Briefe von Paul Gäbler ua - Gaebler Info und Genealogie
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<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 1<br />
Inhalt<br />
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> u.a.<br />
Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 07.05.1925 aus Birmingham ........................................................ 2<br />
Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 17.01.1926 aus Indien ................................................................. 3<br />
Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 19.04.1927 aus Kodaikanal ......................................................... 4<br />
Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 08.09.1927 ................................................................................... 5<br />
R<strong>und</strong>brief vom 20.10.1927 aus Madras............................................................................ 5<br />
R<strong>und</strong>brief vom 27.10.1927 aus Madras............................................................................ 9<br />
R<strong>und</strong>brief vom 10.11.1927 aus Madras.......................................................................... 11<br />
R<strong>und</strong>brief vom 11.01.1928 aus Madras.......................................................................... 13<br />
R<strong>und</strong>brief vom 12.06.1928 aus Kotagiri.......................................................................... 17<br />
R<strong>und</strong>brief vom 30.08.1928 aus Madras.......................................................................... 19<br />
R<strong>und</strong>brief vom 06.12.1928 aus Madras.......................................................................... 23<br />
Brief an die Mütter <strong>und</strong> Tante Anna vom 28.03.1929 aus Madras.................................. 27<br />
Brief an die Mütter <strong>und</strong> Tante Anna vom 04.04.1929 aus Madras.................................. 28<br />
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> Martin Witte an seine Braut Hanna Witte 1933 bis 1935 ............................... 29<br />
Brief an Lore <strong>und</strong> Ulrike vom 04.09.1939 ....................................................................... 31<br />
Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> Mai 1939 bis März 1940......................................................... 31<br />
Brief an Oma Elisabeth <strong>Paul</strong> vom 06.10.1941 aus Kodaikanal....................................... 34<br />
Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> September 1942 bis Oktober 1943 ........................................ 34<br />
Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> Febr<strong>ua</strong>r 1944 bis Dezember 1946 ......................................... 38<br />
<strong>Briefe</strong> Dezember 1946 an Board "Johan van Oldenbarnevelt"....................................... 44<br />
Bericht <strong>von</strong> Tucher über Neuengamme im Jan<strong>ua</strong>r 1947 ................................................ 48<br />
Brief an Lore vom 23.10.1947 aus Oesselse.................................................................. 50<br />
Brief an Lore vom 01.01.1948 aus Oesselse.................................................................. 50<br />
Brief an Lore <strong>und</strong> Christian Paasche vom 13.07.1960 aus Niedernjesa......................... 50<br />
R<strong>und</strong>brief zum Tode <strong>von</strong> Lisa <strong>Gäbler</strong> Ende April 1970 aus Niedernjesa........................ 52
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 2<br />
Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 07.05.1925 aus Birmingham<br />
Gerade heute vor drei Wochen kam ich zu<br />
Ihnen nach Schweta <strong>und</strong> nun bin ich bereits<br />
eine Woche in England. Da möchte<br />
ich Ihnen gern einen Gruß senden. Die<br />
Herfahrt war bis Hoek <strong>von</strong> Holland schön.<br />
Als ich jedoch auf das Schiff ging, da heulte<br />
der Sturm <strong>und</strong> die Matrosen waren in<br />
schwarzes Lederzeug gehüllt. Durch die<br />
Erfahrung meiner Reise nach Schweden<br />
gewitzt, wartete ich nicht die Abfahrt ab,<br />
die gewiss sehr romantisch gewesen wäre,<br />
sondern legte mich gleich zu Bett <strong>und</strong> kam<br />
so abwechselnd wachend <strong>und</strong> schlafend<br />
nach Harwich. Es war schauderhaft stürmisch,<br />
ich hatte Mühe auf einer Seite liegen<br />
zu bleiben, weil das Schiff rollte. Noch<br />
am nächsten Abend rumorte mein Magen<br />
infolge der dadurch entstanden Lebensmittelunruhe,<br />
die jedoch infolge meines Liegens<br />
nicht in offene Revolution überging.<br />
Die Kontrolle in Harwich war, wie Sie vorausgesagt<br />
hatten, sehr streng. Mein Koffer<br />
wurde durchsucht <strong>und</strong> der Beamte zog<br />
etwas Eingewickeltes ans Licht, aber er<br />
hatte sich verrechnet. Es war nicht, wie er<br />
wohl gedacht hatte, Zigarren sondern es<br />
war nur Briefpapier. Den Sichtvermerk bekam<br />
ich erst nach langem Diskutieren in<br />
einem schauderhaften halb englisch <strong>und</strong><br />
deutschen Kauderwelsch. Offenbar befürchtet<br />
man das Einwandern <strong>von</strong> mittellosen<br />
Personen, die nachher der Staatskasse<br />
zur Last fallen könnten. Das war aber<br />
nicht der Gr<strong>und</strong>, weshalb ich mein Vermögen<br />
anzeigen musste. Glücklicherweise<br />
hatte ich fünfh<strong>und</strong>ert Mark mit. Es war<br />
auch misslich, dass ich nichts Genaues<br />
über Kings Meet wusste. Erst Miss Gollock<br />
sollte mir Instruktionen geben. Nachdem<br />
ich auch meine ärztliche Untersuchung<br />
durchgemacht hatte, war ich frei. Aber der<br />
Zug war glücklich fort. Ein Mann, mit dem<br />
verheißungsvollen Mützenschild Interperter<br />
klärte mich in German über meine Weiterreise<br />
auf <strong>und</strong> so kam ich ins schwarze rußige<br />
London. Miss Gollock war nicht im<br />
Edingburghhaus anwesend, aber sie hatte<br />
einen Brief hinterlassen, der mir alles Nähere<br />
über die Weiterfahrt mitteilte. So kam,<br />
ich glücklich ans Ziel.<br />
Nun suche ich mich ins Englisch einzuleben.<br />
In wöchentlich fünf St<strong>und</strong>en werde ich<br />
bei Mrs. Powers, einer sehr fre<strong>und</strong>lichen<br />
Lehrerin, die auch Deutsch spricht, mit<br />
einigen anderen in Grammatik, Phonetik,<br />
Prosa, Poesie <strong>und</strong> ähnlichem unterwiesen...<br />
Weiter finden hier eine Anzahl Vorlesungen<br />
über allerlei theologische <strong>und</strong> pädagogische<br />
Gebiete statt, durch deren Besuch<br />
man auch im Englisch gefördert wird.<br />
Schließlich bietet sich dazu viel Gelegenheit<br />
bei den Mahlzeiten, wo wir etwa 50<br />
Menschen sind. Zum allergrößten Teile<br />
sind es junge Damen auch aus Indien <strong>und</strong><br />
China, die sind glücklicherweise meist redelustig<br />
<strong>und</strong> machen Attacken in Englisch.<br />
Da muss man wohl oder übel antworten<br />
<strong>und</strong> so kommt man auch in dieser Hinsicht<br />
ins Englische. Selbst wir drei Deutschen,<br />
Herr Missionar Rothe, Missionar Misslinger<br />
Basel, China <strong>und</strong> ich sprechen untereinander<br />
möglichst wenig Deutsch. Es ist also in<br />
bester Weise dafür gesorgt, dass man viel<br />
Englisch spricht, hört <strong>und</strong> liest. An der<br />
merkwürdigen Tageseinteilung Vorlesung<br />
(vorlesen) viertel vor zehn bis eins <strong>und</strong><br />
halb fünf bis sieben, die die beste Zeit dem<br />
Privatstudium überlässt, an der Art der<br />
Begrüßung. Das Händeschütteln ist verpönt.<br />
An der Anlage der Häuser, den tadellosen<br />
Gartenanlagen, die Zimmer mit Zentralheizung,<br />
warmes Wasser, Badegelegenheit,<br />
Tennisplätze, an den opulenten<br />
Mahlzeiten, mit Weißbrot, viel Fleisch (täglich)<br />
<strong>und</strong> Fettigkeiten, aber in sehr geringen<br />
Dosen, an der Art der Frömmigkeit<br />
(völlig interkonfessionell), der Wissenschaftsbetriebes<br />
(oh my goodness), der<br />
Stellung zur Politik (der Völkerb<strong>und</strong> ist<br />
Trumpf) usf., wir Deutschen kommen aus<br />
dem Verw<strong>und</strong>ern nicht heraus. Wohltuend<br />
war die Fre<strong>und</strong>lichkeit auf der Polizeistation<br />
in Birmingham. Ob der unaufhörliche<br />
Regen auch eine englische Eigentümlichkeit<br />
ist, habe ich noch nicht ergründet. Übrigens<br />
gibt es hier auch eine reichhaltige<br />
Missionsbibliothek in englischer Sprache,<br />
die ich natürlich auch benutze. Alles in<br />
allem fühle ich mich hier wohl <strong>und</strong> hoffe<br />
auch mit dem Englisch weiter zu kommen.<br />
Hoffentlich geht es Ihnen allen recht gut.<br />
Wie wohl die drei Fotographien <strong>von</strong> Herrn<br />
Schubert gelungen sind. Herzliche Grüße<br />
sendet Ihnen hochverehrter Herr Professor,<br />
Ihrer Frau Gemahlin <strong>und</strong> Fräulein Lisa.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 3<br />
Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 17.01.1926 aus Indien<br />
Es ist ein w<strong>und</strong>erschöner Sonntagnachmittag.<br />
Ein kleiner Luftzug hat sich aufgemacht,<br />
so dass man die 80°F nicht so sehr<br />
spürt, <strong>und</strong> draußen krächzen unermüdlich<br />
die Krähen. Wenn man da zur Feier des<br />
Tages etwas Siesta hält, kann es gar nicht<br />
ausbleiben, dass man noch mehr als sonst<br />
an Deutschland denkt. Heute am 17. sind<br />
es gerade zwei Monate, dass wir Indienfahrer<br />
aus Leipzig abfuhren. An die lange<br />
Reise denke ich gern zurück; sie brachte<br />
so viele schöne Eindrücke. Leider trafen<br />
wir es in Italien nicht sehr gut, weil es fast<br />
immer dunstig oder gar regnerisch war. In<br />
Neapel wäre ich gerne nach Pompeji gefahren,<br />
aber tatsächlich entschließen wir<br />
uns für Kloster Gamaldoli <strong>und</strong> bereuten es<br />
nicht. In Rom kamen wir zur großen Missionsausstellung<br />
hinter dem Vatikan gerade,<br />
als sie geschlossen wurde; die Zeit wäre<br />
aber auch sonst ziemlich knapp geworden.<br />
Die Seefahrt war im allgemeinen ganz erträglich;<br />
seekrank wurde ich nur 1½ Tage,<br />
abgesehen <strong>von</strong> der schauderhaften Überfahrt<br />
<strong>von</strong> Tolaimannar nach Danukodi,<br />
sonst fehlte es allerdings auch nicht bei mir<br />
an gemischten Gefühlen, aber man gewöhnt<br />
sich selbst an so etwas wie schaukeln.<br />
Herr Kannegießer war noch etwas<br />
widerstandsfähiger; dagegen Herr Direktor<br />
hatte nicht das Geringste zu lachen. Besonders<br />
schön waren die Abende auf<br />
Deck, wo man im Schiffsstuhl lag <strong>und</strong> in<br />
den Sturmhimmel guckte. Schön war es,<br />
dass wir überall im Schiff herumgehen<br />
konnten; im Maschinenraum krochen wir<br />
an der Schiffsschraubenwelle entlang bis<br />
zu der Stelle, wo sie den Schiffsleib verlässt;<br />
auf der Kommandobrücke sahen wir<br />
uns die Hebel <strong>und</strong> die nautischen Hilfsmittel<br />
an, <strong>und</strong> auch der Funkerbude statteten<br />
wir einen Besuch ab. Die Passagiere waren<br />
bunt zusammengewürfelt, ein norwegischer<br />
Missionar. Berliner Missionarskinder<br />
aus Shintau, die künftig die dortige Missionsschule<br />
der Amerikaner besuchen sollen,<br />
ein amerikanischer Botanikprofessor,<br />
der in Ceylon unzählige Pflanzen für die<br />
amerikanische Regierung kaufen wollte,<br />
Kaufleute, Vergnügungsreisende usf. Im<br />
Ganzen waren es nette Reisegefährten,<br />
etwa 35. Mit den Schiffsgottesdiensten<br />
hatte es einige Schwierigkeiten. Die mitgenommenen<br />
Singzettel waren als Notzettel<br />
ganz geeignet; aber es kamen nur etwa die<br />
Hälfte der Passagiere, <strong>von</strong> den Mannschaften<br />
überhaupt niemand, vom Kapitän<br />
<strong>und</strong> Oberst<strong>ua</strong>rd abgesehen. - Der Kapitän,<br />
ein alter, eigentlich sympathischer Seebär,<br />
hatte für das Christentum nicht viel übrig.<br />
Einmal ist er mit mir nach dem Abendessen<br />
st<strong>und</strong>enlang auf dem Deck hin <strong>und</strong> her<br />
gewandert <strong>und</strong> hat es nicht begreifen können,<br />
wie man als Christ fröhlich sein <strong>und</strong><br />
noch dazu wohlmöglich anderenorts zu<br />
Christen machen könne; es sei für die<br />
Schwächlinge da, für die, die sich nicht (?)<br />
wollten, die die kein Mark in den Knochen<br />
hätten; ich tat ihm ordentlich leid, dass ich<br />
in seinem, d.h. Christus Armen geraten<br />
wäre. Er muss wohl richtige "Waschlappen"<br />
<strong>von</strong> Christen kennen gelernt haben.<br />
Viel kam natürlich bei dem Disput nicht<br />
heraus. Der Kunstgeschichtler Mayer-<br />
Gräfe äußerte sich bissig über uns Missionsleute,<br />
<strong>und</strong> ich möchte nur wissen, ob er<br />
uns nicht in seinen Artikeln, die er nachher<br />
geschrieben haben wird, (er stieg in Port<br />
Said aus) lächerlich gemacht hat. Herr<br />
Direktor sprach da<strong>von</strong>, dass er dem wohl<br />
nachgehen <strong>und</strong> es nötigenfalls festnageln<br />
möchte; aber ich fürchte, dass er nicht dazu<br />
kommen wird bei aller anderen Arbeit;<br />
ob Ihnen vielleicht zufällig solch ein Artikel<br />
über den Weg kommt?<br />
Auf Ceylon, wo wir infolge der Überschwemmungen<br />
in Südindien einige Tage<br />
festgehalten wurden, verlebten wir schöne<br />
St<strong>und</strong>en. In Madura wurde uns ein sehr<br />
herzlicher Empfang bereitet, gemeinsam<br />
ging dann die Reise weiter über Dindigul<br />
nach Trichinopoly, wo dann unsere Wege<br />
auseinander gingen. Ich bin dankbar, dass<br />
ich so lange mit Herrn Direktor <strong>und</strong> Herrn<br />
Kannegießer zusammen sein durfte; auf<br />
dem Schiff hatten wir jeden Tag, wenn es<br />
nicht gerade sehr bewegt war, unsere gemeinsame<br />
Bibelbesprechung (1. Timotheusbrief).<br />
Nach ganz kurzem Aufenthalt<br />
bei D. Heumann fuhr ich in der Nacht weiter<br />
nach hier <strong>und</strong> war endlich am 18. Dez.<br />
am Ziele.<br />
Bexells haben mich sehr herzlich <strong>und</strong><br />
warm aufgenommen. Die Gemeinde begrüßte<br />
mich dann am 4. Advent, wo ich<br />
antwortete auf Englisch, vom Dolmetscher<br />
ins Tamilische übersetzt. Dass man Tami-
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 4<br />
lisch erst lernen muss, ist eine mühsame<br />
Sache. Die erste Zeit nahm ich an den<br />
Gottesdiensten in der Weise teil, dass ich<br />
die Lieder einfach deutsch sang. Aber nun<br />
habe ich wenigstens die Buchstaben einigermaßen<br />
gelernt - vor einem Jahr legte<br />
schon Missionar Petermann in Leipzig dazu<br />
den Gr<strong>und</strong>stein - <strong>und</strong> ich singe vorsichtig<br />
tastend <strong>und</strong> oft daneben greifend tamilisch<br />
mit; auch durch die Liturgie finde ich<br />
jetzt ziemlich durch. Aber vorläufig ist es<br />
noch Schall <strong>und</strong> Rauch, weil ich den Sinn<br />
nicht verstehe. Seit etwa 1½ Woche habe<br />
ich einen Muntsi (Sprachlehrer) denselben,<br />
den Fräulein Hübener vor dem Kriege gehabt<br />
hat <strong>und</strong> drille mit ihm. Vielleicht kann<br />
ich aber doch noch, wie es ja ursprünglich<br />
geplant war, nach Kodaikanal hinauf, wo<br />
die Lang<strong>ua</strong>ge School nach dem Urteil <strong>von</strong><br />
Herrn Bexell u.a. gut ist; augenblicklich<br />
macht noch die Q<strong>ua</strong>rtierfrage Schwierigkeiten.<br />
Hoffentlich bin ich Ende dieser Woche<br />
oben.<br />
Dass ich an der Konferenz in Madras teilnehmen<br />
konnte, war sehr schön. Da bekam<br />
man einen hoch willkommenen Einblick<br />
in die Missionsprobleme, <strong>und</strong> man<br />
bekam auch die führenden Persönlichkeiten<br />
zu sehen. Es sind doch z.T. sehr widerstrebende<br />
Kräfte in den lutherischen<br />
Körperschaften Indiens tätig. Die Missionare<br />
haben glücklicher Weise schon früher<br />
ihren Austritt erklärt. Am schwierigsten sind<br />
noch die Dänen, die stark modernistisch<br />
angehaucht sind <strong>und</strong> Angst davor haben,<br />
dass Leipzig stark wieder in den Vordergr<strong>und</strong><br />
treten könnte. Besonders das Trankebarer<br />
Theologenseminar scheint ihnen<br />
ein Stein des Anstoßes gewesen zu sein,<br />
obwohl sie die Bücher <strong>von</strong> D. Zch(?) gerne<br />
Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 19.04.1927 aus Kodaikanal<br />
Für Ihre Karte <strong>und</strong> für die Übermittlung des<br />
Indienkatalogs möchte ich Ihnen gern sehr<br />
herzlich danken. Ich hätte nie geahnt, dass<br />
die Literatur über Indien so umfangreich<br />
ist. Vor fünf Tagen bin ich nach Kodi heraufgekommen.<br />
Schon voriges Jahr gefiel<br />
mir Kodi mit all seiner Schönheit sehr. Aber<br />
dies Jahr geht es mir doch noch anders.<br />
Immer wieder freue ich mich an der Stille<br />
ringsum <strong>und</strong> an der Schönheit der Gottesnatur.<br />
Eben unter Mittag zeigt das Thermometer<br />
im Zimmer 20 Grad Celsius. Mir<br />
benutzen. Aber es kam doch zu positiven<br />
Ergebnissen.<br />
Auch Teddy Benze war dort aber ohne<br />
"Rauchen". Ich glaube, dass Geld reichte<br />
nicht ganz. Wir haben viel zusammengesessen<br />
<strong>und</strong> uns erzählt, er über Amerika<br />
<strong>und</strong> Deutschland, <strong>und</strong> ich über Deutschland.<br />
Er schalt noch über "die dumme Wirtschaft"<br />
in Frankreich; auch sein Vater hat<br />
dort einmal mit seinem Gepäck Schwierigkeiten<br />
gehabt. Auch auf Prof. Richter kam<br />
er zu sprechen, der sich auf seiner Amerikafahrt<br />
durch Grosstun alle Sympathien<br />
verscherzt habe; stets hätte er nur zu<br />
schelten <strong>und</strong> kritisieren gehabt. Gern dachte<br />
er an seine Deutschlandfahrt zurück,<br />
auch an seinen Besuch bei den "guten<br />
Onkel <strong>Paul</strong>" in Schweta. In Radjam<strong>und</strong>y<br />
hat er sich mit seiner Frau aufs Sprachenlernen<br />
geworfen; es sei eine Arbeit, die<br />
Freude mache, aber er müsse sich tüchtig<br />
anstrengen, weil sie zu zweit sich sehr<br />
Konkurrenz machten. -<br />
Das (?) Zeug <strong>von</strong> Kumbakonam habe ich<br />
Herrn Kannegießer gegeben; ich glaube,<br />
er hat am ersten Gelegenheit, Ihnen das<br />
Gewünschten mitzubringen. Nachdem ich<br />
mich ein wenig eingelebt habe, geht es<br />
nach der Melodie "Wie sanft ist aller Tage<br />
Fluss bis zum geliebten Wochenschluss."<br />
Sanft d.h. in Bezug auf äußere besondere<br />
Ereignisse. -<br />
Hier grünt <strong>und</strong> blüht es ringsum, <strong>und</strong> die<br />
Balsameinen sind hoch emporgeschossen,<br />
während es in Schwetas Garten wohl noch<br />
Winterschlaf gibt. Erst vor einem Vierteljahr<br />
war ich bei Ihnen - mir ist, als ob wäre es<br />
viel länger; wenn man viel erlebt, geht die<br />
Zeit so langsam hin.<br />
kommt das kühl vor <strong>und</strong> der wollene Winteranzug,<br />
den ich aus Deutschland mitgebracht<br />
habe, ist mir dafür gerade recht.<br />
Wie wird hier das Auge erquickt durch das<br />
Grün ringsum <strong>und</strong> durch die Blumenpracht<br />
<strong>und</strong> das rauschende Wasser. Hier oben<br />
lässt es sich "leben".<br />
Dort unten aber ist es fürchterlich. Natürlich<br />
gewöhnt man sich an die Hitze, den<br />
Durst, die Trockenheit, den Staub. Man<br />
gewöhnt sich auch an das Gefühl, als wäre
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 5<br />
man mit Klintenleim bestrichen, weil alles<br />
klebt. Aber wenn man mal der Hitze entfliehen<br />
kann, ist man doch <strong>von</strong> Herzen<br />
dankbar dafür. Ich bin nur froh, dass nicht<br />
das ganze Jahr solche Temperaturen aufweist.<br />
Dass die Inder eine Anlage zur<br />
Trägheit <strong>und</strong> Gleichgültigkeit haben, w<strong>und</strong>ert<br />
mich nun nicht im Geringsten.<br />
Die Tage, die ich in Pandur verlebt habe,<br />
waren fein. Da habe ich allerlei vom indischen<br />
Dorfchristentum kennen gelernt. Die<br />
Lehrer, die dort abseits <strong>von</strong> allen Verkehrswegen<br />
hausen in weit entlegenen<br />
Dörfern beneide ich nicht gerade um ihre<br />
Stellung. Mir hat sich während des Kursus<br />
in Madras ein Vortrag <strong>von</strong> Bischof Asiria<br />
sehr eingeprägt. Er wies darauf hin, dass<br />
bei der Dorfmission die Dorflehrer die gegebenen<br />
Evangelisten sind. Nun scheint<br />
aber während der Abwesenheit der Deutschen<br />
in diesen Gebiet nicht viel zu ihrer<br />
inneren evangelistischen Ausrüstung getan<br />
zu sein. Die Lehrerversammlung, die eine<br />
Art Freizeit darstellt, sind ja weithin einge-<br />
Brief an Carl <strong>Paul</strong> vom 08.09.1927<br />
Du fragtest einmal, wie es mit meinem Examen<br />
werden würde. Jetzt habe ich nun<br />
vom Missionsrat Nachricht darüber erhalten.<br />
Ich soll das Examen am 5. Oktober in<br />
Madras ablegen. Wer mich prüfen wird,<br />
weiß ich noch nicht. Einer der Examinatoren<br />
ist sicher D. Fröhlich. Früh habe ich<br />
R<strong>und</strong>brief vom 20.10.1927 aus Madras<br />
In dieser Woche wandern meine Gedanken<br />
besonders viel nach Deutschland. Es<br />
sind ja jetzt gerade zwei Jahre seit meiner<br />
Ordination <strong>und</strong> Abordnung vergangen. Wie<br />
gerne denke ich an jene Tage zurück. Nun<br />
noch einmal eine doppelt so lange Zeit -<br />
dann mag es sein, dass ich wieder nach<br />
Deutschland fahre. Aber bestimmt ist es<br />
noch nicht, weil es noch nicht festgelegt ist,<br />
wie lang bei uns ein Indienaufenthalt sein<br />
soll, vermutlich werden wir uns ungefähr<br />
den Schweden angleichen, die eine Periode<br />
<strong>von</strong> sieben Jahren haben.<br />
Meine neuste Errungenschaft ist ein Stahlross,<br />
das sogar den Beifall <strong>von</strong> Heller gef<strong>und</strong>en<br />
hat. Wenn ich jetzt oft zur Fabrizius-Schule<br />
muss, ist solch ein Ding hoch-<br />
schlafen. Da war es sehr interessant, an<br />
zwei derartigen Versammlungen, an denen<br />
Herr Heller mit teil nahm, teilzunehmen.<br />
Ein Teil der Lehrer ist wohl müde geworden<br />
<strong>und</strong> schläfrig. Einzelne dagegen sind<br />
sehr aufgeweckt <strong>und</strong> rege. Auch die Dörfer<br />
machten einen sehr verschiedenen Eindruck.<br />
Besonders gefiel mir S., wo die<br />
Gemeinde beim Erntedankfest soviel Gaben<br />
darbrachte, dass bei deren Versteigerung<br />
etwas über zwölf Rupies zusammen<br />
kam bei nur etwa 50 Gemeindegliedern. In<br />
anderen Ortschaften dagegen war es<br />
kümmerlich. Ich denke z. B. an M.<br />
Als wir da durch einen Ort gingen, folgte<br />
uns auch ein alter Hindu, der <strong>von</strong> K. getauft<br />
war, aber später wieder abfiel. Herr<br />
Heller fragte ihn, ob er sich nicht schäme.<br />
Da grinste er, "nein durchaus nicht". Unser<br />
Pastor sagte mir nachher, solche Leute<br />
sein nicht selten. Sie hätten eben nie das<br />
Christentum wirklich mit dem Herzen aufgenommen.<br />
Wie gut, das dies schließlich<br />
wirklich nur Ausnahmen sind.<br />
dann meine Probelexion oder Katechese in<br />
der Schule abzuhalten <strong>und</strong> am Abend habe<br />
ich den üblichen Mittwochabendgottesdienst<br />
abzuhalten mit Predigt. Im Laufe<br />
des Tages findet außerdem das Schriftliche<br />
<strong>und</strong> Mündliche statt....<br />
willkommen, Ich sprach mit unserem<br />
Propst darüber, dass ich daran dächte, mir<br />
aus Deutschland ein Rad kommen zu lassen;<br />
da sagte er mir, Herr Alm habe eins<br />
für 128/- Rs. zu verkaufen, Made in Sweden.<br />
So schrieb ich ihm umgehend <strong>und</strong><br />
bekam es dann schnell zugeschickt. Es ist<br />
ein bisschen schwer, aber für die indischen<br />
Verhältnisse ist es gerade das richtige<br />
Format. Vor allem hat es Rücktrittbremse,<br />
ein Vorzug, über den erbärmlicher Weise<br />
weder die indischen noch die englischen<br />
Fahrräder verfügen. Ich habe es schon<br />
öfter benutzt <strong>und</strong> bin zufrieden damit. Namentlich<br />
in den <strong>von</strong> Menschen <strong>und</strong> Krimskrams<br />
wimmelnden Basarstraßen muss<br />
man das Rad fest am Zügel haben. dass<br />
man hier immer links ausbiegen <strong>und</strong> rechts
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 6<br />
überholen muss, war mir erst etwas merkwürdig,<br />
aber schließlich tut man es ganz<br />
automatisch. Da3 man hier ein Rad gut<br />
brauchen kann, habe ich eigentlich erst<br />
kürzlich entdeckt. Auf die Autobusse ist<br />
nämlich manchmal nicht sehr viel Verlass,<br />
weil sie sich in ihrer unzähligen Zahl allmählich<br />
gegenseitig zu Tode konkurrieren.<br />
Aber für weitere Entfernungen ist der Autobus<br />
immer noch die ideale Beförderung.<br />
Auch während der glühenden Mittagsst<strong>und</strong>en<br />
ist das Radfahren nicht empfehlenswert;<br />
denn da ist man selbst bei vernünftigem<br />
Fahren sehr bald wie ein Kanonenofen,<br />
der bis zum Hals voller Kohlen ist<br />
<strong>und</strong> vor sich hinprasselt.<br />
Das Geld dazu lasse ich mir vom Missionsrat<br />
vorschießen <strong>und</strong> zahle das Geld in monatlichen<br />
Raten <strong>von</strong> vielleicht fünf Rs. <strong>von</strong><br />
meinem Reiseetat ab, den ich noch bewilligt<br />
bekommen muss. - Nun muss ich mir<br />
bloß noch eine Laterne kaufen.<br />
Vorgestern tauchte plötzlich Heller bei uns<br />
auf. Er hatte hier in Madras zu tun; vor<br />
allem wollte er jedoch, dass ich am Nachmittag<br />
mit ihm einen Trip nach Tiruvallur<br />
machte, um das Haus zu besichtigen. Das<br />
soll ja das Wohnhaus, oder wie die Engländer<br />
so schön sagen, die Residenz <strong>von</strong><br />
Lisa <strong>und</strong> mir werden. Als wir dort ankamen,<br />
war der dort hausende Pastor Karl Samuel<br />
leider ausgeflogen <strong>und</strong> in den Distrikt gefahren.<br />
Aber wir sahen uns doch immerhin<br />
das Haus eingehend an. Es muss sofort<br />
nach dem Aufhören der Regenzeit, auf<br />
deren Beginn wir immer noch ziemlich verzweifelt<br />
Ausschau halten, repariert werden.<br />
An verschiedenen Stellen regnet es noch<br />
gewaltig durch; vor allem muss dann auch<br />
alles geweißt werden. Im Untergeschoß<br />
gibt es dort ein großes Vorderzimmer, <strong>von</strong><br />
dem man durch das Treppenhaus in das<br />
große Hinterzimmer spaziert. Rechts <strong>und</strong><br />
links vom Treppenhaus befinden sich die<br />
beiden Seitenzimmer. Steigt man das<br />
Treppenhaus empor, findet man im Obergeschoß<br />
entsprechend über den beiden<br />
Seitenzimmern zwei Räume, dis als<br />
Schlafzimmer <strong>und</strong> als Gästezimmer gedacht<br />
sind. Über dem Vorderzimmer, das<br />
als "Empfangszimmer" oder "Salon" oder<br />
Wohnzimmer dienen kann, befindet sich<br />
oben eine schöne Veranda. In jenem Zimmer<br />
stehen augenblicklich noch die acht<br />
Kisten <strong>von</strong> Missionar Söderström, dem<br />
Vorgänger <strong>von</strong> Heller in Pandur, der in<br />
diesem Frühjahr heimreiste <strong>und</strong> vor ein<br />
paar Wochen plötzlich an Blinddarmentzündung<br />
gestorben ist. Onkel Frölich <strong>und</strong><br />
ich waren voriges Jahr in Kodi bei ihm zu<br />
Gast, so dass wir ihn, seine Frau <strong>und</strong> sein<br />
Töchterlein Sylvia näher kennen gelernt<br />
haben.<br />
Das Hinterzimmer wird das Esszimmer<br />
bilden, weil es der Küche am nächsten<br />
liegt, <strong>und</strong> <strong>von</strong> den beiden Seitenzimmern<br />
ist das, das links liegt, mit einem Extra-<br />
Eingang versahen, so dass es sich als<br />
"Office", oder wie die Inder sagen, als "Aapis"<br />
empfiehlt. Vorläufig wohnt jedoch noch<br />
Karl Samuel in den beiden Seitenzimmern.<br />
Es ist fraglich, ob wir ihn an die Luft setzen<br />
können, denn wo sollen wir ihn hinsetzen?<br />
Aber da Heller die Sache vom Missionsrat<br />
zur Erledigung aufgetragen bekommen<br />
hat, wird er schon versuchen, das Haus<br />
leer zu machen, im Notfall müssen wir natürlich<br />
Geduld haben <strong>und</strong> den Pastor dort<br />
wohnen lassen, wenigstens für den Anfang.<br />
Eigentlich liegt das Missionshaus<br />
jetzt an einer falschen Stelle. Aber das hat<br />
seine Gründe. Als vor gut 20 Jahren das<br />
Haus gebaut wurde, befand es sich schön<br />
in der Mitte des Missionsgebietes, das wir<br />
dort haben. In der Mitte läuft <strong>von</strong> Osten<br />
nach Westen die Eisenbahn, <strong>und</strong> weit nach<br />
Norden wie nach Süden erstreckt sich unser<br />
Arbeitsgebiet. Als die Arbeit wuchs,<br />
wurde das nördliche Feld selbständig gemacht<br />
<strong>und</strong> erhielt in Pandur seinen Mittelpunkt,<br />
<strong>und</strong> das südliche Gebiet wurde <strong>von</strong><br />
Tiruvallur aus verwaltet, bloß das das Missionshaus<br />
leider nördlich ganz außerhalb<br />
des Gebietes liegt; das Zentrum müsste<br />
eigentlich in solch einen Orte wie Kondantscheri<br />
liegen. Nun ist der Trott so weitergegangen,<br />
dass selbst der indische Pastor<br />
nicht nach dem Süden ging, sondern<br />
hübsch an der Eisenbahn wohnen blieb,<br />
zumal er auch im Missionshaus residieren<br />
konnte. Aber als Entschuldigung kommt<br />
hinzu, da3 ihm die Kirche eben erst ein<br />
eigenes kleines Pfarrhaus bauen müsste.<br />
Vielleicht hat unsere Übersiedelung nach<br />
Tiruvallur das Gute, dass der Pastor endlich<br />
mal zu einem Pfarrhaus in der Mitte<br />
seiner Gemeinde kommt.<br />
Hinter dem Bungalow befindet sich das<br />
Nebengebäude, in dessen linkem Ende die<br />
Küche steckt, ein schöner, appetitlicher
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 7<br />
Raum. Sonst befinden sich da noch vier<br />
Räume, oder sind es bloß drei, wo der<br />
Koch <strong>und</strong> der Gärtner ihre Zelte aufschlagen<br />
können. Rechts befindet sich in diesem<br />
langgestrecktem Gebäude ein großer<br />
Schuppen alias Stall, <strong>und</strong> daran schließt<br />
sich noch ein schmaler, verschließbarer<br />
Stall an, in dem ^an Tauben- <strong>und</strong> Hühnerzucht<br />
betreiben, kann. Wenn man will,<br />
kann man es auch als Holzschuppen benutzen.<br />
Sonst gibt es nicht weiter viel zu beschreiben.<br />
Der Garten ist etwas kahl, weil es<br />
keine Blumen gibt; aber die Bäume sind<br />
hübsch hochgewachsen <strong>und</strong> spenden<br />
Schatten; es sind vor allem Mangos. Für<br />
eine Hausfrau ergeben sich dort also allerlei<br />
Entwicklungsmöglichkeiten.<br />
Vom Bahnhof liegt das Haus fünf Minuten<br />
entfernt. Das hätte ich nicht gedacht, dass<br />
ich noch einmal so schön in meinem eigenen<br />
Geburtshause landen würde! Meine<br />
Pläne sind nun folgendermaßen. Anfang<br />
Dezember packe ich meine Sachen hier in<br />
Madras <strong>und</strong> schicke sie dorthin, während<br />
