07.10.2013 Aufrufe

Ritter Blaubart_Neue Zürcher Zeitung.pdf - Styriarte

Ritter Blaubart_Neue Zürcher Zeitung.pdf - Styriarte

Ritter Blaubart_Neue Zürcher Zeitung.pdf - Styriarte

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Neue</strong> <strong>Zürcher</strong> <strong>Zeitung</strong><br />

Offenbachs «Barbe-Bleue» an der <strong>Styriarte</strong> in Graz<br />

Derber Witz und hoher Ton<br />

Bühne und Konzert Donnerstag, 27. Juni, 06:00<br />

Der<br />

Anfang vom Ende des Endes: <strong>Blaubart</strong> (J. Chum) begegnet Boulotte (E. Kulman).<br />

(Bild: Werner Kmetitsch)<br />

Mit Jacques Offenbachs Opéra-bouffe «Barbe-Bleue» haben die steirischen<br />

Festspiele <strong>Styriarte</strong> begonnen. Vater und Sohn Harnoncourt prägten Musik und<br />

Szene auf sehr eigentümliche Weise. Das Ergebnis überzeugte jedoch nur halb.<br />

Daniel Ender<br />

Fünf Ehefrauen hat <strong>Ritter</strong> <strong>Blaubart</strong> bereits beseitigen lassen, da es ihn stets nach neuen<br />

Leidenschaften dürstet. Kaum ist er mit der nächsten vermählt, wird er ihrer auch schon<br />

überdrüssig und wendet sich wiederum einer anderen zu. In Jacques Offenbachs «Barbe-<br />

Bleue» findet dieses Spiel ein jähes Ende, als die Bäuerin Boulotte auf den Plan tritt. Ihr<br />

verrät <strong>Blaubart</strong>s Alchemist Popolani (Sébastien Soulès) nämlich, dass er die Frauen nicht<br />

getötet, sondern nur betäubt hat. Und so entsteigen sie zum Schlussbild der Opéra-bouffe<br />

ihren Gräbern und werden kurzerhand mit jenen Herren verheiratet, die König Bobêche<br />

(Cornel Frey) als vermeintliche Nebenbuhler aus dem Weg räumen lassen wollte, hätte nur<br />

der Minister seine Befehle ausgeführt.<br />

Szenisch halbfertig<br />

Dass sich die letzte Angebetete des <strong>Ritter</strong>s, die Schäferin Fleurette, als Königstochter Hermia<br />

entpuppt (Sophie Marin-Degor), lieferte Offenbach und seinen Librettisten Henri Meilhac<br />

und Ludovic Halévy den Anlass, nicht nur die hehre Welt der Oper zu persiflieren, sondern<br />

auch die Zustände im Zweiten Kaiserreich am Hof von Napoleon III. Durchgesetzt hat sich


das 1866 uraufgeführte Stück freilich nicht – trotz der Fürsprache durch Karl Kraus in den<br />

zwanziger Jahren und trotz der Erfolgsproduktion Walter Felsensteins, die an der<br />

Ostberliner Komischen Oper ab 1963 drei Jahrzehnte lang gespielt wurde.<br />

Natürlich hat sich Nikolaus Harnoncourt auch für sein viertes Offenbach-Dirigat (nach<br />

«Belle Hélène» und «La Périchole» in Zürich sowie «La Grande Duchesse de Gérolstein» in<br />

Zürich und Graz) mit den Quellen befasst – und auf dieser Basis eine sehr deutliche Lesart<br />

entwickelt. Sie lässt mit dem Chamber Orchestra of Europe scharfe Konturen und<br />

Akzentuierungen erkennen, wie sie der Dirigent so gerne pflegt, ausserdem eine Tongebung,<br />

die zuweilen eher dem frühen 19. Jahrhundert oder gar der Zeit davor zu entstammen scheint.<br />

Überdeutlich wurde auch die Orientierung an der grossen Oper. Wie raffiniert der Komponist<br />

deren hohen Tonfall zitierte und zugleich brach, hätte das Dirigat allerdings mehr<br />

herausstreichen können. So aber entstehen in der Grazer Helmut-List-Halle zwar akribisch<br />

austarierte Klangbilder wie etwa die fast tonmalerische Schilderung von <strong>Blaubart</strong>s Gruft.<br />

Und so klar Harnoncourt auch den Gestus des Tänzerischen herausarbeitet, zünden<br />

besonders die buffonesken Passagen des Stücks nicht immer genug.<br />

Dabei nützt es nur wenig, wenn die Sänger noch so rasch zwischen vollem Belcanto und<br />

komödiantischer Übertreibung wechseln, zumal die Inszenierung szenisch alles andere als<br />

ausgereift ist. Philipp Harnoncourt hatte ursprünglich eine «halbszenische Aufführung»<br />

angekündigt, dann wenige Tage vor der Premiere von einer «improvisierten Form» und dem<br />

«Risiko des Scheiterns» gesprochen. Trotz praktikablen Videoprojektionen, die das<br />

Bühnenbild ersetzen, trotz voller Erschliessung der rund um das Orchesters errichteten<br />

Bretter und trotz zuweilen massloser Aktivität wirkt die Produktion weniger halbszenisch als<br />

halbfertig. Und dass sie mit derben Witzen über die Grazer «Zigeuner» punkten möchte, ist<br />

angesichts der realen Situation in der Innenstadt geschmacklos.<br />

Kultivierte Parodie<br />

Insbesondere bei den Dialogen scheinen die Darsteller auf sich allein gestellt, führt ihr noch<br />

so gekonntes Extemporieren zu häufig zum Stillstand. Das ist nicht nur deswegen<br />

bedauerlich, weil Johannes Chum, der als <strong>Blaubart</strong> ein wenig wie Che Guevara ausschaut, die<br />

höchst kultivierte Parodie eines lyrischen Tenors darstellt und Elisabeth Kulman als Boulotte,<br />

die als «Bäuerin» einen regionalen Dialekt redet, nicht nur in allen Lagen vollendet singt,<br />

sondern auch schauspielerisch alle Nuancen und Doppelbödigkeiten zwischen düsterer<br />

Todesnähe und ironischer Leichtigkeit spielend beherrscht. Sowohl das Orchester als auch<br />

die Regie wissen gerade davon zu wenig zu erzählen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!