Naturrecht, Geschichte und Vernunft (I) - Tuomi

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07.10.2013 Aufrufe

verhalt Rechnung getragen, freilich aufgrund einer diametral entgegengesetzten Erklärung des Absoluten: während Thomas von Aquin das Absolute von der Transzendenz her begreift, erklärt es Hegel rationalistisch (trotz religionsphilosophischer Entstehungsgründe seines Denksystems) im Sinne der Immanenz der geschichtlichen Entwicklung. Entsprechend befindet sich Hegels Ethik und Sozialphilosophie im Gegensatz nicht nur zur „Abstraktheit“ der Kantschen formalen Subjektivität, sondern auch zur ontologisch-naturrechtlichen Auffassung des Ganzheitsbegriffs. Aus der Idee, daß das Allgemeine als absolute geschichtliche Wirklichkeit verstanden wird, welche die Menschheit umgreift und deren Sinn bestimmt, folgt Hegels berühmte Auffassung, derzufolge nicht nur das Vernünftige als wirklich, sondern auch umgekehrt das Wirkliche als vernünftig zu bezeichnen ist. 33 Es ist daher folgerichtig, wenn Hegel seine geschichtsdialektische Universalphilosophie in institutioneller Hinsicht verwirklicht sieht im Staat, der für Hegel als Wirklichkeit des substantiellen Willens das an und für sich Vernünftige ist 34 und insofern von Hegel verstanden wird als die Wirklichkeit der sittlichen Idee. 35 Gewiß gibt es auch in Kants Sozialphilosophie die Idee einer sowohl dem Begriff der Freiheit als auch dem Begriff des Staats (bei Kant als notwendiger Institution der gesellschaftlichen Koordination) zukommenden „Autonomie“. Dieser Kantsche Rekurs auf „Autonomie“ im Sinne formaler Selbstbestimmung resultiert allerdings einzig aus der Trennung von Seins- und Sollensordnung einerseits, von Recht und Ethik andererseits. Er hat somit nichts zu tun mit einer im Sinne des Hegelschen Begriffs des Selbstbewußtseins verstandenen Autonomie, die – anders als bei Kant – ihre Bestimmung einzig von der Idee der geschichtsdialektischen Einheit von Sein und Sollen erhält, nämlich als „konkrete Freiheit“ im Sinne der Partizipation an der „konkreten Totalität“ des Staats. Ethik wird im Hegelschen Ansatz interpretiert aus dem Prinzip einer „Dialektik der Sittlichkeit“ (eine auch verschiedene „realistische“ Umformungen des Hegelschen Idealismus – K. Marx, Kritische Theorie, Habermas’ Diskursethik – bestimmende Grundidee). 36 Für Kant und auch für das Naturrechtsdenken käme eine solche Geschichtsdialektik einer Variante des empiristischen Denkens bzw. einem nicht akzeptierbaren geschichtsimmanentistischen Universalismus gleich, da die Geschichtsdialektik im Grunde die Personalität des Menschen verkennt und – was das Naturrechtsdenken angeht – zusätzlich eine metaphysischontologisch begründete Objektivität sozialethischer Normen negiert. 352 IV. Metaphysik des Sozialen Utz hat in seiner erkenntnistheoretisch-normativen Grundlegung der Ethik – vorrangig durch kommentierenden Rekurs auf das thomasische Naturrecht – herausgearbeitet, daß es die innere Struktur der das Gewissen des Handelnden bestimmenden Sollordnung ist, auf eine verpflichtende Gesamtordnung zu verweisen. Der Naturrechtler spricht hierbei von „Metaphysik“ und „Gemeinwohl“. Wie sieht nun diese Metaphysik des Sozialen aus, und welches ist die von dieser abstrakten Ebene aus zur konkreten Gesellschaftsethik führende Naturrechtslogik? 1. Menschenbild und verpflichtende Gesamtordnung: Naturrecht und dialektische Geschichtsphilosophie als konkurrierende Weltanschauungen

