Gerhard Leithäuser - www-user
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<strong>Gerhard</strong> <strong>Leithä<strong>user</strong></strong><br />
Hakuna Matata<br />
Quelle: Daily Nation, Nairobi, 5th Mai 1998<br />
oder Bericht über<br />
eine Reise in ein Randgebiet der Marktwirtschaft<br />
(1. Fassung 30.08.01)<br />
I<br />
Es gibt noch weiße Flecken auf der wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Landkarte. Sie zu erkunden kann Ziel einer Reise sein. Ein solches Land ist<br />
K. Auf Glanzpapier sind die wilden Tiere ausnehmend putzig, die<br />
Menschen auch, wenn sie ihre traditionellen Trachten tragen. Das Wetter<br />
ist schön. Der Strand ist von Palmen gesäumt. Das Wasser ist klar und lädt<br />
zum Baden ein. Der Tourismus ist eine wichtige Quelle von<br />
Deviseneinnahmen.<br />
II<br />
Ein Reisender im Safarilook wird mit einigen anderen ähnlich<br />
Verkleideten vom Reiseveranstalter am Flughafen abgeholt. Vor kurzem<br />
wurde Visumszwang eingef ührt. 50 $ sind bar zu entrichten. Die<br />
Einreisenden müssen ein kompliziertes Formular ausfüllen. Dann eilen sie<br />
zum Exchange. Dort erfahren sie, dass zusätzlich 8 $ Umtauschgebühren<br />
1
erhoben werden. Deutliches Murren lässt sich vernehmen. Worte wie<br />
„Unverschämtheit“ unterbrechen die Erläuterungen der Reiseleitung. Der<br />
Staat übt seine Macht aus, die dem Tourismus erheblichen Schaden<br />
bringen wird. So ein Unsinn wird von den Märkten bestraft. Die werden<br />
schon sehen, was sie sich da einhandeln. Für den Staat im Lande K ist<br />
jedoch ähnlich wie bei Devisenmaklern nur die kurze Frist wichtig.<br />
Rechnungen in Fremdwährung sind überfällig. Die Devisenreserven sind<br />
aufgebraucht. Ohne Devisen müssen Auslandsreisen von Politkern<br />
gestrichen werden. Die Treue der Gefolgschaft und der politischen Klientel<br />
lässt sich Fremdwährung besser erhalten als in der abwertungsgefährdeten<br />
Landeswährung, besonders wenn Wahlen anstehen und das ist der Fall.<br />
Das Botschaftspersonal wird nur noch unregelmäßig bezahlt. Da greift die<br />
Regierung nach jedem Strohhalm, der wenn schon keine Rettung so doch<br />
Aufschub verspricht.<br />
III<br />
Dann steigen die Pauschalreisenden in den klimatisierten Reisebus und<br />
merken gar nicht, dass die Lufttemperatur draußen nicht mehr als 17°<br />
beträgt. Sie fahren in die morgendliche Rushhour. Linksverkehr, so will es<br />
die koloniale Vergangenheit. Aber wie, was denn? Hier gibt es ja<br />
überhaupt keine Verkehrszeichen und auch keine Ampeln. Aus den<br />
anfahrenden Lastwagen und Kleinbussen entweichen dunkle<br />
Abgaswolken. Smog breitet sich aus, der die Morgensonne verdunkelt und<br />
die Sichtweite begrenzt. Nie was vom TÜV gehört? Zebrastreifen sind<br />
nicht mehr erkennbar, falls es je welche gab. Hin und wieder stürzen sich<br />
Stoßtrupps von Einheimischen, die offenbar zu Fuß zur Arbeit hasten,<br />
todesmutig auf die Straße. Polizisten und Polizistinnen stehen unbeteiligt<br />
herum. Verkrüppelte Bettler versuchen ihre Lepraschäden oder die Folgen<br />
der Kinderlähmung zu Geld zu machen. Am Kreisverkehr, in den man nur<br />
schwer hinein und noch schwerer hinaus kommt, steht eine Polizistin. Sie<br />
scheint mit ihrem langen Schlagstock eine langsame Morgengymnastik zu<br />
absolvieren, die von niemandem beachtet wird. Offenbar wünscht sie dabei<br />
auch gar nicht gestört zu werden. Am nächsten Kreisverkehr ist ein<br />
Lastwagen umgestürzt und hat einige Passanten unter sich begraben. Die<br />
Menschenansammlung ist groß und wächst schnell. Jetzt ist kein<br />
Weiterkommen mehr. Ein großer gelber Kranwagen erscheint.<br />
Polizistinnen und Polizisten unterhalten sich angeregt. Am Stau können sie<br />
sowieso nichts ändern. – Im Bus werden Stimmen laut. Verkehrsregeln<br />
müssen sein, auch wenn nicht einzusehen ist, warum der Verkehr dann<br />
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flüssiger laufen sollte. Im Lande K geht es auch ohne Regeln. Und mit<br />
Regeln geht es auch nicht besser, nur anders und wahrscheinlich<br />
mindestens genau so mörderisch.<br />
IV<br />
In den Städten kann es den devisenbringenden Touristen schon einmal<br />
passieren, dass ein Einheimischer sie ausraubt. Der Einheimische geht<br />
dabei offenbar von der nicht unbedingt falschen Annahme aus, dass die<br />
Devisen nicht an der richtigen Stelle landen oder nicht für wichtige<br />
Entwicklungsziele eingesetzt werden. Nach langem Nachdenken, wozu<br />
ihm die Arbeitslosigkeit auch Zeit lässt, beschließt ein Einheimischer, dass<br />
ein paar Flaschen Bier jetzt und hier aus seiner Sicht die beste Verwendung<br />
für das Geld eines Touristen wären und schreitet zur Tat. Er zeigt eine<br />
Pistole vor, um Missverständnissen vorzubeugen. Der Rest ist sehr schnell<br />
erledigt. Der Straßenräuber verschwindet in der Menge. Traurig irrt unser<br />
Devisenbringer ohne Geld und ohne Papiere umher in eine Richtung, wo er<br />
sein Hotel vermutet. Da sieht er den Devisenumverteiler am Straßenrand<br />
