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Drei Pfeile in der Kulmer Gasse. AvS - SPD Hamburg

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die auch zurückgekehrt war, wohnte <strong>in</strong> Bramfeld nahe dem Bramfel<strong>der</strong> See <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Plattenhaus 42 . Von diesen Häusern steht noch e<strong>in</strong>es am Kritenbarg 8 als<br />

‚Gedenkstätte Plattenhaus’. Tante Lotte nahm mich e<strong>in</strong>mal mit zu e<strong>in</strong>er Lücke<br />

im Zaun des Ohlsdorfer Friedhofs. Durch die krochen wir h<strong>in</strong>durch und fällten<br />

auf <strong>der</strong> Innenseite e<strong>in</strong>e Fichte als Feuerholz. Auch viele Straßenbäume waren<br />

diesem W<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Kälte zum Opfer gefallen<br />

E<strong>in</strong>e Nachbar<strong>in</strong> nahm mich mit <strong>in</strong>s Theater. Das Schauspielhaus spielte damals<br />

im Gewerkschaftshaus 43 . Es gab „Torquato Tasso“ mit Will Quadflieg. Als wir<br />

nach Hause kamen, stand <strong>in</strong> Friedrichsberg e<strong>in</strong> Kohlenzug. Ich war von dem<br />

Schauspiel noch so e<strong>in</strong>gesponnen, dass ich gar nicht an Klauen dachte, aber me<strong>in</strong>e<br />

Nachbar<strong>in</strong> kletterte auf den Zug und warf Briketts herunter. Ich hatte aber<br />

gar nichts, um sie e<strong>in</strong>zupacken – wir kamen ja aus dem Theater. So nahm ich<br />

eben me<strong>in</strong> Kopftuch ab und packte vier Briketts h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Das waren ja <strong>in</strong> jener<br />

Zeit Schätze! Wenn man zum Beispiel zum Friseur sollte, musste man nicht nur<br />

se<strong>in</strong> eigenes Handtuch mitbr<strong>in</strong>gen, son<strong>der</strong>n auch zwei Briketts, sonst wurde<br />

man nicht bedient.<br />

Wir hatten <strong>in</strong> unsere beschädigte 40qm-Wohnung auf Bitten e<strong>in</strong>es Nachbarn<br />

e<strong>in</strong>e dreiköpfige Familie Wagner aufgenommen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Keller gewohnt<br />

hatte. Wir konnten nicht verstehen, wieso FrauWagner selbst <strong>in</strong> diesem kalten<br />

W<strong>in</strong>ter immer Fenster und Türen sperrangelweit aufmachte. Ihr ältester Sohn<br />

war bei <strong>der</strong> Polizei und nahm tagsüber den Hamsterern ihre Waren ab, zog<br />

sich dann um und g<strong>in</strong>g abends <strong>in</strong> Zivil h<strong>in</strong> und holte die Sachen nach Hause. So<br />

konnten sie <strong>in</strong> dem kle<strong>in</strong>en Zimmer, das sie bewohnten, heizen und mussten<br />

nicht frieren, aber wir froren.<br />

Irgendwann behauptete Frau Wagner plötzlich, wir hätten ke<strong>in</strong> Recht auf die<br />

Wohnung, sie gehörte jetzt ihnen! Zum Glück hatte me<strong>in</strong>e Mutter e<strong>in</strong>en Genossen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>SPD</strong>, <strong>der</strong> ihr beistand und e<strong>in</strong>fach als Beamter vom Wohnungsamt<br />

auftrat und die Frau e<strong>in</strong>schüchterte. Me<strong>in</strong>e Mutter konnte die Wagners rausklagen<br />

– und da verstanden wir dann, wieso die Frau immer so gelüftet hatte:<br />

Ihr Zimmer war verwanzt. Sie hatte die Wanzenpopulation nur durch die Kälte<br />

kle<strong>in</strong> halten können. Wir mussten den Kammerjäger bestellen, <strong>der</strong> dem Spuk<br />

e<strong>in</strong> Ende machte.<br />

Me<strong>in</strong>e Muter war <strong>in</strong>zwischen bei <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>betreuung <strong>der</strong> Arbeiterwohlfahrt<br />

(AWO) tätig. Diese Selbsthilfeorganisation war von den Nationalsozialisten<br />

zerschlagen worden und wurde 1946 <strong>in</strong> Hannover wie<strong>der</strong> gegründet.<br />

Mit ihrem Fotoapparat hielt sie bei e<strong>in</strong>er K<strong>in</strong><strong>der</strong>freizeit auf dem Köhlbrand 44<br />

fest, wie das alte Emblem <strong>der</strong> AWO <strong>in</strong> Handarbeit neu erstellt wurde.<br />

42 Behelfsheime aus Baufertigteilen aus Beton, 1944/45 von weiblichen Gefangenen des KZ Außenlagers Sasel montiert<br />

43 Das größtenteils unversehrte Schauspielhaus übernahmen die Besatzungsmächte. Erst nach und nach, endgültig ab 1948, g<strong>in</strong>g<br />

es wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> deutsche Hände über.<br />

44 Köhlbrand ist <strong>der</strong> Name e<strong>in</strong>es 325 Meter breiten Elbarms zwischen <strong>der</strong> Sü<strong>der</strong>- und <strong>der</strong> Nor<strong>der</strong>elbe. Am dortigen Strandbad gab<br />

es schon <strong>in</strong> den 20er und 30er Jahren Tagesausflüge für K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />

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