Die im Sinne naturrechtlicher Normenlogik gefaßte Gemeinwohlnorm umfaßt den Menschen in seiner individuellen und sozialen Natur und ist als solche Grund der Normativität und Integrationsleistung einer ihr adäquaten Gesellschaftsordnung. Das in dieser Metaphysik des Sozialen supponierte Menschenbild ist das des Menschen als personalen Wesens, d.h. – im Gegensatz zu jeder Vorstellung einer hegelianischgeschichtsdialektisch „geschuldeten“ Verantwortung – des in persönlich verantworteter Freiheit handelnden Menschen, der keiner geschichtsdialektischen Normativität unterliegt, der vielmehr die abstrakt vorgegebenen (auch dem Staat und der Gesellschaft vorgegebenen und daher der staatlichen und gesellschaftlichen Verfügung entzogenen) Wesensnormen der menschlichen Natur zu konkretisieren hat 37 . Wie sieht diese Zuordnung von „Allgemeinem“ und „Konkretem“ aus? Sie ist nicht zu verwechseln mit der nur scheinbar ähnlichen Auffassung der dialektischen Geschichtsphilosophie, wie dies in der Naturrechtskritik des Kritischen Rationalismus aufgrund einer fälschlichen Gleichsetzung von dialektischer und naturrechtlicher Philosophie als „Essentialismus“ bzw. „Historizismus“ geschieht. Wie A. F. Utz in seinen Schriften herausgearbeitet hat, ist – im Gegensatz zur geschichtsdialektischen Auffassung der Natur des Menschen als der in der Geschichte sich nach einem dialektischen Prozeß entwickelnden Menschheit (Hegel, Marx) – in der Sicht des Naturrechts die Natur „jenes Allgemeine in den konkreten Menschen, das diese in der Geschichte mit der ihnen verliehenen (und darum gebundenen) Freiheit konkretisieren sollen. Die Aufgabe, die Gesellschaft in Selbstverantwortung zu gestalten, ist darum nicht deutbar aus der Einsicht in den universalhistorischen Entwicklungsprozeß der Freiheit als solcher, sondern ist vielmehr begründet in der universalen Natur des Menschen als einer abstrakten, durch personale Freiheit zu konkretisierenden Norm.“ 38 2. Vernunft, Gewissen und personale Würde des Menschen Aus der Sicht des metaphysisch-ontologischen Naturrechts sind die Menschenrechte und die Handlungsprinzipien ohne die Vorstellung eines ewigen Schöpfers nicht erklärbar. 39 Utz entfaltet in dieser Frage die in seinen verschiedenen Veröffentlichungen dargestellte Naturrechtsdoktrin des Thomas von Aquin. Freiheit ist aus der Sicht des Metaphysikers nicht voraussetzungsfrei – ein nicht zuletzt auch von Papst Benedikt XVI. in seinen theologischen Schriften immer wieder herausgearbeiteter Sachverhalt. 40 Die von Gott geschaffene Freiheit und aufgetragene geschichtliche Aufgabe des Menschen weist auf dessen personale Würde, die ihm durch die Gottebenbildlichkeit verliehen wurde. Thomas von Aquin erörtert ausführlich in der Summa theologica die Gottebenbildlichkeit des Menschen. 41 Er betont, daß diese den Intellekt, den freien Willen und (in der Sprache von J. Messner) die Kreativität des Menschen in seinem Werk bedeutet. Thomas von Aquin spricht jedoch an anderer Stelle der Summa theologica in geradezu moderner Weise auch vom Begriff der in Freiheit und Selbstzwecklichkeit gründenden Menschenwürde. 42 Von Freiheit und Selbstzwecklichkeit spricht auch die moderne Philosophie in ihren unterschiedlichen, sei es transzendent, sei es nicht-transzendent verankerten Ausprägungen. Thomas kommt in der „Summe gegen die Heiden“ darauf zu sprechen, daß gegenüber denen, die an keinen Gott glauben, nur das Vernunftargument bleibe, dem sie sich beugen müssen. 43 Jeder Mensch ist ausgezeichnet durch die Begabung mit 353

verhalt Rechnung getragen, freilich aufgr<strong>und</strong> einer diametral entgegengesetzten<br />

Erklärung des Absoluten: während Thomas von Aquin das Absolute von der Transzendenz<br />

her begreift, erklärt es Hegel rationalistisch (trotz religionsphilosophischer<br />

Entstehungsgründe seines Denksystems) im Sinne der Immanenz der geschichtlichen<br />

Entwicklung. Entsprechend befindet sich Hegels Ethik <strong>und</strong> Sozialphilosophie im<br />