hocken und seine Biervorräte überprüfen. Zweifelsohne, das ist der<br />
Übeltäter, erkennbar an der zu dunkelblauen Jacke mit dem großen Loch<br />
im Ärmel und der Narbe auf der rechten Stirnseite. Voller Zorn stellt der<br />
Devisenbringer den Umverteiler lautstark zur Rede. Eine schnell<br />
wachsende Ansammlung von Einheimischen umringt die beiden. Der<br />
hilflose, immer ängstlicher wirkende Übeltäter tut als verstünde er von<br />
allem nichts. Zwei Polizisten sind zufällig in der Nähe und durchsuchen<br />
seine Taschen. Die Pistole fällt zu Boden. Sie ist aus Plastik. Die Hüter des<br />
Gesetzes finden Geld und die Ausweise. Der Musungi ist auf den Passbild<br />
zweifelsfrei zu erkennen. Da erhebt sich ein großes Geschrei. Staub wird<br />
aufgewirbelt. Es wird wild geprügelt. Zwei Schüsse fallen. Unser Tourist<br />
sieht den Räuber blutüberströmt und regungslos am Boden. Er hat einen<br />
Erstehilfekurs absolviert, untersucht den Liegenden und stellt<br />
Herzstillstand fest. Was tun? Die Polizisten und die Einheimischen sind<br />
verschwunden, seine Papiere und sein Geld bleiben unauffindbar. Die<br />
Umverteilung ist mindestens eine, vielleicht auch schon mehrere Runden<br />
weiter. Er steht allein neben dem Toten und hat keinen Einfluss mehr<br />
darauf, wer wie viel von seinem Geld erhält. Passanten gehen ungerührt<br />
vorbei. Nur eine alte Frau schlägt ein Kreuz über der blutverschmierten<br />
Leiche und sieht den Touristen mit vorwurfsvollem Blick an. Angesichts<br />
der ungeklärten Rechtslage geht der Tourist tief erschüttert zwar aber<br />
schnellen Schrittes weiter. Vorsichtig versucht er die Mine eines<br />
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Unbeteiligten aufzusetzen. Das fällt ihm schwer. Wellen von Angst<br />
schlagen über ihm zusammen. Er fühlt sich verfolgt und bedroht. – Um<br />
sich abzulenken, zwingt er sich, über Fragen der Verteilung und der<br />
Umverteilung in Marktwirtschaften nachzudenken. Wird nicht umverteilt,<br />
dann werden positive Anreize wirksam. Die Arbeitslosen müssen sich<br />
bewegen, müssen tätig werden, Verantwortung für sich selbst<br />
übernehmen... Auch nach seiner heutigen Erfahrung möchte er nicht von<br />
dieser Weisheit abrücken, die er seit seiner Zeit an der Universität für<br />
gottgegeben hält. Er fährt fort in seinem inneren Monolog. Wie kann man<br />
aber Betätigungsfelder wie Raub ausschließen, wenn Bedürfnisse wie<br />
Hunger oder Durst vorliegen, die nicht lange aufgeschoben werden<br />
können, besonders, wenn kleine Kinder leiden müssen? Ja, das<br />
Gewaltmonopol sollte beim Staat bleiben. Der Staatsanteil muss dennoch<br />
gering gehalten werden. Die Staatsausgabenquote sollte 10% auf keinen<br />
Fall überschreiten. Das will auch Milton Friedman so. Das sollte reichen,<br />
um Recht und Gesetz zum Durchbruch zu verhelfen und sein Erlebnis von<br />
heute morgen zu verhindern. Doch wie soll man die Armen, die ja nicht<br />
unbedingt die Schwachen sind, von der „averse selection“ abbringen und<br />
davon überzeugen legal zulässige und sozial verträgliche Möglichkeiten<br />
vorzuziehen. Umverteilung hat soziale Kosten, sei sie nun legal oder<br />
illegal. Welche legalen und sozial verträglichen Möglichkeiten gibt es<br />
eigentlich im Lande K, wo die Arbeitslosigkeit bei über einem Drittel<br />
liegen könnte? Frag mich doch nicht so was, ich bin fremd hier und<br />
überdies Tourist! Ich habe mich in die inneren Angelegenheiten dieses<br />
Landes nicht einzumischen. Ich bringe Devisen, die werden hier<br />
entgegengenommen und umverteilt auf spontane landesübliche<br />
Weise....Hakuna matata! – Oder gibt es immer noch Probleme?<br />
V<br />
Noch einmal davongekommen findet unser Tourist tatsächlich und ohne<br />
viel zu fragen sein Hotel. Dort erzählt er, dass er das Opfer eines<br />
Taschendiebstahls geworden sei. Die Hotelleitung veranlasst einiges,<br />
erleichtert darüber, dass der Tourist – immer noch im Safarilook –<br />
Photokopien seiner Papiere vorlegen kann. Die Polizei wird nicht<br />
benachrichtigt. Das würde zu teuer, behaupten die Angestellten des Hotels,<br />
bringe auch nichts. Mit der Polizei will hierzulande niemand etwas zu tun<br />
haben. Die Hotline seiner Kreditkarte ist wie üblich besetzt. Schließlich,<br />
aber ein wenig zu spät, wie er zu Hause feststellen muss, wurde sie<br />
gesperrt. Da hat sich noch schnell jemand bedienen können. Das hat ihn<br />
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einen weiteren Tausender gekostet, der später vielleicht erstattet wird.<br />
Nach wenigen Tagen und nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden,<br />
wie er aus der Fernsehreklame zu wissen glaubte, wurde ihm eine neue<br />
Karte überreicht. Mit dem Versprechen auf ein gutes Trinkgeld lässt sich<br />
das Hotelpersonal hinhalten. Die Botschaft hilft widerwillig. Von der<br />
Leiche redet niemand. Auch in der Zeitung wird der Vorfall nicht erwähnt.<br />
Offenbar keine erwähnenswerte Nachricht. Hakuna matata.<br />
VI<br />
