000 Titelei - TOBIAS-lib - Universität Tübingen
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gegebenheit, die dem indischen theologischen Denken so fremd ist, daß es trotz<br />
beeindruckendster Errungenschaften auf anderen geisteswissenschaftlichen Gebieten<br />
nicht einmal eine eigentliche profane Geschichtswissenschaft hervorgebracht<br />
hat. So kann z.B. ein – allerdings christlicher – indischer Kirchenhistoriker formulieren:<br />
»Hence, in the vast range of Sanskrit literature, history is conspicuous by its<br />
absence« 6 . So ist die Einpflanzung historischen Denkens in den modernen indischen<br />
Wissenschaftsbetrieb als eminent wichtige praeparatio evangelica des indischen Subkontinents<br />
für die christliche Glaubensverkündigung anzusehen, geschehen im Rahmen<br />
der Verwaltungsmaßnahmen der verschiedenen britischen Verwaltungskörperschaften.<br />
Dieses dürfte den Kolonialbeamten kaum bewußt gewesen sein,<br />
mag mancher Missionar sie auch auf den Mangel an historischem Interesse als Hindernis<br />
bei der Verkündigung des Christentums aufmerksam gemacht haben. Für die<br />
Beamten handelte es sich bei der Durchführung von Einrichtungen wie des<br />
Archaeological Survey um mit aller Selbstverständlichkeit zu verwirklichende Elemente<br />
westlicher Zivilisation, deren Beförderung sie sich verpflichtet fühlten. Woran<br />
es fehlt, ist, dieses ihr Tun auch unter dem Aspekt der Verchristlichung Indiens zu<br />
sehen und anzuerkennen.<br />
Sprachen wir von der positiven Sicht, in der die völkerverbindenden Ergebnisse der<br />
westlichen Aktivitäten im ehemaligen Kolonialreich Indien zu sehen sind, so hat diese<br />
doch auch noch eine andere, komplementäre Seite. Nicht nur kam es in der frühen<br />
Neuzeit z.B. durch die Berichte der China- und Indienmissionare aus dem Jesuitenorden<br />
zu wiederholten Ausbrüchen zuweilen fast krankhafter Begeisterung für die<br />
fernöstlichen Kulturen. Im Zuge der jüngsten Kolonial- und Missionsgeschichte kam<br />
es bei den Missions- und Kolonialvölkern auch zu lebhaften Rückidentifikationen<br />
mit der Zielgruppe ihrer Aktivitäten. Hier sonderte sich dann die Spreu vom Weizen.<br />
Erfuhr, um mit den Missionskörperschaften zu beginnen, die Verwaltungsstarre der<br />
römischen Kirche Erschütterungen, die, wie man wohl annehmen darf, noch nicht an<br />
ihr Ende gelangt sind, so wurde die protestantische Mission mit einer asketischen<br />
Tradition und meditativen Praxis konfrontiert, die zuweilen – die Geschichte der<br />
Missionarsfamilie Gundert-Hesse gibt hiervon beredtes Zeugnis 7 – bis zur Infragestellung,<br />
ja zum Verlust der eigenen christlichen Identität führte, mit Rückwirkungen<br />
bis tief in die Reihen der Mitglieder der Heimatkirchen. Schaut man aber mehr<br />
6) C.V. Cheriyan, A History of Christianity in Kerala, Kottayam 1973, 51f. Vgl. auch P. Thomas, Christians<br />
and Christianity in India and Pakistan, London 1954, 1:<br />
»Ancient Indians had taken a lively interest in practically every field of human activity and have left us<br />
voluminous works on various subjects but not one book of pure history. The merely mundane did not<br />
interest them, and till the time of the Muslim conquest the history of India is largely a matter of<br />
conjecture ...«<br />
7) Eine gültige Untersucheung der Endphase dieses Phänomens bietet G. Mayer, Die Begegnung des<br />
Christentums mit den asiatischen Religionen im Werk Hermann Hesses, Bonn 1956 = Untersuchungen zur<br />
allgemeinen Religionsgeschichte, begründet von Carl Clemen, N.F., herausgegeben von Gustav<br />
Mensching, Heft 1. Die Anfänge der Entwicklung beschreiben die Angaben zum Einsetzen der Missionsarbeit<br />
des Württembergischen Pietismus unten auf Seite 60.<br />
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