet. Damit aber ist der Begriff der Bedeutungsabsicht,<br />
so wie <strong>Searle</strong> in konzipiert, widersprüchlich. Es soll ein intentionaler<br />
Zustand sein, der Gehalt dieser Absicht kann aber nicht festlegen, was als Erfüllung<br />
<strong>und</strong> was als Nicht-Erfüllung zu gelten hat. Diese Unterscheidung ist in <strong>Searle</strong>s Modell<br />
nicht explizierbar.<br />
8.) Im Laufe der Untersuchung habe ich oft darauf hingewiesen, daß <strong>Searle</strong> den Begriff<br />
der Wahrheit vernachlässigt. Die Rede von Wahrheitsbedingungen findet sich<br />
zwar häufig, doch einer Klärung wird dieser Begriff nicht unterzogen. Eines scheint<br />
festzustehen, Wahrheit kommt nur Überzeugungen zu, genauer gesagt, intentionalen<br />
Zuständen mit Geist-auf-Welt-Ausrichtung. Die Schwierigkeiten, die gegenständliche<br />
Bezogenheit (den Repräsentationsgehalt) der anderen Klassen von intentionalen<br />
Zuständen zu analysieren, ohne den Wahrheitsbegriff verwenden zu können,<br />
wurden unter 3.) ausgeführt. Das hing zusammen mit der im Abschnitt über propositionale<br />
Akte dargestellten Tatsache, daß die Klärung des Aktes der Prädikation <strong>und</strong><br />
daher letztlich auch des Aktes der Referenz ohne den Wahrheitsbegriff nicht möglich<br />
war. Die Probleme ergaben sich letztlich daraus, daß der Wahrheitsbegriff eigentlich<br />
nur durch den Begriff der Ausrichtung erklärt wird. Die Ausrichtung betraf aber die<br />
psychischen Modi, nicht die Repräsentationsgehalte. <strong>Searle</strong> könnte zwei Wahrheitsbegriffe<br />
einführen, wo<strong>bei</strong> einer <strong>für</strong> die propositionalen Gehalte, der andere <strong>für</strong> die<br />
Ausrichtung von Überzeugungen reserviert wäre. Dann müßte aber auch das Verhältnis<br />
der <strong>bei</strong>den Begriffe geklärt werden. Das Mißliche ist nur, daß <strong>Searle</strong> nicht mal<br />
einen Begriff der Wahrheit klärt. Denn der Begriff der Ausrichtung erklärt eigentlich<br />
nichts. Kausal kann man diesen Begriff nicht verstehen (vgl. Punkt 4), da Fehlrepräsentationen,<br />
d.h. falsche Überzeugungen in diesem Rahmen nicht konzeptualisierbar<br />
sind. Insofern sind die <strong>Searle</strong>schen Antworten, die Frage der Wahrheit betreffend,<br />
unbefriedigend. Dies betrifft sowohl die Rede von Wahrheitsbedingungen <strong>bei</strong> propositionalen<br />
Gehalten als auch die Unterschiedenheit des Modus der Überzeugungen<br />
von anderen Modi.<br />
<strong>Searle</strong> kann sich hier<strong>bei</strong> auch nicht mit der quasi-phänomenologischen These,<br />
tatsächliche Wahrheit sei <strong>für</strong> die Beschreibung der (assertiven) intentionalen<br />
Zustände nicht relevant, rechtfertigen. Die tatsächliche Erfüllung eines Zustandes<br />
mag nicht interessieren, das ändert jedoch nichts daran, daß Überzeugungen als solche<br />
auf Wahrheit bezogen sind. Gerade diese Kennzeichnung ist phänomenologisch,<br />
denn sie zeigt, was einen Zustand zur Überzeugung macht, unabhängig davon, ob die<br />
Überzeugung wahr oder falsch ist. Insofern ist die Forderung, den Wahrheitsbegriff<br />
bzw. den Begriff der Ausrichtung zu erläutern, berechtigt.<br />
9.) Eine Bemerkung zum Prinzip der Ausdrückbarkeit. Daß man alles, was man meinen<br />
kann, prinzipiell auch ausdrücken kann, mag <strong>für</strong> Wesen mit Sprachkompetenz<br />
einleuchtend sein. Was aber ist mit Tieren, denen ja auch eine ganze Menge von intentionalen<br />
Zuständen mit propositional verfaßten Gehalten zugesprochen werden.<br />
Diese sind vom Prinzip der Ausdrückbarkeit anscheinend befreit. Oder sind die Tiere
gar nicht in der Lage, Gegenstände <strong>und</strong> Sachverhalte zu meinen. Was kann Meinen<br />
aber anderes heißen, als propositionale Einstellungen mit Referenz <strong>und</strong> Prädikation<br />
zu haben. Dies soll höher entwickelten Tieren doch aber möglich sein. Vielleicht<br />
glaubt <strong>Searle</strong>, daß Tiere tatsächlich ihre Zustände ausdrücken können. Worin dieser<br />
Ausdruck dann allerdings bestehen sollte, bleibt unklar. Und daß er auf eine Bedeutungsabsicht<br />
zurückzuführen sei, wird auch <strong>Searle</strong> nicht behaupten wollen. Im übrigen<br />
ist <strong>Searle</strong> der Meinung, daß Tiere nicht die Fähigkeit haben, institutionelle Tatsachen<br />
zu erzeugen. Sie bewegen sich immer nur in einem Feld, das von den natürlichen<br />
Tatsachen bestimmt ist (Vgl. <strong>Searle</strong>, 1995, S.71f.). Insofern können sie auch<br />
nicht einen Ausdruck bilden, der nicht nur natürlich (physisch), sondern auch semantisch<br />
beschreibbar ist.<br />
Die These der logische Unabhängigkeit der geistigen Intentionalität von der sprachlichen<br />
