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Briefe von Paul Gäbler ua - Gaebler Info und Genealogie

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<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 1<br />

Inhalt<br />

<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> u.a.<br />

Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 07.05.1925 aus Birmingham ........................................................ 2<br />

Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 17.01.1926 aus Indien ................................................................. 3<br />

Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 19.04.1927 aus Kodaikanal ......................................................... 4<br />

Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 08.09.1927 ................................................................................... 5<br />

R<strong>und</strong>brief vom 20.10.1927 aus Madras............................................................................ 5<br />

R<strong>und</strong>brief vom 27.10.1927 aus Madras............................................................................ 9<br />

R<strong>und</strong>brief vom 10.11.1927 aus Madras.......................................................................... 11<br />

R<strong>und</strong>brief vom 11.01.1928 aus Madras.......................................................................... 13<br />

R<strong>und</strong>brief vom 12.06.1928 aus Kotagiri.......................................................................... 17<br />

R<strong>und</strong>brief vom 30.08.1928 aus Madras.......................................................................... 19<br />

R<strong>und</strong>brief vom 06.12.1928 aus Madras.......................................................................... 23<br />

Brief an die Mütter <strong>und</strong> Tante Anna vom 28.03.1929 aus Madras.................................. 27<br />

Brief an die Mütter <strong>und</strong> Tante Anna vom 04.04.1929 aus Madras.................................. 28<br />

<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> Martin Witte an seine Braut Hanna Witte 1933 bis 1935 ............................... 29<br />

Brief an Lore <strong>und</strong> Ulrike vom 04.09.1939 ....................................................................... 31<br />

Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> Mai 1939 bis März 1940......................................................... 31<br />

Brief an Oma Elisabeth <strong>Paul</strong> vom 06.10.1941 aus Kodaikanal....................................... 34<br />

Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> September 1942 bis Oktober 1943 ........................................ 34<br />

Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> Febr<strong>ua</strong>r 1944 bis Dezember 1946 ......................................... 38<br />

<strong>Briefe</strong> Dezember 1946 an Board "Johan van Oldenbarnevelt"....................................... 44<br />

Bericht <strong>von</strong> Tucher über Neuengamme im Jan<strong>ua</strong>r 1947 ................................................ 48<br />

Brief an Lore vom 23.10.1947 aus Oesselse.................................................................. 50<br />

Brief an Lore vom 01.01.1948 aus Oesselse.................................................................. 50<br />

Brief an Lore <strong>und</strong> Christian Paasche vom 13.07.1960 aus Niedernjesa......................... 50<br />

R<strong>und</strong>brief zum Tode <strong>von</strong> Lisa <strong>Gäbler</strong> Ende April 1970 aus Niedernjesa........................ 52


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 2<br />

Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 07.05.1925 aus Birmingham<br />

Gerade heute vor drei Wochen kam ich zu<br />

Ihnen nach Schweta <strong>und</strong> nun bin ich bereits<br />

eine Woche in England. Da möchte<br />

ich Ihnen gern einen Gruß senden. Die<br />

Herfahrt war bis Hoek <strong>von</strong> Holland schön.<br />

Als ich jedoch auf das Schiff ging, da heulte<br />

der Sturm <strong>und</strong> die Matrosen waren in<br />

schwarzes Lederzeug gehüllt. Durch die<br />

Erfahrung meiner Reise nach Schweden<br />

gewitzt, wartete ich nicht die Abfahrt ab,<br />

die gewiss sehr romantisch gewesen wäre,<br />

sondern legte mich gleich zu Bett <strong>und</strong> kam<br />

so abwechselnd wachend <strong>und</strong> schlafend<br />

nach Harwich. Es war schauderhaft stürmisch,<br />

ich hatte Mühe auf einer Seite liegen<br />

zu bleiben, weil das Schiff rollte. Noch<br />

am nächsten Abend rumorte mein Magen<br />

infolge der dadurch entstanden Lebensmittelunruhe,<br />

die jedoch infolge meines Liegens<br />

nicht in offene Revolution überging.<br />

Die Kontrolle in Harwich war, wie Sie vorausgesagt<br />

hatten, sehr streng. Mein Koffer<br />

wurde durchsucht <strong>und</strong> der Beamte zog<br />

etwas Eingewickeltes ans Licht, aber er<br />

hatte sich verrechnet. Es war nicht, wie er<br />

wohl gedacht hatte, Zigarren sondern es<br />

war nur Briefpapier. Den Sichtvermerk bekam<br />

ich erst nach langem Diskutieren in<br />

einem schauderhaften halb englisch <strong>und</strong><br />

deutschen Kauderwelsch. Offenbar befürchtet<br />

man das Einwandern <strong>von</strong> mittellosen<br />

Personen, die nachher der Staatskasse<br />

zur Last fallen könnten. Das war aber<br />

nicht der Gr<strong>und</strong>, weshalb ich mein Vermögen<br />

anzeigen musste. Glücklicherweise<br />

hatte ich fünfh<strong>und</strong>ert Mark mit. Es war<br />

auch misslich, dass ich nichts Genaues<br />

über Kings Meet wusste. Erst Miss Gollock<br />

sollte mir Instruktionen geben. Nachdem<br />

ich auch meine ärztliche Untersuchung<br />

durchgemacht hatte, war ich frei. Aber der<br />

Zug war glücklich fort. Ein Mann, mit dem<br />

verheißungsvollen Mützenschild Interperter<br />

klärte mich in German über meine Weiterreise<br />

auf <strong>und</strong> so kam ich ins schwarze rußige<br />

London. Miss Gollock war nicht im<br />

Edingburghhaus anwesend, aber sie hatte<br />

einen Brief hinterlassen, der mir alles Nähere<br />

über die Weiterfahrt mitteilte. So kam,<br />

ich glücklich ans Ziel.<br />

Nun suche ich mich ins Englisch einzuleben.<br />

In wöchentlich fünf St<strong>und</strong>en werde ich<br />

bei Mrs. Powers, einer sehr fre<strong>und</strong>lichen<br />

Lehrerin, die auch Deutsch spricht, mit<br />

einigen anderen in Grammatik, Phonetik,<br />

Prosa, Poesie <strong>und</strong> ähnlichem unterwiesen...<br />

Weiter finden hier eine Anzahl Vorlesungen<br />

über allerlei theologische <strong>und</strong> pädagogische<br />

Gebiete statt, durch deren Besuch<br />

man auch im Englisch gefördert wird.<br />

Schließlich bietet sich dazu viel Gelegenheit<br />

bei den Mahlzeiten, wo wir etwa 50<br />

Menschen sind. Zum allergrößten Teile<br />

sind es junge Damen auch aus Indien <strong>und</strong><br />

China, die sind glücklicherweise meist redelustig<br />

<strong>und</strong> machen Attacken in Englisch.<br />

Da muss man wohl oder übel antworten<br />

<strong>und</strong> so kommt man auch in dieser Hinsicht<br />

ins Englische. Selbst wir drei Deutschen,<br />

Herr Missionar Rothe, Missionar Misslinger<br />

Basel, China <strong>und</strong> ich sprechen untereinander<br />

möglichst wenig Deutsch. Es ist also in<br />

bester Weise dafür gesorgt, dass man viel<br />

Englisch spricht, hört <strong>und</strong> liest. An der<br />

merkwürdigen Tageseinteilung Vorlesung<br />

(vorlesen) viertel vor zehn bis eins <strong>und</strong><br />

halb fünf bis sieben, die die beste Zeit dem<br />

Privatstudium überlässt, an der Art der<br />

Begrüßung. Das Händeschütteln ist verpönt.<br />

An der Anlage der Häuser, den tadellosen<br />

Gartenanlagen, die Zimmer mit Zentralheizung,<br />

warmes Wasser, Badegelegenheit,<br />

Tennisplätze, an den opulenten<br />

Mahlzeiten, mit Weißbrot, viel Fleisch (täglich)<br />

<strong>und</strong> Fettigkeiten, aber in sehr geringen<br />

Dosen, an der Art der Frömmigkeit<br />

(völlig interkonfessionell), der Wissenschaftsbetriebes<br />

(oh my goodness), der<br />

Stellung zur Politik (der Völkerb<strong>und</strong> ist<br />

Trumpf) usf., wir Deutschen kommen aus<br />

dem Verw<strong>und</strong>ern nicht heraus. Wohltuend<br />

war die Fre<strong>und</strong>lichkeit auf der Polizeistation<br />

in Birmingham. Ob der unaufhörliche<br />

Regen auch eine englische Eigentümlichkeit<br />

ist, habe ich noch nicht ergründet. Übrigens<br />

gibt es hier auch eine reichhaltige<br />

Missionsbibliothek in englischer Sprache,<br />

die ich natürlich auch benutze. Alles in<br />

allem fühle ich mich hier wohl <strong>und</strong> hoffe<br />

auch mit dem Englisch weiter zu kommen.<br />

Hoffentlich geht es Ihnen allen recht gut.<br />

Wie wohl die drei Fotographien <strong>von</strong> Herrn<br />

Schubert gelungen sind. Herzliche Grüße<br />

sendet Ihnen hochverehrter Herr Professor,<br />

Ihrer Frau Gemahlin <strong>und</strong> Fräulein Lisa.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 3<br />

Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 17.01.1926 aus Indien<br />

Es ist ein w<strong>und</strong>erschöner Sonntagnachmittag.<br />

Ein kleiner Luftzug hat sich aufgemacht,<br />

so dass man die 80°F nicht so sehr<br />

spürt, <strong>und</strong> draußen krächzen unermüdlich<br />

die Krähen. Wenn man da zur Feier des<br />

Tages etwas Siesta hält, kann es gar nicht<br />

ausbleiben, dass man noch mehr als sonst<br />

an Deutschland denkt. Heute am 17. sind<br />

es gerade zwei Monate, dass wir Indienfahrer<br />

aus Leipzig abfuhren. An die lange<br />

Reise denke ich gern zurück; sie brachte<br />

so viele schöne Eindrücke. Leider trafen<br />

wir es in Italien nicht sehr gut, weil es fast<br />

immer dunstig oder gar regnerisch war. In<br />

Neapel wäre ich gerne nach Pompeji gefahren,<br />

aber tatsächlich entschließen wir<br />

uns für Kloster Gamaldoli <strong>und</strong> bereuten es<br />

nicht. In Rom kamen wir zur großen Missionsausstellung<br />

hinter dem Vatikan gerade,<br />

als sie geschlossen wurde; die Zeit wäre<br />

aber auch sonst ziemlich knapp geworden.<br />

Die Seefahrt war im allgemeinen ganz erträglich;<br />

seekrank wurde ich nur 1½ Tage,<br />

abgesehen <strong>von</strong> der schauderhaften Überfahrt<br />

<strong>von</strong> Tolaimannar nach Danukodi,<br />

sonst fehlte es allerdings auch nicht bei mir<br />

an gemischten Gefühlen, aber man gewöhnt<br />

sich selbst an so etwas wie schaukeln.<br />

Herr Kannegießer war noch etwas<br />

widerstandsfähiger; dagegen Herr Direktor<br />

hatte nicht das Geringste zu lachen. Besonders<br />

schön waren die Abende auf<br />

Deck, wo man im Schiffsstuhl lag <strong>und</strong> in<br />

den Sturmhimmel guckte. Schön war es,<br />

dass wir überall im Schiff herumgehen<br />

konnten; im Maschinenraum krochen wir<br />

an der Schiffsschraubenwelle entlang bis<br />

zu der Stelle, wo sie den Schiffsleib verlässt;<br />

auf der Kommandobrücke sahen wir<br />

uns die Hebel <strong>und</strong> die nautischen Hilfsmittel<br />

an, <strong>und</strong> auch der Funkerbude statteten<br />

wir einen Besuch ab. Die Passagiere waren<br />

bunt zusammengewürfelt, ein norwegischer<br />

Missionar. Berliner Missionarskinder<br />

aus Shintau, die künftig die dortige Missionsschule<br />

der Amerikaner besuchen sollen,<br />

ein amerikanischer Botanikprofessor,<br />

der in Ceylon unzählige Pflanzen für die<br />

amerikanische Regierung kaufen wollte,<br />

Kaufleute, Vergnügungsreisende usf. Im<br />

Ganzen waren es nette Reisegefährten,<br />

etwa 35. Mit den Schiffsgottesdiensten<br />

hatte es einige Schwierigkeiten. Die mitgenommenen<br />

Singzettel waren als Notzettel<br />

ganz geeignet; aber es kamen nur etwa die<br />

Hälfte der Passagiere, <strong>von</strong> den Mannschaften<br />

überhaupt niemand, vom Kapitän<br />

<strong>und</strong> Oberst<strong>ua</strong>rd abgesehen. - Der Kapitän,<br />

ein alter, eigentlich sympathischer Seebär,<br />

hatte für das Christentum nicht viel übrig.<br />

Einmal ist er mit mir nach dem Abendessen<br />

st<strong>und</strong>enlang auf dem Deck hin <strong>und</strong> her<br />

gewandert <strong>und</strong> hat es nicht begreifen können,<br />

wie man als Christ fröhlich sein <strong>und</strong><br />

noch dazu wohlmöglich anderenorts zu<br />

Christen machen könne; es sei für die<br />

Schwächlinge da, für die, die sich nicht (?)<br />

wollten, die die kein Mark in den Knochen<br />

hätten; ich tat ihm ordentlich leid, dass ich<br />

in seinem, d.h. Christus Armen geraten<br />

wäre. Er muss wohl richtige "Waschlappen"<br />

<strong>von</strong> Christen kennen gelernt haben.<br />

Viel kam natürlich bei dem Disput nicht<br />

heraus. Der Kunstgeschichtler Mayer-<br />

Gräfe äußerte sich bissig über uns Missionsleute,<br />

<strong>und</strong> ich möchte nur wissen, ob er<br />

uns nicht in seinen Artikeln, die er nachher<br />

geschrieben haben wird, (er stieg in Port<br />

Said aus) lächerlich gemacht hat. Herr<br />

Direktor sprach da<strong>von</strong>, dass er dem wohl<br />

nachgehen <strong>und</strong> es nötigenfalls festnageln<br />

möchte; aber ich fürchte, dass er nicht dazu<br />

kommen wird bei aller anderen Arbeit;<br />

ob Ihnen vielleicht zufällig solch ein Artikel<br />

über den Weg kommt?<br />

Auf Ceylon, wo wir infolge der Überschwemmungen<br />

in Südindien einige Tage<br />

festgehalten wurden, verlebten wir schöne<br />

St<strong>und</strong>en. In Madura wurde uns ein sehr<br />

herzlicher Empfang bereitet, gemeinsam<br />

ging dann die Reise weiter über Dindigul<br />

nach Trichinopoly, wo dann unsere Wege<br />

auseinander gingen. Ich bin dankbar, dass<br />

ich so lange mit Herrn Direktor <strong>und</strong> Herrn<br />

Kannegießer zusammen sein durfte; auf<br />

dem Schiff hatten wir jeden Tag, wenn es<br />

nicht gerade sehr bewegt war, unsere gemeinsame<br />

Bibelbesprechung (1. Timotheusbrief).<br />

Nach ganz kurzem Aufenthalt<br />

bei D. Heumann fuhr ich in der Nacht weiter<br />

nach hier <strong>und</strong> war endlich am 18. Dez.<br />

am Ziele.<br />

Bexells haben mich sehr herzlich <strong>und</strong><br />

warm aufgenommen. Die Gemeinde begrüßte<br />

mich dann am 4. Advent, wo ich<br />

antwortete auf Englisch, vom Dolmetscher<br />

ins Tamilische übersetzt. Dass man Tami-


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 4<br />

lisch erst lernen muss, ist eine mühsame<br />

Sache. Die erste Zeit nahm ich an den<br />

Gottesdiensten in der Weise teil, dass ich<br />

die Lieder einfach deutsch sang. Aber nun<br />

habe ich wenigstens die Buchstaben einigermaßen<br />

gelernt - vor einem Jahr legte<br />

schon Missionar Petermann in Leipzig dazu<br />

den Gr<strong>und</strong>stein - <strong>und</strong> ich singe vorsichtig<br />

tastend <strong>und</strong> oft daneben greifend tamilisch<br />

mit; auch durch die Liturgie finde ich<br />

jetzt ziemlich durch. Aber vorläufig ist es<br />

noch Schall <strong>und</strong> Rauch, weil ich den Sinn<br />

nicht verstehe. Seit etwa 1½ Woche habe<br />

ich einen Muntsi (Sprachlehrer) denselben,<br />

den Fräulein Hübener vor dem Kriege gehabt<br />

hat <strong>und</strong> drille mit ihm. Vielleicht kann<br />

ich aber doch noch, wie es ja ursprünglich<br />

geplant war, nach Kodaikanal hinauf, wo<br />

die Lang<strong>ua</strong>ge School nach dem Urteil <strong>von</strong><br />

Herrn Bexell u.a. gut ist; augenblicklich<br />

macht noch die Q<strong>ua</strong>rtierfrage Schwierigkeiten.<br />

Hoffentlich bin ich Ende dieser Woche<br />

oben.<br />

Dass ich an der Konferenz in Madras teilnehmen<br />

konnte, war sehr schön. Da bekam<br />

man einen hoch willkommenen Einblick<br />

in die Missionsprobleme, <strong>und</strong> man<br />

bekam auch die führenden Persönlichkeiten<br />

zu sehen. Es sind doch z.T. sehr widerstrebende<br />

Kräfte in den lutherischen<br />

Körperschaften Indiens tätig. Die Missionare<br />

haben glücklicher Weise schon früher<br />

ihren Austritt erklärt. Am schwierigsten sind<br />

noch die Dänen, die stark modernistisch<br />

angehaucht sind <strong>und</strong> Angst davor haben,<br />

dass Leipzig stark wieder in den Vordergr<strong>und</strong><br />

treten könnte. Besonders das Trankebarer<br />

Theologenseminar scheint ihnen<br />

ein Stein des Anstoßes gewesen zu sein,<br />

obwohl sie die Bücher <strong>von</strong> D. Zch(?) gerne<br />

Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 19.04.1927 aus Kodaikanal<br />

Für Ihre Karte <strong>und</strong> für die Übermittlung des<br />

Indienkatalogs möchte ich Ihnen gern sehr<br />

herzlich danken. Ich hätte nie geahnt, dass<br />

die Literatur über Indien so umfangreich<br />

ist. Vor fünf Tagen bin ich nach Kodi heraufgekommen.<br />

Schon voriges Jahr gefiel<br />

mir Kodi mit all seiner Schönheit sehr. Aber<br />

dies Jahr geht es mir doch noch anders.<br />

Immer wieder freue ich mich an der Stille<br />

ringsum <strong>und</strong> an der Schönheit der Gottesnatur.<br />

Eben unter Mittag zeigt das Thermometer<br />

im Zimmer 20 Grad Celsius. Mir<br />

benutzen. Aber es kam doch zu positiven<br />

Ergebnissen.<br />

Auch Teddy Benze war dort aber ohne<br />

"Rauchen". Ich glaube, dass Geld reichte<br />

nicht ganz. Wir haben viel zusammengesessen<br />

<strong>und</strong> uns erzählt, er über Amerika<br />

<strong>und</strong> Deutschland, <strong>und</strong> ich über Deutschland.<br />

Er schalt noch über "die dumme Wirtschaft"<br />

in Frankreich; auch sein Vater hat<br />

dort einmal mit seinem Gepäck Schwierigkeiten<br />

gehabt. Auch auf Prof. Richter kam<br />

er zu sprechen, der sich auf seiner Amerikafahrt<br />

durch Grosstun alle Sympathien<br />

verscherzt habe; stets hätte er nur zu<br />

schelten <strong>und</strong> kritisieren gehabt. Gern dachte<br />

er an seine Deutschlandfahrt zurück,<br />

auch an seinen Besuch bei den "guten<br />

Onkel <strong>Paul</strong>" in Schweta. In Radjam<strong>und</strong>y<br />

hat er sich mit seiner Frau aufs Sprachenlernen<br />

geworfen; es sei eine Arbeit, die<br />

Freude mache, aber er müsse sich tüchtig<br />

anstrengen, weil sie zu zweit sich sehr<br />

Konkurrenz machten. -<br />

Das (?) Zeug <strong>von</strong> Kumbakonam habe ich<br />

Herrn Kannegießer gegeben; ich glaube,<br />

er hat am ersten Gelegenheit, Ihnen das<br />

Gewünschten mitzubringen. Nachdem ich<br />

mich ein wenig eingelebt habe, geht es<br />

nach der Melodie "Wie sanft ist aller Tage<br />

Fluss bis zum geliebten Wochenschluss."<br />

Sanft d.h. in Bezug auf äußere besondere<br />

Ereignisse. -<br />

Hier grünt <strong>und</strong> blüht es ringsum, <strong>und</strong> die<br />

Balsameinen sind hoch emporgeschossen,<br />

während es in Schwetas Garten wohl noch<br />

Winterschlaf gibt. Erst vor einem Vierteljahr<br />

war ich bei Ihnen - mir ist, als ob wäre es<br />

viel länger; wenn man viel erlebt, geht die<br />

Zeit so langsam hin.<br />

kommt das kühl vor <strong>und</strong> der wollene Winteranzug,<br />

den ich aus Deutschland mitgebracht<br />

habe, ist mir dafür gerade recht.<br />

Wie wird hier das Auge erquickt durch das<br />

Grün ringsum <strong>und</strong> durch die Blumenpracht<br />

<strong>und</strong> das rauschende Wasser. Hier oben<br />

lässt es sich "leben".<br />

Dort unten aber ist es fürchterlich. Natürlich<br />

gewöhnt man sich an die Hitze, den<br />

Durst, die Trockenheit, den Staub. Man<br />

gewöhnt sich auch an das Gefühl, als wäre


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 5<br />

man mit Klintenleim bestrichen, weil alles<br />

klebt. Aber wenn man mal der Hitze entfliehen<br />

kann, ist man doch <strong>von</strong> Herzen<br />

dankbar dafür. Ich bin nur froh, dass nicht<br />

das ganze Jahr solche Temperaturen aufweist.<br />

Dass die Inder eine Anlage zur<br />

Trägheit <strong>und</strong> Gleichgültigkeit haben, w<strong>und</strong>ert<br />

mich nun nicht im Geringsten.<br />

Die Tage, die ich in Pandur verlebt habe,<br />

waren fein. Da habe ich allerlei vom indischen<br />

Dorfchristentum kennen gelernt. Die<br />

Lehrer, die dort abseits <strong>von</strong> allen Verkehrswegen<br />

hausen in weit entlegenen<br />

Dörfern beneide ich nicht gerade um ihre<br />

Stellung. Mir hat sich während des Kursus<br />

in Madras ein Vortrag <strong>von</strong> Bischof Asiria<br />

sehr eingeprägt. Er wies darauf hin, dass<br />

bei der Dorfmission die Dorflehrer die gegebenen<br />

Evangelisten sind. Nun scheint<br />

aber während der Abwesenheit der Deutschen<br />

in diesen Gebiet nicht viel zu ihrer<br />

inneren evangelistischen Ausrüstung getan<br />

zu sein. Die Lehrerversammlung, die eine<br />

Art Freizeit darstellt, sind ja weithin einge-<br />

Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 08.09.1927<br />

Du fragtest einmal, wie es mit meinem Examen<br />

werden würde. Jetzt habe ich nun<br />

vom Missionsrat Nachricht darüber erhalten.<br />

Ich soll das Examen am 5. Oktober in<br />

Madras ablegen. Wer mich prüfen wird,<br />

weiß ich noch nicht. Einer der Examinatoren<br />

ist sicher D. Fröhlich. Früh habe ich<br />

R<strong>und</strong>brief vom 20.10.1927 aus Madras<br />

In dieser Woche wandern meine Gedanken<br />

besonders viel nach Deutschland. Es<br />

sind ja jetzt gerade zwei Jahre seit meiner<br />

Ordination <strong>und</strong> Abordnung vergangen. Wie<br />

gerne denke ich an jene Tage zurück. Nun<br />

noch einmal eine doppelt so lange Zeit -<br />

dann mag es sein, dass ich wieder nach<br />

Deutschland fahre. Aber bestimmt ist es<br />

noch nicht, weil es noch nicht festgelegt ist,<br />

wie lang bei uns ein Indienaufenthalt sein<br />

soll, vermutlich werden wir uns ungefähr<br />

den Schweden angleichen, die eine Periode<br />

<strong>von</strong> sieben Jahren haben.<br />

Meine neuste Errungenschaft ist ein Stahlross,<br />

das sogar den Beifall <strong>von</strong> Heller gef<strong>und</strong>en<br />

hat. Wenn ich jetzt oft zur Fabrizius-Schule<br />

muss, ist solch ein Ding hoch-<br />

schlafen. Da war es sehr interessant, an<br />

zwei derartigen Versammlungen, an denen<br />

Herr Heller mit teil nahm, teilzunehmen.<br />

Ein Teil der Lehrer ist wohl müde geworden<br />

<strong>und</strong> schläfrig. Einzelne dagegen sind<br />

sehr aufgeweckt <strong>und</strong> rege. Auch die Dörfer<br />

machten einen sehr verschiedenen Eindruck.<br />

Besonders gefiel mir S., wo die<br />

Gemeinde beim Erntedankfest soviel Gaben<br />

darbrachte, dass bei deren Versteigerung<br />

etwas über zwölf Rupies zusammen<br />

kam bei nur etwa 50 Gemeindegliedern. In<br />

anderen Ortschaften dagegen war es<br />

kümmerlich. Ich denke z. B. an M.<br />

Als wir da durch einen Ort gingen, folgte<br />

uns auch ein alter Hindu, der <strong>von</strong> K. getauft<br />

war, aber später wieder abfiel. Herr<br />

Heller fragte ihn, ob er sich nicht schäme.<br />

Da grinste er, "nein durchaus nicht". Unser<br />

Pastor sagte mir nachher, solche Leute<br />

sein nicht selten. Sie hätten eben nie das<br />

Christentum wirklich mit dem Herzen aufgenommen.<br />

Wie gut, das dies schließlich<br />

wirklich nur Ausnahmen sind.<br />

dann meine Probelexion oder Katechese in<br />

der Schule abzuhalten <strong>und</strong> am Abend habe<br />

ich den üblichen Mittwochabendgottesdienst<br />

abzuhalten mit Predigt. Im Laufe<br />

des Tages findet außerdem das Schriftliche<br />

<strong>und</strong> Mündliche statt....<br />

willkommen, Ich sprach mit unserem<br />

Propst darüber, dass ich daran dächte, mir<br />

aus Deutschland ein Rad kommen zu lassen;<br />

da sagte er mir, Herr Alm habe eins<br />

für 128/- Rs. zu verkaufen, Made in Sweden.<br />

So schrieb ich ihm umgehend <strong>und</strong><br />

bekam es dann schnell zugeschickt. Es ist<br />

ein bisschen schwer, aber für die indischen<br />

Verhältnisse ist es gerade das richtige<br />

Format. Vor allem hat es Rücktrittbremse,<br />

ein Vorzug, über den erbärmlicher Weise<br />

weder die indischen noch die englischen<br />

Fahrräder verfügen. Ich habe es schon<br />

öfter benutzt <strong>und</strong> bin zufrieden damit. Namentlich<br />

in den <strong>von</strong> Menschen <strong>und</strong> Krimskrams<br />

wimmelnden Basarstraßen muss<br />

man das Rad fest am Zügel haben. dass<br />

man hier immer links ausbiegen <strong>und</strong> rechts


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 6<br />

überholen muss, war mir erst etwas merkwürdig,<br />

aber schließlich tut man es ganz<br />

automatisch. Da3 man hier ein Rad gut<br />

brauchen kann, habe ich eigentlich erst<br />

kürzlich entdeckt. Auf die Autobusse ist<br />

nämlich manchmal nicht sehr viel Verlass,<br />

weil sie sich in ihrer unzähligen Zahl allmählich<br />

gegenseitig zu Tode konkurrieren.<br />

Aber für weitere Entfernungen ist der Autobus<br />

immer noch die ideale Beförderung.<br />

Auch während der glühenden Mittagsst<strong>und</strong>en<br />

ist das Radfahren nicht empfehlenswert;<br />

denn da ist man selbst bei vernünftigem<br />

Fahren sehr bald wie ein Kanonenofen,<br />

der bis zum Hals voller Kohlen ist<br />

<strong>und</strong> vor sich hinprasselt.<br />

Das Geld dazu lasse ich mir vom Missionsrat<br />

vorschießen <strong>und</strong> zahle das Geld in monatlichen<br />

Raten <strong>von</strong> vielleicht fünf Rs. <strong>von</strong><br />

meinem Reiseetat ab, den ich noch bewilligt<br />

bekommen muss. - Nun muss ich mir<br />

bloß noch eine Laterne kaufen.<br />

Vorgestern tauchte plötzlich Heller bei uns<br />

auf. Er hatte hier in Madras zu tun; vor<br />

allem wollte er jedoch, dass ich am Nachmittag<br />

mit ihm einen Trip nach Tiruvallur<br />

machte, um das Haus zu besichtigen. Das<br />

soll ja das Wohnhaus, oder wie die Engländer<br />

so schön sagen, die Residenz <strong>von</strong><br />

Lisa <strong>und</strong> mir werden. Als wir dort ankamen,<br />

war der dort hausende Pastor Karl Samuel<br />

leider ausgeflogen <strong>und</strong> in den Distrikt gefahren.<br />

Aber wir sahen uns doch immerhin<br />

das Haus eingehend an. Es muss sofort<br />

nach dem Aufhören der Regenzeit, auf<br />

deren Beginn wir immer noch ziemlich verzweifelt<br />

Ausschau halten, repariert werden.<br />

An verschiedenen Stellen regnet es noch<br />

gewaltig durch; vor allem muss dann auch<br />

alles geweißt werden. Im Untergeschoß<br />

gibt es dort ein großes Vorderzimmer, <strong>von</strong><br />

dem man durch das Treppenhaus in das<br />

große Hinterzimmer spaziert. Rechts <strong>und</strong><br />

links vom Treppenhaus befinden sich die<br />

beiden Seitenzimmer. Steigt man das<br />

Treppenhaus empor, findet man im Obergeschoß<br />

entsprechend über den beiden<br />

Seitenzimmern zwei Räume, dis als<br />

Schlafzimmer <strong>und</strong> als Gästezimmer gedacht<br />

sind. Über dem Vorderzimmer, das<br />

als "Empfangszimmer" oder "Salon" oder<br />

Wohnzimmer dienen kann, befindet sich<br />

oben eine schöne Veranda. In jenem Zimmer<br />

stehen augenblicklich noch die acht<br />

Kisten <strong>von</strong> Missionar Söderström, dem<br />

Vorgänger <strong>von</strong> Heller in Pandur, der in<br />

diesem Frühjahr heimreiste <strong>und</strong> vor ein<br />

paar Wochen plötzlich an Blinddarmentzündung<br />

gestorben ist. Onkel Frölich <strong>und</strong><br />

ich waren voriges Jahr in Kodi bei ihm zu<br />

Gast, so dass wir ihn, seine Frau <strong>und</strong> sein<br />

Töchterlein Sylvia näher kennen gelernt<br />

haben.<br />

Das Hinterzimmer wird das Esszimmer<br />

bilden, weil es der Küche am nächsten<br />

liegt, <strong>und</strong> <strong>von</strong> den beiden Seitenzimmern<br />

ist das, das links liegt, mit einem Extra-<br />

Eingang versahen, so dass es sich als<br />

"Office", oder wie die Inder sagen, als "Aapis"<br />

empfiehlt. Vorläufig wohnt jedoch noch<br />

Karl Samuel in den beiden Seitenzimmern.<br />

Es ist fraglich, ob wir ihn an die Luft setzen<br />

können, denn wo sollen wir ihn hinsetzen?<br />

Aber da Heller die Sache vom Missionsrat<br />

zur Erledigung aufgetragen bekommen<br />

hat, wird er schon versuchen, das Haus<br />

leer zu machen, im Notfall müssen wir natürlich<br />

Geduld haben <strong>und</strong> den Pastor dort<br />

wohnen lassen, wenigstens für den Anfang.<br />

Eigentlich liegt das Missionshaus<br />

jetzt an einer falschen Stelle. Aber das hat<br />

seine Gründe. Als vor gut 20 Jahren das<br />

Haus gebaut wurde, befand es sich schön<br />

in der Mitte des Missionsgebietes, das wir<br />

dort haben. In der Mitte läuft <strong>von</strong> Osten<br />

nach Westen die Eisenbahn, <strong>und</strong> weit nach<br />

Norden wie nach Süden erstreckt sich unser<br />

Arbeitsgebiet. Als die Arbeit wuchs,<br />

wurde das nördliche Feld selbständig gemacht<br />

<strong>und</strong> erhielt in Pandur seinen Mittelpunkt,<br />

<strong>und</strong> das südliche Gebiet wurde <strong>von</strong><br />

Tiruvallur aus verwaltet, bloß das das Missionshaus<br />

leider nördlich ganz außerhalb<br />

des Gebietes liegt; das Zentrum müsste<br />

eigentlich in solch einen Orte wie Kondantscheri<br />

liegen. Nun ist der Trott so weitergegangen,<br />

dass selbst der indische Pastor<br />

nicht nach dem Süden ging, sondern<br />

hübsch an der Eisenbahn wohnen blieb,<br />

zumal er auch im Missionshaus residieren<br />

konnte. Aber als Entschuldigung kommt<br />

hinzu, da3 ihm die Kirche eben erst ein<br />

eigenes kleines Pfarrhaus bauen müsste.<br />

Vielleicht hat unsere Übersiedelung nach<br />

Tiruvallur das Gute, dass der Pastor endlich<br />

mal zu einem Pfarrhaus in der Mitte<br />

seiner Gemeinde kommt.<br />

Hinter dem Bungalow befindet sich das<br />

Nebengebäude, in dessen linkem Ende die<br />

Küche steckt, ein schöner, appetitlicher


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 7<br />

Raum. Sonst befinden sich da noch vier<br />

Räume, oder sind es bloß drei, wo der<br />

Koch <strong>und</strong> der Gärtner ihre Zelte aufschlagen<br />

können. Rechts befindet sich in diesem<br />

langgestrecktem Gebäude ein großer<br />

Schuppen alias Stall, <strong>und</strong> daran schließt<br />

sich noch ein schmaler, verschließbarer<br />

Stall an, in dem ^an Tauben- <strong>und</strong> Hühnerzucht<br />

betreiben, kann. Wenn man will,<br />

kann man es auch als Holzschuppen benutzen.<br />

Sonst gibt es nicht weiter viel zu beschreiben.<br />

Der Garten ist etwas kahl, weil es<br />

keine Blumen gibt; aber die Bäume sind<br />

hübsch hochgewachsen <strong>und</strong> spenden<br />

Schatten; es sind vor allem Mangos. Für<br />

eine Hausfrau ergeben sich dort also allerlei<br />

Entwicklungsmöglichkeiten.<br />

Vom Bahnhof liegt das Haus fünf Minuten<br />

entfernt. Das hätte ich nicht gedacht, dass<br />

ich noch einmal so schön in meinem eigenen<br />

Geburtshause landen würde! Meine<br />

Pläne sind nun folgendermaßen. Anfang<br />

Dezember packe ich meine Sachen hier in<br />

Madras <strong>und</strong> schicke sie dorthin, während<br />

ich bis Weihnachten hier wohnen bleibe.<br />

Gelegentlich fahre ich jedoch hinüber <strong>und</strong><br />

gehe ans Auspacken <strong>und</strong> Einrichten. Vor<br />

allem hoffe ich, dass es geht, dass Lisa<br />

<strong>von</strong> Mayavaram aus Mitte Dezember mal<br />

auf eine halbe oder ganze Woche hierher<br />

nach Madras kommen kann - Sandegrens<br />

werden sie sicher gern aufnehmen - <strong>und</strong><br />

wir dann gemeinsam Einkäufe machen <strong>und</strong><br />

auch mal nach Tiruvallur hinüberfahren<br />

können, um alles anzusehen <strong>und</strong> zu besprechen.<br />

Dann kann ich nachher alles<br />

soweit fertig machen, dass wir bei unserem<br />

Einzug nach unserer Hochzeit in ein einigermaßen<br />

bewohnbares Haus kommen.<br />

Morgen in sechs Wochen kommt Lisa in<br />

Colombo an!! Ich habe auf meinem Kalender<br />

die jeweilige Tage der noch fehlenden<br />

Tage bis zum 2. Dezember hin eingetragen<br />

<strong>und</strong> streiche jeden Morgen mit einem dicken<br />

Rotstift die überholte Zahl aus. Das<br />

ist eine herrliche Beschäftigung. Heute früh<br />

habe ich die 44 ausgestrichen; es sind also<br />

noch 43 Tage. Wenn ich mir überlege,<br />

dass ein Brief, den man nach zu Hause<br />

schreibt nicht länger als dies zu seiner Beantwortung<br />

beansprucht, ist es lächerlich<br />

kurz. Prachtvoll! Tüchtig Arbeit habe ich zu<br />

tun. Unser hiesiger Pastor hat mich gebe-<br />

ten, dass ich einige Zeit regelmäßig die<br />

Mittwoch-Abend-Gottesdienste (um sieben<br />

Uhr) halte. Ich konnte nicht gut nein sagen,<br />

aber ich habe damit eine ganze Portion<br />

Arbeit aufgeladen bekommen. Denn hier in<br />

Madras muss jede Predigt sehr sorgfältig<br />

ausgearbeitet werden, weil die Zuhörer<br />

ganz kolossal kritisch sind; das hat natürlich<br />

das Gute, dass ich gehörig Selbstzucht<br />

üben muss <strong>und</strong> nicht ins flüchtige Arbeiten<br />

kommen kann. Auf dem Dorfe hat man<br />

mehr biblische Geschichte zu erzählen <strong>und</strong><br />

zu vertiefen. Hier muss man schon ein<br />

bisschen mehr zustande zu bringen versuchen..<br />

Aber sehr schlicht müssen die Predigten<br />

auch sein, da die Kichre immer auch<br />

<strong>von</strong> Frauen gerappelt voll ist; <strong>und</strong> vorne<br />

sitzen außerdem die Kostschulmädels,<br />

mittwochs jedoch nur die Älteren. Ich bew<strong>und</strong>ere<br />

sie immer, dass sie nicht alle<br />

durch die Bank sanft <strong>und</strong> süß einschlafen<br />

bei den hier oft üblichen Predigten, die oft<br />

Kilometer lang sind. Ich habe es mir zur<br />

Regel gemacht, nicht länger als höchstens<br />

25 Minuten zu predigen. Leider dehnen<br />

sich die Anderen mit ihren Predigten über<br />

sehr lange Zeiträume aus. Am längsten<br />

predigt Pastor John David, der mit oft 40<br />

Minuten der Rekord hält. Dann kommt Onkel<br />

Frölich mit r<strong>und</strong> 30 Minuten, dann Pastor<br />

Gnanadickam mit r<strong>und</strong> einer halben<br />

St<strong>und</strong>e, die aber gelegentlich ziemlich<br />

stark überschritten wird. Ich fide, erschöpfend<br />

kann man nur selten einen Text behandeln;<br />

also mag man sich doch begnügen<br />

<strong>und</strong> das, was einem am wichtigsten zu<br />

sein scheint, herausgreifen. Wenn man<br />

nicht innerhalb einer Viertelst<strong>und</strong>e klar <strong>und</strong><br />