Das Reiseunternehmen hat für heute eine Stadtbesichtigung angeboten, da<br />
es Probleme (schon wieder Probleme) mit der Buchung der Safari gibt. Die<br />
Stimmung unter den Reisenden ist mies. Wir sind nicht hierher gekommen,<br />
um in dieser schrecklichen Stadt umherzuirren. Die Malariaprophylaxe<br />
läuft aus, behaupten einige. Die Reisenden drohen mit allerlei Ansprüchen.<br />
Die Reiseleitung bedauert langatmig. Sie fahren im klimatisierten Bus<br />
durch die chaotische Stadt. Gangster sollen Esel auf Matatus (Buschtaxis)<br />
geworfen haben, um die Toten und Verletzten auszurauben, steht in der<br />
„Nation“. Was für ein Land. Sie fahren zur irischen Schule. „Es sieht<br />
tatsächlich aus wie in Irland“, sagt eine ältere Dame. Großzügige<br />
Sportanlagen. Schulgebäude unter Bäumen. Heute ist Schulsportfest.<br />
Fußball und Crickett, Wettläufe aller Art. Kinder vieler Volksgruppen,<br />
auch Inder, die nicht unter dem Verdacht stehen, katholischer Gesinnung<br />
zu sein. Viel Freundlichkeit. Keine rassistischen Sprüche wie zu Hause.<br />
Rassenprobleme werden offenbar zivilisierter geregelt als in Deutschland.<br />
Dann geht’s zur amerikanischen Botschaft, die vor einiger Zeit in die Luft<br />
gesprengt wurde. „Mehr als zweihundert Tote“, ruft die Reiseleiterin<br />
schrill. Die Zeitung berichtet, dass die USA einen Park mit einem<br />
Mahnmal gespendet haben. Einheimische sollen Eintritt bezahlen. Das<br />
Geld aber haben sie nicht. Sie drängen rempelnd am Botschafter vorbei<br />
und erklären, dass mindestens 200 einheimische Opfer zu beklagen waren.<br />
Das hohe Eintrittsgeld sei nicht gerechtfertigt. Botschaftsangehörige,<br />
darunter natürlich die sehr gut verdienenden amerikanischen<br />
Staatsangehörigen müssen nichts zahlen. – Bei einem kleinen Rundgang<br />
durch die Innenstadt werden die Touristen von zugedröhnten<br />
Straßenkindern sehr aggressiv um Geld angebettelt. Es sind nur Jungen,<br />
keine Mädchen. Schmutz und Gestank sind den Touristen unerträglich.<br />
Zurück im Bus wird wieder gemeckert. Unzumutbar, nicht die Lage der<br />
Kinder, sondern die Unannehmlichkeiten, die sie deutschen Touristen<br />
bereitet haben. Sie haben nichts gegeben, berichten sie stolz. Vielleicht<br />
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auch nicht falsch, denn das Meiste wird in Stoff zum Schnüffeln<br />
umgesetzt.<br />
VII<br />
Die Reiseleitung lässt sich etwas einfallen. Abends ein Vortrag über die<br />
Verbesserung der Lebensbedingungen in den Slums der Hauptstadt. Hier<br />
leben 500 000 Menschen. Das ist nach Soweto in Südafrika der<br />
zweitgrößte Slum in Afrika südlich der Sahara, berichtet ein Amerikaner<br />
nicht ohne Stolz. Er leitet ein Projekt der UNO, mit dem die<br />
Lebensbedingungen in diesem Slum verbessert werden sollen. Er spricht<br />
schnell mit dem typisch New Yorker Akzent. Der ist nicht leicht zu<br />
übersetzen. In den Slums soll eine „sustainable human livelyhood“ –<br />
nachhaltige Lebensqualität – geschaffen werden. Zunächst sollen<br />
Wasserversorgung und sanitäre Anlagen in die Hä<strong>user</strong> gebracht werden. In<br />
einem solchen Slumhaus mit einem Zimmer, ohne Küche und Toilette<br />
wohnen im Durchschnitt sieben bis acht Menschen. Slums werden auf<br />
Grundstücken errichtet, für die es keine Eigentumsrechte gibt. Auch die<br />
Slumbewohner haben keine Eigentumsrechte an ihrer Hütte, zahlen aber<br />
Miete. Wessen Eigentum wird denn durch das „slum upgrading“ –<br />
Verbesserung der Lebensbedingungen in den slums – aufgewertet? Viele<br />
Fragen. Ungenaue Antworten. Den Slumbewohnern wird ein aufgewertetes<br />
kleines Haus geschenkt. Sie erhalten verbriefte Eigentumsrechte. Was wird<br />
aus den vormaligen Vermietern? Die gehen leer aus. Lassen die sich das<br />
gefallen? Slumlords werden sie genannt. Auf der untersten Stufe sind<br />
diejenigen, die zehn bis zwanzig Hütten unter sich haben. Sie kassieren die<br />
Miete, stunden sie vielleicht auch einmal zu Wucherzinsen. Sie liefern den<br />
überwiegenden Teil an die nächst höhere Schicht usw. Am Ende der Kette<br />
sitzen Politiker... Wieder ein rechtsfreier Raum, in dem die Märkte die<br />
Weichen stellen, flankiert von unmittelbaren Gewaltverhältnissen, in denen<br />
die Slumlords die Exekutive bilden. Welche Erfahrungen wurden bisher<br />
mit solchen Programmen gemacht, die in den frühen siebziger Jahren<br />
schon einmal bei den internationalen Organisationen Konjunktur hatten?<br />
Die Projekte sind gescheitert. Woran? An den besonderen<br />
Marktbeziehungen und den unmittelbaren Gewaltverhältnissen in den<br />
Slums. Das ist die besondere Beziehung von Markt und Staat im<br />
afrikanischen Slum. Der Ami mit seinen Ideen aus der New Yorker Szene<br />
– Beteiligung der unmittelbar Betroffenen usw. – ist nicht zu beneiden.<br />
Die frischgebackenen Eigentümer von damals haben schnell verkauft. Das<br />
Geld blieb nicht lange bei ihnen. Sie zogen in den nächstbesten Slum und<br />
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lebten weiter wie zuvor. Aus ihren Hütten wurden Spielhöllen oder<br />