ließ dagegen eher vermuten, daß sich Tiere genauso gut artikulieren können wie<br />
sprachbegabte Menschen. 113 Das Prinzip der Ausdrückbarkeit muß auch <strong>für</strong> sie gelten<br />
können. Daß dies nicht der Fall ist, mag man als Indiz da<strong>für</strong> nehmen, daß die behauptete<br />
logische Unabhängigkeit nicht besteht, daß vielmehr Sprache wesentlich an<br />
der Welterschließung beteiligt ist <strong>und</strong> nicht allein die geistige Intentionalität.<br />
10.) Ein Begriff, der zentral <strong>für</strong> jede Bedeutungstheorie ist, blieb im Rahmen der <strong>Intentionalitätstheorie</strong><br />
weitgehend unerwähnt, nämlich der Begriff der Konvention. Die<br />
Sprechakttheorie <strong>Searle</strong>s dagegen machte permanent Gebrauch davon. Die wörtliche<br />
Bedeutung sollte von Konventionen abhängig sein. Erinnert sei an die gegen Grice<br />
gerichtete These, Bedeutung sei manchmal auch eine Sache der Konvention <strong>und</strong><br />
nicht nur der Intention. Letztlich konnten Metaphern, Ironie <strong>und</strong> indirekte Sprechakte<br />
nur durch die Möglichkeit konventioneller Satzbedeutungen erklärt werden. Denn,<br />
wenn die Satzbedeutung allein dadurch bestimmt wäre, was ein Sprecher meinte, wären<br />
die indirekten Sprachverwendungen gar nicht möglich. Wie sollte es denn möglich<br />
sein, etwas zu sagen, damit aber etwas anderes zu meinen. Die Differenz von Intention<br />
<strong>und</strong> Konvention war somit Bedingung <strong>für</strong> die Klärung von Metapher, Ironie<br />
<strong>und</strong> indirekter Sprachverwendung. Während nun in Intentionality fast auf jeder Seite<br />
der Begriff der Intention verwendet wird, findet sich zu den Konventionen fast<br />
nichts. Und die Passagen, die Konventionen thematisieren, gehen nicht über das hinaus,<br />
was in Speech Acts zu finden war.<br />
<strong>Searle</strong>s Desinteresse hinsichtlich Konventionen speist sich wohl aus seinem Anspruch,<br />
die den Konventionen zugr<strong>und</strong>eliegenden Regeln bzw. Strukturen aufzuzeigen. Die Konventionen<br />
selbst, so suggeriert <strong>Searle</strong>, sind nur mannigfaltige Realisierungen dieser Regeln,<br />
insofern empirisch <strong>und</strong> <strong>für</strong> den Philosophen nicht von Interesse. Hier muß freilich<br />
entgegnet werden, daß man vom Philosophen nicht die Untersuchung bestimmter<br />
Konventionen erwartet, sondern eine Klärung der Frage, welche Rolle Konventionen -<br />
wie immer sie konkret auch aussehen - in bezug auf Bedeutung <strong>und</strong> Kommunikation<br />
spielen. Daß sie eine herausragende Funktion <strong>für</strong> die Konstitution von Bedeutung ha-<br />
113 Wenn ich hier von sprachbegabt rede, dann soll dies andere symbolische Repräsentationsmedien als<br />
die der natürlichen Wortsprache miteinbeziehen. Zeichengebrauch ist nicht an die physische Beschaffenheit<br />
der Zeichen geb<strong>und</strong>en, sondern an die Interpretationsfähigkeit eines Zeichenverwenders.
en, zeigte sich in Speech Acts an dem eben erwähnten Fakt, daß der Begriff der wörtlichen<br />
Bedeutung, damit aber auch die indirekten Sprechakte nur über den Konventionsbegriff<br />
zu erklären waren. Auch die f<strong>und</strong>amentalen Begriff der konstitutiven Regel<br />
<strong>und</strong> der institutionellen Tatsache waren in Speech Acts eng mit dem der Konvention<br />
verknüpft. Insofern ist zunächst festzustellen, daß eine Analyse des Konventionsbegriffes<br />
erwartbar gewesen wäre, wo doch die Sprachphilosophie durch die Philosophie<br />
des Geistes begründet werden sollte. Diese F<strong>und</strong>ierung leistet Intentionality im Hinblick<br />
auf Konventionen nicht. Überraschender aber ist noch, daß die Analysen in Intentionality<br />
selbst weitgehend ohne Rekurs auf Konventionen auskommen.<br />
Letztlich hat dies seinen Gr<strong>und</strong> darin, daß <strong>Searle</strong> die Konventionen auf die Seite der<br />
Kommunikation verschiebt. Kommunikation sollte aber, so die Kernthese in Intentionality,<br />
unabhängig von Bedeutung sein. Zwar sollten <strong>bei</strong>m Vollzug von Sprechakten<br />
kommunikative <strong>und</strong> damit konventionelle Aspekte von Belang sein, die f<strong>und</strong>amentalen<br />
Intentionalitätsformen der Sprechakte (Ausrichtung <strong>und</strong> propositionaler Gehalt) sind<br />
dagegen abgeleitet von der intrinsischen, nicht-konventionellen Intentionalität des Geistes.<br />
Insofern scheint <strong>Searle</strong>s Desinteresse am Konventionsbegriff gerechtfertigt zu<br />
sein. Doch fragen wir weiter. Wenn Konventionalität eine Sache der Kommunikation<br />
<strong>und</strong> nicht der Bedeutung sein soll, trifft dies dann auch <strong>für</strong> die konstitutiven Regeln zu?<br />
