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30<br />

Text III<br />

Aber der menschliche Genius weiß sogar die Unnatur zu verklären, vielen Malern gelang es, die<br />

unnatü rliche Aufgabe schö n und erhebend zu lösen, und namentlich die Italiener wußten der<br />

Schö nheit etwas auf Kosten des Spiritualismus zu huldigen und sich zu jener Idealität<br />

emporzuschwingen, die in so vielen Darstellungen der Madonna ihre Blü te erreicht hat. Die<br />

katholische Klerisei hat ü berhaupt, wenn es die Madonna galt, dem Sensualismus immer einige<br />

Zugeständnisse gemacht. Dieses Bild einer unbefleckten Schö nheit, die noch dabei von Mutterliebe<br />

und Schmerz verklärt ist, hatte das Vorrecht, durch Dichter und Maler gefeiert und mit allen<br />

sinnlichen Reizen geschmü ckt zu werden. Denn dieses Bild war ein Magnet, welcher die große<br />

Menge in den Schoß des Ghristentums ziehen konnte. Madonna Maria war gleichsam die schö ne<br />

Dame du Comptoir der katholischen Kirche, die deren Kunden, besonders die Barbaren des<br />

Nordens, mit ihrem himmlischen Lächeln anzog und festhielt. Die Baukunst trug im Mittelalter<br />

denselben Gharakter wie die andern Künste, wie denn ü berhaupt damals alle Manifestationen des<br />

Lebens aufs wunderbarste miteinander harmonierten. Hier, in der Architektur, zeigt sich dieselbe<br />

parabolische Tendenz wie in der Dichtkunst. Wenn wir jetzt in einen alten Dom treten, ahnen wir<br />

kaum mehr den esoterischen Sinn seiner steinernen Symbolik. Nur der Gesamteindruck dringt uns<br />

unmittelbar ins Gemü t. Wir fü hlen hier die Erhebung des Geistes und die Zertretung des Fleisches.<br />

Das Innere des Doms selbst ist ein hohles Kreuz, und wir wandeln da im Werkzeuge des<br />

Martyrtums selbst; die bunten Fenster werfen auf uns ihre roten und grü nen Lichter wie<br />

Blutstropfen und Eiter; Sterbe-lieder umwimmern uns; unter unseren Füßen Leichensteine und<br />

Verwesung, und mit den kolossalen Pfeilern strebt der Geist in die Höhe, sich schmerzlich<br />

losreißend von dem Leib, der wie ein müdes Gewand zu Boden sinkt. Wenn man sie von außen<br />

erblickt, diese gottischen Dome, diese ungeheuren Bauwerke, die so luftig, so fein, so zierlich, so<br />

durchsichtig gearbeitet sind, daß man sie fü r ausgeschnitzelt, daß man sie fü r Brabanter Spitzen von<br />

Marmor halten sollte: dann fühlt man erst recht die Gewalt jener Zeit, die selbst den Stein so zu<br />

bewältigen wußte, daß er fast gespenstisch durchgeistet erscheint, daß sogar diese härteste Materie<br />

den christlichen Spiritualismus ausspricht. (H. Heine.)<br />

Text IV<br />

Als wir, von Berlin kommend ...<br />

... Während wir bereits im Bewußtsein der kommenden, der mauerlosen Zeit lebten und -<br />

kaum zu Hause angekommen - die Glotze in Gang setzten, dauerte es andererseits der<br />

Mauer noch ein Weilchen, bis endlich der Bekannte meines Bekannten die paar Schritte<br />

ü bers frischverlegte Parkett machte und den Ton des Fernsehers voll aufdrehte. Ab dann<br />

kein Wort mehr ü ber Winterreifen. Dieses Problem mochte die neue Zeitrechnung, das<br />

„richtige Geld“ lösen. Nur noch den restlichen Korn gekippt, dann weg und hin zur<br />

Invalidenstraße, wo sich bereits die Autos - mehr Trabant als Wartburg - stauten, denn alle<br />

wollten zum Grenzü bergang hin, der wunderbar offenstand. Und wer genau hinhö rte, dem<br />

kam zu Ohren, daß jeder, fast jeder, der zu Fuß oder im Trabi in den Westen wollte,<br />

„Wahnsinn!“ rief oder flü sterte, wie ich kurz vor Behlendorf „Wahnsinn!“ gerufen, mich<br />

dann aber auf Gedankenflucht begeben hatte. (G. Grass)<br />

Text V<br />

... und nun ...<br />

... Und nun, liebe Zuhö rer und Zuhö rerinnen, ist, wie man in Berlin sagt, der Bär los. Hö ren<br />

Sie nur, zwei-, dreihunderttausend mögen es sein, die den Ku'damm, der so viele<br />

Schicksalsstunden erlebt hat, in ganzer Länge, von der Gedächtniskirche bis hoch nach

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