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Die Wahlkreisgrösse prägt den Einfluss von Mehrheitspräferenzen

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Ökonomenstimme: <strong>Die</strong> <strong>Wahlkreisgrösse</strong> <strong>prägt</strong> <strong>den</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>von</strong> Mehrh... http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2011/02/die-wahlkreisgroes...<br />

<strong>Die</strong> <strong>Wahlkreisgrösse</strong> <strong>prägt</strong> <strong>den</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>von</strong> <strong>Mehrheitspräferenzen</strong><br />

Ein Vergleich <strong>von</strong> Volksabstimmungen und Parlamentsentschei<strong>den</strong><br />

http://oekonomenstimme.org/a/153/<br />

Reiner Eichenberger<br />

Marco Portmann<br />

David Stadelmann<br />

<strong>Die</strong> Zahl der Repräsentanten pro Wahlkreis bestimmt, wie gut die Wählerpräferenzen im Parlament vertreten wer<strong>den</strong>.<br />

Parlamentarier aus Einerwahlkreisen mit Mehrheitswahl haben starke Anreize, ihre Politik an <strong>den</strong> Präferenzen der<br />

Wählermehrheit auszurichten, da der Einzug ins Parlament nur mit der Stimmenmehrheit gelingt. Mit steigender<br />

Sitzzahl pro Wahlkreis nehmen die Anreize zur Vertretung der Wählermehrheit ab. Parlamentarier aus Wahlkreisen<br />

mit vielen Sitzen und damit Verhältniswahlen brauchen nur einen kleinen Wähleranteil für einen Parlamentssitz.<br />

Deshalb buhlen sie um die Gunst eines kleineren Wählerspektrums.<br />

In unserem Aufsatz „District Magnitude and Representation of the Majority’s Preferences: Quasi-Experimental<br />

Evi<strong>den</strong>ce from Popular and Parliamentary Votes“ (erscheint demnächst in Public Choice) fin<strong>den</strong> wir in<br />

ökonometrischen Vergleichen <strong>von</strong> Parlamentsentscheidungen mit Ergebnissen <strong>von</strong> Volksabstimmungen, dass<br />

Parlamentarier individuell mehr <strong>von</strong> <strong>den</strong> beobachteten <strong>Mehrheitspräferenzen</strong> der Wähler abweichen, wenn die Zahl<br />

der Parlamentarier pro Wahlkreis steigt. Wir kontrollieren dabei für zahlreiche andere <strong>Einfluss</strong>faktoren.<br />

Messproblem – Was machen Politiker, was wollen Wähler?<br />

Ein direkter Vergleich <strong>von</strong> Wählerpräferenzen mit parlamentarischen Entscheidungen setzt voraus, dass das Handeln<br />

<strong>von</strong> Politikern und die Wählerpräferenzen in <strong>den</strong>selben Dimensionen gemessen wer<strong>den</strong>. Nur so lässt sich sinnvoll<br />

vergleichen, ob das, „was Politiker tun“, dem entspricht, „was die Wähler wollen“. Ein korrekter Vergleich sollte auf<br />

tatsächlichen und geäusserten Wählerpräferenzen zu realen Parlamentsentschei<strong>den</strong> basieren. Vergleiche zwischen<br />

Wahlprogrammen, also Versprechen <strong>von</strong> Parlamentariern, und Wählerpositionen aus Umfragen oder Befragungen<br />

<strong>von</strong> Repräsentanten und Wählern zu hypothetischen Problemstellungen erfüllen beide Kriterien nur ungenügend.<br />

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Ökonomenstimme: <strong>Die</strong> <strong>Wahlkreisgrösse</strong> <strong>prägt</strong> <strong>den</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>von</strong> Mehrh... http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2011/02/die-wahlkreisgroes...<br />

Wir analysieren <strong>den</strong> <strong>Einfluss</strong> der <strong>Wahlkreisgrösse</strong>, d.h. der Sitzzahl pro Wahlkreis, auf Anreize <strong>von</strong> Parlamentariern,<br />

die Präferenzen der Wählermehrheit zu vertreten. Dabei stützen wir uns auf die individuellen Entscheidungen <strong>von</strong><br />

