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Drei Pfeile in der Kulmer Gasse. AvS - SPD Hamburg

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Sie werfen den Weizen <strong>in</strong>s Feuer!<br />

Sie werfen den Kaffee <strong>in</strong>s Meer.<br />

Und wann werfen die Säckeschmeißer<br />

Die fetten Räuber h<strong>in</strong>terher?<br />

Siehst du, das hat ‚n S<strong>in</strong>n, me<strong>in</strong> Junge!<br />

Siehst du, das wird e<strong>in</strong> W<strong>in</strong>ter, me<strong>in</strong> Junge<br />

Wie er <strong>in</strong> de<strong>in</strong>em Leben nie wie<strong>der</strong>kehrt.<br />

Ich hatte e<strong>in</strong>en eigenen Schrank mit Spielzeug und K<strong>in</strong><strong>der</strong>büchern. Me<strong>in</strong>e Eltern<br />

sahen sehr darauf, dass ich gute Bücher bekam. Darunter befand sich auch<br />

e<strong>in</strong> Heft <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>freunde „Oh Mieke Meier“, nach 1933 hoch gefährlich, denn<br />

dar<strong>in</strong> kamen Wimpel <strong>der</strong> „Roten Falken“ vor und e<strong>in</strong> Nazi, dem die Hakenkreuze<br />

aus den Augen fielen.<br />

Jetzt begann <strong>der</strong> Terror <strong>der</strong> Nazis. Bei uns gab es Haussuchungen. Für me<strong>in</strong>e<br />

Eltern waren Bücher Schätze – das war bei allen Sozialisten so. Sie wurden auch<br />

untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ausgeliehen, denn ke<strong>in</strong>er hatte Geld, aber alle waren wissbegierig.<br />

Me<strong>in</strong>e Eltern hatten ziemlich viele Bücher. Dar<strong>in</strong> hauste jetzt die SA wie<br />

die Vandalen und übrigens waren sie Banausen und hatten ke<strong>in</strong>e Ahnung von<br />

Literatur. Wir hatten viele Bücher aus <strong>der</strong> Büchergilde (Davon habe ich heute<br />

noch e<strong>in</strong>ige, z.B. von Traven 16 und Ibanez 17 ) Diese ließen sie stehen, hatte jedoch<br />

e<strong>in</strong> Buch e<strong>in</strong>en roten E<strong>in</strong>band – egal wie <strong>der</strong> Inhalt war – dann war es dran! Nun<br />

kam etwas ganz Schlimmes: Me<strong>in</strong>e Mutter wurde gezwungen, ihre eigenen Bücher<br />

im Ofen zu verbrennen! Sie we<strong>in</strong>te bitterlich. E<strong>in</strong> Polizist mit Tschako (so<br />

nannte man damals den Helm <strong>der</strong> Polizisten), <strong>der</strong> den SA-Mann begleitete und<br />

wohl noch nicht braun gefärbt war, stellte sich zwischen me<strong>in</strong>e Mutter und den<br />

SA-Mann, klopfte ihr unauffällig auf die Schulter und sagte leise: „Nun machen<br />

sie es nicht noch schlimmer!“<br />

Durch diese Erlebnisse wusste ich schon, was von den Nazis zu erwarten war.<br />

Außerdem kannte ich bald den Schreckensbegriff KZ und wusste, dass ich mich<br />

vorsehen musste, um me<strong>in</strong>e Eltern nicht <strong>in</strong>s KZ zu br<strong>in</strong>gen. Bei e<strong>in</strong>er Ausfahrt<br />

mit den Rä<strong>der</strong>n kamen wir an e<strong>in</strong>em Wald vorbei, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>gezäunt war. Me<strong>in</strong>e<br />

Eltern sagten, dass dort, weit weg h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em weiteren Zaun, e<strong>in</strong> Gefangenenlager<br />

sei. Das war gruselig.<br />

Da me<strong>in</strong> Vater schon so lange erwerbslos war, sollte er nach Glasmoor 18 zum<br />

Arbeiten. Me<strong>in</strong>e Mutter stemmte sich mit aller Macht dagegen, <strong>in</strong>s Moor sollte<br />

er nicht – und g<strong>in</strong>g auch nicht – noch war er ja nicht Gefangener.<br />

1935 war ich sechs Jahre alt und wurde e<strong>in</strong>geschult. Me<strong>in</strong>e Schule stand am<br />

Graudenzer Weg (heute Schule Alter Teichweg) , e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wun<strong>der</strong>vollen Kl<strong>in</strong>-<br />

16 B. Traven (Pseudonym, vermutlich Otto Feige alias Rex Marut ) berühmter sozialkritischer Schriftsteller<br />

17 Vicente Blasco Ibáñez (* 29. Januar 1867 - 28. Januar 1928) war e<strong>in</strong> spanischer Schriftsteller und Politiker.<br />

18 E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe von Nor<strong>der</strong>stedt 1922 eröffnete Justizvollzugsanstalt, <strong>der</strong>en Insassen – auch die politischen Gefangenen – zum<br />

Torfabbau e<strong>in</strong>gesetzt wurden.<br />

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