07.10.2013 Aufrufe

000 Titelei - TOBIAS-lib - Universität Tübingen

000 Titelei - TOBIAS-lib - Universität Tübingen

000 Titelei - TOBIAS-lib - Universität Tübingen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Als Beispiel für einen solchen aus den Quellen übernommenen unhistorischen Erzählstoff<br />

möge hier die Beschreibung der ›Rache‹ dienen, die das Schicksal Pilatus<br />

für sein ›schändliches‹ Tun zugedacht hatte, von Jakobus im Wesentlichen aus den<br />

Pilatusakten abgeschrieben 720 . Ganz ›brav‹, so möchte man sagen, weist Jakobus seine<br />

Leser jedoch zu Beginn dieser abstrus unsinnigen Passagen darauf hin: »Man liest<br />

in einer apokryphen Geschichte ... 721 «, um ihn am Ende nochmals darauf aufmerksam<br />

zu machen: »Eusebius und Beda aber sagen in ihren Chroniken nichts davon,<br />

daß er in die Verbannung geschickt wurde, sondern nur, daß er in mancherlei Unglück<br />

fiel und sich mit eigener Hand das Leben nahm 722 «.<br />

Hier scheinen, wie wir heute sagen würden, tiefenpsychologische Gründe mitgewirkt<br />

zu haben, die, wie anzunehmen ist, dem Jakobus – auf seine Weise – durchaus<br />

bewußt waren. Seelsorger und Prediger, der er war, wußte er um das Verlangen der<br />

vom Tun Pilati verletzten Christenseele, nun auch plastisch vorgeführt zu bekommen,<br />

welche ungeheuerlichen Strafen diesen schließlich bis hin zu seinem Tode überfielen.<br />

Und Jakobus gestattet der Seele, sich in den Ungeheuerlichkeiten zu baden, die er –<br />

ein ähnlicher Geschmack dürfte schon bei der Entstehung der Pilatusakten selbst<br />

Pate gestanden haben – in irgendwelchen alten Schriften fand. Mögen dem Historiker<br />

angesichts solcher Praktiken die Haare zu Berge stehen – Jakobus weist immerhin<br />

darauf hin, daß diese Passagen ›apokryph‹ sind und in den besten Quellen nicht<br />

zu finden sind -, tatsächlich nutzt der Predigermönch hier nur, was uns heute bis zum<br />

Ende jeden ›Krimis‹ vor dem Fernsehapparat ausharren läßt, bis nämlich das Verlangen<br />

unseres Gerechtigkeitsempfindens durch den finalen ›show-down‹ gestillt wird,<br />

der uns das schlimme Ende des Böslings in aller Ausführlichkeit vor Augen führt.<br />

Ähnliche Gründe sind für die oben erwähnten Namensallegoresen zu nennen, wie<br />

auch für die breitesten Raum einnehmenden Wiedergaben zahlreicher monstruöser,<br />

schon lange vor Jakobus frei erfundener – auch hier ist zu fragen: Warum dies!? –<br />

Martererzählungen 723 . Regen erstere die Phantasie an, üben letztere das Mit-Leiden-<br />

Können – durchaus anders als dies bei den Greuelszenarien des modernen TV-Geschäfts<br />

intendiert ist, die ihre Konsumenten finden, weil sie einüben, Angst auszustehen,<br />

vor ihr abhärten. Beides, sowohl die phantastischen Namensallegoresen als auch<br />

die Martererzählungen des Jakobus hielten, wie der überwältigende Erfolg seiner<br />

Arbeit zeigt, die Leser bei der Stange und, wie jeder weiß, durchaus zu deren Nutzen.<br />

720) Nachzulesen Benz 10 1984, 267–272.<br />

721) s. a.O. 267.<br />

722) s. a.O. 272.<br />

723) Fest steht natürlich, daß viele der Martyrien, die Jakobus berichtet, und darunter die schrecklichsten,<br />

als historisch korrekt überliefert anzusehen sind. Verwiesen sei als dem wohl extremsten Beispiel auf<br />

das Martyrium ›Jakobs des Zerschnittenen‹, der Anfang des 5. Jahrhunderts unter dem Sasanidenkönig<br />

Bah. ram V. litt, wiedergegeben Benz 10 1984, 929–933, s. LThK Bd 5, 1960 s.v. ›Jakob der Zerschnittene‹ Sp<br />

850 (A.P. Frutaz).<br />

157

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!