Liszt: The Complete Songs, Vol. 2 - Angelika ... - Abeille Musique
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Zigeunerkapellen gekoppelt; in Die drei Zigeuner ent -<br />
faltet er sich mit bokázó-Figuren (Hackenschlagfigur),<br />
hallgató (freie Melodien ohne Worte), Triolengirlanden,<br />
der sogenannten „Zigeunertonleiter“ sowie abwechselnd<br />
langsamen und lebhaften Tempi. Es ist nicht verwunder -<br />
lich, dass <strong>Liszt</strong> von diesem Gedicht angezogen war: der<br />
Dichter Nikolaus Lenau (geboren als Nikolaus Franz<br />
Niembsch Edler von Strehlenau im damaligen Ungarn,<br />
heute Rumänien) stellte darin drei Musiker dar, deren<br />
Instrumente (Fiedel, Pfeife und Cimbal) <strong>Liszt</strong> brillant<br />
auf dem Klavier imitiert. Am 27. Mai 1860 schrieb <strong>Liszt</strong><br />
an Carolyne Sayn-Wittgenstein: „Nebenbei hat mich aus<br />
heiterem Himmel die Laune gepackt, Lenaus Zigeuner zu<br />
komponieren—und ich fand am Klavier bald den ganzen<br />
Umriß dazu“; er beendete das Lied am 17. Juni.<br />
Es mag ein Klischee sein, wenn man Goethes Wandrers<br />
Nachtlied II oder Ein Gleiches (Über allen Gipfeln ist<br />
Ruh’) zu einem der größten Meisterwerke der deutschen<br />
Dichtkunst erklärt; doch genau das ist es. Das am<br />
6. September 1780 an die Holzwand einer Hütte auf<br />
dem Gipfel des Kickelhahns (bei Ilmenau) geschriebene<br />
Gedicht beschwört anfangs die anbrechende Nacht und<br />
wandelt diese dann in das bevorstehende Lebensende um.<br />
Am Beginn von <strong>Liszt</strong>s zweiter Version kann man in den<br />
ruhigen Akkorden, deren Grundtöne auf dem Klavier in<br />
Terzen absteigen, den musikalischen Frieden hören, der<br />
sich auf die Landschaft niedersenkt. In den Wieder -<br />
holungen der Schlußzeilen des Dichters hört man ein<br />
Crescendo voller Sehnsucht, Dringlichkeit und wohl auch<br />
einem Hauch von Furchtsamkeit, die der Anrufung des<br />
endgültigen Friedens weicht, mit der die Harmonien des<br />
Anfangs auf einer höheren Ebene wiederkehren.<br />
Alfred de Mussets autobiographischer Roman La<br />
confession d’un enfant du siècle (1836) und sein Sonett<br />
Tristesse von 1840—<strong>Liszt</strong>s Textgrundlage für J’ai perdu<br />
ma force et ma vie—umreißen den sogenannten<br />
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Weltschmerz („le mal du siècle“), eine Mischung aus<br />
Langeweile, Melancholie, Apathie und Lebensüberdruß. In<br />
einem Kondolenzschreiben an die Witwe von Alexej Tolstoi<br />
(eines Cousins zweiten Grades von Leo Tolstoi) von 1875<br />
zitierte <strong>Liszt</strong> den Schluß aus Mussets Gedicht, wonach<br />
das Weinen noch das Beste im Leben sei. Chromatisch<br />
umwölkte, dramatisch-emphatische Seufzerfiguren er -<br />
füllen die Klaviereinleitung, bevor die Stimme mit einer<br />
unbegleiteten rezitativischen Passage einsetzt—typisch für<br />
<strong>Liszt</strong>s späte Lieder. Dieses Werk ist auch emblematisch für<br />
<strong>Liszt</strong> mit der ätherischen Binnenpassage in hoher Lage, in<br />
der das Ewig Gültige evoziert und dessen klangliche Mehr -<br />
deutigkeit erkundet wird: das Ende bleibt in der Schwebe.<br />
Eines der dramatischsten späten Lieder von <strong>Liszt</strong> ist<br />
seine Vertonung von Alexandre Dumas’ (Vater) Szene<br />
Jeanne d’Arc au bûcher, eines der vielen Werke, das<br />
durch den gräßlichen Tod Jeanne d’Arcs mit 19 Jahren<br />
angeregt wurde. Das Bauernmädchen aus Lothringen,<br />
dessen siegreiche Schlachten die Krönung von Charles VII.<br />
ermöglichten, wurde erst 1920 offiziell von der katho -<br />
lischen Kirche heiliggesprochen, spielte aber bereits lange<br />
davor eine bedeutende Rolle in der europäischen Kultur -<br />
geschichte (Friedrich Schillers Tragödie Die Jungfrau<br />
von Orléans ist nur ein Beispiel). <strong>Liszt</strong> hatte gehofft,<br />
erst Dumas, dann Gérard de Nerval überreden zu können,<br />
ein Faust-Libretto für ihn zu schreiben, mußte sich aber<br />
mit diesem kürzeren Juwel dramatischer Verskunst<br />
über ein anderes <strong>The</strong>ma begnügen. Die Musik existiert<br />
in mehreren verschiedenen Fassungen, dazu gehören<br />
drei für Sings timme und Klavier; die erste stammt aus<br />
dem Jahr 1846, die letzte entstand drei Jahrzehnte später.<br />
In dieser letzten Revision setzt das Lied mit langsamer,<br />
qualvoller Ungewissheit ein und entwickelt sich dann<br />
zu einem wunderbaren transparenten Gebet, dessen<br />
Anrufung an den Geist Gottes („Votre Esprit“) einen der<br />
atemberaubenden Harmonie wechsel auslöst, die für <strong>Liszt</strong>