Bordelle. Am Slum Upgrading verdienten die Kreise, die schon immer an<br />
den Slums verdient hatten. Der überwiegende Teil der Projektkosten dürfte<br />
bei ihnen gelandet sein. Es waren zweistellige Millionenbeträge. Hakuna<br />
Matata and everything is under control.<br />
VIII<br />
Der Tourist macht die Bekanntschaft eines Landsmannes, der schon lang<br />
im Lande K arbeitet. In einer kurzen Unterhaltung an der Hotelbar stellen<br />
die beiden fest, dass sie gemeinsame Bekannte in Deutschland haben. Der<br />
Landsmann lädt den Touristen nach Hause zum Abendessen ein. Sie fahren<br />
durch die tief dunkle tropische Nacht. Straßenbeleuchtung nur alle 500 m.<br />
Die entgegenkommenden Autos fahren Schlange von einer Straßenseite<br />
zur anderen. Das beunruhigt den Touristen. Ihm wird erklärt, dass die<br />
Fahrer sich gut auskennen und den tiefen Schlaglöchern ausweichen. Die<br />
Straßen sind menschenleer. „Die Sicherheitslage ist so bedenklich“, sagt<br />
der neue Freund scherzend, „dass selbst Gangster nach Einbruch der<br />
Dunkelheit nicht mehr allein ausgehen“. Wenn man nicht anhalten muss,<br />
ist keine Gefahr. Frauen sollten abends nie zu Fuß unterwegs sein.<br />
Überfälle und Vergewaltigungen sind ein großes Problem. Auch die<br />
Polizei ist an solchen Vorkommnissen beteiligt, bei denen die Übertragung<br />
von Aids ein großes Risiko ist. – Maria, die afrikanische Haushälterin des<br />
allein lebenden Landsmanns, hat ein afrikanisches Gericht vorbereitet:<br />
Maisbrei mit einem grünen Gemüse, das ein wenig an Spinat oder<br />
Römischkohl erinnert, aufgebessert mit relativ zähem Fleisch. Sehr gut<br />
gewürzt schmeckt es dem Touristen ausnehmend gut. Maria hat eine relativ<br />
gute Schulausbildung, die etwa der mittleren Reife entspricht. Sie hat drei<br />
Töchter von drei verschiedenen Männern, die sich alle drei aus dem Staub<br />
gemacht haben. Die Älteste hat gerade Abitur bestanden. Sie hat sogar eine<br />
Anstellung gefunden, bei der sie rd. DM 100 verdient. Sie ist eine<br />
glückliche Ausnahme und hat die Stelle wahrscheinlich nur bekommen,<br />
weil ihr der Arbeitgeber der Mutter eine Empfehlung auf dem Briefpapier<br />
eines großen Unternehmens geschrieben hat. Maria verdient rd. DM 200<br />
im Monat. Wenn sie kocht, kocht sie reichlich und nimmt den Rest mit<br />
nach Hause. Das darf sie. Selbstverständlich ist das im Lande K nicht. Sie<br />
wohnt mietfrei in einer Dienstbotenwohnung in der Nähe der Wohnung.<br />
Sie ist klug, tapfer, gelassen, freundlich, auch wenn sie Zahnschmerzen<br />
hat. Heute hat sie Zahnschmerzen. Ein Voranschlag des Dentisten beläuft<br />
sich auf vier Monatsgehälter. Eine Krankenversicherung kann sie sich<br />
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nicht leisten. Sie hat ihrer Tochter in diesem Monat schon einen<br />
Computerkurs bezahlt. Da bleibt kaum noch was übrig. Maria war schon<br />
mal in Deutschland. Ihr geheimer Wunsch ist – wie der vieler<br />
Afrikanerinnen – einen Weißen zu heiraten und nach Europa zu gehen,<br />
dem Land, in dem Milch und Honig fließen. Es hat nicht geklappt. Dem<br />
Touristen kommen Kindheitserinnerungen aus der Trümmerzeit nach dem<br />
Krieg. Alle seine Freunde – und er natürlich auch – nie wollten nach<br />
Amerika....<br />
IX<br />
Nach dem Abendessen trinkt man noch einen kühlen Weißwein aus<br />
Südafrika. Die Rede kommt – wie kann es unter Männern auf freier<br />
Wildbahn anders sein – auf afrikanischen Frauen. Der Gastgeber ist<br />
Kenner, wie er es gern sagt. Einzelheiten sind wie bei<br />
Gebrauchsanweisungen langweilig. Das Temparament dieser Frauen sei<br />
ungeheuer. Die Exzision mache da kaum einen Unterschied. Der<br />
Vaginalorgasmus bleibe ja erhalten. Auf alle Fälle und im Gegensatz zu<br />
Deutschland: Die Damen geben sich Mühe und stellen was auf die Beine.<br />
Man beschließt noch einen kleinen Kneipengang mit kurzem Diskobesuch.<br />
Die Kneipen sind prima. Bombenstimmung! Alle Lachen, reden mit<br />
glänzenden Augen. Frauen und Männer in allen Farbschattierungen, unter<br />
ihnen nur zwei weiße Frauen, stellt der Tourist fest, und die sind fest<br />
vergeben. Die neuen Freunde trinken ihr Bier vom Fass, und das schmeckt<br />
hervorragend. „Wir sind, wenn man so will, in der globalisierten Enklave<br />
der Hauptstadt“, erklärt der Landsmann. „Nee, hier gibt es nicht nur Slums,<br />
sondern auch hervorragende indische, japanische, französische, italienische<br />
Restaurants. Teuer, aber nicht unbedingt teurer als die gehobene Klasse in<br />
Deutschland“. – In der Disko ist schon Highlife. Die Musik ist laut. Eine<br />
flotte afrikanische Band, mit einer guten Sängerin. Es wird getanzt. Und da<br />
haben wir es. Ist doch kein Vorurteil: Der Afrikaner hat einen<br />
unvergleichlichen Sinn für Rhythmus. Die Afrikanerinnen übrigens erst<br />
recht. Sie sind hervorragend angezogen. Sie haben die beiden sofort<br />
wahrgenommen. Sie flirten, kommen am Tisch vorbei auf ein kleines<br />