ich bis Weihnachten hier wohnen bleibe.<br />
Gelegentlich fahre ich jedoch hinüber <strong>und</strong><br />
gehe ans Auspacken <strong>und</strong> Einrichten. Vor<br />
allem hoffe ich, dass es geht, dass Lisa<br />
<strong>von</strong> Mayavaram aus Mitte Dezember mal<br />
auf eine halbe oder ganze Woche hierher<br />
nach Madras kommen kann - Sandegrens<br />
werden sie sicher gern aufnehmen - <strong>und</strong><br />
wir dann gemeinsam Einkäufe machen <strong>und</strong><br />
auch mal nach Tiruvallur hinüberfahren<br />
können, um alles anzusehen <strong>und</strong> zu besprechen.<br />
Dann kann ich nachher alles<br />
soweit fertig machen, dass wir bei unserem<br />
Einzug nach unserer Hochzeit in ein einigermaßen<br />
bewohnbares Haus kommen.<br />
Morgen in sechs Wochen kommt Lisa in<br />
Colombo an!! Ich habe auf meinem Kalender<br />
die jeweilige Tage der noch fehlenden<br />
Tage bis zum 2. Dezember hin eingetragen<br />
<strong>und</strong> streiche jeden Morgen mit einem dicken<br />
Rotstift die überholte Zahl aus. Das<br />
ist eine herrliche Beschäftigung. Heute früh<br />
habe ich die 44 ausgestrichen; es sind also<br />
noch 43 Tage. Wenn ich mir überlege,<br />
dass ein Brief, den man nach zu Hause<br />
schreibt nicht länger als dies zu seiner Beantwortung<br />
beansprucht, ist es lächerlich<br />
kurz. Prachtvoll! Tüchtig Arbeit habe ich zu<br />
tun. Unser hiesiger Pastor hat mich gebe-<br />
ten, dass ich einige Zeit regelmäßig die<br />
Mittwoch-Abend-Gottesdienste (um sieben<br />
Uhr) halte. Ich konnte nicht gut nein sagen,<br />
aber ich habe damit eine ganze Portion<br />
Arbeit aufgeladen bekommen. Denn hier in<br />
Madras muss jede Predigt sehr sorgfältig<br />
ausgearbeitet werden, weil die Zuhörer<br />
ganz kolossal kritisch sind; das hat natürlich<br />
das Gute, dass ich gehörig Selbstzucht<br />
üben muss <strong>und</strong> nicht ins flüchtige Arbeiten<br />
kommen kann. Auf dem Dorfe hat man<br />
mehr biblische Geschichte zu erzählen <strong>und</strong><br />
zu vertiefen. Hier muss man schon ein<br />
bisschen mehr zustande zu bringen versuchen..<br />
Aber sehr schlicht müssen die Predigten<br />
auch sein, da die Kichre immer auch<br />
<strong>von</strong> Frauen gerappelt voll ist; <strong>und</strong> vorne<br />
sitzen außerdem die Kostschulmädels,<br />
mittwochs jedoch nur die Älteren. Ich bew<strong>und</strong>ere<br />
sie immer, dass sie nicht alle<br />
durch die Bank sanft <strong>und</strong> süß einschlafen<br />
bei den hier oft üblichen Predigten, die oft<br />
Kilometer lang sind. Ich habe es mir zur<br />
Regel gemacht, nicht länger als höchstens<br />
25 Minuten zu predigen. Leider dehnen<br />
sich die Anderen mit ihren Predigten über<br />
sehr lange Zeiträume aus. Am längsten<br />
predigt Pastor John David, der mit oft 40<br />
Minuten der Rekord hält. Dann kommt Onkel<br />
Frölich mit r<strong>und</strong> 30 Minuten, dann Pastor<br />
Gnanadickam mit r<strong>und</strong> einer halben<br />
St<strong>und</strong>e, die aber gelegentlich ziemlich<br />
stark überschritten wird. Ich fide, erschöpfend<br />
kann man nur selten einen Text behandeln;<br />
also mag man sich doch begnügen<br />
<strong>und</strong> das, was einem am wichtigsten zu<br />
sein scheint, herausgreifen. Wenn man<br />
nicht innerhalb einer Viertelst<strong>und</strong>e klar <strong>und</strong><br />
nachdrücklich sagen kann, wird man vermutlich<br />
auch nicht innerhalb <strong>von</strong> dreiviertel<br />
St<strong>und</strong>en wirkungsvoller sagen können.<br />
Am liebsten höre ich Gnanadickam, der oft<br />
ganz ausgezeichnet, anschauliche Predigten<br />
hält. Auch Sandegren höre ich recht<br />
gern. Onkel Frölich <strong>und</strong> Sandergren haben<br />
nämlich jeder in jedem Monat den vierten<br />
bzw. zweiten Sonntag als "ihren" Sonntag,<br />
wo sie predigen. Gerade anschauliche<br />
Predigten sind gar nicht leicht, aber hier<br />
noch mehr als anderswo notwendig, wenn<br />
man ein Gleichnis <strong>von</strong> S<strong>und</strong>ar Singh bringt<br />
oder sonst eine Geschichte, merkt man<br />
richtig, wie sich die Gemeinde aufrichtet<br />
<strong>und</strong> zu spitzen anfängt; aber wo soll man<br />
bloß die Geschichten alle herkriegen? Sie
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 8<br />
müssen an dem richtigen Platz die richtige<br />
Sache klarmachen.<br />
Ich habe gestern die 1. Seligpreisung gehabt,<br />
<strong>und</strong> ich will mit dem nächsten fortfahren;;<br />
aber ich habe inzwischen entdeckt,<br />
dass ich mir eine schwere Nuss ausgesucht<br />
habe. Meine Gliederung gestern war:<br />
1. Wir sind vor Gott arm<br />
2. Aber gerade in dieser Armut liegt<br />
Segen<br />
Nach der Predigt gestern wurde abgekündigt<br />
- das besorgt immer der Katechet -<br />
das der Präsident der Leipziger Missionar,<br />
der lange Jahre ihr Direktor gewesen sei<br />
<strong>und</strong> auch das indische Missionsfeld besucht<br />
habe, <strong>und</strong> dessen jüngst Tochter die<br />
Braut <strong>von</strong> Rev. <strong>Paul</strong> (spr. "Pool") <strong>Gäbler</strong><br />
sei <strong>und</strong> deshalb bald nach Indien käme,<br />
heimgegangen sei. Gott möchte die Hinterbliebenen<br />
trösten.<br />
Als ich nachher unseren Boy hier fragte, ob<br />
er Vater gekannt habe, schmunzelte er, er<br />
sei am Ende seiner Visitation bei Heller<br />
gewesen, dessen Boy er damals gewesen<br />
sei, <strong>und</strong> habe sich drei Tage in Sidambaram<br />
aufgehalten. Er sei sehr lebendig <strong>und</strong><br />
sehr fre<strong>und</strong>lich gewesen. Bei seinem Fortgehen<br />
habe er ihm zwei Rupies gegeben;<br />
da habe er sich mächtig gefreut. Ist nicht<br />
diese Perspektive eines Dieners glänzend?<br />
Inzwischen habe ich Joh. Sandegren unser<br />
Febr<strong>ua</strong>r Missionsblatt <strong>und</strong> die Allgemeine<br />
Missionszeitschrift vom Febr<strong>ua</strong>r gegeben,<br />
damit er Stoff hat für Artikel, die er im<br />
"Gospel Witness" <strong>und</strong> im Tamulischen "Arunodayam",<br />
unserem monatlich erscheinenden<br />
Sonntagsblatt, schreiben will.<br />
Am vorigen Sonntag waren wir nach der<br />
Kirche zu einer Geburtstagsfeier eingeladen.<br />
Die Einladung besagte, wir möchten<br />
doch kommen "On the occasion of the Ear<br />
Boring & Birthday Cermony" der Enkeltochter<br />
Gladys Chandra Bai; der Großpapa<br />
hieß Jesudoss Pillay. Der Vater <strong>und</strong> die<br />
Mutter spielten keine große Rolle. Hier in<br />
Indien herrscht eben das Familiesystem;<br />
das wichtigste Glied des Hauses ist nicht<br />
der Vater, sondern der Großvater, <strong>und</strong><br />
wäre er als wie Methusalem, <strong>von</strong> Mutter<br />
<strong>und</strong> Großmutter ganz zu schweigen. Bei<br />
ihm wohnt auch das ganze Gekribbel <strong>von</strong><br />
Kind <strong>und</strong> Kindeskind samt allen Ehefrauen.<br />
Wenigstens ist das das Normale. Da sieht<br />
man, wie individ<strong>ua</strong>listisch wir Abendländer<br />
eingestellt sind. So ist es auch ganz natürlich,<br />
dass bei Hochzeiten <strong>und</strong> sonst der<br />
Vater bzw. Großvater die erste Geige<br />
spielt. Dadurch ist aber wenigstens ein<br />
Gutes gesichert: den Indern steckt das<br />
vierte Gebot tief in den Knochen, <strong>und</strong> bei<br />
der Heidenpredigt bietet der Gedanke das<br />
Vaterhaus eine ganz selbstverständliche<br />
<strong>und</strong> allgemein verständliche Anknüpfung.<br />
So stieg denn auch Mr. Jesudoss Pillay am<br />
vorigen Sonntag in seiner ganzen Würde<br />
einher <strong>und</strong> spiele den Hausherrn in großer<br />
Würde <strong>und</strong> mit reichem Wortschwall; die<br />
Inder sind die geborenen Volksredner; was<br />
habe ich mich schon oft gew<strong>und</strong>ert über<br />
ihre rednerische Begabung! Es mag sein,<br />
was für ein Anlass ist - immer haben sie<br />
eine schöne, wohlgesetzte Rede parat, die<br />
sie mit riesigem Pathos <strong>und</strong> großartigen<br />
Armbewegungen hervorbringen. Aber es<br />
ist nicht bloß hohles Geschwätz, sondern<br />
es ist brav <strong>und</strong> rechtschaffen gemeint, so<br />
dass man sich durchaus nicht darüber zu<br />
amüsieren braucht.<br />
Als wir zu dem Hause hinkamen, hörten<br />
wir schon <strong>von</strong> weitem die Musiker Vor der<br />
Eingangstür war ein Pandel, eine Art leichtes<br />
Dach, aufgebaut, unter dem eine Anzahl<br />
<strong>von</strong> den Gästen saßen, während wir<br />
selbst in das geräumige Zimmer hineingeführt<br />
wurden, das vollgepfropft war mit lauter<br />
holden Schönen. In ihrem hübschen<br />
Sonntagsstaat saßen sie alle auf dem Boden<br />
<strong>und</strong> warteten der Dinge, die da kommen<br />
sollten. Nachdem die Musik verstummt<br />
war, kam erst eine kurze Andacht,<br />
besonders Gebet. Und dann trat das Mädel<br />
in den Mittelpunkt. Es war ? Jahre <strong>und</strong> ein<br />
Monat alt <strong>und</strong> angetan mit einem schönen<br />
blauen Samtkleidchen. Zunächst wurde<br />
<strong>von</strong> seiner Tante mit einem in Kalk getauchtem<br />
Strohhalm auf jedes Ohrläppchen<br />
ein kleines weißes Tröpfchen gesetzt,<br />
wohl zur Desinfizierung. Dann wanderte<br />
das Kind in den Schoß des Großvaters,<br />
während draußen die Musik anhob mit<br />
dumpfen Handtrommelgetön <strong>und</strong> greller<br />
Dudelsackpfeif-Musik. Nun ergoss sich<br />
über das Mädchen, das sich mir beinahe<br />
vor den Füßen befand, ein ganzer Strom<br />
<strong>von</strong> Zuspruch <strong>und</strong> Ermunterung. Bananen<br />
wurden ihm in den M<strong>und</strong> gesteckt, <strong>und</strong><br />
gleichzeitig rückte ihm ein nicht gerade
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 9<br />
sehr reinlich aussehender Mann auf den<br />
Laib, der wohl eine Art mittelalterlicher<br />
Dorfbarbier war. Er holte einen Ohrring<br />
hervor, der gleich mit einer Nadel verb<strong>und</strong>en<br />
war <strong>und</strong> wischte mit seinen Fingern<br />
noch einmal ordentlich über das goldene<br />
Schmuckstück <strong>und</strong> die goldenen Nadel<br />
hin, damit es ja schön rein sein möchte.<br />
Und dann piekste <strong>und</strong> würgte mit viel Anstrengung<br />
die Nadel durch das rechte Ohrläppchen<br />
des armen Wurmes, das erbärmlich<br />
schrie <strong>und</strong> mit den Armen <strong>und</strong> Beinen<br />
strampelte, soweit ihm der Großvater <strong>und</strong><br />
andere Assisten dazu Spielraum ließen.<br />
Das Ohrläppchen muss ziemlich schwer zu<br />
durchstechen sein, denn es ging ziemlich<br />
langsam; aber die Nadel ist ja auch lächerlich<br />
kurz <strong>und</strong> bei der allgemeinen Hitze<br />
auch glitschig. Nachdem sie <strong>von</strong> außen<br />
durch den weißen Fleck nach innen hindurchgeführt<br />
war, wurde mit einer mächtig<br />
großen Pinzette die Sache noch richtig<br />
R<strong>und</strong>brief vom 27.10.1927 aus Madras<br />
Da ist mir einmal wieder ein schwerer Stein<br />
vom Herzen. Eine Woche sehr strammer<br />
Arbeit hat mich nun glücklich so weit gebracht,<br />
dass die Übersetzung druckfertig<br />
vorliegt. Gleich heute geht sie mit einem<br />
längeren Begleitbriefe nach Leipzig an<br />
Inspektor Weishaupt. Gerade fünf Monate<br />
hat die Sache gedauert, <strong>und</strong> es besteht<br />
jedenfalls das Unikum, dass innerhalb dieser<br />
ganzen Zeit noch nicht ein Sterbenswörtchen<br />
<strong>von</strong> Weishaupt an mich gelangt<br />
ist. Selbst wenn er sehr überarbeitet ist,<br />
hätte er mir mal ruhig eine Karte schreiben<br />
können, denn zum puren Vergnügen habe<br />
ich die Sache doch nicht gemacht; bei der<br />
w<strong>und</strong>erbaren Hitze musste ich oft alle Energie<br />
zusammennehmen, um nicht ins<br />
Bummeln zu kommen. Aber ich bin Weishaupt<br />
nicht etwa deshalb gram; hoffentlich<br />
gelingt es ihm, die Sache noch vor Weinnachten<br />
erscheinen zu lassen, sei es im<br />
Missionsverlag oder wo anders. Die Abingdon-Press<br />
drängt mich auch sehr, so<br />
dass ich froh sein will, wenn die Sache<br />
unter Dach <strong>und</strong> Fach ist. Aber eins will ich<br />
Euch gleich verraten: Da ich arm wie eine<br />
Kirchenmaus bin, kann ich Euch nichts aus<br />
Indien zu Weihnachten schicken; aber<br />
stattdessen kriegt Ihr eine Kopie des Buches,<br />
wenn es heraus ist, <strong>von</strong> mir ge-<br />
festgemacht. Nun folgte wieder eine Menge<br />
Tröstung <strong>und</strong> Zuspruch, <strong>und</strong> die Prozedur<br />
der Durchstechung des linken Ohres<br />
schloss sich an. Dann wurden die Tränen<br />
getrocknet, das Kind bekam eine rote<br />
Schnur um den Leib geb<strong>und</strong>en, silberne<br />
Ringe wurden ihm um den Fuß gelegt, <strong>und</strong><br />
bald trippelte es wieder stolz <strong>und</strong> strahlend<br />
in der Weltgeschichte herum. Dann wurden<br />
wir feierlich bekränzt, <strong>und</strong> die Verwandten<br />
überreichten dem Kinde je eine Rupie, das<br />
dieses Geld jedes Mal der Mutter weiterreichte,<br />
die es ihrerseits sorgfältig in einem<br />
Hefte aufzeichnete. Dies Geldgeschenk<br />
beruht übrigens ganz auf Gegenseitigkeit.<br />
Nachher schloss sich sogar noch ein<br />
schönes Frühstück an, das uns trefflich<br />
m<strong>und</strong>ete, denn wir waren rechtschaffen<br />
ausgehungert.<br />
Ja, das ist Indien!<br />
schenkt. Wenn Ihr mir als Gegengabe ein<br />
Verzeichnis der Unebenheiten <strong>und</strong> Fehler<br />
schickt, verspreche ich Euch, dass das bei<br />
der zweiten Auflage (!!!) gebührend berücksichtigt<br />
werden wird. O diese Entfernung<br />
<strong>von</strong> Indien bis Deutschland! Man. ist<br />
so völlig rettungslos auf die Gnade <strong>und</strong><br />
Ungnade der anderen Menschen angewiesen!<br />
Aber allmählich wird man geduldig<br />
<strong>und</strong> fatalistisch. Dass gerade ich mit meiner<br />
"Püttcherigkeit" diesem Schicksal anheim<br />
fallen müsste, hätte ich ja früher nicht<br />
gedacht, aber ich suche, immer weniger<br />
"püttcherig" zu werden.<br />
Am nächsten Sonntag <strong>und</strong> Montag (Reformationsfest)<br />
möchten wir wieder nach<br />
Pandur. Ob es bei Hellers paßt, wissen wir<br />
indessen noch nicht. Da werde ich dann<br />
wohl auch Näheres über das Haus in Tiruvallur<br />
hören. Es ist ja die Frage, ob der<br />
Pastor eine andere Klause findet oder<br />
nicht.<br />
Neulich fand hier eine große Konferenz<br />
<strong>von</strong> Schuldirektoren aus der ganzen<br />
Madras-Präsidentschaft über die Frage der<br />
körperlichen Ertüchtigung der Jugend statt.<br />
Man scheint in dieser Hinsieht allerlei<br />
Schritte tun zu wollen. Ich sah dabei zu,<br />
wie im Senatshause allerlei Vorführungen<br />
stattfanden; Spiele, Freiübungen, Wett-
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 10<br />
kämpfe <strong>und</strong> dergl. folgten in bunter Reihe.<br />
Es war ein sehr großer Saal; man veranstaltete<br />
die Sache im Inneren, weil man<br />
Regen befürchtete, der aber leider nicht<br />
kam: Die Kerlchen machten ihre Sache<br />
fein. In der deutschen Jugend geht es vielleicht<br />
noch rassiger <strong>und</strong> exakter zu, aber<br />
sonst konnten sich die Inder sehen lassen.<br />
Eine ganze Reihe <strong>von</strong> Schulen in Madras<br />
hatte eine Riege geschickt, Mit am besten<br />
gefiel mir die Gruppe <strong>von</strong> Adyar, wo die<br />
Theosophen ihren Mittelpunkt haben. Aber<br />
das ist auch kein W<strong>und</strong>er, weil sie eigentlich<br />
nur Jungens aus höheren Kasten haben,<br />
<strong>und</strong> die sind natürlich <strong>von</strong> vornherein<br />
ein ganz anderes Material.<br />
Übrigens ist es interessant, dass die Theosophen<br />
dort auch Mädels haben <strong>und</strong> Jungens<br />
<strong>und</strong> Mädels gemeinsam erziehen;<br />
das ist eine der großen Probleme hier, ob<br />
<strong>und</strong> wie weit man das wagen kann. Eigentlich<br />
ist dies der einzige Weg, der zu einer<br />
wirklichen Hochachtung <strong>und</strong> gewissen<br />
Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes<br />
in Indien führen könnte, denn<br />
dieser Weg fängt unten bei der Wurzel an.<br />
Aber natürlich gibt es dabei allerlei Unheil,<br />
<strong>und</strong> das ist ein Risiko, dem sich die Missionsarbeit,<br />
die stets vorsichtig tastend <strong>und</strong><br />
möglichst auch nur auf erprobten Bahnen<br />
bewegen darf, nicht leichthin aussetzen<br />
darf. Aber es mag sein, dass auch wir in<br />
der Missionsarbeit in dieser Richtung Versuche<br />
anzustellen haben werden.<br />
Die letzte Post aus Deutschland brachte<br />
die Nachrichten über Hindenburgs 80. Geburtstag.<br />
Habt vielen Dank für alles, was<br />
Ihr darüber geschickt habt. Onkel Frölich<br />
<strong>und</strong> ich haben es sehr eingehend studiert.<br />
Dass man alles Derartige aus einer so<br />
großen Entfernung miterlebt, ist nicht<br />
schön. Aber das schadet nichts. Ich lese<br />
jetzt jeden Tag zwischen Mittagessen <strong>und</strong><br />
Mittagschlaf deutsche Zeitung; mit der<br />
Deutschlandpost kriege ich ja immer den<br />
"Tag", alle Nummern <strong>von</strong> der letzten Woche.<br />
Dann setze ich mich hin <strong>und</strong> nehme<br />
jeden Tag eine Nummer vor. dass das drei<br />
Wochen alt ist, schadet nichts. Aber man<br />
wird doch dadurch sozusagen mal wieder<br />
ans deutsche Leitungsnetz angeschaltet.<br />
Am Dienstag besuchte ich die "Bärenfels";<br />
ich war vorn bei den Mannschaften gewesen,<br />
wo ich in der einen Stube sehr nette<br />
Kerle <strong>und</strong> in der anderen Stube einen sehr<br />
wenig sympathischen, abgebrühten Menschen<br />
angetroffen hatte, Da hörte ich, dass<br />
an Bord ein Geograph sei, der nach Kalkutta<br />
mitführe <strong>und</strong> sich dann nach Sibirien<br />
begeben wollte, um dort eine Forschungsreise<br />
zu machen. Das war mir sehr interessant,<br />
<strong>und</strong> richtig, der Kapitän stellte<br />
mich ihm vor, ohne dass ich ihn erst darum<br />
zu bitten brauchte. Es war Prof. Weigel aus<br />
Marburg; vielleicht kann mir Schwager<br />
Hans über ihn Näheres sagen. Er war jetzt<br />
einige Zeit in Zeylon, <strong>und</strong> er schlängelt sich<br />
jetzt über Indien, Burma, Siam, Java, China,<br />
Japan mach Sibirien, wo er im Mai seine<br />
Expedition vom Ochottschen Meerbusen<br />
aus in Angriff nehmen will. Er reist im<br />
Auftrag <strong>und</strong> auf Kosten der deutschen Regierung.<br />
Er muss dort Russisch reden. Er<br />
wählt diese Jahreszeit, die infolge des Fehlens<br />
des Schnees für die Reise recht unvorteilhaft<br />
ist, weil er überall Gesteinsproben<br />
nehmen will, Die ganze dortige Gegend<br />
ist noch terra incognita, man weiß<br />
nicht einmal, ob es dort ein Gebirge gibt<br />
oder nicht.<br />
Weigel reist ganz allein, weil er meint, dass<br />
man nur dann wirklich, fruchtbar arbeiten<br />
kann; sonst sitzt man abends mit den anderen<br />
zusammen <strong>und</strong> schwätzt, statt die<br />
r<strong>und</strong> 60 Tagebuchseiten, die man täglich<br />
schreibt, auszuwerten <strong>und</strong> ins Reine zu<br />
übertragen; das sei ein hartes Stück Arbeit<br />
- drei St<strong>und</strong>en koste es stets; da müsse<br />
man eben die Zähne zusammenbeißen,<br />
wenn man auch lieber schlafen ginge.<br />
Während des Marsches werden beständig<br />
die Entfernungen <strong>und</strong> Winkel gemessen,<br />
alle 100 Schritt oder so zwei Mann tragen<br />
jeder gebrauchsfertig die dafür nötigen<br />
Instrumente, die sie alle paar Nasen lang<br />
hinsetzen müssen. Alle paar Tage wird der<br />
Längen- <strong>und</strong> Breitengrad bestimmt, was<br />
schwerer ist als auf See, weil man nicht<br />
einen geraden, einwandfreien Horizont hat.<br />
Scheint keine Sonne, wird der Mond photographiert,<br />
<strong>und</strong> zwar so, dass der Apparat<br />
ein paar St<strong>und</strong>en lang offen gelassen wird,<br />
so dass man nachher in Form <strong>von</strong> Strichen<br />
die Bewegungen des Mondes sehen kann.<br />
Dann wird das Bild an eine Sternwarte<br />
eingeschickt, <strong>und</strong> dort wird dann herausgeixt,<br />
auf welchen Punkt der Erde diese<br />
Mondbewegung zutrifft.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 11<br />
Ich fragte dann auch nach Filchner. Da<br />
meinte er, das sei ein so vorsichtiger <strong>und</strong><br />
rührend guter Mensch, dass er niemandem<br />
ein Haar krümmen könnte. Deshalb habe<br />
er es <strong>von</strong> vornherein für ausgeschlossen<br />
gehalten, dass jemand ihm Leid angetan<br />
hätte. Wenn ein Forscher ermordet würde,<br />
wäre es eigentlich immer seine Schuld, er<br />
brauchte sich bloß einmal hinreißen zu<br />
lassen <strong>und</strong> jemandem eine Ohrfeige herunterzuhauen;<br />
aber sonst behandelten<br />
einen die Leute stets hochanständig. - Von<br />
Sven Hedin sagte er, dass er nicht immer<br />
R<strong>und</strong>brief vom 10.11.1927 aus Madras<br />
Wenn Ihr diesen Brief erhaltet, ist gerade<br />
die liebe Weihnachtszeit angebrochen. Wie<br />
viele schöne Erinnerungen sind doch mit<br />
ihr verb<strong>und</strong>en! So freue ich mich auch dieses<br />
Jahr darauf, umso mehr, als sie mich<br />
auch Lisas Kommen wieder ein Stückchen<br />
näher bringt. Der Hauptgr<strong>und</strong>, warum nicht<br />
nur ich, sondern alle Missionsleute hier<br />
draußen, vom denen ich gehört habe, gegen<br />
ein späteres Herauskommen als Ende<br />
Jan<strong>ua</strong>r sind, ist eben vor allem des Klimas<br />
wegen. So bin ich ganz entschieden dafür,<br />
dass sie Ende Jan<strong>ua</strong>r in Colombo eintrifft.<br />
Selbst Herr Meyner <strong>und</strong> Heller sagten, sie<br />
hätten ganz vergessen gehabt, wie groß<br />
die Hitze ist; <strong>und</strong> sie konnten sich immerhin<br />
einen Bergurlaub <strong>von</strong> acht Wochen<br />
nehmen. Bei uns werden es bestenfalls<br />
vier Wochen im kühlen Klima, <strong>und</strong> dabei<br />
auch nur voll strammer Arbeit.<br />
Pläne zu machen, ist nun nachgerade eine<br />
gefährliche Beschäftigung; aber man muss<br />
sich doch auch vernünftig alles überlegen.<br />
Meine Zukunftsgedanken sind folgendermaßen:<br />
Bis zum Herauskommen Lisas<br />
bleibe ich bei Onkel Frölich wohnen. Darin<br />
nehme ich mir einen Urlaub <strong>von</strong> etwa 2½<br />
Wochen <strong>von</strong> Mittwoch, den 25.Jan<strong>ua</strong>r bis<br />
Sonnabend den 11. Febr<strong>ua</strong>r. Am Dienstag<br />
Abend setze ich mich auf die Bahn <strong>und</strong><br />
fahre bis Colombo in eins durch, so dass<br />
ich dort am Donnerstag morgen ankomme.<br />
Am Freitag trifft das Schiff ein, aber da es<br />
manchmal etwas früher ankommt ist es<br />
gut, wenn ich schon ein bisschen pünktlich<br />
bin. Das Schönste wäre dann, wenn wir<br />
beiden dann auf ein paar Tage in Zeylon<br />
bleiben könnten <strong>und</strong> uns z.B. Kandy anse-<br />
bis in alle Kleinigkeiten hinein zuverlässig<br />
zu sein schiene, wenn er auch sonst ein<br />
überragender Forscher wäre. Jetzt sei er<br />
alt <strong>und</strong> beinahe zitterig; die jetzige Expedition<br />
sei mit allem Komfort ausgestattet; so<br />
führte er ein zusammenlegbares Haus bei<br />
sich. - Ihr seht, das war ein ganz fesselndes<br />
Gespräch. Daraus, dass ich so lang<br />
da<strong>von</strong> erzähle, seht Ihr, wie froh man hier<br />
ist, wenn man mal was anders zu sehen<br />
<strong>und</strong> zu hören kriegt <strong>und</strong> sich mal richtig<br />
"gebildet" unterhalten kann.<br />
hen könnten. Aber das wird vom Wetter<br />
<strong>und</strong> vom Geldbeutel abhängen. Auch<br />
kommt es darauf mit an, ob Frl. Frölich<br />
mitkommt, da wir sie vermutlich einladen<br />
müssten, mit uns mitzufahren; wir könnten<br />
sie doch nicht allein herumsitzen lassen;<br />
das bedeutete dann aber, dass wir auch<br />
ihre Reise zu bezahlen hätten; denn sie ist<br />
eine arme Kirchenmaus, während ich hoffe,<br />
ich kann wenigstens ein klein bisschen<br />
sparen. Aber wie gesagt, das müssen wir<br />
erst abwarten. Auf der Fahrt nach Indien<br />
wäre ich dann sehr dafür, dass wir einige<br />
Tage bei Bexells rasten. Vielleicht könnten<br />
wir auch noch einen Abstecher nach Pudukotta<br />
machen. Und wenn wir in Mayavaram<br />
sind, macht es sich vielleicht auch,<br />
dass wir für einen Tag nach Tranquebar<br />
hinüberfahren. All dies hängt freilich auch<br />
da<strong>von</strong> ab, ob Lisa das nicht zu viel wird.<br />
Aber ich dächte es mir für sie interessant,<br />
wenn sie auf diese Weise gleich einen<br />
Einblick in allerlei Missionshäuser <strong>und</strong><br />
auch Haushalte bekäme. Denn nachher<br />
sind wir angeb<strong>und</strong>en. Und die ganze Zeit<br />
in Mayavaram herumzusitzen, will mir nicht<br />
sehr befriedigend erscheinen. Vor allem<br />
wären wir durch das Reisen am meisten<br />
mit einander zusammen. Für die Hochzeit<br />
scheint mir Mittwoch, der 8. Febr<strong>ua</strong>r oder<br />
Donnerstag, der 9. Febr<strong>ua</strong>r, am günstigsten<br />
zu sein; denn dann kämen wir so ziemlich<br />
in das Wochenende nach Madras, so<br />
dass wir uns da mit gutem Gewissen noch<br />
ein ganz paar freie Tage verschaffen könnten.<br />
Das ist übrigens das Neuste - <strong>und</strong><br />
hoffentlich nun auch das Endgültige -, dass<br />
Fräulein Karlmark vom Schwedischen Missionsrat<br />
nach Madura versetzt ist, weil sie
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 12<br />
dort dringend gebraucht wird. Und sie geht<br />
auch wirklich! Joh. Sandegren sagte mir,<br />
sie dächte daran, Mitte Febr<strong>ua</strong>r ihre Zelte<br />
abzubrechen; aber ich hoffe, sie wird sich<br />
dann entschließen, schon 1-2 Wochen<br />
vorher ihre Koffer zu packen, so dass wir<br />
wenigstens ein halb leeres Haus vorfinden.<br />
- Am Montag, den 13. Febr<strong>ua</strong>r, würde dann<br />
sofort stramm die Arbeit bei mir einsetzen.<br />
Mir ist es jedenfalls so noch verhältnismäßig<br />
am liebsten. Denn sich bei allerhand<br />
anderen Leuten nachher herumzudrücken,<br />
ist nicht sonderlich angenehm, <strong>und</strong> Hotels<br />
gibt es ja kaum in diesem schönen Lande.<br />
- Aber das sind bloß Pläne, die mir gekommen<br />
sind. Nur dass Ihr eine Vorstellung<br />
habt, wie man es u.U. machen könnte.<br />
Bei uns hat die Regenzeit vor etwa zehn<br />
Tagen angefangen. Wahre Wolkenbrüche<br />
haben wir erlebt. Erst letzte Nacht hat es<br />
so gewaltig gedonnert, dass ich da<strong>von</strong><br />
aufgewacht bin; <strong>und</strong> das will etwas besagen.<br />
Dafür haben wir aber auch eine Knitterkälte,<br />
so dass ich mich jetzt extra warm<br />
anziehe; d.h. ich laufe nicht mehr zu Hause<br />
ohne Rock herum. Und beim Schlafen<br />
muss man sich sogar eine Decke überlegen;<br />
sonst friert man Stein <strong>und</strong> Bein. Heute<br />
haben wir den kältesten Tag, wo das<br />
Thermometer auf 27 Grad Celsius herabgesunken<br />
ist. Da könnt Ihr sehen, wie gut<br />
ich mich akklimatisiert habe; bei 25 Grad<br />
kriegt man doch schon in Deutschland hitzefrei,<br />
<strong>und</strong> dabei finde ich es jetzt bei 27<br />
eisigkalt wie in Deutschland bei 10 Grad im<br />
Zimmer. Nun verstehe ich auch Onkel Frölich.<br />
Als ich vor knapp einem Jahr <strong>von</strong> den<br />
Bergen kam, hatten wir es auch kaum<br />
wärmer, aber ich fand es schon unglaublich<br />
heiß, während Onkel Frölich mich auslachte.<br />
Und den frisch aus Deutschland<br />
Herausgekommenen wie Lehmann <strong>und</strong><br />
Kanschatt ging es ebenso. Deshalb wird es<br />
Lisa Ende Jan<strong>ua</strong>r auch schon höchst unbehaglich<br />
finden, <strong>und</strong> sie kommt dann<br />
gleich in die Zeit hinein, wo das Thermometer<br />
bereits wieder anfängt zu steigen.<br />
Ich freue mich, dass es nun mit Tiruvallur<br />
nichts wird; die beständige Reiserei wäre<br />
recht wenig angenehm gewesen. Nun<br />
muss ich aber auch sofort die Mädchenschule<br />
mit übernehmen. Für Lisa ist das<br />
zwar nicht ganz einfach, aber es ist eine<br />
ideale Gelegenheit, um verhältnismäßig<br />
rasch in das Tamulisch hineinzukommen.<br />
Ich bin jetzt etwa täglich in der Fabrizius-<br />
Schule. Augenblicklich hospitiere ich noch;<br />
aber nächste Woche fange ich auch selber<br />
mit Unterricht an. Es wird ein Verwaltungsausschuss<br />
gebildet, der aus Manickam,<br />
der die Arbeit als Principal <strong>und</strong> Headmaster<br />
voll behalten soll, Onkel Frölich <strong>und</strong><br />
mit bestehen soll. Das ist eine recht glückliche<br />
Lösung. Denn ich kann mich tadellos<br />
einarbeiten, da sich Manickam ausgezeichnet<br />
zu mir stellt <strong>und</strong> mir Einblick in<br />
seine gesamte Arbeit gibt. So wachse ich<br />
in alles hinein, ohne doch schon die Verantwortung<br />
zu haben. Und Manickam<br />
bleibt seine Arbeitsfreudigkeit erhalten.<br />
Als ich neulich im süßesten Schlummer<br />
lag, wurde ich in aller Frühe um drei Uhr<br />
aus dem Bette geholt. Unser Koch stand<br />
vor dem Fenster <strong>und</strong> sagte mir, ein Skorpion<br />
hätte ihn geschlagen. So steckte ich<br />
meinen Kopf in die Waschschüssel <strong>und</strong><br />
war schnell munter. Dann kriegte ich meine<br />
Medizin hervor <strong>und</strong> ebenso eine neue Rasierklinge.<br />
Der Skorpion war <strong>von</strong> der Decke<br />
gefallen <strong>und</strong> hatte unseren alten Herrn<br />
in den Bauch geschlagen; ihm tat schon<br />
sein linkes Bein weh. In der Nähe der Einschlagsstelle<br />
ritzte ich ihm die Haut <strong>und</strong><br />
rieb ihm Medizin hinein, <strong>und</strong> zu schlucken<br />
bekam er auch <strong>von</strong> der "marunthu". In gewissen<br />
Zeitabständen hatte er weiter Medizin<br />
zu nehmen. Aber das konnte er<br />
selbst, nachdem ich ihn instruiert hatte.<br />
Dann zog er mit seiner Stalllaterne wieder<br />
ab, <strong>und</strong> ich legte mich schlafen. Seitdem<br />
habe ich ein tiefes Mitgefühl mit den Ärzten,<br />
die oft nachts heraus müssen. Morgens<br />
war die Sache ziemlich in Ordnung,<br />
<strong>und</strong> das Bein schmerzte auch nicht mehr.<br />
Am Mittag war selbst das Jucken verschw<strong>und</strong>en.<br />
Den Skorpion hatte der Koch<br />
jedoch noch vorher beim Wickel gekriegt<br />
<strong>und</strong> gebührend erschlagen.<br />
Ich weiß gar nicht, was mit meinem<br />
Schmachtriemen los ist. Er scheint noch zu<br />
wachsen. Erst vor ein paar Monaten habe<br />
ich fünf neue Löcher in ihn hineingeschlagen,<br />
weil das engste Loch schon für mich<br />
viel zu weit geworden war; <strong>und</strong> nun habe<br />
ich schon wieder drei neue Löcher hineingepocht.<br />
Was soll ich bloß mit dem Riemen<br />
machen?
