Naturrecht, Geschichte und Vernunft (I) - Tuomi

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schen als geistbegabtem, mit personaler Würde ausgezeichneten Wesen gerecht zu werden versuchen. Bezogen auf den genannten Kontext, hat der Hinweis auf die Formalität des kategorischen Imperativs zunächst wenig zu tun mit dem traditionellerweise von naturrechtlicher Seite gegen Kant geäußerten Formalismus-Vorwurf: Formalität meint bei Kant nicht mangelnde, sondern im Gegensatz zum Empirismus eine aus Vernunftgründen stammende Bestimmtheit. 2. Kants kategorischer Imperativ als formales Vernunftgesetz und der naturrechtliche Sollbegriff Hier trennen sich nun freilich die Wege der Kantschen und der klassischnaturrechtlichen Ethikauffassung: während Kant den kategorischen Imperativ als formales Vernunftgesetz im Sinne der Autonomie der praktischen Vernunft versteht, ist bei Thomas von Aquin der ethische Imperativ ein Soll, das von einer ontologisch, d.h. an Vorgegebenheiten des Seins orientierten Vernunft ausgesprochen wird. Somit führt die thomasische Ethik trotz ihrer rigorosen Eingrenzung des primären Naturrechts gleichwohl nicht zu einem nur formalen obersten Imperativ. Man kann Thomas von Aquin nicht im Sinne des modernen Idealismus interpretieren. Sosehr, wie dies manche Interpreten meinen, die thomasische Lehre von der Synderesis dem transzendentalen Idealismus Kants ähnlich zu sein scheint, sosehr ist sie doch letztlich von dieser Philosophie unterschieden durch die Annahme einer wesentlichen Hinordnung der Synderesis auf den rational analysierbaren Objektbereich der ethischen Imperative. In der thomasischen Ethik geht es um die innere Zuordnung von Sein und Sollen, in Kants Ethik demgegenüber um die nicht in der Seinsordnung begründbare, daher formale Apriorität des Moralprinzips. 3. Die Idee der Autonomie und die Frage der Theonomie in der Kantschen Ethik Sosehr Kant auf dem Gebiet der theoretischen Vernunft eine metaphysische Erkenntnis ablehnt, sosehr geht es ihm jedoch auf dem Gebiet der praktischen Vernunft um den Erweis einer absoluten Wirklichkeit. Kants Ablehnung der Abstraktion, d.h. der metaphysischen Wesenserkenntnis, ist freilich der Grund, daß das Absolute der praktischen Vernunft, d.h. der kategorische Imperativ, in keiner Weise ontologisch, sondern einzig im Sinne der „Autonomie“ bestimmbar ist. „Autonomie“ der praktischen Vernunft im Kantschen Sinne besagt freilich nicht, daß überhaupt jede Idee einer Theonomie ausgeschlossen wäre, führt doch nach Ansicht Kants das moralische Gesetz durch den „Begriff des höchsten Guts“ zur „Erkenntnis aller Pflichten als göttlicher Gebote“, wobei Kant betont, daß diese nicht zu verstehen seien als „zufällige Verordnungen eines fremden Willens“, sondern daß es um ein Verständnis der Gebote gehe als „wesentlicher Gesetze eines jeden freien Willens für sich selbst, die aber dennoch als Gebote eines höchsten Wesens angesehen werden müssen.“ 15 Mit dieser in gewisser Hinsicht transzendenten Verankerung des moralisches Gesetzes gehört Kant ebenso wie Thomas von Aquin zu jenen Ethikern, die mit dem Verweis auf die innere Notwendigkeit einer absoluten Begründung der Ethik grundsätzlich jedem Empirismus und Relativismus in der Ethik die Basis zu entziehen suchen. 348

