1. Herbert Uerlings (Trier): Stigma Zigeuner. Formen der ... - Reviste

94 Herbert Uerlings
Ein regelrechter Stigmatisierungsschub erfolgte am Ende des
15. Jahrhunderts. Nachdem auf dem Reichstag zu Lindau 1497
der Vorwurf erhoben worden war, die ‚Zigeuner‘ seien Spione
der Türken in den christlichen Ländern, wurde auf dem
Reichstag zu Freiburg 1498 der förmliche Beschluss gefasst,
‚Zigeunern‘ das Umherziehen und Handeltreiben zu verbieten,
ihnen jeglichen Schutz zu verwehren und diejenigen, die dage-
gen verstießen, für vogelfrei zu erklären. Dieser Reichstags-
beschluss war die erste staatliche Maßnahme, die auf ein Verschwinden
der ‚Zigeuner‘ durch Zerstörung ihrer Lebensweise,
Vertreibung und Tod gerichtet war. Er bildete den Ausgangspunkt
für eine Flut von entsprechenden Edikten bis ins
späte 18. Jahrhundert hinein, die aber das gesteckte Ziel nicht
erreichten, weil weite Teile der Bevölkerung offenbar anders
dachten als die Obrigkeit und weil den Staaten noch die Voraussetzungen
für eine effiziente Realisierung der Verfolgungspolitik
fehlten. Es waren aber die frühneuzeitlichen staatlichen
Formierungsprozesse, die zum Ausschluss der eigentumslosen
und nicht-sesshaften außerständischen Gruppen führten, und
die Herausbildung, Konsolidierung und Homogenisierung neuzeitlicher
und später moderner Staatsstrukturen blieb eine Bedrohung
für die ‚Zigeuner‘. Sie wurden zum Prototyp der früh-