1. Herbert Uerlings (Trier): Stigma Zigeuner. Formen der ... - Reviste

110 Herbert Uerlings
Studien, mit denen er die Erblichkeit unerwünschter sozialer
Verhaltensweisen von Jenischen nachweisen wollte, der Begründer
jener psychiatrischen Theorien, die Roma, Sinti und
Jenische als ‚erblich Minderwertige’ verschiedenen Verfolgungsstrategien
auslieferten.
Ohnehin hatte die Schweiz um 1900 und noch für lange
Jahre danach in Europa eine Vorreiterrolle bei der Eugenik
inne. Insbesondere dem – im Übrigen antisemitisch eingestellten
– Psychiater Auguste Forel (1848-1931) und seinen
Schülern war es zu verdanken, dass Zürich zum Mekka der
Eugeniker wurde.
In diesem Umfeld bildete sich in der Schweiz eine spezifische
Form der Verfolgung der ‚Zigeuner‘ aus: Während die
ausländischen ‚Zigeuner‘ ausgewiesen wurden, sollte die
Assimilation der Jenischen gewaltsam erzwungen werden. Als
dies durch Zwangsmaßnahmen wie Sterilisation oder Heiratsverhinderung
nicht gelang, betrieb seit 1926 das ‚Hilfswerk
Kinder der Landstraße’ mit staatlicher Unterstützung systematisch
eine Politik der Wegnahme und zwangsweisen Heimunterbringung
jenischer Kinder – kulturalistische und biologistische
Stigmatisierung griffen, in Form von Theorien milieubedingter
und genetischer Vererbung und entsprechenden