In Speech Acts sprach <strong>Searle</strong> häufig vom »Zählen als etwas« bzw. vom »Gelten als etwas«.<br />
Dies ist die logische Form der konstitutiven Regel. Das Gelten bzw. Zählen sollte<br />
aber eine Sache der Konvention sein. Eine bestimmte Äußerung zählte qua Konvention<br />
als Vollzug eines bestimmten illokutionären Aktes. Dies kann als ein Gr<strong>und</strong>these<br />
von Speech Acts abgesehen werden. Wenn Konventionen nun nur die Kommunikation,<br />
nicht aber die Bedeutung betreffen, dann gilt dies auch <strong>für</strong> konstitutive Regeln. Diese<br />
gelten nur noch <strong>für</strong> die Kommunikation, nicht <strong>für</strong> die Bedeutungsverleihung.<br />
Andrerseits hat eine bedeutungsvolle Äußerung doch gerade die Form einer konstitutiven<br />
Regel bzw. einer institutionellen Tatsache. Eine Lautkette zählt als Ausdruck;<br />
erst unter dieser Bedingung ist es gerechtfertigt, eine physisch beschreibbare Handlung<br />
auch semantisch zu beschreiben. <strong>Searle</strong>s Gr<strong>und</strong>frage, wie man von der Physik<br />
zur Semantik kommt, betrifft ja gerade diesen Aspekt. Damit aber ist eine Äußerung per se<br />
– ob nun eine Kommunikationsintention vorliegt oder nicht – eine institutionelle Tatsache. Konventionen<br />
werden dann aber wieder interessant. Freilich kann <strong>Searle</strong> auch behaupten,<br />
daß institutionelle Tatsachen bzw. konstitutive Regeln auch ohne Konvention, sozusagen<br />
im privaten Bereich möglich sind. Dann aber wäre die Form »zählt als« zu erläutern.<br />
Im Gegensatz dazu, sahen wir eben (unter 6.), daß die neueren Ar<strong>bei</strong>ten <strong>Searle</strong>s<br />
von konstitutiven Regeln nur dort sprechen, wo kollektive Akzeptanz das Bestehen<br />
institutioneller Tatsachen garantiert.<br />
Ein weiteres Problem im geschilderten Problemhorizont ergibt sich aus dem begrifflichen<br />
Status der wörtlichen Bedeutung. Diese war ja gemäß Speech Acts Sache der Konvention.<br />
Die Möglichkeit von indirekten illokutionären <strong>und</strong> propositionalen Akten ließ<br />
nicht ohne wörtliche Bedeutung, damit nicht ohne Konventionen verständlich machen.<br />
Wie steht es nun mit der Wörtlichkeit <strong>bei</strong> der bloßen Repräsentationsabsicht. M.E.<br />
kann man Wörtlichkeit <strong>und</strong> damit auch die Gegenbegriffe Indirektheit, Ironie, Metapher<br />
nicht allein durch Repräsentationsabsichten klären. Was sollte es auch heißen, daß<br />
der Sprecher seiner Äußerung nur indirekt Erfüllungsbedingungen verleiht. Um dies
sagen zu können, muß doch eine direkte Verleihung denkbar sein. Im geschilderten<br />
Rahmen hat <strong>Searle</strong> aber keine Möglichkeit diese Differenz zu ziehen. Wenn die gemachte<br />
Äußerung freilich schon Erfüllungsbedingungen hätte, der Sprecher sie aber so<br />
gebraucht, daß diese Erfüllungsbedingungen sozusagen nicht aufgehen, dann könnte<br />
man von Indirektheit sprechen, vorausgesetzt man findet neue Erfüllungsbedingungen.<br />
114<br />
4.2. Apels <strong>und</strong> Habermas‘ <strong>Searle</strong>-Kritik<br />
Die Fragestellung, mit der sich vorliegende Ar<strong>bei</strong>t beschäftigt, ist bereits maßgeblich<br />
von Apel <strong>und</strong> Habermas bear<strong>bei</strong>tet worden. Beide Autoren sahen in <strong>Searle</strong> einen verwandten<br />
Theoretiker, der zu Beginn der 80er Jahre überraschenderweise neue Wege<br />
ging, Wege, die mit der Sprechakttheorie - im Verständnis von Apel <strong>und</strong> Habermas -<br />
nicht in Einklang zu bringen waren. Diese Entwicklung hätten die genannten Theoretiker<br />
bedauern können, ohne sich weiter mit dem „neuen“ <strong>Searle</strong> beschäftigen zu müssen.<br />
Die Behauptung <strong>Searle</strong>s allerdings, seine früheren Ansätze seien problemlos in das<br />
neue Konzept der Intentionalität integrierbar, ja die früheren Ansätze seien überhaupt<br />
erst verständlich <strong>und</strong> begründet vor dem Hintergr<strong>und</strong> der <strong>Intentionalitätstheorie</strong>, diese<br />
These zog letztlich Apels <strong>und</strong> Habermas‘ eigene philosophischen Konzepte in Zweifel.<br />
Das machte Habermas <strong>und</strong> Apel zu besonders beständigen <strong>und</strong> ernstzunehmenden<br />
Kritikern der <strong>Searle</strong>schen Entwicklung seit Anfang der Achtziger Jahre.<br />
Was das Erstaunen Apels <strong>und</strong> Habermas‘ angeht, so müssen zwei Dinge unterschieden<br />
werden. Zunächst ist es <strong>für</strong> die <strong>bei</strong>den Philosophen überraschend gewesen, daß <strong>Searle</strong><br />
eine F<strong>und</strong>ierung der Sprechakttheorie - wie immer sie auch aussehen mag - als notwendig<br />