Schwätzchen und rollen mit den Augen. Dann wird der Tourist über die<br />
landüblichen Unterscheidungen zwischen kommerziellem und nicht<br />
kommerziellem Sex aufgeklärt. Die Unterschiede sind feinsinnig. Gezahlt<br />
wird immer. Für die Übertragung von Aids wird kein Aufpreis verlangt.<br />
Am Ende schläft der Tourist lieber allein in seinem klimatisierten Hotel.<br />
8
X<br />
Am nächsten Morgen fliegt die Reisegruppe in den Safaripark. Der Tourist<br />
ist blasiert. Er glaubt alle Löwinnen Afrikas aus dem Fernsehen bereits mit<br />
Vornamen zu kennen. Die Gruppe übernachtet in luxuriösen Zelten.<br />
Moskitonetze sind über den Betten aufgehängt. Das Wasser fließt kalt und<br />
warm. Warm kommt langsam, weil mit Fotovoltaik gewärmt. Die Zelte<br />
liegen auf dem Steilufer eines braunen Flusses. Im Wasser grunzen und<br />
platschen Nilpferde. Durchziehende Krokodile gibt es hier auch, erläutert<br />
Mrs. Merci, eine Hotelmanagerin, und deshalb soll man nicht nahe ans<br />
Wasser gehen. Krokodile verstecken sich in der Nähe des Ufers und<br />
schlagen ihre Beute mit dem Schwanz ins Wasser. Angeln ist deshalb<br />
verboten. – In offenen Landrovern fährt die Reisegesellschaft auf Safari.<br />
Die Tiere leben in freier Wildbahn. Nahe am Hotel sind Antilopen,<br />
Warzenschweine, Giraffen, Paviane. Ein Schakal trabt ungerührt vorbei.<br />
Der Fahrer berichtet, dass Warzenschweine und Gnus ein sehr begrenztes<br />
Kurzzeitgedächtnis haben. Werden sie von einer Löwin verfolgt, dann<br />
vergessen sie schon nach kurzer Zeit, warum sie losgelaufen sind und<br />
gehen zur Nahrungssuche über. Nilpferde rasten am anderen Ufer in der<br />
eng zusammengedrängt in der frühen Morgensonne. Im Fluss drängt sich<br />
ein riesiger Bulle durch seinen Harem. Unter Gebüschen liegen Löwinnen<br />
im Verdauungsschlaf. Eine der Jägerinnen hält Wache. Knochen<br />
vergangener Malzeiten sieht man nur wenige. Hyänen haben sie vertilgt.<br />
Ein beinahe zahmes Nashorn wird besichtigt. Es wird zum Schutz gegen<br />
Wilderer rund um die Uhr bewacht. Der Wert des Horns ist noch immer<br />
sehr hoch. Wer immer noch an die potenzsteigernde Wirkung glaubt, muss<br />
heftige Probleme haben, die mit Viagra erfolgreicher behandelt werden<br />
können. Dann werden wohl bald auch die Bestände der Nashörner wieder<br />
zunehmen. Eine Büffelherde lagert in der Savanne. Vögel befreien sie von<br />
Parasiten. Sie scheinen sich unbehaglich zu fühlen, als sich unser Jeep<br />
ihnen nähert und stehen auf. Auf dem mit Akazien Bewachsenen Hügel<br />
könnte eine Elefantenherde sein, berichtet ein junger Masai, der zur Kirche<br />
geht. Er schmückt seine Rede hin und wieder mit einem geseufzten<br />
„Amen“. Wir warten auf dem Hügel. In den Büschen ist ein junger Elefant,<br />
der unvorsichtig mit dem kurzen Schwanz wedelt. Dann bricht die Herde<br />
aus den Büschen und zieht langsam und bedrohlich nahe hinter unserem<br />
Landrover vorbei. Tiere sind hin und wieder bösartig, wenn sie gestört<br />
werden. Sie fühlen sich bedroht, selbst wenn man sie mit ihrem<br />
Nachwuchs doch nur aus der Nähe fotografieren möchte. Dann greift sich<br />
9
eine Elefantenkuh mit dem Rüssel doch einfach einen Touristen, wirft ihn<br />
hoch und zertrampelt ihn. So berichtet die Zeitung.<br />
XI<br />
Das Verhalten der Tiere im Safaripark lässt den Touristen nicht los. Sie<br />
scheinen vom Landrover aus gesehen ein relativ ruhiges Leben zu führen.<br />
Die Probleme aber fangen bei der Nahrungssuche an. Große<br />
Pflanzenfresser müssen riesige Mengen an Graß und Blättern aufnehmen.<br />
Das ist harte Arbeit, bei der sie nicht gestört werden wollen, sonst werden<br />
sie böse. Das ist auch für Menschen verständlich. Über den Wildpark<br />
scheint sich ein Netzwerk von Beziehungen zwischen den Tieren und den<br />
Pflanzen gezogen zu haben, das sich zu einem instabilen<br />
Gleichgewichtszustand zusammengesetzt hat, in dem gekämpft und<br />
kooperiert wird. Geparden jagen, andere Fleischfresser jagen ihnen die<br />
Beute ab. Kein Kampf aller gegen alle. Büffel kooperieren mit Vögeln, um<br />
ihre Parasiten loszuwerden. Nur wenige Tierarten produzieren ihre<br />
Nahrung selbst wie die Blattschneiderameisen. An der Spitze der<br />
Fresspyramide sitzen die großen Fleischfresser. Sie strukturieren das<br />
Gleichgewicht, vertikal und horizontal. Äußere Schocks wie Wilderer oder<br />
Trockenzeiten verändern es. Äußere Schocks sind dem Zufall unterworfen.<br />
Nicht nur das darwinsche Prinzip von dem „Survival of the Fittest“<br />
sondern mindestens ebenso stark bestimmt der Zufall, wer überlebt.<br />
Offenbar stellt sich das Gleichgewicht nach einiger Zeit wieder her. Kaum<br />
zu beantworten ist die Frage, ob das wiederhergestellte Gleichgewicht mit<br />
dem identisch ist, das ohne äußere Schocks zum tragen gekommen wäre. –<br />
Nicht nur äußere Schocks sondern auch innere Zyklen können das<br />
Gesamtgleichgewicht verändern. Elefanten fressen Akazienblätter und ihre<br />
Herden vergrößern sich. Die leicht erreichbaren Akazienblätter reichen<br />
