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Drei Pfeile in der Kulmer Gasse. AvS - SPD Hamburg

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lich geschah konnten sich nicht e<strong>in</strong>mal me<strong>in</strong>e Eltern vorstellen, das war jenseits<br />

aller Vorstellungskraft. Das betraf ja auch die Roma und S<strong>in</strong>ti. Me<strong>in</strong> Großonkel<br />

Max war mit e<strong>in</strong>er S<strong>in</strong>tifamilie Weiss befreundet. 25 Ich war bei ihnen <strong>in</strong> ihrem<br />

Wagen zu Besuch und spielte mit <strong>der</strong> Tochter namens Schöni. Und plötzlich<br />

waren sie nicht mehr da! Ke<strong>in</strong>er von ihnen war mehr da!<br />

Mit me<strong>in</strong>er Lehrer<strong>in</strong> im Oberbau, Ella Ferck, verstand ich mich ausgesprochen<br />

gut. Ich sprach sie e<strong>in</strong>mal mit „Du“ an und das bürgerte sich schnell <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen<br />

Klasse e<strong>in</strong>. Dieses Mal hatte offenbar ke<strong>in</strong>er „von oben“ etwas dagegen e<strong>in</strong>zuwenden.<br />

Ich habe sie nach dem Krieg besucht. Da hat sie mir erzählt, dass sie<br />

sich e<strong>in</strong>mal mit Zaacke im Lehrerzimmer e<strong>in</strong>geschlossen hatte und ihn zur Rede<br />

gestellt hat, warum er mich sitzen lassen wollte, ich sei doch sehr <strong>in</strong>telligent.<br />

Zur Antwort bekam sie: „Das ist es ja gerade! Bei unseren Fe<strong>in</strong>den müssen wir<br />

die Intelligenten ausmerzen.“ Ich mit me<strong>in</strong>en zehn Jahren war also e<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d.<br />

Durch Elli Ferck sollte ich nach den Ferien 1943 <strong>in</strong> die För<strong>der</strong>klasse zur Höheren<br />

Schule. Vorher fuhren wir aber im September 1942 noch <strong>in</strong> die K<strong>in</strong><strong>der</strong>landverschickung<br />

(KLV) nach Karlsbad im damaligen Sudentenland, das ja unterdessen<br />

„heim <strong>in</strong>s Reich“ geholt worden war. Wir fuhren auf e<strong>in</strong>em Raddampfer<br />

elbaufwärts bis Aussig. Die Beson<strong>der</strong>heit dieser Fahrt mit e<strong>in</strong>em Raddampfer<br />

und durch das Elbsandste<strong>in</strong>gebirge war mir gar nicht klar. Als wir aber <strong>in</strong> Magdeburg<br />

ausstiegen, um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Turnhalle zu übernachten, fiel es mir sehr unangenehm<br />

auf, dass, wenigstens damals, es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Straße ke<strong>in</strong>e Bäume gab. Das war<br />

<strong>in</strong> <strong>Hamburg</strong> an<strong>der</strong>s.<br />

Wir teilten das Heim <strong>in</strong> <strong>der</strong> Karlsba<strong>der</strong> Panoramastrasse 52 mit e<strong>in</strong>er Klasse aus<br />

dem Tieloh. 26 Deren Lehrer, Herr Ostermeyer, war SS-Mann 27 und lief immer <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er schwarzen Uniform herum. Er war natürlich Lagerführer, tat uns aber<br />

nichts, ganz im Gegensatz zu den beiden BDM-Führer<strong>in</strong>nen. Die beklauten uns<br />

nach Strich und Faden.<br />

Nach e<strong>in</strong>iger Zeit stellte sich heraus, dass die beiden BDM-Führer<strong>in</strong>nen bei sich<br />

e<strong>in</strong>e Art Bordell für <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe stationierte Panzergrenadiere e<strong>in</strong>gerichtet hatten.<br />

Es genügte aber e<strong>in</strong> Anruf von Herrn Ostermeyer nach <strong>Hamburg</strong> zur sogenannten<br />

„Bannführer<strong>in</strong>“ Gertrud Bolz. Sie kam postwendend, die beiden hatten<br />

e<strong>in</strong>e Stunde Zeit zum Packen und verschwanden. kamen dann zwei Neue, die<br />

aber nicht weiter auffielen.<br />

Als das Lager e<strong>in</strong>gerichtet wurde, wurden e<strong>in</strong> paar von uns <strong>in</strong> die städtische<br />

Bücherei geschickt, um uns mit Büchern zu versorgen. Der Wagen wurde mit<br />

25 Die S<strong>in</strong>ti-Großfamilie Weiss lebte <strong>in</strong> Harburg. Vgl. Viviane Wünsche: ‚Als die Musik verstummte...‘ In: Landeszentrale für<br />

politische Bildung <strong>Hamburg</strong> (Hrsg.): Die nationalsozialistische Verfolgung <strong>Hamburg</strong>er Roma und S<strong>in</strong>ti. 2. aktual. Aufl. <strong>Hamburg</strong><br />

2006<br />

26 Seit 1920 e<strong>in</strong>e von vier Versuchsschulen im <strong>Hamburg</strong>er Arbeiterviertel Barmbek: Koedukation und Reformpädagogik. Der<br />

Reformpädagoge und Schriftsteller Wilhelm Lamszus war dort <strong>in</strong> den 20er Jahren als Lehrer tätig. Er wurde 1933 entlassen.<br />

27 SS-Schutzstaffel <strong>der</strong> NSDAP, maßgeblich an Massenmorden beteiligt. Nach 1945 verboten.<br />

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