ansah. In vorliegender Untersuchung dagegen versuchte ich zu zeigen, daß dieses<br />
<strong>Searle</strong>sche Unternehmen wenn nicht erahnt werden konnte, so doch verständlich war.<br />
Beispielsweise konnte <strong>Searle</strong>s Anspruch, die den Konventionen zugr<strong>und</strong>eliegenden Regeln<br />
aufzudecken, <strong>für</strong> Apel <strong>und</strong> Habermas ein Alarmzeichen sein, besonders wenn man die<br />
Passagen zum Prinzip der Ausdrückbarkeit betrachtet (Vgl. Kap. 2.5. vorliegender Untersuchung).<br />
Auch hatten die Begriffe der Absicht <strong>und</strong> des Meinens gr<strong>und</strong>legende Bedeutung,<br />
des weiteren bildeten intentionale Zustände (Überzeugung, Wunsch, Absicht)<br />
Kriterien der Einteilung von Sprechakten, außerdem kam den Begriffen der Wahrheit,<br />
der Proposition <strong>und</strong> der Ausrichtung ein explikative Rolle zu. Alle diese Begriffe verwendete<br />
<strong>Searle</strong> im Rahmen der Sprechakttheorie, ohne sie zu analysieren. Eine Klärung<br />
dieser Begriffe anzugehen, scheint mir ein philosophisches Gebot zu sein. Die Motivation<br />
<strong>Searle</strong>s, weiterzufragen, läßt sich insoweit nachvollziehen <strong>und</strong> ist gut begründet.<br />
Die Durchführung dieses Weiterfragens ist aber, was die Bedeutungstheorie angeht, in der<br />
Tat recht erstaunlich. Dies betrifft insbesondere die These der Unabhängigkeit der Bedeutungsintention<br />
von der Kommunikationsintention. Dies ist eine These, die in offenk<strong>und</strong>igem<br />
Widerspruch zu den Thesen der Sprechakttheorie steht. Insofern muß die-<br />
114 Man kann <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> in ‚Indirect Speech Acts‘ nachlesen, wie ein Interpret dazu kommt, die Äußerung<br />
anders als wörtlich aufzufassen. <strong>Searle</strong>s These ist, daß dies allein durch eine Rationalitätsunterstellung<br />
<strong>und</strong> durch Rückgriff auf die Sprechakttregeln möglich ist. Insofern ist selbst der Schritt von der Wörtlichkeit<br />
zur Indirektheit noch von konventionellen Regeln mitbestimmt. Vgl. <strong>Searle</strong>, 1975a, S.44.
se These den Kenner der Sprechakttheorie überraschen. Man mag sich darüber streiten,<br />
wo der Sprechakttheoretiker <strong>Searle</strong> zwischen den Intersubjektivisten um Habermas <strong>und</strong><br />
Apel <strong>und</strong> den Intentionalisten um Grice genau einzuordnen ist. M.E. ist <strong>Searle</strong> viel<br />
stärker auf Grice bezogen, als es v.a. Habermas wahrhaben will. Wer mir hierin folgt,<br />
dem mag selbst die neue <strong>Searle</strong>sche Orientierung an der vorsprachlich verstandenen<br />
Intentionalität des Geistes, noch einigermaßen verständlich sein. Doch, daß <strong>Searle</strong> Bedeutung<br />
unabhängig von Kommunikation analysiert - ob man Kommunikation nun<br />
eher intentionalistisch versteht oder intersubjektivistisch -, das ist nun wirklich ein Weg,<br />
der nicht abzusehen war <strong>und</strong> der das Erstaunen von Habermas <strong>und</strong> Apel rechtfertigt.<br />
Worin besteht nun aber die Kritik Habermas‘ <strong>und</strong> Apels an „<strong>Searle</strong> II“, <strong>und</strong> wie ist sie<br />
gerechtfertigt? Zunächst zu Habermas. In seinen Bemerkungen zu <strong>John</strong> <strong>Searle</strong>: »Meaning,<br />
Communication and Representation« stellt Habermas zunächst in gewohnter Manier die intentionalistische<br />
<strong>und</strong> die intersubjektivistische Auffassung von Verständigungsprozessen<br />
gegenüber. Habermas be<strong>für</strong>wortet bekanntlich die letztere Auffassung, „<strong>Searle</strong> II“<br />
wäre demgegenüber den Intentionalisten zuzuordnen. 115 Deren Blick auf die Sprache<br />
kritisiert Habermas.<br />
Zuerst widerspricht Habermas der These, mentale Repräsentation von Sachverhalten<br />
sei „im Sinne einer Bedingungsanalyse ursprünglicher als die linguistische Sachverhaltsrepräsentation“<br />
(Habermas, 1989a, S.139). <strong>Searle</strong> führt in Meaning, Representation<br />
and Communication ein Beispiel an, <strong>bei</strong> dem die Sachverhaltsrepräsentation unabhängig<br />
von Sprache bildlich, durch eine Zeichnung, geleistet wird. Habermas deutet diesen<br />
Fall nun so, als sei eine Sachverhaltsrepräsentation möglich, auch wenn der Interpret<br />
gar keine Sprache beherrscht. Ich bin mir nicht sicher, ob <strong>Searle</strong> dies mit erwähntem<br />
Beispiel sagen will, wenn aber die besprochenen Charakterisierungen aus Intentionality<br />
hinzugezogen werden, so läßt sich Habermas‘ Deutung rechtfertigen. Dort sollte ja<br />
schon die Wahrnehmung propositional präsentieren, <strong>und</strong> Wahrnehmen können ja auch<br />