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 13<br />
Für heute Schluss! Ich sende Euch allen<br />
die allerherzlichsten Grüße <strong>und</strong> treue Wün-<br />
R<strong>und</strong>brief vom 11.01.1928 aus Madras<br />
Wenn dieser Brief ankommt, ist der 4. Febr<strong>ua</strong>r<br />
nahe, der Geburtstag <strong>von</strong> Vater <strong>Paul</strong>.<br />
Wie eigen ist es, dass er schon vor einem<br />
Jahr geahnt zu haben scheint, dass er<br />
wahrscheinlich nicht mehr lange leben<br />
würde. Nun ist es schon mehrere Monate<br />
her, seit es heimgegangen ist, aber um so<br />
mehr fühlt man auch den Verlust.<br />
Aber auch in andere Hinsicht kommt dieser<br />
Brief zu einem besonderen Zeitpunkt nach<br />
Deutschland: Es sind das gerade die Tage,<br />
wo Lisa hier in Indien eintrifft. Heute sind<br />
es noch 16 Tage bis dahin. Ich kann gar<br />
nicht sagen, wie ungeheuer ich mich darauf<br />
freue. Na, das könnt Ihr Euch ja<br />
schließlich auch <strong>von</strong> selber ausmalen. Über<br />
alle Einzelheiten habe ich Euch schon<br />
geschrieben, so dass ich mir das ersparen<br />
kann. Also am 10. Febr<strong>ua</strong>r morgens ist die<br />
Hochzeit in Mayavaram, wo uns Onkel<br />
Frölich trauen wird; als Text möchte ich<br />
gern haben: "Der Herr ist Sonne <strong>und</strong><br />
Schild"; auch Lisa mag diesen Text sehr<br />
gern. Um wie viel Uhr die Sache sein wird,<br />
weiß ich noch nicht, ich vermute um etwa<br />
10 Uhr. Nachher gibt es ein großes Mittagessen,<br />
<strong>und</strong> am Frühnachmittag gondeln<br />
Lisa <strong>und</strong> ich nach Pondicherry, wo wir uns<br />
in einem Hotel einq<strong>ua</strong>rtieren. Das werden<br />
dort in der Stille <strong>und</strong> Abgeschiedenheit am<br />
Meeresstrand ein paar extrafeine Tage.<br />
Am 16. Febr<strong>ua</strong>r haben wir die deutsche<br />
Missionarskonferenz in Mayavaram, wohin<br />
wir, wenn irgend möglich, auch fahren<br />
möchten. Etwa am 17. werden wir dann<br />
unseren Einzug in Madras im neuen Hause<br />
halten. Dort werden wir, fürchte ich, allerlei<br />
Empfangs- <strong>und</strong> Begrüßungszeremonien<br />
durch die Gemeinde über uns ergehen<br />
lassen müssen. Und dann sind wir zu Hause,<br />
im wahrsten Sinne des Wortes.<br />
Die Weihnachtstage waren eine wahre<br />
Erquickung. Am Ersten Weihnachtstag<br />
fuhren Onkel Frölich <strong>und</strong> ich abends hinüber<br />
nach Pandur. Nachdem wir uns erst<br />
etwas verschnauft hatten, fuhren Herr Heller,<br />
Wilhelm Kanschatt, Onkel Frölich <strong>und</strong><br />
ich auf drei Tage in den Distrikt "for Camp".<br />
Auf den einen Ochsenwagen wurden die<br />
Feldbetten, Kochsachen <strong>und</strong> der Koch<br />
sche für die Weihnachtszeit!<br />
verpackt, <strong>und</strong> der andere war zu unserer<br />
Fortbewegung bestimmt; in Wirklichkeit<br />
sind wir auf dem Hinweg fast ganz <strong>und</strong> auf<br />
dem Rückwegwirklich ganz zu Fuß getippelt,<br />
selbst Onkel Frölich trotz seiner 59<br />
Jahre beträchtliche Strecken. Die Gegend<br />
war w<strong>und</strong>erschön, wie lauter Frühlingsherrlichkeit.<br />
Am Horizont grüßten bläulich die<br />
Berge hinüber, deren vorgelagerte Hügelketten<br />
unser Ziel war. Ringsum dehnten<br />
sich die Reisfelder aus, <strong>und</strong> darüber prangte<br />
der blaue Himmel. Wie der Wind über<br />
die grüne Gottesherrlichkeit strich, so dass<br />
die Halme wogten <strong>und</strong> nickten, sah es fast<br />
aus, als hätte man ein deutsches Kornfeld<br />
vor sich. An jenem Morgen, am 28. Dezember,<br />
blieben wir fast durchweg auf der<br />
Landstraße, aber sonst wanderten wir oft<br />
auf den Rainen querfeldein, eine Vorsicht<br />
erheischende Beschäftigung, bei der man<br />
nicht danebentreten durfte, , denn die Felder<br />
standen fast durchweg unter Wasser,<br />
absichtlich. Denn die meisten Reisarten<br />
müssen zu ihrem Wachstum immer bis an<br />
die Hälfte im Wasser stehen. Das kostet<br />
einen Haufen Flüssigkeit, <strong>und</strong> das ist eben<br />
die Schwierigkeit - wenn es trocken ist <strong>und</strong><br />
der Regen ausbleibt, kriegt der Reis sozusagen<br />
die Gelbsucht <strong>und</strong> vertrocknet, so<br />
dasss man ihn höchstens an das Vieh verfüttern<br />
kann. Deshalb wirbt Heller so viel<br />
für Brunnenbau; aber auch dabei ist das<br />
Tragische, dass man Pech haben kann;<br />
denn die Ochsen kommen ja manchmal<br />
auf die Idee, sich hinzulegen <strong>und</strong> zu sterben;<br />
da hilft einem dann auch der beste<br />
Brunnen nicht mehr. Deshalb will Heller<br />
gern einen Versuch mit einem Motor machen.<br />
So ein Ding zu installieren, kostet<br />
aber ziemliche Moneten, <strong>und</strong> so ist es<br />
zweifelhaft, ob er in seinem jetzigen Leben<br />
noch einmal dazu kommen wird.<br />
So wanderten wir in allerlei Gespräch vertieft<br />
weiter. Nachdem wir etwa eine halbe<br />
St<strong>und</strong>e in westlicher Richtung marschiert<br />
waren, durchkreuzten wir den Fluss, ein<br />
riesig breites Geschöpf, bei unserem<br />
Durchzug nur mit ein paar schmalen Wasserläufen<br />
versehe, aber in der richtigen<br />
Regenzeit ein rauschendes Ungeheuer
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 14<br />
<strong>von</strong> etwa 700 m Breite. Oft geht Heller mit<br />
den Pandur-Kostschülern dort an das<br />
Flussbett <strong>und</strong> spielt da mit ihnen. Wir stapften<br />
bloß hindurch <strong>und</strong> bekamen die Schuhe<br />
voller Sand; durch das Wasser zogen<br />
uns seufzend <strong>und</strong> spritzend die Ochsen.<br />
Jenseits des Flusses veränderte sich das<br />
Landschaftsbild ein wenig, da es dort nicht<br />
mehr so vieel Reisfelder gab. Die Gegend<br />
wurde immer rauer. Hinter Rậmantscherie<br />
wurden die Wege immer erquicklicher <strong>und</strong><br />
die Sonne immer wärmer. Der ganze Weg<br />
war voll gerappelt mit faustgroßen Steinen,<br />
so dass es fast aussah, als ob da vor Olims<br />
Zeiten Riesen gewohnt hätten, deren<br />
Kinder dort mit Kieselsteinen gespielt hätten.<br />
Wir mussten mächtig aufpassen bei<br />
unserer Wanderung wie in einem Harzer<br />
Flusstal, <strong>und</strong> der hinter uns her wackelnde<br />
Ochsenwagen ächzte in allen Fugen. Mir<br />
kam ins Gedächtnis, wie ich als Sextaner<br />
oder Quintaner in der Küche unserer alten<br />
Braunschweiger Bültenweg-Wohnung mir<br />
den "Als Kaiser Rotbart lobesam" eingebläut<br />
habe. So hatte es mir damals auch<br />
ungefähr vorgestellt: "Viel Steine gab's <strong>und</strong><br />
wenig Brot." Dicht hinter Rậmantscherie<br />
kamen wir an einem Göttergarten vorbei.<br />
Dicht an der Straße lag ein Stück Land,<br />
<strong>von</strong> einer halb eingefallenen Mauer umgeben,<br />
wo in Reih <strong>und</strong> Glied aufmarschiert,<br />
aus Ton angefertigte <strong>und</strong> bunt angemalte<br />
Götzen standen. Es war ein idyllisches<br />
Stillleben, bloß ein bisschen grotesk. Aber<br />
ich will nicht witzeln, dazu ist die Sache zu<br />
ernst. In den Baumzweigen befanden sich<br />
ganz kleine Schaukeln, in denen auch Götterchen<br />
Platz genommen hatten. Wenn<br />
dann der Wind durch die Zweige rauscht,<br />
können die Götter schaukeln. Das ist eigentlich<br />
wirklich rührend.<br />
Um halb sieben Uhr waren wir abmarschiert.<br />
Als wir nun im Rasthaus in Alikuli<br />
ankamen, war es etwa zehn Uhr, <strong>und</strong> wir<br />
hatten etwa 16 km zurückgelegt. Fre<strong>und</strong>lich<br />
einladend lag das Haus, massiv aufgebaut,<br />
am Wegesrand, <strong>und</strong> gern kehrten<br />
wir ein. Schnell waren die Feldbetten aufgeschlagen,<br />
<strong>und</strong> wir streckten uns zur<br />
wohlverdienten Ruhe aus. Bis zum 30.<br />
Dezember blieben wir dort.<br />
Die Gegend <strong>von</strong> Alikuli ist "Kậdu", d.h.<br />
Wildnis <strong>und</strong> Einöde. Es ist eben steinreich<br />
<strong>und</strong> ziemlich unfruchtbar <strong>und</strong> ist vor allem<br />
weit ab <strong>von</strong> den Leuten, wo sich die Füch-<br />
se gute Nacht sagen. Nur selten kommt ein<br />
Weißer dorthin. Trotzdem sind die Leute<br />
ziemlich wohlhabend: Sie besitzen ausgedehnten<br />
Limonengärten, in denen diese<br />
kostbare, gelben Zwergzitronen wachsen.<br />
Es wird damit ein schwunghafter Handel<br />
getrieben, bis hinauf Rajahm<strong>und</strong>ry, <strong>und</strong><br />
das sich die Geschichte lohnt, sieht man<br />
an den Häusern des Dorfes, die häufig aus<br />
massiven Steinen ausgeführt sind <strong>und</strong> einen<br />
sehr sauberen Eindruck machen. Die<br />
Parias dagegen, die Kulis der Wohlhabenden,<br />
machen keinen besseren Eindruck als<br />
der sonstige Durchschnitt, im Gegenteil!<br />
Sie sind eine raubeinige Gesellschaft, eben<br />
weil sie soweit hinter den Leuten wohnen.<br />
Deshalb ist der Stand unserer Christengemeinden<br />
alles andere als hoch. Ganz<br />
massive Sünden sind selbst bei unseren<br />
Christen im Schwange, <strong>und</strong> man traut seinen<br />
Ohren nicht, wenn man hört, dass den<br />
Leuten solche elementaren Sachen gepredigt<br />
werden müssen, wie: "Du sollst nicht<br />
stehlen", "Du sollst nicht lügen". Es gibt<br />
dort ziemlich viel Schafherden; da kommt<br />
es gelegentlich vor, dass so ein Tierchen<br />
heimlich abgefangen <strong>und</strong> geschlachtet<br />
wird. Auch richtige Raufereien sollen nicht<br />
zur Ausnahme gehören.<br />
Das zeigt, dass es besonders tüchtiger<br />
Lehrer bedarf, die sich dieser Gemeinden<br />
annehmen <strong>und</strong> sie in Liebe <strong>und</strong> Geduld<br />
<strong>und</strong> mit fester Handpflegen. Einst blühte<br />
das Gemeindeleben dort. Aber dann kam<br />
die unglückliche Idee auf, die dortige Gegend<br />
wegen ihrer Abgeschiedenheit als<br />
willkommenen Platz für Strafversetzungen<br />
zu betrachten, <strong>und</strong> so kamen dort die unnützen<br />
Lehrer hin. Das war natürlich verhängnisvoll.<br />
Als dann während des Krieges<br />
infolge der Lehrernot dort der größte Teil<br />
überhaupt abgebaut werden musste, war<br />
das Unglück voll. Rậmantscherie, Alikuli<br />
<strong>und</strong> Placepậlaiam waren alles Gemeinden<br />
<strong>von</strong> r<strong>und</strong> je 3 - 400 Seelen. Und jetzt? Da<br />
belaufen sich die Ziffern auf 9, 25 <strong>und</strong> 79.<br />
Alle anderen sind abgefallen. In<br />
Rậmantscherie haben sie sogar in den<br />
beiden letzten Jahren einen regelrechten<br />
Hindutempel gebaut. Wahrhaftig, es<br />
schneidet einem in das Herz, wenn diese<br />
Gemeinden sieht, die verlassen <strong>und</strong> zerstreut<br />
sind wie Schafe, die keinen Hirten<br />
haben. Sehr ernst sprechen Dr. Frölich <strong>und</strong><br />
Heller mit den Abgefallenen wie mit den
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 15<br />
Übriggebliebenen, <strong>und</strong> es wird eine der<br />
Hauptaufgaben <strong>von</strong> Heller sein, sich der<br />
Wiedergewinnung der Abgefallenen zu<br />
widmen. Damit ist es wirklich nicht getan,<br />
dass man träge gewordene Christen einfach<br />
aus der Gemeinde ausschließt <strong>und</strong><br />
sie sich dann selber überlässt, wie es bis<br />
jetzt geschehen ist, wo die Leute geistlich<br />
haben Hunger leiden müssen, ist es<br />
durchaus nicht verw<strong>und</strong>erlich, wenn sie<br />
müde geworden sind; sie sind ja doch<br />
kaum viel mehr als große Kinder. Augenblicklich<br />
befindet sich schon ein tüchtiger<br />
<strong>und</strong> energischer Lehrer in Rậmantscherie,<br />
<strong>und</strong> es bricht sich die Erkenntnis Bahn,<br />
dass gerade dieses Stück Gegend als Pionierland<br />
betrachtet werden muss, <strong>und</strong> dass<br />
es jeder als eine besondere Ehre ansehen<br />
muss, wenn er dorthin geschickt wird. Eine<br />
schwere Arbeit ist es, die dort auf die Leute,<br />
besonders die Lehrer, wartet, <strong>und</strong> es<br />
gehört ein Charakter dazu, dass man dort<br />
unter den rauen Bewohnern nicht die Geduld<br />
verliert <strong>und</strong> dass man nicht selber in<br />
der Einsamkeit versauert <strong>und</strong> stumpfsinnig<br />
wird.<br />
Sehr hübsch war die Ersteigung eines<br />
ziemlich hohen Hügels, der schätzungsweise<br />
250 m hoch war <strong>und</strong> einen schönen<br />
Fernblick bot.. Der Aufstieg war etwas hanebüchen,<br />
da die Steine so zahlreich waren,<br />
wie die Haare auf dem Kopfe, aber um<br />
so lohnender war der Gipfel . Ob der Berg<br />
vulkanischen Ursprung hatte oder ein altes<br />
Urgebirge ist, weiß ich nicht; wahrscheinlicher<br />
ist vielleicht Letzteres, weil sich durch<br />
die ganze Längsrichtung Südindiens Gebirgsgruppen<br />
hinziehen, <strong>von</strong> denen der<br />
Berg bei Alikuli ein Teil ist, wenn auch losgelöst<br />
für sich allein bestehend. Hoffentlich<br />
sind die Bilder etwas geworden, die Heller<br />
dort <strong>von</strong> uns geknipst hat, denn wir bauten<br />
uns dort außerordentlich malerisch auf.<br />
Der Blick schweifte weit hin nach Norden<br />
ins Teluguland hinein, wie wir uns dort überhaupt<br />
an der Grenze des Tamulischen<br />
Sprachgebietes befanden; als Abschluss<br />
dieser Nordseite riegelte ein massiger Gebirgsstock<br />
die weitere Aussicht ab; fast<br />
kerzengerade strebt er in die Höhe, etwa<br />
1000 m hoch. Vielleicht machen wir später<br />
einen Ausflug nach dort. Nach Süden <strong>und</strong><br />
Osten erstreckte sich die Gegend um Pandur,<br />
<strong>und</strong> nach Westen schloss sich weiteres<br />
hügliges Gelände an.<br />
Am gleichen Tage marschierten wir weiter<br />
nach Placepậlaiam, wo wir am Mittag einen<br />
kurzen Gottesdienst hatten <strong>und</strong> in dem<br />
Schulgebäude schönen Curry mit Reis<br />
vertilgten. Dann hielten wir Siesta, indem<br />
wir uns auf Decken auf dem Boden ausstreckten;<br />
da es mir etwas kühl wurde, zog<br />
ich einen Tisch vor, der auch meiner Länge<br />
Genüge tat, aber sich durch bodenlose<br />
Härte auszeichnete, so dass ich ganz lahm<br />
wurde; als Kopfkissen diente das in meinem<br />
Rock eingewickelte Gesangbuch; in<br />
Anspruchslosigkeit sind uns die Inder denn<br />
doch noch über. Während wir einzuschlafen<br />
suchten, las uns Heller im waschechtesten<br />
Vogtländisch aus der deutschen<br />
Zeitung vor, <strong>und</strong> zwar Ergüsse des<br />
"Schnell-August". Da umwehte einen richtige<br />
Heimatluft, <strong>und</strong> wir haben herzlich gelacht.<br />
Das scheint bei der Mission ganz<br />
selbstverständlich zu sein, dass man sich<br />
desto behaglicher <strong>und</strong> humorvoller fühlt, je<br />
mehr der alte Adam behauptet, dass das<br />
Leben sauer sei, Behalten habe ich <strong>von</strong><br />
dem Schnell-August u.a. einen besonders<br />
gedankentiefen Ausspruch: Was ist ein<br />
Defizit?<br />
Ein Defizit ist, was man hat, wenn man<br />
weniger hat, als man hätte, wenn man<br />
gar nichts hat.<br />
In der gleichen Schule war es auch, wo ich<br />
nach dem Mittagessen mit meinen Gedanken<br />
den ganzen Tag nach Donauwörth<br />
spazierend - denn es war der 29. Dezember<br />
-, das Brautpaar (Heil Dir, lieber Ernst<br />
<strong>und</strong> Deiner lieben Maria!) hochleben ließ.<br />
Blechern klangen die Aluminium-Becher<br />
zusammen, aber der Klang war mir liebliche<br />
Musik, <strong>und</strong> das ungezuckerte Limonenwasser<br />
war schauderhaft sauer <strong>und</strong><br />
trübe, aber mir war es wie süßer Wein.<br />
Hinter den Guckfenstern meines Herzens<br />
war es mir freilich etwas wehmütig zu Sinn,<br />
denn Deutschland ist gar so weit fort. Aber<br />
sonst wäre es ja auch ein Kinderspiel, Missionar<br />
zu sein, <strong>und</strong> es ist bloß gut, dass die<br />
Gedanken zollfrei sind <strong>und</strong> fliegen können.<br />
Und wenn man bei seiner eigenen Verlobung<br />
nicht hat dabei sein können, gewöhnt<br />
man sich auch an allerlei. Und trotzdem!<br />
Wie gern bin ich als Missionar hier in Indien.<br />
Mit keinem anderen möchte ich tauschen.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 16<br />
Auch Heidenpredigt wurde etwas getrieben.<br />
Gleich in dem eben genannten Dorfe<br />
versuchten wir es mit den Sudras; aber sie<br />
waren nicht sonderlich entgegenkommend..<br />
Aber trotzdem kam nachher noch<br />
eine ganz hübsche Ansprache <strong>von</strong> Onkel<br />
Frölich zustande, da sich doch noch eine<br />
ganze Schar <strong>von</strong> der vornehmen Bevölkerung<br />
zusammen fand. Sie konnten fast<br />
durchweg nur Telegu, so dass das, was<br />
Onkel Frölich sagte, meist gedolmetscht<br />
werden musste; aber es ging wider Erwarten<br />
gut. Unsere Dörfler begleiteten uns<br />
nachher noch bis an die Dorffluren, wo<br />
plötzlich die Welt zwar nicht mit Brettern<br />
vernagelt war, aber plötzlich eine gewaltige<br />
Wasserlache vor uns entstehen ließ, deren<br />
Umgehung durch Kakteenhecken verhindert<br />
wurde; zum Überspringen war die Geschichte<br />
viel zu breit, fliegen konnten wir<br />
nicht, <strong>und</strong> zum Ausziehen <strong>von</strong> Schuh <strong>und</strong><br />
Strümpfen hatten wir keine Lust. Da umhalsten<br />
wir einer nach dem anderen zwei<br />
starke Männer, die uns lachend über die<br />
lächerlich Lache hinwegschweben ließen;<br />
bei dem guten Heller-Ayier hatten sie freilich<br />
am schwersten zu schleppen. Von der<br />
Furt hat er auch eine Aufnahme gemacht.<br />
Später bei dem Rückmarsch waren wir<br />
noch in einem anderen Sudradorf, das fast<br />
zum größten Teile im Besitze eines Großgr<strong>und</strong>besitzers<br />
war, eines ziemlich selbstbewussten<br />
Herren. Auch da wurde Heidenpredigt<br />
gehalten, die auch ganz aufmerksame<br />
Zuhörer fand. Das ist eben typisch<br />
für das heutige Indien <strong>und</strong> immer<br />
wieder überraschend, dass die Inder so<br />
willig bei aller Heidenpredigt zuhören, ohne<br />
Störungen zu versuchen. Das Christentum<br />
ist eben sozusagen salonfähig geworden.<br />
Damit ist ein sehr großer Schritt nach vorwärts<br />
getan: Die Heiden hören wenigstens<br />
zu; sie sind sozusagen unmittelbar in den<br />
Schallbereich des Evangeliums gerückt.<br />
Das besagt noch lange nicht, dass sie etwa<br />
besonders zugänglich für das Christentum<br />
geworden wären. Aber das ist ja auch<br />
gar nicht unsere Sorge. Wenn man etwa<br />
daran denkt, wie ungeheuer schwer es<br />
etwa die Missionare in mohammedanischen<br />
Gebieten haben, wo die Mohammedaner<br />
wütig werden, sobald der Name<br />
Christi ertönt <strong>und</strong> den Sprecher überhaupt<br />
nicht recht zu Worte kommen lassen, sieht<br />
man erst recht die Bedeutung des Fortschrittes.<br />
Bei der Rückwanderung kehrten wir noch<br />
in Rậmantscherie ein, wo wir über Mittag<br />
blieben, <strong>und</strong> am Nachmittag trafen wir wieder<br />
daheim ein, richtig rotgebrannt <strong>von</strong> der<br />
Sonne.<br />
Nun dauert es nicht mehr lange, vielleicht<br />
noch zwei Monate, dann liegt die ganze<br />
Gegend, die jetzt im schönsten Grün erstrahlt,<br />
trocken <strong>und</strong> kahl <strong>und</strong> verbrannt da.<br />
Als ich die Gegend vor einem Jahre in diesem<br />
Zustande kennen lernte, dachte ich,<br />
ich wäre in die Wüste Sahara geraten, so<br />
trostlos öde sah es aus. Der Boden war<br />
<strong>von</strong> der Hitze <strong>und</strong> Glut gesprungen <strong>und</strong><br />
rissig, <strong>und</strong> höchstens die Kakteen, die es<br />
in ihrer Unverschämtheit immer noch auf<br />
über Mannshöhe brachten, wucherten üppig.<br />
Das war Pandur! Am 8. Jan<strong>ua</strong>r kehrte ich<br />
wieder hierher zurück.<br />
Das Hochzeitspaar am 09.02.1928 Hochzeit in Mayavaram mit Missionar Frölich <strong>und</strong> Bexell
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 17<br />
R<strong>und</strong>brief vom 12.06.1928 aus Kotagiri<br />
Wie schön ist es hier auf den Nilgiris Blauen<br />
Bergen! Unten in der Ebene brütet die<br />
Hitze <strong>und</strong> quält die Menschen, aber hier<br />
oben in luftiger Bergeshöhe wehen erquiekende<br />
Winde. Unter Mittag kann es hier<br />
auch knuffig warm werden, aber dann gibt<br />
es auch wieder Zeiten, wo der Sturm die<br />
Eukalyptusbäume beim Kragen kriegt <strong>und</strong><br />
sie schüttelt, dass sie rauschen <strong>und</strong> stöhnen.<br />
Solch ein herbstlicher, kalter, regnerischer<br />
Wind ist eine Wohltat. - Im Gegensatz<br />
zu den Palni-Bergen, wo als einziger<br />
Ort Kodaikanal die Berghöhen krönt, sind<br />
es hier eine ganze Anzahl Orte, die auf<br />
den verschiedenen Höhen liegen. In der<br />
Ebene hat man in Mettupalayam die Zahnradbahn<br />
zu besteigen, die mit unendliches<br />
Ächzen <strong>und</strong> Puffen das Zügle mit den<br />
Zwergwagen den steilen Schienenstrang<br />
hinaufschiebt. Oft geht es unter Tunnels<br />
hindurch, in denen man vom Q<strong>ua</strong>lm beinahe<br />
erstickt wird, wenn man zufällig dicht<br />
bei der Lokomotive sitzt, Dann wieder<br />
schlängelt sich die Bahn an Abgründen<br />
entlang, die sich steil <strong>und</strong> jäh auftun, während<br />
auf der anderen Seite sich das Gebirge<br />
nicht minder jählings h<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> mehr<br />
Meter emportürmt, überragt <strong>von</strong> nackten<br />
Felsgraten. Die erste Hauptstation auf dieser<br />
Strecke ist Coonoor in 1.600 Meter<br />
Höhe. Nach einer weiteren St<strong>und</strong>e erreicht<br />
man Ootacamond, abgekürzt Ooti, das<br />
sieh etwa 2.000 Meter über den Meeresspiegel<br />
erhebt. Kotagiri liegt auf einem<br />
seitlichen Höhenzug in etwa 1.900 m Höhe<br />
<strong>und</strong> ist nur durch Autobusse in etwa einstündiger<br />
Fahrt <strong>von</strong> Coonoor aus erreichbar.<br />
Bahnverbindung nach Kotagiri gibt es<br />
nicht. Es gibt eine direkte Straße <strong>von</strong> hier<br />
nach Ooty, aber sie ist so unzureichend,<br />
dass der ganze Verkehr den Umweg über<br />
Coonoor vorzieht.<br />
Coonoor ist ein weitläufiger Ort, dessen<br />
Hauptmasse sich in ein breites Tal <strong>und</strong><br />
dessen Abhänge hineinschmiegt. Die Häuser<br />
<strong>von</strong> Herrn Fritschi, bei dem wir zuerst<br />
ein bis zwei Wochen wohnten, <strong>und</strong> die drei<br />
Häuser der "Indian S<strong>und</strong>ay School Union"<br />
liegen mehr oder weniger am oberen Rande<br />
dieses Talkessels. Gerade schön ist<br />
nicht der Blick hinab auf das Meer der<br />
Häuser <strong>und</strong> Häuschen, da die zahlreich<br />
vorherrschenden Wellblechdächer sehr<br />
unromantisch sind; aber malerisch ist der<br />
Blick auf die etwas höher stehende, imponierende<br />
Antonius-Kirche der Römischen.<br />
Darüber hinaus erstreckt sich Coonoor<br />
noch in verschiedene Nebentäler. Von besonderem<br />
Reize ist der "Simspark", der<br />
Botanische Garten, der sieh anmutig in ein<br />
Tal hineingepasst hat, das amphitheatralisch<br />
aufsteigt. Die schönsten Blumen blühen<br />
dort um die Wette, <strong>und</strong> die mannigfachsten<br />
Bäume laden zu einem Studium<br />
der an ihnen befestigten Namensschilder<br />
ein. Im Talgr<strong>und</strong>e führen breitblätterige<br />
Wasserblumen ein idyllisches Dasein. -<br />
Erwähnenswert sind dann schließlich nur<br />
noch zwei Bauten, die "Union Hall", wo wir<br />
an einem ziemlich formlosen Gottesdienst<br />
teilnahmen, <strong>und</strong> die Kirche der "Church of<br />
England", wo es feierlicher zugeht; aber<br />
dort stört einen die antiquierte Sitte, dass<br />
im Mittelschiff auf den Kirchbänken Namenschilder<br />
angebracht sind, die andere<br />
Sterbliche hinwegscheuchen, selbst wenn<br />
ihre Inhaber nicht auf der Bildfläche erscheinen.<br />
Will man einen Blick in die Ebene tun,<br />
muss man es sich einen dauerhaften Spaziergang<br />
nach "Lamb's Rock" kosten lassen.<br />
Aber man wird dafür auch reichlich<br />
belohnt. Zwar muß man etwas vorsichtig<br />
balancieren, wenn man <strong>von</strong> hinten her auf<br />
diesen Felsenbuckel hinaufklimmt, da es<br />
<strong>von</strong> oben kerzengerade 1.000 m tief in den<br />
Abgr<strong>und</strong> geht, aber die Aussicht ist auch<br />
einzig schön. Leider war es dunstig, als wir<br />
mit Annettes dorthin ausflogen, so dass wir<br />
die fernen Palni-Berge nicht erkennen<br />
konnten.<br />
Der vierwöchige Kursus bei Mr. & Mrs.<br />
Annett hat uns sehr gut gefallen, <strong>und</strong> wir<br />
freuen uns, dass wir daran teilgenommen<br />
haben. Wir mussten freilich ziemlich<br />
stramm arbeiten, aber wir taten es gern.<br />
Lisa konnte auch schön folgen. Wir wohnten<br />
im sogenannten Hostel, 19 "Students"<br />
an Zahl außer einer Miss Dalton aus England,<br />
die ganz nett war, aber eine merkwürdige<br />
Stimme hatte, die immer wie ein<br />
verunglückter Walzer klang. Sie war auf<br />
einer Studienreise durch Amerika <strong>und</strong> Indien<br />
begriffen <strong>und</strong> beglückte uns mit einer<br />
furchtbaren vierstündigen Lecture über<br />
Sonntagsschulwesen. Über die einzelnen
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 18<br />
indischen Studenten - wir waren die einzigen<br />
Weißhäute - will ich nicht viel Worte<br />
machen. Einige waren sehr tüchtig, manche<br />
dagegen dumm wie Bohnenstroh. Sie<br />
kamen aus den verschiedensten Teilen<br />
Indiens <strong>und</strong> sollten nun sozusagen für etwas<br />
"Leadership" in "Religious Education"<br />
ausgebildet werden. Da hatten wir den<br />
schneidigen, leider etwas verabendländerten<br />
Chemieprofessor aus Allahabad namens<br />
Malvea, den pomadigen bengalischen<br />
High School Headmaster Mondol<br />
aus Calcutta, den stillen, aber zuweilen<br />
etwas pathetischen Pastor Theophilus aus<br />
der Seestadt Cocanada, den vorlauten <strong>und</strong><br />
etwas frechen Mr. Alexander aus Vellore,<br />
den hilflosen <strong>und</strong> infolge seines Alters etwas<br />
steifen S. Samuel aus dem dänischen<br />
Lager, den quecksilberigen S<strong>und</strong>ram aus<br />
Hyderabad u.a. stille Größen, um nicht<br />
boshaft zu sagen: Kleinigkeiten. Von den<br />
Ladies zeichnete sich Miss Benjamin aus<br />
Madras aus durch albern kindisches Gebaren;<br />
sie beschenkte Lisa gern mit Blumen,<br />
weil sie ihr, als sie stöhnend im Bette lag,<br />
den Puls gefühlt <strong>und</strong> Medizin zu futtern<br />
gegeben hatte; die andere Madrasserin,<br />
Miss Joseph, war r<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> tüchtig,<br />
wenn auch sehr still; Miss Biswas, die fast<br />
zwei Jahre in England gewesen ist, hatte<br />
ein sehr sympathisches Wesen, suchte<br />
aber beim Dominospiel stets schändlich au<br />
mogeln; Mrs. Balas<strong>und</strong>ram war spinnehässlich<br />
<strong>und</strong> auch schwerfällig, während<br />
eine zweite Miss Joseph, dünn <strong>und</strong> zierlich,<br />
ein bisschen locker war. Wir lebten<br />
völlig frei <strong>und</strong> ungezwungen, eigentlich für<br />
indische Verhältnisse eine bemerkenswerte<br />
Errungenschaft.<br />
Der Tageslauf verlief nach ehernen Gesetzen<br />
<strong>und</strong> mit unheimlicher Pünktlichkeit. Um<br />
sieben Uhr gab es das Zeichen zum Aufstehen,<br />
eine halbe St<strong>und</strong>e später versammelten<br />
wir uns um die vier bis fünf r<strong>und</strong>en<br />
Tische zum Einnehmen <strong>von</strong> Milchkaffee<br />
mit Brot, das dünn war wie ein Mondstrahl<br />
<strong>und</strong> angeblich bedeckt mit Butter. Fünf<br />
Minuten vor acht Uhr rief uns die Klingel in<br />
das Nebengebäude, einen sehr geschmackvoll<br />
eingerichteten Vorlesungssaal.<br />
Seine Hauptsehenswürdigkeit ist eine<br />
w<strong>und</strong>ervolle Reliefkarte <strong>von</strong> Palästina, die<br />
in die Wand eingelassen ist <strong>und</strong> etwa zwei<br />
Meter hoch ist. Die Bänke waren reichlich<br />
unbequem <strong>und</strong> hart, so dass Lisa öfter die<br />
im "Grinterh<strong>und</strong>e" stehenden Rohrsessel<br />
vorzog. Eine verhältnismäßig reichhaltige<br />
Bibliothek <strong>und</strong> schöne Bilder an der Wand<br />
vervollständigten die Einrichtung. Zunächst<br />
hatten wir stets eine gut halbstündige Andacht<br />
<strong>von</strong> Mr. Annett, <strong>und</strong> dann schlossen<br />
sich drei Vorlesungen an. Das Mittagessen<br />
bestand wie das Abendessen regelmäßig<br />
aus Curry <strong>und</strong> Reis. Wir sind sehr stolz,<br />
dass wir diese holde Speise die ganze Zeit<br />
überstanden haben, ohne uns den Magen<br />
zu verrenken; aber wir aßen manchmal<br />
Brot <strong>und</strong> dergleichen nebenbei. Nach dreistündiger<br />
Mittagsrast begab man sich um<br />
halb vier zum Tee, diesmal mit Marmelade-<br />
Brot, wieder in Mondscheindicke. Eine Unterrichtsst<strong>und</strong>e<br />
im Anschluss hieran sowie<br />
eine St<strong>und</strong>e vor dem Abendessen vollendeten<br />
den Tageslauf. Nach dem "Supper"<br />
alias "Dinner" wurden entweder Gesellschaftsspiele<br />
gemacht, oder man zog sich<br />
in seine Kemenate zurück, um dort beim<br />
Scheine einer Made-in-Germany-Stalllaterne<br />
noch ein bisschen zu lesen oder zu<br />
studieren. Bei dieser Tageseinteilung war<br />
wenig freie Zeit übrig, zumal wir alle<br />
"Schularbeiten" aufbekamen.<br />
Was trieben wir nun? In der ersten <strong>und</strong><br />
dritten St<strong>und</strong>e hatten wir regelmäßig Vorlesungen<br />
über Psychologie, besonders<br />
Kinderpsychologie; das waren außerordentlich<br />
wertvolle Sachen, besonders weil<br />
Annett überquoll mit praktischen Ratschlägen<br />
<strong>und</strong> Beispielen. Auch in pädagogischer<br />
Hinsicht konnte man da eine Menge<br />
Wichtiges lernen. Als ich herauskam, konnte<br />
ich ja nicht ahnen, dass ich mal in<br />
Schularbeit hineinkommen würde. So war<br />
mir diese Ausbildung außerordentlich lieb.<br />
Auf allerlei Fragen bekamen wir Antwort,<br />
z.B.: Wie unterscheiden sich Jungens <strong>von</strong><br />
beispielsweise 6, 10, 14 <strong>und</strong> 18 Jahren?<br />
Inwiefern muss sich der Religionsunterricht<br />
auf den verschiedenen Stufen anders gestaltet<br />
werden? Wie weit ist die Natur in den<br />
Unterricht mit hineinzuziehen? Für welche<br />
religiösen Eindrücke ist die Jugend auf den<br />
verschiedenen Altersstufen zugänglich?<br />
etc.<br />
Dazu kamen abends Vorträge über Palästina<br />
