Liszt: The Complete Songs, Vol. 2 - Angelika ... - Abeille Musique
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so bezeichnend sind. Man hört züngelnde Flammen im<br />
Klavier und aufsteigende Passagen, wenn Johanna den<br />
Scheiterhaufen besteigt; darauf folgt wieder ein anderes<br />
zartes Gebet, dessen gelegentliche Triolenfiguren in der<br />
linken Hand die hohen Trompetensignale andeuten, zu<br />
denen Johanna das Banner von Frankreich hochhält, wenn<br />
sie in ihren Tod geht. <strong>Liszt</strong> läßt diese dramatische Szene<br />
nicht bombastisch ausklingen, sondern mit Musik, die<br />
vom Aufstieg der Heiligen in den Himmel erzählt.<br />
„Der Moment ist gekommen (Nel mezzo del cammin<br />
di nostra vita—35 Jahre!), da ich die Puppe meines<br />
Virtuosentums aufbrechen und meine Gedanken dem<br />
freien Fluge überlassen kann …“, schrieb <strong>Liszt</strong> [1847 an<br />
Erbprinz Carl Alexander von Weimar], Dantes Vergil<br />
paraphrasierend, als er sich darauf vorbereitete, eine der<br />
glanzvollsten Konzertkarrieren in der Geschichte der<br />
Musik aufzugeben und 1848 nach Weimar (Goethes Stadt)<br />
zu ziehen. Für jeden Goetheliebhaber unter den Lied -<br />
komponisten war Faust eine unumgängliche Quelle der<br />
Inspiration, besonders wenn die Personen im Schauspiel<br />
singen. In der achten Szene („Abend“) des ersten Teils<br />
singt Gretchen Es war ein König in Thule, kurz bevor<br />
sie ein Schmuckkästchen entdeckt, das Faust und der<br />
diabolische Mephistopheles für sie zurückgelassen haben.<br />
„Ultima Thule“ hieß der mythische Ort am Ende der<br />
Welt. Die kleine Ballade erzählt, wie ein König seiner<br />
Geliebten über deren Tod hinaus die Treue hält. Schubert<br />
hatte diese Ballade zuvor in einem pseudo-antiken,<br />
ausgedünnten Stil (D367) vertont. <strong>Liszt</strong>s zweite Ver -<br />
tonung spürt hingegen jede Wendung der Geschichte<br />
in episodischer Balladenmanier auf, mit wehmütigen<br />
Erinnerungen in volksliedhafter Melodik für die Sängerin<br />
(allerdings von harmonischen Fortschreitungen begleitet),<br />
Glanz und Gloria für das letzte Bankett des Königs mit<br />
seinen Rittern und einem dramatischen Absinken ins<br />
nasse Grab.<br />
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<strong>Liszt</strong> scheute Liedzyklen, stellte aber gelegentlich zwei<br />
oder drei Lieder mit Texten desselben Dichters zusammen.<br />
Ein Beispiel ist Muttergottes-Sträußlein zum Mai-<br />
Monate des Aachener Poeten Joseph Müller, das auf<br />
der mittelalterlichen Tradition des „Mariengartens“<br />
beruht, in dem die dort blühenden Blumen die Tugenden<br />
der Heiligen Jungfrau symbolisieren. In einem Brief an<br />
Carolyne vom 22. Mai 1857 berichtete <strong>Liszt</strong> von Müllers<br />
Geschenk einer „kleinen Sammlung katholischer Poesie“<br />
und erklärte am 2. August seine Absicht, zwei Gedichte<br />
daraus zu vertonen, „die von der Schlichtheit eines<br />
Rosenkranzes sein sollen“: „Das Veilchen“ und „Die<br />
Schlüsselblumen“ (die gewinnende Anmut symboli -<br />
sieren). In „Das Veilchen“ weist <strong>Liszt</strong> die Sängerin an, mit<br />
halber Stimme zu singen; außerdem könne anstelle des<br />
Klaviers ein Harmonium verwendet werden. Die höchst<br />
romantische Fortschreitung von Harmonien, die um eine<br />
Terz aufsteigen, erscheint in der Mitte jeder Strophe. Die<br />
gewinnende Anmut tritt in der Klaviereinleitung von<br />
„Die Schlüsselblumen“ deutlich hervor, die in vielfältiger<br />
harmonischer Weise mit dem anderen Lied der Gruppe,<br />
„Das Veilchen“, verbunden ist.<br />
Vereinzelt finden sich in <strong>Liszt</strong>s Vertonungen großer<br />
Dichter auch Lieder nach Texten von Zeitgenossen, die<br />
inzwischen weitgehend vergessen sind. Und sprich ist<br />
die Vertonung eines kurzen Gedichts von Rüdiger von<br />
Biegeleben, dem Sohn des Diplomaten Baron Ludwig von<br />
Biegeleben; dieser Staatsmann opponierte gegen Otto von<br />
Bismarck und befürwortete die Führungsrolle Österreichs<br />
im Deutschen Bund. In diesem Gedicht fordert das<br />
lyrische Ich jemanden (das innere Selbst?) auf, das Spiel<br />
von Licht und Schatten auf dem Meer zu beobachten<br />
und aus diesem Anblick etwas über Leid, Glück und Gott<br />
zu lernen. Diese meditative Vertonung aus der Mitte der<br />
1870er Jahre veranschaulicht perfekt das Bemühen des<br />
späten <strong>Liszt</strong> um Ökonomie, wobei er nie seine lebenslange