nicht-sprachbegabte Wesen. Habermas behauptet nun, daß ein Interpret der Zeichnung<br />
schon wissen muß, was ein Sachverhalt <strong>und</strong> was eine Repräsentation von Sachverhalten<br />
überhaupt ist, um das Bild als Darstellung eines Sachverhaltes verstehen zu<br />
können. Dieses vorgängige Wissen soll nun nur dem zukommen können, der aus der<br />
Sprachpraxis weiß, was eine linguistische Sachverhaltsrepräsentation ist. Um es ganz<br />
deutlich zu sagen: die Habermassche These besagt, daß die Repräsentation von Sachverhalten<br />
sprachliche Kompetenz erfordert. Es ist die propositionale Strukturiertheit der<br />
Repräsentation, die nur unter Rekurs auf das Satzverstehen geklärt werden kann. 116<br />
Diese Kritik Habermas‘ hat, wie wir sahen ihre Berechtigung (Vgl. meine unter Punkt<br />
115 Wie bereits angedeutet (vgl. oben S.55), scheint mir die Zurechnung von „<strong>Searle</strong> II“ zu den Intentionalisten<br />
nicht gerechtfertigt zu sein. Nicht umsonst gehört auch Bennett zu den Kritikern <strong>Searle</strong>s. Mit Apel<br />
ist darauf zu bestehen, daß der Intentionalitätstheoretiker <strong>Searle</strong> an Husserls Bedeutungstheorie anknüpft,<br />
nicht an die Gricesche. Intentionality ist viel weiter vom Griceschen Ansatz entfernt als Speech Acts.<br />
Vgl. Apel, 1990, S.14f.<br />
116 Habermas ist hier einer Meinung mit Tugendhat, der in seinem Aufsatz Phänomenolgie <strong>und</strong> Sprachanalyse<br />
das Primat des Satzverstehens gegenüber dem Meinen von Gegenständen behauptet. Dieses Primat<br />
ergibt sich vor allem auf das Scheitern, das Meinen von Sachverhalte zu erklären, ohne das Verständnis<br />
des Satzes, der besagten Sachverhalt repräsentiert, vorauszusetzen. Damit in Zusammenhang<br />
steht die Unmöglichkeit einer Theorie der Prädikate, die das sprachliche Verstehen von Prädikatausdrücken<br />
nochmals begründen will. Vgl. Tugendhat, 1970, S.9ff.
1) aufgeführte, freilich stärker anthropologisch akzentuierte Kritik). Allein <strong>Searle</strong>s<br />
Kriterium <strong>für</strong> Propositionalität zeigt, wie abhängig seine Analyse vom Sprachverstehen<br />
ist. Propositionalität wurde <strong>für</strong> eine Wahrnehmung ja deshalb beansprucht, weil<br />
sie sich im »daß p« ausdrücken läßt. Wenn <strong>Searle</strong> die Unabhängigkeit der propositionalen<br />
Struktur von sprachlichen Tatbeständen behauptet, dann müßte es möglich<br />
sein, ein anderes Kriterium <strong>für</strong> Propositionalität anzugeben. <strong>Searle</strong> hat keines. Auch<br />
ist <strong>Searle</strong>s Antwort auf den Einwand von Habermas, intentionale Zustände propositionaler<br />
Struktur setzten sprachliche Repräsentationen voraus, alles andere als stichhaltig<br />
(Vgl. Response, S. 94). Die evolutionstheoretische Tatsache, daß sich Sprache<br />
sehr spät entwickelte, rechtfertigt nicht die These, daß die früheren Zustände auch<br />
propositional strukturiert sein müssen. Propositionalität ist eben gerade an das Auftreten<br />
von Sprache geknüpft, mag dieses Auftreten nun phylo- wie ontogenetisch spät<br />
kommen. Im übrigen ist es ein schlechter Reduktionismus, biologisch spätere Phänomene<br />
auf frühere zu reduzieren. Im Sinne eines empirischen Kausalverhältnisses<br />
mag man dies begründen können. Eine begriffliche Reduktion der logischen Struktur<br />
der Propositionalität auf irgendwie frühere Intentionalitätsformen aber bedarf einer<br />
anderen Argumentation. Der simple Hinweis auf die zeitliche Entwicklung macht nur<br />
<strong>bei</strong> Aussagen über empirische Kausalverhältnisse Sinn.<br />
Freilich hat Habermas‘ Erwiderung auch ihre Schwächen. Er gesteht nämlich zu, daß<br />
die Zeichnung von sich aus einen Gegenstand (keinen Sachverhalt) imitiert, <strong>und</strong> zwar<br />
qua Ähnlichkeit. Dagegen ist - auch mit <strong>Searle</strong> - darauf zu bestehen, daß eine Zeichnung<br />
nicht per se abbildet, sondern erst durch einen Interpreten als Zeichnung verstanden<br />
wird. Dies ist einleuchtend, wenn man bedenkt, wie unähnlich ein Abbild<br />
dem Original in den meisten Hinsichten ist. Ähnlichkeit besteht nur in genau spezifizierten<br />
Hinsichten, diese aber werden in der Interpretation erst bestimmt. Zeichen<br />
interpretieren sich nicht selbst. Welche Interpretation gewählt wird, hängt auch von<br />
den Intentionen des Interpreten ab - die Zeichnung legt eben nicht fest, ob <strong>und</strong> in<br />
welcher Hinsicht sie auf Ähnlichkeit hin ausgelegt wird. Habermas hat die Tendenz,<br />
diese eher intentionale Seite des Zeichenprozesses zu vernachlässigen.<br />
Die zweite <strong>Searle</strong>sche These, der Habermas noch vehementer widerspricht, betrifft<br />