nachdrücklich sagen kann, wird man vermutlich<br />

auch nicht innerhalb <strong>von</strong> dreiviertel<br />

St<strong>und</strong>en wirkungsvoller sagen können.<br />

Am liebsten höre ich Gnanadickam, der oft<br />

ganz ausgezeichnet, anschauliche Predigten<br />

hält. Auch Sandegren höre ich recht<br />

gern. Onkel Frölich <strong>und</strong> Sandergren haben<br />

nämlich jeder in jedem Monat den vierten<br />

bzw. zweiten Sonntag als "ihren" Sonntag,<br />

wo sie predigen. Gerade anschauliche<br />

Predigten sind gar nicht leicht, aber hier<br />

noch mehr als anderswo notwendig, wenn<br />

man ein Gleichnis <strong>von</strong> S<strong>und</strong>ar Singh bringt<br />

oder sonst eine Geschichte, merkt man<br />

richtig, wie sich die Gemeinde aufrichtet<br />

<strong>und</strong> zu spitzen anfängt; aber wo soll man<br />

bloß die Geschichten alle herkriegen? Sie


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 8<br />

müssen an dem richtigen Platz die richtige<br />

Sache klarmachen.<br />

Ich habe gestern die 1. Seligpreisung gehabt,<br />

<strong>und</strong> ich will mit dem nächsten fortfahren;;<br />

aber ich habe inzwischen entdeckt,<br />

dass ich mir eine schwere Nuss ausgesucht<br />

habe. Meine Gliederung gestern war:<br />

1. Wir sind vor Gott arm<br />

2. Aber gerade in dieser Armut liegt<br />

Segen<br />

Nach der Predigt gestern wurde abgekündigt<br />

- das besorgt immer der Katechet -<br />

das der Präsident der Leipziger Missionar,<br />

der lange Jahre ihr Direktor gewesen sei<br />

<strong>und</strong> auch das indische Missionsfeld besucht<br />

habe, <strong>und</strong> dessen jüngst Tochter die<br />

Braut <strong>von</strong> Rev. <strong>Paul</strong> (spr. "Pool") <strong>Gäbler</strong><br />

sei <strong>und</strong> deshalb bald nach Indien käme,<br />

heimgegangen sei. Gott möchte die Hinterbliebenen<br />

trösten.<br />

Als ich nachher unseren Boy hier fragte, ob<br />

er Vater gekannt habe, schmunzelte er, er<br />

sei am Ende seiner Visitation bei Heller<br />

gewesen, dessen Boy er damals gewesen<br />

sei, <strong>und</strong> habe sich drei Tage in Sidambaram<br />

aufgehalten. Er sei sehr lebendig <strong>und</strong><br />

sehr fre<strong>und</strong>lich gewesen. Bei seinem Fortgehen<br />

habe er ihm zwei Rupies gegeben;<br />

da habe er sich mächtig gefreut. Ist nicht<br />

diese Perspektive eines Dieners glänzend?<br />

Inzwischen habe ich Joh. Sandegren unser<br />

Febr<strong>ua</strong>r Missionsblatt <strong>und</strong> die Allgemeine<br />

Missionszeitschrift vom Febr<strong>ua</strong>r gegeben,<br />

damit er Stoff hat für Artikel, die er im<br />

"Gospel Witness" <strong>und</strong> im Tamulischen "Arunodayam",<br />

unserem monatlich erscheinenden<br />

Sonntagsblatt, schreiben will.<br />

Am vorigen Sonntag waren wir nach der<br />

Kirche zu einer Geburtstagsfeier eingeladen.<br />

Die Einladung besagte, wir möchten<br />

doch kommen "On the occasion of the Ear<br />

Boring & Birthday Cermony" der Enkeltochter<br />

Gladys Chandra Bai; der Großpapa<br />

hieß Jesudoss Pillay. Der Vater <strong>und</strong> die<br />

Mutter spielten keine große Rolle. Hier in<br />

Indien herrscht eben das Familiesystem;<br />

das wichtigste Glied des Hauses ist nicht<br />

der Vater, sondern der Großvater, <strong>und</strong><br />

wäre er als wie Methusalem, <strong>von</strong> Mutter<br />

<strong>und</strong> Großmutter ganz zu schweigen. Bei<br />

ihm wohnt auch das ganze Gekribbel <strong>von</strong><br />

Kind <strong>und</strong> Kindeskind samt allen Ehefrauen.<br />

Wenigstens ist das das Normale. Da sieht<br />

man, wie individ<strong>ua</strong>listisch wir Abendländer<br />

eingestellt sind. So ist es auch ganz natürlich,<br />

dass bei Hochzeiten <strong>und</strong> sonst der<br />

Vater bzw. Großvater die erste Geige<br />

spielt. Dadurch ist aber wenigstens ein<br />

Gutes gesichert: den Indern steckt das<br />

vierte Gebot tief in den Knochen, <strong>und</strong> bei<br />

der Heidenpredigt bietet der Gedanke das<br />

Vaterhaus eine ganz selbstverständliche<br />

<strong>und</strong> allgemein verständliche Anknüpfung.<br />

So stieg denn auch Mr. Jesudoss Pillay am<br />

vorigen Sonntag in seiner ganzen Würde<br />

einher <strong>und</strong> spiele den Hausherrn in großer<br />

Würde <strong>und</strong> mit reichem Wortschwall; die<br />

Inder sind die geborenen Volksredner; was<br />

habe ich mich schon oft gew<strong>und</strong>ert über<br />

ihre rednerische Begabung! Es mag sein,<br />

was für ein Anlass ist - immer haben sie<br />

eine schöne, wohlgesetzte Rede parat, die<br />

sie mit riesigem Pathos <strong>und</strong> großartigen<br />

Armbewegungen hervorbringen. Aber es<br />

ist nicht bloß hohles Geschwätz, sondern<br />

es ist brav <strong>und</strong> rechtschaffen gemeint, so<br />

dass man sich durchaus nicht darüber zu<br />

amüsieren braucht.<br />

Als wir zu dem Hause hinkamen, hörten<br />

wir schon <strong>von</strong> weitem die Musiker Vor der<br />

Eingangstür war ein Pandel, eine Art leichtes<br />

Dach, aufgebaut, unter dem eine Anzahl<br />

<strong>von</strong> den Gästen saßen, während wir<br />

selbst in das geräumige Zimmer hineingeführt<br />

wurden, das vollgepfropft war mit lauter<br />

holden Schönen. In ihrem hübschen<br />

Sonntagsstaat saßen sie alle auf dem Boden<br />

<strong>und</strong> warteten der Dinge, die da kommen<br />

sollten. Nachdem die Musik verstummt<br />

war, kam erst eine kurze Andacht,<br />

besonders Gebet. Und dann trat das Mädel<br />

in den Mittelpunkt. Es war ? Jahre <strong>und</strong> ein<br />

Monat alt <strong>und</strong> angetan mit einem schönen<br />

blauen Samtkleidchen. Zunächst wurde<br />

<strong>von</strong> seiner Tante mit einem in Kalk getauchtem<br />

Strohhalm auf jedes Ohrläppchen<br />

ein kleines weißes Tröpfchen gesetzt,<br />

wohl zur Desinfizierung. Dann wanderte<br />

das Kind in den Schoß des Großvaters,<br />

während draußen die Musik anhob mit<br />

dumpfen Handtrommelgetön <strong>und</strong> greller<br />

Dudelsackpfeif-Musik. Nun ergoss sich<br />

über das Mädchen, das sich mir beinahe<br />

vor den Füßen befand, ein ganzer Strom<br />

<strong>von</strong> Zuspruch <strong>und</strong> Ermunterung. Bananen<br />

wurden ihm in den M<strong>und</strong> gesteckt, <strong>und</strong><br />

gleichzeitig rückte ihm ein nicht gerade


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 9<br />

sehr reinlich aussehender Mann auf den<br />

Laib, der wohl eine Art mittelalterlicher<br />

Dorfbarbier war. Er holte einen Ohrring<br />

hervor, der gleich mit einer Nadel verb<strong>und</strong>en<br />

war <strong>und</strong> wischte mit seinen Fingern<br />

noch einmal ordentlich über das goldene<br />

Schmuckstück <strong>und</strong> die goldenen Nadel<br />

hin, damit es ja schön rein sein möchte.<br />

Und dann piekste <strong>und</strong> würgte mit viel Anstrengung<br />

die Nadel durch das rechte Ohrläppchen<br />

des armen Wurmes, das erbärmlich<br />

schrie <strong>und</strong> mit den Armen <strong>und</strong> Beinen<br />

strampelte, soweit ihm der Großvater <strong>und</strong><br />

andere Assisten dazu Spielraum ließen.<br />

Das Ohrläppchen muss ziemlich schwer zu<br />

durchstechen sein, denn es ging ziemlich<br />

langsam; aber die Nadel ist ja auch lächerlich<br />

kurz <strong>und</strong> bei der allgemeinen Hitze<br />

auch glitschig. Nachdem sie <strong>von</strong> außen<br />

durch den weißen Fleck nach innen hindurchgeführt<br />

war, wurde mit einer mächtig<br />

großen Pinzette die Sache noch richtig<br />

R<strong>und</strong>brief vom 27.10.1927 aus Madras<br />

Da ist mir einmal wieder ein schwerer Stein<br />

vom Herzen. Eine Woche sehr strammer<br />

Arbeit hat mich nun glücklich so weit gebracht,<br />

dass die Übersetzung druckfertig<br />

vorliegt. Gleich heute geht sie mit einem<br />

längeren Begleitbriefe nach Leipzig an<br />

Inspektor Weishaupt. Gerade fünf Monate<br />

hat die Sache gedauert, <strong>und</strong> es besteht<br />

jedenfalls das Unikum, dass innerhalb dieser<br />

ganzen Zeit noch nicht ein Sterbenswörtchen<br />

<strong>von</strong> Weishaupt an mich gelangt<br />

ist. Selbst wenn er sehr überarbeitet ist,<br />

hätte er mir mal ruhig eine Karte schreiben<br />

können, denn zum puren Vergnügen habe<br />

ich die Sache doch nicht gemacht; bei der<br />

w<strong>und</strong>erbaren Hitze musste ich oft alle Energie<br />

zusammennehmen, um nicht ins<br />

Bummeln zu kommen. Aber ich bin Weishaupt<br />

nicht etwa deshalb gram; hoffentlich<br />

gelingt es ihm, die Sache noch vor Weinnachten<br />

erscheinen zu lassen, sei es im<br />

Missionsverlag oder wo anders. Die Abingdon-Press<br />

drängt mich auch sehr, so<br />

dass ich froh sein will, wenn die Sache<br />

unter Dach <strong>und</strong> Fach ist. Aber eins will ich<br />

Euch gleich verraten: Da ich arm wie eine<br />

Kirchenmaus bin, kann ich Euch nichts aus<br />

Indien zu Weihnachten schicken; aber<br />

stattdessen kriegt Ihr eine Kopie des Buches,<br />

wenn es heraus ist, <strong>von</strong> mir ge-<br />

festgemacht. Nun folgte wieder eine Menge<br />

Tröstung <strong>und</strong> Zuspruch, <strong>und</strong> die Prozedur<br />

der Durchstechung des linken Ohres<br />

schloss sich an. Dann wurden die Tränen<br />

getrocknet, das Kind bekam eine rote<br />

Schnur um den Leib geb<strong>und</strong>en, silberne<br />

Ringe wurden ihm um den Fuß gelegt, <strong>und</strong><br />

bald trippelte es wieder stolz <strong>und</strong> strahlend<br />

in der Weltgeschichte herum. Dann wurden<br />

wir feierlich bekränzt, <strong>und</strong> die Verwandten<br />

überreichten dem Kinde je eine Rupie, das<br />

dieses Geld jedes Mal der Mutter weiterreichte,<br />

die es ihrerseits sorgfältig in einem<br />

Hefte aufzeichnete. Dies Geldgeschenk<br />

beruht übrigens ganz auf Gegenseitigkeit.<br />

Nachher schloss sich sogar noch ein<br />

schönes Frühstück an, das uns trefflich<br />

m<strong>und</strong>ete, denn wir waren rechtschaffen<br />

ausgehungert.<br />

Ja, das ist Indien!<br />

schenkt. Wenn Ihr mir als Gegengabe ein<br />

Verzeichnis der Unebenheiten <strong>und</strong> Fehler<br />

schickt, verspreche ich Euch, dass das bei<br />

der zweiten Auflage (!!!) gebührend berücksichtigt<br />

werden wird. O diese Entfernung<br />

<strong>von</strong> Indien bis Deutschland! Man. ist<br />

so völlig rettungslos auf die Gnade <strong>und</strong><br />

Ungnade der anderen Menschen angewiesen!<br />

Aber allmählich wird man geduldig<br />

<strong>und</strong> fatalistisch. Dass gerade ich mit meiner<br />

"Püttcherigkeit" diesem Schicksal anheim<br />

fallen müsste, hätte ich ja früher nicht<br />

gedacht, aber ich suche, immer weniger<br />

"püttcherig" zu werden.<br />

Am nächsten Sonntag <strong>und</strong> Montag (Reformationsfest)<br />

möchten wir wieder nach<br />

Pandur. Ob es bei Hellers paßt, wissen wir<br />

indessen noch nicht. Da werde ich dann<br />

wohl auch Näheres über das Haus in Tiruvallur<br />

hören. Es ist ja die Frage, ob der<br />

Pastor eine andere Klause findet oder<br />

nicht.<br />

Neulich fand hier eine große Konferenz<br />

<strong>von</strong> Schuldirektoren aus der ganzen<br />

Madras-Präsidentschaft über die Frage der<br />

körperlichen Ertüchtigung der Jugend statt.<br />

Man scheint in dieser Hinsieht allerlei<br />

Schritte tun zu wollen. Ich sah dabei zu,<br />

wie im Senatshause allerlei Vorführungen<br />

stattfanden; Spiele, Freiübungen, Wett-


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 10<br />

kämpfe <strong>und</strong> dergl. folgten in bunter Reihe.<br />

Es war ein sehr großer Saal; man veranstaltete<br />

die Sache im Inneren, weil man<br />

Regen befürchtete, der aber leider nicht<br />

kam: Die Kerlchen machten ihre Sache<br />

fein. In der deutschen Jugend geht es vielleicht<br />

noch rassiger <strong>und</strong> exakter zu, aber<br />

sonst konnten sich die Inder sehen lassen.<br />

Eine ganze Reihe <strong>von</strong> Schulen in Madras<br />

hatte eine Riege geschickt, Mit am besten<br />

gefiel mir die Gruppe <strong>von</strong> Adyar, wo die<br />

Theosophen ihren Mittelpunkt haben. Aber<br />

das ist auch kein W<strong>und</strong>er, weil sie eigentlich<br />

nur Jungens aus höheren Kasten haben,<br />

<strong>und</strong> die sind natürlich <strong>von</strong> vornherein<br />

ein ganz anderes Material.<br />

Übrigens ist es interessant, dass die Theosophen<br />

dort auch Mädels haben <strong>und</strong> Jungens<br />

<strong>und</strong> Mädels gemeinsam erziehen;<br />

das ist eine der großen Probleme hier, ob<br />

<strong>und</strong> wie weit man das wagen kann. Eigentlich<br />

ist dies der einzige Weg, der zu einer<br />

wirklichen Hochachtung <strong>und</strong> gewissen<br />

Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes<br />

in Indien führen könnte, denn<br />

dieser Weg fängt unten bei der Wurzel an.<br />

Aber natürlich gibt es dabei allerlei Unheil,<br />

<strong>und</strong> das ist ein Risiko, dem sich die Missionsarbeit,<br />

die stets vorsichtig tastend <strong>und</strong><br />

möglichst auch nur auf erprobten Bahnen<br />

bewegen darf, nicht leichthin aussetzen<br />

darf. Aber es mag sein, dass auch wir in<br />

der Missionsarbeit in dieser Richtung Versuche<br />

anzustellen haben werden.<br />

Die letzte Post aus Deutschland brachte<br />

die Nachrichten über Hindenburgs 80. Geburtstag.<br />

Habt vielen Dank für alles, was<br />

Ihr darüber geschickt habt. Onkel Frölich<br />

<strong>und</strong> ich haben es sehr eingehend studiert.<br />

Dass man alles Derartige aus einer so<br />

großen Entfernung miterlebt, ist nicht<br />

schön. Aber das schadet nichts. Ich lese<br />

jetzt jeden Tag zwischen Mittagessen <strong>und</strong><br />

Mittagschlaf deutsche Zeitung; mit der<br />

Deutschlandpost kriege ich ja immer den<br />

"Tag", alle Nummern <strong>von</strong> der letzten Woche.<br />

Dann setze ich mich hin <strong>und</strong> nehme<br />

jeden Tag eine Nummer vor. dass das drei<br />

Wochen alt ist, schadet nichts. Aber man<br />

wird doch dadurch sozusagen mal wieder<br />

ans deutsche Leitungsnetz angeschaltet.<br />

Am Dienstag besuchte ich die "Bärenfels";<br />

ich war vorn bei den Mannschaften gewesen,<br />

wo ich in der einen Stube sehr nette<br />

Kerle <strong>und</strong> in der anderen Stube einen sehr<br />

wenig sympathischen, abgebrühten Menschen<br />

angetroffen hatte, Da hörte ich, dass<br />

an Bord ein Geograph sei, der nach Kalkutta<br />

mitführe <strong>und</strong> sich dann nach Sibirien<br />

begeben wollte, um dort eine Forschungsreise<br />

zu machen. Das war mir sehr interessant,<br />

<strong>und</strong> richtig, der Kapitän stellte<br />

mich ihm vor, ohne dass ich ihn erst darum<br />

zu bitten brauchte. Es war Prof. Weigel aus<br />

Marburg; vielleicht kann mir Schwager<br />

Hans über ihn Näheres sagen. Er war jetzt<br />

einige Zeit in Zeylon, <strong>und</strong> er schlängelt sich<br />

jetzt über Indien, Burma, Siam, Java, China,<br />

Japan mach Sibirien, wo er im Mai seine<br />

Expedition vom Ochottschen Meerbusen<br />

aus in Angriff nehmen will. Er reist im<br />

Auftrag <strong>und</strong> auf Kosten der deutschen Regierung.<br />

Er muss dort Russisch reden. Er<br />

wählt diese Jahreszeit, die infolge des Fehlens<br />

des Schnees für die Reise recht unvorteilhaft<br />

ist, weil er überall Gesteinsproben<br />

nehmen will, Die ganze dortige Gegend<br />

ist noch terra incognita, man weiß<br />

nicht einmal, ob es dort ein Gebirge gibt<br />

oder nicht.<br />

Weigel reist ganz allein, weil er meint, dass<br />

man nur dann wirklich, fruchtbar arbeiten<br />

kann; sonst sitzt man abends mit den anderen<br />

zusammen <strong>und</strong> schwätzt, statt die<br />

r<strong>und</strong> 60 Tagebuchseiten, die man täglich<br />

schreibt, auszuwerten <strong>und</strong> ins Reine zu<br />

übertragen; das sei ein hartes Stück Arbeit<br />

- drei St<strong>und</strong>en koste es stets; da müsse<br />

man eben die Zähne zusammenbeißen,<br />

wenn man auch lieber schlafen ginge.<br />

Während des Marsches werden beständig<br />

die Entfernungen <strong>und</strong> Winkel gemessen,<br />

alle 100 Schritt oder so zwei Mann tragen<br />

jeder gebrauchsfertig die dafür nötigen<br />

Instrumente, die sie alle paar Nasen lang<br />

hinsetzen müssen. Alle paar Tage wird der<br />

Längen- <strong>und</strong> Breitengrad bestimmt, was<br />

schwerer ist als auf See, weil man nicht<br />

einen geraden, einwandfreien Horizont hat.<br />

Scheint keine Sonne, wird der Mond photographiert,<br />

<strong>und</strong> zwar so, dass der Apparat<br />

ein paar St<strong>und</strong>en lang offen gelassen wird,<br />

so dass man nachher in Form <strong>von</strong> Strichen<br />

die Bewegungen des Mondes sehen kann.<br />

Dann wird das Bild an eine Sternwarte<br />

eingeschickt, <strong>und</strong> dort wird dann herausgeixt,<br />

auf welchen Punkt der Erde diese<br />

Mondbewegung zutrifft.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 11<br />

Ich fragte dann auch nach Filchner. Da<br />

meinte er, das sei ein so vorsichtiger <strong>und</strong><br />

rührend guter Mensch, dass er niemandem<br />

ein Haar krümmen könnte. Deshalb habe<br />

er es <strong>von</strong> vornherein für ausgeschlossen<br />

gehalten, dass jemand ihm Leid angetan<br />

hätte. Wenn ein Forscher ermordet würde,<br />

wäre es eigentlich immer seine Schuld, er<br />

brauchte sich bloß einmal hinreißen zu<br />

lassen <strong>und</strong> jemandem eine Ohrfeige herunterzuhauen;<br />

aber sonst behandelten<br />

einen die Leute stets hochanständig. - Von<br />

Sven Hedin sagte er, dass er nicht immer<br />

R<strong>und</strong>brief vom 10.11.1927 aus Madras<br />

Wenn Ihr diesen Brief erhaltet, ist gerade<br />

die liebe Weihnachtszeit angebrochen. Wie<br />

viele schöne Erinnerungen sind doch mit<br />

ihr verb<strong>und</strong>en! So freue ich mich auch dieses<br />

Jahr darauf, umso mehr, als sie mich<br />

auch Lisas Kommen wieder ein Stückchen<br />

näher bringt. Der Hauptgr<strong>und</strong>, warum nicht<br />

nur ich, sondern alle Missionsleute hier<br />

draußen, vom denen ich gehört habe, gegen<br />

ein späteres Herauskommen als Ende<br />

Jan<strong>ua</strong>r sind, ist eben vor allem des Klimas<br />

wegen. So bin ich ganz entschieden dafür,<br />

dass sie Ende Jan<strong>ua</strong>r in Colombo eintrifft.<br />

Selbst Herr Meyner <strong>und</strong> Heller sagten, sie<br />

hätten ganz vergessen gehabt, wie groß<br />

die Hitze ist; <strong>und</strong> sie konnten sich immerhin<br />

einen Bergurlaub <strong>von</strong> acht Wochen<br />

nehmen. Bei uns werden es bestenfalls<br />

vier Wochen im kühlen Klima, <strong>und</strong> dabei<br />

auch nur voll strammer Arbeit.<br />

Pläne zu machen, ist nun nachgerade eine<br />

gefährliche Beschäftigung; aber man muss<br />

sich doch auch vernünftig alles überlegen.<br />

Meine Zukunftsgedanken sind folgendermaßen:<br />

Bis zum Herauskommen Lisas<br />

bleibe ich bei Onkel Frölich wohnen. Darin<br />

nehme ich mir einen Urlaub <strong>von</strong> etwa 2½<br />

Wochen <strong>von</strong> Mittwoch, den 25.Jan<strong>ua</strong>r bis<br />

Sonnabend den 11. Febr<strong>ua</strong>r. Am Dienstag<br />

Abend setze ich mich auf die Bahn <strong>und</strong><br />

fahre bis Colombo in eins durch, so dass<br />

ich dort am Donnerstag morgen ankomme.<br />

Am Freitag trifft das Schiff ein, aber da es<br />

manchmal etwas früher ankommt ist es<br />

gut, wenn ich schon ein bisschen pünktlich<br />

bin. Das Schönste wäre dann, wenn wir<br />

beiden dann auf ein paar Tage in Zeylon<br />

bleiben könnten <strong>und</strong> uns z.B. Kandy anse-<br />

bis in alle Kleinigkeiten hinein zuverlässig<br />

zu sein schiene, wenn er auch sonst ein<br />

überragender Forscher wäre. Jetzt sei er<br />

alt <strong>und</strong> beinahe zitterig; die jetzige Expedition<br />

sei mit allem Komfort ausgestattet; so<br />

führte er ein zusammenlegbares Haus bei<br />

sich. - Ihr seht, das war ein ganz fesselndes<br />

Gespräch. Daraus, dass ich so lang<br />

da<strong>von</strong> erzähle, seht Ihr, wie froh man hier<br />

ist, wenn man mal was anders zu sehen<br />

<strong>und</strong> zu hören kriegt <strong>und</strong> sich mal richtig<br />

"gebildet" unterhalten kann.<br />

hen könnten. Aber das wird vom Wetter<br />

<strong>und</strong> vom Geldbeutel abhängen. Auch<br />

kommt es darauf mit an, ob Frl. Frölich<br />

mitkommt, da wir sie vermutlich einladen<br />

müssten, mit uns mitzufahren; wir könnten<br />

sie doch nicht allein herumsitzen lassen;<br />

das bedeutete dann aber, dass wir auch<br />

ihre Reise zu bezahlen hätten; denn sie ist<br />

eine arme Kirchenmaus, während ich hoffe,<br />

ich kann wenigstens ein klein bisschen<br />

sparen. Aber wie gesagt, das müssen wir<br />

erst abwarten. Auf der Fahrt nach Indien<br />

wäre ich dann sehr dafür, dass wir einige<br />

Tage bei Bexells rasten. Vielleicht könnten<br />

wir auch noch einen Abstecher nach Pudukotta<br />

machen. Und wenn wir in Mayavaram<br />

sind, macht es sich vielleicht auch,<br />

dass wir für einen Tag nach Tranquebar<br />

hinüberfahren. All dies hängt freilich auch<br />

da<strong>von</strong> ab, ob Lisa das nicht zu viel wird.<br />

Aber ich dächte es mir für sie interessant,<br />

wenn sie auf diese Weise gleich einen<br />

Einblick in allerlei Missionshäuser <strong>und</strong><br />

auch Haushalte bekäme. Denn nachher<br />

sind wir angeb<strong>und</strong>en. Und die ganze Zeit<br />

in Mayavaram herumzusitzen, will mir nicht<br />

sehr befriedigend erscheinen. Vor allem<br />

wären wir durch das Reisen am meisten<br />

mit einander zusammen. Für die Hochzeit<br />

scheint mir Mittwoch, der 8. Febr<strong>ua</strong>r oder<br />

Donnerstag, der 9. Febr<strong>ua</strong>r, am günstigsten<br />

zu sein; denn dann kämen wir so ziemlich<br />

in das Wochenende nach Madras, so<br />

dass wir uns da mit gutem Gewissen noch<br />

ein ganz paar freie Tage verschaffen könnten.<br />

Das ist übrigens das Neuste - <strong>und</strong><br />

hoffentlich nun auch das Endgültige -, dass<br />

Fräulein Karlmark vom Schwedischen Missionsrat<br />

nach Madura versetzt ist, weil sie


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 12<br />

dort dringend gebraucht wird. Und sie geht<br />

auch wirklich! Joh. Sandegren sagte mir,<br />

sie dächte daran, Mitte Febr<strong>ua</strong>r ihre Zelte<br />

abzubrechen; aber ich hoffe, sie wird sich<br />

dann entschließen, schon 1-2 Wochen<br />

vorher ihre Koffer zu packen, so dass wir<br />

wenigstens ein halb leeres Haus vorfinden.<br />

- Am Montag, den 13. Febr<strong>ua</strong>r, würde dann<br />

sofort stramm die Arbeit bei mir einsetzen.<br />

Mir ist es jedenfalls so noch verhältnismäßig<br />

am liebsten. Denn sich bei allerhand<br />

anderen Leuten nachher herumzudrücken,<br />

ist nicht sonderlich angenehm, <strong>und</strong> Hotels<br />

gibt es ja kaum in diesem schönen Lande.<br />

- Aber das sind bloß Pläne, die mir gekommen<br />

sind. Nur dass Ihr eine Vorstellung<br />

habt, wie man es u.U. machen könnte.<br />

Bei uns hat die Regenzeit vor etwa zehn<br />

Tagen angefangen. Wahre Wolkenbrüche<br />

haben wir erlebt. Erst letzte Nacht hat es<br />

so gewaltig gedonnert, dass ich da<strong>von</strong><br />

aufgewacht bin; <strong>und</strong> das will etwas besagen.<br />

Dafür haben wir aber auch eine Knitterkälte,<br />

so dass ich mich jetzt extra warm<br />

anziehe; d.h. ich laufe nicht mehr zu Hause<br />

ohne Rock herum. Und beim Schlafen<br />

muss man sich sogar eine Decke überlegen;<br />

sonst friert man Stein <strong>und</strong> Bein. Heute<br />

haben wir den kältesten Tag, wo das<br />

Thermometer auf 27 Grad Celsius herabgesunken<br />

ist. Da könnt Ihr sehen, wie gut<br />

ich mich akklimatisiert habe; bei 25 Grad<br />

kriegt man doch schon in Deutschland hitzefrei,<br />

<strong>und</strong> dabei finde ich es jetzt bei 27<br />

eisigkalt wie in Deutschland bei 10 Grad im<br />

Zimmer. Nun verstehe ich auch Onkel Frölich.<br />

Als ich vor knapp einem Jahr <strong>von</strong> den<br />

Bergen kam, hatten wir es auch kaum<br />

wärmer, aber ich fand es schon unglaublich<br />

heiß, während Onkel Frölich mich auslachte.<br />

Und den frisch aus Deutschland<br />

Herausgekommenen wie Lehmann <strong>und</strong><br />

Kanschatt ging es ebenso. Deshalb wird es<br />

Lisa Ende Jan<strong>ua</strong>r auch schon höchst unbehaglich<br />

finden, <strong>und</strong> sie kommt dann<br />

gleich in die Zeit hinein, wo das Thermometer<br />

bereits wieder anfängt zu steigen.<br />

Ich freue mich, dass es nun mit Tiruvallur<br />

nichts wird; die beständige Reiserei wäre<br />

recht wenig angenehm gewesen. Nun<br />

muss ich aber auch sofort die Mädchenschule<br />

mit übernehmen. Für Lisa ist das<br />

zwar nicht ganz einfach, aber es ist eine<br />

ideale Gelegenheit, um verhältnismäßig<br />

rasch in das Tamulisch hineinzukommen.<br />

Ich bin jetzt etwa täglich in der Fabrizius-<br />

Schule. Augenblicklich hospitiere ich noch;<br />

aber nächste Woche fange ich auch selber<br />

mit Unterricht an. Es wird ein Verwaltungsausschuss<br />

gebildet, der aus Manickam,<br />

der die Arbeit als Principal <strong>und</strong> Headmaster<br />

voll behalten soll, Onkel Frölich <strong>und</strong><br />

mit bestehen soll. Das ist eine recht glückliche<br />

Lösung. Denn ich kann mich tadellos<br />

einarbeiten, da sich Manickam ausgezeichnet<br />

zu mir stellt <strong>und</strong> mir Einblick in<br />

seine gesamte Arbeit gibt. So wachse ich<br />

in alles hinein, ohne doch schon die Verantwortung<br />

zu haben. Und Manickam<br />

bleibt seine Arbeitsfreudigkeit erhalten.<br />

Als ich neulich im süßesten Schlummer<br />

lag, wurde ich in aller Frühe um drei Uhr<br />

aus dem Bette geholt. Unser Koch stand<br />

vor dem Fenster <strong>und</strong> sagte mir, ein Skorpion<br />

hätte ihn geschlagen. So steckte ich<br />

meinen Kopf in die Waschschüssel <strong>und</strong><br />

war schnell munter. Dann kriegte ich meine<br />

Medizin hervor <strong>und</strong> ebenso eine neue Rasierklinge.<br />

Der Skorpion war <strong>von</strong> der Decke<br />

gefallen <strong>und</strong> hatte unseren alten Herrn<br />

in den Bauch geschlagen; ihm tat schon<br />

sein linkes Bein weh. In der Nähe der Einschlagsstelle<br />

ritzte ich ihm die Haut <strong>und</strong><br />

rieb ihm Medizin hinein, <strong>und</strong> zu schlucken<br />

bekam er auch <strong>von</strong> der "marunthu". In gewissen<br />

Zeitabständen hatte er weiter Medizin<br />

zu nehmen. Aber das konnte er<br />

selbst, nachdem ich ihn instruiert hatte.<br />

Dann zog er mit seiner Stalllaterne wieder<br />

ab, <strong>und</strong> ich legte mich schlafen. Seitdem<br />

habe ich ein tiefes Mitgefühl mit den Ärzten,<br />

die oft nachts heraus müssen. Morgens<br />

war die Sache ziemlich in Ordnung,<br />

<strong>und</strong> das Bein schmerzte auch nicht mehr.<br />

Am Mittag war selbst das Jucken verschw<strong>und</strong>en.<br />

Den Skorpion hatte der Koch<br />

jedoch noch vorher beim Wickel gekriegt<br />

<strong>und</strong> gebührend erschlagen.<br />

Ich weiß gar nicht, was mit meinem<br />

Schmachtriemen los ist. Er scheint noch zu<br />

wachsen. Erst vor ein paar Monaten habe<br />

ich fünf neue Löcher in ihn hineingeschlagen,<br />

weil das engste Loch schon für mich<br />

viel zu weit geworden war; <strong>und</strong> nun habe<br />

ich schon wieder drei neue Löcher hineingepocht.<br />

Was soll ich bloß mit dem Riemen<br />

machen?


