000 Titelei - TOBIAS-lib - Universität Tübingen

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Doch, warum muß man annehmen, daß die Weissagung vom Untergang Jerusalems ein vaticinium ex eventu sei? Die Offenbarung Jesu war allem Anschein nach so konkret, daß, wie Eusebius mit Anspielung auf darüberhinaus neu hinzugekommene Weissagungen berichtet, die Christengemeinde Jerusalem in den Jahren 64–66, d.h. vor Ankunft der Römer, nahezu geschlossen verließ. Sie sei ins Ostjordanland (Peraia) übergesiedelt, vor allem nach Pella, wo sie das Kriegsgeschehen mehr oder weniger unbeschadet überstanden habe 69 . Die Frage des Zeitpunktes der Entstehung der synoptischen Evangelien ist also neu zu überdenken 70 und wir können davon ausgehen, daß Thomas seiner jungen Gemeinde in Südindien das Hebräerevangelium überließ, nicht weil ihm die anderen Evangelien noch nicht zur Verfügung standen, vielmehr weil sich ihr möglicherweise an Zahl und Bedeutung nicht unwesentlicher judenchristlicher Kern mit diesem – aramäischen – Text am ehesten anzufreunden vermochte 71 . 69) s. Eusebius HE III,5,3, wiedergegeben unter den Quellentexten als Nr. 6. A.O. III,7, schreibt er gar in Bezug auf die Berichte des Josephus über die Zerstörung Jerusalems: »Es gebührt sich, diesen Nachrichten die wahrheitsgemäße Prophezeiung unseres Erlösers beizufügen, in welcher er eben diese Ereignisse also voraussagte: ...« (es folgten die Worte aus Mat 24,29–21). s. auch Reicke 3 1982, 218. Über entsprechende lange vor Ausbruch des Krieges bestehende Weissagungen auch im außerchristlichen Bereich, s. z.B. Josephus BI IV,6,3. – Die bei weitem berühmtesten von der Wissenschaft als vaticinia ex eventu bezeichneten Weissagungen sind die der Colmarer Chronik über die künftige Größe Rudolfs von Habsburg bzw. die von der weltumfassenden und andauernden Herrschaft des Hauses Habsburg insgesamt, von denen Albrecht von Bonstetten berichtet. Der Dominikaner von Colmar wird von W. Treichler jedoch als »in engem persönlichem Kontakt zu Rudolf« stehend gesehen: s. ders., Mittelalterliche Erzählungen und Anekdoten um Rudolf von Habsburg, Bern etc. 1971, 21f. (Kann er da in einer so wichtigen Sache phantasiert haben?) Albrecht von Bonstetten aber starb 1509, s. Lexikon des Mittelalters Bd II, München etc. 1983, 603 (H. Grössing), lange bevor die Habsburger ein Reich besaßen, »in dem die Sonne nicht unterging«, und in einer Geschichtsperiode, die man nur als Das Zeitalter der heiligen Kaiser bezeichnen kann, das, was heute von der Kirche besteht, vom Untergang bewahrten bzw. neu schufen. Als vaticinium ex eventu bezeichnet O. Redlich die Aussage des Colmarer Chronisten in seinem Standardwerk »Rudolf von Habsburg«, Innsbruck 1903, 129f. Treichler bleibt auch im Inneren seiner Schrift bei der im Titel angedeuteten Einschätzung: »Erzählungen und Anekdoten«, s. a.O. insbesondere 55f. Die Texte s. Treichler a.O. 45f. (Rudolf) bzw. 42f. (Größe und Dauer des Hauses Habsburg insgesamt). Letzteres nach Treichler übrigens auch schon von Johannes v. Winterthur (* um 1300) angedeutet, s. a.O. 55. 70) Bezüglich des Markus-Evangeliums dürfte schlichtweg zutreffen, was Eusebius über seine Entstehung berichtet: Markus habe es aufgrund des Drängens von Petri Hörern noch zu dessen Lebzeiten – Petrus starb bekanntlich unter Nero im Jahre 65 – verfaßt. Petrus habe dessen Gebrauch in den Kirchen selber noch gutgeheißen, s. Eusebius HE II,15 bzw. III,39. 71) Tatsächlich dürften, wie Eusebius aus Irenäus und Origenes zusammenfaßt, alle drei synoptischen Evangelien Ende der 50-er, Anfang der 60-er Jahre in der uns geläufigen Reihenfolge entstanden sein u.z. vor dem Tod der Apostelfürsten, s. Eusebius HE V,8 bzw. VI,25, aber auch II,24/25. Dabei ist anzunehmen, daß der griechischen Fassung des Matthäus-Evangeliums tatsächlich recht früh ein hebräisch verfaßter Bericht vorausging, s. z.B. a.O. III,39 und hier weiter unten Anm 73. Als letzter habe Johannes sein Evangelium in Ephesus herausgegeben: so Irenäus a.O. V,8 bzw. Origenes a.O. VI,25; ausführlich dazu s. Eusebius a.O. II,24. Die Frage der vaticinia ex eventu dürfte hier, wie wir sahen, tatsächlich ohne Belang sein. – Kurz sei darauf hingewiesen, daß auch der Umstand, daß sich die Synoptiker gezwungen sahen, auf die schriftliche Fixierung des Berichts von der Auferweckung des Lazarus zu verzichten, darauf hinweist, 19