<strong>und</strong> seine Nachbarländer. Da Annett<br />
selbst mehrfach dort gewesen ist, wusste<br />
er alles so lebendig darzustellen, dass man<br />
mächtig Lust bekam, selbst dorthin zu fahre.<br />
Wer weiß, vielleicht blüht es uns noch
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 19<br />
einmal. - Hand in Hand damit gingen praktische<br />
Übungen, die Mrs. Annett leitete. In<br />
der zweiten St<strong>und</strong>e hatten wir Lesson-<br />
Preparation, die reihum <strong>von</strong> uns gehalten<br />
werden musste. Ich bekam den Schiffbruch<br />
<strong>Paul</strong>i. O, manchmal konnte man da aus<br />
der Haut fahren, wenn jemand recht mährig<br />
war. Nachmittags hatten wir in der ersten<br />
Zeit richtige Probelektionen <strong>und</strong> später<br />
Geschichten-Erzählen; so hatte Lisa die<br />
Bekehrung <strong>Paul</strong>i vom Standpunkte des<br />
Ananias zu erzählen; es war ihr höchst<br />
fatal, aber sie hat sich sehr schön <strong>und</strong> mit<br />
feinen roten Backen aus der Affäre gezogen.<br />
Das Interessante bei diesen Nachmittagsübungen<br />
war die anschließende Kritik,<br />
die wir nach einem bestimmten Schema<br />
schriftlich ausführen <strong>und</strong> dann mündlich<br />
wiedergeben mussten. Da lernte man, gerecht<br />
zu urteilen <strong>und</strong> richtig die schwachen<br />
Stellen herauszufinden, ohne zu subjektiv<br />
vorzugehen. - Auch bei der "Lesson Preparation"<br />
bestand ein bestimmtes Schema,<br />
das wir zu befolgen hatten <strong>und</strong> das sich als<br />
außerordentlich praktisch erwies.<br />
So waren diese vier Wochen sehr anregend,<br />
<strong>und</strong> wir spazieren mit viel Zuversicht<br />
in unsere alte Arbeit nach Madras zurück;<br />
ich fühle mich jetzt sehr viel besser dafür<br />
gerüstet als vorher. Mr. & Mrs. Annett sind<br />
feine Charaktere, wenn sie auch, wie alle<br />
Menschen ihre Schwächen haben. Mr.<br />
Annett ist voll gestopft mit Geschichten <strong>und</strong><br />
Anekdoten; sicher würde er auf der Weltausstellung<br />
in Chicago den ersten Preis<br />
kriegen.<br />
Sehr schön war auch der Umgang mit<br />
Benzes, die uns oft besuchten <strong>und</strong> bei denen<br />
auch wir unsererseits mehrfach waren.<br />
R<strong>und</strong>brief vom 30.08.1928 aus Madras<br />
Vielleicht habt Ihr schon öfter gedacht,<br />
dass Ich ein rechtes Faultier wäre, dass<br />
ich so lange nicht geschrieben habe. Aber<br />
erstens haben wir nichts Weltbewegendes<br />
erlebt, <strong>und</strong> zweitens hatten wir<br />
tüchtig au tun. Nur dem glücklichen Umstande,<br />
dass wir jetzt zwei Feiertage haben,<br />
den einen zur Feier <strong>von</strong> Mohammeds<br />
Geburtstag, den anderen den Hindus<br />
zuliebe, gibt uns eine kleine Atempause.<br />
- Viel Gescheites wird wohl aus<br />
diesem <strong>Briefe</strong> nicht werden. Aber es<br />
Weniger schön war es, dass wir kolossal<br />
angeb<strong>und</strong>en waren; aber da das die Hausordnung<br />
war - um der Inder willen war sie<br />
sehr streng - , fügten wir uns in sie hinein.<br />
Jetzt sind wir glücklich wieder unsere eigenen<br />
Herren.<br />
Auch nach Ooty machten wir einen Ausflug.<br />
Dort gefiel uns besonders gut der Botanische<br />
Garten, der großartiger ist als der<br />
in Coonoor. Dicht dabei ist eine Ansiedelung<br />
der Todas, der Ureinwohner der Nilgiris;<br />
sie sind ein ganz anderer Menschenschlag<br />
als die Dravidas, mehr arisch, mit<br />
breiten, langen Gesichtern. Sie wohnen in<br />
seltsamen Holzhütten, die die Form einer<br />
riesigen, liegenden Tonne haben; diese<br />
Hütten sind völlig geschlossen bis auf ein<br />
ganz niedriges Eingangsloch. - Ooty ist<br />
während der heißen Jahreszeit der Sitz<br />
des Gouverneurs, der mitsamt seinen ganzen<br />
Büros <strong>und</strong> Beamten nach dorthin übersiedelt.<br />
- Es liegt zwischen den Bergen.<br />
Es gibt eine Redensart: Ooty ist majestätisch,<br />
Coonoor idyllisch schön <strong>und</strong> Kotagiri<br />
ges<strong>und</strong>. Das trifft den Nagel auf den Kopf.<br />
Deshalb sind wir nun auch für die letzte<br />
Woche hierher übergesiedelt. Wir wohnen<br />
hier in "Christiansberg", wo die Breklumer<br />
zwei Doppelhäuser besitzen. Mittag- <strong>und</strong><br />
Abendessen haben wir bei Hübner's, <strong>und</strong><br />
sonst wirtschaften wir allein. Das Klima ist<br />
herrlich, viel frischer als in Coonoor. Kotagiri<br />
liegt w<strong>und</strong>erbar frei auf den Bergeshöhen<br />
<strong>und</strong> gestattet weite Fernblicke. Von<br />
unserm Häuschen aus können wir weit<br />
über die Ebene hinblicken. Wie genießen<br />
wir diese Tage! - Und nächstes Jahr geht<br />
es nach Kodi, dem, scheint mir, trotz allem<br />
die Palme gebührt!<br />
schadet ja schließlich nichts, wenn ich<br />
kunterbunt durcheinander erzähle.<br />
Lisa fühlt sich in ihrem Elemente, das sie<br />
wieder Federvieh zu betreuen hat. Bis<br />
jetzt ist es erst ein einziger Hahn, ein<br />
schwarzes Geschöpf mit X-Beinen, eine<br />
Verunzierung, die ein Nachklang des elenden<br />
Beinezusammenbindens der indischen<br />
Hühnerhändler ist. Sonst entwickelt<br />
sich der Hahn trefflich <strong>und</strong> versucht, dem<br />
Namen Mussolini, dem wir ihm beigelegt<br />
haben, alle Ehre au machen. Wenn ihm
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 20<br />
die Krähen zu nahe kommen, stürzt er<br />
sich mit Heldenmut auf sie, so dass sie<br />
kreischend da<strong>von</strong> flattern. Die Krähen<br />
sind eine wahre Landplage. Wir ließen die<br />
Krähennester vom Küster vor etwa einem<br />
Monat zerstören, so weit sie sich auf unserem<br />
<strong>und</strong> dem Kirchgr<strong>und</strong>stück befanden,<br />
aber schon sind wieder einige neue<br />
Nester entstanden. Mit Vorliebe baden sie<br />
in dem Aufwaschwasser, in dem das Geschirr<br />
abgespült werden soll <strong>und</strong> wetzen<br />
ihre Schnäbel an den darin herumschwimmenden<br />
Abwaschlappen; wenn<br />
Lisa das sieht, wird sie immer grimmig.<br />
Die armen Tiere - sie wollen sich doch<br />
auch einmal baden <strong>und</strong> haben es doch<br />
auch recht nötig. Lisa behauptet sogar,<br />
dass manchmal die Krähen sich auf die<br />
Wasserleitung setzen <strong>und</strong> den Hahn aufdrehen.<br />
Und nachher haben wir wo möglich<br />
eine hohe Wasserrechnung, weil die<br />
Frechdachse den Hahn nicht wieder zudrehen.<br />
Ein Kapitel für sich sind die Eichhörnchen.<br />
Die Väter, die unser Haus gebaut<br />
haben, haben leider nicht mit diesen Vierfüßlern<br />
gerechnet. Sie haben im. Obergeschoß<br />
an der Stelle, wo die Dachbalken<br />
auf der Mauer aufliegen, keine Steine<br />
dazwischengelegt, weil es besser ist,<br />
wenn der Wind durchstreichen kann. Leider<br />
machen sich das nun die Eichhörnchen<br />
zunutze <strong>und</strong> bauen dort Nester. Das<br />
Schlimmste ist jedoch, dass sie öfter einen<br />
Pfeifanfall kriegen <strong>und</strong> so entsetzlich<br />
fiepen, dass man schließlich wild wird <strong>und</strong><br />
sie mit Klatschen <strong>und</strong> Zischen da<strong>von</strong>jagt.<br />
Das hat dann zur Folge, dass sie um eine<br />
Ecke wutschen, wo man sie nicht mehr<br />
erreichen kann <strong>und</strong> da um so triumphierender<br />
weiterfiepen. Dabei sind sie richtig<br />
in Ekstase <strong>und</strong> peitschen rhythmisch<br />
furchtbar schnell die Luft. Anscheinend<br />
besteht eine Verbindung zwischen<br />
Schwanz <strong>und</strong> Stimmband, Wir sind uns<br />
nur noch nicht klar, ob die Liebe sie so<br />
außer Atem bringt oder nicht; Lisa bezweifelt<br />
es. Neuerdings schleiche ich<br />
mich mit einem Wassertopf an sie heran<br />
<strong>und</strong> mache klatschend einen Angriff. Nur<br />
ist es gut, wenn Lisa das nicht sieht; denn<br />
selbstverständlich ist das Wasser nass<br />
and verbreitet sich ungehöriger Weise<br />
auch über weniger geeignete Gegenstände.<br />
Und die Katzen! Dass sich eine Katze<br />
eine unserer Kisten, in der es noch Holzwolle<br />
gab, als Wiege für ihre Nachkommenschaft<br />
erkoren hatte, haben wir vielleicht<br />
schon früher erzählt. Es war ein<br />
reizendes Bild, <strong>und</strong> wir gingen öfter mit<br />
der Taschenlampe in den dunkeln Winkel<br />
<strong>und</strong> beleuchteten das Stillleben. Die Alte<br />
machte auch oft Besuch. Aber als sie<br />
dann anfing, unsere Sachen aufzufressen,<br />
kündigten wir den Mietern <strong>und</strong> beförderten<br />
sie an das Tageslicht. Nach<br />
längeren Nachforschungen bekamen wir<br />
heraus, dass die Gesellschaft unserem<br />
Küster gehörte.<br />
Jetzt verschließen wir regelmäßig alle<br />
Fensterläden für die Nacht, besonders<br />
nachdem wir eines Nachte aus dem<br />
Schlafe gescheucht wurden infolge eines<br />
entsetzlichen Geklappers. Da hatte eine<br />
Katze mit ihrem Maule den Deckel vom<br />
Milchtopfe heruntergestoßen <strong>und</strong> mit<br />
Saufen angefangen. Als ich kam, genügte<br />
schon mein bloßes Auftauchen, sie in die<br />
Flucht au schlagen. Sie hopste mit einem<br />
gewaltigen Satz herunter, <strong>und</strong> zwar so<br />
geschickt, dass sie weder die Aluminiumkelle<br />
herunterwarf noch die hoch aufgerichtete<br />
Flasche, die sich am Abgr<strong>und</strong>srande<br />
emporreckte, aus dem Gleichgewichte<br />
brachte. - Ratten haben wir nach<br />
manchen Anzeichen anscheinend auch,<br />
aber das wissen wir noch nicht zuverlässig.<br />
Ihr seht, wir haben eine ganze Menagerie.<br />
Ich könnte noch eine ganze Seite<br />
da<strong>von</strong> weiter erzählen, aber dann fangt<br />
Ihr sicher mit Gähnen an.<br />
Lisa hat jetzt immer viel in der Boarding<br />
au tun, weil die Mädchen viel krank sind.<br />
Gerade die gegenwärtigen Monate sind<br />
besonders unges<strong>und</strong>. So zieht sie fast<br />
jeden Morgen los, um einem Mädchen<br />
das Fieber zu »messen, sich die Zunge<br />
ausstrecken zu lassen, Anordnungen<br />
über die Krankenkost zu geben usf. Wir<br />
haben in unserer Gemeinde eine Ärztin,<br />
die in schwierigeren Fällen mit ihrem<br />
zweirädrigen Ponywagen ankutschiert<br />
kommt <strong>und</strong> kostenlos die Kranken verdoktert.<br />
In diesem Vierteljahr haben wir<br />
allerhand erlebt, was uns etwas Sorge<br />
bereitete. Ein Mädel wurde krank <strong>und</strong><br />
bekam Paratyphus, eine leichtere Abart
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 21<br />
<strong>von</strong> Typhus; wir besuchten sie im Hospital<br />
ziemlich oft. Kaum war sie wieder einigermaßen<br />
ges<strong>und</strong>, als sie die Masern<br />
bekam, wieder wussten wir sie wegschicken,<br />
diesmal zu Verwandten; als sie aus<br />
dem Hospital entlassen wurde, war sie<br />
wider unseren Willen schon dort gewesen<br />
<strong>und</strong> hatte es sich da geholt. Wie ein Polizist<br />
muss man immer aufpassen, denn<br />
die Eltern <strong>und</strong> Verwandten sind oft so<br />
schrecklich unvorsichtig. Beim Paratyphus<br />
hatte sich glücklicher Weise niemand<br />
angesteckt, wir hatten aber auch<br />
sofort bei allen Schutzimpfung ausüben<br />
lassen, Jetzt schwebten wir in Sorge,<br />
dass die ganze Gesellschaft die Masern<br />
kriegen würde, aber wir scheinen mit einem<br />
blauen Auge da<strong>von</strong> zu kommen. -<br />
Augenblicklich laborieren verschiedene<br />
Mädels mit Malaria herum. All solches<br />
Zeug fliegt einem sozusagen zu. Wir sind<br />
jetzt freilich sehr umschwärmt <strong>von</strong> Fliegen<br />
<strong>und</strong> Mücken, die aus der nächsten Nachbarschaft<br />
alle möglichen Krankheitskeime<br />
herschleppen können; das ist der Nachteil<br />
da<strong>von</strong>, dass man so mitten drin im Eingeborenenviertel<br />
lebt. Jetzt ging die Cholera<br />
herum <strong>und</strong> forderte gerade in den Nachbarstraßen<br />
allerlei Todesopfer. Wir haben<br />
nun alle gegen Cholera impfen lassen, wir<br />
selbst haben Bilivaccintabletten gefuttert.<br />
Das ist ein Mittel, das im Pasteur-Institut<br />
in Paris erf<strong>und</strong>en, vom Völkerb<strong>und</strong> empfohlen<br />
<strong>und</strong> in Indien vielfältig erprobt ist;<br />
es soll ebenso gut wirken wie das Impfen<br />
der sogar noch besser, <strong>und</strong> außerdem<br />
macht es einen nicht schwiemelig; es ist<br />
bloß etwas teuer. - Da wir hier in der<br />
Hauptstadt leben, kommt es öfter vor,<br />
dass wir kranke Kinder, die <strong>von</strong> auswärts<br />
kommen, beherbergen <strong>und</strong> den hiesigen<br />
Ärzten zuführen müssen. So hatten wir<br />
ein Mädel, das aussatzverdächtig war.<br />
Leider ergab die Untersuchung eine Bestätigung<br />
des Verdachtes. Jetzt befindet<br />
sich nun das Mädel in dem 1925 <strong>von</strong> der<br />
Regierung in Chinleput errichteten großen<br />
Aussätzigenheim, das <strong>von</strong> der schottischen<br />
Mission verwaltet wird. Da sich bei<br />
ihr der Aussatz im Anfangsstadium befindet,<br />
ist er noch heilbar. Es müssen allerlei<br />
Einspritzungen vorgenommen werden,<br />
aber auch so dauert die Geschichte noch<br />
etwa ein halbes Jahr. Beim Aussatz sind<br />
eben die Ärzte über das Laborieren noch<br />
nicht weit hinausgekommen. Ein anderes<br />
Mädel, auch aus Mayavaram, hatte die<br />
Wassersucht <strong>und</strong> hatte einen aufgeschwemmten<br />
Körper. Die Mutter kam mit<br />
ihr mit. Nachdem das Kind einige Tage im<br />
Hospital gelegen hatte, wurde es plötzlich<br />
entlassen, <strong>und</strong> die Mutter brachte es mit.<br />
Aber das Mädel war so entsetzlich<br />
schwach, dass wir schleunigst die Ärztin<br />
holten, die feststellte, dass das Kind jeden<br />
Augenblick sterben konnte. Im Hospital<br />
ist man nicht sehr zartfühlend <strong>und</strong><br />
macht mit hoffnungslosen Fällen kurzen<br />
Prozess, die Inder mögen es sowieso am<br />
liebsten, wenn ihre Verwandten zu Hause<br />
sterben. Wir brachten schließlich das<br />
Kind in einem benachbarten Haus unter,<br />
wo es die Macht überlebte. Am nächsten<br />
Tage setzte ich es dann im Hospital<br />
durch» dass das Kind wieder aufgenommen<br />
wurde. Erst zwei Tage später starb<br />
es, <strong>und</strong> gemeinsam mit unserem Pastor<br />
begrub ich es auf unserem Friedhofe. -<br />
Und nebenbei hatten wir immer noch die<br />
kranke Frau Meyner bei uns im Hause.<br />
So hatte Lisa alle Hände voll zu tun, um<br />
mit allem fertig zu werden.<br />
Seit dem 18. Juli bin ich, wie Ihr wohl alle<br />
wisst, "Lecturer in German" an unserer<br />
Universität in Madras. Warum ich mich<br />
um diesen Posten beworben habe? Weil<br />
mir einerseits der Missionsrat inoffiziell<br />
zuredete, da er es für wünschenswert<br />
hielt, dass wir an der Universität Einfluss<br />
gewinnen, <strong>und</strong> weil ich andrerseits auch<br />
selber Lust dazu hatte. Einmal ist das<br />
Einkommen (monatlich 200 Rs) nicht zu<br />
verachten, <strong>und</strong> andrerseits macht mir das<br />
Unterrichten Freude. Mit dem Geld bezahlen<br />
wir zunächst unsere Schulden.<br />
Und dann sparen wir es auf, um einmal<br />
dafür ein Auto zu erstehen. Bei den weiten<br />
Entfernungen in Madras wäre solch<br />
ein Instrument eine wahre Wohltat. Zwar<br />
sind die Autobusse eine große Wohltat,<br />
aber man schlägt oft unendlich viel Zeit<br />
mit Warten tot. Aber bis wir so viel Geld<br />
zusammen haben, wird wohl noch mancher<br />
Tropfen Wasser den Kaveri hinunterfließen.<br />
- Ich habe nun jeden Morgen außer<br />
sonnabends <strong>und</strong> sonntags <strong>von</strong> 7 - 8<br />
Uhr im Presidency College zu sein, das<br />
sehr hübsch am Meeresstrande liegt,<br />
aber schmerzlicher Weise etwa fünf Kilometer<br />
entfernt ist. In der Anfangszeit fuhr<br />
ich immer im Bus dorthin, musste jedoch
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 22<br />
unterwegs an der Mount-Road umsteigen.<br />
Aber es war immer eine Angstpartie,<br />
weil ich immer entsetzlich warten musste<br />
<strong>und</strong> auch tatsächlich einmal fast zehn<br />
Minuten zu spät kam. Jetzt holt mich indessen<br />
immer Captain Hesterlow einer<br />
meiner Students, der Direktor des Hygienischen<br />
Institutes, ein Angloinder, in seinem<br />
Auto an der Tannah-Street-Ecke ab<br />
<strong>und</strong> fährt mich auch so wieder zurück.<br />
Das ist sehr schön <strong>und</strong> bedeutet für mich<br />
auch eine wesentliche Zeitersparnis. Etwa<br />
20 Minuten nach acht Uhr bin ich wieder<br />
zu Hause, <strong>und</strong> es kann mir niemand<br />
wesentlich den Vorwurf machen, dass ich<br />
der Mission die Zeit mause. Und dass<br />
man früh aus dem Bette herausmuss, ist<br />
ja nur gut. - Meine Schüler sind zum<br />
größten Teile Professoren <strong>und</strong> sonstige<br />
Graduierte. Das war der Gr<strong>und</strong>, weshalb<br />
ich um ein Haar diesen Posten nicht gekriegt<br />
hätte, denn außer mir hatten sich<br />
noch verschiedene Inder um diese Stelle<br />
beworben, die glänzende Zeugnisse <strong>und</strong><br />
das halbe Alphabet hinter ihrem Namen<br />
hatten. Bei meiner Vorstellung bei den<br />
Universitätshäuptern hatte ich mir ziemlich<br />
fatale Fragen zu gefallen lassen, z.B.<br />
"Getrauen Sie es sich denn zu, Professoren<br />
<strong>und</strong> Doktoren zu unterrichten?" Worauf<br />
ich sagte, dass ich mich nicht beworben<br />
hätte, wenn ich nicht versuchen wollte,<br />
mein Bestes zu tun; im Übrigen sei<br />
das eine Frage, die man nicht beantworten<br />
könnte. Aber schließlich wurde ich<br />
doch ernannt. Meine "Schüler" sind in der<br />
überwiegenden Mehrzahl Brahmanen;<br />
aber es sind auch einige Christen <strong>und</strong><br />
Mohammedaner dazwischen. Die Mohammedaner<br />
sind eine Gesellschaft, mit<br />
der man nicht leicht fertig wird. Der eine<br />
ist ein Mr. Fossil, der sich zwar mit seinem<br />
roten Fes sehr schön ausmacht,<br />
aber sonst wirft er mir gern Knüppel zwischen<br />
die Beine. Das Tempo, das ich<br />
einschlug, war ihm zu fix, <strong>und</strong> beständig<br />
knurrte er. Der andere war einer, der etwa<br />
zwei Wochen nachgeklappert kam <strong>und</strong><br />
deshalb den Anschluss nicht erreichte. So<br />
suchte er mich in meinem Wigwam auf<br />
<strong>und</strong> wollte mich dazu zwingen, dass ich<br />
ihm helfen sollte. Schließlich erwischte er<br />
Lisa allein <strong>und</strong> sie bot ihm an, ihm zu helfen.<br />
Sie half ihm dann eine Woche lang<br />
abends. Da er kein Buch hatte, kam er<br />
immer <strong>und</strong> vertiefte sich in mein Buch.<br />
Wie ein Großkönig kam er angerückt,<br />
drehte in unserem Wohnzimmer den Fächer<br />
an, so dass es surrte, rückte sich<br />
den Tisch in die richtig« Beleuchtung, zog<br />
den Rock aus, krempelte die Ärmel hoch<br />
<strong>und</strong> fing an zu arbeiten. Aber seine Gipfelleistung<br />
vollbrachte er an einem der<br />
ersten Tage. Er wollte vom mir eine<br />
Grammatik haben. Ich besaß auch noch<br />
einige, aber der Geier wusste, wo sie war.<br />
Nachdem ich alles durchwühlt hatte, blieb<br />
nur die Möglichkeit, dass sie sich in einer<br />
der Kisten verkrochen hatten. Er tauchte<br />
auf, als ich gerade einmal im Bette lag<br />
{ein besonderes Ereignis, zum ersten<br />
Male seit Febr<strong>ua</strong>r 1926, aber auch bloß<br />
einen einzigen Tag). Er brachte zwei Kulis<br />
angeschleppt <strong>und</strong> bat Lisa, er wolle die<br />
Kisten durchsehen lassen. So gab es ein<br />
großes Rücken <strong>und</strong> Räumen, aber die<br />
boshaften Bücher fanden sich auch dort<br />
nicht; so rückte der Herr wieder ab <strong>und</strong><br />
hinterlie8 unbezahlt seine Kulis, die wir zu<br />
allem Überfluss auch noch bezahlen<br />
mussten, um sie nur wieder loszuwerden.<br />
Wir ließen uns dann nachher das Geld<br />
wiedergeben, aber es bedurfte erst ausdrücklichen<br />
Zuspruches. Jetzt ist er,<br />
nachdem er einige Zeit meine St<strong>und</strong>en<br />
besucht hatte, wieder verduftet. Komische<br />
Leute!<br />
Ich bin immer wieder erstaunt, wie hell die<br />
Inder sind. Sie lernen, wenn sie sich nur<br />
bisschen Mühe geben, fabelhaft rasch.<br />
So haben wir schnell Fortschritte machen<br />
können, so dass es einem richtig Spaß<br />
macht. Vorige Woche, gerade fünf Wochen<br />
seit Beginn des Unterrichtes, haben<br />
wir angefangen, das Johannes-<br />
Evangelium deutsch au lesen. Merkwürdiger<br />
Weise hat niemand dagegen Protest<br />
erhoben. Natürlich beschränke ich<br />
mich stramm auf das Sprachgeschichtliche.<br />
Keiner wird sich übertriebenen Hoffnungen<br />
hingeben, aber es mag sein,<br />
dass vielleicht doch der eine oder andere<br />
seine Freude an den Evangelien findet<br />
<strong>und</strong> so missionarisch ein wenig beeinflusst<br />
werden kann. Eine Anzahl <strong>von</strong> diesen<br />
Leuten will später nach Deutschland<br />
gehen. Da ist es mir sehr wertvoll, wenn<br />
ich sie persönlich kenne <strong>und</strong> etwas Einfluss<br />
auf sie gewinne. Ich kann ihnen<br />
dann raten, wie sie am besten in<br />
Deutschland unterkommen können <strong>und</strong>
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 23<br />
ihnen Adressen anweisen; dadurch kann<br />
man dafür sorgen, dass sie später in wirklich<br />
christlichen Familien kommen <strong>und</strong><br />
nicht unter die Räder geraten. Und wenn<br />
man in dieser Hinsicht etwas erreicht, tut<br />
man schon ein ganz gutes Stück Missionsarbeit.<br />
- Ich glaube, die Missionsleitung<br />
hat keinen Gr<strong>und</strong>, über diese Arbeit<br />
den Kopf au schütteln'; erstens kostet sie<br />
nicht viel Zeit - die Vorbereitung nimmt<br />
täglich nur wenige Minuten in Anspruch -,<br />
<strong>und</strong> zweitens glaube ich, dass dadurch<br />
auch ein klein wenig Missionsarbeit getan<br />
werden kann. Wie weit das wirklich der<br />
Fall sein kann, muss die Zeit lehren.<br />
Gestern hatten wir nun die feierliche Eröffnung<br />
des "Ihmels-Blockes" wie der<br />
Neubau auf unserem Fabrizius-<br />
Gr<strong>und</strong>stück heißt. D. Frölich hatte das<br />
Präsidium <strong>und</strong> thronte feierlich auf einem<br />
Podium, auf dem sogar ein Tisch mit einer<br />
Blumenvase stand. Die vier Zipfel der<br />
Decke waren vorsichtiger Weise an den<br />
vier Beinen festgeb<strong>und</strong>en. Es ist ein<br />
schöner, stolzer Bau. Ich hoffe ihn bald<br />
au photographieren, so dass Ihr Euch<br />
daran ergötzen könnt. 12.000 Rs hat die<br />
Sache gekostet. Leider reichte das Geld<br />
nicht aus, um außer den drei Räumen im<br />
R<strong>und</strong>brief vom 06.12.1928 aus Madras<br />
Ist es wirklich wahr, dass wir jetzt die<br />
Weihnachtszeit haben? Es gibt doch weder<br />
Schnee noch Kälte, <strong>und</strong> die Natur<br />
prangt in ihrem saftigsten Grün. Aber was<br />
soll man schließlich anders <strong>von</strong> der tropischen<br />
Natur erwarten. Wir sind schon<br />
froh, dass das Thermometer um ein paar<br />
Grad herunter gegangen ist <strong>und</strong> der Regen<br />
etwas Kühlung gebracht hat. Aber<br />
dass das Weihnachtsfest mit Riesenschritten<br />
naher kommt <strong>und</strong> dann mit ihm<br />
auch das Jahr 1929, will einem nur<br />
schwer in den Sinn. Nächste Woche sind<br />
es freilich schon 10 Monate, dass Lisa<br />
<strong>und</strong> ich unsere Hochzeit hatten. So fix<br />
rennt die Zeit. - Wir beide senden Euch<br />
allen zu Weihnachten <strong>und</strong> Neujahr unsere<br />
allerherzlichsten Grüße <strong>und</strong> wünschen<br />
Euch, das wir alle, wenn auch getrennt,<br />
so durch unsere Gedanken vereint, ein<br />
schönes stilles Fest feiern möchten, auch<br />
Hans in Afrika.<br />
Erdgeschoß auch noch drei <strong>von</strong> der gleichen<br />
Art im Obergeschoß zu bauen; es<br />
langte oben nur zu einem. Vor dem Neubau<br />
befanden sich in langen Reihen Bänke,<br />
auf denen die erschienenen Gäste<br />
Platz nahmen, vor allem viele <strong>von</strong> unserer<br />
Gemeinde, aber auch eine Reihe ehemaliger<br />
Schüler. Ansprachen, turnerische<br />
Vorführungen <strong>und</strong> Lieder wechselte miteinander<br />
ab. Um halb sechs, hatten wir<br />
angefangen, aber manche Anasrachen<br />
wuchsen sehr in die Länge. Der gute Asrvadam<br />
sprach volle 20 Minuten, sein Vater<br />
ist einst durch den Religionsunterricht<br />
der Schule zum Christentum bekehrt<br />
worden. Ich musste auch mit auftreten<br />
<strong>und</strong> freute mich, dass ich der Schule als<br />
Geschenk <strong>von</strong> jungen Fre<strong>und</strong>en in<br />
Deutschland ein schönes Bild <strong>von</strong> Jesus<br />
(Hofmann) überreichen konnte; da es<br />
schon duster geworden war, stellte sich<br />
jemand neben das Bild <strong>und</strong> hielt eine<br />
Lampe davor, damit es jedermann richtig<br />
sehen konnte. Zum Schluss eröffnete<br />
Onkel Frölich feierlich das neue Gebäude<br />
ein <strong>und</strong> lud alle zur näheren Besichtigung<br />
ein. Die große Jungenschar stürmte dann<br />
mit Jubel hinein. So sind wir wieder einen<br />
Schritt weitergekommen.<br />
Seit meinem letzten R<strong>und</strong>brief ist bereits<br />
wieder ein Vierteljahr verstrichen. Aber es<br />
gibt ja, wenn man sich in seine Arbeit<br />
hineingef<strong>und</strong>en hat, auch nicht mehr so<br />
viele Erlebnisse, die <strong>von</strong> besonderem<br />
Interesse sind. Aber ein paar Einzelheiten<br />
lassen sieh doch herausgreifen.<br />
Da steht natürlich an erster Stelle der<br />
Autokauf. Das war ein großes Ereignis.<br />
Aber ein fast noch größeres Ereignis ist<br />
es, solch ein Ding im Gange au haben.<br />
Es ist ein w<strong>und</strong>erschöner Kasten. Er läuft<br />
leise orgelnd wie Butter, oder er braust<br />
wie ein Sturmwind. Ein ganzes Gedicht<br />
könnte ich darüber schreiben, wenn mir<br />
nicht immer im entscheidenden Augenblick<br />
die Reime wegblieben. Innerhalb<br />
drei Wochen hatten wir vier "Drivers". Der<br />
erste wollte gern wieder zu seiner früheren<br />
Herrschaft zurück; er brachte mir die<br />
gröbsten Gr<strong>und</strong>begriffe bei. Der zweite,<br />
mit dem ich einen Kontrakt geschlossen<br />
hatte, kam überhaupt nie, so dass unser
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 24<br />
braver "Chrysler 50" w<strong>und</strong>erbar faulenzen<br />
<strong>und</strong> wir <strong>und</strong> die Beine ablaufen konnten.<br />
Der dritte quittierte innerhalb der ersten<br />
24 St<strong>und</strong>en den Dienst; aber darüber<br />
waren wir nicht sehr traurig, da er ein<br />
richtiger Taxi-Mensch war, der alles, was<br />
ihm in den Weg kam, kräftig ausschimpfte;<br />
<strong>und</strong> außerdem spuckte er, wenn er<br />
links im Wagen saß, links heraus, <strong>und</strong><br />
wenn er rechts saß, rechts heraus, <strong>und</strong><br />
da hatte man immer Angst um das Trittbrett.<br />
Der vierte scheint nun endlich ganz<br />
vernünftig zu sein, fährt vorsichtig, putzt<br />
tüchtig <strong>und</strong> ist pünktlich. Seine Mutter ist<br />
bis jetzt auch nur erst einmal gestorben,<br />
wodurch er zwei Tage Urlaub bekam, um<br />
dann plötzlich noch einen halben Tag<br />
länger wegzubleiben <strong>und</strong> uns, wie nachher<br />
ersichtlich werden wird, in der Tinte<br />
sitzen zu lassen.<br />
Mir lag <strong>und</strong> liegt es sehr am Herzen, das<br />
Autofahren zu lernen, was aber durchaus<br />
nicht so ganz einfach ist. Denn man hat ja<br />
allerlei immer gleichzeitig zu bedenken,<br />
<strong>und</strong> man wird im Anfang leicht nervös, bis<br />
man die Ruhe eines Bierkutschers kriegt.<br />
Ich fing damit an, dass ich mich in etwas<br />
Mein Ärger sind freilich oft die Polizisten.<br />
Sie wollen den Verkehr regeln, aber sie<br />
bringen sich doch bloß in Lebensgefahr,<br />
wenn sie sich so unvorsichtig mitten in den<br />
Weg stellen. Wenn man solch einen<br />
hochmützigen Hüter des Gesetzes anfährt,<br />
kriegt man, wie ich mir habe erzählen lassen,<br />
elende Schwierigkeiten ; es ist ja auch<br />
Chrysler 50<br />
Missionar Frölich <strong>und</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong><br />
stille <strong>und</strong> abgelegene Straßen fahren ließ<br />
<strong>und</strong> dort den Führersitz erkletterte. Da<br />
lernte ich abfahren, schneller fahren,<br />
bremsen usf. Dabei hatte ich alle Hände<br />
voll zu tun, um <strong>von</strong> allem einmal den unbeweglichen<br />
Gegenständen nicht Schaden<br />
zu tun, wie den Hausecken, Bäumen,<br />
Straßengräben. Die beweglichen Gegenstände<br />
bemühte ich mich durch heftiges<br />
Tuten zu vertreiben, was auch meist<br />
gelang; nur die fetten <strong>und</strong> mageren Kühe<br />
haben merkwürdig wenig Gefühl für die<br />
Notwendigkeiten eines Autoverkehres.<br />
Auch das Kurvennehmen ist so eine Sache,<br />
weil die Ecken ihrem Wesen nach<br />
weniger r<strong>und</strong> als eckig sind; aber wenn<br />
man scharf zielt, die Zähne zusammen<br />
beißt - bloß man darf die Augen nicht<br />
zukneifen - <strong>und</strong> die Geschwindigkeit herabsetzt,<br />
hat man Aussicht, richtig herumzukommen.<br />
Später wagte ich mich dann<br />
auch in ein wenig beliebtere Gebiete, in<br />
wirklichen Verkehr mit Basartrubel jedoch<br />
erst nach drei bis vier Wochen. Das ist<br />
manchmal mächtig aufregend <strong>und</strong> interessant.<br />
für solch einen Herrn sicher unangenehm,<br />
wenn er plötzlich Gelegenheit erhält, sich<br />
ein Auto <strong>von</strong> unten her anzusehen <strong>und</strong><br />
dabei Fettflecke auf seine Uniform zu kriegen.<br />
Ich bin stolz, dass ich bis jetzt noch<br />
niemandem ein Härchen gekrümmt habe,<br />
selbst nicht den verbiesterten H<strong>und</strong>en, die<br />
die Straßen <strong>von</strong> Madras allzu sehr fre-
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 25<br />
quentieren. Es ist aber auch anzuerkennen,<br />
dass das Publikum verständnisvoll ist;<br />
als ich einmal im Anfang etwas geschwind<br />
um eine Ecke wutschte, stand ein Mann<br />
gerade in der Schusslinie; ich fing gerade<br />
darüber nachzudenken an, was für Operationen<br />
ich auszuführen haben würde, um<br />
den Wagen zu verlangsamen<br />
oder gar zum Stillstanden bringen, als<br />
auch schon der Mann mit jähem Entschluss<br />
wie aus der Kanone geschossen<br />
zur Seite sprang; unmittelbar darauf hatte<br />
er Gelegenheit, unser Auto auch <strong>von</strong> hinten<br />