Gegensatz nicht nur zur „Abstraktheit“ der Kantschen formalen Subjektivität, sondern<br />

auch zur ontologisch-naturrechtlichen Auffassung des Ganzheitsbegriffs. Aus<br />

der Idee, daß das Allgemeine als absolute geschichtliche Wirklichkeit verstanden<br />

wird, welche die Menschheit umgreift <strong>und</strong> deren Sinn bestimmt, folgt Hegels berühmte<br />

Auffassung, derzufolge nicht nur das Vernünftige als wirklich, sondern auch<br />

umgekehrt das Wirkliche als vernünftig zu bezeichnen ist. 33 Es ist daher folgerichtig,<br />

wenn Hegel seine geschichtsdialektische Universalphilosophie in institutioneller<br />

Hinsicht verwirklicht sieht im Staat, der für Hegel als Wirklichkeit des substantiellen<br />

Willens das an <strong>und</strong> für sich Vernünftige ist 34 <strong>und</strong> insofern von Hegel verstanden wird<br />

als die Wirklichkeit der sittlichen Idee. 35<br />

Gewiß gibt es auch in Kants Sozialphilosophie die Idee einer sowohl dem Begriff der<br />

Freiheit als auch dem Begriff des Staats (bei Kant als notwendiger Institution der<br />

gesellschaftlichen Koordination) zukommenden „Autonomie“. Dieser Kantsche<br />

Rekurs auf „Autonomie“ im Sinne formaler Selbstbestimmung resultiert allerdings<br />

einzig aus der Trennung von Seins- <strong>und</strong> Sollensordnung einerseits, von Recht <strong>und</strong><br />

Ethik andererseits. Er hat somit nichts zu tun mit einer im Sinne des Hegelschen<br />

Begriffs des Selbstbewußtseins verstandenen Autonomie, die – anders als bei Kant –<br />

ihre Bestimmung einzig von der Idee der geschichtsdialektischen Einheit von Sein<br />

<strong>und</strong> Sollen erhält, nämlich als „konkrete Freiheit“ im Sinne der Partizipation an der<br />

„konkreten Totalität“ des Staats. Ethik wird im Hegelschen Ansatz interpretiert aus<br />

dem Prinzip einer „Dialektik der Sittlichkeit“ (eine auch verschiedene „realistische“<br />

Umformungen des Hegelschen Idealismus – K. Marx, Kritische Theorie, Habermas’<br />

Diskursethik – bestimmende Gr<strong>und</strong>idee). 36 Für Kant <strong>und</strong> auch für das <strong>Naturrecht</strong>sdenken<br />

käme eine solche Geschichtsdialektik einer Variante des empiristischen Denkens<br />

bzw. einem nicht akzeptierbaren geschichtsimmanentistischen Universalismus<br />

gleich, da die Geschichtsdialektik im Gr<strong>und</strong>e die Personalität des Menschen verkennt<br />

<strong>und</strong> – was das <strong>Naturrecht</strong>sdenken angeht – zusätzlich eine metaphysischontologisch<br />

begründete Objektivität sozialethischer Normen negiert.<br />

352<br />

IV. Metaphysik des Sozialen<br />

Utz hat in seiner erkenntnistheoretisch-normativen Gr<strong>und</strong>legung der Ethik – vorrangig<br />

durch kommentierenden Rekurs auf das thomasische <strong>Naturrecht</strong> – herausgearbeitet,<br />

daß es die innere Struktur der das Gewissen des Handelnden bestimmenden<br />

Sollordnung ist, auf eine verpflichtende Gesamtordnung zu verweisen. Der<br />

<strong>Naturrecht</strong>ler spricht hierbei von „Metaphysik“ <strong>und</strong> „Gemeinwohl“. Wie sieht nun<br />

diese Metaphysik des Sozialen aus, <strong>und</strong> welches ist die von dieser abstrakten Ebene<br />

aus zur konkreten Gesellschaftsethik führende <strong>Naturrecht</strong>slogik?<br />

1. Menschenbild <strong>und</strong> verpflichtende Gesamtordnung: <strong>Naturrecht</strong> <strong>und</strong> dialektische<br />

Geschichtsphilosophie als konkurrierende Weltanschauungen

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