die Charakterisierung illokutionärer Klassen. Die Unterschiede der Klassen müssen<br />
nach <strong>Searle</strong> unabhängig von Kommunikationsintentionen allein durch Unterschiede<br />
der Repräsentationsarten geklärt werden, d.h. dadurch, daß Sachverhalte in verschiedenem<br />
Sinn (mit verschiedener Ausrichtung) repräsentiert werden. Die Kritik Habermas<br />
betrifft also jetzt nicht mehr nur die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> als solche, sondern deren<br />
Verhältnis zur sprechakttheoretischen Klassifikation. Habermas will zeigen, „daß<br />
propositionale Einstellung <strong>und</strong> direction of fit (zusammen mit Sprecher- <strong>und</strong> Hörerbezug)<br />
nicht ausreichen, um den illokutionäre Typ zu bestimmen“ (ebd., S.143). Die<br />
m.E. sehr scharfsinnige Kritik zeigt, daß eine Äußerung, die dieselben Erfüllungsbedingungen<br />
repräsentiert, eine unterschiedliche illokutionäre Rolle instantiieren kann.<br />
Das gewünschte Ausführen einer Handlung seitens des Adressaten kann erfüllt sein,<br />
<strong>und</strong> dennoch ist nicht ausgemacht, ob es sich <strong>bei</strong>m vorhergehenden Sprechakt um<br />
eine Aufforderung, einen Befehl oder eine Drohung handelte. Dies kann nur vor dem<br />
normativen Hintergr<strong>und</strong> der Äußerungssituation entschieden werden. Der Habermassche<br />
Scharfsinn ist <strong>für</strong> <strong>Searle</strong> allerdings nicht allzu gefährlich, denn er betrifft die
Identität illokutionärer Rollen, nicht die der Klassen von illokutionärem Witz - obwohl<br />
Habermas dies behauptet. Der Unterschied zwischen den direktiven Rollen der Aufforderung<br />
<strong>und</strong> des Befehls ist auch nach <strong>Searle</strong> durch soziale <strong>Institut</strong>ionen bestimmt<br />
(vgl. Response, S.90). Etwas anderes anzunehmen, wäre absurd. Habermas müßte<br />
aber zeigen können, daß selbst illokutionäre Klassen nicht durch propositionale Einstellung<br />
<strong>und</strong> direction of fit mit Sprecher-Hörer-Bezug bestimmt sind. Beispielsweise<br />
müßte eine Äußerung trotz Gleichheit dieser Bedingungen noch als Befehl oder als<br />
Versprechen interpretierbar sein. Einen solchen Fall kann Habermas nicht vorbringen,<br />
wodurch die Kritik an der zweite These unzureichend bleibt.<br />
Habermas baut im Verlauf des Aufsatzes die Kritik weiter aus, doch trifft diese <strong>Searle</strong><br />
nicht. Beispielsweise weiß ich nicht, warum die Tatsache, daß ein Hörer einen assertiven<br />
Sprechakt erst angemessen versteht, wenn er Akzeptabilitätsbedingungen des<br />
Sprechaktes kennt, gegen <strong>Searle</strong>s Bedeutungstheorie sprechen soll. <strong>Searle</strong> würde doch<br />
sagen, der assertive Sprechakt verstanden wäre, wenn die Erfüllungsbedingungen (die<br />
Wahrheitsbedingungen) der ausgedrückten Überzeugung erkannt worden seien. Der<br />
Unterschied zwischen der Kenntnis der Akzeptabilitätsbedingungen <strong>und</strong> der Kenntnis<br />
der Wahrheitsbedingungen leuchtet mir nicht ein.<br />
Kommen wir zu Apels Kritik. Der an Peirce geschulte Theoretiker stellt die Frage, ob<br />
Intentionalität f<strong>und</strong>amentaler (more basic) als sprachliche Bedeutung ist. Die Antwort<br />
fällt - gegen „<strong>Searle</strong> II“ - negativ aus. Die Argumente ähneln den Habermasschen,<br />
haben aber eine stärker semiotisch bestimmte Stoßrichtung. Der Generaleinwand gegen<br />
jegliche Bedeutungskonstitution durch eine sprachunabhängig verstandene Intentionalität<br />
besteht in der These, daß phänomenale Gegebenheit zwar die perzeptive<br />
Evidenz hinsichtlich der Erfüllung eines intentional Gemeinten erzeugt, daß das intentional<br />
Gemeinte selbst aber nicht in phänomenaler Gegebenheit begründet ist.<br />
Gemeint wird ein Gegenstand oder Sachverhalt als etwas, unter bestimmten Aspekten,<br />
in bestimmten Hinsichten. Ob das Gemeinte tatsächlich gegeben ist, entscheidet -<br />
im Wahrnehmungsfall - das wahrnehmende Bewußtsein. Doch die Als-Struktur des<br />
Meinens selbst, die <strong>bei</strong> der Frage der Gegebenheit des Phänomens schon vorausgesetzt<br />
ist, konstituiert sich im intersubjektiven Interpretationsprozeß in „der Vermittlung<br />
der unmittelbaren Gegebenheit des Phänomens durch das Begriffsallgemeine<br />
sprachlicher Symbole“ (Apel, 1990, S.23). Hierin liegt das propositionale Sprachapriori,<br />
in dieser Hinsicht ist - gemäß Apel - Sprache unhintergehbar.<br />
<strong>Searle</strong> versucht in Intentionality, einen derartigen Einwand abzuwehren, indem er auf<br />
die holistische Struktur des intentionalen Netzwerkes verweist. Ein Phänomen ist<br />
demnach nicht einfach gegeben, sondern unter bestimmten Aspekten gemeint. Als was<br />