zu betrachten; auch <strong>von</strong> da aus sieht<br />
es sehr schön aus <strong>und</strong> ist mit einem Reservereifen<br />
geziert; nachts brennt dort, falls<br />
man nicht versäumt, den Strom einzuschalten,<br />
ein elektrisches Licht. Das war<br />
damals meine erste Fahrt in der Öffentlichkeit;<br />
Lisa <strong>und</strong> Schwester Else saßen hinten,<br />
der Driver neben mir. Die Damen unterhielten<br />
sich erst sehr schön, aber sie<br />
wurden <strong>von</strong> der Romantik des Fahrens so<br />
ergriffen, dass sie schließlich ganz verstummten<br />
<strong>und</strong> voll gespannter Aufmerksamkeit<br />
alle Vorgänge verfolgten. Sie waren<br />
nachher ganz erschöpft; im Geiste hatten<br />
sie eben immer mitgelenkt, <strong>und</strong> da sie<br />
ja beide nicht fahren können, kamen sie<br />
dabei in 1000 Schwierigkeiten, ich war da<br />
schon ein bisschen weitet <strong>und</strong> schon in die<br />
Anfangsgründe eingedrungen; infolgedessen<br />
war ich dann auch nicht ganz so erschöpft.<br />
- Leider empfindet es Lisa immer<br />
noch als Angstpartie, wenn ich sie spazieren<br />
fahre, obwohl meine Fortschritte rapide<br />
sind. Aber das wird sich schon noch geben.<br />
Zur Universität fahre ich jetzt stets<br />
eigenhändig, wenn auch der Driver noch<br />
neben mir sitzt. - Eines Abends bin ich<br />
sogar ohne Driver mit Lisa losgefahren;<br />
das war vor gut acht Tagen, als der Driver<br />
wegen des Todes seiner Mutter Urlaub<br />
hatte. Wir waren abends bei Dr. L. P. Larsen,<br />
dem Dänen, der die Bibelrevision der<br />
Tamulischen Bibel ausführt, eingeladen;<br />
das ist mehr als fünf Kilometer weit entfernt,<br />
<strong>und</strong> es waren nur noch 20 Minuten<br />
<strong>und</strong> der Driver kam nicht.<br />
Die Fahrt ging auch tadellos. Erst abends<br />
um elf Uhr zerstreuten sich die Gäste, <strong>und</strong><br />
wir bestiegen auch unser Auto <strong>und</strong> wollten<br />
abfahren. Die anderen waren schon längst<br />
fort, aber unser Fuhrwerk wollte sich partout<br />
nicht in Bewegung setzen. Der Motor<br />
sprang w<strong>und</strong>ervoll an, aber sobald ich die<br />
Bewegungen ausführte, die den Wagen<br />
zum Losfahren hätten bewegen sollen,<br />
schnappte der Motor japsend ab. Ich betrachtete<br />
kritisch die Benzinzufuhr, aber<br />
nichts Bedenkliches war zu erspähen. Lisa<br />
rückte auf dem Sitze herum, Herr <strong>und</strong> Frau<br />
Dr. Larsen schüttelten teilnahmsvoll ihre<br />
Köpfe, <strong>und</strong> sie erbot sich sogar, den Wagen<br />
zunächst etwas zu schieben; vielleicht<br />
hülfe das. Das war ja natürlich fast zu viel<br />
des Helfenwollens. Rrrrrr -Tscha; Rrrrrr -<br />
Tscha. Hochinteressant! Aber es war<br />
schließlich doch nur für wenige Minuten.<br />
Da durchzuckte mich eine Erleuchtung -<br />
jawohl, die Bremse war noch angezogen.<br />
Larsens platzten heraus, ein Ruck, <strong>und</strong><br />
unser Wagen schoss da<strong>von</strong>, den heimatlichen<br />
Gefilden zu. - Was man doch so alles<br />
erleben kann!<br />
Anfang voriger Woche fand die Hochzeit<br />
<strong>von</strong> Kanschatt statt. Er wohnte bei Frölichs,<br />
sie bei Sandegrens. Beide waren<br />
sehr erfreut, dass sie bei ihren vielen Besorgungen<br />
das Auto mit benutzen konnten.<br />
Auch an den Strand fuhren sie gegen Abend<br />
zweimal; was sie dort eigentlich wollten,<br />
weiß ich nicht; denn in dem Sand<br />
kriegt man bloß Sand in die Schuhe, <strong>und</strong><br />
das Wasser ist nass. Und die Betrachtung<br />
des Mondes überlässt man doch als gebildeter<br />
Abendländer lieber den melancholischen<br />
Wauwaus. - An einem Abend waren<br />
sie auch bei uns zum Abendessen. Nachher<br />
verbannten wir beide auf die einsame<br />
obere Veranda. Denn Brautpaare haben<br />
eben kurioser Weise eine besondere Vorliebe<br />
für einsame Örter. Wenn ich scharf<br />
nachdenke, ist mir so, als hätte ich auch<br />
ähnliche Gefühle gehabt, als ich noch jung<br />
<strong>und</strong> unverheiratet war, <strong>und</strong>, wenn ich mich<br />
nicht irre, Lisa desselbigen gleichen.<br />
Nachdem sich die beiden zwei St<strong>und</strong>en<br />
dort aufgehalten hatten, warfen wir sie aus<br />
dem Hause.<br />
Am Tage vor der Hochzeit, am 26. November,<br />
hatte das Brautpaar eine große<br />
Teegesellschaft; alle Gemeindeälteste<br />
samt Familien <strong>und</strong> die theologischen Studenten<br />
waren eingeladen <strong>und</strong> wurden abgefüttert;<br />
wir auch. Am Abend nach sechs<br />
Uhr ereignete sich etwas sehr Graziöses,<br />
beinahe Feenhaftes: Da kamen unsere<br />
Kostschulmädels im Gänsemarsch an,<br />
jedes in der Hand einen roten Lampion.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 26<br />
Sie stellten sich vor dem Hause auf in Gestalt<br />
eines A + W, <strong>und</strong> dann hörten sie mit<br />
ihrem tamulischen Liede auf. Zwei Abgesandte<br />
traten vor <strong>und</strong> überreichten unter<br />
Glückwünschen Kränze <strong>und</strong> Früchte, <strong>und</strong><br />
alsbald setzten die beiden Buchstaben in<br />
w<strong>und</strong>erbarer Harmonie ein: "Hoch sollen<br />
sie leben, hoch sollen sie leben, dreimal<br />
hoch!", <strong>und</strong> jedes Mal wurden behutsam<br />
die Lampions geschwenkt. Dann verwandelten<br />
sich die Buchstaben in einen Halbkreis,<br />
vor dessen Öffnung einige Mädels,<br />
acht an Zahl, Singspiele aufführten, dass<br />
die Zöpfchen sausten. Und flugs formte<br />
sich die Geschichte wieder zu einer langen<br />
Schlange <strong>und</strong> zog singend <strong>von</strong> dannen.<br />
Die Sache hat ganz famos geklappt; Lisa<br />
hatte aber auch tüchtig mit den Blagen<br />
geübt, sogar am Tag vorher an Ort <strong>und</strong><br />
Stelle alles durchgeprobt.<br />
Am nächsten Tage hatten wir Hochbetrieb,<br />
unser Auto erhielt eine schmucke Girlande,<br />
<strong>und</strong> die Kirche wurde geschmückt. Die<br />
Trauung fand um halb fünf statt. Leider<br />
waren <strong>von</strong> uns Deutschen außer dem<br />
Madrassern nur die Hellers gekommen,<br />
mit Kind <strong>und</strong> Kegel, bei uns mächtigen<br />
Betrieb verursachend; <strong>von</strong> den auswärtigen<br />
Schweden, waren nur noch drei Damen<br />
erschienen. So war es eine verhältnismäßig<br />
kleine, schlichte Hochzeit mit<br />
etwa einem Dutzend Teilnehmern. Sandegren<br />
hielt die Tra<strong>ua</strong>nsprache, leider<br />
recht allgemein <strong>und</strong> wenig besagend. Hinterher<br />
wurden wir geknipst, <strong>und</strong> dann fuhr<br />
unser Auto die ganze Gesellschaft in vier<br />
Fuhren zu Sandegrens. Das Abendessen<br />
war sehr schön, <strong>und</strong> auch die Reden fehlten<br />
nicht, die aber nicht durchweg sehr auf<br />
der Höhe waren, erstens weil die Redner<br />
alle sitzen blieben, <strong>und</strong> zweitens, weil der<br />
Inhalt manchmal etwas schwach war.<br />
Dann wurde die Tafel aufgehoben, <strong>und</strong> das<br />
Brautpaar wechselte Hals über Kopf seine<br />
Gewänder <strong>und</strong> stieg in das Auto <strong>und</strong> sauste<br />
knatternd <strong>von</strong> dannen nach dem Egmore-Bahnhof.<br />
Dann saßen wir noch eine<br />
Weile zusammen <strong>und</strong> knatterten dann mit<br />
Hellers nach unserem Wigwam. Kanschatts<br />
(wie das klingt!) haben jetzt Urlaub<br />
<strong>und</strong> sind in Kodi. Hoffentlich erkälten sie<br />
sich da nicht, wenn sie sich da wieder an<br />
verborgene Örter setzen; denn es soll da<br />
jetzt ziemlich kühl sein.<br />
Kürzlich haben wir die fatale Entdeckung<br />
gemacht, dass Diebe bei uns gewesen<br />
sind <strong>und</strong> uns Sachen geklammert haben;<br />
das ist ein scheußliches Gefühl. Als wir am<br />
Sonntag aus dem Abendmahlsgottesdienst<br />
kamen, sagte uns der Boy, ein Junge sei<br />
die Treppe heruntergekommen, die <strong>von</strong><br />
hinten zu unserem Obergeschoß führt. Er<br />
habe gesagt, er hätte nach einem Drachen<br />
gefahndet, der sich dort verheddert hätte.<br />
Damit verschwand er. Nachher stellte sich<br />
jedoch heraus, dass der freche Kerl unsere<br />
Schubfächer durchwühlt hatte. Aber er<br />
hatte glücklicher Weise nichts mitgenommen<br />
außer einigen Annas, die in meinem<br />
Schreibtischauszug steckten. Und dann<br />
schliefen wir Dienstagmittag oben in unserem<br />
Zimmer für eine kleine Weile, <strong>und</strong><br />
während dieser Zeit schlich sich wieder<br />
jemand, vielleicht der gleiche Jüngling bei<br />
uns ins Haus; die eine der Türen war wohl<br />
nur angelehnt, er ging ins Treppenhaus<br />
<strong>und</strong> stahl mir aus meiner Rocktasche Rs.<br />
7/7/6. So ein Haderlump! Aus dem gleichen<br />
Tischauszug entschwand wieder etwas<br />
Kleingeld samt Marken. Das war uns<br />
denn doch schließlich etwas gegen den<br />
Spaß. Wir halten jetzt künftig das Haus<br />
sehr unter Verschluss, <strong>und</strong> das Geld darf<br />
sich nie außerhalb des eisernen Geldsehrankes<br />
herumtreiben. Das Geld, das man<br />
so nötig hat, auf solch alberne Weise zu<br />
verlieren, kann einen wirklich ärgern; dabei<br />
sind wir sogar noch vorsichtiger gewesen<br />
als Fräulein Karlmark. dass nicht immer<br />
alles mit richtigen Dingen zuging, war uns<br />
schon öfter aufgefallen, aber wir konnten<br />
es nie richtig herauskriegen; bloß dies Mal<br />
hatten wir gerade vorher abgerechnet <strong>und</strong><br />
wußten deshalb genau Bescheid. Über<br />
unsere Dienerschaft können wir glücklicher<br />
Weise sicher sein, denn sie sind alle zuverlässig.<br />
Wo wir eben so dicht an der Basarstrasse<br />
wohnen, ist man nie sicher, wer<br />
alles sich in das Haus hineinstiehlt <strong>und</strong><br />
einem etwas maust.<br />
Lisa sitzt jetzt stets sehr über dem Tamulisch,<br />
seit sie den neuen Munschi hat,<br />
macht ihr die Sache auch etwas Freude;<br />
der Trouble ist bloß, dass es für sie schwer<br />
ist, die Zeit herauszuschlagen; wenn es<br />
nach dem Munschi ginge, könnte Lisa den<br />
ganzen Tag hinter den Büchern sitzen. Wo<br />
wir jedoch so oft Gäste haben, ist es nicht<br />
leicht. Und dazu kommt die Fürsorge für
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 27<br />
die Boarding, den Haushalt <strong>und</strong> so Manches<br />
andere. Für die Auswärtigen müssen<br />
wir ja auch öfter Besorgungen machen. So<br />
ist es oft nicht anders möglich, als dass<br />
Lisa sich abends nach dem Abendessen<br />
über das Tamulisch macht, wo man eigentlich<br />
gern noch etwas gemütlich zusammen<br />
sitzen würde. Aber die Arbeit geht ja natürlich<br />
vor. Die Hauptsache ist ja dann bloß,<br />
dass es abends nicht gar so spät wird. Es<br />
ist nicht leicht für Lisa, dass sie dies alles<br />
um die Ohren hat, <strong>und</strong> man möchte ihr<br />
wirklich oft etwas mehr Frieden gönnen.<br />
Aber das ist schwierig in einem Missionshaushalt.<br />
Bei all diesen Sachen kommt es natürlich<br />
noch mehr, dass man nicht viel <strong>von</strong> der<br />
Weihnachtszeit merkt. Aber auf der anderen<br />
Seite kommt einem dadurch immer<br />
mehr zum Bewusstsein, dass es sich ja zu<br />
Weihnachten eigentlich um andere Dinge<br />
handelt als gerade um schöne Stimmung<br />
<strong>und</strong> dergl., so sehr man sich auch darnach<br />
sehnt.<br />
In der Boarding haben wir jetzt nicht mehr<br />
ganz so viel Krankheit gehabt wie im vorhergehenden<br />
Vierteljahr. Aber dafür herrschen<br />
jetzt umso mehr Erkältungskrankheiten.<br />
Wir mussten dort jetzt für etwa 15<br />
Mark Reparaturen ausführen lassen, weil<br />
sich Ratten ganze Gänge unter dem Krankenzimmer<br />
ausgebuddelt hatten <strong>und</strong> an<br />
einer anderen Stelle der Regen durchkam.<br />
Die Mädels waren eine Zeitlang recht unbändig,<br />
da die eine der beiden Lehrerinnen<br />
verheiratet ist <strong>und</strong> die übrig Gebliebene ein<br />
etwas unvollkommenes Wesen ist. Auch<br />
die Hausmutter, die Matrin, kommt nicht<br />
durch. So haben wir jetzt das Familienwesen,<br />
alias Riegensystem eingeführt, wie es<br />
ja beispielsweise in Marienberg im Kloster<br />
existiert. Das sind bis jetzt erst zwei Wochen,<br />
<strong>und</strong> man kann noch nichts über das<br />
Resultat sagen. Aber der Anfang ist verheißungsvoll.<br />
Der Reading-Room ist noch nicht eröffnet,<br />
weil sich allerlei Schwierigkeiten ergaben,<br />
die aber hoffentlich bald behoben sein<br />
werden.<br />
Zu Weihnachten bleiben wir hier. Wir erwarten<br />
dann zwei bis drei der deutschen<br />
Delegierten als unsere Gäste zur Maisur-<br />
Studentenweltkonferenz. Die Leipziger<br />
Missionarskonferenz, die für den 8. Jan<strong>ua</strong>r<br />
vorgesehen war, wird wahrscheinlich noch<br />
etwas herausgeschoben. - Beim Deutschunterricht<br />
haben wir jetzt Storms "Immensee"<br />
gut halb durchschwommen.<br />
Lisa <strong>und</strong> ich senden Euch allen, die Ihr<br />
diese Zeilen in die Hand bekommt, unsere<br />
herzlichsten Grüße. Nehmt dies als handschriftlichen<br />
Gruß. Wir haben noch arg viel<br />
zu tun.<br />
Brief an die Mütter <strong>und</strong> Tante Anna vom 28.03.1929 aus Madras<br />
Vorhin habe ich das Telegramm mit dar<br />
frohen Botschaft nach Deutschland abgesandt.<br />
Wir sind ja so froh <strong>und</strong> dankbar,<br />
dass alles so gut <strong>und</strong> verhältnismäßig<br />
schnell abgegangen ist. Eigentlich ist es<br />
uns jetzt sehr überraschend gekommen.<br />
Lisa fühlte sich zwar seit Anfang voriger<br />
Woche etwas unbeholfen, <strong>und</strong> war nicht<br />
immer sehr wohl, so dass sie letzten Sonntag<br />
länger im Bette liegen blieb. Dann hatte<br />
sie in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch<br />
wenig Schlaf <strong>und</strong> dann <strong>von</strong> morgens<br />
6 Uhr ab periodisch wiederkehrende<br />
Schmerzen, so dass wir energischen Verdacht<br />
schöpften. Um jedoch keinen blinden<br />
Alarm zu geben, warteten wir bis zum<br />
Nachmittag. Dann fuhr ich schnell zu Dr.<br />
McNeil ins Hospital <strong>und</strong> erfuhr zu meiner<br />
Freude, dass ihr Zimmer frei sei. Dr.<br />
McNeil kam gleich in meinem Auto mit<br />
hierher <strong>und</strong> stellte fest, dass wir recht hatten.<br />
Sie nahm gleich Lisa mit ins Hospital,<br />
wo dann abends 11:25 Uhr unser Töchterlein<br />
das Licht des Welt erblickte. Es ist<br />
alles gut verlaufen. Das Kind wiegt etwa<br />
3000 g. Für mich war es ja ein zweifelhaftes<br />
Vergnügen, zu Hause zuhocken. Zu<br />
allem Überfluss hatte ich heute früh um<br />
acht Uhr Gottesdienst mit Predigt <strong>und</strong> Abendmahl.<br />
Die Predigt war bei aller Wirtschaft<br />
erst viertel fertig, <strong>und</strong> ich konnte nun<br />
bei dem lieblichen Vollmondlicht des lauen<br />
Abends mich in Selbstkonzentrierung üben.<br />
Ich war so müde, dass ich wirklich<br />
schlief. Um vier war ich wieder wach <strong>und</strong><br />
stand dann bald auf. Gleich nach sechs<br />
war ich im Hospital mit dem Auto, wo ich<br />
nun die frohe Botschaft <strong>von</strong> den Ereignis-
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 28<br />
sen der Nacht erhielt. Man hatte an eine<br />
Apotheke in der Nähe <strong>von</strong> uns telegraphiert<br />
um Mitternacht, aber die Gesellschaft<br />
hatte nichts ausgerichtet. Lisa war<br />
recht erledigt, da sie keinen Schlaf gef<strong>und</strong>en<br />
hatte, war aber sonst ganz munter <strong>und</strong><br />
glücklich. Der kleine Ankömmling hatte<br />
st<strong>und</strong>enlang gebrüllt, so dass sie kein Auge<br />
zugetan hatte. Aber jetzt schlief das<br />
kleine Ungetüm sehr süß. Lisa sagte, es<br />
hätte blaue Augen. Die Haare waren blond.<br />
Das Gesicht ist r<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> erklärlicherweise<br />
etwas vergrämt. Aber sonst kann<br />
man wenig darüber sagen. Jedenfalls<br />
scheint es nicht meine Nase zu haben,<br />
denn sonst müsste eine Rille vorn auf der<br />
Spitze sein. Das Schädelchen geht ein<br />
bisschen nach hinten in die Höhe. Hoffentlich<br />
ist meine Filia heute Nachmittag mal<br />
bei Bewusstsein, dass man sie mal richtig<br />
betrachten kann.<br />
Wir sind so froh, dass sich die Sache auf<br />
diese Weise so schön gelöst hat. Die Trennung<br />
mit Kodi wäre doch nicht sehr schön.<br />
Es ist nur gut, dass es schon jetzt <strong>und</strong><br />
nicht erst während der Reise passiert ist.<br />
So haben wir also mit unserer eignen<br />
Rechnung gegenüber der Ärztin recht behalten.<br />
Als ich dann um halb acht wieder heimkam,<br />
drängten sich unsere Boarding-<br />
Mädels mächtig neugierig vor der Tür zusammen.<br />
Das Jubelgeschrei, dass es ein<br />
Mägdelein sei! Sonst imponiert es ja den<br />
Indern nicht sonderlich, wenn ein Mädel<br />
geboren wird. Jedenfalls ist es für uns<br />
<strong>Gäbler</strong>s, die so reichlich mit Jungens versorgt<br />
sind, etwas sehr Schönes, dass nun<br />
das weibliche Element energischer auf den<br />
Plan tritt. Jedenfalls hat mir Lisa gleich<br />
heute früh erklärt, dass sie nun zu zweit<br />
mir gegenübertreten könnte.<br />
Wir können Euch ja gar nicht sagen, wie<br />
glücklich wir sind <strong>und</strong> wie froh, dass es<br />
alles so gut abgegangen ist. Heute ist es<br />
gerade ein Jahr - Gründonnerstag -, dass<br />
Lisa ins gleiche Zimmer zog. Wie schön ist<br />
nun inzwischen alles geworden!<br />
.Wir grüßen Euch treulich in aller Liebe.<br />
Das erste Enkelkind! - Ich muss schnell<br />
schließen, da auch noch eine Predigt für<br />
morgen vorbereitet werden muss.<br />
Brief an die Mütter <strong>und</strong> Tante Anna vom 04.04.1929 aus Madras<br />
Gestern hat unser Töchterlein seinen einwöchigen<br />
Geburtstag begann, <strong>und</strong> Ihr werdet<br />
gewiss begierig sein, Näheres über<br />
sein Ergehen zu hören. Arg viel gibt es ja<br />
naturgemäß nicht zu beschreiben, da solch<br />
ein Geschöpf noch nicht über übermäßig<br />
viel Individ<strong>ua</strong>lität verfügt. Ich habe nun<br />
inzwischen meine Filia wiederholt auch im<br />
Wachzustande betrachten können. Sie<br />
verfügt über ziemlich spärlichen Haarwuchs,<br />
einen mächtigen Hinterkopf, zwei<br />
dunkelblaue Äuglein <strong>und</strong> volle r<strong>und</strong>e Backen.<br />
Das Profil ist sehr ihrem Großvater<br />
<strong>Paul</strong> ähnlich. Auf alle Fälle ist die Nase<br />
mehr paulisch. Die Finger <strong>und</strong> Zehen<br />
scheinen dagegen mehr auf ihren Vater<br />
hinzuweisen.<br />
Nachdem sie irden ersten Tagen vorschriftsmäßig<br />
abgenommen hat, ist sie<br />
jetzt wieder im Zunehmen begriffen. Den<br />
Tag über pflegt sie vorwiegend zu schlafen,<br />
während sie nachts öfter mal Schreiübungen<br />
veranstaltet. Ihr Schreien habe<br />
ich auch mehrfach gehört. Es ist noch nicht<br />
ganz so schön wie das Schlagen der<br />
Nachtigall, aber vielleicht macht sich das<br />
später noch; jedenfalls finde ich die Stimme<br />
sehr angenehm, während Lisa behauptet,<br />
nachts fände sie es nicht immer angenehm;<br />
sie hat sich wohl schon zu sehr daran<br />
gewöhnt. Lisa hat leider nicht arg viel<br />
schlafen können, weil es manchmal recht<br />
unruhig im Hospital ist; da kommt alle Naselang<br />
ein neues Lebewesen an. Hoffentlich<br />
gewöhnt sich auch unser Döchting<br />
recht bald noch an, nachts stille zu sein.<br />
Da die Nurses im Krankenhaus sehr beschäftigt<br />
sind, wurde uns dort eine Ayah<br />
verschafft, die, wie sich Lisa ausdrückte,<br />
ein richtiges "Trampeltier" ist. Sie ist<br />
furchtbar dumm. Wenn Dummheit wehtäte<br />
- wie müsste sie da schreien! So benutzt<br />
sie Lisa einzig als Bimmel, d.h. wenn etwas<br />
los ist, muss sie los <strong>und</strong> die Nurse<br />
holen; sie holt auch das Essen. Aber an<br />
das Kind lässt Lisa sie lieber nicht heran,<br />
wenn sie auch ganz ordentlich ist. Eine<br />
Eigenschaft <strong>von</strong> ihr, die uns immer ärgert,<br />
ist die, dass sie, trotzdem wir es ihr schon<br />
mehrfach verboten haben, den Korb, in
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 29<br />
dem unser Sprössling liegt, zu schuckeln<br />
anfängt, sobald die kleine Majestät zu brüllen<br />
anfängt. Die Folge ist, dass die Kleine<br />
jetzt schon öfter bloß brüllt, um geschuckelt<br />
zu werden. Na, wenn wir im eigenen<br />
Gedinge sind, sind wir unsere Herren, <strong>und</strong><br />
dann wird getan, was wir wollen. Die zwei<br />
bis drei Wochen, die wir noch hier sein<br />
werden, wollen wir uns ohne Ayah behelfen.<br />
Wenn wir nachher nach Kodi übersiedeln,<br />
finden wir dort die Ayah <strong>von</strong> Alms<br />
vor, der der Ruf voraufgeht, dass sie tüchtig<br />
ist. Alms gehen jetzt im April nach<br />
Schweden. - Lisa wird jetzt, seit Dr. McNeil<br />
nach Kodi gegangen ist, <strong>von</strong> einer Dr.<br />
Smith behandelt, die tüchtig, aber etwas<br />
Lisa <strong>und</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 1935<br />
eigenartig zu sein scheint. Die beste Zeit<br />
für Krankenbesuche ist doch sicher nicht<br />
gerade abends um zehn Uhr. Wann Lisa<br />
nach Hause zurückkehrt, wissen wir im<br />
Augenblick noch nicht; wir denken, es wird<br />
übermorgen der Fall sein. Es hat sich weiter<br />
alles normal entwickelt. Wir freuen uns<br />
sehr, dass es auch mit der Milch klappt.<br />
Die Engländerinnen sagen <strong>von</strong> dem kleinen<br />
Wesen: "She is an extremely good<br />
sucker". - Wir sind so froh <strong>und</strong> dankbar,<br />
dass alles so gut gegangen ist. Wie schön<br />
wäre es, wenn Ihr hier sein <strong>und</strong> Euch mit<br />
uns an unserem lieben Ostergeschenk<br />
freuen könntet.<br />
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> Martin Witte an seine Braut Hanna Witte 1933 bis 1935<br />
02.10.1933<br />
Du ich habe mich gefreut! Der Brief <strong>von</strong><br />
Frau Miss. <strong>Gäbler</strong> junior war so nett <strong>und</strong><br />
fein <strong>und</strong> nüchtern! Die schreibt da über<br />
Braut- <strong>und</strong> Ehestand in Indien. Sie habe<br />
sehr darunter gelitten, dass sei schon nach<br />
zehn Tagen, nachdem sie in Colombo angekommen<br />
sei, geheiratet habe, nach weiteren<br />
acht Monaten eine Fehlgeburt hatte<br />
u. bei alldem kein Tamulisch gelernt habe.<br />
Erst durch ihre Kinder habe sie etwas Tamil,<br />
gelernt. Sie äußert sich dann sehr fein<br />
darüber, dass es gut sei, wenn die Bräute<br />
nicht erst nach zwei Jahren kommen u.<br />
dann gleich heiraten, sondern schon mindestens<br />
½ Jahr früher kommen sollten, um<br />
sich in Klima, Sprache, Land einzuleben<br />
<strong>und</strong> dann heiraten. Sie fügt allerdings hinzu,<br />
dass das Warten für manche Männer<br />
wegen des Klimas allzu schwer sei. Aber<br />
man sollte doch wenigstens es so machen,<br />
dass die Braut eine gewisse Zeit vor dem<br />
ausgemachten Heiratstermin nach Indien<br />
könne. Also, wie gesagt, ihre Gedanken u.<br />
die Art, wie sie das schreibt, gefallen mir.<br />
Es wäre ja wirklich fein, wenn wir uns später<br />
nicht nur mit <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong>, sondern auch<br />
mit „ihr" gut vertragen könnten. Hoffentlich
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 30<br />
teilt Frau Missionar <strong>Gäbler</strong> jun. ihre Ansichten<br />
mal einigen maßgebenden Leuten in<br />
Leipzig mit, <strong>von</strong> wegen dass die Bräute<br />
lieber schon ein halbes Jahr vorher raus<br />
sollten.<br />
13.03.34<br />
Zu dem, was ich Dir neulich erzählte,<br />
will ich heute noch den Schluss hinzufügen.<br />
Nämlich: die theologische Lage<br />
unter den Missionaren. Die Schweden<br />
wollen Union - das hieße - keine geschlossene<br />
lutherische Kirche, das<br />
schrieb ich wohl schon. Dagegen wird<br />
Leipzig nicht anders können <strong>und</strong> wollen<br />
als: "lutherische Volkskirche indischer<br />
Eigenart". Das mache ich alles gern<br />
mit. Aber ganz verheerend ist es nun,<br />
dass mit Ausnahme <strong>von</strong> Frölich - der<br />
aber bald in den Ruhestand tritt - <strong>und</strong><br />
Heller - der zwar Missionar, aber kein<br />
"Theologe", sondern "Bauer" ist (Pandur!),<br />
eher kein großes Licht trotz seiner<br />
praktischen Verdienste (die in allen<br />
Ehren!) - also mit Ausnahme <strong>von</strong> den<br />
beiden - unter den Missionaren eine<br />
verrostete, negativistisch-kritisch eingestellte<br />
Orthodoxie herrscht Hauptvertreter:<br />
Lehmann, Röver, Gräfe. Ich<br />
muss sagen, die Leute fangen an,<br />
theologisch für mich unmöglich zu werden.<br />
Sie sprechen z. B. ohne weiteres<br />
Gliedern der englischen Wesleyachurch<br />
etc. das Christentum einfach<br />
ab. Das ist mir ein Unding. Walter neigt<br />
auch etwas dahin, zum Glück ist er aber<br />
durch die Enttäuschung über Lehmanns<br />
Charakter an der Klicke irre geworden<br />
<strong>und</strong> hat sich theologisch auch<br />
etwas geweitet. Wenn <strong>Gäbler</strong> nicht wieder<br />
kommt, dagegen aber Lehmann -<br />
dann ist's Essig. Ich hoffe das Gegenteil:<br />
dass <strong>Gäbler</strong> kommt <strong>und</strong> Lehmann<br />
nicht kommt. Dann kann alles gut werden.<br />
Vor Lehmann habe ich nicht die<br />
geringste Achtung gewonnen, obwohl<br />
ich mir viel Mühe gegeben habe.<br />
16.08.34<br />
Ob <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> schon Anfang nach<br />
Indien kommen kann, scheint noch unsicher<br />
zu sein. Sein Magenleiden (Ma-<br />
gen-Senkung) ist wohl doch schlimmer,<br />
als es anfangs aussah. Es wäre ein<br />
Jammer, wenn er nicht wiederkommen<br />
kann.<br />
10.01.1935<br />
Viel mehr Bedeutung misst man Deiner<br />
K<strong>und</strong>e bei, dass <strong>Gäbler</strong> vielleicht über<br />
Schweden kommt; d.h. doch offenbar,<br />
dass er auch hier <strong>von</strong> den Schweden sein<br />
Gehalt kriegt. Man sieht dem allerdings<br />
hier nur mit geteilten Gefühlen entgegen;<br />
denn was wird dann aus uns anderen Missionaren?<br />
Die Schweden haben uns hier<br />
gesagt, dass sie uns nicht aufnehmen <strong>und</strong><br />
besolden können. Und <strong>Gäbler</strong> würde dann<br />
schließlich gar kein richtiger Leipziger sein;<br />
darauf käme aber gerade sehr viel an, um<br />
zu überwintern, dass wirklich die Leipziger<br />
Mission das bleibt was sie ist. Sonst hätte<br />
es ja keinen Sinn überhaupt hier zu sein.<br />
23.02.1935<br />
Das <strong>Gäbler</strong>schiff fährt ab Bremen am<br />
10.05.<br />
08.05.1935<br />
Die "Scharnhorst" (mit der jetzt <strong>Gäbler</strong>s<br />
fahren!) fährt schon wieder am 09.08. <strong>von</strong><br />
Bremen ab <strong>und</strong> ist am 31.08. in Colombo!<br />
15.05.1935<br />
Schnelldampfer sind sehr begehrt <strong>und</strong><br />
Plätze müssen schon sehr zeitig bestellt<br />
werden. <strong>Gäbler</strong>s bestellten ihre Plätze bereits<br />
Anfang Febr<strong>ua</strong>r!<br />
02.06.1935<br />
Denke Dir, Frau Kannegießer schrieb aus<br />
Kodai an Karli einen ausführlichen Brief,<br />
u.a. auch über das, was <strong>Gäbler</strong> ihnen erzählt<br />
hatte, der erst am Sonnabend dort<br />
ankam. <strong>Gäbler</strong>, der durchaus nicht als<br />
Pessimist bekannt ist, hat sehr ernst über<br />
die Missionslage gesprochen! Es stünde<br />
ganz schlimm <strong>und</strong> im Herbst würde die<br />
Lage ernster, als sie je vorher gewesen<br />
sei! Du erinnerst Dich, dass ich Dir schon<br />
früher schrieb, dass ja diese neue Devisenregelung<br />
nur für sechs Monate mit den<br />
Missionsgesellschaften beschlossen ist;<br />
<strong>und</strong> diese sechs Monate sind im Oktober<br />
abgelaufen!) <strong>Gäbler</strong> hat denn auch gewünscht,<br />
wenn wir Frau Kannegießers<br />
Brief recht verstehen, dass er sein Gehalt<br />
lieber <strong>von</strong> den Schweden nehmen würde,
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 31<br />
<strong>und</strong> nicht <strong>von</strong> Leipzig, wie es der Missionsrat<br />
eigentlich auf alle Fälle durchsetzen<br />
wollte, damit wir nicht nachher große<br />
Schulden an die Schweden nachzahlen<br />
der schwedische Missionar hat das Doppelte<br />
vom Gehalt eines Deutschen! Aus<br />
dieser Tatsache sieht man also, dass<br />
<strong>Gäbler</strong> die Lage wirklich sehr ernst ansieht.<br />
05.06.1935<br />
Die "Scharnhorst" ist noch nicht angekommen;<br />
vielmehr kam <strong>von</strong> <strong>Gäbler</strong> ein<br />
Telegramm: "Kesselschaden indischer<br />
Ozean, mindestens zehn Tage Verspätung".<br />
Das ist natürlich ein furchtbares<br />
Pech für die deutsche Schifffahrt!<br />
Scharnhorst<br />
Brief an Lore <strong>und</strong> Ulrike vom 04.09.1939<br />
Ich kam nach Tritchy am Freitag <strong>und</strong> packte<br />
meine Sachen, weil es schien, dass<br />
Krieg ausbrechen würde. Fräulein Langloh<br />
hat Euch wahrscheinlich erzählt, dass jetzt<br />
Krieg ist zwischen England <strong>und</strong> Deutschland.<br />
Heute muss ich nach Thomasmount,<br />
wo ich interniert werde. Es war eine so<br />
Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> Mai 1939 bis März 1940<br />
müssen. Es wird ja für <strong>Gäbler</strong> keine leichte<br />
Frage sein, ob er das Gehalt eines schwedischen<br />
Missionars oder eines deutschen<br />
beziehen will;<br />
11.06.1935<br />
Heute kam ein Telegramm, dass die<br />
"Scharnhorst" heute in Colombo angekommen<br />
sei, also volle 12 Tage Verspätung.<br />
26.06. 1935<br />
Die "Scharnhorst"-Fahrt ist ein furchtbarer<br />
Reinfall gewesen! Wie <strong>Gäbler</strong> erzählte, sei<br />
das Schiff noch völlig unfertig gewesen<br />
<strong>und</strong> voller Fehler; eine Panne nach der<br />
anderen!<br />
schöne Zeit, welche wir in Kodaikanal zusammen<br />
hatten <strong>und</strong> ich werde lange daran<br />
denken. Ich weiß nicht, wann <strong>und</strong> wo wir<br />
uns wieder treffen werden. Seid liebe Kinder<br />
<strong>und</strong> betet, dass wir bald wieder Frieden<br />
haben werden.<br />
03.05.39 Mutti muss lange gelegen haben (2¼ Monate Schwangerschaft mit Michael),<br />
denn sie schreibt, dass sie seit zwei Tagen wieder etwas herumgelaufen ist<br />
<strong>und</strong> jeden Tag mehr aufstehen kann. Christoph hat zum ersten Mal Vati <strong>und</strong><br />
Mutti einen Kuss gegeben mit offenen Lippen <strong>und</strong> viel Spucke.<br />