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 13<br />

Für heute Schluss! Ich sende Euch allen<br />

die allerherzlichsten Grüße <strong>und</strong> treue Wün-<br />

R<strong>und</strong>brief vom 11.01.1928 aus Madras<br />

Wenn dieser Brief ankommt, ist der 4. Febr<strong>ua</strong>r<br />

nahe, der Geburtstag <strong>von</strong> Vater <strong>Paul</strong>.<br />

Wie eigen ist es, dass er schon vor einem<br />

Jahr geahnt zu haben scheint, dass er<br />

wahrscheinlich nicht mehr lange leben<br />

würde. Nun ist es schon mehrere Monate<br />

her, seit es heimgegangen ist, aber um so<br />

mehr fühlt man auch den Verlust.<br />

Aber auch in andere Hinsicht kommt dieser<br />

Brief zu einem besonderen Zeitpunkt nach<br />

Deutschland: Es sind das gerade die Tage,<br />

wo Lisa hier in Indien eintrifft. Heute sind<br />

es noch 16 Tage bis dahin. Ich kann gar<br />

nicht sagen, wie ungeheuer ich mich darauf<br />

freue. Na, das könnt Ihr Euch ja<br />

schließlich auch <strong>von</strong> selber ausmalen. Über<br />

alle Einzelheiten habe ich Euch schon<br />

geschrieben, so dass ich mir das ersparen<br />

kann. Also am 10. Febr<strong>ua</strong>r morgens ist die<br />

Hochzeit in Mayavaram, wo uns Onkel<br />

Frölich trauen wird; als Text möchte ich<br />

gern haben: "Der Herr ist Sonne <strong>und</strong><br />

Schild"; auch Lisa mag diesen Text sehr<br />

gern. Um wie viel Uhr die Sache sein wird,<br />

weiß ich noch nicht, ich vermute um etwa<br />

10 Uhr. Nachher gibt es ein großes Mittagessen,<br />

<strong>und</strong> am Frühnachmittag gondeln<br />

Lisa <strong>und</strong> ich nach Pondicherry, wo wir uns<br />

in einem Hotel einq<strong>ua</strong>rtieren. Das werden<br />

dort in der Stille <strong>und</strong> Abgeschiedenheit am<br />

Meeresstrand ein paar extrafeine Tage.<br />

Am 16. Febr<strong>ua</strong>r haben wir die deutsche<br />

Missionarskonferenz in Mayavaram, wohin<br />

wir, wenn irgend möglich, auch fahren<br />

möchten. Etwa am 17. werden wir dann<br />

unseren Einzug in Madras im neuen Hause<br />

halten. Dort werden wir, fürchte ich, allerlei<br />

Empfangs- <strong>und</strong> Begrüßungszeremonien<br />

durch die Gemeinde über uns ergehen<br />

lassen müssen. Und dann sind wir zu Hause,<br />

im wahrsten Sinne des Wortes.<br />

Die Weihnachtstage waren eine wahre<br />

Erquickung. Am Ersten Weihnachtstag<br />

fuhren Onkel Frölich <strong>und</strong> ich abends hinüber<br />

nach Pandur. Nachdem wir uns erst<br />

etwas verschnauft hatten, fuhren Herr Heller,<br />

Wilhelm Kanschatt, Onkel Frölich <strong>und</strong><br />

ich auf drei Tage in den Distrikt "for Camp".<br />

Auf den einen Ochsenwagen wurden die<br />

Feldbetten, Kochsachen <strong>und</strong> der Koch<br />

sche für die Weihnachtszeit!<br />

verpackt, <strong>und</strong> der andere war zu unserer<br />

Fortbewegung bestimmt; in Wirklichkeit<br />

sind wir auf dem Hinweg fast ganz <strong>und</strong> auf<br />

dem Rückwegwirklich ganz zu Fuß getippelt,<br />

selbst Onkel Frölich trotz seiner 59<br />

Jahre beträchtliche Strecken. Die Gegend<br />

war w<strong>und</strong>erschön, wie lauter Frühlingsherrlichkeit.<br />

Am Horizont grüßten bläulich die<br />

Berge hinüber, deren vorgelagerte Hügelketten<br />

unser Ziel war. Ringsum dehnten<br />

sich die Reisfelder aus, <strong>und</strong> darüber prangte<br />

der blaue Himmel. Wie der Wind über<br />

die grüne Gottesherrlichkeit strich, so dass<br />

die Halme wogten <strong>und</strong> nickten, sah es fast<br />

aus, als hätte man ein deutsches Kornfeld<br />

vor sich. An jenem Morgen, am 28. Dezember,<br />

blieben wir fast durchweg auf der<br />

Landstraße, aber sonst wanderten wir oft<br />

auf den Rainen querfeldein, eine Vorsicht<br />

erheischende Beschäftigung, bei der man<br />

nicht danebentreten durfte, , denn die Felder<br />

standen fast durchweg unter Wasser,<br />

absichtlich. Denn die meisten Reisarten<br />

müssen zu ihrem Wachstum immer bis an<br />

die Hälfte im Wasser stehen. Das kostet<br />

einen Haufen Flüssigkeit, <strong>und</strong> das ist eben<br />

die Schwierigkeit - wenn es trocken ist <strong>und</strong><br />

der Regen ausbleibt, kriegt der Reis sozusagen<br />

die Gelbsucht <strong>und</strong> vertrocknet, so<br />

dasss man ihn höchstens an das Vieh verfüttern<br />

kann. Deshalb wirbt Heller so viel<br />

für Brunnenbau; aber auch dabei ist das<br />

Tragische, dass man Pech haben kann;<br />

denn die Ochsen kommen ja manchmal<br />

auf die Idee, sich hinzulegen <strong>und</strong> zu sterben;<br />

da hilft einem dann auch der beste<br />

Brunnen nicht mehr. Deshalb will Heller<br />

gern einen Versuch mit einem Motor machen.<br />

So ein Ding zu installieren, kostet<br />

aber ziemliche Moneten, <strong>und</strong> so ist es<br />

zweifelhaft, ob er in seinem jetzigen Leben<br />

noch einmal dazu kommen wird.<br />

So wanderten wir in allerlei Gespräch vertieft<br />

weiter. Nachdem wir etwa eine halbe<br />

St<strong>und</strong>e in westlicher Richtung marschiert<br />

waren, durchkreuzten wir den Fluss, ein<br />

riesig breites Geschöpf, bei unserem<br />

Durchzug nur mit ein paar schmalen Wasserläufen<br />

versehe, aber in der richtigen<br />

Regenzeit ein rauschendes Ungeheuer


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 14<br />

<strong>von</strong> etwa 700 m Breite. Oft geht Heller mit<br />

den Pandur-Kostschülern dort an das<br />

Flussbett <strong>und</strong> spielt da mit ihnen. Wir stapften<br />

bloß hindurch <strong>und</strong> bekamen die Schuhe<br />

voller Sand; durch das Wasser zogen<br />

uns seufzend <strong>und</strong> spritzend die Ochsen.<br />

Jenseits des Flusses veränderte sich das<br />

Landschaftsbild ein wenig, da es dort nicht<br />

mehr so vieel Reisfelder gab. Die Gegend<br />

wurde immer rauer. Hinter Rậmantscherie<br />

wurden die Wege immer erquicklicher <strong>und</strong><br />

die Sonne immer wärmer. Der ganze Weg<br />

war voll gerappelt mit faustgroßen Steinen,<br />

so dass es fast aussah, als ob da vor Olims<br />

Zeiten Riesen gewohnt hätten, deren<br />

Kinder dort mit Kieselsteinen gespielt hätten.<br />

Wir mussten mächtig aufpassen bei<br />

unserer Wanderung wie in einem Harzer<br />

Flusstal, <strong>und</strong> der hinter uns her wackelnde<br />

Ochsenwagen ächzte in allen Fugen. Mir<br />

kam ins Gedächtnis, wie ich als Sextaner<br />

oder Quintaner in der Küche unserer alten<br />

Braunschweiger Bültenweg-Wohnung mir<br />

den "Als Kaiser Rotbart lobesam" eingebläut<br />

habe. So hatte es mir damals auch<br />

ungefähr vorgestellt: "Viel Steine gab's <strong>und</strong><br />

wenig Brot." Dicht hinter Rậmantscherie<br />

kamen wir an einem Göttergarten vorbei.<br />

Dicht an der Straße lag ein Stück Land,<br />

<strong>von</strong> einer halb eingefallenen Mauer umgeben,<br />

wo in Reih <strong>und</strong> Glied aufmarschiert,<br />

aus Ton angefertigte <strong>und</strong> bunt angemalte<br />

Götzen standen. Es war ein idyllisches<br />

Stillleben, bloß ein bisschen grotesk. Aber<br />

ich will nicht witzeln, dazu ist die Sache zu<br />

ernst. In den Baumzweigen befanden sich<br />

ganz kleine Schaukeln, in denen auch Götterchen<br />

Platz genommen hatten. Wenn<br />

dann der Wind durch die Zweige rauscht,<br />

können die Götter schaukeln. Das ist eigentlich<br />

wirklich rührend.<br />

Um halb sieben Uhr waren wir abmarschiert.<br />

Als wir nun im Rasthaus in Alikuli<br />

ankamen, war es etwa zehn Uhr, <strong>und</strong> wir<br />

hatten etwa 16 km zurückgelegt. Fre<strong>und</strong>lich<br />

einladend lag das Haus, massiv aufgebaut,<br />

am Wegesrand, <strong>und</strong> gern kehrten<br />

wir ein. Schnell waren die Feldbetten aufgeschlagen,<br />

<strong>und</strong> wir streckten uns zur<br />

wohlverdienten Ruhe aus. Bis zum 30.<br />

Dezember blieben wir dort.<br />

Die Gegend <strong>von</strong> Alikuli ist "Kậdu", d.h.<br />

Wildnis <strong>und</strong> Einöde. Es ist eben steinreich<br />

<strong>und</strong> ziemlich unfruchtbar <strong>und</strong> ist vor allem<br />

weit ab <strong>von</strong> den Leuten, wo sich die Füch-<br />

se gute Nacht sagen. Nur selten kommt ein<br />

Weißer dorthin. Trotzdem sind die Leute<br />

ziemlich wohlhabend: Sie besitzen ausgedehnten<br />

Limonengärten, in denen diese<br />

kostbare, gelben Zwergzitronen wachsen.<br />

Es wird damit ein schwunghafter Handel<br />

getrieben, bis hinauf Rajahm<strong>und</strong>ry, <strong>und</strong><br />

das sich die Geschichte lohnt, sieht man<br />

an den Häusern des Dorfes, die häufig aus<br />

massiven Steinen ausgeführt sind <strong>und</strong> einen<br />

sehr sauberen Eindruck machen. Die<br />

Parias dagegen, die Kulis der Wohlhabenden,<br />

machen keinen besseren Eindruck als<br />

der sonstige Durchschnitt, im Gegenteil!<br />

Sie sind eine raubeinige Gesellschaft, eben<br />

weil sie soweit hinter den Leuten wohnen.<br />

Deshalb ist der Stand unserer Christengemeinden<br />

alles andere als hoch. Ganz<br />

massive Sünden sind selbst bei unseren<br />

Christen im Schwange, <strong>und</strong> man traut seinen<br />

Ohren nicht, wenn man hört, dass den<br />

Leuten solche elementaren Sachen gepredigt<br />

werden müssen, wie: "Du sollst nicht<br />

stehlen", "Du sollst nicht lügen". Es gibt<br />

dort ziemlich viel Schafherden; da kommt<br />

es gelegentlich vor, dass so ein Tierchen<br />

heimlich abgefangen <strong>und</strong> geschlachtet<br />

wird. Auch richtige Raufereien sollen nicht<br />

zur Ausnahme gehören.<br />

Das zeigt, dass es besonders tüchtiger<br />

Lehrer bedarf, die sich dieser Gemeinden<br />

annehmen <strong>und</strong> sie in Liebe <strong>und</strong> Geduld<br />

<strong>und</strong> mit fester Handpflegen. Einst blühte<br />

das Gemeindeleben dort. Aber dann kam<br />

die unglückliche Idee auf, die dortige Gegend<br />

wegen ihrer Abgeschiedenheit als<br />

willkommenen Platz für Strafversetzungen<br />

zu betrachten, <strong>und</strong> so kamen dort die unnützen<br />

Lehrer hin. Das war natürlich verhängnisvoll.<br />

Als dann während des Krieges<br />

infolge der Lehrernot dort der größte Teil<br />

überhaupt abgebaut werden musste, war<br />

das Unglück voll. Rậmantscherie, Alikuli<br />

<strong>und</strong> Placepậlaiam waren alles Gemeinden<br />

<strong>von</strong> r<strong>und</strong> je 3 - 400 Seelen. Und jetzt? Da<br />

belaufen sich die Ziffern auf 9, 25 <strong>und</strong> 79.<br />

Alle anderen sind abgefallen. In<br />

Rậmantscherie haben sie sogar in den<br />

beiden letzten Jahren einen regelrechten<br />

Hindutempel gebaut. Wahrhaftig, es<br />

schneidet einem in das Herz, wenn diese<br />

Gemeinden sieht, die verlassen <strong>und</strong> zerstreut<br />

sind wie Schafe, die keinen Hirten<br />

haben. Sehr ernst sprechen Dr. Frölich <strong>und</strong><br />

Heller mit den Abgefallenen wie mit den


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 15<br />

Übriggebliebenen, <strong>und</strong> es wird eine der<br />

Hauptaufgaben <strong>von</strong> Heller sein, sich der<br />

Wiedergewinnung der Abgefallenen zu<br />

widmen. Damit ist es wirklich nicht getan,<br />

dass man träge gewordene Christen einfach<br />

aus der Gemeinde ausschließt <strong>und</strong><br />

sie sich dann selber überlässt, wie es bis<br />

jetzt geschehen ist, wo die Leute geistlich<br />

haben Hunger leiden müssen, ist es<br />

durchaus nicht verw<strong>und</strong>erlich, wenn sie<br />

müde geworden sind; sie sind ja doch<br />

kaum viel mehr als große Kinder. Augenblicklich<br />

befindet sich schon ein tüchtiger<br />

<strong>und</strong> energischer Lehrer in Rậmantscherie,<br />

<strong>und</strong> es bricht sich die Erkenntnis Bahn,<br />

dass gerade dieses Stück Gegend als Pionierland<br />

betrachtet werden muss, <strong>und</strong> dass<br />

es jeder als eine besondere Ehre ansehen<br />

muss, wenn er dorthin geschickt wird. Eine<br />

schwere Arbeit ist es, die dort auf die Leute,<br />

besonders die Lehrer, wartet, <strong>und</strong> es<br />

gehört ein Charakter dazu, dass man dort<br />

unter den rauen Bewohnern nicht die Geduld<br />

verliert <strong>und</strong> dass man nicht selber in<br />

der Einsamkeit versauert <strong>und</strong> stumpfsinnig<br />

wird.<br />

Sehr hübsch war die Ersteigung eines<br />

ziemlich hohen Hügels, der schätzungsweise<br />

250 m hoch war <strong>und</strong> einen schönen<br />

Fernblick bot.. Der Aufstieg war etwas hanebüchen,<br />

da die Steine so zahlreich waren,<br />

wie die Haare auf dem Kopfe, aber um<br />

so lohnender war der Gipfel . Ob der Berg<br />

vulkanischen Ursprung hatte oder ein altes<br />

Urgebirge ist, weiß ich nicht; wahrscheinlicher<br />

ist vielleicht Letzteres, weil sich durch<br />

die ganze Längsrichtung Südindiens Gebirgsgruppen<br />

hinziehen, <strong>von</strong> denen der<br />

Berg bei Alikuli ein Teil ist, wenn auch losgelöst<br />

für sich allein bestehend. Hoffentlich<br />

sind die Bilder etwas geworden, die Heller<br />

dort <strong>von</strong> uns geknipst hat, denn wir bauten<br />

uns dort außerordentlich malerisch auf.<br />

Der Blick schweifte weit hin nach Norden<br />

ins Teluguland hinein, wie wir uns dort überhaupt<br />

an der Grenze des Tamulischen<br />

Sprachgebietes befanden; als Abschluss<br />

dieser Nordseite riegelte ein massiger Gebirgsstock<br />

die weitere Aussicht ab; fast<br />

kerzengerade strebt er in die Höhe, etwa<br />

1000 m hoch. Vielleicht machen wir später<br />

einen Ausflug nach dort. Nach Süden <strong>und</strong><br />

Osten erstreckte sich die Gegend um Pandur,<br />

<strong>und</strong> nach Westen schloss sich weiteres<br />

hügliges Gelände an.<br />

Am gleichen Tage marschierten wir weiter<br />

nach Placepậlaiam, wo wir am Mittag einen<br />

kurzen Gottesdienst hatten <strong>und</strong> in dem<br />

Schulgebäude schönen Curry mit Reis<br />

vertilgten. Dann hielten wir Siesta, indem<br />

wir uns auf Decken auf dem Boden ausstreckten;<br />

da es mir etwas kühl wurde, zog<br />

ich einen Tisch vor, der auch meiner Länge<br />

Genüge tat, aber sich durch bodenlose<br />

Härte auszeichnete, so dass ich ganz lahm<br />

wurde; als Kopfkissen diente das in meinem<br />

Rock eingewickelte Gesangbuch; in<br />

Anspruchslosigkeit sind uns die Inder denn<br />

doch noch über. Während wir einzuschlafen<br />

suchten, las uns Heller im waschechtesten<br />

Vogtländisch aus der deutschen<br />

Zeitung vor, <strong>und</strong> zwar Ergüsse des<br />

"Schnell-August". Da umwehte einen richtige<br />

Heimatluft, <strong>und</strong> wir haben herzlich gelacht.<br />

Das scheint bei der Mission ganz<br />

selbstverständlich zu sein, dass man sich<br />

desto behaglicher <strong>und</strong> humorvoller fühlt, je<br />

mehr der alte Adam behauptet, dass das<br />

Leben sauer sei, Behalten habe ich <strong>von</strong><br />

dem Schnell-August u.a. einen besonders<br />

gedankentiefen Ausspruch: Was ist ein<br />

Defizit?<br />

Ein Defizit ist, was man hat, wenn man<br />

weniger hat, als man hätte, wenn man<br />

gar nichts hat.<br />

In der gleichen Schule war es auch, wo ich<br />

nach dem Mittagessen mit meinen Gedanken<br />

den ganzen Tag nach Donauwörth<br />

spazierend - denn es war der 29. Dezember<br />

-, das Brautpaar (Heil Dir, lieber Ernst<br />

<strong>und</strong> Deiner lieben Maria!) hochleben ließ.<br />

Blechern klangen die Aluminium-Becher<br />

zusammen, aber der Klang war mir liebliche<br />

Musik, <strong>und</strong> das ungezuckerte Limonenwasser<br />

war schauderhaft sauer <strong>und</strong><br />

trübe, aber mir war es wie süßer Wein.<br />

Hinter den Guckfenstern meines Herzens<br />

war es mir freilich etwas wehmütig zu Sinn,<br />

denn Deutschland ist gar so weit fort. Aber<br />

sonst wäre es ja auch ein Kinderspiel, Missionar<br />

zu sein, <strong>und</strong> es ist bloß gut, dass die<br />

Gedanken zollfrei sind <strong>und</strong> fliegen können.<br />

Und wenn man bei seiner eigenen Verlobung<br />

nicht hat dabei sein können, gewöhnt<br />

man sich auch an allerlei. Und trotzdem!<br />

Wie gern bin ich als Missionar hier in Indien.<br />

Mit keinem anderen möchte ich tauschen.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 16<br />

Auch Heidenpredigt wurde etwas getrieben.<br />

Gleich in dem eben genannten Dorfe<br />

versuchten wir es mit den Sudras; aber sie<br />

waren nicht sonderlich entgegenkommend..<br />

Aber trotzdem kam nachher noch<br />

eine ganz hübsche Ansprache <strong>von</strong> Onkel<br />

Frölich zustande, da sich doch noch eine<br />

ganze Schar <strong>von</strong> der vornehmen Bevölkerung<br />

zusammen fand. Sie konnten fast<br />

durchweg nur Telegu, so dass das, was<br />

Onkel Frölich sagte, meist gedolmetscht<br />

werden musste; aber es ging wider Erwarten<br />

gut. Unsere Dörfler begleiteten uns<br />

nachher noch bis an die Dorffluren, wo<br />

plötzlich die Welt zwar nicht mit Brettern<br />

vernagelt war, aber plötzlich eine gewaltige<br />

Wasserlache vor uns entstehen ließ, deren<br />

Umgehung durch Kakteenhecken verhindert<br />

wurde; zum Überspringen war die Geschichte<br />

viel zu breit, fliegen konnten wir<br />

nicht, <strong>und</strong> zum Ausziehen <strong>von</strong> Schuh <strong>und</strong><br />

Strümpfen hatten wir keine Lust. Da umhalsten<br />

wir einer nach dem anderen zwei<br />

starke Männer, die uns lachend über die<br />

lächerlich Lache hinwegschweben ließen;<br />

bei dem guten Heller-Ayier hatten sie freilich<br />

am schwersten zu schleppen. Von der<br />

Furt hat er auch eine Aufnahme gemacht.<br />

Später bei dem Rückmarsch waren wir<br />

noch in einem anderen Sudradorf, das fast<br />

zum größten Teile im Besitze eines Großgr<strong>und</strong>besitzers<br />

war, eines ziemlich selbstbewussten<br />

Herren. Auch da wurde Heidenpredigt<br />

gehalten, die auch ganz aufmerksame<br />

Zuhörer fand. Das ist eben typisch<br />

für das heutige Indien <strong>und</strong> immer<br />

wieder überraschend, dass die Inder so<br />

willig bei aller Heidenpredigt zuhören, ohne<br />

Störungen zu versuchen. Das Christentum<br />

ist eben sozusagen salonfähig geworden.<br />

Damit ist ein sehr großer Schritt nach vorwärts<br />

getan: Die Heiden hören wenigstens<br />

zu; sie sind sozusagen unmittelbar in den<br />

Schallbereich des Evangeliums gerückt.<br />

Das besagt noch lange nicht, dass sie etwa<br />

besonders zugänglich für das Christentum<br />

geworden wären. Aber das ist ja auch<br />

gar nicht unsere Sorge. Wenn man etwa<br />

daran denkt, wie ungeheuer schwer es<br />

etwa die Missionare in mohammedanischen<br />

Gebieten haben, wo die Mohammedaner<br />

wütig werden, sobald der Name<br />

Christi ertönt <strong>und</strong> den Sprecher überhaupt<br />

nicht recht zu Worte kommen lassen, sieht<br />

man erst recht die Bedeutung des Fortschrittes.<br />

Bei der Rückwanderung kehrten wir noch<br />

in Rậmantscherie ein, wo wir über Mittag<br />

blieben, <strong>und</strong> am Nachmittag trafen wir wieder<br />

daheim ein, richtig rotgebrannt <strong>von</strong> der<br />

Sonne.<br />

Nun dauert es nicht mehr lange, vielleicht<br />

noch zwei Monate, dann liegt die ganze<br />

Gegend, die jetzt im schönsten Grün erstrahlt,<br />

trocken <strong>und</strong> kahl <strong>und</strong> verbrannt da.<br />

Als ich die Gegend vor einem Jahre in diesem<br />

Zustande kennen lernte, dachte ich,<br />

ich wäre in die Wüste Sahara geraten, so<br />

trostlos öde sah es aus. Der Boden war<br />

<strong>von</strong> der Hitze <strong>und</strong> Glut gesprungen <strong>und</strong><br />

rissig, <strong>und</strong> höchstens die Kakteen, die es<br />

in ihrer Unverschämtheit immer noch auf<br />

über Mannshöhe brachten, wucherten üppig.<br />

Das war Pandur! Am 8. Jan<strong>ua</strong>r kehrte ich<br />

wieder hierher zurück.<br />

Das Hochzeitspaar am 09.02.1928 Hochzeit in Mayavaram mit Missionar Frölich <strong>und</strong> Bexell


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 17<br />

R<strong>und</strong>brief vom 12.06.1928 aus Kotagiri<br />

Wie schön ist es hier auf den Nilgiris Blauen<br />

Bergen! Unten in der Ebene brütet die<br />

Hitze <strong>und</strong> quält die Menschen, aber hier<br />

oben in luftiger Bergeshöhe wehen erquiekende<br />

Winde. Unter Mittag kann es hier<br />

auch knuffig warm werden, aber dann gibt<br />

es auch wieder Zeiten, wo der Sturm die<br />

Eukalyptusbäume beim Kragen kriegt <strong>und</strong><br />

sie schüttelt, dass sie rauschen <strong>und</strong> stöhnen.<br />

Solch ein herbstlicher, kalter, regnerischer<br />

Wind ist eine Wohltat. - Im Gegensatz<br />

zu den Palni-Bergen, wo als einziger<br />

Ort Kodaikanal die Berghöhen krönt, sind<br />

es hier eine ganze Anzahl Orte, die auf<br />

den verschiedenen Höhen liegen. In der<br />

Ebene hat man in Mettupalayam die Zahnradbahn<br />

zu besteigen, die mit unendliches<br />

Ächzen <strong>und</strong> Puffen das Zügle mit den<br />

Zwergwagen den steilen Schienenstrang<br />

hinaufschiebt. Oft geht es unter Tunnels<br />

hindurch, in denen man vom Q<strong>ua</strong>lm beinahe<br />

erstickt wird, wenn man zufällig dicht<br />

bei der Lokomotive sitzt, Dann wieder<br />

schlängelt sich die Bahn an Abgründen<br />

entlang, die sich steil <strong>und</strong> jäh auftun, während<br />

auf der anderen Seite sich das Gebirge<br />

nicht minder jählings h<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> mehr<br />

Meter emportürmt, überragt <strong>von</strong> nackten<br />

Felsgraten. Die erste Hauptstation auf dieser<br />

Strecke ist Coonoor in 1.600 Meter<br />

Höhe. Nach einer weiteren St<strong>und</strong>e erreicht<br />

man Ootacamond, abgekürzt Ooti, das<br />

sieh etwa 2.000 Meter über den Meeresspiegel<br />

erhebt. Kotagiri liegt auf einem<br />

seitlichen Höhenzug in etwa 1.900 m Höhe<br />

<strong>und</strong> ist nur durch Autobusse in etwa einstündiger<br />

Fahrt <strong>von</strong> Coonoor aus erreichbar.<br />

Bahnverbindung nach Kotagiri gibt es<br />

nicht. Es gibt eine direkte Straße <strong>von</strong> hier<br />

nach Ooty, aber sie ist so unzureichend,<br />

dass der ganze Verkehr den Umweg über<br />

Coonoor vorzieht.<br />

Coonoor ist ein weitläufiger Ort, dessen<br />

Hauptmasse sich in ein breites Tal <strong>und</strong><br />

dessen Abhänge hineinschmiegt. Die Häuser<br />

<strong>von</strong> Herrn Fritschi, bei dem wir zuerst<br />

ein bis zwei Wochen wohnten, <strong>und</strong> die drei<br />

Häuser der "Indian S<strong>und</strong>ay School Union"<br />

liegen mehr oder weniger am oberen Rande<br />

dieses Talkessels. Gerade schön ist<br />

nicht der Blick hinab auf das Meer der<br />

Häuser <strong>und</strong> Häuschen, da die zahlreich<br />

vorherrschenden Wellblechdächer sehr<br />

unromantisch sind; aber malerisch ist der<br />

Blick auf die etwas höher stehende, imponierende<br />

Antonius-Kirche der Römischen.<br />

Darüber hinaus erstreckt sich Coonoor<br />

noch in verschiedene Nebentäler. Von besonderem<br />

Reize ist der "Simspark", der<br />

Botanische Garten, der sieh anmutig in ein<br />

Tal hineingepasst hat, das amphitheatralisch<br />

aufsteigt. Die schönsten Blumen blühen<br />

dort um die Wette, <strong>und</strong> die mannigfachsten<br />

Bäume laden zu einem Studium<br />

der an ihnen befestigten Namensschilder<br />

ein. Im Talgr<strong>und</strong>e führen breitblätterige<br />

Wasserblumen ein idyllisches Dasein. -<br />

Erwähnenswert sind dann schließlich nur<br />

noch zwei Bauten, die "Union Hall", wo wir<br />

an einem ziemlich formlosen Gottesdienst<br />

teilnahmen, <strong>und</strong> die Kirche der "Church of<br />

England", wo es feierlicher zugeht; aber<br />

dort stört einen die antiquierte Sitte, dass<br />

im Mittelschiff auf den Kirchbänken Namenschilder<br />

angebracht sind, die andere<br />

Sterbliche hinwegscheuchen, selbst wenn<br />

ihre Inhaber nicht auf der Bildfläche erscheinen.<br />

Will man einen Blick in die Ebene tun,<br />

muss man es sich einen dauerhaften Spaziergang<br />

nach "Lamb's Rock" kosten lassen.<br />

Aber man wird dafür auch reichlich<br />

belohnt. Zwar muß man etwas vorsichtig<br />

balancieren, wenn man <strong>von</strong> hinten her auf<br />

diesen Felsenbuckel hinaufklimmt, da es<br />

<strong>von</strong> oben kerzengerade 1.000 m tief in den<br />

Abgr<strong>und</strong> geht, aber die Aussicht ist auch<br />

einzig schön. Leider war es dunstig, als wir<br />

mit Annettes dorthin ausflogen, so dass wir<br />

die fernen Palni-Berge nicht erkennen<br />

konnten.<br />

Der vierwöchige Kursus bei Mr. & Mrs.<br />

Annett hat uns sehr gut gefallen, <strong>und</strong> wir<br />

freuen uns, dass wir daran teilgenommen<br />

haben. Wir mussten freilich ziemlich<br />

stramm arbeiten, aber wir taten es gern.<br />

Lisa konnte auch schön folgen. Wir wohnten<br />

im sogenannten Hostel, 19 "Students"<br />

an Zahl außer einer Miss Dalton aus England,<br />

die ganz nett war, aber eine merkwürdige<br />

Stimme hatte, die immer wie ein<br />

verunglückter Walzer klang. Sie war auf<br />

einer Studienreise durch Amerika <strong>und</strong> Indien<br />

begriffen <strong>und</strong> beglückte uns mit einer<br />

furchtbaren vierstündigen Lecture über<br />

Sonntagsschulwesen. Über die einzelnen


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 18<br />

indischen Studenten - wir waren die einzigen<br />

Weißhäute - will ich nicht viel Worte<br />

machen. Einige waren sehr tüchtig, manche<br />

dagegen dumm wie Bohnenstroh. Sie<br />

kamen aus den verschiedensten Teilen<br />

Indiens <strong>und</strong> sollten nun sozusagen für etwas<br />

"Leadership" in "Religious Education"<br />

ausgebildet werden. Da hatten wir den<br />

schneidigen, leider etwas verabendländerten<br />

Chemieprofessor aus Allahabad namens<br />

Malvea, den pomadigen bengalischen<br />

High School Headmaster Mondol<br />

aus Calcutta, den stillen, aber zuweilen<br />

etwas pathetischen Pastor Theophilus aus<br />

der Seestadt Cocanada, den vorlauten <strong>und</strong><br />

etwas frechen Mr. Alexander aus Vellore,<br />

den hilflosen <strong>und</strong> infolge seines Alters etwas<br />

steifen S. Samuel aus dem dänischen<br />

Lager, den quecksilberigen S<strong>und</strong>ram aus<br />

Hyderabad u.a. stille Größen, um nicht<br />

boshaft zu sagen: Kleinigkeiten. Von den<br />

Ladies zeichnete sich Miss Benjamin aus<br />

Madras aus durch albern kindisches Gebaren;<br />

sie beschenkte Lisa gern mit Blumen,<br />

weil sie ihr, als sie stöhnend im Bette lag,<br />

den Puls gefühlt <strong>und</strong> Medizin zu futtern<br />

gegeben hatte; die andere Madrasserin,<br />

Miss Joseph, war r<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> tüchtig,<br />

wenn auch sehr still; Miss Biswas, die fast<br />

zwei Jahre in England gewesen ist, hatte<br />

ein sehr sympathisches Wesen, suchte<br />

aber beim Dominospiel stets schändlich au<br />

mogeln; Mrs. Balas<strong>und</strong>ram war spinnehässlich<br />

<strong>und</strong> auch schwerfällig, während<br />

eine zweite Miss Joseph, dünn <strong>und</strong> zierlich,<br />

ein bisschen locker war. Wir lebten<br />

völlig frei <strong>und</strong> ungezwungen, eigentlich für<br />

indische Verhältnisse eine bemerkenswerte<br />

Errungenschaft.<br />

Der Tageslauf verlief nach ehernen Gesetzen<br />

<strong>und</strong> mit unheimlicher Pünktlichkeit. Um<br />

sieben Uhr gab es das Zeichen zum Aufstehen,<br />

eine halbe St<strong>und</strong>e später versammelten<br />

wir uns um die vier bis fünf r<strong>und</strong>en<br />

Tische zum Einnehmen <strong>von</strong> Milchkaffee<br />

mit Brot, das dünn war wie ein Mondstrahl<br />

<strong>und</strong> angeblich bedeckt mit Butter. Fünf<br />

Minuten vor acht Uhr rief uns die Klingel in<br />

das Nebengebäude, einen sehr geschmackvoll<br />

eingerichteten Vorlesungssaal.<br />

Seine Hauptsehenswürdigkeit ist eine<br />

w<strong>und</strong>ervolle Reliefkarte <strong>von</strong> Palästina, die<br />

