1. Herbert Uerlings (Trier): Stigma Zigeuner. Formen der ... - Reviste

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Stigma Zigeuner es auch den Stigmatisierten meist wenig, sich zu ‚assimilieren’: Assimilation ist meist ein Hase-und-Igel-Spiel mit dem Verfolger. Aus demselben Grund greift auch eine Politik des ‚Widerlegens’ von Stigmatisierungen in der Regel zu kurz und bleibt wirkungslos. Stigmen haben eben weniger mit den Eigenschaften von Stigmatisierten als mit den Bedürfnissen der Stigmatisierenden zu tun. Stigmen zu untersuchen, bedeutet daher in erster Linie, ihre Entstehung, ihren Gehalt, ihre Form und ihre Funktion für die Mehrheitsgesellschaft zu untersuchen. Was die Funktion betrifft, so ist jeweils historisch zu konkretisieren, worin die dem Stigma generell zukommende Funktion der Verweigerung vollständiger sozialer Anerkennung im Einzelfall besteht. Das kann in unterschiedlichen Hinsichten verständlich gemacht werden: psychologisch (meist als Projektion von Wünschen und Ängsten oder als Sündenbockprojektion), ökonomisch (z.B. bei der Austragung von Konkurrenzkämpfen), ideologisch (z.B. rassenideologisch, religiös/theologisch), politisch (z.B. als Folge von staatlichen Homogenisierungsprozessen, Veränderungen in der Armutspolitik, Statuskämpfen etc.), moralisch (als Repräsentation von erwünschten / verbotenen Verhaltensmaximen) u.a.m. Außer- 91
92 Herbert Uerlings dem kann nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Stigmatisierungen verschiedener Gruppen gefragt werden. Dafür bietet sich im Falle der ‚Zigeuner‘ der Vergleich mit den Juden an: Diese beiden Gruppen sind über Jahrhunderte hinweg die wichtigsten Minderheiten innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft gewesen, ihre Kulturen und Lebensweisen sowie ihr Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft sind sehr verschieden, aber beide sind wegen ihres behaupteten ‚Anders- Seins’ immer wieder verfolgt und im Prozess der Stigmatisierung zueinander in Beziehung gebracht worden. II. Religiöse Stigmatisierungen Religiösen Antiziganismus, d.h. eine religiös begründete Zigeunerfeindschaft, gibt es in Mitteleuropa seit der Ankunft der Roma im frühen 15. Jahrhundert. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, denn die ‚Zigeuner‘ galten als Christen. Bereits die Chronisten Cornerus (1417) und Andreas (1424) bemühen entsprechende religiöse Erzählungen zur Erklärung der Wanderschaft der Neuankömmlinge: Sie befänden sich auf einer Bußwallfahrt zur Erinnerung an die Flucht des Herrn nach Ägypten. Diese Begründungsgeschichte eröffnet zwei Mö-
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