Schweizer Parlamentariern in parlamentarischen Schlussabstimmungen und vergleichen diese mit <strong>den</strong> Resultaten<br />

schweizerischer Volksabstimmungen. Bei Volksabstimmungen wer<strong>den</strong> <strong>den</strong> Stimmberechtigten die exakt gleichen<br />

Gesetzestexte vorgelegt, über die das Parlament zuvor entschie<strong>den</strong> hat. Damit ist die direkte Vergleichbarkeit zwischen<br />

Parlamentsentscheid und Volksentscheid gewährleistet. Volksabstimmungen wer<strong>den</strong> unmittelbar umgesetzt oder<br />

verworfen und sind daher für die Bürger relevant.<br />

Empirisches Vorgehen<br />

<strong>Die</strong> Mitglieder des schweizerischen Nationalrats wer<strong>den</strong> in 26 Wahlkreisen, <strong>den</strong> Kantonen gewählt. <strong>Die</strong> Anzahl der<br />

Sitze variiert zwischen <strong>den</strong> Kantonen <strong>von</strong> einem bis zu 34 Sitzen. <strong>Die</strong>s erlaubt uns, <strong>den</strong> <strong>Einfluss</strong> einer steigen<strong>den</strong><br />

Sitzzahl pro Wahlkreis auf die Vertretung <strong>von</strong> Wählerpräferenzen zu analysieren. Der Zeitraum unserer Untersuchung<br />

umfasst alle Volksabstimmungen <strong>von</strong> 1996 bis 2008. <strong>Die</strong> insgesamt 102 Volks- und Parlamentsentscheide behandeln<br />

die unterschiedlichsten Themen und bil<strong>den</strong> ein breites Mass für geäusserte Wählerpräferenzen.<br />

Wir ermitteln zwei Abweichungsmasse: Erstens messen wir die individuelle Abweichungen der Parlamentarier <strong>von</strong><br />

<strong>den</strong> Wählermehrheiten in ihren Wahlkreisen. Eine Abweichung eines Parlamentariers besteht, wenn dieser anders<br />

stimmt als die Mehrheit der Wähler in seinem Wahlkreis. Zweitens messen wir die individuelle Abweichungen der<br />

Parlamentarier <strong>von</strong> der schweizerischen Wählermehrheit. Stimmt ein Parlamentarier anders als die Mehrheit der<br />

Schweizer Stimmbürger, notieren wir eine Abweichung.<br />

Über alle Referen<strong>den</strong> hinweg beobachten wir 17‘674 individuelle Wahlentscheidungen <strong>von</strong> Parlamentariern (exklusive<br />

Enthaltungen und Absenzen). Wir verwen<strong>den</strong> für die Analyse ein logistisches Regressionsmodell, da die zu<br />

erklären<strong>den</strong> Variablen „Abweichung eines Parlamentariers <strong>von</strong> der Kantonalen Wählermehrheit“ und „Abweichung<br />

eines Parlamentariers <strong>von</strong> der Schweizer Wählermehrheit“ dichotom sind.<br />

Einzelne Parlamentarier<br />

Unsere Analysen bestätigen <strong>den</strong> negativen Zusammenhang zwischen der Anzahl Parlamentarier pro Wahlkreis und<br />

der Vertretung der Wählermehrheit klar. Eine Erhöhung der Anzahl der Parlamentarier pro Wahlkreis vom ersten<br />

Quartil auf das dritte Quartil erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ein Parlamentarier <strong>von</strong> der Mehrheit der Schweizer<br />

Wählerpräferenzen abweicht, um 5.6 Prozentpunkte. <strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit, dass ein individueller Parlamentarier<br />

<strong>von</strong> <strong>den</strong> Präferenzen der kantonalen Wählermehrheit abweicht, erhöht sich um 3.2 Prozentpunkte.<br />

Der negative Zusammenhang zwischen der Vertretung <strong>von</strong> <strong>Mehrheitspräferenzen</strong> und <strong>Wahlkreisgrösse</strong> bleibt in einer<br />