in die Wand eingelassen ist <strong>und</strong> etwa zwei<br />

Meter hoch ist. Die Bänke waren reichlich<br />

unbequem <strong>und</strong> hart, so dass Lisa öfter die<br />

im "Grinterh<strong>und</strong>e" stehenden Rohrsessel<br />

vorzog. Eine verhältnismäßig reichhaltige<br />

Bibliothek <strong>und</strong> schöne Bilder an der Wand<br />

vervollständigten die Einrichtung. Zunächst<br />

hatten wir stets eine gut halbstündige Andacht<br />

<strong>von</strong> Mr. Annett, <strong>und</strong> dann schlossen<br />

sich drei Vorlesungen an. Das Mittagessen<br />

bestand wie das Abendessen regelmäßig<br />

aus Curry <strong>und</strong> Reis. Wir sind sehr stolz,<br />

dass wir diese holde Speise die ganze Zeit<br />

überstanden haben, ohne uns den Magen<br />

zu verrenken; aber wir aßen manchmal<br />

Brot <strong>und</strong> dergleichen nebenbei. Nach dreistündiger<br />

Mittagsrast begab man sich um<br />

halb vier zum Tee, diesmal mit Marmelade-<br />

Brot, wieder in Mondscheindicke. Eine Unterrichtsst<strong>und</strong>e<br />

im Anschluss hieran sowie<br />

eine St<strong>und</strong>e vor dem Abendessen vollendeten<br />

den Tageslauf. Nach dem "Supper"<br />

alias "Dinner" wurden entweder Gesellschaftsspiele<br />

gemacht, oder man zog sich<br />

in seine Kemenate zurück, um dort beim<br />

Scheine einer Made-in-Germany-Stalllaterne<br />

noch ein bisschen zu lesen oder zu<br />

studieren. Bei dieser Tageseinteilung war<br />

wenig freie Zeit übrig, zumal wir alle<br />

"Schularbeiten" aufbekamen.<br />

Was trieben wir nun? In der ersten <strong>und</strong><br />

dritten St<strong>und</strong>e hatten wir regelmäßig Vorlesungen<br />

über Psychologie, besonders<br />

Kinderpsychologie; das waren außerordentlich<br />

wertvolle Sachen, besonders weil<br />

Annett überquoll mit praktischen Ratschlägen<br />

<strong>und</strong> Beispielen. Auch in pädagogischer<br />

Hinsicht konnte man da eine Menge<br />

Wichtiges lernen. Als ich herauskam, konnte<br />

ich ja nicht ahnen, dass ich mal in<br />

Schularbeit hineinkommen würde. So war<br />

mir diese Ausbildung außerordentlich lieb.<br />

Auf allerlei Fragen bekamen wir Antwort,<br />

z.B.: Wie unterscheiden sich Jungens <strong>von</strong><br />

beispielsweise 6, 10, 14 <strong>und</strong> 18 Jahren?<br />

Inwiefern muss sich der Religionsunterricht<br />

auf den verschiedenen Stufen anders gestaltet<br />

werden? Wie weit ist die Natur in den<br />

Unterricht mit hineinzuziehen? Für welche<br />

religiösen Eindrücke ist die Jugend auf den<br />

verschiedenen Altersstufen zugänglich?<br />

etc.<br />

Dazu kamen abends Vorträge über Palästina<br />

<strong>und</strong> seine Nachbarländer. Da Annett<br />

selbst mehrfach dort gewesen ist, wusste<br />

er alles so lebendig darzustellen, dass man<br />

mächtig Lust bekam, selbst dorthin zu fahre.<br />

Wer weiß, vielleicht blüht es uns noch


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 19<br />

einmal. - Hand in Hand damit gingen praktische<br />

Übungen, die Mrs. Annett leitete. In<br />

der zweiten St<strong>und</strong>e hatten wir Lesson-<br />

Preparation, die reihum <strong>von</strong> uns gehalten<br />

werden musste. Ich bekam den Schiffbruch<br />

<strong>Paul</strong>i. O, manchmal konnte man da aus<br />

der Haut fahren, wenn jemand recht mährig<br />

war. Nachmittags hatten wir in der ersten<br />

Zeit richtige Probelektionen <strong>und</strong> später<br />

Geschichten-Erzählen; so hatte Lisa die<br />

Bekehrung <strong>Paul</strong>i vom Standpunkte des<br />

Ananias zu erzählen; es war ihr höchst<br />

fatal, aber sie hat sich sehr schön <strong>und</strong> mit<br />

feinen roten Backen aus der Affäre gezogen.<br />

Das Interessante bei diesen Nachmittagsübungen<br />

war die anschließende Kritik,<br />

die wir nach einem bestimmten Schema<br />

schriftlich ausführen <strong>und</strong> dann mündlich<br />

wiedergeben mussten. Da lernte man, gerecht<br />

zu urteilen <strong>und</strong> richtig die schwachen<br />

Stellen herauszufinden, ohne zu subjektiv<br />

vorzugehen. - Auch bei der "Lesson Preparation"<br />

bestand ein bestimmtes Schema,<br />

das wir zu befolgen hatten <strong>und</strong> das sich als<br />

außerordentlich praktisch erwies.<br />

So waren diese vier Wochen sehr anregend,<br />

<strong>und</strong> wir spazieren mit viel Zuversicht<br />

in unsere alte Arbeit nach Madras zurück;<br />

ich fühle mich jetzt sehr viel besser dafür<br />

gerüstet als vorher. Mr. & Mrs. Annett sind<br />

feine Charaktere, wenn sie auch, wie alle<br />

Menschen ihre Schwächen haben. Mr.<br />

Annett ist voll gestopft mit Geschichten <strong>und</strong><br />

Anekdoten; sicher würde er auf der Weltausstellung<br />

in Chicago den ersten Preis<br />

kriegen.<br />

Sehr schön war auch der Umgang mit<br />

Benzes, die uns oft besuchten <strong>und</strong> bei denen<br />

auch wir unsererseits mehrfach waren.<br />

R<strong>und</strong>brief vom 30.08.1928 aus Madras<br />

Vielleicht habt Ihr schon öfter gedacht,<br />

dass Ich ein rechtes Faultier wäre, dass<br />

ich so lange nicht geschrieben habe. Aber<br />

erstens haben wir nichts Weltbewegendes<br />

erlebt, <strong>und</strong> zweitens hatten wir<br />

tüchtig au tun. Nur dem glücklichen Umstande,<br />

dass wir jetzt zwei Feiertage haben,<br />

den einen zur Feier <strong>von</strong> Mohammeds<br />

Geburtstag, den anderen den Hindus<br />

zuliebe, gibt uns eine kleine Atempause.<br />

- Viel Gescheites wird wohl aus<br />

diesem <strong>Briefe</strong> nicht werden. Aber es<br />

Weniger schön war es, dass wir kolossal<br />

angeb<strong>und</strong>en waren; aber da das die Hausordnung<br />

war - um der Inder willen war sie<br />

sehr streng - , fügten wir uns in sie hinein.<br />

Jetzt sind wir glücklich wieder unsere eigenen<br />

Herren.<br />

Auch nach Ooty machten wir einen Ausflug.<br />

Dort gefiel uns besonders gut der Botanische<br />

Garten, der großartiger ist als der<br />

in Coonoor. Dicht dabei ist eine Ansiedelung<br />

der Todas, der Ureinwohner der Nilgiris;<br />

sie sind ein ganz anderer Menschenschlag<br />

als die Dravidas, mehr arisch, mit<br />

breiten, langen Gesichtern. Sie wohnen in<br />

seltsamen Holzhütten, die die Form einer<br />

riesigen, liegenden Tonne haben; diese<br />

Hütten sind völlig geschlossen bis auf ein<br />

ganz niedriges Eingangsloch. - Ooty ist<br />

während der heißen Jahreszeit der Sitz<br />

des Gouverneurs, der mitsamt seinen ganzen<br />

Büros <strong>und</strong> Beamten nach dorthin übersiedelt.<br />

- Es liegt zwischen den Bergen.<br />

Es gibt eine Redensart: Ooty ist majestätisch,<br />

Coonoor idyllisch schön <strong>und</strong> Kotagiri<br />

ges<strong>und</strong>. Das trifft den Nagel auf den Kopf.<br />

Deshalb sind wir nun auch für die letzte<br />

Woche hierher übergesiedelt. Wir wohnen<br />

hier in "Christiansberg", wo die Breklumer<br />

zwei Doppelhäuser besitzen. Mittag- <strong>und</strong><br />

Abendessen haben wir bei Hübner's, <strong>und</strong><br />

sonst wirtschaften wir allein. Das Klima ist<br />

herrlich, viel frischer als in Coonoor. Kotagiri<br />

liegt w<strong>und</strong>erbar frei auf den Bergeshöhen<br />

<strong>und</strong> gestattet weite Fernblicke. Von<br />

unserm Häuschen aus können wir weit<br />

über die Ebene hinblicken. Wie genießen<br />

wir diese Tage! - Und nächstes Jahr geht<br />

es nach Kodi, dem, scheint mir, trotz allem<br />

die Palme gebührt!<br />

schadet ja schließlich nichts, wenn ich<br />

kunterbunt durcheinander erzähle.<br />

Lisa fühlt sich in ihrem Elemente, das sie<br />

wieder Federvieh zu betreuen hat. Bis<br />

jetzt ist es erst ein einziger Hahn, ein<br />

schwarzes Geschöpf mit X-Beinen, eine<br />

Verunzierung, die ein Nachklang des elenden<br />

Beinezusammenbindens der indischen<br />

Hühnerhändler ist. Sonst entwickelt<br />

sich der Hahn trefflich <strong>und</strong> versucht, dem<br />

Namen Mussolini, dem wir ihm beigelegt<br />

haben, alle Ehre au machen. Wenn ihm


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 20<br />

die Krähen zu nahe kommen, stürzt er<br />

sich mit Heldenmut auf sie, so dass sie<br />

kreischend da<strong>von</strong> flattern. Die Krähen<br />

sind eine wahre Landplage. Wir ließen die<br />

Krähennester vom Küster vor etwa einem<br />

Monat zerstören, so weit sie sich auf unserem<br />

<strong>und</strong> dem Kirchgr<strong>und</strong>stück befanden,<br />

aber schon sind wieder einige neue<br />

Nester entstanden. Mit Vorliebe baden sie<br />

in dem Aufwaschwasser, in dem das Geschirr<br />

abgespült werden soll <strong>und</strong> wetzen<br />

ihre Schnäbel an den darin herumschwimmenden<br />

Abwaschlappen; wenn<br />

Lisa das sieht, wird sie immer grimmig.<br />

Die armen Tiere - sie wollen sich doch<br />

auch einmal baden <strong>und</strong> haben es doch<br />

auch recht nötig. Lisa behauptet sogar,<br />

dass manchmal die Krähen sich auf die<br />

Wasserleitung setzen <strong>und</strong> den Hahn aufdrehen.<br />

Und nachher haben wir wo möglich<br />

eine hohe Wasserrechnung, weil die<br />

Frechdachse den Hahn nicht wieder zudrehen.<br />

Ein Kapitel für sich sind die Eichhörnchen.<br />

Die Väter, die unser Haus gebaut<br />

haben, haben leider nicht mit diesen Vierfüßlern<br />

gerechnet. Sie haben im. Obergeschoß<br />

an der Stelle, wo die Dachbalken<br />

auf der Mauer aufliegen, keine Steine<br />

dazwischengelegt, weil es besser ist,<br />

wenn der Wind durchstreichen kann. Leider<br />

machen sich das nun die Eichhörnchen<br />

zunutze <strong>und</strong> bauen dort Nester. Das<br />

Schlimmste ist jedoch, dass sie öfter einen<br />

Pfeifanfall kriegen <strong>und</strong> so entsetzlich<br />

fiepen, dass man schließlich wild wird <strong>und</strong><br />

sie mit Klatschen <strong>und</strong> Zischen da<strong>von</strong>jagt.<br />

Das hat dann zur Folge, dass sie um eine<br />

Ecke wutschen, wo man sie nicht mehr<br />

erreichen kann <strong>und</strong> da um so triumphierender<br />

weiterfiepen. Dabei sind sie richtig<br />

in Ekstase <strong>und</strong> peitschen rhythmisch<br />

furchtbar schnell die Luft. Anscheinend<br />

besteht eine Verbindung zwischen<br />

Schwanz <strong>und</strong> Stimmband, Wir sind uns<br />

nur noch nicht klar, ob die Liebe sie so<br />

außer Atem bringt oder nicht; Lisa bezweifelt<br />

es. Neuerdings schleiche ich<br />

mich mit einem Wassertopf an sie heran<br />

<strong>und</strong> mache klatschend einen Angriff. Nur<br />

ist es gut, wenn Lisa das nicht sieht; denn<br />

selbstverständlich ist das Wasser nass<br />

and verbreitet sich ungehöriger Weise<br />

auch über weniger geeignete Gegenstände.<br />

Und die Katzen! Dass sich eine Katze<br />

eine unserer Kisten, in der es noch Holzwolle<br />

gab, als Wiege für ihre Nachkommenschaft<br />

erkoren hatte, haben wir vielleicht<br />

schon früher erzählt. Es war ein<br />

reizendes Bild, <strong>und</strong> wir gingen öfter mit<br />

der Taschenlampe in den dunkeln Winkel<br />

<strong>und</strong> beleuchteten das Stillleben. Die Alte<br />

machte auch oft Besuch. Aber als sie<br />

dann anfing, unsere Sachen aufzufressen,<br />

kündigten wir den Mietern <strong>und</strong> beförderten<br />

sie an das Tageslicht. Nach<br />

längeren Nachforschungen bekamen wir<br />

heraus, dass die Gesellschaft unserem<br />

Küster gehörte.<br />

Jetzt verschließen wir regelmäßig alle<br />

Fensterläden für die Nacht, besonders<br />

nachdem wir eines Nachte aus dem<br />

Schlafe gescheucht wurden infolge eines<br />

entsetzlichen Geklappers. Da hatte eine<br />

Katze mit ihrem Maule den Deckel vom<br />

Milchtopfe heruntergestoßen <strong>und</strong> mit<br />

Saufen angefangen. Als ich kam, genügte<br />

schon mein bloßes Auftauchen, sie in die<br />

Flucht au schlagen. Sie hopste mit einem<br />

gewaltigen Satz herunter, <strong>und</strong> zwar so<br />

geschickt, dass sie weder die Aluminiumkelle<br />

herunterwarf noch die hoch aufgerichtete<br />

Flasche, die sich am Abgr<strong>und</strong>srande<br />

emporreckte, aus dem Gleichgewichte<br />

brachte. - Ratten haben wir nach<br />

manchen Anzeichen anscheinend auch,<br />

aber das wissen wir noch nicht zuverlässig.<br />

Ihr seht, wir haben eine ganze Menagerie.<br />

Ich könnte noch eine ganze Seite<br />

da<strong>von</strong> weiter erzählen, aber dann fangt<br />

Ihr sicher mit Gähnen an.<br />

Lisa hat jetzt immer viel in der Boarding<br />

au tun, weil die Mädchen viel krank sind.<br />

Gerade die gegenwärtigen Monate sind<br />

besonders unges<strong>und</strong>. So zieht sie fast<br />

jeden Morgen los, um einem Mädchen<br />

das Fieber zu »messen, sich die Zunge<br />

ausstrecken zu lassen, Anordnungen<br />

über die Krankenkost zu geben usf. Wir<br />

haben in unserer Gemeinde eine Ärztin,<br />

die in schwierigeren Fällen mit ihrem<br />

zweirädrigen Ponywagen ankutschiert<br />

kommt <strong>und</strong> kostenlos die Kranken verdoktert.<br />

In diesem Vierteljahr haben wir<br />

allerhand erlebt, was uns etwas Sorge<br />

bereitete. Ein Mädel wurde krank <strong>und</strong><br />

bekam Paratyphus, eine leichtere Abart


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 21<br />

<strong>von</strong> Typhus; wir besuchten sie im Hospital<br />

ziemlich oft. Kaum war sie wieder einigermaßen<br />

ges<strong>und</strong>, als sie die Masern<br />

bekam, wieder wussten wir sie wegschicken,<br />

diesmal zu Verwandten; als sie aus<br />

dem Hospital entlassen wurde, war sie<br />

wider unseren Willen schon dort gewesen<br />

<strong>und</strong> hatte es sich da geholt. Wie ein Polizist<br />

muss man immer aufpassen, denn<br />

die Eltern <strong>und</strong> Verwandten sind oft so<br />

schrecklich unvorsichtig. Beim Paratyphus<br />

hatte sich glücklicher Weise niemand<br />

angesteckt, wir hatten aber auch<br />

sofort bei allen Schutzimpfung ausüben<br />

lassen, Jetzt schwebten wir in Sorge,<br />

dass die ganze Gesellschaft die Masern<br />

kriegen würde, aber wir scheinen mit einem<br />

blauen Auge da<strong>von</strong> zu kommen. -<br />

Augenblicklich laborieren verschiedene<br />

Mädels mit Malaria herum. All solches<br />

Zeug fliegt einem sozusagen zu. Wir sind<br />

jetzt freilich sehr umschwärmt <strong>von</strong> Fliegen<br />

<strong>und</strong> Mücken, die aus der nächsten Nachbarschaft<br />

alle möglichen Krankheitskeime<br />

herschleppen können; das ist der Nachteil<br />

da<strong>von</strong>, dass man so mitten drin im Eingeborenenviertel<br />

lebt. Jetzt ging die Cholera<br />

herum <strong>und</strong> forderte gerade in den Nachbarstraßen<br />

allerlei Todesopfer. Wir haben<br />

nun alle gegen Cholera impfen lassen, wir<br />

selbst haben Bilivaccintabletten gefuttert.<br />

Das ist ein Mittel, das im Pasteur-Institut<br />

in Paris erf<strong>und</strong>en, vom Völkerb<strong>und</strong> empfohlen<br />

<strong>und</strong> in Indien vielfältig erprobt ist;<br />

es soll ebenso gut wirken wie das Impfen<br />

der sogar noch besser, <strong>und</strong> außerdem<br />

macht es einen nicht schwiemelig; es ist<br />

bloß etwas teuer. - Da wir hier in der<br />

Hauptstadt leben, kommt es öfter vor,<br />

dass wir kranke Kinder, die <strong>von</strong> auswärts<br />

kommen, beherbergen <strong>und</strong> den hiesigen<br />

Ärzten zuführen müssen. So hatten wir<br />

ein Mädel, das aussatzverdächtig war.<br />

Leider ergab die Untersuchung eine Bestätigung<br />

des Verdachtes. Jetzt befindet<br />

sich nun das Mädel in dem 1925 <strong>von</strong> der<br />

Regierung in Chinleput errichteten großen<br />

Aussätzigenheim, das <strong>von</strong> der schottischen<br />

Mission verwaltet wird. Da sich bei<br />

ihr der Aussatz im Anfangsstadium befindet,<br />

ist er noch heilbar. Es müssen allerlei<br />

Einspritzungen vorgenommen werden,<br />

aber auch so dauert die Geschichte noch<br />

etwa ein halbes Jahr. Beim Aussatz sind<br />

eben die Ärzte über das Laborieren noch<br />

nicht weit hinausgekommen. Ein anderes<br />

Mädel, auch aus Mayavaram, hatte die<br />

Wassersucht <strong>und</strong> hatte einen aufgeschwemmten<br />

Körper. Die Mutter kam mit<br />

ihr mit. Nachdem das Kind einige Tage im<br />

Hospital gelegen hatte, wurde es plötzlich<br />

entlassen, <strong>und</strong> die Mutter brachte es mit.<br />

Aber das Mädel war so entsetzlich<br />

schwach, dass wir schleunigst die Ärztin<br />

holten, die feststellte, dass das Kind jeden<br />

Augenblick sterben konnte. Im Hospital<br />

ist man nicht sehr zartfühlend <strong>und</strong><br />

macht mit hoffnungslosen Fällen kurzen<br />

Prozess, die Inder mögen es sowieso am<br />

liebsten, wenn ihre Verwandten zu Hause<br />

sterben. Wir brachten schließlich das<br />

Kind in einem benachbarten Haus unter,<br />

wo es die Macht überlebte. Am nächsten<br />

Tage setzte ich es dann im Hospital<br />

durch» dass das Kind wieder aufgenommen<br />

wurde. Erst zwei Tage später starb<br />

es, <strong>und</strong> gemeinsam mit unserem Pastor<br />

begrub ich es auf unserem Friedhofe. -<br />

Und nebenbei hatten wir immer noch die<br />

kranke Frau Meyner bei uns im Hause.<br />

So hatte Lisa alle Hände voll zu tun, um<br />

mit allem fertig zu werden.<br />

Seit dem 18. Juli bin ich, wie Ihr wohl alle<br />

wisst, "Lecturer in German" an unserer<br />

Universität in Madras. Warum ich mich<br />

um diesen Posten beworben habe? Weil<br />

mir einerseits der Missionsrat inoffiziell<br />

zuredete, da er es für wünschenswert<br />

hielt, dass wir an der Universität Einfluss<br />

gewinnen, <strong>und</strong> weil ich andrerseits auch<br />

selber Lust dazu hatte. Einmal ist das<br />

Einkommen (monatlich 200 Rs) nicht zu<br />

verachten, <strong>und</strong> andrerseits macht mir das<br />

Unterrichten Freude. Mit dem Geld bezahlen<br />

wir zunächst unsere Schulden.<br />

Und dann sparen wir es auf, um einmal<br />

dafür ein Auto zu erstehen. Bei den weiten<br />

Entfernungen in Madras wäre solch<br />

ein Instrument eine wahre Wohltat. Zwar<br />

sind die Autobusse eine große Wohltat,<br />

aber man schlägt oft unendlich viel Zeit<br />

mit Warten tot. Aber bis wir so viel Geld<br />

zusammen haben, wird wohl noch mancher<br />

Tropfen Wasser den Kaveri hinunterfließen.<br />

- Ich habe nun jeden Morgen außer<br />

sonnabends <strong>und</strong> sonntags <strong>von</strong> 7 - 8<br />

Uhr im Presidency College zu sein, das<br />

sehr hübsch am Meeresstrande liegt,<br />

aber schmerzlicher Weise etwa fünf Kilometer<br />

entfernt ist. In der Anfangszeit fuhr<br />

ich immer im Bus dorthin, musste jedoch


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 22<br />

unterwegs an der Mount-Road umsteigen.<br />

Aber es war immer eine Angstpartie,<br />

weil ich immer entsetzlich warten musste<br />

<strong>und</strong> auch tatsächlich einmal fast zehn<br />

Minuten zu spät kam. Jetzt holt mich indessen<br />

immer Captain Hesterlow einer<br />

meiner Students, der Direktor des Hygienischen<br />

Institutes, ein Angloinder, in seinem<br />

Auto an der Tannah-Street-Ecke ab<br />

<strong>und</strong> fährt mich auch so wieder zurück.<br />

Das ist sehr schön <strong>und</strong> bedeutet für mich<br />

auch eine wesentliche Zeitersparnis. Etwa<br />

20 Minuten nach acht Uhr bin ich wieder<br />

zu Hause, <strong>und</strong> es kann mir niemand<br />

wesentlich den Vorwurf machen, dass ich<br />

der Mission die Zeit mause. Und dass<br />

man früh aus dem Bette herausmuss, ist<br />

ja nur gut. - Meine Schüler sind zum<br />

größten Teile Professoren <strong>und</strong> sonstige<br />

Graduierte. Das war der Gr<strong>und</strong>, weshalb<br />

ich um ein Haar diesen Posten nicht gekriegt<br />

hätte, denn außer mir hatten sich<br />

noch verschiedene Inder um diese Stelle<br />

beworben, die glänzende Zeugnisse <strong>und</strong><br />

das halbe Alphabet hinter ihrem Namen<br />

hatten. Bei meiner Vorstellung bei den<br />

Universitätshäuptern hatte ich mir ziemlich<br />

fatale Fragen zu gefallen lassen, z.B.<br />

"Getrauen Sie es sich denn zu, Professoren<br />

<strong>und</strong> Doktoren zu unterrichten?" Worauf<br />

ich sagte, dass ich mich nicht beworben<br />

hätte, wenn ich nicht versuchen wollte,<br />

mein Bestes zu tun; im Übrigen sei<br />

das eine Frage, die man nicht beantworten<br />

könnte. Aber schließlich wurde ich<br />

doch ernannt. Meine "Schüler" sind in der<br />

überwiegenden Mehrzahl Brahmanen;<br />

aber es sind auch einige Christen <strong>und</strong><br />

Mohammedaner dazwischen. Die Mohammedaner<br />

sind eine Gesellschaft, mit<br />

der man nicht leicht fertig wird. Der eine<br />

ist ein Mr. Fossil, der sich zwar mit seinem<br />

roten Fes sehr schön ausmacht,<br />

aber sonst wirft er mir gern Knüppel zwischen<br />

die Beine. Das Tempo, das ich<br />

einschlug, war ihm zu fix, <strong>und</strong> beständig<br />

knurrte er. Der andere war einer, der etwa<br />

zwei Wochen nachgeklappert kam <strong>und</strong><br />

deshalb den Anschluss nicht erreichte. So<br />

suchte er mich in meinem Wigwam auf<br />

<strong>und</strong> wollte mich dazu zwingen, dass ich<br />

ihm helfen sollte. Schließlich erwischte er<br />

Lisa allein <strong>und</strong> sie bot ihm an, ihm zu helfen.<br />

Sie half ihm dann eine Woche lang<br />

abends. Da er kein Buch hatte, kam er<br />

immer <strong>und</strong> vertiefte sich in mein Buch.<br />

Wie ein Großkönig kam er angerückt,<br />

drehte in unserem Wohnzimmer den Fächer<br />

an, so dass es surrte, rückte sich<br />

den Tisch in die richtig« Beleuchtung, zog<br />

den Rock aus, krempelte die Ärmel hoch<br />

<strong>und</strong> fing an zu arbeiten. Aber seine Gipfelleistung<br />

vollbrachte er an einem der<br />

ersten Tage. Er wollte vom mir eine<br />

Grammatik haben. Ich besaß auch noch<br />

einige, aber der Geier wusste, wo sie war.<br />

Nachdem ich alles durchwühlt hatte, blieb<br />

nur die Möglichkeit, dass sie sich in einer<br />

der Kisten verkrochen hatten. Er tauchte<br />

auf, als ich gerade einmal im Bette lag<br />

{ein besonderes Ereignis, zum ersten<br />

Male seit Febr<strong>ua</strong>r 1926, aber auch bloß<br />

einen einzigen Tag). Er brachte zwei Kulis<br />

angeschleppt <strong>und</strong> bat Lisa, er wolle die<br />

Kisten durchsehen lassen. So gab es ein<br />

großes Rücken <strong>und</strong> Räumen, aber die<br />

boshaften Bücher fanden sich auch dort<br />

nicht; so rückte der Herr wieder ab <strong>und</strong><br />

hinterlie8 unbezahlt seine Kulis, die wir zu<br />

allem Überfluss auch noch bezahlen<br />

mussten, um sie nur wieder loszuwerden.<br />

Wir ließen uns dann nachher das Geld<br />

wiedergeben, aber es bedurfte erst ausdrücklichen<br />

Zuspruches. Jetzt ist er,<br />

nachdem er einige Zeit meine St<strong>und</strong>en<br />

besucht hatte, wieder verduftet. Komische<br />

Leute!<br />

Ich bin immer wieder erstaunt, wie hell die<br />

Inder sind. Sie lernen, wenn sie sich nur<br />

bisschen Mühe geben, fabelhaft rasch.<br />

So haben wir schnell Fortschritte machen<br />

können, so dass es einem richtig Spaß<br />

macht. Vorige Woche, gerade fünf Wochen<br />

seit Beginn des Unterrichtes, haben<br />

wir angefangen, das Johannes-<br />

Evangelium deutsch au lesen. Merkwürdiger<br />

Weise hat niemand dagegen Protest<br />

erhoben. Natürlich beschränke ich<br />

mich stramm auf das Sprachgeschichtliche.<br />

Keiner wird sich übertriebenen Hoffnungen<br />

hingeben, aber es mag sein,<br />

dass vielleicht doch der eine oder andere<br />

seine Freude an den Evangelien findet<br />

<strong>und</strong> so missionarisch ein wenig beeinflusst<br />

werden kann. Eine Anzahl <strong>von</strong> diesen<br />

Leuten will später nach Deutschland<br />

gehen. Da ist es mir sehr wertvoll, wenn<br />

ich sie persönlich kenne <strong>und</strong> etwas Einfluss<br />

auf sie gewinne. Ich kann ihnen<br />

dann raten, wie sie am besten in<br />

Deutschland unterkommen können <strong>und</strong>


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 23<br />

ihnen Adressen anweisen; dadurch kann<br />

man dafür sorgen, dass sie später in wirklich<br />

christlichen Familien kommen <strong>und</strong><br />

nicht unter die Räder geraten. Und wenn<br />

man in dieser Hinsicht etwas erreicht, tut<br />

man schon ein ganz gutes Stück Missionsarbeit.<br />

- Ich glaube, die Missionsleitung<br />

hat keinen Gr<strong>und</strong>, über diese Arbeit<br />

den Kopf au schütteln'; erstens kostet sie<br />

nicht viel Zeit - die Vorbereitung nimmt<br />

täglich nur wenige Minuten in Anspruch -,<br />

<strong>und</strong> zweitens glaube ich, dass dadurch<br />

auch ein klein wenig Missionsarbeit getan<br />

werden kann. Wie weit das wirklich der<br />

Fall sein kann, muss die Zeit lehren.<br />

Gestern hatten wir nun die feierliche Eröffnung<br />

des "Ihmels-Blockes" wie der<br />

Neubau auf unserem Fabrizius-<br />

Gr<strong>und</strong>stück heißt. D. Frölich hatte das<br />

Präsidium <strong>und</strong> thronte feierlich auf einem<br />

Podium, auf dem sogar ein Tisch mit einer<br />

Blumenvase stand. Die vier Zipfel der<br />

Decke waren vorsichtiger Weise an den<br />

vier Beinen festgeb<strong>und</strong>en. Es ist ein<br />

schöner, stolzer Bau. Ich hoffe ihn bald<br />

au photographieren, so dass Ihr Euch<br />

daran ergötzen könnt. 12.000 Rs hat die<br />

Sache gekostet. Leider reichte das Geld<br />

nicht aus, um außer den drei Räumen im<br />

R<strong>und</strong>brief vom 06.12.1928 aus Madras<br />

Ist es wirklich wahr, dass wir jetzt die<br />

Weihnachtszeit haben? Es gibt doch weder<br />

Schnee noch Kälte, <strong>und</strong> die Natur<br />

prangt in ihrem saftigsten Grün. Aber was<br />

soll man schließlich anders <strong>von</strong> der tropischen<br />

Natur erwarten. Wir sind schon<br />

froh, dass das Thermometer um ein paar<br />

Grad herunter gegangen ist <strong>und</strong> der Regen<br />

etwas Kühlung gebracht hat. Aber<br />

dass das Weihnachtsfest mit Riesenschritten<br />

naher kommt <strong>und</strong> dann mit ihm<br />

auch das Jahr 1929, will einem nur<br />

schwer in den Sinn. Nächste Woche sind<br />

es freilich schon 10 Monate, dass Lisa<br />

<strong>und</strong> ich unsere Hochzeit hatten. So fix<br />

rennt die Zeit. - Wir beide senden Euch<br />

allen zu Weihnachten <strong>und</strong> Neujahr unsere<br />

allerherzlichsten Grüße <strong>und</strong> wünschen<br />

Euch, das wir alle, wenn auch getrennt,<br />

so durch unsere Gedanken vereint, ein<br />

schönes stilles Fest feiern möchten, auch<br />

Hans in Afrika.<br />

Erdgeschoß auch noch drei <strong>von</strong> der gleichen<br />

Art im Obergeschoß zu bauen; es<br />

langte oben nur zu einem. Vor dem Neubau<br />

befanden sich in langen Reihen Bänke,<br />

auf denen die erschienenen Gäste<br />

Platz nahmen, vor allem viele <strong>von</strong> unserer<br />

Gemeinde, aber auch eine Reihe ehemaliger<br />

Schüler. Ansprachen, turnerische<br />

Vorführungen <strong>und</strong> Lieder wechselte miteinander<br />

ab. Um halb sechs, hatten wir<br />

angefangen, aber manche Anasrachen<br />

wuchsen sehr in die Länge. Der gute Asrvadam<br />

sprach volle 20 Minuten, sein Vater<br />

ist einst durch den Religionsunterricht<br />

der Schule zum Christentum bekehrt<br />

worden. Ich musste auch mit auftreten<br />

<strong>und</strong> freute mich, dass ich der Schule als<br />

Geschenk <strong>von</strong> jungen Fre<strong>und</strong>en in<br />

Deutschland ein schönes Bild <strong>von</strong> Jesus<br />

(Hofmann) überreichen konnte; da es<br />

schon duster geworden war, stellte sich<br />

jemand neben das Bild <strong>und</strong> hielt eine<br />

Lampe davor, damit es jedermann richtig<br />

sehen konnte. Zum Schluss eröffnete<br />

Onkel Frölich feierlich das neue Gebäude<br />

ein <strong>und</strong> lud alle zur näheren Besichtigung<br />

ein. Die große Jungenschar stürmte dann<br />

mit Jubel hinein. So sind wir wieder einen<br />

Schritt weitergekommen.<br />

Seit meinem letzten R<strong>und</strong>brief ist bereits<br />

wieder ein Vierteljahr verstrichen. Aber es<br />

gibt ja, wenn man sich in seine Arbeit<br />

hineingef<strong>und</strong>en hat, auch nicht mehr so<br />

viele Erlebnisse, die <strong>von</strong> besonderem<br />

Interesse sind. Aber ein paar Einzelheiten<br />

lassen sieh doch herausgreifen.<br />

Da steht natürlich an erster Stelle der<br />

Autokauf. Das war ein großes Ereignis.<br />

Aber ein fast noch größeres Ereignis ist<br />

es, solch ein Ding im Gange au haben.<br />

Es ist ein w<strong>und</strong>erschöner Kasten. Er läuft<br />

leise orgelnd wie Butter, oder er braust<br />

wie ein Sturmwind. Ein ganzes Gedicht<br />

könnte ich darüber schreiben, wenn mir<br />

nicht immer im entscheidenden Augenblick<br />

die Reime wegblieben. Innerhalb<br />

drei Wochen hatten wir vier "Drivers". Der<br />

erste wollte gern wieder zu seiner früheren<br />

Herrschaft zurück; er brachte mir die<br />

gröbsten Gr<strong>und</strong>begriffe bei. Der zweite,<br />

mit dem ich einen Kontrakt geschlossen<br />

hatte, kam überhaupt nie, so dass unser


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 24<br />

braver "Chrysler 50" w<strong>und</strong>erbar faulenzen<br />

<strong>und</strong> wir <strong>und</strong> die Beine ablaufen konnten.<br />

Der dritte quittierte innerhalb der ersten<br />

24 St<strong>und</strong>en den Dienst; aber darüber<br />

waren wir nicht sehr traurig, da er ein<br />

richtiger Taxi-Mensch war, der alles, was<br />

ihm in den Weg kam, kräftig ausschimpfte;<br />

<strong>und</strong> außerdem spuckte er, wenn er<br />

links im Wagen saß, links heraus, <strong>und</strong><br />

wenn er rechts saß, rechts heraus, <strong>und</strong><br />

da hatte man immer Angst um das Trittbrett.<br />

Der vierte scheint nun endlich ganz<br />

vernünftig zu sein, fährt vorsichtig, putzt<br />

tüchtig <strong>und</strong> ist pünktlich. Seine Mutter ist<br />

bis jetzt auch nur erst einmal gestorben,<br />

wodurch er zwei Tage Urlaub bekam, um<br />

dann plötzlich noch einen halben Tag<br />

länger wegzubleiben <strong>und</strong> uns, wie nachher<br />

ersichtlich werden wird, in der Tinte<br />

sitzen zu lassen.<br />

Mir lag <strong>und</strong> liegt es sehr am Herzen, das<br />

Autofahren zu lernen, was aber durchaus<br />

nicht so ganz einfach ist. Denn man hat ja<br />

allerlei immer gleichzeitig zu bedenken,<br />

<strong>und</strong> man wird im Anfang leicht nervös, bis<br />

man die Ruhe eines Bierkutschers kriegt.<br />

Ich fing damit an, dass ich mich in etwas<br />

Mein Ärger sind freilich oft die Polizisten.<br />

Sie wollen den Verkehr regeln, aber sie<br />

bringen sich doch bloß in Lebensgefahr,<br />

wenn sie sich so unvorsichtig mitten in den<br />

Weg stellen. Wenn man solch einen<br />

hochmützigen Hüter des Gesetzes anfährt,<br />

kriegt man, wie ich mir habe erzählen lassen,<br />

elende Schwierigkeiten ; es ist ja auch<br />

Chrysler 50<br />

Missionar Frölich <strong>und</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong><br />

