Naturrecht, Geschichte und Vernunft (I) - Tuomi
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Die phänomenologische Wertethik versucht, sowohl den Empirismus als auch den<br />
Kantschen Formalismus im Sinne einer materialen Wertethik zu überwinden. Sie<br />
definiert freilich die Werte als apriorische Gegebenheiten einer idealen Ordnung. 16<br />
Dies bedeutet einerseits ohne Zweifel eine Überwindung des Kantschen Formalismus.<br />
Andererseits jedoch kommt die Wertethik – aus der Sicht des <strong>Naturrecht</strong>sdenkens<br />
– insofern über Kant nicht hinaus, als sie das Problem einer ontologisch f<strong>und</strong>ierten<br />
Wert- <strong>und</strong> Sollensordnung unberücksichtigt läßt. Hierin dürfte der wichtigste<br />
Gr<strong>und</strong> für nicht zu übersehende Schwierigkeiten dieser Ethik liegen.<br />
Die Bedeutung der Wertethik kommt in einem wichtigen, auch von Thomas von<br />
Aquin geteilten Gr<strong>und</strong>satz zur Geltung. Im Gegensatz zum Formalismus der Kantschen<br />
Ethik weist sie auf die Einsicht hin, daß, wie z.B. M. Scheler betont, das Sollen<br />
im Wert begründet ist 17 , daß also das Gute der Gr<strong>und</strong> für das Gesolltsein, nicht umgekehrt<br />
das Gesolltsein der Gr<strong>und</strong> des Guten ist. Insofern nun freilich die Wertethik<br />
vom Problem einer ontologisch f<strong>und</strong>ierten Wert- <strong>und</strong> Sollensordnung absieht, ist sie<br />
aus Sicht des <strong>Naturrecht</strong>sdenkens allerdings weder in der Lage, den im Sein begründeten<br />
Zweckcharakter der Werte aufzuweisen 18 noch auch (wenn man von Ausnahmen<br />
wie etwa in Johannes Hessens Gr<strong>und</strong>legung der Ethik absieht 19 ) den Gr<strong>und</strong> des<br />
seinshaften Wertcharakters selbst, die Teilhabe an Gott als dem absoluten Seinswert,<br />
zu erklären. Die Orientierung der Wertethik einzig an der idealen Ordnung bringt aus<br />
naturrechtlicher Sicht schließlich auch ein Realitätsmanko in der Bestimmung des<br />
Pflichtcharakters mit sich: das Absehen von der Frage nach dem absoluten realen<br />
Gr<strong>und</strong> des Pflichtcharakters, seiner Begründung in einer transzendenten absoluten<br />
Autorität.<br />
Die Wertphilosophie repräsentiert somit in der Interpretation von Utz 20 eine eigenartige,<br />
zwischen der ontologischen <strong>und</strong> der formalen Auffassung der Ethik befindliche<br />
Richtung. Die Welt der ideale Wesenheiten bedeutenden apriorischen Werte ist in<br />
der Wertethik nur durch das Wertempfinden erfaßbar. Wertempfinden <strong>und</strong><br />
Seinserkenntnis befinden sich somit in keiner wesentlichen Zuordnung. Für das Handeln<br />
des Menschen ist das Wertempfinden gr<strong>und</strong>legend. Eigentlich wird also, so die<br />
Interpretation aus naturrechtlicher metaphysisch-realistischer Sicht nicht <strong>Geschichte</strong><br />
gestaltet, sondern der innere Mensch in der <strong>Geschichte</strong>, einerseits das Anliegen der<br />
Ethik, das Absolute im Menschen zur Geltung zu bringen, erreicht, andererseits aber<br />
ein gestalterischer Geschichtsbeitrag direkt nicht geleistet. Die rationale Bewältigung<br />
der geschichtlichen Aufgaben bleibt vom Wertempfinden gesondert. Mit einer gewissen<br />
Logik ergibt sich in Weiterentwicklung dieser Philosophie jene im ethischen<br />
Diskurs der Gesellschaft oft angeführte Aufteilung der Ethik in Gesinnungs- <strong>und</strong> in<br />
eine Art pragmatistischer Verantwortungsethik, wie sie von M. Weber 21 aufgr<strong>und</strong><br />
seiner Theorie, die ebenfalls wie die Wertethik Sein <strong>und</strong> Sollen in keine rationale<br />
Zuordnung zu bringen vermag, formuliert wurde (nicht zu verwechseln mit der von<br />
Hans Jonas vertretenen, ontologisch begründeten Ethik der Verantwortung 22 ).<br />
6. Anthropologie: Verbindung von phänomenologischem Ansatz <strong>und</strong> metaphysischem<br />
Realismus<br />
Eine entscheidende Realitätswendung der Anthropologie <strong>und</strong> Ethik im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
23 liegt vor in den Versuchen einer Verbindung von phänomenologischem Erfahrungsansatz<br />
<strong>und</strong> metaphysischem Realismus. Hier wäre in erster Linie auf die Philo-<br />
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