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31<br />

Halensee, zum Kochen, nein, zum Ü berkochen bringen. So etwas ist nur in<br />

dieser Stadt mö glich. Nur hier, in Berlin, wo vor kurzem noch ein Event sondergleichen, der<br />

von dem international gepriesenen Künstler Christo auf so unvergleichlich zauberhafte<br />

Weise verhü llte Reichstag, zu einem Ereignis wurde, das Hunderttausende angezogen hat,<br />

hier, nur hier, wo vor wenigen Jahren die Tugend auf der Mauer getanzt, der Freiheit ein<br />

ü berschäumendes Fest bereitet und den Ruf „Wahnsinn!“ zum Wort des Jahres erhoben hat,<br />

einzig hier, sage ich, kann zum wiederholten Mal, doch diesmal bei ü berwältigendem<br />

Andrang, so lebenshungrig wie total ausgeflippt die „Love Parade“ ü ber die Bühne gehen<br />

und dürfen sich, auch wenn anfangs der Senat zögerlich reagiert und der zu erwartenden<br />

Mü llberge wegen sogar ein Verbot erwogen hat, nun endlich doch - gewiß, liebe Zuhö rer<br />

und Zuhö rerinnen, wir respektieren Ihre Bedenken - auf einer vom Innensenator<br />

zugelassenen Demonstration die sogenannten Raver, was soviel wie Schwärmer,<br />

Phantasten, total Ausgeflippte heißen mag, als besessene Techno-Tänzer versammeln und<br />

ganz Berlin, diese wunderbare, stets allem Neuen offene Stadt, mit, so heißt es, „der größten<br />

Party der Welt“ beglü cken, sagen die einen, schockiert es die anderen, denn was hier seit<br />

Stunden abläuft – Hö ren Sie nur! ... (G. Grass)<br />

Text VI<br />

Karl Alexander schickte Magdalen Sibylle prächtige Geschenke, flandrische und<br />

venezianische Gobelins, goldene Parfü mfläschchen mit persischem Rosenö l, ein arabisches<br />

Reitpferd, ein Per-lengehänge. Er war kein Filz, er ließ sich nicht lumpen, und er<br />

betrachtete Magdalen Sibylle als seine erklärte Mätresse. Täglich kam der Kammerdiener<br />

Neuffer, fragte fö rmlich im Auftrag des Herzogs nach dem Befinden der Demoiselle.<br />

Magdalen Sibylle ließ sich alles kalt und wortlos gefallen. Sie ging stumm wie eine<br />

Tote, starr das männlich kühne, schö ne Gesicht, verpreßt die Lippen, die Arme seltsam<br />

steif. Sie verließ das Haus nicht, sie sagte guten Morgen, guten Abend, sonst nichts, sie aß<br />

allein, sie kü mmerte sich nicht um das Hauswesen. Sie hatte zu niemandem, zu ihrem Vater<br />

nicht, zu niemandem ü ber die Sache mit dem Herzog gesprochen, es kam vor, daß sie ihren<br />

Vater tagelang nicht sah.<br />

Weißensee wagte keinen Versuch, sie aus ihrer Starre zu wecken. Er war nobilitiert<br />

worden, er hatte jetzt den Rang ernes Konferenzministers. Er war flatterig und sehr elend,<br />

er fühlte das Mißtrauen seiner Kollegen vom engeren landschaftlichen Ausschuß, er wollte<br />

sich aussprechen mit Harpprecht, dem Juristen, mit Bilfinger, der ein rechter, ehrlicher<br />

Mann war und sein Freund. Er wagte es nicht. Magdalen Sibylle saß stundenlang und<br />

starrte. Sie war aus sich herausgeworfen, zertrampelt, zerfetzt, zerwü stet.<br />

Waren dies ihre Arme? Wenn sie sich stach, war das ihr Blut? Das Seltsamste war, sie<br />

hatte keinen Haß gegen den Herzog. (L. Feuchtwanger)<br />

Text VII<br />

... «Elefanten im Paul-Celan-Laden» nennt der Kneipenphilosoph die Verbrecher an der<br />

Sprache und will schon resignieren vor ihrer Ü berzahl und Ü bermacht. Doch<br />

Fernsehwerbungs-zumutungen wie «Das König der Biere», «Wir haben verstanden»,<br />

«Deutschlands meiste Kredit-karte» oder «Die tun was» wecken noch einmal seinen<br />

Kampfgeist und versetzen ihn schier in Raserei. Frei assoziierter: nein, wenn diese Welt<br />

schon nicht in der Lage ist, ihm Schö nheit entgegenzubringen, Respekt zu erweisen und<br />

Dank zu zollen, so sucht er Schö nheit wenigstens im luziden Gedanken, in der lichten<br />

Formulierung zu finden.<br />

Und so vermag er sich zu besänftigen: indem er die Niedrigkeit des Daseins mit den<br />

Niederungen des Humors auskontert - mit Kalauern und Wortspielen, zu denen er qua

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