4. Relativierend-individualistische Tendenz im vertragstheoretischen Begründungsansatz der Kantschen Rechts- und Staatslehre: grundsätzliche Trennung von Recht und Ethik statt im moralischen Naturgesetz verankerter Rechtspflicht Daß eine solche von Kant in der allgemeinen Ethik durchaus gesuchte absolute Verankerung allerdings in der Kantschen, insbesondere neukantianischen Rechts- und Staatslehre nicht vorhanden ist, vielmehr ein ins Soziologische führender, ja gewissermaßen relativierender Individualismus tendenziell bestimmend wird, liegt an der der Kantschen Philosophie gemäßen Trennung von Recht und Ethik und letztlich nicht vorhandenen Gemeinwohlnorm: die rechtliche Pflicht ist, anders als im Naturrecht, nicht verankert in dem mit Sanktionsmacht verbundenen moralischen Naturgesetz. Sicherlich könnte mit manchen Interpreten eine gewisse Einschränkung dieser Relativierung in dem Sachverhalt gesehen werden, daß bei Kant die Verpflichtungsfundamente des Rechts in seinem Begriff der transzendentalen Freiheit verankert sind und diese somit immerhin einen gewissen indirekt-ethischen Verpflichtungscharakter haben. Für Thomas von Aquin hingegen ist die ganze Freiheit der natura humana eingeordnet, die ihrerseits in der Schöpfungsordnung begründete Norm des sowohl rechtlichen als auch sittlichen Handelns ist. Rechtspflichten sind daher bei Thomas von Aquin konsequenterweise nicht nur indirekt-ethische, sondern direkt-ethische Pflichten. Bei aller Freiheitsorientierung der Kantschen Rechtslehre ist dennoch nicht zu übersehen, daß sie aufgrund der Trennung von Ethik und Recht zu einer Autonomie des Staates führt, die den vertragstheoretischen Begründungsansatz der Kantschen Rechts- und Staatslehre sehr deutlich werden läßt. 5. Das Anliegen einer materialen Ethik im Idealismus der phänomenologischen Wertethik: das Gute als Grund des Gesolltseins – Ähnlichkeit und Unterschied zum Naturrecht Bevor die vergleichenden Überlegungen zur Systematik des Naturrechts im Hinblick auf die Sozialethik weiterverfolgt werden sollen, seien mit der phänomenologischen Wertethik und der Hegelschen Dialektik kurz zwei wichtige Richtungen einer nicht formalen, sondern materialen nicht-empiristischen Ethik erwähnt, die neben dem kantianischen formalen Ansatz des kategorischen Imperativs für die Situierung des Utzschen Naturrechtsverständnisses unerläßlich sind und im übrigen es erleichtern, ein differenzierteres Verständnis dessen zu gewinnen, worin das Anliegen einer materialen Ethik in der Naturrechtslehre seine spezifische Begründung findet. Kant hat mit seiner formalistischen Ethik, die im Sinne des transzendentalen Subjektivismus das Absolute als allgemeine Gesetzlichkeit der Vernunft bestimmt, konsequent eine der Möglichkeiten einer zugleich nicht-empiristischen und nichtontologischen Ethik formuliert. Man wird hinsichtlich dieser Ethik (jedenfalls bzgl. der allgemeinen Ethik) sicherlich anerkennen müssen, daß sie der Idee des absoluten Solls wie auch der Idee der Personalität des Menschen gerecht zu werden sucht. Andererseits bleibt freilich ein wichtiges Phänomen der Ethik, das Wertbewußtsein des Menschen im Sinne materialer Werte, in Kants Ethik unberücksichtigt, worauf von Seiten der phänomenologisch orientierten Wertethik mit Recht hingewiesen wird. 349

schen als geistbegabtem, mit personaler Würde ausgezeichneten Wesen gerecht zu<br />

werden versuchen. Bezogen auf den genannten Kontext, hat der Hinweis auf die<br />

