Liszt: The Complete Songs, Vol. 2 - Angelika ... - Abeille Musique
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LISZT Sämtliche Lieder FOLGE 2<br />
D AS<br />
ZWEITE ALBUM der Hyperion-Reihe mit<br />
sämtlichen Liedern von Franz <strong>Liszt</strong> umspannt<br />
mehr als 30 Jahre im Leben des Komponisten, von<br />
der Mitte der 1840er Jahre, also noch seiner Glanzzeit<br />
(oder der früheren Zeit als Virtuose) bis zu seinem von<br />
Verlusten und Problemen überschatteten Alter. Von Anfang<br />
bis Ende zeigen seine Lieder jedoch bestimmte wieder -<br />
kehrende Vorlieben, darunter das für ihn typische<br />
Experimentieren mit Harmonik und Klang; <strong>Liszt</strong><br />
strebte beständig nach einer Art „Zukunftsmusik“. Er<br />
hat anscheinend die Vertonung eines Gedichts nie als<br />
endgültig angesehen und neigte mehr als jeder andere<br />
Liedkomponist im 19. Jahrhundert (außer Schubert)<br />
dazu, ein Werk zu überarbeiten oder neuzukomponieren.<br />
Gänzlich verschiedene Fassungen einer Goethe-Vertonung<br />
von <strong>Liszt</strong> stehen jeweils am Anfang und am Ende dieser<br />
Aufnahme und veranschaulichen die Entwicklung des<br />
Komponisten, der in seinen frühen Jahren zu Extrovertiert -<br />
heit, Langatmigkeit und opulenter Musik neigte, in<br />
späteren dagegen zu größerer Ökonomie, Strenge und<br />
Innerlichkeit. <strong>Liszt</strong> wurde 1811 im deutschsprachigen<br />
Teil Ungarns geboren; 1823 ging die Familie nach Paris. Im<br />
Verlauf seines Lebens nahm er, mal mehr, mal weniger,<br />
eine andere nationale Identität an—die französische,<br />
deutsche, ungarische und italienische. Diese Weltoffenheit<br />
spiegelt sich in der Wahl seiner Liedtexte in sechs Sprachen<br />
(drei davon sind hier vertreten: Französisch, Deutsch<br />
und Italienisch); diese Texte reichen vom amateurhaften<br />
Gelegenheitsgedicht von Mitgliedern seiner erlauchten<br />
aristokratischen Kreise bis zu Werken der „Großen“ der<br />
europäischen Dichtkunst. Die Lieder erweitern mit ihrer<br />
Subtilität und Vielschichtigkeit das Verständnis eines<br />
Komponisten, der niemals wieder als „halb Zigeuner, halb<br />
Priester“ klassifiziert oder abgetan werden kann.<br />
* * *<br />
26<br />
Das Autograph von Goethes Wandrers Nachtlied I (Der du<br />
von dem Himmel bist) enthält einen Eintrag, wonach es<br />
„Am Hang des Ettersberg, d. 12 Feb.76“ konzipiert wurde.<br />
Das Gedicht beginnt mit einigen Nebensätzen, die Gott<br />
preisen, und gelangt erst nach einiger Zeit zum Kern, in<br />
dem das lyrische Ich, das des Faustischen Strebens müde<br />
ist, um Frieden bittet. Der grammatische Fehler, „Schmerz<br />
und Lust“ durch das maskuline „der“ zu verbinden,<br />
obgleich das zweite Substantiv feminin ist, unterstreicht<br />
die Janusköpfigkeit von Schmerz und Lust—die conditio<br />
humana? <strong>Liszt</strong>, der die Bedeutung eines Gebetes um<br />
Seelenfrieden kannte, vertonte das Gedicht zwischen<br />
1842 und 1870 viermal; die vierte Fassung ist unvollendet.<br />
Bezeichnenderweise ist die erste Version (Track 1) die<br />
längste; nach einer brütenden Einleitung des Klaviers<br />
setzt der Sänger mit einem ruhigen Gebet ein. Darauf<br />
folgen abwechselnd Bitten um „süßen Frieden“ und<br />
Klangaufwallungen voller Verzweiflung („Ach, ich bin<br />
des Treibens müde!“), in denen das lyrische Ich<br />
die Worte des kurzen Gedichts mehrfach wiederholt. An<br />
der Dringlichkeit dieses Flehens kann kein Zweifel<br />
bestehen.<br />
In Marling, einem Dorf in Südtirol (im nördlichsten Teil<br />
Italiens, der im Osten und Norden an Österreich grenzt),<br />
verbrachte der Wiener Schriftsteller Emil Kuh, ein Freund<br />
und Biograph des großen Dichters Friedrich Hebbel, seine<br />
letzten Lebensjahre. <strong>Liszt</strong>, derm 1865 die niederen Weihen<br />
der katholischen Kirche erhalten hatte, wurde durch die<br />
Anrufung des lyrischen Ichs an den „heil’gen Gesang“ der<br />
Kirchenglocken zu einem seiner schönsten späten Lieder,<br />
Ihr Glocken von Marling, angeregt. Darin entwickelt sich<br />
die Obertonreihe der Kirchenglocken, deren schwellender<br />
Klang die Luft erfüllt, zu nicht aufgelösten Sept- und<br />
Nonenakkorden, in denen sich <strong>Liszt</strong>s Klangraffinesse<br />
wunderbar lyrisch manifestiert.