Drei Pfeile in der Kulmer Gasse. AvS - SPD Hamburg
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Wir mussten also Kleidungs- Bezugssche<strong>in</strong>e beantragen. Dafür kaufte me<strong>in</strong>e<br />
Mutter unter an<strong>der</strong>em Wolle, um mir e<strong>in</strong>e Jacke zu stricken. Aus dieser Wolle<br />
zogen wir seltsamerweise lange Menschenhaare hervor. Me<strong>in</strong>e Mutter fragte,<br />
was das sei und bekam die Antwort: „Schafwolle“. Sie sagte: „Na, das s<strong>in</strong>d wohl<br />
deutsche Schafe!“. Wir ahnten damals aber noch nichts von den Gräueln <strong>in</strong> den<br />
KZs, sonst hätte uns vor dieser Wolle gegraust und wir hätten sie abgelehnt.<br />
Luzie war befreundet mit e<strong>in</strong>em Bäcker namens Dicker 34 . Sie führte uns dort e<strong>in</strong>.<br />
Er vertraute uns und lud uns manchmal e<strong>in</strong>, Fe<strong>in</strong>dsen<strong>der</strong> zu hören. Dann saßen<br />
wir alle um se<strong>in</strong> ganz leise gestelltes<br />
Radio, das Licht war ausgeschaltet,<br />
damit ke<strong>in</strong> verräterischer Strahl h<strong>in</strong>aus<br />
dr<strong>in</strong>gen konnte, denn er hatte<br />
ja Personal. Mit dem Radio saßen<br />
wir unter dicken Decken verborgen,<br />
damit ke<strong>in</strong> Geräusch nach draußen<br />
drang.<br />
Endlich erfuhren wir, dass unsere<br />
Wohnung <strong>in</strong> <strong>Hamburg</strong> zwar beschädigt<br />
war, aber noch stand. So fuhren<br />
wir nach <strong>der</strong> Hopfenernte nach <strong>Hamburg</strong><br />
um nachzusehen. Dort bekam<br />
ich im Knie e<strong>in</strong>e Wundrose, sie war<br />
durch die lange Reizung <strong>der</strong> Haut<br />
durch die Hopfenranken hervorgerufen<br />
worden. Wir irrten durch die<br />
<strong>Hamburg</strong>er Trümmerlandschaft auf<br />
<strong>der</strong> Suche nach e<strong>in</strong>em Arzt und ich<br />
Foto Gertrud Hensse beim Bäcker Dicker<br />
fiel dabei mehrere Male <strong>in</strong> Ohnmacht.<br />
Aber wir mussten ja nach Bamberg zurück und wohnten dort glücklicher Weise<br />
bei e<strong>in</strong>em Arzt, <strong>der</strong> mich behandeln konnte.<br />
In <strong>der</strong> Schule bekamen wir als Aufsatzthema „Stadt und Land“, das hieß, das<br />
Landleben <strong>in</strong> den Himmel zu loben und die Stadt, den „Asphaltdschungel“ <strong>in</strong><br />
Grund und Boden zu verdammen, das entsprach <strong>der</strong> Naziideologie. Das wusste<br />
ich zwar, aber trotzdem schrieb ich e<strong>in</strong>en Aufsatz, <strong>in</strong> dem ich e<strong>in</strong> Loblied auf<br />
<strong>Hamburg</strong> sang. Das musste ich dann vorlesen und die Klasse war empört. Der<br />
Klassenlehrer, Dr. Fehn, sprang aber für mich <strong>in</strong> die Bresche, paukte mich raus<br />
und nahm mich zu me<strong>in</strong>er Verwun<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> Schutz. Natürlich trug auch er e<strong>in</strong><br />
Parteiabzeichen, aber wer kann schon <strong>in</strong> das Innere e<strong>in</strong>es Menschen schauen?<br />
Meistens hatten wir freie Wahl bei dem Aufsatzthema, aber manchmal war es<br />
auch vorgegeben. So hieß es e<strong>in</strong>mal: „Vorsicht, Fe<strong>in</strong>d hört mit!“ Da ließ ich e<strong>in</strong>e<br />
34 Heute heißt <strong>der</strong> Laden Marktbäck<br />
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