14.05.39 Christoph hatte durch die große Hitze (über 38°C) <strong>und</strong> schlechtes Gemüse<br />
einen ganz schlimmen Brechdurchfall mit hohem Fieber in Trichy. Drei Tage<br />
später (09.05.39) fuhren sie nach Kodaikanal, wo Christoph sich schnell erholte.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 32<br />
26.05.39 Tambi (Christoph) spricht immer noch nichts weiter als Papa <strong>und</strong> Mama <strong>und</strong><br />
das Küsschen geben hat er auch wieder verlernt. Mutti muss wieder vier Tage<br />
fest im Bett liegen <strong>und</strong> bekommt jeden Tag eine Spritze.<br />
27.05.39 Vati fuhr mit Frau Hellinger <strong>und</strong> Frau Witte um 12:30 Uhr <strong>von</strong> Kodaikanal im<br />
Auto ab <strong>und</strong> erreichte 18:15 Uhr Trichy (5¾ St<strong>und</strong>en), wo es 30°C heiß war.<br />
09.06.39 Lange Beschreibung was Tambi tagsüber so alles treibt (mit den größeren<br />
Schwedenkindern).<br />
13.07.39<br />
Mutti<br />
Mutti erzählt uns, dass der liebe Gott unter Muttis Herz wieder ein kleines<br />
Kindlein heranwachsen lässt (fünf Monate schwanger).<br />
25.07.39 Auf der M.C. (Missionary Conference) wurde beschlossen, dass unsere Familie<br />
nach Shigali ziehen soll, um Hellingers Arbeit (High School <strong>und</strong> Jugens<br />
Boarding) zu übernehmen, da Hellingers jetzt schon auf Urlaub fahren. Ulrike<br />
<strong>und</strong> Lore kamen <strong>von</strong> Kotagiri auf Ferien nach Kodaikanal (eine oder zwei<br />
Wochen?).<br />
19.08.39 Ulrike <strong>und</strong> Lore wurden <strong>von</strong> Tante Ruth Bexell im Auto nach Kotagiri gebracht.<br />
29.08.39 Vati <strong>und</strong> Mutti sind in Kodaikanal <strong>und</strong> genießen die Ferien zusammen mit<br />
Christoph. Sie gingen gemeinsam zum Adlerhorst mit Hellers, Herrn Tiedt,<br />
Gerlachs, Weinerts <strong>und</strong> Elisabeth Buchholz. Elisabeth Buchholz soll am<br />
03.09.39 zusammen mit Wagners, Frl. Studtrucker <strong>und</strong> Johanna <strong>Paul</strong> <strong>von</strong><br />
Colombo nach Deutschland fahren.<br />
04.09.39<br />
Vati<br />
21.09.39<br />
Mutti<br />
04.10.39<br />
Mutti<br />
09.10.39<br />
Mutti<br />
Ich kam nach Tritchy am Freitag <strong>und</strong> packte meine Sachen, weil es schien,<br />
dass Krieg ausbrechen würde. Fräulein Langloh hat Euch wahrscheinlich<br />
erzählt, dass jetzt Krieg ist zwischen England <strong>und</strong> Deutschland. Heute muss<br />
ich nach Thomasmount, wo ich interniert werde. Es war eine so schöne Zeit,<br />
welche wir in Kodaikanal zusammen hatten <strong>und</strong> ich werde lange daran denken.<br />
Ich weiß nicht, wann <strong>und</strong> wo wir uns wieder treffen werden. Seid liebe<br />
Kinder <strong>und</strong> betet, dass wir bald wieder Frieden haben werden.<br />
Mutti ist mit Christoph allein in Kodaikanal, bzw. Tante Rosemarie Wagner<br />
ist mit Katharinchen auch da (Also sind sie wohl doch nicht mit dem Schiff<br />
weg).<br />
Mutti schreibt, dass Vati am 28.09.39 mit allen deutschen gefangenen Männern<br />
in einem extra Truppenzug <strong>von</strong> Madras nach Ahmednagar bei Bombay<br />
gefahren wurde. Christoph fängt mit einem Male täglich mehr Worte zu sagen,<br />
meistens tamulische, aber auch "bitte" <strong>und</strong> "danke" sagt es jetzt richtig.<br />
Heute hat er lange nach Vati Ausschau gehalten <strong>und</strong> "Pappaj" gerufen. Lore<br />
<strong>und</strong> Ulrike werden bei Tante Ruth Bexell <strong>und</strong> später bei Mettams sein bis<br />
Mutti mit den beiden Kleinen nach Trichy kommt.<br />
Mutti bittet Tante Lene Langlo (die Lehrerin der deutschen Schule in Kotagiri)<br />
kein Geld für Lore <strong>und</strong> Ulrike <strong>von</strong> der englischen Regierung zu beantragen.<br />
22.10.39 Mutti hat nichts <strong>von</strong> Tante Lene seit dem 09.10.39 gehört. Tante Lene möge<br />
unsere Sachen in die Kiste packen <strong>und</strong> in Kotagiri lassen, falls die Schule<br />
1940 dort wieder stattfindet. Rev. Hodge hatte ein Interview in Delhi, um ei-
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 33<br />
07.11.39<br />
Mutti<br />
18.02.40<br />
Mutti<br />
15.03.40<br />
Vati<br />
nige deutsche Missionare freizubitten, darunter auch Vati. Zuletzt schreibt<br />
Mutti: "Mein Kind sitzt jetzt sehr tief, ich habe das Gefühl, dass es jeden Tag<br />
kommen kann <strong>und</strong> freue mich tüchtig darauf."<br />
Mutti schreibt nach Golden Rock in der Vermutung, dass Lore <strong>und</strong> Ulrike<br />
jetzt bei Mettams zusammen mit Christoph sind. Mutti ist jetzt ganz allein in<br />
Kodaikanal in der Augsburg <strong>und</strong> geht Essen im Hause Magdeburg. Wir sollen<br />
ihr abwechselnd jeden Tag eine Karte schreiben. Vati schreibt manchmal<br />
2x, manchmal 3x die Woche. Über Michaels Geburt <strong>und</strong> Vatis Freilassung<br />
ist nichts Schriftliches vorhanden. Zu Michaels Taufe am 2. Advent, dem<br />
10.12.39, war Vati wieder zurück.<br />
Bald danach müssen wir nach Kumbakonam umgezogen sein, denn am<br />
18.02.40 schreibt Mutti aus Kumbakonam nach Koraput an Lore <strong>und</strong> Ulrike<br />
<strong>und</strong> bedankt sich für die Post <strong>von</strong> ihnen über ihre Ankunft in Koraput, wo die<br />
Deutsche Schule jetzt im Hause <strong>von</strong> Meiers der Breklumer Mission weitergeführt<br />
wird. (Über Vatis Rückkehr aus der Internierung wird hier nichts berichtet.)<br />
Mutti <strong>und</strong> Vati mussten zum D.S.P. eine Meile hin <strong>und</strong> wieder zurück<br />
laufen, <strong>und</strong> das war viel zu für Muttis Beine nach all dem Auspacken <strong>und</strong><br />
Stehen im Haus. Sie müssen sich jetzt jede Woche auf der Polizeistation<br />
melden. Anschließend musste Mutti ca. zwei Tage zu Bett liegen, weil ihre<br />
Beine so geschwollen waren. Zur Zeit ist in Kumbakonam das große "Mahamachem"<br />
(Götzenfest) mit großen Umzügen. Direktor Ihmels schreibt,<br />
dass alles wie gewöhnlich weitergeht in Deutschland <strong>und</strong> unsere Mission<br />
ihre Einnehmen hat wie bisher. Lore <strong>und</strong> Ulrike sollen an die beiden Omas in<br />
Leipzig <strong>und</strong> Bautzen schreiben.<br />
In Kumbakonam ist es sehr trocken, es hat seit November nicht geregnet.<br />
Christoph hat vier Spritzen gegen Keuchhusten bekommen, Michel zwei zur<br />
Vorbeugung. Die Missionare müssen dieses Jahr Schwarzburg I <strong>und</strong> II <strong>und</strong><br />
Augsburg in Kodaikanal vermieten, weil die Mission Geld braucht. (Anmerkung<br />
<strong>von</strong> Lore: Das kam wohl nicht zustande, denn die Häuser wurden ab<br />
ca. Juli verwendet, um uns alle zu internieren.) Mutti wird mit Anne Weinert<br />
<strong>und</strong> Siegfried <strong>und</strong> Wagners in dem Haus Magdeburg wohnen. Knutson geht<br />
ins Roseneck mit seiner Braut, die am 24.04.40 in Indien ankommen soll; die<br />
Hochzeit soll in Kodaikanal sein. (Anmerkung <strong>von</strong> Lore: Wagners sind aber<br />
nicht mit uns interniert worden. Sie fuhren vermutlich im April nach Deutschland.)<br />
22.03.40 Vati schreibt zum ersten Mal nach Koraput an Lore <strong>und</strong> Ulrike. Er hat sehr,<br />
sehr viel Arbeit, ist viel herumgereist. "Diese ganze Woche hatte ich jeden<br />
Tag in einem anderen Ort Gottesdienste mit Abendmahlsfeiern." Auch war<br />
er eine Woche zuvor in Tranquebar. Hellers sind nicht mehr dort sondern in<br />
Pandur, wo Luise Fröhlich wohnt (Anmerkung: Sie fuhr auch nach Deutschland).<br />
Knutsons Braut kam ganz unerwartet in Bombay an. Am Freitag wird<br />
die Hochzeit in Shiyali stattfinden. Das war der letzt Brief vor unserer Internierung<br />
in Kotagiri. Es gibt Fotos, die am 07.04.40 in Kumbakonam gemacht<br />
wurden. Irgendwann bald danach fuhren die Eltern nach Kotagiri <strong>und</strong> Ulrike<br />
<strong>und</strong> Lore mit Onkel Wilhelm Bräsen <strong>von</strong> Orissa auch dorthin, um die Osterferien<br />
gemeinsam mit den Eltern zu verleben. Während dieser Zeit (vermutlich<br />
im Mai) wurden wir als Familie interniert in den Häusern Christiansberg.<br />
Wir wurden später in ein anderes Haus gebracht. Michael war sehr krank<br />
dort <strong>und</strong> musste täglich ein rohes Ei bekommen. Etwa im Juni oder Juli kamen<br />
wir ins Settlement nach Kodaikanal.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 34<br />
Brief an Oma Elisabeth <strong>Paul</strong> vom 06.10.1941 aus Kodaikanal<br />
Nachdem Dir Lisa am 21. September einen<br />
Geburtstagsbrief geschrieben hat, möchte<br />
ich es nun auch tun <strong>und</strong> Dir <strong>von</strong> ganzem<br />
Herzen Glückwünsche zu diesem Tage<br />
senden. 80 Jahre alt! Wie oft sprechen wir<br />
<strong>von</strong> Dir <strong>und</strong> suchen uns vorzustellen, wie<br />
Du lebst <strong>und</strong> wie es Dir geht. Dass Du<br />
nicht mehr sehen kannst, muss eine rechte<br />
Heimsuchung für Dich sein, <strong>und</strong> der Gedanke<br />
daran schmerzt uns sehr. Aber wir<br />
wissen auch, mit wie viel Liebe Dich Dora<br />
<strong>und</strong> Maria <strong>und</strong> nicht zuletzt auch Martha<br />
umgeben. Nun wünschen wir Dir, dass<br />
Gott Dir gute Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> auch manche<br />
Freude schenken möchte. Wie schön<br />
wäre es, wenn er uns auch ein Wiedersehen<br />
mit Dir <strong>und</strong> allen anderen Lieben<br />
schenken würde! Wir sind des Lagerlebens<br />
müde; zumal für uns Männer ist es alles<br />
andere als befriedigend, <strong>und</strong> wir sehnen<br />
uns nach richtiger Berufsarbeit. In den Zeitungen<br />
steht jetzt öfter vom Aus-tausch<br />
<strong>von</strong> Internierten, auch Geistlichen. Aber ob<br />
wir darauf rechnen können? Dass wir auf<br />
unsere Stationen zurückkehren können,<br />
scheint hoffnungslos. Aber wir stehen ja in<br />
Gottes Hand <strong>und</strong> wollen seiner Führung<br />
trauen.<br />
Wir haben ja sonst manchen Anlass dankbar<br />
zu sein. Nicht nur, dass wir als Familie<br />
nicht getrennt sind, sondern auch, dass wir<br />
an einem so ges<strong>und</strong>en Fleck sein können,<br />
ist viel wert. Jetzt hat allerdings die unangenehmste<br />
Jahreszeit begonnen, wo es oft<br />
tagelang gießt <strong>und</strong> man buchstäblich in<br />
den Wolken sitzt. Da ist es schwierig, die<br />
Wäsche trocken zu kriegen, <strong>und</strong> im Hause<br />
herrscht ein ziemlicher Betrieb, weil die<br />
Kindergesellschaft nicht ins Freie hinaus<br />
kann. Lore <strong>und</strong> Ulrike traten Mitte August<br />
wieder in die Missourieschule ein <strong>und</strong> waren<br />
glückselig, dass sie wieder unter<br />
Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> September 1942 bis Oktober 1943<br />
Sept. 42 Umzug <strong>von</strong> Kodaikanal nach Satara (Wanzenaktion).<br />
gleichaltrigen Spiel-gefährten sein konnten;<br />
über das Wochenende kamen sie immer<br />
zu uns zurück. Aber die Herrlichkeit dauerte<br />
nur 5 Wochen; da brach dort der Keuchhusten<br />
aus, so dass die Schule zumachte.<br />
So sind die Mädels seit 14 Tagen wieder<br />
daheim bei uns, <strong>und</strong> heute habe ich wieder<br />
mit ihrem Unterricht angefangen. Wie es<br />
nächstes Jahr mit ihrem Unterricht wird,<br />
wissen wir noch nicht ganz; da die Missourier<br />
absolut keinen Platz haben werden,<br />
denken wir jetzt an High Clerc, die Schule,<br />
in der Lore ihr erstes Schuljahr verbracht<br />
hat. Nur sind da die Kosten ziemlich hoch,<br />
so dass wir da die Hilfe des lutherischen<br />
Kirchenb<strong>und</strong>es in Anspruch nehmen müssten.<br />
Lore ist ein großes, breit gebautes <strong>und</strong><br />
jetzt manchmal ziemlich ungelenkes Mädchen,<br />
hat Lisas Größe. Ulrike ist immer<br />
noch dünn, trotz Lebertrans u. a. Kräftigungsmittel.<br />
Ihr Haar ist etwas wüst, da es<br />
noch nicht ganz zu Zöpfen langt. Christoph<br />
ist nach wie vor voll Tatendrang, etwas<br />
derb, aber dabei gutmütig, Michel dagegen<br />
ein Schlauberger <strong>und</strong> manchmal geradezu<br />
listig; die beiden fangen langsam an, sich<br />
zu einem Zweigespann zu entwickeln, <strong>und</strong><br />
da Michel dem Christoph nichts schuldig<br />
bleibt, wird es wahrscheinlich einmal zwischen<br />
den beiden ein gutes Einvernehmen<br />
geben.<br />
Wir freuen uns über das erste Echo <strong>von</strong><br />
Euch, dass unsere In-terniertenpost Euch<br />
erreicht hat, wenn sie auch hinüber viel<br />
länger zu brauchen scheint als herüber.<br />
Wir freuten uns jetzt sehr über Marias Karte<br />
vom 11. Aug. <strong>und</strong> Doras Brief vom 17.<br />
Aug., beides an Ulrike gerichtet <strong>und</strong> am 2.<br />
bzw. 3. Okt. hier eingetroffen. Vor allem<br />
dankt Ulrike sehr herzlich dafür. - Und nun<br />
nochmals sehr, sehr herzliche Grüße, liebe<br />
Mutter, <strong>von</strong> uns allen, Euch allen.<br />
13.09.42 Kleine Oma (Elisabeth <strong>Paul</strong> geb. Fritzsche) im Schlaf gestorben, in Lorenzkirch<br />
begraben.<br />
23.01.43<br />
Mutti<br />
Christoph (5 Jahre) <strong>und</strong> Michael (3 Jahre) haben Bronchitis <strong>und</strong> Würmer,<br />
Christoph hat Asthma. Jagd auf Wanzen.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 35<br />
29.01.43<br />
Mutti<br />
05.02.43<br />
Michael<br />
12.02.43<br />
Mutti<br />
13.02.43<br />
Vati<br />
Hausmädchen Kalyani geht nach Hause.<br />
Mit Präses Stosch <strong>und</strong> Frl. Storim (Kindergartentante) in zwei Tongas nach<br />
Mahuli (3 km entfernt) gefahren, Christoph auf Kalianis Schoß in einer Tonga<br />
<strong>und</strong> Michael auf Onkel Stosch Schoß auf dem Vordersitz der anderen. In<br />
Mahuli fließt "unser" Fluß in den Kistra. Picknick nicht in der Nähe der Brücke,<br />
sondern auf der anderen Seite des Flusses.<br />
Nächte seit ½ Monat "sehr kalt", aber die Tage "sehr heiß".<br />
Heute Lisa-Veronika’s erste Schritte allein - sehr viele sogar - erst barfuss im<br />
Schlafzimmer, später draußen in Schuhen bei Erst'ens Haus.<br />
Zahn bekommen, unten links.<br />
Schon so heiß, dass man nachts die Türen offen lassen muss<br />
14.02.43 Taufe <strong>von</strong> Bareis Baby Albrecht (Baseler Mission)<br />
17.02.43<br />
Christoph<br />
07.03.43<br />
Ulrike<br />
12.03.43<br />
Vati<br />
27.03.43<br />
Mutti<br />
02.04.43<br />
Vati<br />
11.04.43<br />
14.04.43<br />
17.04.43<br />
Mutti<br />
Neue Ayahl (= Kindermädchen) - Benedikta, spricht kein Englisch, nur kanresisch.<br />
Christoph will Ingelein heiraten, wenn er groß ist, nicht Reni. Ingelein<br />
sieht so hübsch aus. Lisa-Veronika kann schon richtig allein laufen (Mutti<br />
berichtet). Sie zieht dabei die Schultern hoch, hebt die Ärmchen krampfhaft<br />
bis zur Schulterhöhe, <strong>und</strong> dann läuft sie krampfhaft vorsichtig wie auf<br />
Stelzen. Ganz vorsichtig setzt sie dann bald das rechte, bald das linke Bein<br />
vorwärts. Manchmal bleibt sie stehen <strong>und</strong> streckt die Ärmchen verlangend<br />
nach jemand aus, den sie vor sich sieht. Sie ist sehr süß jetzt, sie scheint<br />
wieder Zähne zu kriegen, oben neben den Mittelzähnen.<br />
Ende Jan<strong>ua</strong>r gab es Frost in Kodaikanal <strong>und</strong> der See hatte an den Rändern<br />
Eis. Mettams wohnen in "Stirling".<br />
Herr Schmidt ist aus Dehra Dun gekommen. Tags sehr heiß aber nachts ab<br />
<strong>und</strong> zu kalt.<br />
Unser Gärtner in Kodaikanal heißt Doraisanny. Arumai ist der Fahrer.<br />
Lores 14. Geburtstag (27.03.43) haben sie in Satara gefeiert mit Bareiß am<br />
Fluß. Ein Coolie trug die Tassen, usw. Sie bauen eine Laube aus Bambus<br />
vor dem Haus wegen der Hitze <strong>und</strong> hinter der Küche ein Bambusdach.<br />
Nachts schlafen sie ohne Decken. Lisa-Veronika darf mehrmals am Tag<br />
durch das ganze Haus laufen <strong>und</strong> sogar draußen - aber sie versucht, alles<br />
zu essen, inkl. Sand. Michael <strong>und</strong> Christoph durften Pferde reiten!<br />
Im Febr<strong>ua</strong>r hat es viel in Kodaikanal geregnet.<br />
Lore bekommt 3 x 20 Rupies <strong>und</strong> 25 Rupies, um Einkäufe für Mutti <strong>und</strong> andere<br />
zu tätigen. Sie soll bald abrechnen. Lore versendet in den folgenden<br />
Wochen Pakete mit frischen Pflanzen, Samen, Seifenpulver, Schuhcreme,<br />
peanut butter, Scheuertüchern, Baby Puder, Vick, Seife, Rasiercreme, Glukose,<br />
Gerstenmehl, Zahnpulver, Stoffe, Wolle, Kinderwäsche <strong>und</strong> Strickgarn.<br />
Aus dem Settlement werden u.a. Silberlöffel, Babybeißringe aus Elfenbein,<br />
Bücher, Spielzeug <strong>und</strong> Töpfe nach Satara geschickt.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 36<br />
23.04.43<br />
Vati<br />
30.04.43<br />
Vati<br />
07.05.43<br />
Vati<br />
15.05.43<br />
Vati<br />
16.05.43<br />
Lore<br />
22.05.43<br />
Mutti<br />
23.05.43<br />
Ulrike<br />
28.05.43<br />
Vati<br />
29.05.43<br />
Mutti<br />
08.06.43<br />
Mutti<br />
11.06.43<br />
Vati<br />
Lisa-Veronika ist noch dünn, aber sehr aktiv. Sie sagt bababa - aber nichts<br />
weiter. Bei ihren Wanderungen schleppt sie alles mit sich, was sie kriegen<br />
kann. 40 Internierte sind aus Dehra Dun gekommen - uns unbekannt.<br />
Frl. Storim ist Michaels "Tinderdartentant".<br />
Wenn Lore <strong>und</strong> Ulrike nicht bald ihren Taschengeldausgabenbericht seit Jan<strong>ua</strong>r<br />
schicken, gibt's ab Juli kein Taschengeld. Christoph ist eine Woche im<br />
Hospital. Dr. Heger will herausfinden, warum er Asthma hat - eventuell wegen<br />
seiner Mandeln. Dr. Presser hat schon fünf Zähne <strong>von</strong> Vati gefüllt. Die<br />
Wand zwischen den Badezimmern <strong>von</strong> Weinert’s <strong>und</strong> uns ist endlich gebaut<br />
worden. Benedicta verlässt uns wegen Herzkrankheit <strong>und</strong> geht zum Missionshospital<br />
Betgeri, wo Klings ihr Baby bekamen. Heute Zimmertemperatur<br />
38°C.<br />
Vor einigen Tagen hat ein starker Regensturm das Laubendach weggeblasen.<br />
Christophs Fortschritte im Schreiben (ein Teil des Alphabets) <strong>und</strong><br />
Rechnen (er kann jetzt 5 - 10) gehen langsam voran. "He is not very fond of<br />
mental activities." Lisa-Veronika übt Purzelbäume. Christoph <strong>und</strong> Michael<br />
spielen gerne mit ihr. Der Fahrer heißt Asirvadam - er soll gegrüßt werden.<br />
Die Familie hat seit dem 5. Mai zwei neue Hausmädchen, Shanta <strong>und</strong> Clementina.<br />
Christoph war eine Woche im Krankenhaus <strong>und</strong> bekommt "Cold Vaccine"-<br />
Spritzen<br />
The house "Lake Side'"at Tapp's Corner is on the lake exactly opposite the<br />
boat house. In May 1943 Lore <strong>und</strong> Ulrike spent a week with the Perfects<br />
there.<br />
Lore hat die Abrechnung geschickt.<br />
Lore was invited to Joyce De Bruins birthday (the whole Class was invited).<br />
It was somewhere across the lake. We went to Green Hut with Perfects (2<br />
hour hike) on a campingtrip (2 nights).<br />
Die Frau <strong>von</strong> Onkel Ernst, Maria, verlor beide Brüder im Krieg, einen in<br />
Russland, der andere ist mit seinem Flugzeug aus 600 m Höhe über Frankreich<br />
abgestürzt. Tante Liel, Braunschweig, starb an Brustfellentzündung.<br />
Domprediger <strong>von</strong> Schwartz, der Vati <strong>und</strong> Onkel Ernst 1917 konfirmierte, ist<br />
zwei Tage nach seinem Unfall mit dem Fahrrad gestorben.<br />
Es hat geregnet, es ist kühler, aber noch kein Monsun. Lore <strong>und</strong> Ulrike hatte<br />
schöne Ferien in Mrs. Perfect's Haus gehabt.<br />
Lore mit Masern im Schulhospital. Kodaikanal ist jetzt ein gefährlicher Ort für<br />
junge Mädchen, weil viele Soldaten dort Urlaub machen.<br />
Der Monsun ist noch nicht richtig da, obwohl es oft wolkig <strong>und</strong> neblig ist.<br />
Der Garten ist beinahe fertig. Lisa-Veronika (16 Monate) spricht immer noch<br />
nur dadadadaa. Abends möchte sie nicht gewaschen werden, aber sie liebt<br />
das Mittagsbad. Sie kreischt einfach, wenn ihr etwas nicht passt. Eine Ayahl<br />
(das Kindermädchen) geht jeden Nachmittag mit ihr spazieren, manchmal<br />
geht auch Christoph mit ihr aus. Sie kann "bitte bitte" machen <strong>und</strong> versucht,<br />
zu küssen, obwohl nicht sehr erfolgreich.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 37<br />
26.06.43<br />
Mutti<br />
09.07.43<br />
Vati<br />
19.07.43<br />
Mutti<br />
24.07.43<br />
Vati<br />
Mutti kommentiert Lores <strong>und</strong> Ulrikes Zeugnisnoten, besonders zu den Charaktereigenschaften<br />
oder "citizenship", die im Umgang mit Menschen wichtig<br />
sind (z.B. Pünktlichkeit, Höflichkeit, Zuverlässigkeit, Anstrengung, das Beste<br />
zu geben). Kein richtiger Monsun dieses Jahr, im Garten musste viel Wasser<br />
zum Gießen geschleppt werden. Lisa-Veronika sagt jetzt MAMA, PAPA, AU<br />
<strong>und</strong> fängt wirklich an, zu sprechen. Die italienischen Zwillinge am Ende der<br />
Baracke sind am 25. Juni ein Jahr alt geworden. Hinter dem Haus wird ein<br />
Stück Land abgezäunt <strong>und</strong> ein kleiner Garten angelegt.<br />
Es gab eine Invasion <strong>von</strong> Zecken oder ähnlichen Viechern, die unseren Esstisch<br />
überschwärmten <strong>und</strong> uns viel Probleme bereiteten. Schließlich bekamen<br />
die Eltern die Genehmigung, das Esszimmer kalken zu lassen (whitewash).<br />
Es war eine anstrengende Arbeit, bis alles draußen war <strong>und</strong> dann<br />
wieder drinnen, besonders, weil alles mit Petroleum abgespritzt werden<br />
musste. Dafür bekamen die Eltern zwei Flaschen voll gestellt. Danach war<br />
die Plage beseitigt. Mutti hat Durchfall - kann keinen Kuchen für ihren Geburtstag<br />
backen. Es regnet den ganzen Tag, die Kinder machen viel Krach<br />
im Haus, <strong>und</strong> die Wäsche hängt zum Trocknen auf der Veranda <strong>und</strong> in der<br />
Küche.<br />
Mutti bekam zum Geburtstag <strong>von</strong> Lore eine Serviettentasche <strong>und</strong> Tablettdeckchen,<br />
<strong>von</strong> Ulrike einen "cloth-Rack" (Wäscheständer). Alle Kinder haben<br />
wieder Mandelentzündung. Sehr viel Regen kam die letzten zehn Tage,<br />
das Gras grünt. Steht unsere Badewanne noch immer unverkauft im Emporium<br />
(Geschäft in Kodaikanal)?<br />
Vati liegt seit einer Woche mit Erkältung im Bett, er konnte sogar am Sonntag<br />
die Predigt nicht halten. Momentan ist kein Regen, untypischer Monsun.<br />
Herr Mack starb in Dehra Dun im Juni; er musste wieder operiert werden<br />
<strong>und</strong> starb an einer Tetanusvergiftung. Lore <strong>und</strong> Ulrike sollen chinesische<br />
Söckchen kaufen.<br />
29.07.43 Lisa-Veronika hat viel Schwierigkeiten mit dem Zahnen (Eckzähne)<br />
06.08.43 Christoph bekommt zum 6. Geburtstag eine Garage (66x38x38 cm), in der<br />
er sein Spielzeug verstauen kann; dann einen Technikbaukasten, eine Sonnenbrille,<br />
Schreibblock, Bleistift, Süßigkeiten. Nachmittags gibt es eine Fahrt<br />
nach Mahuli mit Renate, Präses Stosch <strong>und</strong> Frau Storim. Der Kistna ist jetzt<br />
voller Wasser, es hat unterwegs etwas geregnet. Der Monsun geht weiter<br />
mit kleinen Unterbrechungen <strong>und</strong> ist dieses Jahr nicht so stark wie in den<br />
vergangenen Jahren - für uns ist es trotzdem nass <strong>und</strong> stürmisch genug.<br />
Das Kino im Lager ist endlich fertig, <strong>und</strong> am Sonntag wird "Schneewittchen"<br />
gezeigt. Christoph macht sich Sorgen, wie er irgendetwas sehen soll, wenn<br />
die ganze Halle pechdunkel ist.<br />
20.08.43<br />
Vati<br />
Die Regenzeit geht langsam zu Ende - viel im Garten gearbeitet - schöne<br />
Blumen <strong>und</strong> Gemüse. Lisa-Veronika (1½ Jahre) ist niedlich, sie sagt schon<br />
eine ganze Reihe <strong>von</strong> Worten: JA, NEIN, MAMA, PAPA, DITO (Christoph),<br />
DIKA (Ulrikes Bild), für Lore noch kein Name, MINNEMINNE (Milch) ... Sie<br />
wird allmählich etwas rücksichtsvoller außerhalb des Krabbelstalles, so dass<br />
wir ihn bald entfernen <strong>und</strong> sie den ganzen Tag herumlaufen lassen können.<br />
Heute saß sie eine lange Zeit im Sandkasten <strong>und</strong> hat es sehr genossen.<br />
Wenn wir essen, sitzt sie mit am Tisch <strong>und</strong> wird <strong>von</strong> Clementine gefüttert.<br />
Wenn Clementine um 8:30 Uhr Milch <strong>von</strong> Coopers holt, nimmt sie Lisa-<br />
Veronika immer mit; es sei denn, es regnet.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 38<br />
30.08.43<br />
Mutti<br />
03.09.43<br />
Vati<br />
24.09.43<br />
Mutti<br />
08.10.43<br />
Vati<br />
12.10.43<br />
Mutti<br />
Der Gr<strong>und</strong>, warum unsere ein- <strong>und</strong> ausgehende Post zurzeit so lange unterwegs<br />
ist (zwei Wochen), ist, dass sie zuerst nach Dehra Dun zum Hauptzensor<br />
zu einer besonderen Überprüfung geschickt wird. Wie lange das so<br />
bleiben soll, ist unbekannt. Lisa-Veronika hat Verdauungsschwierigkeiten -<br />
seit zwei Wochen hat sie grünen Durchfall, obwohl ich mit ihrer Ernährung<br />
sehr vorsichtig bin. Sie ist sehr dünn, besonders an ihren Armen <strong>und</strong> Beinen.<br />
Ihre Eckzähne sind drauf <strong>und</strong> dran zu kommen, aber sie schaffen es<br />
nicht, weil sie so schwach ist. Wahrscheinlich steht das im Zusammenhang<br />
mit der Darmkrankheit.<br />
Die Breklumer Missionare <strong>von</strong> Orissa werden morgen erwartet. Sie wollten<br />
ihre Reise am 1. September antreten. Erinnerungen an den eigenen Umzug<br />
vor einem Jahr werden wach. Herr Schmidt darf seine Frau in Mysore besuchen.<br />
Sie ist krank. Es wird täglich wärmer, obwohl es diese Woche Regen<br />
gab, worauf Christoph eine Mandelentzündung bekam; Lisa-Veronika <strong>und</strong><br />
Michael sind nahe dran.<br />
Lore möchte mit Frau Mettams Hilfe den niedrigen Teakholzkindertisch aus<br />
dem deutschen Settlement (= Siedlung) in Kodaikanal per Fracht mit der<br />
Bahn nach Satara schicken. Es reicht, wenn eine "palmirah"-Matte mit viel<br />
Strick um das Oberteil befestigt wird. (Es wurde dann doch nicht geschickt.)<br />
Auch das Auto soll verpackt <strong>und</strong> oben mit Brettern zugenagelt werden - dieses<br />
können Lore <strong>und</strong> Ulrike auf ihre Fahrkarte in der Bahn mitnehmen, da<br />
sie das letzte Mal noch mehr Gepäck frei hatten, als sie bei sich hatten.<br />
Christoph ist zurzeit im Hospital mit eitrigen Mandeln <strong>und</strong> Bronchitis. Michael<br />
<strong>und</strong> Lisa-Veronika sind im Bett bei den Eltern.<br />
Mutti fuhr mit Christoph, Michael <strong>und</strong> Lisa-Veronika am 6. Oktober ins Krankenhaus<br />
nach Wai, um die Mandeln bei allen entfernen zu lassen. Clemintine<br />
fuhr mit nach Wai. Lisa-Veronika wird zum Spielen oft <strong>von</strong> Helga Tauscher<br />
(Breklumer Mission) <strong>und</strong> anderen Mädchen abgeholt. Sie gehen mit<br />
ihr spazieren. Vati hat indessen das ganze Haus außer dem Wohn-<br />
Esszimmer mit Shanta sauber gemacht, eine Mordsarbeit. Alle Betten wurden<br />
hinausgeschafft <strong>und</strong> mit Kerosin-Öl ge"flitted" (bespritzt). Es regnet<br />
noch oft, aber mittags ist es gewöhnlich schon sehr heiß.<br />
Lore <strong>und</strong> Ulrike werden wahrscheinlich mit Mrs. Evans Kindertransport bis<br />
Poona fahren.<br />
Auszüge aus <strong>Briefe</strong>n <strong>von</strong> Febr<strong>ua</strong>r 1944 bis Dezember 1946<br />
11.02.44<br />
Vati<br />
26.02.44<br />
Lore<br />
03.03.44<br />
Vati<br />
Zu Lisa-Veronikas zweitem Geburtstag wurden die kleinen Kinder der Missionare<br />
eingeladen: Gesa Helms, Christoph Meyer, die italienischen Zwillinge,<br />
Dorothee Lorch, Friedhelm Weinert <strong>und</strong> Doretha. Mitten drin wurde Lisa-<br />
Veronika so müde <strong>von</strong> den vielen Gesichtern, dass Benedicta mit ihr spazieren<br />
gehen musste.<br />
Mitte Jan<strong>ua</strong>r hatte Dr. Freyhan die Zahnspangen aus Lores M<strong>und</strong> entfernt.<br />
Wo die Zähne Ringe drum hatten, mussten fünf Löcher gefüllt werden. Im<br />
Febr<strong>ua</strong>r haben Lore <strong>und</strong> Ulrike eine Kur gegen Amöben gemacht.<br />
Lisa-Veronika ist seit ihrem Geburtstag meist alleine <strong>und</strong> ist auch stolz darauf.<br />
Sie ist viel ruhiger geworden, seitdem sie in den Kindergarten geht.<br />
11.03.44 Lisa-Veronika liegt mit Mandelentzündung im Bett. Ihre Mandeln wurden im
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 39<br />
Mutti vergangenen Oktober nicht entfernt (erst zehn Jahre später in Göttingen).<br />
12.03.44<br />
Lore<br />
Es ist herrliches sonniges Wetter, Lore sonnt sich.<br />
24.03.44 Regen <strong>und</strong> Sonne wechseln sich ab.<br />
02.04.44<br />
Ulrike<br />
24.04.44<br />
Mutti<br />
28.04.44<br />
Vati<br />
13.05.44<br />
Vati<br />
03.06.44<br />
Mutti<br />
16.06.44<br />
Vati<br />
30.06.44<br />
Vati<br />
12.07.44<br />
Vati<br />
28.07.44<br />
Vati<br />
Ulrike bekommt zehn Leberspritzen; Lore hatte "worm treatment".<br />
Christoph kam endlich am Ende seines Keuchhustens <strong>von</strong> seinem Besuch<br />
bei dem Rajah in Bezwada zurück <strong>und</strong> brachte einen Koffer voller Geschenke<br />
mit. Für Lisa-Veronika war eine entzückende Puppe darin mit Mama-Stimme.<br />
Aber nach einer ½ St<strong>und</strong>e hatte Michael den Knopf für die Mamma-Stimme<br />
auf dem Rücken der Puppe kaputtgedrückt, <strong>und</strong> ein paar Tage später ließ<br />
Lisa-Veronika die Puppe im Esszimmer auf den Zementfußboden fallen, so<br />
dass der Kopf Sprünge bekam. Das ist das Ende <strong>von</strong> ihr! Lisa-Veronikas hat<br />
Darmkrankheiten, alle zwei Monate hat sie Leber- <strong>und</strong> Gallenschwierigkeiten.<br />
Der Arzt hat ihr verboten, weiterhin Büffelmilch zu trinken, da sie dies nicht<br />
verdauen kann. Kuhmilch gibt es nicht, <strong>und</strong> Dosenmilch ist in Satara nur selten<br />
zu bekommen. Während der letzten zwei Wochen ist sie sehr dünn geworden.<br />
Lisa-Veronika hat einen scheußlichen Husten.<br />
Lisa-Veronika ist ganz süß <strong>und</strong> auch schlau. Etwas Lustiges: Wenn sie sich<br />
zu sehr über etwas ärgert (oder aufregt) <strong>und</strong> deshalb anfängt zu weinen,<br />
steht sie auf <strong>und</strong> geht schnurstracks ins Schlafzimmer (ein etwas umständlicher<br />
Weg: entweder über die Veranda oder durch das Bad), wo sie mit voller<br />
Lautstärke brüllt, bis sie sich erleichtert fühlt. Dann hört sie auf <strong>und</strong> kommt<br />
lächelnd zurück, als wäre nichts gewesen.<br />