bald nicht mehr aus. Die Elefanten zerstören die Bäume, um an nicht<br />
erreichbare Blätter heranzukommen. Die Futtermenge wird weiter<br />
verringert. Hunger dezimiert die Herden so lange, bis die Akazien wieder<br />
nachwachsen können. Den Wildhütern ist das Leiden der verhungernden<br />
Elefanten unerträglich. Sollte der Zyklus nicht durch rechtzeitige Bejagung<br />
abgebrochen werden? Oder sollte man besser der Natur ihren Lauf lassen?<br />
Das Problem liegt – ähnlich wie bei der Wirtschaftspolitik im<br />
Konjunkturzyklus – beim Problem den Zeitpunkt des rechtzeitigen<br />
Eingriffs und dessen Umfang zu bestimmen.<br />
10
XII<br />
Der Fahrer ist zurückhaltend. Er spricht nur, wenn ihm eine Frage gestellt<br />
wird. Er fährt die kleine Reisegesellschaft zum Flughafen. Dort nimmt er<br />
den Touristen beiseite, zu dem er offenbar Vertrauen gefasst hat. Er fängt<br />
bei Schnee an. Bei uns in Norddeutschland weniger als auf dem<br />
Kilimandscharo. Wohnverhältnisse. In Deutschland gibt es Singles, die<br />
bewohnen eine Drei- oder Vierzimmerwohnung ganz allein für sich. Heiß-<br />
und Kaltwasser, Bad, Farbfernseher, PC, Handy, Telefon, Auto, Kranken-<br />
und Alterversicherung, zum Essen fast alles, was man will, soviel man<br />
will. Aber sie fühlen sich einsam und depressiv. Sie lachen selten. Ihre<br />
Mundwinkel zeigen meist nach unten. Es fällt ihnen schwer Kontakt<br />
aufzunehmen. Sie essen zu viel oder zu wenig. Männer oder Frauen, fragt<br />
er zurück. Männer und Frauen. – Er verfällt in Träume. Er allein in einer<br />
Vierzimmerwohnung. Hier ist er mit seiner Familie zu elft in zwei kleinen<br />
Zimmern, eine winzige Küche, WC. Das ist schon Luxus im Lande K. Viel<br />
weniger als ein Sozialhilfeempfänger in Deutschland. Er mit seinen<br />
Kumpeln zu Besuch in seiner Vierzimmerwohnung...In Nordeuropa sind<br />
wir verarmt an menschlichen Beziehungen. Ihr, in Afrika, hier im Lande K,<br />
seid arm an materiellen Bedingungen. Weder das eine noch das andere<br />
muss sein, so wie es ist.....<br />
XIII<br />
Das Auto des neuen Freundes springt nicht an. Er ruft einen Mechaniker<br />
an, der auch schon in einer Stunde zur Stelle ist. Ein einheimischer<br />
frommer Christ. Kein europäischer Christ, der Lippenbekenntnisse ablegt.<br />
Der Monteur schaut sich den Motor an. Er kennt sich aus. Er erklärt sich<br />
bereit die Reparatur zu übernehmen und die Ersatzteile zu beschaffen. Das<br />
braucht seine Zeit. Aber er kennt da jemanden. Nach wenigen Stunden<br />
springt der Motor wieder an. Ein genauer check-up ist erforderlich. Dazu<br />
muss der Wagen in die Vertragswerkstatt, in der der Monteur beschäftigt<br />
ist. Er hat die Erlaubnis auch auf eigene Rechnung kleinere Reparaturen<br />
durchzuführen. Es handelt sich um eine japanische Marke, keine Deutsche.<br />
Der Eigentümer verspricht sich zusätzliche Kunden für größere<br />
Reparaturen und Käufe. Der Monteur ist eine ehrliche Haut, wird dem<br />
erstaunten Touristen erklärt. Ungewöhnlich in diesem Beruf, selbst in<br />
Deutschland. Praktiziertes Christentum in Afrika...<br />
11
XIV<br />
Es gibt im Lande K eine relativ freie Presse, die sicher hin und wieder von<br />
der Politik eingeschränkt wird. Über Themen wie Korruption wird offener<br />
gesprochen als zu Hause. Pressefreiheit ist nicht garantiert, was auch<br />
immer in den Verfassungen stehen mag. Wie manches Andere in einer<br />
Demokratie muss sie jeden Tag aufs Neue erkämpft werden. In der Heimat<br />
ist der Kampf wohl fürs Erste verloren. Pressefreiheit ist verwirklicht. In<br />
den frühen Phasen des bürgerlichen Kampfes gegen den Absolutismus war<br />
Pressefreiheit ein Mittel, Meinungsvielfalt zu verwirklichen. Über die<br />
Debatten in den Gazetten sollte die Wahrheit sichtbar werden und an die<br />
Stelle der Hofberichterstattung treten. Heute ist Pressefreiheit die Freiheit<br />
von Pressezaren und Medienmogulen ihre Meinung als die einzig wahre<br />
erscheinen zu lassen. Darf man Dialektik dazu sagen? Zahlreiche Knechte<br />
dienen weltweit den Herrschern über die Medien und leisten<br />
Überzeugungsarbeit. Die Scheren in ihren Köpfen klappern wie beim<br />
Friseur. Am Ende des Prozesses wieder Hofberichterstattung! Im Lande K<br />
dagegen leben Journalisten gefährlich und verdienen viel weniger als ihre<br />
angepassten Kollegen in Deutschland.<br />
XV<br />
Unser Tourist liest jeden Tag die Zeitung: The Nation. Das kann nur<br />
bedeuten, dass dieses Land keine Nation ist aber gern eine wäre. Zur Zeit<br />
ist Korruption in der Politik das große Thema. Der Internationale<br />
Währungsfonds hat die Verabschiedung eines Gesetzes zur Bekämpfung<br />
der Korruption zur Vorraussetzung weitere Kreditauszahlungen gemacht.<br />
Es ist schon einmal einen Ausschuss eingesetzt worden, der diese Aufgabe<br />
übernehmen sollte. Die Honorare waren ungeheuer hoch. Das aber muss so<br />
sein, sagt sich der Ökonom, damit nicht die falschen Anreize gesetzt<br />
werden. Den Vorsitz hatte ein Archäologe, der schon manchen<br />