Reihe <strong>von</strong> Robustheitstests mit zusätzlichen Variablen und Clustering <strong>von</strong> Standardfehlern bestehen. Er besteht auch<br />

weiterhin, wenn die unterschiedlichen Partei-Positionen mittels Parteien-Fixed-Effects herausgerechnet wer<strong>den</strong>.<br />

Unsere Analysen zeigen daher, dass Parlamentarier aus Wahlkreisen mit vielen Vertretern nicht allein aufgrund ihrer<br />

Zugehörigkeit zu Randparteien häufiger <strong>von</strong> der Wählermehrheit abweichen. Repräsentanten aus Wahlkreisen mit<br />

vielen Vertretern weichen häufiger <strong>von</strong> <strong>den</strong> <strong>Mehrheitspräferenzen</strong> ab als ihre Parteikollegen aus kleinen Wahlkreisen.<br />

Gruppen <strong>von</strong> Parlamentariern<br />

Um Parlamentariern bessere Anreize zur Vertretung der Bevölkerungsmehrheit zu geben, könnten Reformen hin zu<br />

kleineren Wahlkreisen in Betracht gezogen wer<strong>den</strong>. Allerdings sollten solche Reformideen gut durchdacht sein. Eine<br />

auf Mehrheitsinteressen ausgerichtete Politik kann zu einer Untervertretung <strong>von</strong> Minderheitspositionen führen.<br />

Weiter ist zwischen individuellem Abstimmungsverhalten und Mehrheitsentschei<strong>den</strong> einer grösseren Zahl <strong>von</strong><br />

Parlamentariern zu unterschei<strong>den</strong>. Wird ein Wahlkreis durch mehrere Parlamentarier vertreten, können sich die<br />

individuellen Fehlentscheide und selbst gezieltes Abweichen <strong>von</strong> Wählerinteressen in einer Aggregatsbetrachtung<br />

kompensieren. Durch eine Vergrösserung der Zahl der Parlamentarier können sich zwar die individuellen Anreize<br />

verschlechtern. Trotzdem können im Aggregat, d.h. bei Betrachtung des Mehrheitsentscheids aller Vertreter, bessere<br />

Ergebnisse entstehen, als wenn einzelne Politiker entschei<strong>den</strong>. In unserem Aufsatz „Parliaments as Condorcet Juries:<br />

Quasi-Experimental Evi<strong>den</strong>ce on the Representation of Majority Preferences” (mimeo, Universität Fribourg, Schweiz).<br />

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Ökonomenstimme: <strong>Die</strong> <strong>Wahlkreisgrösse</strong> <strong>prägt</strong> <strong>den</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>von</strong> Mehrh... http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2011/02/die-wahlkreisgroes...<br />

fin<strong>den</strong> wir, dass eine grössere Zahl <strong>von</strong> Parlamentarier pro Wahlkreis im Aggregat ihre Wähler besser vertritt als jeder<br />

einzelne Abgeordnete.<br />

Bei Reformen sind Auswirkungen auf individuelle Anreize sowie die Veränderungen der aggregierten Entscheidung<br />

abzuwägen. Wir erachten unseren Analyseansatz als fruchtbar für die zukünftige Forschung und hoffen, damit die<br />

Diskussion <strong>von</strong> institutionellen Reformen zu stimulieren.<br />

Literatur:<br />

Portmann, Marco; Stadelmann, David; Eichenberger, Reiner (2011): „District Magnitude and Representation of the<br />

Majority’s Preferences: Quasi-Experimental Evi<strong>den</strong>ce from Popular and Parliamentary Votes“, Public Choice,<br />

forthcoming. http://dx.doi.org/10.1007/s11127-010-9760-0(http://dx.doi.org/10.1007/s11127-010-9760-0)<br />

Stadelmann, David; Eichenberger, Reiner; Portmann, Marco (2010): „Parliaments as Condorcet Juries: Quasi-<br />

Experimental Evi<strong>den</strong>ce on the Representation of Majority Preferences“, mimeo Universität Fribourg, Schweiz.<br />

©KOF ETH Zürich, 15. Feb. 2011<br />

Links<br />

a http://dx.doi.org/10.1007/s11127-010-9760-0<br />

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