Lisa-Veronika nimmt zu, seitdem sie Ostermilk (Dose) <strong>und</strong> Ziegenmilch bekommt,<br />
die nicht so fett sind <strong>und</strong> nicht so dick gerinnen wie Büffelmilch. Sie<br />
ist niedlich <strong>und</strong> komisch, aber zeitweise sehr widerspenstig.<br />
Unser H<strong>und</strong> Ole lebt nicht mehr. Er hatte schlimme Geschwüre, die nicht heilten.<br />
Er hatte Schmerzen, so dass wir ihn einschläfern ließen. Wir vermissen<br />
ihn sehr, denn er war ein so feiner <strong>und</strong> gehorsamer H<strong>und</strong>.<br />
Christoph (fast 7 Jahre alt) verträgt sich sehr gut mit Lisa-Veronika; wenn einer<br />
ermahnt wird, ist der andere sehr traurig. Michael (4½ Jahre) hat nicht so<br />
viel Geduld mit ihr. Lisa-Veronika ist sehr fröhlich, spricht viel mehr, obwohl<br />
noch nicht in ganzen Sätzen. Das Essen ist ihr größtes Vergnügen, <strong>und</strong> täglich<br />
möchte sie unzählige Male Papier <strong>und</strong> Bleistifte haben.<br />
Trotz Monsun noch keine Erkältungen, die Kinder bekommen viel Kalzium<br />
<strong>und</strong> Lebertran (Shark liver vil).<br />
Lisa-Veronika hat oft Kinderbesuch (Gesa <strong>und</strong> Inger); dann wird es laut. Kinder<br />
können wegen des Wetters nicht draußen sein. Lisa-Veronika hat Puppen<br />
entdeckt, die sie liebt <strong>und</strong> mit mütterlichem Eifer schlägt. Manchmal besteht<br />
sie darauf, dass alle drei (die richtige Puppe, die indische Puppe <strong>und</strong> der Hase)<br />
bei ihr im Bett liegen. Kein W<strong>und</strong>er, dass sie bald auf ihnen liegt. Es ist<br />
nur gut, dass die Puppen nicht weinen können, wenn sie schlecht behandelt<br />
werden, sonst hätten wir bei uns viel mehr Krach.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 40<br />
25.08.44<br />
Lisa-<br />
Veronika<br />
09.09.44<br />
Mutti<br />
14.09.44<br />
Mutti<br />
14.10.44<br />
Mutti<br />
19.01.45<br />
Vati<br />
21.01.45<br />
Lore<br />
23.01.45<br />
Mutti<br />
28.01.45<br />
Lore<br />
02.02.45<br />
Vati<br />
11.02.45<br />
Lore<br />
16.02.45<br />
Mutti<br />
23.02.45<br />
09.03.45<br />
Mutti<br />
Vati <strong>und</strong> Mutti haben in dieser Woche keinen Brief mehr frei. So schreibt Mutti<br />
in Lisa-Veronikas Namen. Die erwischt ständig Bleistifte <strong>und</strong> Buntstifte <strong>und</strong><br />
schreibt auf jedes Papier oder jedes erreichbare Buch. Alles scheint ihr verboten<br />
zu sein. Das mag sie gar nicht.<br />
Lisa-Veronika hat seit Wochen eine Erkältung.<br />
Mutti bittet die Großen (Lore <strong>und</strong> Ulrike), eine Thermosflasche mitzubringen,<br />
da die alten alle Thermosflaschen dank Lisa-Veronikas Aktivitäten kaputt<br />
sind. Wegen Lisa-Veronikas Bauchschmerzen gab es mehrere schlaflose<br />
Nächte. Der Arzt diagnostizierte Würmer. Heute hat sie am ersten Tag der<br />
Behandlung einen R<strong>und</strong>wurm <strong>von</strong> 15 cm Länge zu Tage gebracht!<br />
Lisa-Veronika hat einen Haut-Ausschlag.<br />
Vati wird <strong>von</strong> heute an drei Wochen im Krankenhaus isoliert wegen Husten<br />
(eventuell Keuchhusten). Er kam am 10. Febr<strong>ua</strong>r (am 17. Hochzeitstag) zurück.<br />
Wir waren <strong>von</strong> Sonntag bis Dienstag 22:30 Uhr nach Kodi unterwegs. Von<br />
Kodi Road bis oben in die Stadt waren es vier St<strong>und</strong>en. Es ist recht kalt <strong>und</strong><br />
windig in Kodaikanal.<br />
Jetzt ist die Dackelin Topsy im Haus.<br />
Flugzeuge fliegen jetzt öfter über Kodaikanal.<br />
Der Keuchhusten grassiert im Lager <strong>und</strong> die Schule musste seit Weihnachten<br />
drei Wochen geschlossen werden (wo Vati dieses Jahr Englisch unterrichtet),<br />
vier <strong>und</strong> letztendlich fünf Wochen waren es.<br />
Mittags wird es schon recht warm, Lore nahm ein Sonnenbad, dennoch war<br />
vor ein paar Tagen ganz Benderloch <strong>von</strong> Frost bedeckt, nachts ist es sehr<br />
kalt.<br />
Viele Kinder bekamen Keuchhusten, <strong>und</strong> unsere Familie wurde als Verursacher<br />
angesehen, obwohl Michael <strong>und</strong> Lisa-Veronika den Keuchhusten noch<br />
nicht bekommen haben. Alle Kinder im Lager werden dagegen geimpft.<br />
Lisa-Veronikas dritter Geburtstag wurde am Sonntag, den 11. Febr<strong>ua</strong>r, gefeiert,<br />
nachdem Vati wieder da war. Sie bekam zwei Handtücher (pfirsichfarben),<br />
dazu zwei passende Waschlappen, einige Spielsachen, ein Buch <strong>von</strong><br />
Lore <strong>und</strong> Teetassen mit Untertassen <strong>von</strong> Ulrike (eins da<strong>von</strong> ist schon zerbrochen).<br />
Endlich sind alle hustenfrei, auch Mutti; sie verlor fünf Pf<strong>und</strong>, als Vati weg<br />
war, <strong>und</strong> wiegt jetzt nur noch 47¼ kg. Anfang März wog sie unter 45 kg <strong>und</strong><br />
war immer sehr müde.<br />
25.02.45 Lore: Es hat einige Tage geregnet, <strong>und</strong> es war nebelig.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 41<br />
13.03.45<br />
Michael<br />
16.03.45<br />
Mutti<br />
18.03.45<br />
Ulrike<br />
31.03.45<br />
Vati<br />
01.04.45<br />
07.04.45<br />
25.04.45<br />
06.04.45<br />
Vati<br />
28.04.45<br />
Michael<br />
05.05.45<br />
Mutti<br />
12.05.45<br />
Vati<br />
28.07.45<br />
Vati<br />
02.08.45<br />
Mutti<br />
Michael hat ein Gärtchen mit Bohnen. Christoph hilft ihm dabei. Lisa-<br />
Veronika, die "Mali", muss ihm Wasser bringen.<br />
Ulrikes Füller wurde in der Schule gestohlen. Muttis Tintenkuli hat durch Lisa-<br />
Veronika oder Michael so gelitten, dass man ihn nicht mehr benutzen kann.<br />
Auch Muttis Armbanduhr ist weg.<br />
Letzte Woche war es regnerisch, neblig <strong>und</strong> kalt. Ulrike <strong>und</strong> andere zelteten<br />
vom 9. bis 11. beim Pillar Rock. Von dort aus machten sie einen Spaziergang<br />
nach Fairy Falls <strong>und</strong> gingen schwimmen.<br />
Lisa-Veronika wurde ihrer Haarpracht, die keine war (ihre Haare waren so<br />
dünn <strong>und</strong> weich, dass keine Haarspange darin hielt) beraubt <strong>und</strong> kahl geschoren,<br />
was Vati scheußlich findet. Lisa-Veronika aber ist da<strong>von</strong> begeistert,<br />
<strong>und</strong> es ist zu hoffen, dass es ihr gut tun wird. Die Prickelhitze (Hitzepocken)<br />
auf ihrer Kopfhaut ist jedenfalls schon verschw<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> es dürfte ihr nicht<br />
schwer fallen, einen "kühlen Kopf" zu bewahren, was allerdings noch ihre<br />
größte Schwäche ist.<br />
Am 31. März <strong>und</strong> am 13. bis 14. April hat es geregnet. Am 6. April hat Ulrike<br />
chicken-pox bekommen, Lore hat die chicken-pox vom 25. April bis zum 22.<br />
Mai.<br />
Vati <strong>und</strong> Mutti bemalten am Abend vor Ostern Eier mit Bildern <strong>von</strong> Topsy,<br />
Kaninchen, Hahn <strong>und</strong> Hennen. Ostern wurden die Ostereier <strong>von</strong> den drei<br />
Kindern gesucht <strong>und</strong> schnell im Garten gef<strong>und</strong>en wurden. Die Eltern spielten<br />
den ganzen Nachmittag mit den Dreien. Ostermontag ging Mutti nachmittags<br />
mit den Kindern ins Kino, <strong>und</strong> danach bekam jedes Kind ein Pappkästchen<br />
mit Süßigkeiten, Keksen <strong>und</strong> zehn Zigaretten, die mit professionellen Gesten<br />
"geraucht" wurden, sogar <strong>von</strong> Lisa-Veronika, die erst drei Jahre alt ist. Christoph<br />
geht seit ein paar Tagen wieder zur Schule; seine Klasse fing verspätet<br />
an, weil noch zu viele Kinder Keuchhusten hatten. Die Eltern mussten ihn seit<br />
Weihnachten selber unterrichten.<br />
Lisa-Veronika kann jetzt gut Dreirad fahren.<br />
Die Eltern berichten vom Kriegende, <strong>und</strong> dass ihre Geschwister in verschiedenen<br />
Besatzungszonen oder im Ausland leben. Es wird lange dauern, bis<br />
sie erfahren, was aus ihren Fre<strong>und</strong>en geworden ist, <strong>und</strong> vor allem, was aus<br />
unserer Familie werden wird.<br />
Vati geht es nicht gut (auch Herzbeschwerden). Sein Gewicht ging bis auf 53<br />
kg (Normalgewicht 65 - 67,5 kg) zurück; er hatte Malaria, sieht blass <strong>und</strong> sehr<br />
krank aus.<br />
Mutti blieb <strong>von</strong> Anfang Juni bis zum 27. Juli in Kodaikanal, nachdem die Regierung<br />
ihren Erholungsantrag lange nicht bearbeitet <strong>und</strong> die angeschriebenen<br />
Zimmer in Panchganni im April <strong>und</strong> danach Mahableschwar im Mai wegen<br />
ihrem Fernbleiben an andere vermietet wurden. An Muttis Ankunftstag<br />
am 28. Juli in Satara wurden alle gegen Cholera geimpft. Lisa-Veronika reagierte<br />
mit hohem Fieber (40 o C); sie hat wieder vereiterte Mandeln, <strong>und</strong> ihr<br />
Darm wurde auch angegriffen, da sie scheußlichen Stuhlgang hatte. Solche<br />
Erkrankungen sind schwer zu kurieren, da es keine richtige Nahrung dafür<br />
gibt. Zum Glück hat Mutti etwas Reis aus Kodaikanal mitgebracht, so dass<br />
sie jetzt Reisschleim kochen kann.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 42<br />
28.08.45<br />
Mutti<br />
12.09.45<br />
Mutti<br />
29.09.45<br />
Mutti<br />
09.01.46<br />
Lore<br />
20.01.46<br />
Lore<br />
08.02.46<br />
Vati<br />
19.02.46<br />
Mutti<br />
Vati ist seit drei Wochen zur Erholung im Hospital, er nimmt 3 kg zu!<br />
Mutti bekommt Malaria.<br />
Mutti hat Grippe, vielleicht <strong>von</strong> Lisa-Veronika übertragen; rechts hat sie rasende<br />
Kopf- <strong>und</strong> Ohrenschmerzen.<br />
Lore <strong>und</strong> Ulrike kommen vor dem 20. Oktober <strong>von</strong> Kodaikanal nach Hause.<br />
1945<br />
Es ist nachts sehr kalt mit Frost auf Benderloch Field, aber mittags wird es<br />
sehr heiß.<br />
Es regnete <strong>und</strong> ist nebelig am 18. <strong>und</strong> 20 Jan<strong>ua</strong>r. A place where there were<br />
daffodils: near Wyadra, a house on the way to the observatory, just after the<br />
place behind the Swedish hill where about 5 roads, (where we used to meet<br />
Mrs. Mettam in 1940 - 1942). From this house, which is built on top of the hill,<br />
you can see almost the whole lake down below and the school on the hill behind<br />
the boat house. The owner of the house was Mr. Okley.<br />
Lisa-Veronikas vierter Geburtstag wurde mit einer großen Kinderparty gefeiert.<br />
Frl. Diller, die Kindergärtnerin, kam auch. Lisa-Veronika bekam ein kleines<br />
Puppenhaus, das Vati ihr gemacht hatte, ein neues Puppenkleid <strong>von</strong><br />
Mutti, Heft <strong>und</strong> Bleistift <strong>von</strong> Christoph.<br />
Anneline bekam <strong>von</strong> Christoph ein junges Häschen zum Geburtstag. Tauschers,<br />
Meyers, Stosch <strong>und</strong> Gräfes wurden am 14. Febr<strong>ua</strong>r freigelassen. Am<br />
4. März ist Jürgen Heines Konfirmation, <strong>und</strong> am 5. März wollen sie abfahren.<br />
Tauschers wollen die heiße Zeit in Kodaikanal verbringen <strong>und</strong> danach die<br />
Kinder zur Highclerc in Kodaikanal schicken. Die Eltern warten auf eine Entscheidung<br />
der Regierung über ihre Freilassung (Visa zum Verbleib in Indien),
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 43<br />
24.02.46<br />
Lore<br />
26.02.46<br />
Vati<br />
20.03.46<br />
Lore<br />
21.03.46<br />
Mutti<br />
02.04.46<br />
Mutti<br />
05.04.46<br />
Mutti<br />
07.04.46<br />
Lore<br />
24.04.46<br />
Mutti<br />
05.05.46<br />
Vati<br />
09.05.46<br />
Lore<br />
14.05.46<br />
Vati<br />
30.05.46<br />
Mutti<br />
das Warten nervt sie ganz schön!<br />
Es regnet ab <strong>und</strong> zu.<br />
Am 24. Febr<strong>ua</strong>r bekamen die Eltern die Nachricht über das Office, dass die<br />
indische Regierung beschlossen habe, sie zu repatriieren, aber nicht vor August.<br />
Auch viele andere Deutsche bekamen diese Nachricht, es soll keine<br />
weiteren Freilassungen geben.<br />
Am 18. März camping trip to Marion Shola im Regen.<br />
Lisa-Veronika ist entsetzt, als sie unerwartet zwei tote Babyhäschen im Klo<br />
schwimmen sieht. Eine Häsin hatte 9 (!) Junge geworfen <strong>und</strong> konnte nicht<br />
alle ernähren. Eins starb an Hunger, <strong>und</strong> zwei hat Mutti ertränkt! Die Häsin<br />
war aus Versehen gedeckt worden, während sie noch die vorherigen Jungen<br />
säugte.<br />
Vati war wieder im Hospital, diesmal mit Drüsenschmerzen um das rechte<br />
Ohr herum. Die Puppe, die Lisa-Veronika <strong>von</strong> Ulrike bekam, widersteht sogar<br />
der rauen Behandlung eines kleinen Fre<strong>und</strong>es. Mutti entdeckt, dass der Kopf<br />
aus Stahl besteht, Sehr schlau, meinte sie dazu.<br />
Mutti ist im Hospital mit Amöbenruhr. Vati musste deswegen das Krankenhaus<br />
wieder verlassen.<br />
Es regnet <strong>und</strong> donnert. Ulrike hilft Karten für ein Schulkonzert zu verkaufen.<br />
Der schöne große Hahn <strong>von</strong> Christoph ist tot, wahrscheinlich ist er an Tick<br />
fever gestorben. Er hatte drei Tage hohes Fieber, der Tierarzt stellte 42,9 o C<br />
fest. Sonst hatte der Hahn keine Krankheitssymptome. Er starb wie ein Held<br />
<strong>und</strong> trank noch ein paar St<strong>und</strong>en vor dem plötzlichen Tod stehend, was Hühner<br />
selten tun. Zum Glück gibt es 13 Küken <strong>von</strong> ihm.<br />
Die Erlaubnis für Vati zur Fahrt nach Kodaikanal ist immer noch nicht da.<br />
"The May Play" ist am 4. <strong>und</strong> Grad<strong>ua</strong>tion <strong>von</strong> Lore am 8. Mai.<br />
Grad<strong>ua</strong>tion ist vorbei <strong>und</strong> Vati war nicht da!<br />
Am 13. Mai kam endlich die Erlaubnis für Vati. Am 20. Mai will er in Kodaikanal<br />
ankommen. Am 9. Juni muss er wieder in Satara sein. Ungefähr am 31.<br />
Mai möchte er mit Lore nach Kumbakonam fahren, um einiges zu packen für<br />
die Repatriierung nach Deutschland. Christoph <strong>und</strong> Michael sollen in ein paar<br />
Tagen aus Bezwada zurückkommen, weil am 20. Mai die Schule beginnt.<br />
Es könnte sein, dass Michael <strong>und</strong> Christoph mit Vati erst am 7. Juni in Satara<br />
ankommen, da Mutti herausgef<strong>und</strong>en hat, dass Vati die Bus- <strong>und</strong> Bahnfahrten<br />
<strong>von</strong> Christoph <strong>und</strong> Michael noch bezahlen muss. Jungjohanns verlassen<br />
das Camp am Donnerstag, Herr Stosch fuhr letzten Montag ab. Es gibt täglich<br />
kurze Stürme mit Gewitter <strong>und</strong> Regen. Muttis Zahn mit der gebrochenen<br />
Wurzel wurde noch nicht gezogen, da das Röntgenbild noch nicht angekommen<br />
ist. Sie hat große Schmerzen.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 44<br />
<strong>Briefe</strong> Dezember 1946 an Board "Johan van Oldenbarnevelt"<br />
<strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> an Martin Witte<br />
Nun sind wir tatsächlich im Anrollen begriffen,<br />
nachdem wir noch bis zuletzt auf Freilassung<br />
gehofft hatten. Außer Hellers sind<br />
im letzten Augenblick auch noch Rovers<br />
freigelassen worden. Wir sind nun der folgende<br />
Trupp Leipziger: Aus Satara Gerlachs,<br />
Weinters <strong>und</strong> meine Familie <strong>und</strong> aus<br />
Dehra Dun Tiedt. Wir wurden am 26. November<br />
in Bombay eingeschifft mit insgesamt<br />
etwa 500 Deutschen; Unterbringung:<br />
Truppenschiff, d.h. je 50 - 100 in einem<br />
Saal, in dem man kampiert <strong>und</strong> nachts in<br />
Schlafsäcken über den Tischen baumelt.<br />
Unsere Frauen <strong>und</strong> Kinder haben zwei<br />
getrennte, aber jederzeit zugängliche Säle<br />
mit gleicher Unterbringung, nur dass sie<br />
teilweise vorziehen, auf oder unter den<br />
Tischen zu schlafen. Stewards gibt es<br />
nicht, alles ist Selbstbedienung, nur dass<br />
wir nicht selber zu kochen brauchen. So<br />
gibt es allerhand Arbeitskommandos (Essenholen,<br />
Kartoffelschälen, Geschirrabwaschen,<br />
Gepäckschleppen, Zimmerreinigung<br />
etc.) Die Verpflegung ist ausgezeichnet.<br />
Wetter, Gott sei Dank, gut - was aber<br />
bei schlechtem Wetter wird mit einem Haufen<br />
seekranker Menschen, die sich bei<br />
Tage nirgends hinlegen können, stellen wir<br />
uns lieber nicht vor.. Der Dampfer hat<br />
22.000 Tonnen, schwankt aber etwas wegen<br />
mangelnder Frachtladung. Reiseroute:<br />
Mombasa (wo wir 1.000 - oder nach anderen<br />
2.500 - italienische Kriegsgefangenen<br />
an Board nehmen sollen) - Neapel (wo wir<br />
die Italiener wieder loswerden) -<br />
Southampton (wo etwa 400 englische<br />
Deckpassagiere aussteigen) - Hamburg.<br />
Daten sehr zweifelhaft. Mombasa Ankunft<br />
in der Nacht 4./5. Dezember, Weiterfahrt<br />
am 5. nachmittags, Southampton angeblich<br />
spätestens kurz vor Weihnachten oder<br />
gerade zum 24. Dezember <strong>und</strong> dann<br />
Hamburg, wo die Angaben zwischen 24.<br />
Dezember <strong>und</strong> 7. Jan<strong>ua</strong>r schwanken.<br />
Was nun unsere individuellen Reiseziele<br />
betrifft, so wollen alle Leipziger außer uns<br />
ins russische Gebiet: Gerlachs zu seinen<br />
oder ihren Eltern (wohl nach Plauen),<br />
Tiedt, der ja aus Mecklenburg ist, zunächst<br />
zu seiner Frau in der Leipziger Gegend,<br />
Weinerts sind sich aber noch nicht ganz<br />
endgültig schlüssig (schwanken zwischen<br />
Westfalen, wo sie wohl jetzt Verwandte<br />
haben, <strong>und</strong> Mecklenburg <strong>und</strong> Sachsen).<br />
Wir <strong>Gäbler</strong>s fallen sozusagen in die Kategorie<br />
der Displaced Persons, da wir keine<br />
Verwandte haben, die unsere große Familie<br />
(Ulrike 16, Christoph 9, Michael 7, Veronika<br />
5) auch nur auf wenige Tage aufnehmen<br />
könnte. Ins russische Gebiet<br />
möchten wir keinesfalls, denn in eine Mausefalle<br />
gehen wir freiwillig nicht, zumal wir<br />
gern wieder einmal nach Indien möchten.<br />
So ist es für uns das Natürliche, dass wir in<br />
der britischen Zone Unterschlupf suchen<br />
<strong>und</strong> möchten Dich nun dabei um Deine<br />
Hilfe bitten. Ich fürchte, dass wir zunächst<br />
einmal in ein Lager verfrachtet werden, bis<br />
unsere Zukunft geregelt ist, wenn wir nicht<br />
eine vorübergehende Unterkunft nachweisen<br />
können.<br />
Bitte No. 1: Kannst Du uns da etwas ausmachen<br />
<strong>und</strong> nach Hamburg ans Schiff<br />
mitteilen? Wir dachten beispielsweise ans<br />
Henriettenstift in Hannover - oder ist es<br />
bereits voll besetzt? Oder gibt es eine andere<br />
Stelle bei irgendwelchen Missionsfre<strong>und</strong>en?<br />
Das müssen wir Dir ganz überlassen.<br />
Bitte No. 2: Abgesehen <strong>von</strong> diesem allerersten<br />
Unterschlupf, dachte ich, ob es<br />
wohl möglich ist, dass ich eine Pfarrstelle<br />
entweder im Braunschweigschen oder<br />
Hannoverschen bekomme, habe aber keine<br />
Ahnung, ob Ihr mit Pastoren überschwemmt<br />
seid oder nicht. Jedenfalls wäre<br />
ich Dir sehr dankbar, wenn Du sofort Fäden<br />
anknüpfst mit Hanns Lilje einerseits (er<br />
soll wohl Assistent Bishop <strong>von</strong> Hannover<br />
sein <strong>und</strong> hätte dann ja wohl bei der Vergabe<br />
<strong>von</strong> Pfarrstellen mitzureden), der uns<br />
persönlich kennt (war 1929 unser Gast in<br />
Madras) <strong>und</strong> mit dem Braunschweigschen<br />
Konsistorium andererseits (ich habe ja in<br />
Braunschweig meine Schul- <strong>und</strong> Gymnasialzeit<br />
verlebt <strong>und</strong> auch während meines<br />
Urlaubs 1933 - 1935 Vorträge dort gehalten<br />
<strong>und</strong> bin vielleicht einigen maßgebenden<br />
Leuten bekannt, kenne aber selbst<br />
niemand <strong>von</strong> den hohen Herren). Solltest<br />
Du also den Weg zu einer Pfarrstelle für<br />
mich ebnen können, so musst Du aber<br />
bedenken, dass wir einstweilen keinen<br />
einzigen Stuhl oder Tisch besitzen; wir<br />
hatten einen Teil Möbel in Bautzen; das ist
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 45<br />
beim Einrücken der Russen verbrannt; wir<br />
haben auch noch einige wenige Möbel in<br />
Schweta (Sachsen), aber daran kommen<br />
wir wohl nicht, solange wir nichts mit dem<br />
russisch besetzten Gebiet zu tun haben<br />
wollen. Mit Bekleidung sind wir leidlich<br />
ausgerüstet, es sei denn, dass wir entweder<br />
in einen besonders kalten Winter hineinkommen<br />
oder dass wir in eine kalte<br />
Gegend (z.B. in den Harz) gesetzt werden;<br />
denn einen Wintermantel besitzen weder<br />
meine Frau noch Michael noch ich (nur<br />
Ledermäntel).<br />
Bitte No. 3: Willst Du uns auch bitte mit<br />
Mammon in Hamburg versorgen; denn das<br />
Geld, das wir noch in der Hand haben,<br />
langt nur noch bis zum Ende der Schiffsreise.<br />
Und wir brauchen ja Geld für die<br />
Weiterreise <strong>von</strong> Hamburg <strong>und</strong> fürs Leben<br />
(falls wir erst ins Lager kommen, brauchen<br />
wir es natürlich, wenn wir das Lager verlassen,<br />
vielleicht aber auch schon zum<br />
Leben im Lager, je nach dem, wie nun die<br />
Verhältnisse im Lager sein mögen. - Die<br />
anderen Leipziger haben hier unter den<br />
Sachsengängern gehört, dass vielleicht die<br />
Möglichkeit bestehen würde, dass sich die<br />
Sachsenfahrer zusammentun <strong>und</strong> sich<br />
mitsamt ihrem Gepäck auf Lastkraftwagen<br />
verladen <strong>und</strong> direkt <strong>von</strong> Hamburg nach<br />
ihren sächsischen Örtern abschwirren. Mir<br />
kommt das ja reichlich optimistisch vor;<br />
aber wenn etwas an der Sache ist <strong>und</strong> Du<br />
durch Hamburger Missionsfre<strong>und</strong>e vorneweg<br />
etwas organisieren kannst, wäre es<br />
glorreich. Das gewöhnliche Gepäck, das<br />
wir mit uns führen, ist 2 Zentner pro Person<br />
(ganz gleich ob Erwachsener oder Kind)<br />
d.h. also in unserem uns ebenso Weinters<br />
Falle, 12 Zentner. Dazu kommt das so genannte<br />
Excess-Luggage, für dessen<br />
Transport vom Gefangenlager nach Bombay<br />
(Mumbai) wir selber zu blechen hatten<br />
(abgesehen <strong>von</strong> einem Zuschuss der Federation);<br />
das beträgt bei uns <strong>Gäbler</strong>s ca.<br />
42 cbfeet (N.B. 27 cbf = 1cbyard), bei Gerlachs<br />
dito, bei Weinerts ca. 53 cbf, <strong>und</strong> bei<br />
Tiedt auch eine Kleinigkeit. Dazu kommt<br />
noch bei jedem pro Kopf ein pralles Bedding<br />
oder Reisesack <strong>und</strong> einiges leichtes<br />
Handgepäck. Das gibt Dir immerhin eine<br />
gewisse Vorstellung.<br />
Von unterwegs später werde ich Dir noch<br />
einen oder mehrere Durchschläge dieses<br />
<strong>Briefe</strong>s zusenden, um sicher zu gehen.<br />
Vielleicht telegraphiere ich Dir auch noch<br />
das Ankunftsdatum, sobald es feststeht.<br />
Gerlach schreibt jetzt noch an Herrn Direktor;<br />
aber es wäre gut, wenn Du auch Deinerseits<br />
die Hauptsachen dieses <strong>Briefe</strong>s<br />
Herrn Direktor mitteilen würdest.<br />
Und nun ein frohes Wiedersehen in<br />
Deutschland irgendwann einmal! Viele<br />
trauliche Grüße <strong>von</strong> uns allen, auch den<br />
anderen Leipzigern, vor allem auch <strong>von</strong><br />
meiner Frau an Dich <strong>und</strong> die Deinen...<br />
Ulrike an Lore<br />
I suppose you were rather surprised when<br />
you fo<strong>und</strong> out that we are already being<br />
repatriated. On about the 18th Onkel Gerlach<br />
came storming into our house with<br />
every hair erect and told us that we were to<br />
go in four days. Our minds went blank at<br />
the thought. But! Nothing doing! We started<br />
to empty all the trunks at once. The last<br />
three nights Vati and Mutti hardly got any<br />
sleep: only about 3 hrs. each night. I<br />
helped the last night. In the end we went 2<br />
days later, i.e. an the 27th.<br />
We spent that night in the waiting-room in<br />
Poona till 3 o'clock the next morning. We<br />
left all the rabbits for Mr. Heller to sell for<br />
us. The house was in a terriffic mass when<br />
we left. The train (special for us only) took<br />
us right next to the ship. There Patsy, L.<br />
and Mrs. Thomas said goodbye. The whole<br />
time we were <strong>und</strong>er the strict watch of english<br />
soldiers as we are now still.<br />
When the ship started we saw the gate -<br />
way of India which, to my eyes does not<br />
look very much like anything. Here we<br />
were stuck in huge cabins, men and<br />
women with children in different ones.<br />
There are about 50 of us in this cabin<br />
which ia about 64 yds sq. At night we are<br />
supposed to hanh in Hammocks but Mutti<br />
and I sleep on our table (2 ft wide long end<br />
or 2 to sleep on) and the 3 little ones <strong>und</strong>erneath<br />
us on the floor. We have to do<br />
some washing of clothes erery day because<br />
the 3 need new things almost every<br />
day. Can't iron, of course.<br />
Guess what! Onkel Wilhelm and the rest of<br />
Wing (inclusive Tiedt) from Dehra Dun is<br />
here. He sleeps next - door, in the same<br />
room as Vati and about 100 others.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 46<br />
About 3 weeks ago we came very near<br />
release, but through the wicked influence<br />
of a cunning influential person who testified<br />
that we all, especially Mutti, were strong<br />
nazis (just think! and Vati and Mutti at that!,<br />
they who sent us to Highclerc to prevent us<br />
from becoming nazis!!!), we landed here.<br />
We only hope that that doesn't in any way<br />
affect our return to India (kind of hopeful,<br />
eh what?).<br />
This morning at 5:00 we were supposed to<br />
have crossed the eq<strong>ua</strong>tor. The night was<br />
rather hot and sticky, but no more so, I<br />
think, than in Kodi.<br />
Right now they are dousing all the little kids<br />
in soap and water. I have another boil sort<br />
of thing in my face, only this time on the<br />
other side. It is not half as bad as the last<br />
one. We've had super weather till now. My<br />
mind goes blank when I think os school<br />
now. In this cabin all the ladies (single<br />
especially) have hang up their clothes on<br />
the walls so that you would think you were<br />
in a dressing room. Not a soul has heaved<br />
yet no aecident has occured yet. We have<br />
one B for all in this cabin baths are next to<br />
impossible. All we do is wash, dress the 3<br />
and knit, knit, knit, and buy chocolate. I'm<br />
longing to see snow. You can't imagine<br />
how dumm we feel. Our deck chairs landed<br />
by mistake in the bottom hold so we are rid<br />
of them. We have only the hard 1 ft wide<br />
benches to sit on when we knit.<br />
Von <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> an Lore<br />
Meine liebe Lore, endlich sollst Du noch<br />
ein Lebenszeichen <strong>von</strong> mir haben, ehe<br />
unsere Reise zu Ende geht. Wir sind jetzt<br />
im Atlantischen Ozean westlich <strong>von</strong> Portugal<br />
<strong>und</strong> haben weiterhin eine herrlich<br />
ruhige Fahrt gehabt mit einer einzigen<br />
Ausnahme: es schaukelte einen halben<br />
Tag ziemlich übel, als wir Kreta passiert<br />
hatten, <strong>und</strong> eine ganze Anzahl Menschen<br />
wurden seekrank. Ich musste auch zweimal<br />
brechen <strong>und</strong> legte mich eine Zeitlang<br />
in die Liegestätte, <strong>und</strong> auch Christoph <strong>und</strong><br />
Michael waren nicht wohl <strong>und</strong> brachen,<br />
aber die weiblichen Glieder unserer Familie<br />
waren alle putzmunter, Ulrike stöhnte<br />
nur, dass sie infolge der Schiffsbewegungen<br />
nicht so bequem wie sonst sitzen<br />
konnte, sie half bei dem schlechten Wetter<br />
im Hospital, weil ein Teil des Pflegepersonals<br />
seekrank war. Dann stürmte es einmal<br />
noch nachts sehr stark, so dass haufenweise<br />
Geschirr zerbrach, man hörte es <strong>von</strong><br />
Zeit zu Zeit immer wieder krachen <strong>und</strong> in<br />
tausend Stücke zerspringen. Herrn Dr.<br />
Wolfs Kinderwagen machte sich mitsamt<br />
dem Baby selbständig <strong>und</strong> fuhr da<strong>von</strong>,<br />
sauste die Treppe mit dem Baby elegant<br />
hinunter <strong>und</strong> sauste weiter auf dem nächsten<br />
Deck, um dann umzustürzen; in dem<br />
Augenblick kam jemand vorbei nachte um<br />
1 Uhr, der das Baby gleich auffing. Und<br />
dann gibt es immer noch Leute, die behaupten,<br />
dass die Kinder keinen Schutzengel<br />
haben! - Wir sind bloß gespannt, wie<br />
das Wetter weiter sein wird. Morgen geht<br />
es durch die berüchtigte Biskaya, übermorgen<br />
sind wir in Southampton <strong>und</strong> sollen<br />
vielleicht am gleichen Tage weiterfahren -<br />
40 St<strong>und</strong>en bis Cuxhaven; angeblich sollen<br />
wir bereits dort aussteigen wegen Eisgang<br />
auf der Elbe; das Radio bringt täglich<br />
Nachrichten über eine wüste Kältewelle in<br />
Europa, <strong>und</strong> als wir an der Südspitze <strong>von</strong><br />
Italien entlangfuhren, sahen wir oben auf<br />
den Bergzügen Schnee liegen - sicher sehr<br />
ungewöhnlich; wir froren bereits da wie die<br />
Schneider. Nachher wurde es aber wieder<br />
etwas wärmer.<br />
Wir haben viel landschaftliche Schönheit<br />
gesehen. Besonders eindrucksvoll war<br />
Mombasa. Früh am Morgen kamen wir hin.<br />
Zuerst sah man im Dunkeln noch die Lichter<br />
<strong>und</strong> Leuchttürme. Als es Tag wurde,<br />
waren wir ganz dicht heran. Wir fuhren<br />
dann in einem breiten Flussarm eine ganze<br />
Weile flussaufwärts zwischen Siedlungen,<br />
sahen Autos fahren <strong>und</strong> entzückten uns an<br />
der tropischen Vegetation <strong>und</strong> vielen<br />
schmucken Bungalows der Europäer. Das<br />
Verladen der Italiener ging lächerlich
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 47<br />
schnell vor sich, sie kamen immer zu Abteilungen<br />
<strong>von</strong> r<strong>und</strong> fünfzig in fast ununterbrochenem<br />
Gänsemarsch anmarschiert,<br />
jeder am Knopfloch vorn eine Nummer mit<br />
großen Ziffern <strong>und</strong> auf der Schulter einen<br />
Seesack. In etwa 2 St<strong>und</strong>en waren bereits<br />
die unter uns befindlichen "Sektoren", wie<br />
hier so schön gesagt wird, zum Überquellen<br />
voll, <strong>und</strong> bald quollen sie wie ein Lavastrom<br />
aufs Deck. Sie hatten alle eine tadellose<br />
Disziplin <strong>und</strong> waren nette Kerle; sie<br />
sollen schon seit zwölf Jahren <strong>von</strong> Italien<br />
fort gewesen sein, den abessinischen<br />
Krieg <strong>von</strong> Anfang an mitgemacht haben,<br />
später nach ihrer Gefangennahme in Kenia<br />
als Farmgehilfen gearbeitet <strong>und</strong> sich so<br />
durchgeschlagen haben. Als sie dann in<br />
