1. Herbert Uerlings (Trier): Stigma Zigeuner. Formen der ... - Reviste

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Stigma Zigeuner neuzeitlichen Ausgrenzungspraxis, die in diesem Fall religiös begründet wurde. Der Vorwurf der Spionagetätigkeit für die Türken, dem ‚Erzfeind der Christenheit’, erledigte sich eigen- tlich mit dem Sieg über die Osmanen vor Wien 1529, nicht aber die religiöse Stigmatisierung. Vier verschiedene Erzählungen lassen sich unterscheiden: Die ‚Zigeuner‘ galten (1) als Nachfahren Kains oder Hams, (2) als Leibwächter des Königs Pharao, die am Ufer zurückgeblieben seien, als dieser den Juden in das sich öffnende Rote Meer nachgesetzt sei, (3) als die Schmiede der Kreuznägel Christi und (4) als Volk, das der Heiligen Familie bei ihrer Flucht nach Ägypten das Nachtquartier verweigert habe. All diesen Geschichten gemeinsam ist, dass die Wanderung nicht mehr von der christlichen Gesinnung der ‚wallfahrenden Zigeuner‘ zeugen soll, sondern von einer in biblischer Zeit begangenen Verfehlung, die die Unchristlichkeit dieses Volkes belege. Im Blick auf Geschichte und Funktion von Stigmatisierungen sind vier Aspekte besonders aufschlussreich: (1) Die Erzählungen sind erstaunlich langlebig und wandlungsfähig und sie finden sich in religiösen, literarischen und wissenschaftlichen Diskursen. So ist die Geschichte von der verweigerten Herberge 500 Jahre lang, vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, tradiert worden: von den 95
96 Herbert Uerlings Chroniken über die humanistisch-protestantische Geschichts- und katholische Traktatliteratur, die Kuriositäten- und Magica- Buchproduktion in die Lexika des 18. Jahrhunderts; seitdem galt sie als fester Bestandteil des Wissens über ‚Zigeuner‘ (vgl. Köhler-Zülch). (2) Der Wahrheitsgehalt erzählter Begründungen spielt paradoxerweise letztlich keine Rolle: Schon Aventinus, dessen "Annalen" (1522) der mutmaßliche Ursprungsort der Geschichte von der verweigerten Herberge sind, hält diese für unglaubwürdig, behauptet aber, gerade diese lügenhafte Selbstdarstellung belege das Unchristliche der ‚Zigeuner‘, wie es in der Erzählung selbst zum Ausdruck komme. Nach diesem Motto überlebt die Geschichte sogar den Niedergang der Theorie von der Herkunft der ‚Zigeuner‘ aus Ägypten: Hier zeige sich lediglich erneut, dass sie lügenhaft seien. Ähnlich wird mit der siebenjährigen Bußwallfahrt verfahren: Der Hinweis, dass die sieben Jahre längst verstrichen sind, wird nicht zum Anlass gesellschaftlicher Inklusion, sondern zum Ausweis der Lügenhaftigkeit bzw. zum Ausgangspunkt weiterer Erzählungen, die dann z.B. davon handeln, dass die erste Generation der ‚Zigeuner‘ zurückgekehrt sei, während die der Gegenwart religiöse Scharlatanerie betrieben. (3) Religiöse Stigmatisierungsgeschichten kursieren als Selbst- und Fremd-
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