menschlichen Knochen zum Sprechen gebracht hat. Das<br />
Verfassungsgericht – auch das gibt es im Lande K – hat diesem Spuk ein<br />
Ende gemacht. – Der internationale Währungsfonds macht einen zweiten<br />
Anlauf. Das Gesicht muss gewahrt werden, für alle. Die zweite Version<br />
war sanfter als die erste. Amnestie für alle Korruptionsvergehen, die länger<br />
als vier Jahre zurückliegen. Immunität für alle Politiker und Mitglieder des<br />
öffentlichen Dienstes im Ruhestand. Der Generalstaatsanwalt hat die<br />
12
Möglichkeit, die Untersuchungen zu stoppen. Nahezu alle Institutionen,<br />
die in den Demokratien ähnliche und die gleichen Namen tragen, sind auch<br />
im Lande K vorhanden. Aber entweder funktionieren sie nicht oder ganz<br />
anders als wir das gewohnt sind. Vielleicht funktionieren sie ähnlich wie<br />
der rheinische Klüngel, so wie Helmut Kohl zu hause praktiziert: Jobs plus<br />
Bimbes, und das Geld kommt aus Liechtenstein von der Stiftung<br />
Zaunkönig. Der achtzigjährige Patriarch im Lande K, der bei den Wahlen<br />
im nächsten Jahr nicht wieder kandidieren kann, spielt mit den<br />
Institutionen, wie er es immer getan hat. Er versucht sein Vermögen und<br />
seine Gefolgsleute zu schützen. Ob das gelingt? Vorerst nicht, denn der<br />
Gesetzentwurf hat die Zweidrittelmehrheit verfehlt.<br />
XVI<br />
Auch Wahlen finden statt. Der Konsens unter den 24 größten Stämmen<br />
und den vielen kleinen ist ein großes Problem. Er kostet Jobs und Bimbes.<br />
Jobs gibt es keine und Bimbes muss in Fremdwährung (US-Dollar) oder<br />
als Landbesitz dargereicht werden. Beides ist sehr rar geworden. Deshalb<br />
werden die Verteilungskämpfe im Zuge der Wahlen im nächsten Jahr sehr<br />
hart werden. Stimmenkauf auf Kredit wird die Wahlen entscheiden. Noch<br />
ist unter den Volksgruppen kein Konsens erkennbar. Der amtierende<br />
Patriarch stammt, wie so häufig in Afrika, aus einer kleinen Volksgruppe,<br />
die die größeren nicht majorisieren kann. Alle Menschen im Lande K sind<br />
gegen Tribalismus, wissen aber, dass er sich nicht vermeiden lässt. Eine<br />
Rotation unter den großen 24 Volksgruppen ist ausgeschlossen. Eine<br />
Rotation würde bei zehnjähriger Verweildauer des Präsidenten 240 Jahre<br />
dauern! Der amtierende Patriarch hat viele öffentliche Ämter mit<br />
Gefolgsleuten aus seiner Volksgruppe besetzt, Armee und Polizei,<br />
einschließlich Spezialeinheiten. Er hat keinen Nachfolger aufgebaut. Das<br />
scheint eine Schwäche des Prinzips „Jobs und Bimbes“ zu sein, nicht nur<br />
in Deutschland. Nach den Wahlen spätestens werden viele Köpfe rollen<br />
und durch neue Gesichter ersetzt werden. – Die Inder im Lande K zittern<br />
schon jetzt um Geld und Vermögen. Sie werden sich, soweit sie die Mittel<br />
dazu haben, auch bei dieser Wahl in die Nachbarländer absetzen. Wenn<br />
sich die politische Lage stabilisiert hat, kommen zuerst einige Späher, dann<br />
die Bosse zurück. Die Familien folgen später, wenn Position der Clans im<br />
neuen Regime gesichert ist. Diesmal könnte das länger dauern.<br />
13
XVII<br />
Ein theoretisierender Marktradikaler wie der devisenbringende Tourist<br />
kann das Glück nicht fassen. Im Lande K regeln die Märkte fast alles,<br />
allerdings auf besondere und zuweilen überraschende Weise. Die<br />
öffentlichen Institutionen, die ähnliche Namen tragen wie in<br />
Großbritannien, sind von der zersetzenden und alles durchdringenden Kraft<br />
der Märkte von innen ausgehöhlt. Sie sind leere Hülsen, in die die<br />
Versprechungen und Hoffnungen der bürgerlichen Gesellschaft eingraviert<br />
sind. Märkte haben die Macht in allen Bereichen der Gesellschaft<br />
übernommen. Doch Märkte funktionieren hierzulande offenbar anders als<br />
zu Hause. Das banale Ergebnis ist ein stabiles Ungleichgewicht, das<br />
unterhalb des allgemeinen Gleichgewichts liegt. Ein dauerhaftes Nash-<br />
Ungleichgewicht eben i.e. eine spieltheoretische Lösung, in der beide<br />
Partner schlechter wegkommen, weil sie einander misstrauen und sich<br />
deshalb zu keiner Koordination ihrer Strategien zusammenfinden können.<br />
Der Staat, der die Märkte zu regulieren hätte, ist von extralegalen<br />
Gewaltverhältnissen durchsetzt und nahezu funktionsunfähig geworden.<br />
Staat und Markt blockieren sich wechselseitig im Lande K. Alte Formen<br />
sektoraler Arbeitsmärkte, die im europäischen Absolutismus die Regel<br />
waren, haben sich im Lande K spontan entwickelt. Der Ämterkauf ist bei<br />
hoher Arbeitslosigkeit weit verbreitet. Richter, deren Gehälter eher gering<br />
sind, rollen in hochherrschaftlichen Karossen. „Why take a lawyer if you<br />
can buy a judge?” ironisierte da einer auf einem Badge. Nicht lange. Ein<br />
schönes Beispiel für den touristischen Marktwirtschaftler ist der<br />
Arbeitsmarkt. Der ist im Lande K völlig unreguliert. Die<br />
Analphabetenquote liegt bei nur rd. 21%. Das ist wenig im Vergleich zu<br />
den Nachbarländern. Die Arbeitswilligkeit ist bei fehlender<br />
Arbeitslosenversicherung und fehlender Sozialhilfe grenzenlos. Alter- und<br />