Neapel ausstiegen, ging es wieder mit der<br />
gleichen Schnelligkeit. Sie wurden auf der<br />
Q<strong>ua</strong>imauer mit einer Musikkapelle <strong>und</strong><br />
Märschen empfangen, <strong>von</strong> Roten-Kreuz-<br />
Leuten mit Liebesgaben überschüttet <strong>und</strong><br />
gleich auf Lastkraftwagen verladen <strong>und</strong><br />
zum Bahnhof gefahren. Manche wurden<br />
gleich <strong>von</strong> ihren Verwandten begrüßt. Unser<br />
Empfang in Deutschland wird wohl<br />
etwas anders sein; wahrscheinlich wird<br />
uns da überhaupt niemand außer vielleicht<br />
einem Rote-Kreuz-Vertreter sprechen dürfen<br />
<strong>und</strong> wir werden vermutlich direkt in ein<br />
Übergangslager geschickt werden.<br />
Schön war auch die Fahrt <strong>von</strong> Suez durch<br />
den Suez-Kanal nach Port Said. Wir hielten<br />
abends kurz in Suez, <strong>und</strong> dann ging es<br />
über Nacht durch die Hälfte des Kanals;<br />
die zweite Hälfte des Kanals folgte bei Tage.<br />
Seit unserer letzten Fahrt 1935 ist der<br />
Kanal sehr ausgebaut worden, teilweise<br />
erweitert, vor allem ziehen sich jetzt streckenweise<br />
auf beiden Seiten Eisenbahnlinien<br />
am Kanal entlang, eine lange Strecke<br />
folgt auch eine Asphaltstraße dem Verlauf<br />
des Kanals. Wir kamen einmal an einem<br />
Kriegsgefangenenlager vorbei, wo Deutsche<br />
untergebracht sein sollen, wir winkten<br />
ihnen zu. Der Nachteil bei dieser Strecke<br />
<strong>von</strong> Suez bis Port Said war, dass wir Männer<br />
als Kriegsgefangene nicht auf das<br />
Deck hinaus durften, sondern nur vom Salon<br />
oder <strong>von</strong> den Kabinen aus die Welt<br />
betrachten durften, während die Frauen<br />
<strong>und</strong> Kinder es nach Leibeskräften genossen,<br />
einmal ganz nach Herzensbehagen<br />
die Gegend für sich allein zu haben. Mutti<br />
verbrachte ganze St<strong>und</strong>en in Port Said<br />
damit, Sachen zu kaufen; Obst <strong>und</strong> Lederhandtaschen<br />
waren die großen Wertobjekte,<br />
die <strong>von</strong> den arabischen Händlern auf<br />
Booten herangerudert <strong>und</strong> dann an Leinen<br />
<strong>von</strong> Käufern empor geleiert wurden. Mutti<br />
hat einer ganzen Reihe <strong>von</strong> Menschen, die<br />
entweder im Hospital lagen oder als Männer<br />
nicht aufs Deck durften, etwas besorgt,<br />
auch selbst eine Handtasche besorgt, die<br />
wir recht nötig brauchen.<br />
Von Lisa <strong>Gäbler</strong> an Lore<br />
Now we are "jenseits <strong>von</strong> Suez" already.<br />
Do you remember how we used to say in<br />
India that the people jenseits <strong>von</strong> Suez<br />
cannot <strong>und</strong>erstand the mind of living in<br />
India? Now we must hereafter try to <strong>und</strong>erstand<br />
the minds of the people in the west<br />
that is Europe after having been away from<br />
them for over 10 years. I am sure it will be<br />
very difficult to <strong>und</strong>erstand them as their<br />
and our experiences of war <strong>und</strong>er such<br />
diffrent conditions has been si different!<br />
Just now we passed near Imaelia a German<br />
prisner of war camp and Mrs. Nocht<br />
waved her hands towards them, as her<br />
brother is supposed to be kept their. None<br />
of our man is allowed on deck since yesterday<br />
night when we came to Suez. They<br />
seem to think that some one might try to<br />
escape to Africa. Ulrike wrote air-mail to<br />
you from Monbasa in East Africa where our<br />
boat stopped on the 5th to take in 1.400<br />
Italian prisoners of war, whom we trop again<br />
in Naples.<br />
Since Mombasa we are teribly crowded on<br />
our small space on deck. One cannot walk<br />
any more, the men stand like sardines in a<br />
tin there. We German women and children<br />
have at least one small corner on deck for<br />
ourselves where we put our deck-chairs<br />
but the noise of the chatting Italians who<br />
stand like walls aro<strong>und</strong> us and the noise of<br />
children aro<strong>und</strong> us is so loud in our ears<br />
and so telling on our nerves, that you try<br />
simply try to stay the whole day in your<br />
room down-stairs with all the food-smell. Its<br />
better as you do not have so many people<br />
aro<strong>und</strong>. We had excellent weather up till<br />
now, nobody was seasick. Since the middle<br />
of the Red Sea it got very cold and Ulrike<br />
already changed her mind regarding<br />
warm <strong>und</strong>erclothing. Christl gets very easily<br />
cold, its the cold north-west wind which<br />
freezes you till the bone.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 48<br />
Lisa-Veronika is in hospital since 2 days<br />
with Mittelohrentzündung and at this occasion<br />
the Dr. Urchs from Dehra Dun, who<br />
manages the ships hospital for the Germans<br />
and Italians during his repatration<br />
fo<strong>und</strong> out that her heart is in disorder and<br />
warned me not to beat or frighten the child<br />
any more in any way as she might collapse<br />
then. I always feared something like that<br />
when she was 2 years old but a doctor I<br />
think it was Heger said after examniation<br />
that nothing was wrong with her heart. It<br />
would explain to me why she is si changing<br />
in her temper. But happily she does not get<br />
these fits with getting Oma and difficult<br />
breathing, as she had often 2 years ago,<br />
now. The doctor thinks her heart got spoiled<br />
after an infections sisease like scarlet<br />
fever or the like and perpaps the several<br />
attacks og fever with rash she had in Satara<br />
have been no Röteln German measles<br />
as the doctors called them then but real<br />
Scarlet fever which did not show properly<br />
outside but did so much more trouble inside.<br />
Poor little Lisa-Veronika.<br />
Michael too in the hospital since yesterday.<br />
He ate "Schweinebraten mit Sauerkraut"<br />
zum 1. Mal in his life some 5 days ago and<br />
got bad diarrhoe after that and though he<br />
got Castor oil at once he had dyspesion<br />
since then, looks yellowula white and<br />
green at times and complains about<br />
tommy-ache. So the doctor took him in for<br />
abservation. The hospital is always full to<br />
the last bed, when new cases are coming<br />
Bericht <strong>von</strong> Tucher über Neuengamme im Jan<strong>ua</strong>r 1947<br />
In December, 1946, and into Jan<strong>ua</strong>ry,<br />
1947, the Neuengamme concentration<br />
camp became the British transit camp for<br />
the two shipments of German nationals<br />
returning from British India. Considering<br />
the amount of damage on Germany's cities,<br />
the British authorities saw every justifiable<br />
reason for using the Neuengamme<br />
facilities as a process station. The Nazi<br />
regime had constructed the camp for that<br />
very purpose.<br />
Again the men and women were separated.<br />
"the women and the children, they<br />
were placed into one building. And we<br />
men, we were left in a long building simply<br />
with mattresses and we had to sleep on<br />
in, those who are a little better must move<br />
out.<br />
Ulrike ist a great help with mending and<br />
knitting, she has made friends with Reni<br />
Wittenberg now, after they have "sich nur<br />
berochen" für die Hälfte der Fahrt. They<br />
are the only bigger girls on the boat. Of<br />
course Helga Lampe pretends to be already<br />
18 or 19 here. It is quite clear now<br />
that we will reach Sothhampton for Chrismas<br />
only with great difficulties. The tommies<br />
on our boat, who g<strong>ua</strong>rd us day and<br />
night with guns and bayonnetts are very<br />
keen on beeing home then. So we must be<br />
glad if we are in Hamburg for New Year.<br />
We would rather go home to India into the<br />
heat than into the ice and snow of Jan<strong>ua</strong>ry<br />
near the north Sea in Germany. We are<br />
already feeling so cold with the desert on<br />
both sides. I think Lisa-Veronika got her<br />
bad ear by sleeping <strong>und</strong>er the table on the<br />
chaughty floor, Michael too. Ulrike and<br />
Chrisl sleep over the table and I lie on the<br />
same table with the hammocks tough my<br />
head and feet. Such ist life. But the food is<br />
good and still plenty though the butter gets<br />
slowly less every day. We will get used to<br />
the 1.400 calories at home by and by it<br />
seems till New Year... We did not jet sing<br />
Adventslieder except the 2, s<strong>und</strong>ay in<br />
church here. We don't feel like Chrismas at<br />
all. We also have no presents for the children<br />
with us except a few small playthings.<br />
What a Chrismas ut will be.<br />
them. And it was frightfully cold and there<br />
was snow aro<strong>und</strong>. "<br />
For the German families the processing<br />
phase at the Neuengamme Camp was<br />
remarkably short in comparison to their<br />
years in India. Christian Lohse remembered;<br />
"We were only there a good eight<br />
days." (21) Nevertheless, the last internment<br />
station is likely one of the best held in<br />
the memories of certain individ<strong>ua</strong>ls. This<br />
infamous concentration camp stands out<br />
as vividly as the many detention centers of<br />
British India. <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> added these remarks:<br />
"... We spent days and days by<br />
counting the number (of internees), standing<br />
outside. All the names were called;
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 49<br />
there was the roll call, and then we were<br />
dismissed again."<br />
And in the meanwhile Dr. Freytag and<br />
some others came and visited us. And they<br />
asked, "Where are you going to find a<br />
place? Where are you going to live?" There<br />
had been no connections established with<br />
the relatives and friends. And so they wrote<br />
to the different places, because they were<br />
not allowed to write any letters then.<br />
The German repatriatees from British India<br />
soon fo<strong>und</strong> themselves confronted with the<br />
task of another ro<strong>und</strong> of investigations of<br />
their political leanings and their past activities.<br />
Due to their arrival at Neuengamme in<br />
the holiday season, as "New Year's Eve<br />
and New Year's Day came in between,<br />
naturally in these days the British officials<br />
were not working." No longer <strong>und</strong>er the<br />
colonial British Raj, these men and women<br />
entered a defeated Germany and the jurisdiction<br />
of the British occupational forces.<br />
It is <strong>und</strong>erstandable that the British military<br />
authorities in Germany had to process<br />
carefully the latest shipment from the colony<br />
of India. Of course, British Intelligence<br />
already had a fair knowledge of these internees.<br />
To be sure, the German missionaries<br />
were only a small segment of the<br />
large contingent of several h<strong>und</strong>red German<br />
nationals from the Oldenbarnevelt.<br />
Yet from these missions personnel it is<br />
possible to reconstruct a picture of the investigations,<br />
the purpose of which was to<br />
rediscover the individ<strong>ua</strong>l's political thoughts<br />
and his family relations. <strong>Gäbler</strong> gave this<br />
description: It was the English (British) who<br />
were in charge. And along with them, there<br />
were the officers, Jews generally, who had<br />
to find out whether we were Nazis or not.<br />
These were the English, because it was in<br />
the northern Zone, ... Jewish officers ... for<br />
the investigation, since they could speak<br />
German, Jews who had of course fled.<br />
They were naturally not very kind to us. ...<br />
And there they had to grade us, whether<br />
we were innocent or however it was, ... or<br />
those who had acted as Nazis, ... all the<br />
Germans who were removed from India at<br />
that time. ... And some who had had Nazi<br />
activities, they got terrible scoldings, verbal<br />
shootings. Some of the missionaries also<br />
got these shootings. But nobody was present;<br />
they took them in one by one.<br />
The grading process of the investigations<br />
at Neuengamme appeared to have had six<br />
categories. The first three groups (1-3)<br />
offered little chance for a person gaining<br />
immediate freedom, and likely were channeled<br />
into the denazification program. The<br />
remaining groups 4-6 signified an early<br />
release, and the missionary families all had<br />
the more favourable discriminations by the<br />
camp authorities.<br />
Nineteen months following the collapse of<br />
the Third Reich, the investigations of<br />
Neuengamme renewed the unpleasant<br />
memories, and all because they were not<br />
invited back by their mission churches.<br />
<strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> offered this personal sketch of<br />
the hearings: “It was funny then. I came<br />
with my wife. She had to go in for herself<br />
with our Ulrike, who was 14 or 15. Then<br />
the officer asked our girl first, ‘Has she<br />
been in H.J.? " And she asked my wife,<br />
‘What is H.J., Mutti? don't know anything<br />
about H.J.’ That was the (Hitler) youth organization.<br />
Then of course they realized<br />
we had been in camps in India since 1939,<br />
that we had nothing to do with the whole<br />
thing. And there was no difficulty; and we<br />
got through the thing quickly. "…<br />
The Rev. Dr. <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong>, once the President<br />
of the Leipzig Mission work in India<br />
and not invited back by the mission church,<br />
told of his departure from Neuengamme:<br />
"The next morning we had to leave, my<br />
family and I; we had to leave for Hannover.<br />
And it was not very pleasant; so many<br />
people crowded into the trains, and with<br />
everything so desolate. Hamburg; everywhere<br />
ruins; bombed out houses. And it<br />
was the same in Hannover. My family was<br />
divided into three parts. And after six<br />
weeks I became a pastor in the Hannover<br />
(State) Church. Then our family was reunited<br />
again. But it was a terrible winter at<br />
that time; such high snow and we had<br />
rather thin clothing. I got the parsonage<br />
which was offered to me; a vacancy! But<br />
there were no potatoes, no fuel, no coal<br />
nor wood to burn. But fortunately in Oesselse<br />
they had a small forest which belonged<br />
to the church, and there was a tremendous<br />
oak which the congregation cut<br />
down in the deep snow. Oesselse was<br />
near Hannover, and there we were till the<br />
end of 1950. "
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 50<br />
Brief an Lore vom 23.10.1947 aus Oesselse<br />
Many thanks for your letter in which you<br />
describe so graphically your camp experiences<br />
and your friendship with your group<br />
leader. I am really glad that you fo<strong>und</strong><br />
somebody with whom You could talk freely<br />
and to whom you could open your heart. I<br />
think that you will have sometimes the feeling<br />
that 4 years is a pretty long time to be<br />
away from home, and that you will feel<br />
home-sick and that is certainly nothing to<br />
be ashamed of. Is there no possibility that<br />
You go to Auntie Eve in Cambridge at least<br />
for the Christmas Holidays? Though it is a<br />
rather long trip, I should be so glad if you<br />
could have a Christmas in the German way<br />
and in with relatives. I am sure they would<br />
be delighted to have you with them, and I<br />
Brief an Lore vom 01.01.1948 aus Oesselse<br />
Der Tod <strong>von</strong> Mahatma Gandhi hat im Westen,<br />
aber auch hier in Deutschland, einen<br />
tiefen Schock ausgelöst. Die Zeitungen<br />
haben in großen Typen die traurige Nachricht<br />
gebracht. Viele Menschen haben zuhause,<br />
in den Straßenbahnen <strong>und</strong> Zügen<br />
darüber gesprochen. Viele Menschen haben<br />
mit mir gesprochen. Sie wollten wissen,<br />
ob ich Gandhi selbst gesehen habe.<br />
Ich werde seinen Besuch in Madras in den<br />
frühen dreißiger Jahren nicht vergessen.<br />
Ich sehe noch die große Menschenmenge,<br />
die sich nach Sonnenuntergang am Strand<br />
versammelte. Der seltene Gast saß auf<br />
einer hohen Plattform umgeben <strong>von</strong> den<br />
guess you could also get a good piece of<br />
advise from them. It would be interesting,<br />
too, if you could get an idea of a different<br />
type of College. Well, it is still a long way<br />
off till Xmas, but in things like that it is not<br />
bad to make plans early and to write well in<br />
advance so that they can keep a place free<br />
nueing to be extremly busy people. This<br />
week I paid with the Selb-relativeb (uncle<br />
Johannes etc) and the boys a visit to the<br />
Export-Fair in Hannover which showed<br />
many beautiful things - unobtainable for us<br />
poor Germans, but intended for export only<br />
so that Germany may get food at least.<br />
Vroni is beginning to feel better after her<br />
ja<strong>und</strong>ice.<br />
Kongresshoheiten in dem gleißenden weißen<br />
Gaslicht. Als er anfing zu sprechen<br />
konnte man nur wenig aus den Lautsprechern<br />
hören, die nicht richtig funktionierten.<br />
Die ganze Welt trauert über den Tod einer<br />
großen Seele. In vielen Reden <strong>und</strong> Artikeln<br />
wurde Tribut gezahlt an einen, dessen vergeistigtes<br />
Leben durch den Tod einen Siegel<br />
erhielt. Ich hoffe, dass das tragische<br />
Ende seiner Lebensreise <strong>und</strong> die Erinnerung<br />
an sein Leben das nationale Leben in<br />
Indien reinigen <strong>und</strong> die Mutter Indien zu<br />
einer höheren Stufe der nationalen Selbsterkenntnis<br />
führen möge...<br />
Brief an Lore <strong>und</strong> Christian Paasche vom 13.07.1960 aus Niedernjesa<br />
...Ihr befindet Euch, ohne Euch dessen<br />
wahrscheinlich bewusst geworden zu sein,<br />
in einer Periode, in der eigentlich jeder<br />
nachdenklicher Missionar in eine Krise<br />
hineingerät. Wir haben das an uns selbst<br />
<strong>und</strong> noch viele Male an den Missionsgeschwistern<br />
in Indien erlebt, das just im dritten<br />
<strong>und</strong> vierten Indienjahr die Zweifel. <strong>und</strong><br />
die Kritik einsetzen, ob nicht in der Mission<br />
<strong>und</strong> bei den Eingeborenen, wie wir damals<br />
zu sagen pflegten, sehr viel, wenn nicht<br />
alles falsch ist einschließlich der Einstellung<br />
der eigenen Missionare. Das erscheint<br />
eine Art Naturgesetz zu sein <strong>und</strong><br />
hat in seiner Art - natürlich in ganz anderer<br />
Weise - Wirkungen wie etwa die Wechseljahre<br />
der Frau oder die sogenannte falsche<br />
zweite Jugend des Mannes um die Fünfzig.<br />
Die älteren Missionsleute kennen<br />
meist diesen Zustand <strong>und</strong> setzen ihn mit in<br />
Anrechnung, wenn sie besonnen sind.<br />
Nichtmissionsleute wissen meist nicht da<strong>von</strong><br />
<strong>und</strong> werden dadurch leicht irregeleitet<br />
Ihr werdet fragen, worin denn eigentlich<br />
das Besondere dieser Stufe der Entwicklung<br />
des Missionars besteht. Das lässt sich<br />
kurz etwa so sagen. Man fängt an, die<br />
Dinge <strong>und</strong> Menschen, nachdem man sich<br />
etwas eingelebt hat, ohne Maske zu sehen<br />
<strong>und</strong> das noch frische Idealbild, mit dem
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 51<br />
man herausgekommen ist, damit kritisch<br />
zu vergleichen. Das Ergebnis des Vergleiches<br />
ist gewöhnlich vernichtend, Aber man<br />
überzieht dabei leicht, dass einem etwas<br />
sehr Wichtiges nicht zu Gebote steht (bzw.<br />
noch nicht), nämlich die nur durch langjährige<br />
Arbeit zu gewinnende Einsicht, dass<br />
man in den Tropen mehr als anderswo mit<br />
retardierenden Faktoren rechnen muss, die<br />
sowohl bei den Farbigen wie auch bei uns<br />
Weißen (bei <strong>und</strong> schon allein wegen der<br />
größeren Freiheit <strong>und</strong> der sich dadurch<br />
ergebenden größeren Möglichkeit zu Fehlsamkeit)<br />
in der Mentalität vie auch in den<br />
sehr andersartigen Verhältnissen liegen.<br />
Nicht als ob damit alles zu entschuldigen<br />
wäre! Aber wer diese Dinge im Auge behält,<br />
wird sich beständig prüfen, ob er bei<br />
seinem Urteil nicht einseitig ist <strong>und</strong> ob er<br />
bei den sich ihm ergebenden Konsequenzen<br />
nicht zu radikal ist.<br />
Ich habe mich oft gefragt, welche Eigenschaft<br />
wohl die für draußen Wichtigste ist<br />
(ich rede jetzt nicht da<strong>von</strong>, dass die wichtigste<br />
Voraussetzung die ist, das man in<br />
der bewussten Nachfolge Christi stehen<br />
muss)! Ich bin zu dem Schluss gekommen,<br />
des Kontaktfähigkeit gepaart mit der Bereitschaft<br />
<strong>und</strong> Fähigkeit zu Teamarbeit,<br />
also zu Kooperation, mit die unerlässigsten<br />
1962<br />
sind. Nach Euren <strong>Briefe</strong>n scheint es fast,<br />
dass Pastor Hellm<strong>und</strong> bei aller guten Arbeit,<br />
die er offensichtlich sonst getan hat,<br />
besonders in seelsorgerlicher Hinsicht,<br />
nicht bei seinen Mitarbeitern Verständnis<br />
<strong>und</strong> auch Mitarbeit für seine besonderen<br />
Anliegen geweckt hat. Es mag einer eine<br />
noch so gute Schau <strong>von</strong> der besonders<br />
wichtig zu erscheinenden Arbeit haben!<br />
Aber wenn er sie praktisch als Einzelgänger<br />
tut, steht er in der Gefahr, als Außenseiter<br />
betrachtet zu werden <strong>und</strong> in die Isolierung<br />
zu geraten. Es ist um der Sache<br />
willen wichtig, dass man zuerst Himmel<br />
<strong>und</strong> Erde in Bewegung setzt, um allen Mitarbeitern,<br />
den Eingeborenen wie den Weißen,<br />
klar zu machen, um was es einem<br />
geht, <strong>und</strong> sie zu einem ähnlichen Kurs zu<br />
gewinnen. Das schuldet man der Gemeinschaft<br />
als solcher wie auch der Sache.<br />
Wenn man nicht eine Kursänderung für die<br />
ganze Arbeit erreichen kann, sollte man<br />
das Verständnis <strong>und</strong> Einverständnis der<br />
anderen gewinnen, für seine eigene Person<br />
mit dem Goodwill der anderen sozusagen<br />
als Experiment die eigenen Vorschläge<br />
durchzuführen. Nur so kann man<br />
erreichen, dass man nicht in die Isolierung<br />
gerät.
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 52<br />
R<strong>und</strong>brief zum Tode <strong>von</strong> Lisa <strong>Gäbler</strong> Ende April 1970 aus Niedernjesa<br />
Denen <strong>von</strong> Ihnen, die nichts <strong>von</strong> den naheren<br />
Umständen des plötzlichen Heimganges<br />
meiner Frau wissen, <strong>und</strong>/oder denen,<br />
die wahrscheinlich gern an der Trauerfeier<br />
teilgenommen hätten, aber dazu nicht in<br />
der Lage waren, möchte ich aus Dank für<br />
Ihre herzliche Anteilnahme das Folgende<br />
mitteilen.<br />
Mit der Reise nach Tansania ist ein langgehegter<br />
Wunsch meiner Frau in Erfüllung<br />
gegangen. Sowohl ein Göttinger Internist,<br />
der sie auf unseren Wunsch vorher gründlich<br />
untersucht hat, wie auch unser Hausarzt<br />
hatten nicht die geringsten ges<strong>und</strong>heitlichen<br />
Bedenken gegen diese Reise.<br />
Sie flog am 15. März nach Nairobi <strong>und</strong><br />
wurde dort <strong>von</strong> unseren Kindern, nach<br />
Moshi abgeholt. Der Plan war, dass sie am<br />
13. April zurückfliegen wollte. Unsere Lore<br />
<strong>und</strong> ihr Mann schrieben uns <strong>von</strong> ihrer<br />
Freude über die Vitalität <strong>und</strong> Unternehmungslust<br />
meiner Frau. Am 26. März,<br />
Gründonnerstag, kollidierte Lore in ihrem<br />
Wagen mit meiner Frau an ihrer Seite <strong>und</strong><br />
den Kindern auf den Rücksitzen im Dunkeln<br />
auf der Heimfahrt <strong>von</strong> Arusha. nach<br />
Moshi mit einem unbeleuchteten Trecker,<br />
der mitten auf der Straße abgestellt war.<br />
Den Kindern geschah nichts, aber Lore<br />
<strong>und</strong> meine Frau trugen Schnittw<strong>und</strong>en<br />
da<strong>von</strong> <strong>und</strong> wurden <strong>von</strong> einem Inder gleich<br />
ins Missionskrankenhaus Machame gefahren,<br />
wo sie vom dortigen Chirurgen Dr.<br />
Schmidt versorgt wurden. Am Osterdienstag<br />
wurden sie nach Moshi als geheilt entlassen,<br />
sollten sich aber noch schonen.<br />
Am folgenden Tage, dem 1, April, hatten<br />
meine Frau, Lore, Christian <strong>und</strong> Frl. Dreßler<br />
<strong>von</strong> der deutschen Schule in Kibosho<br />
noch eine lebhafte Unterhaltung mit nachfolgendem<br />
Kaffeetrinken. Frl. Dreßler war<br />
im Begriff, sich zu verabschieden, als meine<br />
Frau plötzlich einen derartigen Schwächeanfall<br />
erlitt, dass Christian da<strong>von</strong>stürzte,<br />
um den ganz in der Nähe wohnenden<br />
guten Fre<strong>und</strong> Prof. Dr. Walther (Leiter des<br />
vor allem mit Unterstützung <strong>von</strong> "Brot für<br />
die Welt" errichtete Kilimanjaro Medical<br />
Center) zu holen. Nach wenigen Minuten<br />
stürzte auch Lore da<strong>von</strong>, um im Nachbarhaus<br />
nach einem indischen Arzt zu telefonieren.<br />
Sofort anschließend kam sie zurück,<br />
gleichzeitig mit Christian <strong>und</strong> Dr.<br />
Walther. Letzterer konnte nur noch den<br />
bereits eingetretenen Tod feststellen. Das<br />
Ganze hatte kaum 20 Minuten gedauert.<br />
Diagnose: Embolie. Ob diese eine Folge<br />
des Unfalles war oder ganz unabhängig<br />
da<strong>von</strong> aufgetreten ist, wird <strong>von</strong> den Ärzten<br />
verschieden beurteilt; das Letztere wird<br />
<strong>von</strong> manchen für das Wahrscheinlichere<br />
gehalten, weil meine Frau einen allmählichen<br />
Herzstillstand. <strong>und</strong> damit eine langsam<br />
einsetzende Bewusstlosigkeit - wie es<br />
scheint, ohne Schmerzen - erlitten hat.<br />
Gott hat es gut gemeint, dass er sie so<br />
gelinde aus einem frohen, erfüllten Leben<br />
heimgerufen hat, ehe sie den uns gegen<br />
Jahresende bevorstehenden Abschied <strong>von</strong><br />
Niedernjesa <strong>und</strong> ihrem geliebten Garten<br />
erleben musste. Wir beide haben gerade<br />
in den letzten Jahren oft Gott gedankt,<br />
dass er uns trotz vielem Schweren, das er<br />
uns in einem langen Leben gemeinsam<br />
durchstehen. ließ, unsagbar viel Gutes hat<br />
erfahren lassen. Jeder neue Tag <strong>und</strong> jedes<br />
neue Jahr der Gemeinsamkeit war uns ein<br />
Gottesgeschenk. Wegen der tropischen<br />
Verhältnisse fand bereits am nächsten<br />
Tage, dem 2. April, eine Trauerfeier statt,<br />
zu der sich viele Missionare <strong>und</strong> ihre Frauen<br />
<strong>und</strong> andere Fre<strong>und</strong>e einfanden, <strong>und</strong><br />
anschließend erfolgte die Einäscherung.<br />
Die hiesige Trauerfeier mussten wir um 14<br />
Tage hinausschieben, weil wir hofften,<br />
dass uns die Urne bis dahin erreichen<br />
würde. Das war dann auch der Fall. Der<br />
18. April brachte. uns einen warmen Frühlingstag.<br />
Die Kirche war bis auf wenige<br />
Plätze auf einer der Emporen voll besetzt.<br />
Es müssen über 200 Personen gewesen<br />
sein; darunter waren eine Reihe <strong>von</strong> Verwandten<br />
<strong>und</strong> Bekannten, die <strong>von</strong> weither<br />
kamen. Die Urne stand inmitten <strong>von</strong> Kerzen<br />
<strong>und</strong>. Blumen vor dem Altar. Superintendent<br />
Achilles aus Göttingen, dem der<br />
hiesige Kirchenkreis seit einem Jahrzehnt<br />
untersteht, ein persönlicher Fre<strong>und</strong> unserer<br />
Familie, hielt auf meine Bitte die Trauerfeier.<br />
Er ließ die Gemeinde die gleichen<br />
Gesänge singen, die auch bei der Trauerfeier<br />
in Moshi angestimmt worden sind:<br />
"Bis hierher hat mich Gott gebracht",<br />
"Christ ist erstanden" <strong>und</strong> "Befiehl du deine<br />
Wege" V.1 - 6. Seiner Ansprache legte er<br />
Psalm 84,12 zu Gr<strong>und</strong>e, den Trauspruch,
<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 53<br />
den meine Frau <strong>und</strong> ich für unsere grüne<br />
Hochzeit am 10.02.1923 in Mayavaram<br />
(jetzt: Mayuram) in Südindien ausgesucht<br />
hatten: "Gott der Herr ist Sonne <strong>und</strong>.<br />
Schild; der Herr gibt Gnade <strong>und</strong>. Ehre. Er<br />
wird. kein Gutes mangeln lassen den<br />
Frommen," Superintendent Achilles zeichnete<br />
mit großem Einfühlungsvermögen<br />
das Lebensbild meiner Frau <strong>und</strong>. entfaltete<br />
dann eindringlich die Botschaft des Bibeltextes,<br />
<strong>und</strong> das alles mit großer Herzenswärme.<br />
Er schloss im Blick auf die große<br />
Freude, die meine Frau u.a. für den Garten<br />
<strong>und</strong> alles, was lebt <strong>und</strong> blüht <strong>und</strong>. reift,<br />
hatte, mit den Worten aus <strong>Paul</strong> Gerhardt's<br />
"Geh aus mein Herz": "Welch hohe Lust,<br />
welch heller Schein wird. wohl in Christi<br />
Garten sein! Wie muss es da wohl klingen...",<br />
"Mach in mir deinem Geiste Raum,<br />
dass ich dir werd. ein guter Baum <strong>und</strong> lass<br />
mich Wurzel treiben. Verleihe, dass zu<br />
deinem Ruhm ich deines Gartens schöns-<br />
<strong>Paul</strong> <strong>Gäbler</strong> 1972<br />
te Blum <strong>und</strong>. Pflanze möge bleiben..." -<br />
Dann setzte sich ein langer Zug in Bewegung.<br />
Auf dem Friedhof, auf dem ich selbst<br />
seit 20 Jahren so oft an den Gräbern gestanden<br />
mit den Trauernden Gottes Wort<br />
gesagt habe, in dem Teil, wo die Doppelgräber<br />
liegen <strong>und</strong> <strong>von</strong> wo der Blick weit<br />
über die Fluren des schönen Leinetals <strong>und</strong><br />
bis nach Göttingen schweift, wurde die<br />
Urne beigesetzt; daneben ist der Fleck,<br />
wo, so Gott will, auch ich meine letzte Ruhestätte<br />
finden werde. Einige wenige<br />
Kränze mit aus Laub geflochtene, mit Blumen<br />
besteckte Kreuze <strong>und</strong>. dazu mehrere<br />
immer noch frische Sträuße mit leuchtend<br />
blauen Iris <strong>und</strong> weißen Lilien schmücken<br />
den kleinen Hügel. Mir ist, als stünde über<br />
allem das tröstliche <strong>und</strong> mahnende Wort:<br />
"Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein,<br />
dass uns werde klein des Kleine <strong>und</strong> das<br />
Große groß erscheine. Sel'ge Ewigkeit."