stille <strong>und</strong> abgelegene Straßen fahren ließ<br />

<strong>und</strong> dort den Führersitz erkletterte. Da<br />

lernte ich abfahren, schneller fahren,<br />

bremsen usf. Dabei hatte ich alle Hände<br />

voll zu tun, um <strong>von</strong> allem einmal den unbeweglichen<br />

Gegenständen nicht Schaden<br />

zu tun, wie den Hausecken, Bäumen,<br />

Straßengräben. Die beweglichen Gegenstände<br />

bemühte ich mich durch heftiges<br />

Tuten zu vertreiben, was auch meist<br />

gelang; nur die fetten <strong>und</strong> mageren Kühe<br />

haben merkwürdig wenig Gefühl für die<br />

Notwendigkeiten eines Autoverkehres.<br />

Auch das Kurvennehmen ist so eine Sache,<br />

weil die Ecken ihrem Wesen nach<br />

weniger r<strong>und</strong> als eckig sind; aber wenn<br />

man scharf zielt, die Zähne zusammen<br />

beißt - bloß man darf die Augen nicht<br />

zukneifen - <strong>und</strong> die Geschwindigkeit herabsetzt,<br />

hat man Aussicht, richtig herumzukommen.<br />

Später wagte ich mich dann<br />

auch in ein wenig beliebtere Gebiete, in<br />

wirklichen Verkehr mit Basartrubel jedoch<br />

erst nach drei bis vier Wochen. Das ist<br />

manchmal mächtig aufregend <strong>und</strong> interessant.<br />

für solch einen Herrn sicher unangenehm,<br />

wenn er plötzlich Gelegenheit erhält, sich<br />

ein Auto <strong>von</strong> unten her anzusehen <strong>und</strong><br />

dabei Fettflecke auf seine Uniform zu kriegen.<br />

Ich bin stolz, dass ich bis jetzt noch<br />

niemandem ein Härchen gekrümmt habe,<br />

selbst nicht den verbiesterten H<strong>und</strong>en, die<br />

die Straßen <strong>von</strong> Madras allzu sehr fre-


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 25<br />

quentieren. Es ist aber auch anzuerkennen,<br />

dass das Publikum verständnisvoll ist;<br />

als ich einmal im Anfang etwas geschwind<br />

um eine Ecke wutschte, stand ein Mann<br />

gerade in der Schusslinie; ich fing gerade<br />

darüber nachzudenken an, was für Operationen<br />

ich auszuführen haben würde, um<br />

den Wagen zu verlangsamen<br />

oder gar zum Stillstanden bringen, als<br />

auch schon der Mann mit jähem Entschluss<br />

wie aus der Kanone geschossen<br />

zur Seite sprang; unmittelbar darauf hatte<br />

er Gelegenheit, unser Auto auch <strong>von</strong> hinten<br />

zu betrachten; auch <strong>von</strong> da aus sieht<br />

es sehr schön aus <strong>und</strong> ist mit einem Reservereifen<br />

geziert; nachts brennt dort, falls<br />

man nicht versäumt, den Strom einzuschalten,<br />

ein elektrisches Licht. Das war<br />

damals meine erste Fahrt in der Öffentlichkeit;<br />

Lisa <strong>und</strong> Schwester Else saßen hinten,<br />

der Driver neben mir. Die Damen unterhielten<br />

sich erst sehr schön, aber sie<br />

wurden <strong>von</strong> der Romantik des Fahrens so<br />

ergriffen, dass sie schließlich ganz verstummten<br />

<strong>und</strong> voll gespannter Aufmerksamkeit<br />

alle Vorgänge verfolgten. Sie waren<br />

nachher ganz erschöpft; im Geiste hatten<br />

sie eben immer mitgelenkt, <strong>und</strong> da sie<br />

ja beide nicht fahren können, kamen sie<br />

dabei in 1000 Schwierigkeiten, ich war da<br />

schon ein bisschen weitet <strong>und</strong> schon in die<br />

Anfangsgründe eingedrungen; infolgedessen<br />

war ich dann auch nicht ganz so erschöpft.<br />

- Leider empfindet es Lisa immer<br />

noch als Angstpartie, wenn ich sie spazieren<br />

fahre, obwohl meine Fortschritte rapide<br />

sind. Aber das wird sich schon noch geben.<br />

Zur Universität fahre ich jetzt stets<br />

eigenhändig, wenn auch der Driver noch<br />

neben mir sitzt. - Eines Abends bin ich<br />

sogar ohne Driver mit Lisa losgefahren;<br />

das war vor gut acht Tagen, als der Driver<br />

wegen des Todes seiner Mutter Urlaub<br />

hatte. Wir waren abends bei Dr. L. P. Larsen,<br />

dem Dänen, der die Bibelrevision der<br />

Tamulischen Bibel ausführt, eingeladen;<br />

das ist mehr als fünf Kilometer weit entfernt,<br />

<strong>und</strong> es waren nur noch 20 Minuten<br />

<strong>und</strong> der Driver kam nicht.<br />

Die Fahrt ging auch tadellos. Erst abends<br />

um elf Uhr zerstreuten sich die Gäste, <strong>und</strong><br />

wir bestiegen auch unser Auto <strong>und</strong> wollten<br />

abfahren. Die anderen waren schon längst<br />

fort, aber unser Fuhrwerk wollte sich partout<br />

nicht in Bewegung setzen. Der Motor<br />

sprang w<strong>und</strong>ervoll an, aber sobald ich die<br />

Bewegungen ausführte, die den Wagen<br />

zum Losfahren hätten bewegen sollen,<br />

schnappte der Motor japsend ab. Ich betrachtete<br />

kritisch die Benzinzufuhr, aber<br />

nichts Bedenkliches war zu erspähen. Lisa<br />

rückte auf dem Sitze herum, Herr <strong>und</strong> Frau<br />

Dr. Larsen schüttelten teilnahmsvoll ihre<br />

Köpfe, <strong>und</strong> sie erbot sich sogar, den Wagen<br />

zunächst etwas zu schieben; vielleicht<br />

hülfe das. Das war ja natürlich fast zu viel<br />

des Helfenwollens. Rrrrrr -Tscha; Rrrrrr -<br />

Tscha. Hochinteressant! Aber es war<br />

schließlich doch nur für wenige Minuten.<br />

Da durchzuckte mich eine Erleuchtung -<br />

jawohl, die Bremse war noch angezogen.<br />

Larsens platzten heraus, ein Ruck, <strong>und</strong><br />

unser Wagen schoss da<strong>von</strong>, den heimatlichen<br />

Gefilden zu. - Was man doch so alles<br />

erleben kann!<br />

Anfang voriger Woche fand die Hochzeit<br />

<strong>von</strong> Kanschatt statt. Er wohnte bei Frölichs,<br />

sie bei Sandegrens. Beide waren<br />

sehr erfreut, dass sie bei ihren vielen Besorgungen<br />

das Auto mit benutzen konnten.<br />

Auch an den Strand fuhren sie gegen Abend<br />

zweimal; was sie dort eigentlich wollten,<br />

weiß ich nicht; denn in dem Sand<br />

kriegt man bloß Sand in die Schuhe, <strong>und</strong><br />

das Wasser ist nass. Und die Betrachtung<br />

des Mondes überlässt man doch als gebildeter<br />

Abendländer lieber den melancholischen<br />

Wauwaus. - An einem Abend waren<br />

sie auch bei uns zum Abendessen. Nachher<br />

verbannten wir beide auf die einsame<br />

obere Veranda. Denn Brautpaare haben<br />

eben kurioser Weise eine besondere Vorliebe<br />

für einsame Örter. Wenn ich scharf<br />

nachdenke, ist mir so, als hätte ich auch<br />

ähnliche Gefühle gehabt, als ich noch jung<br />

<strong>und</strong> unverheiratet war, <strong>und</strong>, wenn ich mich<br />

nicht irre, Lisa desselbigen gleichen.<br />

Nachdem sich die beiden zwei St<strong>und</strong>en<br />

dort aufgehalten hatten, warfen wir sie aus<br />

dem Hause.<br />

Am Tage vor der Hochzeit, am 26. November,<br />

hatte das Brautpaar eine große<br />

Teegesellschaft; alle Gemeindeälteste<br />

samt Familien <strong>und</strong> die theologischen Studenten<br />

waren eingeladen <strong>und</strong> wurden abgefüttert;<br />

wir auch. Am Abend nach sechs<br />

Uhr ereignete sich etwas sehr Graziöses,<br />

beinahe Feenhaftes: Da kamen unsere<br />

Kostschulmädels im Gänsemarsch an,<br />

jedes in der Hand einen roten Lampion.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 26<br />

Sie stellten sich vor dem Hause auf in Gestalt<br />

eines A + W, <strong>und</strong> dann hörten sie mit<br />

ihrem tamulischen Liede auf. Zwei Abgesandte<br />

traten vor <strong>und</strong> überreichten unter<br />

Glückwünschen Kränze <strong>und</strong> Früchte, <strong>und</strong><br />

alsbald setzten die beiden Buchstaben in<br />

w<strong>und</strong>erbarer Harmonie ein: "Hoch sollen<br />

sie leben, hoch sollen sie leben, dreimal<br />

hoch!", <strong>und</strong> jedes Mal wurden behutsam<br />

die Lampions geschwenkt. Dann verwandelten<br />

sich die Buchstaben in einen Halbkreis,<br />

vor dessen Öffnung einige Mädels,<br />

acht an Zahl, Singspiele aufführten, dass<br />

die Zöpfchen sausten. Und flugs formte<br />

sich die Geschichte wieder zu einer langen<br />

Schlange <strong>und</strong> zog singend <strong>von</strong> dannen.<br />

Die Sache hat ganz famos geklappt; Lisa<br />

hatte aber auch tüchtig mit den Blagen<br />

geübt, sogar am Tag vorher an Ort <strong>und</strong><br />

Stelle alles durchgeprobt.<br />

Am nächsten Tage hatten wir Hochbetrieb,<br />

unser Auto erhielt eine schmucke Girlande,<br />

<strong>und</strong> die Kirche wurde geschmückt. Die<br />

Trauung fand um halb fünf statt. Leider<br />

waren <strong>von</strong> uns Deutschen außer dem<br />

Madrassern nur die Hellers gekommen,<br />

mit Kind <strong>und</strong> Kegel, bei uns mächtigen<br />

Betrieb verursachend; <strong>von</strong> den auswärtigen<br />

Schweden, waren nur noch drei Damen<br />

erschienen. So war es eine verhältnismäßig<br />

kleine, schlichte Hochzeit mit<br />

etwa einem Dutzend Teilnehmern. Sandegren<br />

hielt die Tra<strong>ua</strong>nsprache, leider<br />

recht allgemein <strong>und</strong> wenig besagend. Hinterher<br />

wurden wir geknipst, <strong>und</strong> dann fuhr<br />

unser Auto die ganze Gesellschaft in vier<br />

Fuhren zu Sandegrens. Das Abendessen<br />

war sehr schön, <strong>und</strong> auch die Reden fehlten<br />

nicht, die aber nicht durchweg sehr auf<br />

der Höhe waren, erstens weil die Redner<br />

alle sitzen blieben, <strong>und</strong> zweitens, weil der<br />

Inhalt manchmal etwas schwach war.<br />

Dann wurde die Tafel aufgehoben, <strong>und</strong> das<br />

Brautpaar wechselte Hals über Kopf seine<br />

Gewänder <strong>und</strong> stieg in das Auto <strong>und</strong> sauste<br />

knatternd <strong>von</strong> dannen nach dem Egmore-Bahnhof.<br />

Dann saßen wir noch eine<br />

Weile zusammen <strong>und</strong> knatterten dann mit<br />

Hellers nach unserem Wigwam. Kanschatts<br />

(wie das klingt!) haben jetzt Urlaub<br />

<strong>und</strong> sind in Kodi. Hoffentlich erkälten sie<br />

sich da nicht, wenn sie sich da wieder an<br />

verborgene Örter setzen; denn es soll da<br />

jetzt ziemlich kühl sein.<br />

Kürzlich haben wir die fatale Entdeckung<br />

gemacht, dass Diebe bei uns gewesen<br />

sind <strong>und</strong> uns Sachen geklammert haben;<br />

das ist ein scheußliches Gefühl. Als wir am<br />

Sonntag aus dem Abendmahlsgottesdienst<br />

kamen, sagte uns der Boy, ein Junge sei<br />

die Treppe heruntergekommen, die <strong>von</strong><br />

hinten zu unserem Obergeschoß führt. Er<br />

habe gesagt, er hätte nach einem Drachen<br />

gefahndet, der sich dort verheddert hätte.<br />

Damit verschwand er. Nachher stellte sich<br />

jedoch heraus, dass der freche Kerl unsere<br />

Schubfächer durchwühlt hatte. Aber er<br />

hatte glücklicher Weise nichts mitgenommen<br />

außer einigen Annas, die in meinem<br />

Schreibtischauszug steckten. Und dann<br />

schliefen wir Dienstagmittag oben in unserem<br />

Zimmer für eine kleine Weile, <strong>und</strong><br />

während dieser Zeit schlich sich wieder<br />

jemand, vielleicht der gleiche Jüngling bei<br />

uns ins Haus; die eine der Türen war wohl<br />

nur angelehnt, er ging ins Treppenhaus<br />

<strong>und</strong> stahl mir aus meiner Rocktasche Rs.<br />

7/7/6. So ein Haderlump! Aus dem gleichen<br />

Tischauszug entschwand wieder etwas<br />

Kleingeld samt Marken. Das war uns<br />

denn doch schließlich etwas gegen den<br />

Spaß. Wir halten jetzt künftig das Haus<br />

sehr unter Verschluss, <strong>und</strong> das Geld darf<br />

sich nie außerhalb des eisernen Geldsehrankes<br />

herumtreiben. Das Geld, das man<br />

so nötig hat, auf solch alberne Weise zu<br />

verlieren, kann einen wirklich ärgern; dabei<br />

sind wir sogar noch vorsichtiger gewesen<br />

als Fräulein Karlmark. dass nicht immer<br />

alles mit richtigen Dingen zuging, war uns<br />

schon öfter aufgefallen, aber wir konnten<br />

es nie richtig herauskriegen; bloß dies Mal<br />

hatten wir gerade vorher abgerechnet <strong>und</strong><br />

wußten deshalb genau Bescheid. Über<br />

unsere Dienerschaft können wir glücklicher<br />

Weise sicher sein, denn sie sind alle zuverlässig.<br />

Wo wir eben so dicht an der Basarstrasse<br />

wohnen, ist man nie sicher, wer<br />

alles sich in das Haus hineinstiehlt <strong>und</strong><br />

einem etwas maust.<br />

Lisa sitzt jetzt stets sehr über dem Tamulisch,<br />

seit sie den neuen Munschi hat,<br />

macht ihr die Sache auch etwas Freude;<br />

der Trouble ist bloß, dass es für sie schwer<br />

ist, die Zeit herauszuschlagen; wenn es<br />

nach dem Munschi ginge, könnte Lisa den<br />

ganzen Tag hinter den Büchern sitzen. Wo<br />

wir jedoch so oft Gäste haben, ist es nicht<br />

leicht. Und dazu kommt die Fürsorge für


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 27<br />

die Boarding, den Haushalt <strong>und</strong> so Manches<br />

andere. Für die Auswärtigen müssen<br />

wir ja auch öfter Besorgungen machen. So<br />

ist es oft nicht anders möglich, als dass<br />

Lisa sich abends nach dem Abendessen<br />

über das Tamulisch macht, wo man eigentlich<br />

gern noch etwas gemütlich zusammen<br />

sitzen würde. Aber die Arbeit geht ja natürlich<br />

vor. Die Hauptsache ist ja dann bloß,<br />

dass es abends nicht gar so spät wird. Es<br />

ist nicht leicht für Lisa, dass sie dies alles<br />

um die Ohren hat, <strong>und</strong> man möchte ihr<br />

wirklich oft etwas mehr Frieden gönnen.<br />

Aber das ist schwierig in einem Missionshaushalt.<br />

Bei all diesen Sachen kommt es natürlich<br />

noch mehr, dass man nicht viel <strong>von</strong> der<br />

Weihnachtszeit merkt. Aber auf der anderen<br />

Seite kommt einem dadurch immer<br />

mehr zum Bewusstsein, dass es sich ja zu<br />

Weihnachten eigentlich um andere Dinge<br />

handelt als gerade um schöne Stimmung<br />

<strong>und</strong> dergl., so sehr man sich auch darnach<br />

sehnt.<br />

In der Boarding haben wir jetzt nicht mehr<br />

ganz so viel Krankheit gehabt wie im vorhergehenden<br />

Vierteljahr. Aber dafür herrschen<br />

jetzt umso mehr Erkältungskrankheiten.<br />

Wir mussten dort jetzt für etwa 15<br />

Mark Reparaturen ausführen lassen, weil<br />

sich Ratten ganze Gänge unter dem Krankenzimmer<br />

ausgebuddelt hatten <strong>und</strong> an<br />

einer anderen Stelle der Regen durchkam.<br />

Die Mädels waren eine Zeitlang recht unbändig,<br />

da die eine der beiden Lehrerinnen<br />

verheiratet ist <strong>und</strong> die übrig Gebliebene ein<br />

etwas unvollkommenes Wesen ist. Auch<br />

die Hausmutter, die Matrin, kommt nicht<br />

durch. So haben wir jetzt das Familienwesen,<br />

alias Riegensystem eingeführt, wie es<br />

ja beispielsweise in Marienberg im Kloster<br />

existiert. Das sind bis jetzt erst zwei Wochen,<br />

<strong>und</strong> man kann noch nichts über das<br />

Resultat sagen. Aber der Anfang ist verheißungsvoll.<br />

Der Reading-Room ist noch nicht eröffnet,<br />

weil sich allerlei Schwierigkeiten ergaben,<br />

die aber hoffentlich bald behoben sein<br />

werden.<br />

Zu Weihnachten bleiben wir hier. Wir erwarten<br />

dann zwei bis drei der deutschen<br />

Delegierten als unsere Gäste zur Maisur-<br />

Studentenweltkonferenz. Die Leipziger<br />

Missionarskonferenz, die für den 8. Jan<strong>ua</strong>r<br />

vorgesehen war, wird wahrscheinlich noch<br />

etwas herausgeschoben. - Beim Deutschunterricht<br />

haben wir jetzt Storms "Immensee"<br />

gut halb durchschwommen.<br />

Lisa <strong>und</strong> ich senden Euch allen, die Ihr<br />

diese Zeilen in die Hand bekommt, unsere<br />

herzlichsten Grüße. Nehmt dies als handschriftlichen<br />

Gruß. Wir haben noch arg viel<br />

zu tun.<br />

Brief an die Mütter <strong>und</strong> Tante Anna vom 28.03.1929 aus Madras<br />

Vorhin habe ich das Telegramm mit dar<br />

frohen Botschaft nach Deutschland abgesandt.<br />

Wir sind ja so froh <strong>und</strong> dankbar,<br />

dass alles so gut <strong>und</strong> verhältnismäßig<br />

schnell abgegangen ist. Eigentlich ist es<br />

uns jetzt sehr überraschend gekommen.<br />

Lisa fühlte sich zwar seit Anfang voriger<br />

Woche etwas unbeholfen, <strong>und</strong> war nicht<br />

immer sehr wohl, so dass sie letzten Sonntag<br />

länger im Bette liegen blieb. Dann hatte<br />

sie in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch<br />

wenig Schlaf <strong>und</strong> dann <strong>von</strong> morgens<br />

6 Uhr ab periodisch wiederkehrende<br />

Schmerzen, so dass wir energischen Verdacht<br />

schöpften. Um jedoch keinen blinden<br />

Alarm zu geben, warteten wir bis zum<br />

Nachmittag. Dann fuhr ich schnell zu Dr.<br />

McNeil ins Hospital <strong>und</strong> erfuhr zu meiner<br />

Freude, dass ihr Zimmer frei sei. Dr.<br />

McNeil kam gleich in meinem Auto mit<br />

hierher <strong>und</strong> stellte fest, dass wir recht hatten.<br />

Sie nahm gleich Lisa mit ins Hospital,<br />

wo dann abends 11:25 Uhr unser Töchterlein<br />

das Licht des Welt erblickte. Es ist<br />

alles gut verlaufen. Das Kind wiegt etwa<br />

3000 g. Für mich war es ja ein zweifelhaftes<br />

Vergnügen, zu Hause zuhocken. Zu<br />

allem Überfluss hatte ich heute früh um<br />

acht Uhr Gottesdienst mit Predigt <strong>und</strong> Abendmahl.<br />

Die Predigt war bei aller Wirtschaft<br />

erst viertel fertig, <strong>und</strong> ich konnte nun<br />

bei dem lieblichen Vollmondlicht des lauen<br />

Abends mich in Selbstkonzentrierung üben.<br />

Ich war so müde, dass ich wirklich<br />

schlief. Um vier war ich wieder wach <strong>und</strong><br />

stand dann bald auf. Gleich nach sechs<br />

war ich im Hospital mit dem Auto, wo ich<br />

nun die frohe Botschaft <strong>von</strong> den Ereignis-


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 28<br />

sen der Nacht erhielt. Man hatte an eine<br />

Apotheke in der Nähe <strong>von</strong> uns telegraphiert<br />

um Mitternacht, aber die Gesellschaft<br />

hatte nichts ausgerichtet. Lisa war<br />

recht erledigt, da sie keinen Schlaf gef<strong>und</strong>en<br />

hatte, war aber sonst ganz munter <strong>und</strong><br />

glücklich. Der kleine Ankömmling hatte<br />

st<strong>und</strong>enlang gebrüllt, so dass sie kein Auge<br />

zugetan hatte. Aber jetzt schlief das<br />

kleine Ungetüm sehr süß. Lisa sagte, es<br />

hätte blaue Augen. Die Haare waren blond.<br />

Das Gesicht ist r<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> erklärlicherweise<br />

etwas vergrämt. Aber sonst kann<br />

man wenig darüber sagen. Jedenfalls<br />

scheint es nicht meine Nase zu haben,<br />

denn sonst müsste eine Rille vorn auf der<br />

Spitze sein. Das Schädelchen geht ein<br />

bisschen nach hinten in die Höhe. Hoffentlich<br />

ist meine Filia heute Nachmittag mal<br />

bei Bewusstsein, dass man sie mal richtig<br />

betrachten kann.<br />

Wir sind so froh, dass sich die Sache auf<br />

diese Weise so schön gelöst hat. Die Trennung<br />

mit Kodi wäre doch nicht sehr schön.<br />

Es ist nur gut, dass es schon jetzt <strong>und</strong><br />

nicht erst während der Reise passiert ist.<br />

So haben wir also mit unserer eignen<br />

Rechnung gegenüber der Ärztin recht behalten.<br />

Als ich dann um halb acht wieder heimkam,<br />

drängten sich unsere Boarding-<br />

Mädels mächtig neugierig vor der Tür zusammen.<br />

Das Jubelgeschrei, dass es ein<br />

Mägdelein sei! Sonst imponiert es ja den<br />

Indern nicht sonderlich, wenn ein Mädel<br />

geboren wird. Jedenfalls ist es für uns<br />

<strong>Gäbler</strong>s, die so reichlich mit Jungens versorgt<br />

sind, etwas sehr Schönes, dass nun<br />

das weibliche Element energischer auf den<br />

Plan tritt. Jedenfalls hat mir Lisa gleich<br />

heute früh erklärt, dass sie nun zu zweit<br />

mir gegenübertreten könnte.<br />

Wir können Euch ja gar nicht sagen, wie<br />

glücklich wir sind <strong>und</strong> wie froh, dass es<br />

alles so gut abgegangen ist. Heute ist es<br />

gerade ein Jahr - Gründonnerstag -, dass<br />

Lisa ins gleiche Zimmer zog. Wie schön ist<br />

nun inzwischen alles geworden!<br />

.Wir grüßen Euch treulich in aller Liebe.<br />

Das erste Enkelkind! - Ich muss schnell<br />

schließen, da auch noch eine Predigt für<br />

morgen vorbereitet werden muss.<br />

Brief an die Mütter <strong>und</strong> Tante Anna vom 04.04.1929 aus Madras<br />

Gestern hat unser Töchterlein seinen einwöchigen<br />

Geburtstag begann, <strong>und</strong> Ihr werdet<br />

gewiss begierig sein, Näheres über<br />

sein Ergehen zu hören. Arg viel gibt es ja<br />

naturgemäß nicht zu beschreiben, da solch<br />

ein Geschöpf noch nicht über übermäßig<br />

viel Individ<strong>ua</strong>lität verfügt. Ich habe nun<br />

inzwischen meine Filia wiederholt auch im<br />

Wachzustande betrachten können. Sie<br />

verfügt über ziemlich spärlichen Haarwuchs,<br />

einen mächtigen Hinterkopf, zwei<br />

dunkelblaue Äuglein <strong>und</strong> volle r<strong>und</strong>e Backen.<br />

Das Profil ist sehr ihrem Großvater<br />

<strong>Paul</strong> ähnlich. Auf alle Fälle ist die Nase<br />

mehr paulisch. Die Finger <strong>und</strong> Zehen<br />

scheinen dagegen mehr auf ihren Vater<br />

hinzuweisen.<br />

Nachdem sie irden ersten Tagen vorschriftsmäßig<br />

abgenommen hat, ist sie<br />

jetzt wieder im Zunehmen begriffen. Den<br />

Tag über pflegt sie vorwiegend zu schlafen,<br />

während sie nachts öfter mal Schreiübungen<br />

veranstaltet. Ihr Schreien habe<br />

ich auch mehrfach gehört. Es ist noch nicht<br />

ganz so schön wie das Schlagen der<br />

Nachtigall, aber vielleicht macht sich das<br />

später noch; jedenfalls finde ich die Stimme<br />

sehr angenehm, während Lisa behauptet,<br />

nachts fände sie es nicht immer angenehm;<br />

sie hat sich wohl schon zu sehr daran<br />

gewöhnt. Lisa hat leider nicht arg viel<br />

schlafen können, weil es manchmal recht<br />

unruhig im Hospital ist; da kommt alle Naselang<br />

ein neues Lebewesen an. Hoffentlich<br />

gewöhnt sich auch unser Döchting<br />

recht bald noch an, nachts stille zu sein.<br />

Da die Nurses im Krankenhaus sehr beschäftigt<br />

sind, wurde uns dort eine Ayah<br />

verschafft, die, wie sich Lisa ausdrückte,<br />

ein richtiges "Trampeltier" ist. Sie ist<br />

furchtbar dumm. Wenn Dummheit wehtäte<br />

- wie müsste sie da schreien! So benutzt<br />

sie Lisa einzig als Bimmel, d.h. wenn etwas<br />

los ist, muss sie los <strong>und</strong> die Nurse<br />

holen; sie holt auch das Essen. Aber an<br />

das Kind lässt Lisa sie lieber nicht heran,<br />

wenn sie auch ganz ordentlich ist. Eine<br />

Eigenschaft <strong>von</strong> ihr, die uns immer ärgert,<br />

ist die, dass sie, trotzdem wir es ihr schon<br />

mehrfach verboten haben, den Korb, in


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 29<br />

dem unser Sprössling liegt, zu schuckeln<br />

anfängt, sobald die kleine Majestät zu brüllen<br />

anfängt. Die Folge ist, dass die Kleine<br />

jetzt schon öfter bloß brüllt, um geschuckelt<br />

zu werden. Na, wenn wir im eigenen<br />

Gedinge sind, sind wir unsere Herren, <strong>und</strong><br />

dann wird getan, was wir wollen. Die zwei<br />

bis drei Wochen, die wir noch hier sein<br />

werden, wollen wir uns ohne Ayah behelfen.<br />

Wenn wir nachher nach Kodi übersiedeln,<br />

finden wir dort die Ayah <strong>von</strong> Alms<br />

vor, der der Ruf voraufgeht, dass sie tüchtig<br />

ist. Alms gehen jetzt im April nach<br />

Schweden. - Lisa wird jetzt, seit Dr. McNeil<br />

nach Kodi gegangen ist, <strong>von</strong> einer Dr.<br />

Smith behandelt, die tüchtig, aber etwas<br />

Lisa <strong>und</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 1935<br />

eigenartig zu sein scheint. Die beste Zeit<br />

für Krankenbesuche ist doch sicher nicht<br />

gerade abends um zehn Uhr. Wann Lisa<br />

nach Hause zurückkehrt, wissen wir im<br />

Augenblick noch nicht; wir denken, es wird<br />

übermorgen der Fall sein. Es hat sich weiter<br />

alles normal entwickelt. Wir freuen uns<br />

sehr, dass es auch mit der Milch klappt.<br />

Die Engländerinnen sagen <strong>von</strong> dem kleinen<br />

Wesen: "She is an extremely good<br />

sucker". - Wir sind so froh <strong>und</strong> dankbar,<br />

dass alles so gut gegangen ist. Wie schön<br />

wäre es, wenn Ihr hier sein <strong>und</strong> Euch mit<br />

uns an unserem lieben Ostergeschenk<br />

freuen könntet.<br />

<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> Martin Witte an seine Braut Hanna Witte 1933 bis 1935<br />

02.10.1933<br />

Du ich habe mich gefreut! Der Brief <strong>von</strong><br />

Frau Miss. <strong>Gäbler</strong> junior war so nett <strong>und</strong><br />

fein <strong>und</strong> nüchtern! Die schreibt da über<br />

Braut- <strong>und</strong> Ehestand in Indien. Sie habe<br />

sehr darunter gelitten, dass sei schon nach<br />

zehn Tagen, nachdem sie in Colombo angekommen<br />

sei, geheiratet habe, nach weiteren<br />

acht Monaten eine Fehlgeburt hatte<br />

u. bei alldem kein Tamulisch gelernt habe.<br />

Erst durch ihre Kinder habe sie etwas Tamil,<br />

gelernt. Sie äußert sich dann sehr fein<br />

darüber, dass es gut sei, wenn die Bräute<br />

nicht erst nach zwei Jahren kommen u.<br />

dann gleich heiraten, sondern schon mindestens<br />

½ Jahr früher kommen sollten, um<br />

sich in Klima, Sprache, Land einzuleben<br />

<strong>und</strong> dann heiraten. Sie fügt allerdings hinzu,<br />

dass das Warten für manche Männer<br />

wegen des Klimas allzu schwer sei. Aber<br />

man sollte doch wenigstens es so machen,<br />

dass die Braut eine gewisse Zeit vor dem<br />

ausgemachten Heiratstermin nach Indien<br />

könne. Also, wie gesagt, ihre Gedanken u.<br />

die Art, wie sie das schreibt, gefallen mir.<br />

Es wäre ja wirklich fein, wenn wir uns später<br />

nicht nur mit <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong>, sondern auch<br />

mit „ihr" gut vertragen könnten. Hoffentlich


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 30<br />

teilt Frau Missionar <strong>Gäbler</strong> jun. ihre Ansichten<br />

mal einigen maßgebenden Leuten in<br />

Leipzig mit, <strong>von</strong> wegen dass die Bräute<br />

lieber schon ein halbes Jahr vorher raus<br />

sollten.<br />

13.03.34<br />

Zu dem, was ich Dir neulich erzählte,<br />

will ich heute noch den Schluss hinzufügen.<br />

Nämlich: die theologische Lage<br />

unter den Missionaren. Die Schweden<br />

wollen Union - das hieße - keine geschlossene<br />

lutherische Kirche, das<br />

schrieb ich wohl schon. Dagegen wird<br />

Leipzig nicht anders können <strong>und</strong> wollen<br />

als: "lutherische Volkskirche indischer<br />

Eigenart". Das mache ich alles gern<br />

mit. Aber ganz verheerend ist es nun,<br />

dass mit Ausnahme <strong>von</strong> Frölich - der<br />

aber bald in den Ruhestand tritt - <strong>und</strong><br />

Heller - der zwar Missionar, aber kein<br />

"Theologe", sondern "Bauer" ist (Pandur!),<br />

eher kein großes Licht trotz seiner<br />

praktischen Verdienste (die in allen<br />

Ehren!) - also mit Ausnahme <strong>von</strong> den<br />

beiden - unter den Missionaren eine<br />

verrostete, negativistisch-kritisch eingestellte<br />

Orthodoxie herrscht Hauptvertreter:<br />

Lehmann, Röver, Gräfe. Ich<br />

muss sagen, die Leute fangen an,<br />

theologisch für mich unmöglich zu werden.<br />

Sie sprechen z. B. ohne weiteres<br />

Gliedern der englischen Wesleyachurch<br />

etc. das Christentum einfach<br />

ab. Das ist mir ein Unding. Walter neigt<br />

auch etwas dahin, zum Glück ist er aber<br />

durch die Enttäuschung über Lehmanns<br />

Charakter an der Klicke irre geworden<br />

<strong>und</strong> hat sich theologisch auch<br />

etwas geweitet. Wenn <strong>Gäbler</strong> nicht wieder<br />

kommt, dagegen aber Lehmann -<br />

dann ist's Essig. Ich hoffe das Gegenteil:<br />

dass <strong>Gäbler</strong> kommt <strong>und</strong> Lehmann<br />

nicht kommt. Dann kann alles gut werden.<br />

Vor Lehmann habe ich nicht die<br />

geringste Achtung gewonnen, obwohl<br />

ich mir viel Mühe gegeben habe.<br />

16.08.34<br />

Ob <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> schon Anfang nach<br />

Indien kommen kann, scheint noch unsicher<br />

zu sein. Sein Magenleiden (Ma-<br />

gen-Senkung) ist wohl doch schlimmer,<br />

als es anfangs aussah. Es wäre ein<br />

Jammer, wenn er nicht wiederkommen<br />

kann.<br />

10.01.1935<br />

Viel mehr Bedeutung misst man Deiner<br />

K<strong>und</strong>e bei, dass <strong>Gäbler</strong> vielleicht über<br />

Schweden kommt; d.h. doch offenbar,<br />

dass er auch hier <strong>von</strong> den Schweden sein<br />

Gehalt kriegt. Man sieht dem allerdings<br />

hier nur mit geteilten Gefühlen entgegen;<br />

denn was wird dann aus uns anderen Missionaren?<br />

Die Schweden haben uns hier<br />

gesagt, dass sie uns nicht aufnehmen <strong>und</strong><br />

besolden können. Und <strong>Gäbler</strong> würde dann<br />

schließlich gar kein richtiger Leipziger sein;<br />

darauf käme aber gerade sehr viel an, um<br />

zu überwintern, dass wirklich die Leipziger<br />

Mission das bleibt was sie ist. Sonst hätte<br />

es ja keinen Sinn überhaupt hier zu sein.<br />

23.02.1935<br />

Das <strong>Gäbler</strong>schiff fährt ab Bremen am<br />

10.05.<br />

08.05.1935<br />

Die "Scharnhorst" (mit der jetzt <strong>Gäbler</strong>s<br />

fahren!) fährt schon wieder am 09.08. <strong>von</strong><br />

Bremen ab <strong>und</strong> ist am 31.08. in Colombo!<br />

15.05.1935<br />

Schnelldampfer sind sehr begehrt <strong>und</strong><br />

Plätze müssen schon sehr zeitig bestellt<br />

werden. <strong>Gäbler</strong>s bestellten ihre Plätze bereits<br />

Anfang Febr<strong>ua</strong>r!<br />

02.06.1935<br />

Denke Dir, Frau Kannegießer schrieb aus<br />

Kodai an Karli einen ausführlichen Brief,<br />

u.a. auch über das, was <strong>Gäbler</strong> ihnen erzählt<br />

hatte, der erst am Sonnabend dort<br />

ankam. <strong>Gäbler</strong>, der durchaus nicht als<br />

Pessimist bekannt ist, hat sehr ernst über<br />

die Missionslage gesprochen! Es stünde<br />

ganz schlimm <strong>und</strong> im Herbst würde die<br />

Lage ernster, als sie je vorher gewesen<br />

sei! Du erinnerst Dich, dass ich Dir schon<br />

früher schrieb, dass ja diese neue Devisenregelung<br />

nur für sechs Monate mit den<br />

Missionsgesellschaften beschlossen ist;<br />

<strong>und</strong> diese sechs Monate sind im Oktober<br />

abgelaufen!) <strong>Gäbler</strong> hat denn auch gewünscht,<br />

wenn wir Frau Kannegießers<br />

Brief recht verstehen, dass er sein Gehalt<br />

lieber <strong>von</strong> den Schweden nehmen würde,


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 31<br />

<strong>und</strong> nicht <strong>von</strong> Leipzig, wie es der Missionsrat<br />

eigentlich auf alle Fälle durchsetzen<br />

wollte, damit wir nicht nachher große<br />

Schulden an die Schweden nachzahlen<br />

der schwedische Missionar hat das Doppelte<br />

vom Gehalt eines Deutschen! Aus<br />

dieser Tatsache sieht man also, dass<br />

<strong>Gäbler</strong> die Lage wirklich sehr ernst ansieht.<br />

05.06.1935<br />

Die "Scharnhorst" ist noch nicht angekommen;<br />

vielmehr kam <strong>von</strong> <strong>Gäbler</strong> ein<br />

Telegramm: "Kesselschaden indischer<br />

Ozean, mindestens zehn Tage Verspätung".<br />

Das ist natürlich ein furchtbares<br />

Pech für die deutsche Schifffahrt!<br />

Scharnhorst<br />

Brief an Lore <strong>und</strong> Ulrike vom 04.09.1939<br />

Ich kam nach Tritchy am Freitag <strong>und</strong> packte<br />

meine Sachen, weil es schien, dass<br />

Krieg ausbrechen würde. Fräulein Langloh<br />

hat Euch wahrscheinlich erzählt, dass jetzt<br />

Krieg ist zwischen England <strong>und</strong> Deutschland.<br />

Heute muss ich nach Thomasmount,<br />

wo ich interniert werde. Es war eine so<br />

Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> Mai 1939 bis März 1940<br />

müssen. Es wird ja für <strong>Gäbler</strong> keine leichte<br />

Frage sein, ob er das Gehalt eines schwedischen<br />

Missionars oder eines deutschen<br />

beziehen will;<br />

11.06.1935<br />

Heute kam ein Telegramm, dass die<br />

"Scharnhorst" heute in Colombo angekommen<br />

sei, also volle 12 Tage Verspätung.<br />

26.06. 1935<br />

Die "Scharnhorst"-Fahrt ist ein furchtbarer<br />

Reinfall gewesen! Wie <strong>Gäbler</strong> erzählte, sei<br />

das Schiff noch völlig unfertig gewesen<br />

<strong>und</strong> voller Fehler; eine Panne nach der<br />

anderen!<br />

schöne Zeit, welche wir in Kodaikanal zusammen<br />

hatten <strong>und</strong> ich werde lange daran<br />

denken. Ich weiß nicht, wann <strong>und</strong> wo wir<br />

uns wieder treffen werden. Seid liebe Kinder<br />

<strong>und</strong> betet, dass wir bald wieder Frieden<br />

haben werden.<br />

03.05.39 Mutti muss lange gelegen haben (2¼ Monate Schwangerschaft mit Michael),<br />

denn sie schreibt, dass sie seit zwei Tagen wieder etwas herumgelaufen ist<br />

<strong>und</strong> jeden Tag mehr aufstehen kann. Christoph hat zum ersten Mal Vati <strong>und</strong><br />