Formalität des kategorischen Imperativs zunächst wenig zu tun mit dem traditionellerweise<br />

von naturrechtlicher Seite gegen Kant geäußerten Formalismus-Vorwurf:<br />

Formalität meint bei Kant nicht mangelnde, sondern im Gegensatz zum Empirismus<br />

eine aus <strong>Vernunft</strong>gründen stammende Bestimmtheit.<br />

2. Kants kategorischer Imperativ als formales <strong>Vernunft</strong>gesetz <strong>und</strong> der naturrechtliche<br />

Sollbegriff<br />

Hier trennen sich nun freilich die Wege der Kantschen <strong>und</strong> der klassischnaturrechtlichen<br />

Ethikauffassung: während Kant den kategorischen Imperativ als<br />

formales <strong>Vernunft</strong>gesetz im Sinne der Autonomie der praktischen <strong>Vernunft</strong> versteht,<br />

ist bei Thomas von Aquin der ethische Imperativ ein Soll, das von einer ontologisch,<br />

d.h. an Vorgegebenheiten des Seins orientierten <strong>Vernunft</strong> ausgesprochen wird. Somit<br />

führt die thomasische Ethik trotz ihrer rigorosen Eingrenzung des primären <strong>Naturrecht</strong>s<br />

gleichwohl nicht zu einem nur formalen obersten Imperativ. Man kann Thomas<br />

von Aquin nicht im Sinne des modernen Idealismus interpretieren. Sosehr, wie<br />

dies manche Interpreten meinen, die thomasische Lehre von der Synderesis dem<br />

transzendentalen Idealismus Kants ähnlich zu sein scheint, sosehr ist sie doch letztlich<br />

von dieser Philosophie unterschieden durch die Annahme einer wesentlichen<br />

Hinordnung der Synderesis auf den rational analysierbaren Objektbereich der ethischen<br />

Imperative. In der thomasischen Ethik geht es um die innere Zuordnung von<br />

Sein <strong>und</strong> Sollen, in Kants Ethik demgegenüber um die nicht in der Seinsordnung<br />

begründbare, daher formale Apriorität des Moralprinzips.<br />

3. Die Idee der Autonomie <strong>und</strong> die Frage der Theonomie in der Kantschen Ethik<br />

Sosehr Kant auf dem Gebiet der theoretischen <strong>Vernunft</strong> eine metaphysische Erkenntnis<br />

ablehnt, sosehr geht es ihm jedoch auf dem Gebiet der praktischen <strong>Vernunft</strong><br />

um den Erweis einer absoluten Wirklichkeit. Kants Ablehnung der Abstraktion, d.h.<br />

der metaphysischen Wesenserkenntnis, ist freilich der Gr<strong>und</strong>, daß das Absolute der<br />

praktischen <strong>Vernunft</strong>, d.h. der kategorische Imperativ, in keiner Weise ontologisch,<br />

sondern einzig im Sinne der „Autonomie“ bestimmbar ist.<br />

„Autonomie“ der praktischen <strong>Vernunft</strong> im Kantschen Sinne besagt freilich nicht, daß<br />

überhaupt jede Idee einer Theonomie ausgeschlossen wäre, führt doch nach Ansicht<br />

Kants das moralische Gesetz durch den „Begriff des höchsten Guts“ zur „Erkenntnis<br />

aller Pflichten als göttlicher Gebote“, wobei Kant betont, daß diese nicht zu verstehen<br />

seien als „zufällige Verordnungen eines fremden Willens“, sondern daß es um ein<br />

Verständnis der Gebote gehe als „wesentlicher Gesetze eines jeden freien Willens für<br />

sich selbst, die aber dennoch als Gebote eines höchsten Wesens angesehen werden<br />

müssen.“ 15 Mit dieser in gewisser Hinsicht transzendenten Verankerung des moralisches<br />

Gesetzes gehört Kant ebenso wie Thomas von Aquin zu jenen Ethikern, die mit<br />

dem Verweis auf die innere Notwendigkeit einer absoluten Begründung der Ethik<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich jedem Empirismus <strong>und</strong> Relativismus in der Ethik die Basis zu entziehen<br />

suchen.<br />

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