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Naturrecht, Geschichte und Vernunft (I) - Tuomi

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auf objektive Sachverhalte zu konkretisieren, womit man wiederum auf einen Sachverhalt<br />

verwiesen ist, der „an sich“ gilt <strong>und</strong> darum tatsächlich auch allgemein anerkannt<br />

zu werden „verdient“. Diese Überlegungen beweisen, daß die beiden Richtungen<br />

im Thomismus im Gr<strong>und</strong>e wieder übereinkommen.<br />

4. Primäres <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>äres <strong>Naturrecht</strong> – die Möglichkeit ethischer Bewertung gesellschaftlicher<br />

Entwicklung<br />

Wenngleich ganz offenbar Thomas von Aquin eine Vielzahl von objektiv gültigen<br />

Werturteilen annimmt, so teilt er trotzdem nur eines, nämlich das oberste, dem primären<br />

<strong>Naturrecht</strong> (eigentlich müßte man sagen „Naturgesetz“ 12 ), d.h. dem natürlichen<br />

Sittengesetz zu. Tatsächlich sind eben nicht alle an sich anerkennenswerten<br />

praktischen Wahrheiten anerkannt. Die Gründe können unterschiedlicher Art sein:<br />

Irrtum, Verzerrung des sittlichen Verhaltens, Erziehung, soziales <strong>und</strong> kulturelles<br />

Milieu. Die Tatsache, daß sie nicht anerkannt sind, beweist, daß sie nicht natürlich<br />

oder spontan Anerkennung finden. Dies genügt, um sie unter das sek<strong>und</strong>äre <strong>Naturrecht</strong><br />

(d.h. sek<strong>und</strong>äre sittliche Naturgesetz) einzureihen. 13 Für die gesellschaftliche<br />

Ordnung ist diese Einreihung von besonderer Bedeutung, nämlich als Einsicht, daß<br />

eine tatsächliche Nichtanerkennung von an sich, d.h. objektiv gültigem Werturteil<br />

korrekturbedürftig ist, eben weil sie von der Seinsorientierung des obersten apriorisch<br />

gültigen Imperativs abgewichen ist. Da der oberste Imperativ immer bestehen<br />

bleibt, eröffnet er die Möglichkeit der sittlichen Selbstkontrolle <strong>und</strong> damit der sachgerechten<br />

Vervollkommnung. Nach thomistischer Auffassung kann man nicht einfach<br />

von verschiedenen sittlichen Kulturen sprechen, da man sie nach objektiven<br />

Kriterien sittlich zu beurteilen vermag. Es gibt somit einen rationalen Weg zur stets<br />

besseren Gestaltung des sittlichen Lebens, eine Einsicht, die für die Gesellschaftsethik<br />

gr<strong>und</strong>legend ist. Das sittliche Apriori kann logischerweise <strong>und</strong> zwar auch unter<br />

wertlogischem Gesichtspunkt nicht in jedweder Richtung in konkretere Handlungsprinzipien<br />

umgeformt werden. Es muß daher möglich sein, tatsächlich vertretene<br />

sittliche Werturteile <strong>und</strong> Verhaltensweisen zu verifizieren <strong>und</strong> zu falsifizieren.<br />

III. Apriori <strong>und</strong> Erfahrung in der Ethik<br />

Als Gr<strong>und</strong>muster der Zuordnung von Apriori <strong>und</strong> Erfahrung in der Ethik gilt im<br />

zeitgenössischen Philosophiediskurs weithin die Kantsche Lösung des Problems, die<br />

als Begründung des modernen, „nachmetaphysischen“ Zeitalters erscheint. Der naturrechtlichen<br />

Sicht scheint es an Zeitgemäßheit zu fehlen. Doch führen Pauschalurteile<br />

in dieser Frage nicht weiter. Es gilt zu differenzieren.<br />

1. Apriori <strong>und</strong> Erfahrung – Kant <strong>und</strong> das <strong>Naturrecht</strong> gegen Deduktion des ethischen<br />

Solls aus empiristischem Naturbegriff<br />

Bei aller Gegensätzlichkeit der Ethikkonzeptionen gibt es eine bedeutende Übereinstimmung<br />

der naturrechtlichen <strong>und</strong> der Kantschen Auffassung zur Ethik: diese findet<br />

sich im Kontext von Apriorismus <strong>und</strong> Empirismus. In beiden Konzeptionen handelt<br />

es sich um die Gr<strong>und</strong>legung einer den Empirismus transzendierenden absoluten<br />

Ethik <strong>und</strong> die Ablehnung einer Auffassung, die das ethische Sollen aus einem empiristisch<br />

gefaßten Naturbegriff deduziert. In dieser Hinsicht sind sowohl das <strong>Naturrecht</strong><br />

als auch die Kantsche Ethik „metaphysische“ Auffassungen 14 , die dem Men-<br />

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