Gesundheitsvorsorge ist nur privat möglich. Ein Abiturient mit guter<br />
Beherrschung von Standardsoftware ist froh, wenn er einen Job in einem<br />
Geschäft als Aushilfskraft findet. Verdienst rd. 100 DM. Ja, im Lande K ist<br />
jeder Arbeitswillige bereit zu den angebotetenen Marktlöhnen Arbeit<br />
anzunehmen, auch wenn die Löhne extrem niedrig sind und kaum an das<br />
physische Existenzminimum heranreichen. Daran sollten sich gewisse<br />
Deutsche mal ein Beispiel nehmen. Aber warum ist dann die<br />
Arbeitslosigkeit so hoch? – Das ist doch klar! Das wissen wir doch aus<br />
Deutschland! Die Löhne sind zu hoch!! Die Löhne im Lande K sind immer<br />
noch zu hoch!!! Wie weit müssen sie denn noch sinken? Auch das weiß<br />
unsere deutscher Ökonom von der Kieler Schule, der seinen Giersch intus<br />
hat. Solange bis Vollbeschäftigung erreicht ist!!!!<br />
14
XVII<br />
In der Wartehalle vor dem Abflug wird der scheidende Tourist von einem<br />
hoch gewachsenen schlanken Afrikaner, der sich als protestantischer<br />
Geistlicher aus dem Kongo zu erkennen gibt, in ein Gespräch verwickelt.<br />
Es geht um Aids in Afrika. Der Tourist weiß einiges, ist aber von der<br />
Dimension, die der Geistliche darstellt, dann doch überrascht und entsetzt.<br />
Der „Reverend“, wie er sich auf Englisch nennt, berichtet, dass seine Frau<br />
während der Ereignisse in Ruanda war und Furchtbares durchstehen<br />
musste. Sie war in einem Lager interniert. Nach ihrer Entlassung fiel sie,<br />
wenn sie „Leuten einer gewissen Art“ begegnete, in eine Angstpsychose,<br />
die sich erst gebessert hat, nachdem sie nach Tansania übergesiedelt sind.<br />
Zu ihrer früheren seelischen Verfassung, ihrer stillen Heiterkeit, hat sie<br />
nicht mehr zurückgefunden. Die Religion hat ihr geholfen, aber sie ist noch<br />
immer nicht genesen. Der Reverend arbeitet für eine protestantische<br />
Kirche, die sich die Bekämpfung von Aids zur Hauptaufgabe gemacht hat,<br />
noch vor der Missionierung. In Zimbabwe seien rd. ein Drittel der<br />
erwachsenen Bevölkerung HIV-positiv. Ähnlich dürfte die Lage in<br />
Botswana sein. Das bedeutet, dass in 10 Jahren rd. die Hälfte der heute<br />
Erwachsenen nicht mehr leben werden. Die wirtschaftlichen Folgen<br />
können nur katastrophal sein. In Uganda hat eine Aufklärungskampagne<br />
dazu geführt, dass die Rate der Neuansteckungen erheblich<br />
zurückgegangen ist. Der Reverend berichtet, dass die afrikanische<br />
Familiensolidarität nicht mehr greift. Aidskranke werden oft verstoßen,<br />
weil ihre Erkrankung auf ein Gottesurteil zurückgeführt wird, mit dem die<br />
Sünden bestraft werden. Ihre Waisenkinder, zum großen Teil auch<br />
infiziert, landen als Straßenkinder in den Städten. Die Armeen, die den<br />
Congo verwüsten, um die Rohstoffe billigst in die globalisierte Sektion der<br />
Weltwirtschaft zu schleusen, sind zu 90% HIV-positiv. Vergewaltigungen<br />
sind in den von ihnen besetzten Gebieten die Regel und nicht die<br />
Ausnahme. – Im Lande K, in dem die Lage nicht grundsätzlich anders und<br />
nur der Anteil der Infizierten noch nicht so hoch ist, wird die tödliche<br />
Gefahr nach wie vor geleugnet oder verdrängt. – Reverend und Tourist<br />
tauschen Visitenkarten, verabschieden sich höflich und wünschen sich<br />
einen guten Flug. Benommen steigt der Tourist in den Flieger. Hakuna<br />
matata?<br />
15
XVIII<br />
Der Heimkehrer fühlt sich in der ersten Zeit in Deutschland nicht mehr<br />
recht zu Hause. Er entsetzt sich über die Banalität des Alltagslebens. Die<br />
Frage, wann die Fußballspiele im Fernsehen ausgestrahlt werden, wird<br />
zum Problem von Sein oder Nichtsein des deutschen Fußballs hochstilisiert<br />
und schließlich sogar gelöst. Die Aussetzung der Ökosteuer wird wohl für<br />
das wirtschaftliche Weiterbestehen Deutschlands entscheidend sein. Auch<br />
scheint es immer noch Faulenzer in Deutschland zu geben, die sich im<br />
sozialen Netz schaukeln lassen. Alles Fragen, die entscheidend sind für<br />
Deutschlands Zukunft. Es gibt zu viel oder zu wenig Ausländer in<br />
Deutschland. Oder die Falschen sind schon zu lange da und die Richtigen,<br />
die gut Ausgebildeten, die deshalb auch besser in ihren Ursprungsländern<br />
bleiben sollten, sind noch nicht da, obwohl man ihnen eine Greencard<br />
anbietet mit begrenzter Aufenthaltsdauer, die deshalb im Grunde<br />
genommen auch gar keine Greencard ist. Gäbe es möglicherweise auch<br />
wichtigere Probleme? Massenarbeitslosigkeit, die einmal bis zum Tage X<br />
halbiert oder später unter die Zahl von Y fallen wird? Gibt es am Ende<br />
sogar Aids in Deutschland, wenn auch mit ab- dann aber wieder mit<br />
zunehmenden Infektionsraten? Hakuna matata in Germany. Augen zu,<br />
dann sieht uns keiner. And everything is under control. Afrika ist überall,<br />
ohne Ansehen der Hautfarbe. – Was wird die Zukunft dem Land K wohl<br />
bringen? Wem dort? Na, z.B. den sechzig Prozent der Bevölkerung, die<br />
heute unter 16 Jahre alt sind!<br />
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