Umso erstaunlicher wirkt dann die von Hieronymus festgehaltene Nachricht, Pantänus habe das besagte Hebräer-Evangelium von seiner Reise mit nach Alexandrien zurückgebracht 72 . Hatte Pantänus nichts besseres zu tun, als die so hart um ihren Zusammenhalt mit der Gesamtkirche kämpfende Christengemeinde Südindiens – immerhin war sie es, die nach Auskunft desselben Hieronymus eigens um die Sendung eines Glaubensboten bat – nun ihres wertvollsten Schatzes, des Hebräerevangeliums zu berauben? Oder war das jüdische Gemeindeelement gar untergegangen, sodaß eine aramäische Bibelversion weiterhin nicht mehr von Interesse war? Wohl nicht! Wenn gerade Hieronymus, der Vater der westlichen Bibelexegese, den Umstand festhalten zu müssen glaubt, daß Pantänus das Hebräer-Evangelium von seiner Reise nach Alexandrien mit heimgebracht habe, dann drückt sich darin zuerst und vor allem einmal die Freude des Exegeten darüber aus, daß der Text der bald schon als verloren angesehenen Urfassung des Matthäus-Evangeliums auf diesem erstaunlichen Wege der alexandrinischen Bibelforschung – jedenfalls für kurze Zeit – wieder zugänglich gemacht worden war 73 . Tatsächlich dürfte es sich bei dem von Hieronymus berichteten Vorgang aber darum handeln, daß sich der an den Bibelwissenschaften gewiß nicht wenig interessierte Pantänus, dem der frühe Verlust des Ur-Matthäus mit Sicherheit ebenso naheging wie den übrigen Vertretern der aufblühenden christlichen Schriftexegese, eine Abschrift des Textes anfertigen ließ und diese als willkommene Trophäe von seiner Missionsreise mit nach Hause brachte. So dürfen wir zu Ende dieses dem jüdischen Element in der Gemeinde Süd-Indiens gewidmeten Abschnitts zusammenfassen, daß auch dieses Detail aus dem Bericht von der Reise des Pantänus nicht von einer Schwächung oder gar einem Erlöschen der jüdischen Gruppierung innerhalb der Christengemeinde von Kerala Zeugnis ablegen dürfte. Vielmehr spricht alles dafür, daß das Hebräer-Evangelium von den Thomas-Christen weiterhin hochgeschätzt in ihrer Mitte aufbewahrt wurde und daß sie, als der lang ersehnte Besuch aus dem fernen Alexandrien endlich bei ihr eingetroffen war, nichts eiligeres zu tun hatte, als dem Wanderprediger dieses ihr von ihrem Apostel nachgelassene Evangelienbuch zum Beleg ihrer auf die Urzeit des Christentums zurückgehenden Glaubenstradition vorzuweisen. daß sie vor der Zerstörung der Stadt, d.h. zu einer Zeit, als die jüdischen Institutionen noch voll funktionsfähig waren, ihre Evangelien verfaßten, s. Näheres dazu in meinem Aufsatz, ›Der Nemrud Dag˘, seine Terrassen und das indische Somaopfer‹, IstMitt 44, 1994, 123f. (= Aufsätze XIV). 72) s. Hieronymus deVirIll 36. 73) Die Väterstellen zu Existenz und Verlust des Hebräer-Evangelium (= Ur-Matthäus?) referiert Klijn 1992, 3–25; a.O. 47ff. bietet er mit Kommentar die wenigen als Zitate erhaltenen Verse dieses Textes. s. auch hier oben Anm 71. 20