etwas gemeint ist (worin die Erfüllungsbedingungen eines intentionalen Zustandes<br />
bestehen), bestimmt sich aus dem intentionalen Gehalt, der seinerseits nur in einem<br />
Netzwerk von anderen Gehalten bestimmt ist. Das phänomenal Gegebene bestimmt<br />
nicht den Aspekt, unter dem es gemeint ist, vielmehr legt die Position im intentionalen<br />
Netzwerk fest, als was ein Phänomen thematisiert wird. 117 Die Allgemeinheit<br />
117 Allerdings gibt es in <strong>Searle</strong>s Wahrnehmungstheorie auch Passagen, die durch diese Deutung nicht<br />
gedeckt sind. So wenn er davon spricht, daß die phänomenalen Qualitäten des Wahrnehmungserlebnisses
sprachlicher Symbole, auf die Apel rekurriert, soll so vor-begrifflich gesichert werden.<br />
(Ich wies in meiner Kritik schon darauf hin, daß das intentionale Netzwerk von <strong>Searle</strong><br />
wie ein sprachliches Klassifikationssystem konzipiert wird.) <strong>Searle</strong> kann so anscheinend<br />
den Einwand Apels abfangen. Doch der Streit wird damit nur verschoben.<br />
Denn nun fragt sich, ob dieses intentionale Netzwerk, in dem die Gehalte aufeinander<br />
verweisen <strong>und</strong> sich gegenseitig bestimmen, tatsächlich ohne die Verweisungsleistung<br />
von Symbolen zu denken ist. Das Netzwerk ist m.E. nur ein intentionales Äquivalent<br />
eines symbolischen Universums <strong>und</strong> wird nur vor dem Hintergr<strong>und</strong> dieser Analogie<br />
verständlich. Apel ist hierin also zuzustimmen. Weiter wäre zu fragen, ob diese<br />
Leistung der Symbole einer intersubjektiven Praxis bedarf. Vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />
der wittgensteinschen Überlegungen zur Möglichkeit eines Regelfolgens scheint man<br />
dies zugeben zu müssen. Wie dem auch sei, im konkreten Fall von <strong>Searle</strong>s Theorie<br />
der Bedeutungsverleihung sahen wir, daß die Erfüllung einer Bedeutungsabsicht von<br />
einer Nicht-Erfüllung, damit die Frage, ob ein Zeichen Bedeutung hat oder nicht,<br />
nicht allein durch die private Bedeutungsabsicht zu klären war (Vgl. Punkt 7) meiner<br />
Kritik). Insofern kann man ohne Zögern resümieren, daß Apel mit seinem Generaleinwand<br />
recht hat.<br />
Das speziellere Argument, das ausdrücklich gegen <strong>Searle</strong> gerichtet ist, ist identisch mit<br />
dem zweiten Habermasschen Kritikpunkt:<br />
„Die scheinbar so elegante Extrapolation <strong>und</strong> Verallgemeinerung der verifikationistischen Explikation<br />
von Bedeutung in Begriffen der Befriedigungs- oder Erfüllungsbedingungen kann der<br />
sprachlichen Differenzierung der illokutionären Bedeutung von Sprechakten prinzipiell nicht gerecht<br />
werden: So verweisen etwa die Erfüllungsbedingungen im Falle von Befehlen, Bitten, Forderungen<br />
<strong>und</strong> sogar von Nötigungen - »wie Hände hoch!« - in gleicher Weise auf die Wünsche<br />
[...] des Sprechers als die determinierenden intentionalen Bewußtseinszustände; aber damit ist offenbar<br />
nicht die sprachliche Differenzierung der verschiedenen illokutionären Bedeutungen der<br />
angeführten Sprechakte expliziert“ (Apel, 1990, S.34, Hervorhebungen im Original).<br />
Ich möchte nochmals betonen, daß ich dieses Argument <strong>für</strong> intelligent <strong>und</strong> unanfechtbar<br />
halte. Doch m.E. trifft es <strong>Searle</strong> nur marginal. Befehle, Bitten, Forderungen<br />
<strong>und</strong> Nötigungen fallen alle in die Klasse der direktiven Sprechakte. Sie haben allesamt<br />
dieselbe Ausrichtung (Hörer-auf-Wort-Ausrichtung). Die Essentials der <strong>Searle</strong>schen<br />
Theorie bleiben damit also gewahrt. Einzig die Differenziertheit der illokutionären<br />
Rollen innerhalb einer Klasse von Sprechakten sind nicht unmittelbar von den Erfüllungsbedingungen<br />
des intentionalen Zustandes festgelegt. <strong>Searle</strong> verweist in seiner<br />
Antwort auf Habermas‘ Kritik daher auch darauf, daß es dem Intentionalisten darauf<br />
ankommt, „the bare skeletal structure of the basic speech acts“ (Response, S.90, eine<br />
ähnlich Auffassung findet sich schon in <strong>Searle</strong>, 1979c, S.161f.) aufzuzeigen <strong>und</strong> nicht<br />
die komplexen sozialen Ausfaltungen dieses intentionalen Skeletts.<br />
Ich hatte im vorigen Kapitel unter Punkt 4) <strong>und</strong> 5) meiner Kritik gezeigt, daß direktive,<br />
expressive <strong>und</strong> deklarative Sprechakte nicht allein durch die Struktur der geistigen<br />
Intentionalität aufgeklärt werden können. Entweder gab es gar kein intentionales Äquivalent<br />
<strong>für</strong> einen Sprechakt (Deklarative), oder aber waren die intentionalen Äqui-<br />
die Erfüllungsbedingungen festlegen (Int., S.61).