Mutti einen Kuss gegeben mit offenen Lippen <strong>und</strong> viel Spucke.<br />

14.05.39 Christoph hatte durch die große Hitze (über 38°C) <strong>und</strong> schlechtes Gemüse<br />

einen ganz schlimmen Brechdurchfall mit hohem Fieber in Trichy. Drei Tage<br />

später (09.05.39) fuhren sie nach Kodaikanal, wo Christoph sich schnell erholte.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 32<br />

26.05.39 Tambi (Christoph) spricht immer noch nichts weiter als Papa <strong>und</strong> Mama <strong>und</strong><br />

das Küsschen geben hat er auch wieder verlernt. Mutti muss wieder vier Tage<br />

fest im Bett liegen <strong>und</strong> bekommt jeden Tag eine Spritze.<br />

27.05.39 Vati fuhr mit Frau Hellinger <strong>und</strong> Frau Witte um 12:30 Uhr <strong>von</strong> Kodaikanal im<br />

Auto ab <strong>und</strong> erreichte 18:15 Uhr Trichy (5¾ St<strong>und</strong>en), wo es 30°C heiß war.<br />

09.06.39 Lange Beschreibung was Tambi tagsüber so alles treibt (mit den größeren<br />

Schwedenkindern).<br />

13.07.39<br />

Mutti<br />

Mutti erzählt uns, dass der liebe Gott unter Muttis Herz wieder ein kleines<br />

Kindlein heranwachsen lässt (fünf Monate schwanger).<br />

25.07.39 Auf der M.C. (Missionary Conference) wurde beschlossen, dass unsere Familie<br />

nach Shigali ziehen soll, um Hellingers Arbeit (High School <strong>und</strong> Jugens<br />

Boarding) zu übernehmen, da Hellingers jetzt schon auf Urlaub fahren. Ulrike<br />

<strong>und</strong> Lore kamen <strong>von</strong> Kotagiri auf Ferien nach Kodaikanal (eine oder zwei<br />

Wochen?).<br />

19.08.39 Ulrike <strong>und</strong> Lore wurden <strong>von</strong> Tante Ruth Bexell im Auto nach Kotagiri gebracht.<br />

29.08.39 Vati <strong>und</strong> Mutti sind in Kodaikanal <strong>und</strong> genießen die Ferien zusammen mit<br />

Christoph. Sie gingen gemeinsam zum Adlerhorst mit Hellers, Herrn Tiedt,<br />

Gerlachs, Weinerts <strong>und</strong> Elisabeth Buchholz. Elisabeth Buchholz soll am<br />

03.09.39 zusammen mit Wagners, Frl. Studtrucker <strong>und</strong> Johanna <strong>Paul</strong> <strong>von</strong><br />

Colombo nach Deutschland fahren.<br />

04.09.39<br />

Vati<br />

21.09.39<br />

Mutti<br />

04.10.39<br />

Mutti<br />

09.10.39<br />

Mutti<br />

Ich kam nach Tritchy am Freitag <strong>und</strong> packte meine Sachen, weil es schien,<br />

dass Krieg ausbrechen würde. Fräulein Langloh hat Euch wahrscheinlich<br />

erzählt, dass jetzt Krieg ist zwischen England <strong>und</strong> Deutschland. Heute muss<br />

ich nach Thomasmount, wo ich interniert werde. Es war eine so schöne Zeit,<br />

welche wir in Kodaikanal zusammen hatten <strong>und</strong> ich werde lange daran denken.<br />

Ich weiß nicht, wann <strong>und</strong> wo wir uns wieder treffen werden. Seid liebe<br />

Kinder <strong>und</strong> betet, dass wir bald wieder Frieden haben werden.<br />

Mutti ist mit Christoph allein in Kodaikanal, bzw. Tante Rosemarie Wagner<br />

ist mit Katharinchen auch da (Also sind sie wohl doch nicht mit dem Schiff<br />

weg).<br />

Mutti schreibt, dass Vati am 28.09.39 mit allen deutschen gefangenen Männern<br />

in einem extra Truppenzug <strong>von</strong> Madras nach Ahmednagar bei Bombay<br />

gefahren wurde. Christoph fängt mit einem Male täglich mehr Worte zu sagen,<br />

meistens tamulische, aber auch "bitte" <strong>und</strong> "danke" sagt es jetzt richtig.<br />

Heute hat er lange nach Vati Ausschau gehalten <strong>und</strong> "Pappaj" gerufen. Lore<br />

<strong>und</strong> Ulrike werden bei Tante Ruth Bexell <strong>und</strong> später bei Mettams sein bis<br />

Mutti mit den beiden Kleinen nach Trichy kommt.<br />

Mutti bittet Tante Lene Langlo (die Lehrerin der deutschen Schule in Kotagiri)<br />

kein Geld für Lore <strong>und</strong> Ulrike <strong>von</strong> der englischen Regierung zu beantragen.<br />

22.10.39 Mutti hat nichts <strong>von</strong> Tante Lene seit dem 09.10.39 gehört. Tante Lene möge<br />

unsere Sachen in die Kiste packen <strong>und</strong> in Kotagiri lassen, falls die Schule<br />

1940 dort wieder stattfindet. Rev. Hodge hatte ein Interview in Delhi, um ei-


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 33<br />

07.11.39<br />

Mutti<br />

18.02.40<br />

Mutti<br />

15.03.40<br />

Vati<br />

nige deutsche Missionare freizubitten, darunter auch Vati. Zuletzt schreibt<br />

Mutti: "Mein Kind sitzt jetzt sehr tief, ich habe das Gefühl, dass es jeden Tag<br />

kommen kann <strong>und</strong> freue mich tüchtig darauf."<br />

Mutti schreibt nach Golden Rock in der Vermutung, dass Lore <strong>und</strong> Ulrike<br />

jetzt bei Mettams zusammen mit Christoph sind. Mutti ist jetzt ganz allein in<br />

Kodaikanal in der Augsburg <strong>und</strong> geht Essen im Hause Magdeburg. Wir sollen<br />

ihr abwechselnd jeden Tag eine Karte schreiben. Vati schreibt manchmal<br />

2x, manchmal 3x die Woche. Über Michaels Geburt <strong>und</strong> Vatis Freilassung<br />

ist nichts Schriftliches vorhanden. Zu Michaels Taufe am 2. Advent, dem<br />

10.12.39, war Vati wieder zurück.<br />

Bald danach müssen wir nach Kumbakonam umgezogen sein, denn am<br />

18.02.40 schreibt Mutti aus Kumbakonam nach Koraput an Lore <strong>und</strong> Ulrike<br />

<strong>und</strong> bedankt sich für die Post <strong>von</strong> ihnen über ihre Ankunft in Koraput, wo die<br />

Deutsche Schule jetzt im Hause <strong>von</strong> Meiers der Breklumer Mission weitergeführt<br />

wird. (Über Vatis Rückkehr aus der Internierung wird hier nichts berichtet.)<br />

Mutti <strong>und</strong> Vati mussten zum D.S.P. eine Meile hin <strong>und</strong> wieder zurück<br />

laufen, <strong>und</strong> das war viel zu für Muttis Beine nach all dem Auspacken <strong>und</strong><br />

Stehen im Haus. Sie müssen sich jetzt jede Woche auf der Polizeistation<br />

melden. Anschließend musste Mutti ca. zwei Tage zu Bett liegen, weil ihre<br />

Beine so geschwollen waren. Zur Zeit ist in Kumbakonam das große "Mahamachem"<br />

(Götzenfest) mit großen Umzügen. Direktor Ihmels schreibt,<br />

dass alles wie gewöhnlich weitergeht in Deutschland <strong>und</strong> unsere Mission<br />

ihre Einnehmen hat wie bisher. Lore <strong>und</strong> Ulrike sollen an die beiden Omas in<br />

Leipzig <strong>und</strong> Bautzen schreiben.<br />

In Kumbakonam ist es sehr trocken, es hat seit November nicht geregnet.<br />

Christoph hat vier Spritzen gegen Keuchhusten bekommen, Michel zwei zur<br />

Vorbeugung. Die Missionare müssen dieses Jahr Schwarzburg I <strong>und</strong> II <strong>und</strong><br />

Augsburg in Kodaikanal vermieten, weil die Mission Geld braucht. (Anmerkung<br />

<strong>von</strong> Lore: Das kam wohl nicht zustande, denn die Häuser wurden ab<br />

ca. Juli verwendet, um uns alle zu internieren.) Mutti wird mit Anne Weinert<br />

<strong>und</strong> Siegfried <strong>und</strong> Wagners in dem Haus Magdeburg wohnen. Knutson geht<br />

ins Roseneck mit seiner Braut, die am 24.04.40 in Indien ankommen soll; die<br />

Hochzeit soll in Kodaikanal sein. (Anmerkung <strong>von</strong> Lore: Wagners sind aber<br />

nicht mit uns interniert worden. Sie fuhren vermutlich im April nach Deutschland.)<br />

22.03.40 Vati schreibt zum ersten Mal nach Koraput an Lore <strong>und</strong> Ulrike. Er hat sehr,<br />

sehr viel Arbeit, ist viel herumgereist. "Diese ganze Woche hatte ich jeden<br />

Tag in einem anderen Ort Gottesdienste mit Abendmahlsfeiern." Auch war<br />

er eine Woche zuvor in Tranquebar. Hellers sind nicht mehr dort sondern in<br />

Pandur, wo Luise Fröhlich wohnt (Anmerkung: Sie fuhr auch nach Deutschland).<br />

Knutsons Braut kam ganz unerwartet in Bombay an. Am Freitag wird<br />

die Hochzeit in Shiyali stattfinden. Das war der letzt Brief vor unserer Internierung<br />

in Kotagiri. Es gibt Fotos, die am 07.04.40 in Kumbakonam gemacht<br />

wurden. Irgendwann bald danach fuhren die Eltern nach Kotagiri <strong>und</strong> Ulrike<br />

<strong>und</strong> Lore mit Onkel Wilhelm Bräsen <strong>von</strong> Orissa auch dorthin, um die Osterferien<br />

gemeinsam mit den Eltern zu verleben. Während dieser Zeit (vermutlich<br />

im Mai) wurden wir als Familie interniert in den Häusern Christiansberg.<br />

Wir wurden später in ein anderes Haus gebracht. Michael war sehr krank<br />

dort <strong>und</strong> musste täglich ein rohes Ei bekommen. Etwa im Juni oder Juli kamen<br />

wir ins Settlement nach Kodaikanal.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 34<br />

Brief an Oma Elisabeth <strong>Paul</strong> vom 06.10.1941 aus Kodaikanal<br />

Nachdem Dir Lisa am 21. September einen<br />

Geburtstagsbrief geschrieben hat, möchte<br />

ich es nun auch tun <strong>und</strong> Dir <strong>von</strong> ganzem<br />

Herzen Glückwünsche zu diesem Tage<br />

senden. 80 Jahre alt! Wie oft sprechen wir<br />

<strong>von</strong> Dir <strong>und</strong> suchen uns vorzustellen, wie<br />

Du lebst <strong>und</strong> wie es Dir geht. Dass Du<br />

nicht mehr sehen kannst, muss eine rechte<br />

Heimsuchung für Dich sein, <strong>und</strong> der Gedanke<br />

daran schmerzt uns sehr. Aber wir<br />

wissen auch, mit wie viel Liebe Dich Dora<br />

<strong>und</strong> Maria <strong>und</strong> nicht zuletzt auch Martha<br />

umgeben. Nun wünschen wir Dir, dass<br />

Gott Dir gute Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> auch manche<br />

Freude schenken möchte. Wie schön<br />

wäre es, wenn er uns auch ein Wiedersehen<br />

mit Dir <strong>und</strong> allen anderen Lieben<br />

schenken würde! Wir sind des Lagerlebens<br />

müde; zumal für uns Männer ist es alles<br />

andere als befriedigend, <strong>und</strong> wir sehnen<br />

uns nach richtiger Berufsarbeit. In den Zeitungen<br />

steht jetzt öfter vom Aus-tausch<br />

<strong>von</strong> Internierten, auch Geistlichen. Aber ob<br />

wir darauf rechnen können? Dass wir auf<br />

unsere Stationen zurückkehren können,<br />

scheint hoffnungslos. Aber wir stehen ja in<br />

Gottes Hand <strong>und</strong> wollen seiner Führung<br />

trauen.<br />

Wir haben ja sonst manchen Anlass dankbar<br />

zu sein. Nicht nur, dass wir als Familie<br />

nicht getrennt sind, sondern auch, dass wir<br />

an einem so ges<strong>und</strong>en Fleck sein können,<br />

ist viel wert. Jetzt hat allerdings die unangenehmste<br />

Jahreszeit begonnen, wo es oft<br />

tagelang gießt <strong>und</strong> man buchstäblich in<br />

den Wolken sitzt. Da ist es schwierig, die<br />

Wäsche trocken zu kriegen, <strong>und</strong> im Hause<br />

herrscht ein ziemlicher Betrieb, weil die<br />

Kindergesellschaft nicht ins Freie hinaus<br />

kann. Lore <strong>und</strong> Ulrike traten Mitte August<br />

wieder in die Missourieschule ein <strong>und</strong> waren<br />

glückselig, dass sie wieder unter<br />

Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> September 1942 bis Oktober 1943<br />

Sept. 42 Umzug <strong>von</strong> Kodaikanal nach Satara (Wanzenaktion).<br />

gleichaltrigen Spiel-gefährten sein konnten;<br />

über das Wochenende kamen sie immer<br />

zu uns zurück. Aber die Herrlichkeit dauerte<br />

nur 5 Wochen; da brach dort der Keuchhusten<br />

aus, so dass die Schule zumachte.<br />

So sind die Mädels seit 14 Tagen wieder<br />

daheim bei uns, <strong>und</strong> heute habe ich wieder<br />

mit ihrem Unterricht angefangen. Wie es<br />

nächstes Jahr mit ihrem Unterricht wird,<br />

wissen wir noch nicht ganz; da die Missourier<br />

absolut keinen Platz haben werden,<br />

denken wir jetzt an High Clerc, die Schule,<br />

in der Lore ihr erstes Schuljahr verbracht<br />

hat. Nur sind da die Kosten ziemlich hoch,<br />

so dass wir da die Hilfe des lutherischen<br />

Kirchenb<strong>und</strong>es in Anspruch nehmen müssten.<br />

Lore ist ein großes, breit gebautes <strong>und</strong><br />

jetzt manchmal ziemlich ungelenkes Mädchen,<br />

hat Lisas Größe. Ulrike ist immer<br />

noch dünn, trotz Lebertrans u. a. Kräftigungsmittel.<br />

Ihr Haar ist etwas wüst, da es<br />

noch nicht ganz zu Zöpfen langt. Christoph<br />

ist nach wie vor voll Tatendrang, etwas<br />

derb, aber dabei gutmütig, Michel dagegen<br />

ein Schlauberger <strong>und</strong> manchmal geradezu<br />

listig; die beiden fangen langsam an, sich<br />

zu einem Zweigespann zu entwickeln, <strong>und</strong><br />

da Michel dem Christoph nichts schuldig<br />

bleibt, wird es wahrscheinlich einmal zwischen<br />

den beiden ein gutes Einvernehmen<br />

geben.<br />

Wir freuen uns über das erste Echo <strong>von</strong><br />

Euch, dass unsere In-terniertenpost Euch<br />

erreicht hat, wenn sie auch hinüber viel<br />

länger zu brauchen scheint als herüber.<br />

Wir freuten uns jetzt sehr über Marias Karte<br />

vom 11. Aug. <strong>und</strong> Doras Brief vom 17.<br />

Aug., beides an Ulrike gerichtet <strong>und</strong> am 2.<br />

bzw. 3. Okt. hier eingetroffen. Vor allem<br />

dankt Ulrike sehr herzlich dafür. - Und nun<br />

nochmals sehr, sehr herzliche Grüße, liebe<br />

Mutter, <strong>von</strong> uns allen, Euch allen.<br />

13.09.42 Kleine Oma (Elisabeth <strong>Paul</strong> geb. Fritzsche) im Schlaf gestorben, in Lorenzkirch<br />

begraben.<br />

23.01.43<br />

Mutti<br />

Christoph (5 Jahre) <strong>und</strong> Michael (3 Jahre) haben Bronchitis <strong>und</strong> Würmer,<br />

Christoph hat Asthma. Jagd auf Wanzen.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 35<br />

29.01.43<br />

Mutti<br />

05.02.43<br />

Michael<br />

12.02.43<br />

Mutti<br />

13.02.43<br />

Vati<br />

Hausmädchen Kalyani geht nach Hause.<br />

Mit Präses Stosch <strong>und</strong> Frl. Storim (Kindergartentante) in zwei Tongas nach<br />

Mahuli (3 km entfernt) gefahren, Christoph auf Kalianis Schoß in einer Tonga<br />

<strong>und</strong> Michael auf Onkel Stosch Schoß auf dem Vordersitz der anderen. In<br />

Mahuli fließt "unser" Fluß in den Kistra. Picknick nicht in der Nähe der Brücke,<br />

sondern auf der anderen Seite des Flusses.<br />

Nächte seit ½ Monat "sehr kalt", aber die Tage "sehr heiß".<br />

Heute Lisa-Veronika’s erste Schritte allein - sehr viele sogar - erst barfuss im<br />

Schlafzimmer, später draußen in Schuhen bei Erst'ens Haus.<br />

Zahn bekommen, unten links.<br />

Schon so heiß, dass man nachts die Türen offen lassen muss<br />

14.02.43 Taufe <strong>von</strong> Bareis Baby Albrecht (Baseler Mission)<br />

17.02.43<br />

Christoph<br />

07.03.43<br />

Ulrike<br />

12.03.43<br />

Vati<br />

27.03.43<br />

Mutti<br />

02.04.43<br />

Vati<br />

11.04.43<br />

14.04.43<br />

17.04.43<br />

Mutti<br />

Neue Ayahl (= Kindermädchen) - Benedikta, spricht kein Englisch, nur kanresisch.<br />

Christoph will Ingelein heiraten, wenn er groß ist, nicht Reni. Ingelein<br />

sieht so hübsch aus. Lisa-Veronika kann schon richtig allein laufen (Mutti<br />

berichtet). Sie zieht dabei die Schultern hoch, hebt die Ärmchen krampfhaft<br />

bis zur Schulterhöhe, <strong>und</strong> dann läuft sie krampfhaft vorsichtig wie auf<br />

Stelzen. Ganz vorsichtig setzt sie dann bald das rechte, bald das linke Bein<br />

vorwärts. Manchmal bleibt sie stehen <strong>und</strong> streckt die Ärmchen verlangend<br />

nach jemand aus, den sie vor sich sieht. Sie ist sehr süß jetzt, sie scheint<br />

wieder Zähne zu kriegen, oben neben den Mittelzähnen.<br />

Ende Jan<strong>ua</strong>r gab es Frost in Kodaikanal <strong>und</strong> der See hatte an den Rändern<br />

Eis. Mettams wohnen in "Stirling".<br />

Herr Schmidt ist aus Dehra Dun gekommen. Tags sehr heiß aber nachts ab<br />

<strong>und</strong> zu kalt.<br />

Unser Gärtner in Kodaikanal heißt Doraisanny. Arumai ist der Fahrer.<br />

Lores 14. Geburtstag (27.03.43) haben sie in Satara gefeiert mit Bareiß am<br />

Fluß. Ein Coolie trug die Tassen, usw. Sie bauen eine Laube aus Bambus<br />

vor dem Haus wegen der Hitze <strong>und</strong> hinter der Küche ein Bambusdach.<br />

Nachts schlafen sie ohne Decken. Lisa-Veronika darf mehrmals am Tag<br />

durch das ganze Haus laufen <strong>und</strong> sogar draußen - aber sie versucht, alles<br />

zu essen, inkl. Sand. Michael <strong>und</strong> Christoph durften Pferde reiten!<br />

Im Febr<strong>ua</strong>r hat es viel in Kodaikanal geregnet.<br />

Lore bekommt 3 x 20 Rupies <strong>und</strong> 25 Rupies, um Einkäufe für Mutti <strong>und</strong> andere<br />

zu tätigen. Sie soll bald abrechnen. Lore versendet in den folgenden<br />

Wochen Pakete mit frischen Pflanzen, Samen, Seifenpulver, Schuhcreme,<br />

peanut butter, Scheuertüchern, Baby Puder, Vick, Seife, Rasiercreme, Glukose,<br />

Gerstenmehl, Zahnpulver, Stoffe, Wolle, Kinderwäsche <strong>und</strong> Strickgarn.<br />

Aus dem Settlement werden u.a. Silberlöffel, Babybeißringe aus Elfenbein,<br />

Bücher, Spielzeug <strong>und</strong> Töpfe nach Satara geschickt.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 36<br />

23.04.43<br />

Vati<br />

30.04.43<br />

Vati<br />

07.05.43<br />

Vati<br />

15.05.43<br />

Vati<br />

16.05.43<br />

Lore<br />

22.05.43<br />

Mutti<br />

23.05.43<br />

Ulrike<br />

28.05.43<br />

Vati<br />

29.05.43<br />

Mutti<br />

08.06.43<br />

Mutti<br />

11.06.43<br />

Vati<br />

Lisa-Veronika ist noch dünn, aber sehr aktiv. Sie sagt bababa - aber nichts<br />

weiter. Bei ihren Wanderungen schleppt sie alles mit sich, was sie kriegen<br />

kann. 40 Internierte sind aus Dehra Dun gekommen - uns unbekannt.<br />

Frl. Storim ist Michaels "Tinderdartentant".<br />

Wenn Lore <strong>und</strong> Ulrike nicht bald ihren Taschengeldausgabenbericht seit Jan<strong>ua</strong>r<br />

schicken, gibt's ab Juli kein Taschengeld. Christoph ist eine Woche im<br />

Hospital. Dr. Heger will herausfinden, warum er Asthma hat - eventuell wegen<br />

seiner Mandeln. Dr. Presser hat schon fünf Zähne <strong>von</strong> Vati gefüllt. Die<br />

Wand zwischen den Badezimmern <strong>von</strong> Weinert’s <strong>und</strong> uns ist endlich gebaut<br />

worden. Benedicta verlässt uns wegen Herzkrankheit <strong>und</strong> geht zum Missionshospital<br />

Betgeri, wo Klings ihr Baby bekamen. Heute Zimmertemperatur<br />

38°C.<br />

Vor einigen Tagen hat ein starker Regensturm das Laubendach weggeblasen.<br />

Christophs Fortschritte im Schreiben (ein Teil des Alphabets) <strong>und</strong><br />

Rechnen (er kann jetzt 5 - 10) gehen langsam voran. "He is not very fond of<br />

mental activities." Lisa-Veronika übt Purzelbäume. Christoph <strong>und</strong> Michael<br />

spielen gerne mit ihr. Der Fahrer heißt Asirvadam - er soll gegrüßt werden.<br />

Die Familie hat seit dem 5. Mai zwei neue Hausmädchen, Shanta <strong>und</strong> Clementina.<br />

Christoph war eine Woche im Krankenhaus <strong>und</strong> bekommt "Cold Vaccine"-<br />

Spritzen<br />

The house "Lake Side'"at Tapp's Corner is on the lake exactly opposite the<br />

boat house. In May 1943 Lore <strong>und</strong> Ulrike spent a week with the Perfects<br />

there.<br />

Lore hat die Abrechnung geschickt.<br />

Lore was invited to Joyce De Bruins birthday (the whole Class was invited).<br />

It was somewhere across the lake. We went to Green Hut with Perfects (2<br />

hour hike) on a campingtrip (2 nights).<br />

Die Frau <strong>von</strong> Onkel Ernst, Maria, verlor beide Brüder im Krieg, einen in<br />

Russland, der andere ist mit seinem Flugzeug aus 600 m Höhe über Frankreich<br />

abgestürzt. Tante Liel, Braunschweig, starb an Brustfellentzündung.<br />

Domprediger <strong>von</strong> Schwartz, der Vati <strong>und</strong> Onkel Ernst 1917 konfirmierte, ist<br />

zwei Tage nach seinem Unfall mit dem Fahrrad gestorben.<br />

Es hat geregnet, es ist kühler, aber noch kein Monsun. Lore <strong>und</strong> Ulrike hatte<br />

schöne Ferien in Mrs. Perfect's Haus gehabt.<br />

Lore mit Masern im Schulhospital. Kodaikanal ist jetzt ein gefährlicher Ort für<br />

junge Mädchen, weil viele Soldaten dort Urlaub machen.<br />

Der Monsun ist noch nicht richtig da, obwohl es oft wolkig <strong>und</strong> neblig ist.<br />

Der Garten ist beinahe fertig. Lisa-Veronika (16 Monate) spricht immer noch<br />

nur dadadadaa. Abends möchte sie nicht gewaschen werden, aber sie liebt<br />

das Mittagsbad. Sie kreischt einfach, wenn ihr etwas nicht passt. Eine Ayahl<br />

(das Kindermädchen) geht jeden Nachmittag mit ihr spazieren, manchmal<br />

geht auch Christoph mit ihr aus. Sie kann "bitte bitte" machen <strong>und</strong> versucht,<br />

zu küssen, obwohl nicht sehr erfolgreich.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 37<br />

26.06.43<br />

Mutti<br />

09.07.43<br />

Vati<br />

19.07.43<br />

Mutti<br />

24.07.43<br />

Vati<br />

Mutti kommentiert Lores <strong>und</strong> Ulrikes Zeugnisnoten, besonders zu den Charaktereigenschaften<br />

oder "citizenship", die im Umgang mit Menschen wichtig<br />

sind (z.B. Pünktlichkeit, Höflichkeit, Zuverlässigkeit, Anstrengung, das Beste<br />

zu geben). Kein richtiger Monsun dieses Jahr, im Garten musste viel Wasser<br />

zum Gießen geschleppt werden. Lisa-Veronika sagt jetzt MAMA, PAPA, AU<br />

<strong>und</strong> fängt wirklich an, zu sprechen. Die italienischen Zwillinge am Ende der<br />

Baracke sind am 25. Juni ein Jahr alt geworden. Hinter dem Haus wird ein<br />

Stück Land abgezäunt <strong>und</strong> ein kleiner Garten angelegt.<br />

Es gab eine Invasion <strong>von</strong> Zecken oder ähnlichen Viechern, die unseren Esstisch<br />

überschwärmten <strong>und</strong> uns viel Probleme bereiteten. Schließlich bekamen<br />

die Eltern die Genehmigung, das Esszimmer kalken zu lassen (whitewash).<br />

Es war eine anstrengende Arbeit, bis alles draußen war <strong>und</strong> dann<br />

wieder drinnen, besonders, weil alles mit Petroleum abgespritzt werden<br />

musste. Dafür bekamen die Eltern zwei Flaschen voll gestellt. Danach war<br />

die Plage beseitigt. Mutti hat Durchfall - kann keinen Kuchen für ihren Geburtstag<br />

backen. Es regnet den ganzen Tag, die Kinder machen viel Krach<br />

im Haus, <strong>und</strong> die Wäsche hängt zum Trocknen auf der Veranda <strong>und</strong> in der<br />

Küche.<br />

Mutti bekam zum Geburtstag <strong>von</strong> Lore eine Serviettentasche <strong>und</strong> Tablettdeckchen,<br />

<strong>von</strong> Ulrike einen "cloth-Rack" (Wäscheständer). Alle Kinder haben<br />

wieder Mandelentzündung. Sehr viel Regen kam die letzten zehn Tage,<br />

das Gras grünt. Steht unsere Badewanne noch immer unverkauft im Emporium<br />

(Geschäft in Kodaikanal)?<br />

Vati liegt seit einer Woche mit Erkältung im Bett, er konnte sogar am Sonntag<br />

die Predigt nicht halten. Momentan ist kein Regen, untypischer Monsun.<br />

Herr Mack starb in Dehra Dun im Juni; er musste wieder operiert werden<br />

<strong>und</strong> starb an einer Tetanusvergiftung. Lore <strong>und</strong> Ulrike sollen chinesische<br />

Söckchen kaufen.<br />

29.07.43 Lisa-Veronika hat viel Schwierigkeiten mit dem Zahnen (Eckzähne)<br />

06.08.43 Christoph bekommt zum 6. Geburtstag eine Garage (66x38x38 cm), in der<br />

er sein Spielzeug verstauen kann; dann einen Technikbaukasten, eine Sonnenbrille,<br />

Schreibblock, Bleistift, Süßigkeiten. Nachmittags gibt es eine Fahrt<br />

nach Mahuli mit Renate, Präses Stosch <strong>und</strong> Frau Storim. Der Kistna ist jetzt<br />

voller Wasser, es hat unterwegs etwas geregnet. Der Monsun geht weiter<br />

mit kleinen Unterbrechungen <strong>und</strong> ist dieses Jahr nicht so stark wie in den<br />

vergangenen Jahren - für uns ist es trotzdem nass <strong>und</strong> stürmisch genug.<br />

Das Kino im Lager ist endlich fertig, <strong>und</strong> am Sonntag wird "Schneewittchen"<br />

gezeigt. Christoph macht sich Sorgen, wie er irgendetwas sehen soll, wenn<br />

die ganze Halle pechdunkel ist.<br />

20.08.43<br />

Vati<br />

Die Regenzeit geht langsam zu Ende - viel im Garten gearbeitet - schöne<br />

Blumen <strong>und</strong> Gemüse. Lisa-Veronika (1½ Jahre) ist niedlich, sie sagt schon<br />

eine ganze Reihe <strong>von</strong> Worten: JA, NEIN, MAMA, PAPA, DITO (Christoph),<br />

DIKA (Ulrikes Bild), für Lore noch kein Name, MINNEMINNE (Milch) ... Sie<br />

wird allmählich etwas rücksichtsvoller außerhalb des Krabbelstalles, so dass<br />

wir ihn bald entfernen <strong>und</strong> sie den ganzen Tag herumlaufen lassen können.<br />

Heute saß sie eine lange Zeit im Sandkasten <strong>und</strong> hat es sehr genossen.<br />

Wenn wir essen, sitzt sie mit am Tisch <strong>und</strong> wird <strong>von</strong> Clementine gefüttert.<br />

Wenn Clementine um 8:30 Uhr Milch <strong>von</strong> Coopers holt, nimmt sie Lisa-<br />

Veronika immer mit; es sei denn, es regnet.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 38<br />

30.08.43<br />

Mutti<br />

03.09.43<br />

Vati<br />

24.09.43<br />

Mutti<br />

08.10.43<br />

Vati<br />

12.10.43<br />

Mutti<br />

Der Gr<strong>und</strong>, warum unsere ein- <strong>und</strong> ausgehende Post zurzeit so lange unterwegs<br />

ist (zwei Wochen), ist, dass sie zuerst nach Dehra Dun zum Hauptzensor<br />

zu einer besonderen Überprüfung geschickt wird. Wie lange das so<br />

bleiben soll, ist unbekannt. Lisa-Veronika hat Verdauungsschwierigkeiten -<br />

seit zwei Wochen hat sie grünen Durchfall, obwohl ich mit ihrer Ernährung<br />

sehr vorsichtig bin. Sie ist sehr dünn, besonders an ihren Armen <strong>und</strong> Beinen.<br />

Ihre Eckzähne sind drauf <strong>und</strong> dran zu kommen, aber sie schaffen es<br />

nicht, weil sie so schwach ist. Wahrscheinlich steht das im Zusammenhang<br />

mit der Darmkrankheit.<br />

Die Breklumer Missionare <strong>von</strong> Orissa werden morgen erwartet. Sie wollten<br />

ihre Reise am 1. September antreten. Erinnerungen an den eigenen Umzug<br />

vor einem Jahr werden wach. Herr Schmidt darf seine Frau in Mysore besuchen.<br />

Sie ist krank. Es wird täglich wärmer, obwohl es diese Woche Regen<br />

gab, worauf Christoph eine Mandelentzündung bekam; Lisa-Veronika <strong>und</strong><br />

Michael sind nahe dran.<br />

Lore möchte mit Frau Mettams Hilfe den niedrigen Teakholzkindertisch aus<br />

dem deutschen Settlement (= Siedlung) in Kodaikanal per Fracht mit der<br />

Bahn nach Satara schicken. Es reicht, wenn eine "palmirah"-Matte mit viel<br />

Strick um das Oberteil befestigt wird. (Es wurde dann doch nicht geschickt.)<br />

Auch das Auto soll verpackt <strong>und</strong> oben mit Brettern zugenagelt werden - dieses<br />

können Lore <strong>und</strong> Ulrike auf ihre Fahrkarte in der Bahn mitnehmen, da<br />

sie das letzte Mal noch mehr Gepäck frei hatten, als sie bei sich hatten.<br />

Christoph ist zurzeit im Hospital mit eitrigen Mandeln <strong>und</strong> Bronchitis. Michael<br />

<strong>und</strong> Lisa-Veronika sind im Bett bei den Eltern.<br />

Mutti fuhr mit Christoph, Michael <strong>und</strong> Lisa-Veronika am 6. Oktober ins Krankenhaus<br />

nach Wai, um die Mandeln bei allen entfernen zu lassen. Clemintine<br />

fuhr mit nach Wai. Lisa-Veronika wird zum Spielen oft <strong>von</strong> Helga Tauscher<br />

(Breklumer Mission) <strong>und</strong> anderen Mädchen abgeholt. Sie gehen mit<br />

ihr spazieren. Vati hat indessen das ganze Haus außer dem Wohn-<br />

Esszimmer mit Shanta sauber gemacht, eine Mordsarbeit. Alle Betten wurden<br />

hinausgeschafft <strong>und</strong> mit Kerosin-Öl ge"flitted" (bespritzt). Es regnet<br />

noch oft, aber mittags ist es gewöhnlich schon sehr heiß.<br />

Lore <strong>und</strong> Ulrike werden wahrscheinlich mit Mrs. Evans Kindertransport bis<br />

Poona fahren.<br />

Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> Febr<strong>ua</strong>r 1944 bis Dezember 1946<br />

