Drei Pfeile in der Kulmer Gasse. AvS - SPD Hamburg

in dem nur Name und Datum eingetragen waren. Angeblich war er durch einen
Herzschuss „sofort tot“ und „einer der Besten“. Aber woher wussten sie das mit
dem Herzschuss? Normalerweise wurde einem Gefallenen die Erkennungsmarke
abgenommen und zusammen mit dem Soldbuch den Hinterbliebenen zugeschickt.
Wir bekamen nichts dergleichen. Das bedeutete, dass die Einheit wohl
schon in voller Auflösung und heller Flucht gewesen war. Von Rückzug war
natürlich nie die Rede, es wurde `Frontbegradigung` genannt. Als Sanitäter, das
wussten wir, war er ganz vorne, um Hilfe zu leisten. Was muss er alles mit angesehen
haben! Wir hatten von ihm einen Brief bekommen, der für eventuelle
Zensoren völlig unverfänglich war. Er schrieb: „Wenn du das hier sehen würdest,
dann wüsstest du, dass wir siegen werden.“ Wer ‚wir’ war, das wussten
meine Mutter und ich: Wir von der demokratischen sozialistischen Opposition.
Er muss schreckliche Verbrechen von SS und Wehrmacht gesehen haben.
Auch der jüngste Bruder meiner Mutter, der bei einer Fahrradkompanie an der
Ostfront eingesetzt war, erzählte uns nach dem Krieg, er habe so schreckliche
Sachen hinter der Front gesehen, dass er sich erbrechen musste.
Nun waren meine Mutter und ich noch enger verbunden – falls das überhaupt
noch möglich war. Meine Klassenkameradin Inge hat mir später erzählt, dass sie
mich immer beneidet hat um die enge Verbundenheit und das Einverständnis
zwischen uns beiden.
Meine Mutter besorgte nun ein Zimmer für ihre Mutter und holte Oma aus den
Trümmern Hamburgs nach Bamberg. Mutters Schwester Edda hatte vor der
Feuersturmkatastrophe meinen Cousin Niels geboren. Eigentlich wollte sie ihn
Nils nennen, aber das war nicht erlaubt, weil nicht deutsch genug, so musste ein
‚e’ eingeschoben werden. Meine Mutter setzte sich jetzt auf die Spur von Edda,
sie hatte bereits eine winzige, aber abgeschlossene wenn auch unfertige Wohnung
für sie ausfindig gemacht. Als Edda und Niels endlich gefunden wurden,
war es höchste Zeit, denn er war fast verhungert! Niels konnte schon seinen
Kopf nicht mehr halten. Auf dem Dorf, auf dem Edda gestrandet war, hatte sie
für den Säugling weder Milch noch Nährmittel bekommen, dort hasste man die
Flüchtlinge.
Nun gingen wir Drei daran, ihn wieder aufzupäppeln. Zwar waren auch unsere
Zuteilungen minimal, aber wenn es nichts anderes für ihn gab, nahmen wir ihn
auf den Arm, kauten Nahrungsmittel zu Brei und schoben es ihm von Mund zu
Mund. Das hört sich vielleicht unhygienisch an, aber es hat ihm das Leben gerettet.
Er entwickelte sich prachtvoll – er hatte drei Mütter. Jetzt aber heulten
auch in Bamberg die Sirenen und Edda wohnte mit Niels an der Bahn. Und statt
die Munitions- und Truppentransporte aus der Stadt zu bringen, wurden sie
mitten in der Stadt abgestellt. Natürlich gab es Angriffe darauf und Edda hatte
in der Nähe keine öffentlichen Luftschutzräume außer dem Felsenkeller, der viel
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