1. Herbert Uerlings (Trier): Stigma Zigeuner. Formen der ... - Reviste

88 Herbert Uerlings
Formulierung verweist auf zwei Probleme: (1) Es ist in der Tat
sehr schwierig, von einem ‚Volk’ oder einer ‚Nation’ der Roma
(oder eben der ‚Zigeuner‘) zu sprechen. Ein entsprechendes
politisches Gemeinschaftsbewusstsein fehlte in der Vergangenheit
ganz. Ob es sich, wie die Bürgerrechtsbewegungen
und Verbände hoffen, in nennenswerter Weise dauerhaft bildet,
bleibt abzuwarten. Jedenfalls aber wird dabei die Erfahrung,
einer gemeinsamen bzw. vergleichbaren Stigmatisierung
ausgesetzt (gewesen) zu sein, eine zentrale Rolle spielen;
sie tut es schon jetzt. (2) Das Stigma ‚Zigeuner‘ hat in der
Vergangenheit eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppen und
Individuen getroffen, die oft nichts als diese Stigmatisierung
verbindet. Es gibt kein konstantes, gleichsam überhistorisches
Kriterium dafür, wer als ‚Zigeuner‘ stigmatisiert wurde. Es
lassen sich allenfalls idealtypisch zwei Begriffsverwendungen
unterscheiden, die, in wechselndem Ausmaß und oft gleichzeitig,
die Verfolgungspraxis bestimmt haben: ein soziographischer
Zigeunerbegriff, der alles fahrende Volk – also im
Spätmittelalter weite Teile der Bevölkerung, später dann im
Familienverband gewerbsmäßig umherziehende Personen –
umfassen konnte, und ein ethnischer Zigeunerbegriff, der
sich am Kriterium einer ‚Volks’-Identität orientierte, die wie-