11.02.44<br />

Vati<br />

26.02.44<br />

Lore<br />

03.03.44<br />

Vati<br />

Zu Lisa-Veronikas zweitem Geburtstag wurden die kleinen Kinder der Missionare<br />

eingeladen: Gesa Helms, Christoph Meyer, die italienischen Zwillinge,<br />

Dorothee Lorch, Friedhelm Weinert <strong>und</strong> Doretha. Mitten drin wurde Lisa-<br />

Veronika so müde <strong>von</strong> den vielen Gesichtern, dass Benedicta mit ihr spazieren<br />

gehen musste.<br />

Mitte Jan<strong>ua</strong>r hatte Dr. Freyhan die Zahnspangen aus Lores M<strong>und</strong> entfernt.<br />

Wo die Zähne Ringe drum hatten, mussten fünf Löcher gefüllt werden. Im<br />

Febr<strong>ua</strong>r haben Lore <strong>und</strong> Ulrike eine Kur gegen Amöben gemacht.<br />

Lisa-Veronika ist seit ihrem Geburtstag meist alleine <strong>und</strong> ist auch stolz darauf.<br />

Sie ist viel ruhiger geworden, seitdem sie in den Kindergarten geht.<br />

11.03.44 Lisa-Veronika liegt mit Mandelentzündung im Bett. Ihre Mandeln wurden im


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 39<br />

Mutti vergangenen Oktober nicht entfernt (erst zehn Jahre später in Göttingen).<br />

12.03.44<br />

Lore<br />

Es ist herrliches sonniges Wetter, Lore sonnt sich.<br />

24.03.44 Regen <strong>und</strong> Sonne wechseln sich ab.<br />

02.04.44<br />

Ulrike<br />

24.04.44<br />

Mutti<br />

28.04.44<br />

Vati<br />

13.05.44<br />

Vati<br />

03.06.44<br />

Mutti<br />

16.06.44<br />

Vati<br />

30.06.44<br />

Vati<br />

12.07.44<br />

Vati<br />

28.07.44<br />

Vati<br />

Ulrike bekommt zehn Leberspritzen; Lore hatte "worm treatment".<br />

Christoph kam endlich am Ende seines Keuchhustens <strong>von</strong> seinem Besuch<br />

bei dem Rajah in Bezwada zurück <strong>und</strong> brachte einen Koffer voller Geschenke<br />

mit. Für Lisa-Veronika war eine entzückende Puppe darin mit Mama-Stimme.<br />

Aber nach einer ½ St<strong>und</strong>e hatte Michael den Knopf für die Mamma-Stimme<br />

auf dem Rücken der Puppe kaputtgedrückt, <strong>und</strong> ein paar Tage später ließ<br />

Lisa-Veronika die Puppe im Esszimmer auf den Zementfußboden fallen, so<br />

dass der Kopf Sprünge bekam. Das ist das Ende <strong>von</strong> ihr! Lisa-Veronikas hat<br />

Darmkrankheiten, alle zwei Monate hat sie Leber- <strong>und</strong> Gallenschwierigkeiten.<br />

Der Arzt hat ihr verboten, weiterhin Büffelmilch zu trinken, da sie dies nicht<br />

verdauen kann. Kuhmilch gibt es nicht, <strong>und</strong> Dosenmilch ist in Satara nur selten<br />

zu bekommen. Während der letzten zwei Wochen ist sie sehr dünn geworden.<br />

Lisa-Veronika hat einen scheußlichen Husten.<br />

Lisa-Veronika ist ganz süß <strong>und</strong> auch schlau. Etwas Lustiges: Wenn sie sich<br />

zu sehr über etwas ärgert (oder aufregt) <strong>und</strong> deshalb anfängt zu weinen,<br />

steht sie auf <strong>und</strong> geht schnurstracks ins Schlafzimmer (ein etwas umständlicher<br />

Weg: entweder über die Veranda oder durch das Bad), wo sie mit voller<br />

Lautstärke brüllt, bis sie sich erleichtert fühlt. Dann hört sie auf <strong>und</strong> kommt<br />

lächelnd zurück, als wäre nichts gewesen.<br />

Lisa-Veronika nimmt zu, seitdem sie Ostermilk (Dose) <strong>und</strong> Ziegenmilch bekommt,<br />

die nicht so fett sind <strong>und</strong> nicht so dick gerinnen wie Büffelmilch. Sie<br />

ist niedlich <strong>und</strong> komisch, aber zeitweise sehr widerspenstig.<br />

Unser H<strong>und</strong> Ole lebt nicht mehr. Er hatte schlimme Geschwüre, die nicht heilten.<br />

Er hatte Schmerzen, so dass wir ihn einschläfern ließen. Wir vermissen<br />

ihn sehr, denn er war ein so feiner <strong>und</strong> gehorsamer H<strong>und</strong>.<br />

Christoph (fast 7 Jahre alt) verträgt sich sehr gut mit Lisa-Veronika; wenn einer<br />

ermahnt wird, ist der andere sehr traurig. Michael (4½ Jahre) hat nicht so<br />

viel Geduld mit ihr. Lisa-Veronika ist sehr fröhlich, spricht viel mehr, obwohl<br />

noch nicht in ganzen Sätzen. Das Essen ist ihr größtes Vergnügen, <strong>und</strong> täglich<br />

möchte sie unzählige Male Papier <strong>und</strong> Bleistifte haben.<br />

Trotz Monsun noch keine Erkältungen, die Kinder bekommen viel Kalzium<br />

<strong>und</strong> Lebertran (Shark liver vil).<br />

Lisa-Veronika hat oft Kinderbesuch (Gesa <strong>und</strong> Inger); dann wird es laut. Kinder<br />

können wegen des Wetters nicht draußen sein. Lisa-Veronika hat Puppen<br />

entdeckt, die sie liebt <strong>und</strong> mit mütterlichem Eifer schlägt. Manchmal besteht<br />

sie darauf, dass alle drei (die richtige Puppe, die indische Puppe <strong>und</strong> der Hase)<br />

bei ihr im Bett liegen. Kein W<strong>und</strong>er, dass sie bald auf ihnen liegt. Es ist<br />

nur gut, dass die Puppen nicht weinen können, wenn sie schlecht behandelt<br />

werden, sonst hätten wir bei uns viel mehr Krach.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 40<br />

25.08.44<br />

Lisa-<br />

Veronika<br />

09.09.44<br />

Mutti<br />

14.09.44<br />

Mutti<br />

14.10.44<br />

Mutti<br />

19.01.45<br />

Vati<br />

21.01.45<br />

Lore<br />

23.01.45<br />

Mutti<br />

28.01.45<br />

Lore<br />

02.02.45<br />

Vati<br />

11.02.45<br />

Lore<br />

16.02.45<br />

Mutti<br />

23.02.45<br />

09.03.45<br />

Mutti<br />

Vati <strong>und</strong> Mutti haben in dieser Woche keinen Brief mehr frei. So schreibt Mutti<br />

in Lisa-Veronikas Namen. Die erwischt ständig Bleistifte <strong>und</strong> Buntstifte <strong>und</strong><br />

schreibt auf jedes Papier oder jedes erreichbare Buch. Alles scheint ihr verboten<br />

zu sein. Das mag sie gar nicht.<br />

Lisa-Veronika hat seit Wochen eine Erkältung.<br />

Mutti bittet die Großen (Lore <strong>und</strong> Ulrike), eine Thermosflasche mitzubringen,<br />

da die alten alle Thermosflaschen dank Lisa-Veronikas Aktivitäten kaputt<br />

sind. Wegen Lisa-Veronikas Bauchschmerzen gab es mehrere schlaflose<br />

Nächte. Der Arzt diagnostizierte Würmer. Heute hat sie am ersten Tag der<br />

Behandlung einen R<strong>und</strong>wurm <strong>von</strong> 15 cm Länge zu Tage gebracht!<br />

Lisa-Veronika hat einen Haut-Ausschlag.<br />

Vati wird <strong>von</strong> heute an drei Wochen im Krankenhaus isoliert wegen Husten<br />

(eventuell Keuchhusten). Er kam am 10. Febr<strong>ua</strong>r (am 17. Hochzeitstag) zurück.<br />

Wir waren <strong>von</strong> Sonntag bis Dienstag 22:30 Uhr nach Kodi unterwegs. Von<br />

Kodi Road bis oben in die Stadt waren es vier St<strong>und</strong>en. Es ist recht kalt <strong>und</strong><br />

windig in Kodaikanal.<br />

Jetzt ist die Dackelin Topsy im Haus.<br />

Flugzeuge fliegen jetzt öfter über Kodaikanal.<br />

Der Keuchhusten grassiert im Lager <strong>und</strong> die Schule musste seit Weihnachten<br />

drei Wochen geschlossen werden (wo Vati dieses Jahr Englisch unterrichtet),<br />

vier <strong>und</strong> letztendlich fünf Wochen waren es.<br />

Mittags wird es schon recht warm, Lore nahm ein Sonnenbad, dennoch war<br />

vor ein paar Tagen ganz Benderloch <strong>von</strong> Frost bedeckt, nachts ist es sehr<br />

kalt.<br />

Viele Kinder bekamen Keuchhusten, <strong>und</strong> unsere Familie wurde als Verursacher<br />

angesehen, obwohl Michael <strong>und</strong> Lisa-Veronika den Keuchhusten noch<br />

nicht bekommen haben. Alle Kinder im Lager werden dagegen geimpft.<br />

Lisa-Veronikas dritter Geburtstag wurde am Sonntag, den 11. Febr<strong>ua</strong>r, gefeiert,<br />

nachdem Vati wieder da war. Sie bekam zwei Handtücher (pfirsichfarben),<br />

dazu zwei passende Waschlappen, einige Spielsachen, ein Buch <strong>von</strong><br />

Lore <strong>und</strong> Teetassen mit Untertassen <strong>von</strong> Ulrike (eins da<strong>von</strong> ist schon zerbrochen).<br />

Endlich sind alle hustenfrei, auch Mutti; sie verlor fünf Pf<strong>und</strong>, als Vati weg<br />

war, <strong>und</strong> wiegt jetzt nur noch 47¼ kg. Anfang März wog sie unter 45 kg <strong>und</strong><br />

war immer sehr müde.<br />

25.02.45 Lore: Es hat einige Tage geregnet, <strong>und</strong> es war nebelig.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 41<br />

13.03.45<br />

Michael<br />

16.03.45<br />

Mutti<br />

18.03.45<br />

Ulrike<br />

31.03.45<br />

Vati<br />

01.04.45<br />

07.04.45<br />

25.04.45<br />

06.04.45<br />

Vati<br />

28.04.45<br />

Michael<br />

05.05.45<br />

Mutti<br />

12.05.45<br />

Vati<br />

28.07.45<br />

Vati<br />

02.08.45<br />

Mutti<br />

Michael hat ein Gärtchen mit Bohnen. Christoph hilft ihm dabei. Lisa-<br />

Veronika, die "Mali", muss ihm Wasser bringen.<br />

Ulrikes Füller wurde in der Schule gestohlen. Muttis Tintenkuli hat durch Lisa-<br />

Veronika oder Michael so gelitten, dass man ihn nicht mehr benutzen kann.<br />

Auch Muttis Armbanduhr ist weg.<br />

Letzte Woche war es regnerisch, neblig <strong>und</strong> kalt. Ulrike <strong>und</strong> andere zelteten<br />

vom 9. bis 11. beim Pillar Rock. Von dort aus machten sie einen Spaziergang<br />

nach Fairy Falls <strong>und</strong> gingen schwimmen.<br />

Lisa-Veronika wurde ihrer Haarpracht, die keine war (ihre Haare waren so<br />

dünn <strong>und</strong> weich, dass keine Haarspange darin hielt) beraubt <strong>und</strong> kahl geschoren,<br />

was Vati scheußlich findet. Lisa-Veronika aber ist da<strong>von</strong> begeistert,<br />

<strong>und</strong> es ist zu hoffen, dass es ihr gut tun wird. Die Prickelhitze (Hitzepocken)<br />

auf ihrer Kopfhaut ist jedenfalls schon verschw<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> es dürfte ihr nicht<br />

schwer fallen, einen "kühlen Kopf" zu bewahren, was allerdings noch ihre<br />

größte Schwäche ist.<br />

Am 31. März <strong>und</strong> am 13. bis 14. April hat es geregnet. Am 6. April hat Ulrike<br />

chicken-pox bekommen, Lore hat die chicken-pox vom 25. April bis zum 22.<br />

Mai.<br />

Vati <strong>und</strong> Mutti bemalten am Abend vor Ostern Eier mit Bildern <strong>von</strong> Topsy,<br />

Kaninchen, Hahn <strong>und</strong> Hennen. Ostern wurden die Ostereier <strong>von</strong> den drei<br />

Kindern gesucht <strong>und</strong> schnell im Garten gef<strong>und</strong>en wurden. Die Eltern spielten<br />

den ganzen Nachmittag mit den Dreien. Ostermontag ging Mutti nachmittags<br />

mit den Kindern ins Kino, <strong>und</strong> danach bekam jedes Kind ein Pappkästchen<br />

mit Süßigkeiten, Keksen <strong>und</strong> zehn Zigaretten, die mit professionellen Gesten<br />

"geraucht" wurden, sogar <strong>von</strong> Lisa-Veronika, die erst drei Jahre alt ist. Christoph<br />

geht seit ein paar Tagen wieder zur Schule; seine Klasse fing verspätet<br />

an, weil noch zu viele Kinder Keuchhusten hatten. Die Eltern mussten ihn seit<br />

Weihnachten selber unterrichten.<br />

Lisa-Veronika kann jetzt gut Dreirad fahren.<br />

Die Eltern berichten vom Kriegende, <strong>und</strong> dass ihre Geschwister in verschiedenen<br />

Besatzungszonen oder im Ausland leben. Es wird lange dauern, bis<br />

sie erfahren, was aus ihren Fre<strong>und</strong>en geworden ist, <strong>und</strong> vor allem, was aus<br />

unserer Familie werden wird.<br />

Vati geht es nicht gut (auch Herzbeschwerden). Sein Gewicht ging bis auf 53<br />

kg (Normalgewicht 65 - 67,5 kg) zurück; er hatte Malaria, sieht blass <strong>und</strong> sehr<br />

krank aus.<br />

Mutti blieb <strong>von</strong> Anfang Juni bis zum 27. Juli in Kodaikanal, nachdem die Regierung<br />

ihren Erholungsantrag lange nicht bearbeitet <strong>und</strong> die angeschriebenen<br />

Zimmer in Panchganni im April <strong>und</strong> danach Mahableschwar im Mai wegen<br />

ihrem Fernbleiben an andere vermietet wurden. An Muttis Ankunftstag<br />

am 28. Juli in Satara wurden alle gegen Cholera geimpft. Lisa-Veronika reagierte<br />

mit hohem Fieber (40 o C); sie hat wieder vereiterte Mandeln, <strong>und</strong> ihr<br />

Darm wurde auch angegriffen, da sie scheußlichen Stuhlgang hatte. Solche<br />

Erkrankungen sind schwer zu kurieren, da es keine richtige Nahrung dafür<br />

gibt. Zum Glück hat Mutti etwas Reis aus Kodaikanal mitgebracht, so dass<br />

sie jetzt Reisschleim kochen kann.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 42<br />

28.08.45<br />

Mutti<br />

12.09.45<br />

Mutti<br />

29.09.45<br />

Mutti<br />

09.01.46<br />

Lore<br />

20.01.46<br />

Lore<br />

08.02.46<br />

Vati<br />

19.02.46<br />

Mutti<br />

Vati ist seit drei Wochen zur Erholung im Hospital, er nimmt 3 kg zu!<br />

Mutti bekommt Malaria.<br />

Mutti hat Grippe, vielleicht <strong>von</strong> Lisa-Veronika übertragen; rechts hat sie rasende<br />

Kopf- <strong>und</strong> Ohrenschmerzen.<br />

Lore <strong>und</strong> Ulrike kommen vor dem 20. Oktober <strong>von</strong> Kodaikanal nach Hause.<br />

1945<br />

Es ist nachts sehr kalt mit Frost auf Benderloch Field, aber mittags wird es<br />

sehr heiß.<br />

Es regnete <strong>und</strong> ist nebelig am 18. <strong>und</strong> 20 Jan<strong>ua</strong>r. A place where there were<br />

daffodils: near Wyadra, a house on the way to the observatory, just after the<br />

place behind the Swedish hill where about 5 roads, (where we used to meet<br />

Mrs. Mettam in 1940 - 1942). From this house, which is built on top of the hill,<br />

you can see almost the whole lake down below and the school on the hill behind<br />

the boat house. The owner of the house was Mr. Okley.<br />

Lisa-Veronikas vierter Geburtstag wurde mit einer großen Kinderparty gefeiert.<br />

Frl. Diller, die Kindergärtnerin, kam auch. Lisa-Veronika bekam ein kleines<br />

Puppenhaus, das Vati ihr gemacht hatte, ein neues Puppenkleid <strong>von</strong><br />

Mutti, Heft <strong>und</strong> Bleistift <strong>von</strong> Christoph.<br />

Anneline bekam <strong>von</strong> Christoph ein junges Häschen zum Geburtstag. Tauschers,<br />

Meyers, Stosch <strong>und</strong> Gräfes wurden am 14. Febr<strong>ua</strong>r freigelassen. Am<br />

4. März ist Jürgen Heines Konfirmation, <strong>und</strong> am 5. März wollen sie abfahren.<br />

Tauschers wollen die heiße Zeit in Kodaikanal verbringen <strong>und</strong> danach die<br />

Kinder zur Highclerc in Kodaikanal schicken. Die Eltern warten auf eine Entscheidung<br />

der Regierung über ihre Freilassung (Visa zum Verbleib in Indien),


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 43<br />

24.02.46<br />

Lore<br />

26.02.46<br />

Vati<br />

20.03.46<br />

Lore<br />

21.03.46<br />

Mutti<br />

02.04.46<br />

Mutti<br />

05.04.46<br />

Mutti<br />

07.04.46<br />

Lore<br />

24.04.46<br />

Mutti<br />

05.05.46<br />

Vati<br />

09.05.46<br />

Lore<br />

14.05.46<br />

Vati<br />

30.05.46<br />

Mutti<br />

das Warten nervt sie ganz schön!<br />

Es regnet ab <strong>und</strong> zu.<br />

Am 24. Febr<strong>ua</strong>r bekamen die Eltern die Nachricht über das Office, dass die<br />

indische Regierung beschlossen habe, sie zu repatriieren, aber nicht vor August.<br />

Auch viele andere Deutsche bekamen diese Nachricht, es soll keine<br />

weiteren Freilassungen geben.<br />

Am 18. März camping trip to Marion Shola im Regen.<br />

Lisa-Veronika ist entsetzt, als sie unerwartet zwei tote Babyhäschen im Klo<br />

schwimmen sieht. Eine Häsin hatte 9 (!) Junge geworfen <strong>und</strong> konnte nicht<br />

alle ernähren. Eins starb an Hunger, <strong>und</strong> zwei hat Mutti ertränkt! Die Häsin<br />

war aus Versehen gedeckt worden, während sie noch die vorherigen Jungen<br />

säugte.<br />

Vati war wieder im Hospital, diesmal mit Drüsenschmerzen um das rechte<br />

Ohr herum. Die Puppe, die Lisa-Veronika <strong>von</strong> Ulrike bekam, widersteht sogar<br />

der rauen Behandlung eines kleinen Fre<strong>und</strong>es. Mutti entdeckt, dass der Kopf<br />

aus Stahl besteht, Sehr schlau, meinte sie dazu.<br />

Mutti ist im Hospital mit Amöbenruhr. Vati musste deswegen das Krankenhaus<br />

wieder verlassen.<br />

Es regnet <strong>und</strong> donnert. Ulrike hilft Karten für ein Schulkonzert zu verkaufen.<br />

Der schöne große Hahn <strong>von</strong> Christoph ist tot, wahrscheinlich ist er an Tick<br />

fever gestorben. Er hatte drei Tage hohes Fieber, der Tierarzt stellte 42,9 o C<br />

fest. Sonst hatte der Hahn keine Krankheitssymptome. Er starb wie ein Held<br />

<strong>und</strong> trank noch ein paar St<strong>und</strong>en vor dem plötzlichen Tod stehend, was Hühner<br />

selten tun. Zum Glück gibt es 13 Küken <strong>von</strong> ihm.<br />

Die Erlaubnis für Vati zur Fahrt nach Kodaikanal ist immer noch nicht da.<br />

"The May Play" ist am 4. <strong>und</strong> Grad<strong>ua</strong>tion <strong>von</strong> Lore am 8. Mai.<br />

Grad<strong>ua</strong>tion ist vorbei <strong>und</strong> Vati war nicht da!<br />

Am 13. Mai kam endlich die Erlaubnis für Vati. Am 20. Mai will er in Kodaikanal<br />

ankommen. Am 9. Juni muss er wieder in Satara sein. Ungefähr am 31.<br />

Mai möchte er mit Lore nach Kumbakonam fahren, um einiges zu packen für<br />

die Repatriierung nach Deutschland. Christoph <strong>und</strong> Michael sollen in ein paar<br />

Tagen aus Bezwada zurückkommen, weil am 20. Mai die Schule beginnt.<br />

Es könnte sein, dass Michael <strong>und</strong> Christoph mit Vati erst am 7. Juni in Satara<br />

ankommen, da Mutti herausgef<strong>und</strong>en hat, dass Vati die Bus- <strong>und</strong> Bahnfahrten<br />

<strong>von</strong> Christoph <strong>und</strong> Michael noch bezahlen muss. Jungjohanns verlassen<br />

das Camp am Donnerstag, Herr Stosch fuhr letzten Montag ab. Es gibt täglich<br />

kurze Stürme mit Gewitter <strong>und</strong> Regen. Muttis Zahn mit der gebrochenen<br />

Wurzel wurde noch nicht gezogen, da das Röntgenbild noch nicht angekommen<br />

ist. Sie hat große Schmerzen.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 44<br />

<strong>Briefe</strong> Dezember 1946 an Board "Johan van Oldenbarnevelt"<br />

<strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> an Martin Witte<br />

Nun sind wir tatsächlich im Anrollen begriffen,<br />

nachdem wir noch bis zuletzt auf Freilassung<br />

gehofft hatten. Außer Hellers sind<br />

im letzten Augenblick auch noch Rovers<br />

freigelassen worden. Wir sind nun der folgende<br />

Trupp Leipziger: Aus Satara Gerlachs,<br />

Weinters <strong>und</strong> meine Familie <strong>und</strong> aus<br />

Dehra Dun Tiedt. Wir wurden am 26. November<br />

in Bombay eingeschifft mit insgesamt<br />

etwa 500 Deutschen; Unterbringung:<br />

Truppenschiff, d.h. je 50 - 100 in einem<br />

Saal, in dem man kampiert <strong>und</strong> nachts in<br />

Schlafsäcken über den Tischen baumelt.<br />

Unsere Frauen <strong>und</strong> Kinder haben zwei<br />

getrennte, aber jederzeit zugängliche Säle<br />

mit gleicher Unterbringung, nur dass sie<br />

teilweise vorziehen, auf oder unter den<br />

Tischen zu schlafen. Stewards gibt es<br />

nicht, alles ist Selbstbedienung, nur dass<br />

wir nicht selber zu kochen brauchen. So<br />

gibt es allerhand Arbeitskommandos (Essenholen,<br />

Kartoffelschälen, Geschirrabwaschen,<br />

Gepäckschleppen, Zimmerreinigung<br />

etc.) Die Verpflegung ist ausgezeichnet.<br />

Wetter, Gott sei Dank, gut - was aber<br />

bei schlechtem Wetter wird mit einem Haufen<br />

seekranker Menschen, die sich bei<br />

Tage nirgends hinlegen können, stellen wir<br />

uns lieber nicht vor.. Der Dampfer hat<br />

22.000 Tonnen, schwankt aber etwas wegen<br />

mangelnder Frachtladung. Reiseroute:<br />

Mombasa (wo wir 1.000 - oder nach anderen<br />

2.500 - italienische Kriegsgefangenen<br />

an Board nehmen sollen) - Neapel (wo wir<br />

die Italiener wieder loswerden) -<br />

Southampton (wo etwa 400 englische<br />

Deckpassagiere aussteigen) - Hamburg.<br />

Daten sehr zweifelhaft. Mombasa Ankunft<br />

in der Nacht 4./5. Dezember, Weiterfahrt<br />

am 5. nachmittags, Southampton angeblich<br />

spätestens kurz vor Weihnachten oder<br />

gerade zum 24. Dezember <strong>und</strong> dann<br />

Hamburg, wo die Angaben zwischen 24.<br />

Dezember <strong>und</strong> 7. Jan<strong>ua</strong>r schwanken.<br />

Was nun unsere individuellen Reiseziele<br />

betrifft, so wollen alle Leipziger außer uns<br />

ins russische Gebiet: Gerlachs zu seinen<br />

oder ihren Eltern (wohl nach Plauen),<br />

Tiedt, der ja aus Mecklenburg ist, zunächst<br />

zu seiner Frau in der Leipziger Gegend,<br />

Weinerts sind sich aber noch nicht ganz<br />

endgültig schlüssig (schwanken zwischen<br />

Westfalen, wo sie wohl jetzt Verwandte<br />

haben, <strong>und</strong> Mecklenburg <strong>und</strong> Sachsen).<br />

Wir <strong>Gäbler</strong>s fallen sozusagen in die Kategorie<br />

der Displaced Persons, da wir keine<br />

Verwandte haben, die unsere große Familie<br />

(Ulrike 16, Christoph 9, Michael 7, Veronika<br />

5) auch nur auf wenige Tage aufnehmen<br />

könnte. Ins russische Gebiet<br />

möchten wir keinesfalls, denn in eine Mausefalle<br />

gehen wir freiwillig nicht, zumal wir<br />

gern wieder einmal nach Indien möchten.<br />

So ist es für uns das Natürliche, dass wir in<br />

der britischen Zone Unterschlupf suchen<br />

<strong>und</strong> möchten Dich nun dabei um Deine<br />

Hilfe bitten. Ich fürchte, dass wir zunächst<br />

einmal in ein Lager verfrachtet werden, bis<br />

unsere Zukunft geregelt ist, wenn wir nicht<br />

eine vorübergehende Unterkunft nachweisen<br />

können.<br />

Bitte No. 1: Kannst Du uns da etwas ausmachen<br />

<strong>und</strong> nach Hamburg ans Schiff<br />

mitteilen? Wir dachten beispielsweise ans<br />

Henriettenstift in Hannover - oder ist es<br />

bereits voll besetzt? Oder gibt es eine andere<br />

Stelle bei irgendwelchen Missionsfre<strong>und</strong>en?<br />

Das müssen wir Dir ganz überlassen.<br />

Bitte No. 2: Abgesehen <strong>von</strong> diesem allerersten<br />

Unterschlupf, dachte ich, ob es<br />

wohl möglich ist, dass ich eine Pfarrstelle<br />

entweder im Braunschweigschen oder<br />

Hannoverschen bekomme, habe aber keine<br />

Ahnung, ob Ihr mit Pastoren überschwemmt<br />

seid oder nicht. Jedenfalls wäre<br />

ich Dir sehr dankbar, wenn Du sofort Fäden<br />

anknüpfst mit Hanns Lilje einerseits (er<br />

soll wohl Assistent Bishop <strong>von</strong> Hannover<br />

sein <strong>und</strong> hätte dann ja wohl bei der Vergabe<br />

<strong>von</strong> Pfarrstellen mitzureden), der uns<br />

persönlich kennt (war 1929 unser Gast in<br />

Madras) <strong>und</strong> mit dem Braunschweigschen<br />

Konsistorium andererseits (ich habe ja in<br />

Braunschweig meine Schul- <strong>und</strong> Gymnasialzeit<br />

verlebt <strong>und</strong> auch während meines<br />

Urlaubs 1933 - 1935 Vorträge dort gehalten<br />

<strong>und</strong> bin vielleicht einigen maßgebenden<br />

Leuten bekannt, kenne aber selbst<br />

niemand <strong>von</strong> den hohen Herren). Solltest<br />

Du also den Weg zu einer Pfarrstelle für<br />

mich ebnen können, so musst Du aber<br />

bedenken, dass wir einstweilen keinen<br />

einzigen Stuhl oder Tisch besitzen; wir<br />

hatten einen Teil Möbel in Bautzen; das ist


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 45<br />

beim Einrücken der Russen verbrannt; wir<br />

haben auch noch einige wenige Möbel in<br />

Schweta (Sachsen), aber daran kommen<br />

wir wohl nicht, solange wir nichts mit dem<br />

russisch besetzten Gebiet zu tun haben<br />

wollen. Mit Bekleidung sind wir leidlich<br />

ausgerüstet, es sei denn, dass wir entweder<br />

in einen besonders kalten Winter hineinkommen<br />

oder dass wir in eine kalte<br />

Gegend (z.B. in den Harz) gesetzt werden;<br />

denn einen Wintermantel besitzen weder<br />

meine Frau noch Michael noch ich (nur<br />

Ledermäntel).<br />

Bitte No. 3: Willst Du uns auch bitte mit<br />

Mammon in Hamburg versorgen; denn das<br />

Geld, das wir noch in der Hand haben,<br />

langt nur noch bis zum Ende der Schiffsreise.<br />

Und wir brauchen ja Geld für die<br />

Weiterreise <strong>von</strong> Hamburg <strong>und</strong> fürs Leben<br />

(falls wir erst ins Lager kommen, brauchen<br />

wir es natürlich, wenn wir das Lager verlassen,<br />

vielleicht aber auch schon zum<br />

Leben im Lager, je nach dem, wie nun die<br />

Verhältnisse im Lager sein mögen. - Die<br />

anderen Leipziger haben hier unter den<br />

Sachsengängern gehört, dass vielleicht die<br />

Möglichkeit bestehen würde, dass sich die<br />

Sachsenfahrer zusammentun <strong>und</strong> sich<br />

mitsamt ihrem Gepäck auf Lastkraftwagen<br />

verladen <strong>und</strong> direkt <strong>von</strong> Hamburg nach<br />

ihren sächsischen Örtern abschwirren. Mir<br />

kommt das ja reichlich optimistisch vor;<br />

aber wenn etwas an der Sache ist <strong>und</strong> Du<br />

durch Hamburger Missionsfre<strong>und</strong>e vorneweg<br />

etwas organisieren kannst, wäre es<br />

glorreich. Das gewöhnliche Gepäck, das<br />

wir mit uns führen, ist 2 Zentner pro Person<br />

(ganz gleich ob Erwachsener oder Kind)<br />

d.h. also in unserem uns ebenso Weinters<br />

Falle, 12 Zentner. Dazu kommt das so genannte<br />

Excess-Luggage, für dessen<br />

Transport vom Gefangenlager nach Bombay<br />

(Mumbai) wir selber zu blechen hatten<br />

(abgesehen <strong>von</strong> einem Zuschuss der Federation);<br />

das beträgt bei uns <strong>Gäbler</strong>s ca.<br />

42 cbfeet (N.B. 27 cbf = 1cbyard), bei Gerlachs<br />

dito, bei Weinerts ca. 53 cbf, <strong>und</strong> bei<br />

Tiedt auch eine Kleinigkeit. Dazu kommt<br />

noch bei jedem pro Kopf ein pralles Bedding<br />

oder Reisesack <strong>und</strong> einiges leichtes<br />

Handgepäck. Das gibt Dir immerhin eine<br />

gewisse Vorstellung.<br />

Von unterwegs später werde ich Dir noch<br />

einen oder mehrere Durchschläge dieses<br />

<strong>Briefe</strong>s zusenden, um sicher zu gehen.<br />

Vielleicht telegraphiere ich Dir auch noch<br />

das Ankunftsdatum, sobald es feststeht.<br />

Gerlach schreibt jetzt noch an Herrn Direktor;<br />

aber es wäre gut, wenn Du auch Deinerseits<br />

die Hauptsachen dieses <strong>Briefe</strong>s<br />

Herrn Direktor mitteilen würdest.<br />

Und nun ein frohes Wiedersehen in<br />

Deutschland irgendwann einmal! Viele<br />

trauliche Grüße <strong>von</strong> uns allen, auch den<br />

anderen Leipzigern, vor allem auch <strong>von</strong><br />

meiner Frau an Dich <strong>und</strong> die Deinen...<br />

Ulrike an Lore<br />

I suppose you were rather surprised when<br />

you fo<strong>und</strong> out that we are already being<br />

repatriated. On about the 18th Onkel Gerlach<br />

came storming into our house with<br />

every hair erect and told us that we were to<br />

go in four days. Our minds went blank at<br />

the thought. But! Nothing doing! We started<br />

to empty all the trunks at once. The last<br />

three nights Vati and Mutti hardly got any<br />

sleep: only about 3 hrs. each night. I<br />

helped the last night. In the end we went 2<br />

days later, i.e. an the 27th.<br />

We spent that night in the waiting-room in<br />

Poona till 3 o'clock the next morning. We<br />

left all the rabbits for Mr. Heller to sell for<br />

us. The house was in a terriffic mass when<br />

we left. The train (special for us only) took<br />

us right next to the ship. There Patsy, L.<br />

and Mrs. Thomas said goodbye. The whole<br />

time we were <strong>und</strong>er the strict watch of english<br />

soldiers as we are now still.<br />

When the ship started we saw the gate -<br />

way of India which, to my eyes does not<br />

look very much like anything. Here we<br />

were stuck in huge cabins, men and<br />

women with children in different ones.<br />

There are about 50 of us in this cabin<br />

which ia about 64 yds sq. At night we are<br />

supposed to hanh in Hammocks but Mutti<br />

and I sleep on our table (2 ft wide long end<br />

or 2 to sleep on) and the 3 little ones <strong>und</strong>erneath<br />

us on the floor. We have to do<br />

some washing of clothes erery day because<br />

the 3 need new things almost every<br />

day. Can't iron, of course.<br />

Guess what! Onkel Wilhelm and the rest of<br />

Wing (inclusive Tiedt) from Dehra Dun is<br />

here. He sleeps next - door, in the same<br />

room as Vati and about 100 others.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 46<br />

About 3 weeks ago we came very near<br />

release, but through the wicked influence<br />

of a cunning influential person who testified<br />

that we all, especially Mutti, were strong<br />

nazis (just think! and Vati and Mutti at that!,<br />

they who sent us to Highclerc to prevent us<br />

from becoming nazis!!!), we landed here.<br />

We only hope that that doesn't in any way<br />

affect our return to India (kind of hopeful,<br />

eh what?).<br />

This morning at 5:00 we were supposed to<br />

have crossed the eq<strong>ua</strong>tor. The night was<br />

rather hot and sticky, but no more so, I<br />

think, than in Kodi.<br />

Right now they are dousing all the little kids<br />

in soap and water. I have another boil sort<br />

of thing in my face, only this time on the<br />

other side. It is not half as bad as the last<br />

one. We've had super weather till now. My<br />

mind goes blank when I think os school<br />

now. In this cabin all the ladies (single<br />

especially) have hang up their clothes on<br />

the walls so that you would think you were<br />

in a dressing room. Not a soul has heaved<br />

yet no aecident has occured yet. We have<br />

one B for all in this cabin baths are next to<br />

impossible. All we do is wash, dress the 3<br />

and knit, knit, knit, and buy chocolate. I'm<br />

longing to see snow. You can't imagine<br />

how dumm we feel. Our deck chairs landed<br />

by mistake in the bottom hold so we are rid<br />

of them. We have only the hard 1 ft wide<br />

benches to sit on when we knit.<br />

Von <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> an Lore<br />

Meine liebe Lore, endlich sollst Du noch<br />

ein Lebenszeichen <strong>von</strong> mir haben, ehe<br />

unsere Reise zu Ende geht. Wir sind jetzt<br />

im Atlantischen Ozean westlich <strong>von</strong> Portugal<br />

<strong>und</strong> haben weiterhin eine herrlich<br />

ruhige Fahrt gehabt mit einer einzigen<br />

Ausnahme: es schaukelte einen halben<br />

Tag ziemlich übel, als wir Kreta passiert<br />

hatten, <strong>und</strong> eine ganze Anzahl Menschen<br />

wurden seekrank. Ich musste auch zweimal<br />

brechen <strong>und</strong> legte mich eine Zeitlang<br />

in die Liegestätte, <strong>und</strong> auch Christoph <strong>und</strong><br />