Umso erstaunlicher wirkt dann die von Hieronymus festgehaltene Nachricht,<br />

Pantänus habe das besagte Hebräer-Evangelium von seiner Reise mit nach Alexandrien<br />

zurückgebracht 72 . Hatte Pantänus nichts besseres zu tun, als die so hart um ihren<br />

Zusammenhalt mit der Gesamtkirche kämpfende Christengemeinde Südindiens<br />

– immerhin war sie es, die nach Auskunft desselben Hieronymus eigens um die Sendung<br />

eines Glaubensboten bat – nun ihres wertvollsten Schatzes, des Hebräerevangeliums<br />

zu berauben? Oder war das jüdische Gemeindeelement gar untergegangen,<br />

sodaß eine aramäische Bibelversion weiterhin nicht mehr von Interesse war?<br />

Wohl nicht! Wenn gerade Hieronymus, der Vater der westlichen Bibelexegese, den<br />

Umstand festhalten zu müssen glaubt, daß Pantänus das Hebräer-Evangelium von<br />

seiner Reise nach Alexandrien mit heimgebracht habe, dann drückt sich darin zuerst<br />

und vor allem einmal die Freude des Exegeten darüber aus, daß der Text der bald<br />

schon als verloren angesehenen Urfassung des Matthäus-Evangeliums auf diesem<br />

erstaunlichen Wege der alexandrinischen Bibelforschung – jedenfalls für kurze Zeit –<br />

wieder zugänglich gemacht worden war 73 .<br />

Tatsächlich dürfte es sich bei dem von Hieronymus berichteten Vorgang aber darum<br />

handeln, daß sich der an den Bibelwissenschaften gewiß nicht wenig interessierte<br />

Pantänus, dem der frühe Verlust des Ur-Matthäus mit Sicherheit ebenso naheging<br />

wie den übrigen Vertretern der aufblühenden christlichen Schriftexegese, eine Abschrift<br />

des Textes anfertigen ließ und diese als willkommene Trophäe von seiner<br />

Missionsreise mit nach Hause brachte.<br />

So dürfen wir zu Ende dieses dem jüdischen Element in der Gemeinde Süd-Indiens<br />

gewidmeten Abschnitts zusammenfassen, daß auch dieses Detail aus dem Bericht<br />

von der Reise des Pantänus nicht von einer Schwächung oder gar einem Erlöschen<br />

der jüdischen Gruppierung innerhalb der Christengemeinde von Kerala Zeugnis ablegen<br />

dürfte. Vielmehr spricht alles dafür, daß das Hebräer-Evangelium von den Thomas-Christen<br />

weiterhin hochgeschätzt in ihrer Mitte aufbewahrt wurde und daß sie,<br />

als der lang ersehnte Besuch aus dem fernen Alexandrien endlich bei ihr eingetroffen<br />

war, nichts eiligeres zu tun hatte, als dem Wanderprediger dieses ihr von ihrem Apostel<br />

nachgelassene Evangelienbuch zum Beleg ihrer auf die Urzeit des Christentums<br />

zurückgehenden Glaubenstradition vorzuweisen.<br />

daß sie vor der Zerstörung der Stadt, d.h. zu einer Zeit, als die jüdischen Institutionen noch voll funktionsfähig<br />

waren, ihre Evangelien verfaßten, s. Näheres dazu in meinem Aufsatz, ›Der Nemrud Dag˘, seine Terrassen<br />

und das indische Somaopfer‹, IstMitt 44, 1994, 123f. (= Aufsätze XIV).<br />

72) s. Hieronymus deVirIll 36.<br />

73) Die Väterstellen zu Existenz und Verlust des Hebräer-Evangelium (= Ur-Matthäus?) referiert<br />

Klijn 1992, 3–25; a.O. 47ff. bietet er mit Kommentar die wenigen als Zitate erhaltenen Verse dieses Textes.<br />

s. auch hier oben Anm 71.<br />

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