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Drei Pfeile in der Kulmer Gasse. AvS - SPD Hamburg

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gen lassen, zum Bahnhof eilen, zum<strong>in</strong>dest bis über die ehemalige Reichsgrenze<br />

fahren und dann sehen, dass ich nach Hause komme. So verhielt ich mich dann<br />

auch, noch wurde Flüchten aber nicht nötig.<br />

Selbst uns war nicht mehr zu verheimlichen, dass die Lage <strong>in</strong> Stal<strong>in</strong>grad sich<br />

zuspitzte. E<strong>in</strong>mal mussten wir uns e<strong>in</strong>e Führerrede anhören. Ich saß mit e<strong>in</strong>er<br />

Klassenkamerad<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> h<strong>in</strong>tersten Reihe. Und als <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rede sehr betont dauernd<br />

die Wendungen ‚und dennoch!’, ‚und trotzdem!’, auftauchten, begannen<br />

wir, e<strong>in</strong>e Strichliste anzufertigen, Was uns außerdem auffiel, war <strong>der</strong> ‚Beifall’.<br />

Man hörte deutlich, dass das Geräusch bloß durch das Anlassen e<strong>in</strong>es Motors<br />

hervorgerufen wurde.<br />

Dann fiel Stal<strong>in</strong>grad 29 und plötzlich erklärten die Führer<strong>in</strong>nen, dass sie unsere<br />

Post e<strong>in</strong>sammeln und selber <strong>in</strong> den Briefkasten br<strong>in</strong>gen wollten, „damit wir<br />

nicht im Dunkeln alle<strong>in</strong> draußen herumlaufen müssten.“ Auf diese Idee waren<br />

sie vorher nie gekommen! Ich dachte: „Holzauge sei wachsam“, schrieb e<strong>in</strong>en<br />

Haufen unverfängliche Karten an alle möglichen Bekannten, die ich abgab. Den<br />

Brief an me<strong>in</strong>e Eltern brachte ich natürlich selbst zum Briefkasten.<br />

E<strong>in</strong>es Nachts hörte ich e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>sames Flugzeug, aber sonst war <strong>der</strong> Luftraum<br />

über Karlsbad noch ruhig. Da schrieb ich nach Hause: „Ob das wohl Adolf ist,<br />

<strong>der</strong> abhaut?“ Daraufh<strong>in</strong> bekam ich von me<strong>in</strong>en Eltern e<strong>in</strong>e Warnung, ich sollte<br />

mich vorsehen. Ich begriff sofort. An e<strong>in</strong>e mögliche Briefzensur hatte ich nicht<br />

gedacht. Dieses Mal war es zum Glück gut gegangen. So etwas passierte mir<br />

nicht wie<strong>der</strong>.<br />

Im März 1943 fuhren wir wie<strong>der</strong> zurück nach <strong>Hamburg</strong>. Nach diesen Sommerferien<br />

sollte ich <strong>in</strong> die För<strong>der</strong>klasse <strong>der</strong> Klosterschule am Berl<strong>in</strong>er Tor kommen,<br />

um von da aus auf die Höhere Schule über zu wechseln.<br />

Durch se<strong>in</strong>e Arbeit beim Oberstabsarzt war me<strong>in</strong> Vater zunächst u.k. gestellt,<br />

d.h. unabkömmlich. Me<strong>in</strong>e Eltern nahmen immer zur gleichen Zeit Urlaub, so<br />

dass die ganze Familie geme<strong>in</strong>sam wegfahren konnte. 1939 waren wir per Fahrrad<br />

<strong>in</strong> den Harz gefahren. Ich hatte e<strong>in</strong> eigenes Rad bekommen, an dem me<strong>in</strong> Vater<br />

den Sattel so tief setzte, dass ich an die Pedale herankam. Die nächsten Jahre<br />

fuhren wir dann mit den Rä<strong>der</strong>n nach Süddeutschland. In Bamberg wohnte e<strong>in</strong>e<br />

Bekannte aus <strong>der</strong> Sozialistischen Arbeiterjugend, die wir besuchten.<br />

Mittlerweile gab es Lebensmittel und an<strong>der</strong>es nur auf Marken. Um verreisen zu<br />

können, konnte man e<strong>in</strong> bestimmtes Kont<strong>in</strong>gent Bezugsmarken <strong>in</strong> Reisemarken<br />

umtauschen. Bei e<strong>in</strong>em Besuch <strong>in</strong> Nürnberg marschierte e<strong>in</strong>e Kolonne KZ-<br />

Gefangener <strong>in</strong> gestreifter Häftl<strong>in</strong>gskleidung an uns vorbei. Me<strong>in</strong>e Mutter g<strong>in</strong>g<br />

neben den Gefangenen her, rempelte e<strong>in</strong>en an, schimpfte und steckte ihm dabei<br />

Reisemarken <strong>in</strong> die Hand. Etwas an<strong>der</strong>es hatten wir ja lei<strong>der</strong> nicht.<br />

29 Die Vernichtung <strong>der</strong> deutschen 6. Armee <strong>in</strong> Stal<strong>in</strong>grad war <strong>der</strong> Wendepunkt des Krieges<br />

21

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