Michael waren nicht wohl <strong>und</strong> brachen,<br />

aber die weiblichen Glieder unserer Familie<br />

waren alle putzmunter, Ulrike stöhnte<br />

nur, dass sie infolge der Schiffsbewegungen<br />

nicht so bequem wie sonst sitzen<br />

konnte, sie half bei dem schlechten Wetter<br />

im Hospital, weil ein Teil des Pflegepersonals<br />

seekrank war. Dann stürmte es einmal<br />

noch nachts sehr stark, so dass haufenweise<br />

Geschirr zerbrach, man hörte es <strong>von</strong><br />

Zeit zu Zeit immer wieder krachen <strong>und</strong> in<br />

tausend Stücke zerspringen. Herrn Dr.<br />

Wolfs Kinderwagen machte sich mitsamt<br />

dem Baby selbständig <strong>und</strong> fuhr da<strong>von</strong>,<br />

sauste die Treppe mit dem Baby elegant<br />

hinunter <strong>und</strong> sauste weiter auf dem nächsten<br />

Deck, um dann umzustürzen; in dem<br />

Augenblick kam jemand vorbei nachte um<br />

1 Uhr, der das Baby gleich auffing. Und<br />

dann gibt es immer noch Leute, die behaupten,<br />

dass die Kinder keinen Schutzengel<br />

haben! - Wir sind bloß gespannt, wie<br />

das Wetter weiter sein wird. Morgen geht<br />

es durch die berüchtigte Biskaya, übermorgen<br />

sind wir in Southampton <strong>und</strong> sollen<br />

vielleicht am gleichen Tage weiterfahren -<br />

40 St<strong>und</strong>en bis Cuxhaven; angeblich sollen<br />

wir bereits dort aussteigen wegen Eisgang<br />

auf der Elbe; das Radio bringt täglich<br />

Nachrichten über eine wüste Kältewelle in<br />

Europa, <strong>und</strong> als wir an der Südspitze <strong>von</strong><br />

Italien entlangfuhren, sahen wir oben auf<br />

den Bergzügen Schnee liegen - sicher sehr<br />

ungewöhnlich; wir froren bereits da wie die<br />

Schneider. Nachher wurde es aber wieder<br />

etwas wärmer.<br />

Wir haben viel landschaftliche Schönheit<br />

gesehen. Besonders eindrucksvoll war<br />

Mombasa. Früh am Morgen kamen wir hin.<br />

Zuerst sah man im Dunkeln noch die Lichter<br />

<strong>und</strong> Leuchttürme. Als es Tag wurde,<br />

waren wir ganz dicht heran. Wir fuhren<br />

dann in einem breiten Flussarm eine ganze<br />

Weile flussaufwärts zwischen Siedlungen,<br />

sahen Autos fahren <strong>und</strong> entzückten uns an<br />

der tropischen Vegetation <strong>und</strong> vielen<br />

schmucken Bungalows der Europäer. Das<br />

Verladen der Italiener ging lächerlich


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 47<br />

schnell vor sich, sie kamen immer zu Abteilungen<br />

<strong>von</strong> r<strong>und</strong> fünfzig in fast ununterbrochenem<br />

Gänsemarsch anmarschiert,<br />

jeder am Knopfloch vorn eine Nummer mit<br />

großen Ziffern <strong>und</strong> auf der Schulter einen<br />

Seesack. In etwa 2 St<strong>und</strong>en waren bereits<br />

die unter uns befindlichen "Sektoren", wie<br />

hier so schön gesagt wird, zum Überquellen<br />

voll, <strong>und</strong> bald quollen sie wie ein Lavastrom<br />

aufs Deck. Sie hatten alle eine tadellose<br />

Disziplin <strong>und</strong> waren nette Kerle; sie<br />

sollen schon seit zwölf Jahren <strong>von</strong> Italien<br />

fort gewesen sein, den abessinischen<br />

Krieg <strong>von</strong> Anfang an mitgemacht haben,<br />

später nach ihrer Gefangennahme in Kenia<br />

als Farmgehilfen gearbeitet <strong>und</strong> sich so<br />

durchgeschlagen haben. Als sie dann in<br />

Neapel ausstiegen, ging es wieder mit der<br />

gleichen Schnelligkeit. Sie wurden auf der<br />

Q<strong>ua</strong>imauer mit einer Musikkapelle <strong>und</strong><br />

Märschen empfangen, <strong>von</strong> Roten-Kreuz-<br />

Leuten mit Liebesgaben überschüttet <strong>und</strong><br />

gleich auf Lastkraftwagen verladen <strong>und</strong><br />

zum Bahnhof gefahren. Manche wurden<br />

gleich <strong>von</strong> ihren Verwandten begrüßt. Unser<br />

Empfang in Deutschland wird wohl<br />

etwas anders sein; wahrscheinlich wird<br />

uns da überhaupt niemand außer vielleicht<br />

einem Rote-Kreuz-Vertreter sprechen dürfen<br />

<strong>und</strong> wir werden vermutlich direkt in ein<br />

Übergangslager geschickt werden.<br />

Schön war auch die Fahrt <strong>von</strong> Suez durch<br />

den Suez-Kanal nach Port Said. Wir hielten<br />

abends kurz in Suez, <strong>und</strong> dann ging es<br />

über Nacht durch die Hälfte des Kanals;<br />

die zweite Hälfte des Kanals folgte bei Tage.<br />

Seit unserer letzten Fahrt 1935 ist der<br />

Kanal sehr ausgebaut worden, teilweise<br />

erweitert, vor allem ziehen sich jetzt streckenweise<br />

auf beiden Seiten Eisenbahnlinien<br />

am Kanal entlang, eine lange Strecke<br />

folgt auch eine Asphaltstraße dem Verlauf<br />

des Kanals. Wir kamen einmal an einem<br />

Kriegsgefangenenlager vorbei, wo Deutsche<br />

untergebracht sein sollen, wir winkten<br />

ihnen zu. Der Nachteil bei dieser Strecke<br />

<strong>von</strong> Suez bis Port Said war, dass wir Männer<br />

als Kriegsgefangene nicht auf das<br />

Deck hinaus durften, sondern nur vom Salon<br />

oder <strong>von</strong> den Kabinen aus die Welt<br />

betrachten durften, während die Frauen<br />

<strong>und</strong> Kinder es nach Leibeskräften genossen,<br />

einmal ganz nach Herzensbehagen<br />

die Gegend für sich allein zu haben. Mutti<br />

verbrachte ganze St<strong>und</strong>en in Port Said<br />

damit, Sachen zu kaufen; Obst <strong>und</strong> Lederhandtaschen<br />

waren die großen Wertobjekte,<br />

die <strong>von</strong> den arabischen Händlern auf<br />

Booten herangerudert <strong>und</strong> dann an Leinen<br />

<strong>von</strong> Käufern empor geleiert wurden. Mutti<br />

hat einer ganzen Reihe <strong>von</strong> Menschen, die<br />

entweder im Hospital lagen oder als Männer<br />

nicht aufs Deck durften, etwas besorgt,<br />

auch selbst eine Handtasche besorgt, die<br />

wir recht nötig brauchen.<br />

Von Lisa <strong>Gäbler</strong> an Lore<br />

Now we are "jenseits <strong>von</strong> Suez" already.<br />

Do you remember how we used to say in<br />

India that the people jenseits <strong>von</strong> Suez<br />

cannot <strong>und</strong>erstand the mind of living in<br />

India? Now we must hereafter try to <strong>und</strong>erstand<br />

the minds of the people in the west<br />

that is Europe after having been away from<br />

them for over 10 years. I am sure it will be<br />

very difficult to <strong>und</strong>erstand them as their<br />

and our experiences of war <strong>und</strong>er such<br />

diffrent conditions has been si different!<br />

Just now we passed near Imaelia a German<br />

prisner of war camp and Mrs. Nocht<br />

waved her hands towards them, as her<br />

brother is supposed to be kept their. None<br />

of our man is allowed on deck since yesterday<br />

night when we came to Suez. They<br />

seem to think that some one might try to<br />

escape to Africa. Ulrike wrote air-mail to<br />

you from Monbasa in East Africa where our<br />

boat stopped on the 5th to take in 1.400<br />

Italian prisoners of war, whom we trop again<br />

in Naples.<br />

Since Mombasa we are teribly crowded on<br />

our small space on deck. One cannot walk<br />

any more, the men stand like sardines in a<br />

tin there. We German women and children<br />

have at least one small corner on deck for<br />

ourselves where we put our deck-chairs<br />

but the noise of the chatting Italians who<br />

stand like walls aro<strong>und</strong> us and the noise of<br />

children aro<strong>und</strong> us is so loud in our ears<br />

and so telling on our nerves, that you try<br />

simply try to stay the whole day in your<br />

room down-stairs with all the food-smell. Its<br />

better as you do not have so many people<br />

aro<strong>und</strong>. We had excellent weather up till<br />

now, nobody was seasick. Since the middle<br />

of the Red Sea it got very cold and Ulrike<br />

already changed her mind regarding<br />

warm <strong>und</strong>erclothing. Christl gets very easily<br />

cold, its the cold north-west wind which<br />

freezes you till the bone.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 48<br />

Lisa-Veronika is in hospital since 2 days<br />

with Mittelohrentzündung and at this occasion<br />

the Dr. Urchs from Dehra Dun, who<br />

manages the ships hospital for the Germans<br />

and Italians during his repatration<br />

fo<strong>und</strong> out that her heart is in disorder and<br />

warned me not to beat or frighten the child<br />

any more in any way as she might collapse<br />

then. I always feared something like that<br />

when she was 2 years old but a doctor I<br />

think it was Heger said after examniation<br />

that nothing was wrong with her heart. It<br />

would explain to me why she is si changing<br />

in her temper. But happily she does not get<br />

these fits with getting Oma and difficult<br />

breathing, as she had often 2 years ago,<br />

now. The doctor thinks her heart got spoiled<br />

after an infections sisease like scarlet<br />

fever or the like and perpaps the several<br />

attacks og fever with rash she had in Satara<br />

have been no Röteln German measles<br />

as the doctors called them then but real<br />

Scarlet fever which did not show properly<br />

outside but did so much more trouble inside.<br />

Poor little Lisa-Veronika.<br />

Michael too in the hospital since yesterday.<br />

He ate "Schweinebraten mit Sauerkraut"<br />

zum 1. Mal in his life some 5 days ago and<br />

got bad diarrhoe after that and though he<br />

got Castor oil at once he had dyspesion<br />

since then, looks yellowula white and<br />

green at times and complains about<br />

tommy-ache. So the doctor took him in for<br />

abservation. The hospital is always full to<br />

the last bed, when new cases are coming<br />

Bericht <strong>von</strong> Tucher über Neuengamme im Jan<strong>ua</strong>r 1947<br />

In December, 1946, and into Jan<strong>ua</strong>ry,<br />

1947, the Neuengamme concentration<br />

camp became the British transit camp for<br />

the two shipments of German nationals<br />

returning from British India. Considering<br />

the amount of damage on Germany's cities,<br />

the British authorities saw every justifiable<br />

reason for using the Neuengamme<br />

facilities as a process station. The Nazi<br />

regime had constructed the camp for that<br />

very purpose.<br />

Again the men and women were separated.<br />

"the women and the children, they<br />

were placed into one building. And we<br />

men, we were left in a long building simply<br />

with mattresses and we had to sleep on<br />

in, those who are a little better must move<br />

out.<br />

Ulrike ist a great help with mending and<br />

knitting, she has made friends with Reni<br />

Wittenberg now, after they have "sich nur<br />

berochen" für die Hälfte der Fahrt. They<br />

are the only bigger girls on the boat. Of<br />

course Helga Lampe pretends to be already<br />

18 or 19 here. It is quite clear now<br />

that we will reach Sothhampton for Chrismas<br />

only with great difficulties. The tommies<br />

on our boat, who g<strong>ua</strong>rd us day and<br />

night with guns and bayonnetts are very<br />

keen on beeing home then. So we must be<br />

glad if we are in Hamburg for New Year.<br />

We would rather go home to India into the<br />

heat than into the ice and snow of Jan<strong>ua</strong>ry<br />

near the north Sea in Germany. We are<br />

already feeling so cold with the desert on<br />

both sides. I think Lisa-Veronika got her<br />

bad ear by sleeping <strong>und</strong>er the table on the<br />

chaughty floor, Michael too. Ulrike and<br />

Chrisl sleep over the table and I lie on the<br />

same table with the hammocks tough my<br />

head and feet. Such ist life. But the food is<br />

good and still plenty though the butter gets<br />

slowly less every day. We will get used to<br />

the 1.400 calories at home by and by it<br />

seems till New Year... We did not jet sing<br />

Adventslieder except the 2, s<strong>und</strong>ay in<br />

church here. We don't feel like Chrismas at<br />

all. We also have no presents for the children<br />

with us except a few small playthings.<br />

What a Chrismas ut will be.<br />

them. And it was frightfully cold and there<br />

was snow aro<strong>und</strong>. "<br />

For the German families the processing<br />

phase at the Neuengamme Camp was<br />

remarkably short in comparison to their<br />

years in India. Christian Lohse remembered;<br />

"We were only there a good eight<br />

days." (21) Nevertheless, the last internment<br />

station is likely one of the best held in<br />

the memories of certain individ<strong>ua</strong>ls. This<br />

infamous concentration camp stands out<br />

as vividly as the many detention centers of<br />

British India. <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> added these remarks:<br />

"... We spent days and days by<br />

counting the number (of internees), standing<br />

outside. All the names were called;


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 49<br />

there was the roll call, and then we were<br />

dismissed again."<br />

And in the meanwhile Dr. Freytag and<br />

some others came and visited us. And they<br />

asked, "Where are you going to find a<br />

place? Where are you going to live?" There<br />

had been no connections established with<br />

the relatives and friends. And so they wrote<br />

to the different places, because they were<br />

not allowed to write any letters then.<br />

The German repatriatees from British India<br />

soon fo<strong>und</strong> themselves confronted with the<br />

task of another ro<strong>und</strong> of investigations of<br />

their political leanings and their past activities.<br />

Due to their arrival at Neuengamme in<br />

the holiday season, as "New Year's Eve<br />

and New Year's Day came in between,<br />

naturally in these days the British officials<br />

were not working." No longer <strong>und</strong>er the<br />

colonial British Raj, these men and women<br />

entered a defeated Germany and the jurisdiction<br />

of the British occupational forces.<br />

It is <strong>und</strong>erstandable that the British military<br />

authorities in Germany had to process<br />

carefully the latest shipment from the colony<br />

of India. Of course, British Intelligence<br />

already had a fair knowledge of these internees.<br />

To be sure, the German missionaries<br />

were only a small segment of the<br />

large contingent of several h<strong>und</strong>red German<br />

nationals from the Oldenbarnevelt.<br />

Yet from these missions personnel it is<br />

possible to reconstruct a picture of the investigations,<br />

the purpose of which was to<br />

rediscover the individ<strong>ua</strong>l's political thoughts<br />

and his family relations. <strong>Gäbler</strong> gave this<br />

description: It was the English (British) who<br />

were in charge. And along with them, there<br />

were the officers, Jews generally, who had<br />

to find out whether we were Nazis or not.<br />

These were the English, because it was in<br />

the northern Zone, ... Jewish officers ... for<br />

the investigation, since they could speak<br />

German, Jews who had of course fled.<br />

They were naturally not very kind to us. ...<br />

And there they had to grade us, whether<br />

we were innocent or however it was, ... or<br />

those who had acted as Nazis, ... all the<br />

Germans who were removed from India at<br />

that time. ... And some who had had Nazi<br />

activities, they got terrible scoldings, verbal<br />

shootings. Some of the missionaries also<br />

got these shootings. But nobody was present;<br />

they took them in one by one.<br />

The grading process of the investigations<br />

at Neuengamme appeared to have had six<br />

categories. The first three groups (1-3)<br />

offered little chance for a person gaining<br />

immediate freedom, and likely were channeled<br />

into the denazification program. The<br />

remaining groups 4-6 signified an early<br />

release, and the missionary families all had<br />

the more favourable discriminations by the<br />

camp authorities.<br />

Nineteen months following the collapse of<br />

the Third Reich, the investigations of<br />

Neuengamme renewed the unpleasant<br />

memories, and all because they were not<br />

invited back by their mission churches.<br />

<strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> offered this personal sketch of<br />

the hearings: “It was funny then. I came<br />

with my wife. She had to go in for herself<br />

with our Ulrike, who was 14 or 15. Then<br />

the officer asked our girl first, ‘Has she<br />

been in H.J.? " And she asked my wife,<br />

‘What is H.J., Mutti? don't know anything<br />

about H.J.’ That was the (Hitler) youth organization.<br />

Then of course they realized<br />

we had been in camps in India since 1939,<br />

that we had nothing to do with the whole<br />

thing. And there was no difficulty; and we<br />

got through the thing quickly. "…<br />

The Rev. Dr. <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong>, once the President<br />

of the Leipzig Mission work in India<br />

and not invited back by the mission church,<br />

told of his departure from Neuengamme:<br />

"The next morning we had to leave, my<br />

family and I; we had to leave for Hannover.<br />

And it was not very pleasant; so many<br />

people crowded into the trains, and with<br />

everything so desolate. Hamburg; everywhere<br />

ruins; bombed out houses. And it<br />

was the same in Hannover. My family was<br />

divided into three parts. And after six<br />

weeks I became a pastor in the Hannover<br />

(State) Church. Then our family was reunited<br />

again. But it was a terrible winter at<br />

that time; such high snow and we had<br />

rather thin clothing. I got the parsonage<br />

which was offered to me; a vacancy! But<br />

there were no potatoes, no fuel, no coal<br />

nor wood to burn. But fortunately in Oesselse<br />

they had a small forest which belonged<br />

to the church, and there was a tremendous<br />

oak which the congregation cut<br />

down in the deep snow. Oesselse was<br />

near Hannover, and there we were till the<br />

end of 1950. "


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 50<br />

Brief an Lore vom 23.10.1947 aus Oesselse<br />

Many thanks for your letter in which you<br />

describe so graphically your camp experiences<br />

and your friendship with your group<br />

leader. I am really glad that you fo<strong>und</strong><br />

somebody with whom You could talk freely<br />

and to whom you could open your heart. I<br />

think that you will have sometimes the feeling<br />

that 4 years is a pretty long time to be<br />

away from home, and that you will feel<br />

home-sick and that is certainly nothing to<br />

be ashamed of. Is there no possibility that<br />

You go to Auntie Eve in Cambridge at least<br />

for the Christmas Holidays? Though it is a<br />

rather long trip, I should be so glad if you<br />

could have a Christmas in the German way<br />

and in with relatives. I am sure they would<br />

be delighted to have you with them, and I<br />

Brief an Lore vom 01.01.1948 aus Oesselse<br />

Der Tod <strong>von</strong> Mahatma Gandhi hat im Westen,<br />

aber auch hier in Deutschland, einen<br />

tiefen Schock ausgelöst. Die Zeitungen<br />

haben in großen Typen die traurige Nachricht<br />

gebracht. Viele Menschen haben zuhause,<br />

in den Straßenbahnen <strong>und</strong> Zügen<br />

darüber gesprochen. Viele Menschen haben<br />

mit mir gesprochen. Sie wollten wissen,<br />

ob ich Gandhi selbst gesehen habe.<br />

Ich werde seinen Besuch in Madras in den<br />

frühen dreißiger Jahren nicht vergessen.<br />

Ich sehe noch die große Menschenmenge,<br />

die sich nach Sonnenuntergang am Strand<br />

versammelte. Der seltene Gast saß auf<br />

einer hohen Plattform umgeben <strong>von</strong> den<br />

guess you could also get a good piece of<br />

advise from them. It would be interesting,<br />

too, if you could get an idea of a different<br />

type of College. Well, it is still a long way<br />

off till Xmas, but in things like that it is not<br />

bad to make plans early and to write well in<br />

advance so that they can keep a place free<br />

nueing to be extremly busy people. This<br />

week I paid with the Selb-relativeb (uncle<br />

Johannes etc) and the boys a visit to the<br />

Export-Fair in Hannover which showed<br />

many beautiful things - unobtainable for us<br />

poor Germans, but intended for export only<br />

so that Germany may get food at least.<br />

Vroni is beginning to feel better after her<br />

ja<strong>und</strong>ice.<br />

Kongresshoheiten in dem gleißenden weißen<br />

Gaslicht. Als er anfing zu sprechen<br />

konnte man nur wenig aus den Lautsprechern<br />

hören, die nicht richtig funktionierten.<br />

Die ganze Welt trauert über den Tod einer<br />

großen Seele. In vielen Reden <strong>und</strong> Artikeln<br />

wurde Tribut gezahlt an einen, dessen vergeistigtes<br />

Leben durch den Tod einen Siegel<br />

erhielt. Ich hoffe, dass das tragische<br />

Ende seiner Lebensreise <strong>und</strong> die Erinnerung<br />

an sein Leben das nationale Leben in<br />

Indien reinigen <strong>und</strong> die Mutter Indien zu<br />

einer höheren Stufe der nationalen Selbsterkenntnis<br />

führen möge...<br />

Brief an Lore <strong>und</strong> Christian Paasche vom 13.07.1960 aus Niedernjesa<br />

...Ihr befindet Euch, ohne Euch dessen<br />

wahrscheinlich bewusst geworden zu sein,<br />

in einer Periode, in der eigentlich jeder<br />

nachdenklicher Missionar in eine Krise<br />

hineingerät. Wir haben das an uns selbst<br />

<strong>und</strong> noch viele Male an den Missionsgeschwistern<br />

in Indien erlebt, das just im dritten<br />

<strong>und</strong> vierten Indienjahr die Zweifel. <strong>und</strong><br />

die Kritik einsetzen, ob nicht in der Mission<br />

<strong>und</strong> bei den Eingeborenen, wie wir damals<br />

zu sagen pflegten, sehr viel, wenn nicht<br />

alles falsch ist einschließlich der Einstellung<br />

der eigenen Missionare. Das erscheint<br />

eine Art Naturgesetz zu sein <strong>und</strong><br />

hat in seiner Art - natürlich in ganz anderer<br />

Weise - Wirkungen wie etwa die Wechseljahre<br />

der Frau oder die sogenannte falsche<br />

zweite Jugend des Mannes um die Fünfzig.<br />

Die älteren Missionsleute kennen<br />

meist diesen Zustand <strong>und</strong> setzen ihn mit in<br />

Anrechnung, wenn sie besonnen sind.<br />

Nichtmissionsleute wissen meist nicht da<strong>von</strong><br />

<strong>und</strong> werden dadurch leicht irregeleitet<br />

Ihr werdet fragen, worin denn eigentlich<br />

das Besondere dieser Stufe der Entwicklung<br />

des Missionars besteht. Das lässt sich<br />

kurz etwa so sagen. Man fängt an, die<br />

Dinge <strong>und</strong> Menschen, nachdem man sich<br />

etwas eingelebt hat, ohne Maske zu sehen<br />

<strong>und</strong> das noch frische Idealbild, mit dem


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 51<br />

man herausgekommen ist, damit kritisch<br />

zu vergleichen. Das Ergebnis des Vergleiches<br />

ist gewöhnlich vernichtend, Aber man<br />

überzieht dabei leicht, dass einem etwas<br />

sehr Wichtiges nicht zu Gebote steht (bzw.<br />

noch nicht), nämlich die nur durch langjährige<br />

Arbeit zu gewinnende Einsicht, dass<br />

man in den Tropen mehr als anderswo mit<br />

retardierenden Faktoren rechnen muss, die<br />

sowohl bei den Farbigen wie auch bei uns<br />

Weißen (bei <strong>und</strong> schon allein wegen der<br />

größeren Freiheit <strong>und</strong> der sich dadurch<br />

ergebenden größeren Möglichkeit zu Fehlsamkeit)<br />

in der Mentalität vie auch in den<br />

sehr andersartigen Verhältnissen liegen.<br />

Nicht als ob damit alles zu entschuldigen<br />

wäre! Aber wer diese Dinge im Auge behält,<br />

wird sich beständig prüfen, ob er bei<br />

seinem Urteil nicht einseitig ist <strong>und</strong> ob er<br />

bei den sich ihm ergebenden Konsequenzen<br />

nicht zu radikal ist.<br />

Ich habe mich oft gefragt, welche Eigenschaft<br />

wohl die für draußen Wichtigste ist<br />

(ich rede jetzt nicht da<strong>von</strong>, dass die wichtigste<br />

Voraussetzung die ist, das man in<br />

der bewussten Nachfolge Christi stehen<br />

muss)! Ich bin zu dem Schluss gekommen,<br />

des Kontaktfähigkeit gepaart mit der Bereitschaft<br />

<strong>und</strong> Fähigkeit zu Teamarbeit,<br />

also zu Kooperation, mit die unerlässigsten<br />

1962<br />

sind. Nach Euren <strong>Briefe</strong>n scheint es fast,<br />

dass Pastor Hellm<strong>und</strong> bei aller guten Arbeit,<br />

die er offensichtlich sonst getan hat,<br />

besonders in seelsorgerlicher Hinsicht,<br />

nicht bei seinen Mitarbeitern Verständnis<br />

<strong>und</strong> auch Mitarbeit für seine besonderen<br />

Anliegen geweckt hat. Es mag einer eine<br />

noch so gute Schau <strong>von</strong> der besonders<br />

wichtig zu erscheinenden Arbeit haben!<br />

Aber wenn er sie praktisch als Einzelgänger<br />

tut, steht er in der Gefahr, als Außenseiter<br />

betrachtet zu werden <strong>und</strong> in die Isolierung<br />

zu geraten. Es ist um der Sache<br />

willen wichtig, dass man zuerst Himmel<br />

<strong>und</strong> Erde in Bewegung setzt, um allen Mitarbeitern,<br />

den Eingeborenen wie den Weißen,<br />

klar zu machen, um was es einem<br />

geht, <strong>und</strong> sie zu einem ähnlichen Kurs zu<br />

gewinnen. Das schuldet man der Gemeinschaft<br />

als solcher wie auch der Sache.<br />

Wenn man nicht eine Kursänderung für die<br />

ganze Arbeit erreichen kann, sollte man<br />

das Verständnis <strong>und</strong> Einverständnis der<br />

anderen gewinnen, für seine eigene Person<br />

mit dem Goodwill der anderen sozusagen<br />

als Experiment die eigenen Vorschläge<br />

durchzuführen. Nur so kann man<br />

erreichen, dass man nicht in die Isolierung<br />

gerät.


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 52<br />

R<strong>und</strong>brief zum Tode <strong>von</strong> Lisa <strong>Gäbler</strong> Ende April 1970 aus Niedernjesa<br />

Denen <strong>von</strong> Ihnen, die nichts <strong>von</strong> den naheren<br />

Umständen des plötzlichen Heimganges<br />

meiner Frau wissen, <strong>und</strong>/oder denen,<br />

die wahrscheinlich gern an der Trauerfeier<br />

teilgenommen hätten, aber dazu nicht in<br />

der Lage waren, möchte ich aus Dank für<br />

Ihre herzliche Anteilnahme das Folgende<br />

mitteilen.<br />

Mit der Reise nach Tansania ist ein langgehegter<br />

Wunsch meiner Frau in Erfüllung<br />

gegangen. Sowohl ein Göttinger Internist,<br />

der sie auf unseren Wunsch vorher gründlich<br />

untersucht hat, wie auch unser Hausarzt<br />

hatten nicht die geringsten ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Bedenken gegen diese Reise.<br />

Sie flog am 15. März nach Nairobi <strong>und</strong><br />

wurde dort <strong>von</strong> unseren Kindern, nach<br />

Moshi abgeholt. Der Plan war, dass sie am<br />

13. April zurückfliegen wollte. Unsere Lore<br />

<strong>und</strong> ihr Mann schrieben uns <strong>von</strong> ihrer<br />

Freude über die Vitalität <strong>und</strong> Unternehmungslust<br />

meiner Frau. Am 26. März,<br />

Gründonnerstag, kollidierte Lore in ihrem<br />

Wagen mit meiner Frau an ihrer Seite <strong>und</strong><br />

den Kindern auf den Rücksitzen im Dunkeln<br />

auf der Heimfahrt <strong>von</strong> Arusha. nach<br />

Moshi mit einem unbeleuchteten Trecker,<br />

der mitten auf der Straße abgestellt war.<br />

Den Kindern geschah nichts, aber Lore<br />

<strong>und</strong> meine Frau trugen Schnittw<strong>und</strong>en<br />

da<strong>von</strong> <strong>und</strong> wurden <strong>von</strong> einem Inder gleich<br />

ins Missionskrankenhaus Machame gefahren,<br />

wo sie vom dortigen Chirurgen Dr.<br />

Schmidt versorgt wurden. Am Osterdienstag<br />

wurden sie nach Moshi als geheilt entlassen,<br />

sollten sich aber noch schonen.<br />

Am folgenden Tage, dem 1, April, hatten<br />

meine Frau, Lore, Christian <strong>und</strong> Frl. Dreßler<br />

<strong>von</strong> der deutschen Schule in Kibosho<br />

noch eine lebhafte Unterhaltung mit nachfolgendem<br />

Kaffeetrinken. Frl. Dreßler war<br />

im Begriff, sich zu verabschieden, als meine<br />

Frau plötzlich einen derartigen Schwächeanfall<br />

erlitt, dass Christian da<strong>von</strong>stürzte,<br />

um den ganz in der Nähe wohnenden<br />

guten Fre<strong>und</strong> Prof. Dr. Walther (Leiter des<br />

vor allem mit Unterstützung <strong>von</strong> "Brot für<br />

die Welt" errichtete Kilimanjaro Medical<br />

Center) zu holen. Nach wenigen Minuten<br />

stürzte auch Lore da<strong>von</strong>, um im Nachbarhaus<br />

nach einem indischen Arzt zu telefonieren.<br />

Sofort anschließend kam sie zurück,<br />

gleichzeitig mit Christian <strong>und</strong> Dr.<br />

Walther. Letzterer konnte nur noch den<br />

bereits eingetretenen Tod feststellen. Das<br />

Ganze hatte kaum 20 Minuten gedauert.<br />

Diagnose: Embolie. Ob diese eine Folge<br />

des Unfalles war oder ganz unabhängig<br />

da<strong>von</strong> aufgetreten ist, wird <strong>von</strong> den Ärzten<br />

verschieden beurteilt; das Letztere wird<br />

<strong>von</strong> manchen für das Wahrscheinlichere<br />

gehalten, weil meine Frau einen allmählichen<br />

Herzstillstand. <strong>und</strong> damit eine langsam<br />

einsetzende Bewusstlosigkeit - wie es<br />

scheint, ohne Schmerzen - erlitten hat.<br />

Gott hat es gut gemeint, dass er sie so<br />

gelinde aus einem frohen, erfüllten Leben<br />

heimgerufen hat, ehe sie den uns gegen<br />

Jahresende bevorstehenden Abschied <strong>von</strong><br />

Niedernjesa <strong>und</strong> ihrem geliebten Garten<br />

erleben musste. Wir beide haben gerade<br />

in den letzten Jahren oft Gott gedankt,<br />

dass er uns trotz vielem Schweren, das er<br />

uns in einem langen Leben gemeinsam<br />

durchstehen. ließ, unsagbar viel Gutes hat<br />

erfahren lassen. Jeder neue Tag <strong>und</strong> jedes<br />

neue Jahr der Gemeinsamkeit war uns ein<br />

Gottesgeschenk. Wegen der tropischen<br />

Verhältnisse fand bereits am nächsten<br />

Tage, dem 2. April, eine Trauerfeier statt,<br />

zu der sich viele Missionare <strong>und</strong> ihre Frauen<br />

<strong>und</strong> andere Fre<strong>und</strong>e einfanden, <strong>und</strong><br />

anschließend erfolgte die Einäscherung.<br />

Die hiesige Trauerfeier mussten wir um 14<br />

Tage hinausschieben, weil wir hofften,<br />

dass uns die Urne bis dahin erreichen<br />

würde. Das war dann auch der Fall. Der<br />

18. April brachte. uns einen warmen Frühlingstag.<br />

Die Kirche war bis auf wenige<br />

Plätze auf einer der Emporen voll besetzt.<br />

Es müssen über 200 Personen gewesen<br />

sein; darunter waren eine Reihe <strong>von</strong> Verwandten<br />

<strong>und</strong> Bekannten, die <strong>von</strong> weither<br />

kamen. Die Urne stand inmitten <strong>von</strong> Kerzen<br />

<strong>und</strong>. Blumen vor dem Altar. Superintendent<br />

Achilles aus Göttingen, dem der<br />

hiesige Kirchenkreis seit einem Jahrzehnt<br />

untersteht, ein persönlicher Fre<strong>und</strong> unserer<br />

Familie, hielt auf meine Bitte die Trauerfeier.<br />

Er ließ die Gemeinde die gleichen<br />

Gesänge singen, die auch bei der Trauerfeier<br />

in Moshi angestimmt worden sind:<br />

"Bis hierher hat mich Gott gebracht",<br />

"Christ ist erstanden" <strong>und</strong> "Befiehl du deine<br />

Wege" V.1 - 6. Seiner Ansprache legte er<br />

Psalm 84,12 zu Gr<strong>und</strong>e, den Trauspruch,


<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 53<br />

den meine Frau <strong>und</strong> ich für unsere grüne<br />

Hochzeit am 10.02.1923 in Mayavaram<br />

(jetzt: Mayuram) in Südindien ausgesucht<br />

hatten: "Gott der Herr ist Sonne <strong>und</strong>.<br />

Schild; der Herr gibt Gnade <strong>und</strong>. Ehre. Er<br />

wird. kein Gutes mangeln lassen den<br />

Frommen," Superintendent Achilles zeichnete<br />

mit großem Einfühlungsvermögen<br />

das Lebensbild meiner Frau <strong>und</strong>. entfaltete<br />

dann eindringlich die Botschaft des Bibeltextes,<br />

<strong>und</strong> das alles mit großer Herzenswärme.<br />

Er schloss im Blick auf die große<br />

Freude, die meine Frau u.a. für den Garten<br />

<strong>und</strong> alles, was lebt <strong>und</strong> blüht <strong>und</strong>. reift,<br />

hatte, mit den Worten aus <strong>Paul</strong> Gerhardt's<br />

"Geh aus mein Herz": "Welch hohe Lust,<br />

welch heller Schein wird. wohl in Christi<br />

Garten sein! Wie muss es da wohl klingen...",<br />

"Mach in mir deinem Geiste Raum,<br />

dass ich dir werd. ein guter Baum <strong>und</strong> lass<br />

mich Wurzel treiben. Verleihe, dass zu<br />

deinem Ruhm ich deines Gartens schöns-<br />

<strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 1972<br />

te Blum <strong>und</strong>. Pflanze möge bleiben..." -<br />

Dann setzte sich ein langer Zug in Bewegung.<br />

Auf dem Friedhof, auf dem ich selbst<br />

seit 20 Jahren so oft an den Gräbern gestanden<br />

mit den Trauernden Gottes Wort<br />

gesagt habe, in dem Teil, wo die Doppelgräber<br />

liegen <strong>und</strong> <strong>von</strong> wo der Blick weit<br />

über die Fluren des schönen Leinetals <strong>und</strong><br />

bis nach Göttingen schweift, wurde die<br />

Urne beigesetzt; daneben ist der Fleck,<br />

wo, so Gott will, auch ich meine letzte Ruhestätte<br />

finden werde. Einige wenige<br />

Kränze mit aus Laub geflochtene, mit Blumen<br />

besteckte Kreuze <strong>und</strong>. dazu mehrere<br />

immer noch frische Sträuße mit leuchtend<br />

blauen Iris <strong>und</strong> weißen Lilien schmücken<br />

den kleinen Hügel. Mir ist, als stünde über<br />

allem das tröstliche <strong>und</strong> mahnende Wort:<br />

"Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein,<br />

dass uns werde klein des Kleine <strong>und</strong> das<br />

Große groß erscheine. Sel'ge Ewigkeit."

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