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Naturrecht, Geschichte und Vernunft (I) - Tuomi

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4. Relativierend-individualistische Tendenz im vertragstheoretischen Begründungsansatz<br />

der Kantschen Rechts- <strong>und</strong> Staatslehre: gr<strong>und</strong>sätzliche Trennung von Recht<br />

<strong>und</strong> Ethik statt im moralischen Naturgesetz verankerter Rechtspflicht<br />

Daß eine solche von Kant in der allgemeinen Ethik durchaus gesuchte absolute Verankerung<br />

allerdings in der Kantschen, insbesondere neukantianischen Rechts- <strong>und</strong><br />

Staatslehre nicht vorhanden ist, vielmehr ein ins Soziologische führender, ja gewissermaßen<br />

relativierender Individualismus tendenziell bestimmend wird, liegt an der<br />

der Kantschen Philosophie gemäßen Trennung von Recht <strong>und</strong> Ethik <strong>und</strong> letztlich<br />

nicht vorhandenen Gemeinwohlnorm: die rechtliche Pflicht ist, anders als im <strong>Naturrecht</strong>,<br />

nicht verankert in dem mit Sanktionsmacht verb<strong>und</strong>enen moralischen Naturgesetz.<br />

Sicherlich könnte mit manchen Interpreten eine gewisse Einschränkung dieser<br />

Relativierung in dem Sachverhalt gesehen werden, daß bei Kant die Verpflichtungsf<strong>und</strong>amente<br />

des Rechts in seinem Begriff der transzendentalen Freiheit verankert<br />

sind <strong>und</strong> diese somit immerhin einen gewissen indirekt-ethischen Verpflichtungscharakter<br />

haben. Für Thomas von Aquin hingegen ist die ganze Freiheit der<br />

natura humana eingeordnet, die ihrerseits in der Schöpfungsordnung begründete<br />

Norm des sowohl rechtlichen als auch sittlichen Handelns ist. Rechtspflichten sind<br />

daher bei Thomas von Aquin konsequenterweise nicht nur indirekt-ethische, sondern<br />

direkt-ethische Pflichten. Bei aller Freiheitsorientierung der Kantschen Rechtslehre<br />

ist dennoch nicht zu übersehen, daß sie aufgr<strong>und</strong> der Trennung von Ethik <strong>und</strong> Recht<br />

zu einer Autonomie des Staates führt, die den vertragstheoretischen Begründungsansatz<br />

der Kantschen Rechts- <strong>und</strong> Staatslehre sehr deutlich werden läßt.<br />

5. Das Anliegen einer materialen Ethik im Idealismus der phänomenologischen<br />

Wertethik: das Gute als Gr<strong>und</strong> des Gesolltseins – Ähnlichkeit <strong>und</strong> Unterschied zum<br />

<strong>Naturrecht</strong><br />

Bevor die vergleichenden Überlegungen zur Systematik des <strong>Naturrecht</strong>s im Hinblick<br />

auf die Sozialethik weiterverfolgt werden sollen, seien mit der phänomenologischen<br />

Wertethik <strong>und</strong> der Hegelschen Dialektik kurz zwei wichtige Richtungen einer nicht<br />

formalen, sondern materialen nicht-empiristischen Ethik erwähnt, die neben dem<br />

kantianischen formalen Ansatz des kategorischen Imperativs für die Situierung des<br />

Utzschen <strong>Naturrecht</strong>sverständnisses unerläßlich sind <strong>und</strong> im übrigen es erleichtern,<br />

ein differenzierteres Verständnis dessen zu gewinnen, worin das Anliegen einer<br />

materialen Ethik in der <strong>Naturrecht</strong>slehre seine spezifische Begründung findet.<br />

Kant hat mit seiner formalistischen Ethik, die im Sinne des transzendentalen Subjektivismus<br />

das Absolute als allgemeine Gesetzlichkeit der <strong>Vernunft</strong> bestimmt, konsequent<br />

eine der Möglichkeiten einer zugleich nicht-empiristischen <strong>und</strong> nichtontologischen<br />

Ethik formuliert. Man wird hinsichtlich dieser Ethik (jedenfalls bzgl.<br />

der allgemeinen Ethik) sicherlich anerkennen müssen, daß sie der Idee des absoluten<br />

Solls wie auch der Idee der Personalität des Menschen gerecht zu werden sucht.<br />

Andererseits bleibt freilich ein wichtiges Phänomen der Ethik, das Wertbewußtsein<br />

des Menschen im Sinne materialer Werte, in Kants Ethik unberücksichtigt, worauf<br />

von Seiten der phänomenologisch orientierten Wertethik mit Recht hingewiesen<br />

wird.<br />

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