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Naturrecht, Geschichte und Vernunft (I) - Tuomi

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Wann man von einer Wesensdefinition sprechen kann, ist bereits im theoretischen<br />

Bereich schwierig zu bestimmen. Erst recht gilt dies auf dem Gebiet des ethischen<br />

Handelns, das der praktischen <strong>Vernunft</strong> untersteht. Aus unserem Handeln gewinnen<br />

wir die Einsicht, daß es nicht so leicht ist, aus dem geschichtlich geprägten Erfahrungswissen<br />

heraus Moralprinzipien im Rang von Definitionen <strong>und</strong> Wesenheiten zu<br />

formulieren. Der Gr<strong>und</strong> liegt in der Tatsache der Schwierigkeit, unsere Werturteile<br />

zu transzendieren, d.h. sie einer absolut gültigen Kontrolle zu unterwerfen. Viele<br />

glauben heute, daß der Güter Höchstes für die Gesellschaft in der größtmöglichen<br />

Freiheit des möglichst autonomen Individuums liege. So war es aber nicht zu allen<br />

Zeiten. Diese Wesensaussagen über die rechte Gesellschaftsordnung sind nichts als<br />

Werturteile, die nicht nur theoretischer Natur, sondern vom Wertempfinden her bestimmt<br />

sind. Mag auf dem Gebiet der Theorie aufgr<strong>und</strong> der Abstraktionslehre die<br />

Frage nach den Wesensaussagen noch verhältnismäßig einfach aussehen, so erscheint<br />

sie hier auf dem Gebiet der Ethik <strong>und</strong> Gesellschaftsordnung mit einer neuen<br />

Nuance, nämlich in der Form, ob es möglich ist, Wesenswertungen vorzunehmen,<br />

indem man das geschichtlich bedingte Wertempfinden transzendiert <strong>und</strong> zu einem<br />

absoluten Werturteil gelangt. Der ersten Richtung der Thomisten ging es zu sehr um<br />

die theoretische Analyse, ohne das Wertempfinden als gr<strong>und</strong>legendes Element des<br />

<strong>Naturrecht</strong>s miteinzubeziehen. Im Gegensatz dazu war Thomas von Aquin anderer<br />

Auffassung. Als <strong>Naturrecht</strong> gilt ihm nur, was sowohl vom Objekt (also von der theoretischen<br />

<strong>Vernunft</strong>) her als auch vom Wertempfinden her spontan Geltung erlangt. J.<br />

Messner 10 hat das Verdienst, diesen Gesichtspunkt der thomasischen <strong>Naturrecht</strong>slehre<br />

herausgearbeitet zu haben.<br />

Freilich scheint durch diese zweite Auffassung der Thomismus seinem erkenntnistheoretischen<br />

Realismus zu widersprechen. Man kann daher Verständnis für die<br />

Spätscholastiker haben, warum sie sich von der praktischen in die theoretische Ordnung<br />

begaben, um das „an sich“ <strong>und</strong> das Apriori der sittlichen Normen durch Rückgriff<br />

auf die objektive Wahrheit der Wesenheiten zu bewahren. Dieses ihr Anliegen<br />

hat allerdings dazu beigetragen, ihrer Auffassung von allgemeingültigen sittlichen<br />

Normen eine allzu intellektualistische Note zu verleihen. Sie setzten andererseits<br />

stillschweigend voraus, daß die praktische <strong>Vernunft</strong> an sich die Kraft besäße, in<br />

Form evidenter Werteinsicht die theoretische Ordnung zu bejahen. In dieser Weise<br />

hat sich A. F. Utz 11 in seinem Thomaskommentar zu S. Theol. II-II 57,2 ausgesprochen:<br />

„Alles das hat als <strong>Naturrecht</strong> zu gelten, was objektiv rational, d.h. sachlich<br />

analysierbar ist. Ob es nun immer möglich sein wird, auf rationalem Wege die an<br />

sich rationale, genauer gesagt, rationable <strong>und</strong> intelligible, weil sachlich vorliegende,<br />

Rechtslage zu analysieren, ist eine andere Frage.“ Was hier vom <strong>Naturrecht</strong> gesagt<br />

wurde, gilt allgemein von den sittlichen Normen. Im Gr<strong>und</strong>e muß aber auch die<br />

Erklärung, die durchgängig durch J. Messner vertreten wird, zum gleichen Ergebnis<br />

kommen. Wenn man annimmt, daß das immer allgemeingültige <strong>und</strong> oberste Prinzip<br />

sittlicher Erkenntnis (das Gute ist zu tun, das Böse zu meiden) ein Werturteil <strong>und</strong><br />

nicht nur einen objektiven Sachverhalt beinhaltet, wie auch Utz in seiner Ethik ausdrücklich<br />

bejaht, dann muß man sich bewußt bleiben, daß gemäß diesem Apriori-<br />

Urteil die sittliche Erkenntnis, d.h. die praktische <strong>Vernunft</strong> von Natur darauf<br />

hingeordnet ist, den allgemeinen Begriff des „Guten“ im Hinblick auf das Sein, also<br />

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