valente selbst nur vor dem Hinterg<strong>und</strong> von Sprechakten bestimmt (Direktive, Expressive).<br />
Das Skelett der Intentionalität wird also seinerseits durch das Skelett der<br />
Sprechakte getragen. Dies scheint mir die berechtigte Kritik zu sein, weil sie <strong>Searle</strong><br />
wirklich trifft. Habermas <strong>und</strong> Apel stimmten meiner Kritik sicher zu, doch die explizite<br />
Kritik <strong>bei</strong>der an <strong>Searle</strong>, was die Analyse des illokutionären Bestandteils angeht,<br />
greift zu kurz.<br />
Ich will <strong>Searle</strong> in diesem Punkt nicht verteidigen, nur ist mir wichtig zu verdeutlichen,<br />
daß die eben dargestellte Kritik von Habermas <strong>und</strong> Apel <strong>Searle</strong> nicht trifft. In anderen<br />
Hinsichten ist Habermas <strong>und</strong> Apel zuzustimmen, in der eben erwähnten nicht.
5. Ergebnisse<br />
Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, das Verhältnis von Sprechakttheorie <strong>und</strong><br />
<strong>Intentionalitätstheorie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Searle</strong> zu klären. <strong>Searle</strong> selbst erhob den Anspruch, mit der<br />
<strong>Intentionalitätstheorie</strong> die Sprechakttheorie zu f<strong>und</strong>ieren. Die damit verb<strong>und</strong>ene<br />
Hauptthese von Intentionality bestand in der Behauptung, die Sprachphilosophie sei ein<br />
Zweig der Philosophie des Geistes.<br />
Die vorliegende Untersuchung zeigte zunächst, daß das Vorhaben, eine Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong><br />
die Sprechakttheorie zu bereiten, verständlich ist. Die Analyse der propositionalen Akte<br />
blieb insgesamt gesehen unbefriedigend, v.a. vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Forderung, das<br />
Meinen von Gegenständen <strong>und</strong> Sachverhalten gr<strong>und</strong>legend aufzuklären. Auch im Rahmen<br />
der Untersuchung illokutionärer Akte blieb der Begriff der Ausrichtung ungeklärt.<br />
Des weiteren sahen wir, daß der Vollzug von Sprechakten im allgemeinen <strong>und</strong> Bedeutung<br />
im besonderen konstitutiv mit Kommunikationsintentionen verb<strong>und</strong>en waren. Eine<br />
Klärung dieser Begriffe konnte erwartet werden.<br />
Die <strong>Intentionalitätstheorie</strong> konnte diese Klärung nicht leisten. Das lag zum einen daran,<br />
daß von <strong>Searle</strong> eine wesentliche Modifikation im Vergleich zur Sprechakttheorie vorgenommen<br />
wurde. Die Kommunikationsintentionen wurden als irrelevant <strong>für</strong> das Bedeutungsproblem<br />
angesehen. Die Theorie der Intentionalität kann unter diesem Aspekt gar<br />
nicht als F<strong>und</strong>ierungsversuch der Theorie von Speech Acts betrachtet werden, weil eine<br />
konstitutive These zurückgenommen wurde. Im übrigen blieb die Ebene des Propositionalen<br />
weiterhin ungeklärt, der Begriff der Ausrichtung wurde auch nicht analysiert.<br />
Insofern sind die erwähnten Erwartungen enttäuscht wurden.<br />
Näherhin zeigte sich, daß der geistigen Intentionalität die behauptete Unabhängigkeit<br />
von Sprache im allgemeinen <strong>und</strong> Sprechakten im besonderen nicht zukam. <strong>Searle</strong>s<br />
These, Sprachphilosophie als Zweig der Philosophie des Geistes anzusehen, ist daher<br />
inakzeptabel. Eine Theorie der Intentionalität kommt nicht ohne Rekurs auf eine Bedeutungstheorie<br />
aus, sowohl hinsichtlich der psychischen Modi als auch in bezug auf<br />
den Repräsentationsgehalt. Illokutionäre Akte <strong>und</strong> Satzverstehen waren selbst zur Klärung<br />
dieser Begriffe erforderlich.<br />
Wir sahen weiterhin, daß – selbst unter der Voraussetzung einer vollständig sprachunabhängigen<br />
Bestimmtheit von psychischen Modi <strong>und</strong> Repräsentationsgehalten – die<br />
Theorie der Bedeutungsverleihung an die Grenze der Verständlichkeit kam. Bedeutung<br />
ist nicht durch allein durch Absicht konstituiert, sondern auf eine Sprachgemeinschaft<br />
bezogen. Die neueren Ar<strong>bei</strong>ten <strong>Searle</strong>s betonen daher wieder die Rolle der kollektiven<br />
Akzeptanz hinsichtlich der Geltung konstitutiver Regeln <strong>und</strong> institutioneller Tatsachen.<br />
Dieser Aspekt sollte im Rahmen einer Sprachtheorie <strong>und</strong> selbst einer Theorie der Intentionalität<br />
nicht ausgeblendet werden.
6. Literaturverzeichnis<br />
Wenn nicht anders ausgewiesen sind die Titel im Text durch die Nennung des Autoren<br />
<strong>und</strong> durch das Jahr der Erstauflage der vorliegenden Ausgabe - hier in Klammern<br />
gesetzt - identifiziert. Zitate von Autoren, die vor dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert gelebt haben,<br />
sind durch Angabe ihres Namens <strong>und</strong> des Titels der Veröffentlichung gekennzeichnet.<br />
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