Drei Pfeile in der Kulmer Gasse. AvS - SPD Hamburg
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ten, setzte ich sie <strong>in</strong> Erstaunen. Das war das Café des Konsum gewesen und ich<br />
konnte höchstens e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahre alt gewesen se<strong>in</strong>, denn danach wohnten wir<br />
wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Hamburg</strong>.<br />
Hier zogen wir nach Wandsbek-Gartenstadt <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Neubaugebiet, <strong>Kulmer</strong> <strong>Gasse</strong><br />
5, Parterre. Es wurde „die Weißen Blocks“ genannt, o<strong>der</strong> auch Kle<strong>in</strong> Marokko<br />
– eben wegen dieser weißen Häuser Es gab e<strong>in</strong>en Balkon, auf den die Türen<br />
von zwei Wohnungen g<strong>in</strong>gen. Ich er<strong>in</strong>nere mich noch daran, dass e<strong>in</strong> Nachbar<br />
manchmal auf dem Balkon se<strong>in</strong>e Fahrradlampe mit Karbid füllte. Den Geruch<br />
fand ich furchtbar. Außerdem sah ich e<strong>in</strong>en „Zepp“ (Zeppel<strong>in</strong>) vorüber schweben,<br />
manchmal auch e<strong>in</strong> Flugzeug. Alle rannten auf die Straße und schrien „Fliegeer!“.<br />
In <strong>der</strong> Straße wohnte e<strong>in</strong> Mann, <strong>der</strong> bei Sonnensche<strong>in</strong> draußen saß und<br />
se<strong>in</strong> Be<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Sonne hielt. Me<strong>in</strong>e Mutter erklärte mir, dass er im Krieg verwundet<br />
worden sei und nun versuchte, die Wunde von <strong>der</strong> Sonne heilen zu lassen.<br />
Am Horizont zogen bereits die Nazis drohend auf. Eigentlich sollte ich noch<br />
Geschwister haben, aber me<strong>in</strong>e Eltern sagten: „Wenn die Nazis kommen, gibt es<br />
Krieg. Da h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> setzen wir ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>.“ Ich hatte schon allerhand mitgekriegt<br />
und wusste jedenfalls, dass Krieg etwas sehr Bedrohliches ist.<br />
Me<strong>in</strong> Vater wurde erwerbslos und blieb es siebene<strong>in</strong>halb Jahre lang. Bald lebten<br />
wir von Wohlfahrtsunterstützung, d.h. pro Woche 13,80 Reichsmark. 7<br />
E<strong>in</strong>e eiserne Bettstelle hatte me<strong>in</strong> Vater von <strong>der</strong> „Wohle“ bekommen. Ich g<strong>in</strong>g<br />
manchmal mit ihm zum Stempeln 8 . Als e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> dem Anfang <strong>der</strong> 80er Jahre <strong>in</strong><br />
<strong>Hamburg</strong> im neu errichteten Museum <strong>der</strong> Arbeit so e<strong>in</strong> Stempelschalter aufgestellt<br />
war, erkannte ich ihn wie<strong>der</strong> und sah mich als kle<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>d mit ihm <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Schlange stehen.<br />
Me<strong>in</strong>e Mutter war sehr geschickt und konnte „zaubern“, d.h. aus Nichts was<br />
machen, so dass die Not nie zu drückend wurde. Beide Eltern hatten Fahrrä<strong>der</strong><br />
und wir fuhren häufig „raus“ o<strong>der</strong> gar „auf Fahrt“ übers Wochenende. Ich saß<br />
auf dem K<strong>in</strong><strong>der</strong>sattel vor me<strong>in</strong>em Vater und hörte und spürte se<strong>in</strong>en Atem im<br />
Genick. Wir übernachteten oft im Stroh o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em von me<strong>in</strong>er Mutter aus<br />
drei Bettlaken zusammengenähten Zelt. Diese Fahrten waren für mich herrlich.<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern hatten e<strong>in</strong>en wun<strong>der</strong>vollen Humor, beson<strong>der</strong>s me<strong>in</strong> Vater machte<br />
viel dummes Zeug. E<strong>in</strong>mal sprang er über e<strong>in</strong>en Stacheldrahtzaun, <strong>in</strong> dem er<br />
mit dem Hosenboden hängen blieb. Der riss aus und an se<strong>in</strong>er Stelle blickte die<br />
weiße Unterhose hervor. Daraus machte me<strong>in</strong>e Mutter überhaupt ke<strong>in</strong> Drama,<br />
son<strong>der</strong>n wir lachten alle drei. Noch später, wenn wir dort vorbeifuhren, sahen<br />
wir den Hosenboden im Zaun hängen und im W<strong>in</strong>d flattern.<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern bescherten mir e<strong>in</strong>e glückliche K<strong>in</strong>dheit. Ich glaubte niemals an<br />
den Weihnachtsmann, son<strong>der</strong>n fand es so schön, dass ich all die liebevoll gebas-<br />
7 Das reichte kaum zum Leben, zum Vergleich: das durchschnittliche Gehalt e<strong>in</strong>es Angestellten betrug damals zwischen 150 und<br />
200 RM.<br />
8 E<strong>in</strong>mal pro Woche mussten sich die Arbeitslosen per Stempel bestätigen lassen, dass sie ke<strong>in</strong>e Arbeit bekommen hatten.<br />
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